Johann Nepomuk Nestroy
Der Zerrissene
Johann Nepomuk Nestroy

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Zehnte Szene

Krautkopf; die Vorigen

Krautkopf (welcher bei den letzten Worten aus der Seitentüre rechts getreten ist, mit einem Schreibzeug in der Hand) Der pritschelt ja mein' ganzen Tisch an, was wär' denn das für a Art?

Lips Ich hab' g'frühstückt.

Krautkopf Das tun die Knecht' bei mir in Vorhaus. (Zu Kathi.) Ich glaub', du bist b'sessen, daß du den Purschen da herein –

Kathi Weil er Zahnweh hat.

Krautkopf Na ja, wickel ihn lieber gar in Baumwoll' ein, den lieb'n Narr'n.

Kathi (den Tisch abwischend) Wird gleich wieder alles sauber sein.

Krautkopf Weiter mit der Milchschüssel, da g'hört 's Tintenzeug her. (Stellt das mitgebrachte Schreibzeug auf den Tisch.)

Lips Der Herr Justitiarius laßt sagen, die Herren sind schon da, und er wird gleich kommen mit ihnen.

Krautkopf So? Komm, Kathi, wir gehn ihnen entgegen.

Kathi Wem denn?

Krautkopf Den lachenden Erben des seligen Herrn von Lips.

Lips (erschrocken aufschreiend) Des seligen –!?

Krautkopf Na, was is? Was schreit Er denn?

Lips Der Lipsische Tod geht mir so z' Herzen, 's war so ein lieber, scharmanter Mann.

Kathi Ein herzensguter, vortrefflicher Herr!

Lips 's is ewig schad' –

Krautkopf Warum nit gar! Jetzt is halt um ein' Narr'n weniger auf der Welt – den Schaden kann die Welt verschmerzen.

Lips Erlaub'n S' mir, er war –

Krautkopf Halt' Er 's Maul, ich weiß's besser, was er war, er war ein Verruckter –

Lips Er war ein Zerrissener –

Krautkopf Nit wahr is's! Er war ein ganzer Dalk, darüber is nur eine Stimm'. Komm, Kathi – und Er (zu Lips) bleibt da zur Bedienung bei der Amtshandlung, wann die Herren was schaffen. (Geht mit Kathi zur Mitteltüre ab.)

Elfte Szene

Lips (allein)

Lips Der red't recht hübsch über mich, ich muß das alles anhören und tun dabei, als ob ich's gar nit wär'! Da braucht man schon eine Portion Verstellung. Übrigens is es nicht gar so arg; mein Trost is, es gibt Situationen, wo die Verstellung eine noch weit schwierigere Aufgabe ist –

Lied

1.
            's betrügt ein' die Frau, 's wird ein' g'steckt von die Leut'.
»Ha, Elende, jetzt mach' zum Tod dich bereit!«
So möcht' man ihr donnern ins Ohr in der Hitz'
Und ihr antun zehn Gattungen Tod auf ein' Sitz.
Doch halt – lieber nachspionieren ohne G'säus,
Sonst lacht s' ein' noch aus, sagt, man hat kein' Beweis.
Jetzt kommt s'auf'putzt ins Zimmer. »Ich geh' in d' Visit',
's hat a Freundin mich eing'lad'n!« – »No ja; warum nit!
A Busserl, mein Herz, unterhalte dich nur!«
[Sich so zu verstell'n, na, da g'hört was dazur.:]
2.
Man red't mit ein' Herrn, der kann nutzen und schad'n,
Mit dem sich z' verfeinden, das möcht' ich kein' rat'n,
Sein Benehmen is stolz, was er spricht, das is dumm,
Den ein' Esel zu heißen, man gäbet was drum! –
Doch halt – für den Esel müßt' teuer man büßen
Lieber legt man sich ihm untertänig zu Füßen:
»Euer Gnaden, Dero Weisheit und hoher Verstand
Geht mit Hochdero Edelsinn stets Hand in Hand,
Euer Gnad'n strahl'n als Musterbild uns allen vur!«
[Sich so zu verstell'n, na, da g'hört was dazur.:]
3.
Ein Herr, der macht Musik, blast fleißig Fagott,
Seine Frau, die macht Vers', man möcht' krieg'n d' Schwer'not,
Der Sohn patzt in Öl. – »Leut', wo habts euer Hirn?«
Möcht' man ihnen gern sag'n, »ös tuts euch nur blamier'n!«
Doch halt – man is ja in die Tochter verliebt,
Und die kriegt a drei Häuser, wann 's Elternpaar stirbt,
Jetzt muß man dem Alten sein' Blaserei lob'n,
Der Frau sag'n: »Sie stehen auf dem Parnaß ganz ob'n«,
Dem Lackel: »Sie sein ein' Correggio-Natur«
[Sich so zu verstell'n, na, da g'hört was dazur.:]
4.
Man liebt eine Schwärmerin, jausent bei ihr,
Sie bringt ein' a Mili, und im Leib hat man Bier,
Dann kommt s' noch mit Erdbeer'n, die sie selber tut pflücken,
Man möcht' ihr gern sag'n: »Kind, da krieg' i ja's Zwicken!«
Doch halt – das zerstöret die Illusion,
Der Schwärmerin z' lieb muß man essen davon –
Und ausrufen während dem Schmerzenverbeißen:
»Ach, sieh dort die Taube, die Lämmer, die weißen,
O wie reizend der Abend auf der blumigen Flur!«
[Sich so zu verstell'n, na, da g'hört was dazur.:]
5.
Ein' dramatischen Künstler wird mitg'spielt oft übel,
Und dann hat man Täg, wo man b'sonders sensibel,
Man feind't d' ganze Welt an, sich selber am meisten,
Nein, in dieser Stimmung, da kann ich nichts leisten –
Doch halt – glaubst denn, Dalk, daß das wen int'ressiert,
Ob ein Unrecht dich kränkt oder sonst was tuschiert?
's is simi, 's wird auf'zog'n, jetzt renn' auf die Szen'!
(Im Thaddädl-Ton.) »O jegerl, mein' Trudl, die is gar so schön,
Und i g'fall' ihr, ich bin ein kreuzlustiger Bur!«
[Sich so zu verstell'n, na, da g'hört was dazur.:]

(Seite rechts ab.)

Zwölfte Szene

Stifler, Sporner, Wixer, Justitiarius, Krautkopf, Kathi; dann Lips (kommen zur Mitteltüre herein)

Krautkopf (im Eintreten zu den Herren) Bitte untertänigst, meine niedrige Wohnung zu beehren.

Stifler Wir werden Sie nicht lange inkommodieren.

Justitiarius Nach nunmehro gepflogener Besichtigung des Schlosses wolle es den verehrlichen pleno titulo Herren Erben des verewigten Herrn von Lips beliebsam sein, zur Beaugenscheinigung der Pachthöfe zu schreiten.

Krautkopf He, Steffel!

Lips (das Gesicht mit dem Schnupftuch verbunden, aus der Seite rechts kommend, mit verstellter Stimme) Was schaffen S'?

Krautkopf Den Tisch in d' Mitte und noch a paar Sesseln herg'stellt!

(Lips stellt die Stühle und den Tisch mit Hilfe des Krautkopf und der Kathi in die Mitte.)

Wixer Auf Ehr', so a Gut is nit übel.

Sporner Goddam!

Justitiarius Pächter Krautkopf, Ihr könnt den morgen fälligen Pachtzins sogleich an die laut hier in Händen habenden Testamenti (zieht eine Schrift hervor) neuen Gutsherren Stifler, Sporner und Wixer pleno titulo erlegen. Lest hier den Paragraphum primum! (Zeigt Krautkopf das Testament und legt es auf den Tisch.)

Wixer (zu Stifler und Sporner, ohne den ganz nahe stehenden Lips zu beachten) Ich bin nit bös drüber, daß der Lips ersoffen is.

Stifler Ich auch nicht, bei Gott!

Sporner Sein Spleen war unerträglich.

Stifler Die passendste Grabschrift für ihn wäre: »Er war zu dumm für diese Welt.«

Wixer 's is eigentlich a Schand' für uns, daß wir so einen Freund g'habt haben.

Lips (erstaunend, für sich) Meine Ohren kriegen den Starrkrampf.

Kathi (für sich) Sind das auch Menschen –! (Leise zu Lips.) Und denen haben Sie Ihr Vermögen vermacht?

Lips (leise zu Kathi) Alles; 's war an dem Tag, wie ich mich hab' erschießen woll'n.

Krautkopf (zu Lips) Nimm Er doch's Tüchel vom G'sicht!

Lips (zu Krautkopf) Ich kann nicht, mein Weisheitszahn zeigt sich immer miserabliger.

Stifler Also vorwärts! Sehen wir uns alles an! (Will die Seitentüre links öffnen und findet selbe verschlossen.) Oho –

Krautkopf (verlegen) Ich werd' gleich den Schlüssel – wo hab' ich ihn denn nur hing'legt –? Wollten die gnädigen Herren indessen die Wirtschaftslokalitäten besehn? Kathi, führ' die Herren!

Stifler ja, ja, schönes Kind, führ' uns herum!

Justitiarius Wenn es den verehrlichen pleno titulo –

Lips (für sich) Halunken!

Justitiarius Gefällig ist –

Wixer Gut, schaun wir die Lokalitäten an!

(Stifler, Sporner, Wixer, Justitiarius und Kathi gehen zur Mitteltüre ab.)

Krautkopf (nachrufend) Ich werd' die untertänige Ehre haben, nachzufolgen! – (Zu Lips.) Was hat Er da Maulaffen feil?

Lips (zögernd) Ich hab' nur –

Krautkopf Marsch, begleit' Er die Herren!

(Lips geht zur Mitteltüre ab.)

Krautkopf (allein) Wo steck' ich jetzt den Freund Gluthammer hin –? (Indem er die Seitentüre links aufschließt.) Wenn ich nochmal auf d' Welt komm' – alles – nur keinen Freund! (Geht zur Seitentüre links ab.)

Dreizehnte Szene

Lips (allein, zur Mitteltüre vorsichtig eintretend)

Lips Herr Krautkopf! Er is nicht da! G'scheit! Also so betrauern die Erben einen Dahingeschiedenen? Den möcht' ich sehen, dem da nicht der Gusto zum Sterben vergeht! – Ha – der Gedanke is Gold wert! – (Er setzt sich an den Tisch und schreibt auf der anderen Seite des daselbst liegengebliebenen Testamentes.) Über den Artikel sollt ihr euch wundern! Wart'ts, meine guten Freund', weil ihr gar so gute Freund' seids – muß ich euch eine kleine Überraschung machen. – So, den 19. Juni – am 20. bin ich ins Wasser g'fall'n, am 19. war ich noch Mann und Bürger. Punktum, aber keinen Streusand drauf! (Er steht auf.) Jetzt is mir um einige Zenten leichter ums Herz! (Eilt durch die Mitteltüre ab.)

Vierzehnte Szene

Krautkopf, Gluthammer

Krautkopf (aus der Seitentüre links tretend und in dieselbe zurücksprechend) Wart' nur, ich mach' dir ein Licht. (Indem er eine auf dem Schranke stehende Laterne und Feuerzeug nimmt und Licht macht) Ich werd' den Augenblick –

Gluthammer (Weinflasche und Schlüssel in der Hand, das Polster unter dem Arm, kommt aus der Seitentüre links) Aber du, Brüderl –

Krautkopf Was bleibst denn nicht drin, wir müssen ja bei der drinnigen Türe hinaus in Stadl.

Gluthammer Du mußt nit etwan glauben, daß ich den ganzen Tag auskomm' mit dem Lackerl Wein und dem bisserl Schlegel.

Krautkopf Wirst schon mehr krieg'n, fürcht' dich nit!

Gluthammer Für einen Freund is nix zuviel.

Krautkopf Merk' auf jetzt, in mein' Getreid'stadl, wo ich dich g'funden hab', sind drei Falltüren; 's is alles eins, in welche du hinuntersteigst, denn die Türen von einem Keller in andern sind offen.

Gluthammer Brüderl, das treff' ich nicht, du mußt mich begleiten.

Krautkopf (ärgerlich) Ich soll ja aber – hörst, mit dir hab' ich viel Keierei!

Gluthammer Was man für einen Freund tut, darf einem nie schwer ankommen. Und in deinem Keller wird's weiter keine Kälte haben! Du, ich nehm' mir noch was mit. (Geht zu Krautkopfs Bett, nimmt Bettdecke, Schlafhaube und die noch übrigen zwei Pölster.)

Krautkopf (wie oben) Du nimmst mir ja mein ganz's Bett –

Gluthammer Mußt dich halt so behelfen.

Krautkopf Der Kerl raubt mich förmlich aus.

Gluthammer Für einen Freund derf ei'm 's Leben nicht z'viel sein.

Krautkopf (die Laterne, dann die Weinflasche und Schüssel, welche Gluthammer, als er die Betten nahm, auf den Tisch gesetzt, mitnehmend) Jetzt schau, daß d'weiterkommst!

Gluthammer (im Abgehen) Für so erhabene Gefühle hat halt mancher Mensch keinen Sinn! (Mit Krautkopf zur Seitentüre links ab.)

Fünfzehnte Szene

Stifler, Sporner, Wixer, Justitiarius, Lips (treten zur Mitteltüre ein)

Stifler (mit seinen Freunden in Streit) Ich werde der Erbschaft wegen nicht zum Bauer werden, ich verkaufe das Gut.

Sporner Und ich behalte es der Jagd wegen.

Wixer Da hab' ich, glaub' ich, auch was dreinzureden; Eigenmächtigkeiten leid' ich nicht.

Stifler Die Stimmenmehrheit entscheidet.

Sporner Goddam!

Wixer Ich werd' euch gleich zeigen, daß meine Stimm' die ausgiebigste is!

Stifler Du hast uns gar nichts zu zeigen, verstanden!

Wixer Mir wird's jetzt gleich a paar Grobheiten herauslassen.

Stifler Du bist ein gemeiner Mensch!

Justitiarius Erlauben die pleno titulo Herren Erben –

Wixer (aufgebracht) Ei was –!

Justitiarius Wir wollen sehen, ob nicht vielleicht ein Paragraphus testamenti die in Rede stehende Causam litis entscheidet.

Wixer Mein'twegen, schaun S' nach, aber das sag' ich gleich –

Sechzehnte Szene

Krautkopf; die Vorigen

Krautkopf (zur Seite links eintretend) Ich hab' schon den Schlüssel untertänigst gefunden.

Justitiarius (hat im Testamente gelesen) Hm, sonderbar – diesen Artikulum hab' ich doch früher gar nicht bemerkt –

Krautkopf (zu den drei Herren) Wenn es den sämtlichen Euer Gnaden jetzt gefällig is –

Justitiarius (kopfschüttelnd) Hm! Hm!

Stifler Was ist's, Herr Justitiarius?

Wixer Was bedeutet der juridische Humser?

Justitiarius Hier steht ja ein förmlicher Widerruf des Testamentes.

Stifler, Sporner, Wixer und Krautkopf Widerruf –!?

Justitiarius Eigene Handschrift des Wohlseligen, unterzeichnet den neunzehnten Juni – alles richtig! (Liest.) »Da es möglich ist, daß ich morgen mein Grab in den Wellen finde, so erkläre ich hiermit obiges Testament für null und nichtig und ernenne zur Erbin meines sämtlichen Vermögens sowohl im Baren wie in Realitäten: meines Pächters Peter Krautkopf Nichte, Katharina Walter.«

Krautkopf (in größtem Staunen aufschreiend) Die Kathi –!?

Stifler, Sporner, Wixer (ebenso) Was für eine Kathi –!??

Krautkopf Die Kathi –!!

(Allgemeine Gruppe des höchsten Erstaunens, Lips schleicht sich mit triumphierendem Lächeln nach dem Hintergrunde. Im Orchester fällt passende Musik ein.)

Der Vorhang fällt.


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