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Der Rückblick.

Es fließen von mir viele Bächlein in die Gärten,
wie man das Wasser hineinleitet.

Sir. 24, 40.

Das ist der Freuden-Spiegel des ewigen Lebens von Philipp Nicolai. Laß uns nun noch einen Rückblick thun, lieber Leser. Der Herausgeber ist ihn Dir schuldig, da er kein Vorwort hat schreiben wollen. – Als ich das »Leben August Hermann Francke's« darzustellen versuchte (Bielefeld, bei Velhagen und Klasing, 1852, 4. Heft 5. Bandes der Sonntags-Bibliothek), erfuhr ich daß der theure Mann in der letzten Zeit seines Lebens mit großem Fleiß und absonderlicher Freude in Phil. Nicolai's Freudenspiegel des ewigen Lebens gelesen habe. Da erwachte das herzliche Verlangen in mir, auch einmal in diesen Spiegel sehen zu können. Es ward erfüllt, über Bitten und Verstehen, ehe denn ichs noch gegen irgend einen Menschen ausgesprochen. Ich bekam aus der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen meiner Vaterstadt das ersehnte Buch unter dem Titel: »Frewden Spiegel des ewigen Lebens / Das ist: Gründliche Beschreibung des herrlichen Wesens im ewigen Leben / sampt allen desselbigen Eigenschaften und Zuständen / aus Gottes Wort richtig und verständlich eingeführt. Auch fernre wolgegründte Anzeig und Erklärung / was es allbereit für dem jüngsten Tage für schöne und herrliche Gelegenheit habe mit den außerwehlten Seele» im himmlischen Paradeiß. Allen betrübten Christen / so in diesem Jammerthal das Elend auf mancherlei Wege bauwen müssen / zu seligem vnd lebendigen Trost zusammen gefasset / durch Philippus Nicolai / der H. Schrift Dr. und Diener am Wort Gottes zu Unna in Westphalen. Gedruckt zu Frankfurt am Mayn / durch vnd in Verlegung Johann Spiesen / und Romani Beati Erben, Anno M.DCII..« Viele der herrlichsten Stellen sind in dem alten Buche roth unterstrichen und mancherlei Zeichen am Rande vermerkt, vielleicht von Francke selbst. Zugleich erging Seitens des Verlegers die Aufforderung an mich, dasselbe für eine neue Herausgabe zu bearbeiten. Das ist nun von mir geschehen. Eine Bearbeitung liegt vor Dir, mit nichten aber eine Umarbeitung.

Ohne erstere wäre es jedenfalls ungerathen gewesen, das alte köstliche Werk wieder ans Licht zu stellen. Es mußte, um einem größeren Kreise dienen zu können, an vielen Stellen verständlicher, zugänglicher und genießbarer gemacht werden. Es handelt sich hier nicht blos um Erhaltung eines ehrwürdigen geschichtlichen Denkmals unserer theuren lutherischen Kirche, sondern wesentlich um die Erbauung unserer Gemeinden zu dieser unserer Zeit. Claus Harms sagt gewiß mit gutem Recht: »Aller Andachtsstoff muß nach dem Bedürfnisse der Meisten zubereitet werden, außer wenn die Meisten begehrten, was dem Glauben der Kirche entgegen wäre. (So ist es nun Gott Lob heut zu Tage nicht, vielmehr bei den meisten ernsten und lebendigen Christen ein Begehren gut zu merken, aus der langjährigen Indolenz in konfessioneller Beziehung, aus der falschen Unions-Mengerei endlich herauszukommen und sich des »Glaubens der Kirche« wieder recht bewußt zu werden). So weit man aber die Alterthümlichkeit, fährt Harms fort, uns als ein Joch auf unsere Hälse zu legen sucht, ist sie abzuwehren.« Es ist wirklich geringe Mühe, so ein altes Buch Wort für Wort wieder abdrucken zu lassen und dann seinen Namen als Herausgeber nebst obligater Vorrede davorzusetzen. Aber es frommt auch nicht. Was uns von den herrlichen Alten zu Gute kommen soll, das ist eben das herrliche Alte. Das muß wieder neu werden. Daneben aber findet sich auch Manches, hier ein Histörchen, dort ein Vergleich u. s. w., was uns, wie wir jetzt nun einmal sind, nicht anzieht sondern abstößt; was ohne allen Zweifel vielen Seelen zum Aergerniß gereichen und unberechenbaren Schaden verursachen würde. Von einzelnen Ausdrücken, von verwickelten dunkeln Sätzen, von seitenlangen Perioden und anderen Unverdaulichkeiten der Form gar nicht einmal zu reden. Weg also mit der peniblen Antiquitäten-Krämerei!

Aber noch viel mehr weg mit der kläglichen Antiquitäten- Furcht und Flucht, mit der leichtfertigen Modernisirungs- und Verwässerungs-Sucht! Ich habe den Freuden-Spiegel nicht umgearbeitet, lieber Leser. Ich habe kein Wasser zu dem alten edlen Wein gegossen. Ich habe meinen lieben HErrn fort und fort bei der Arbeit um eine keusche und züchtige Feder angerufen. Ich habe Ihn gebeten, Er möge mich sonderlich in Gnaden davor bewahren, daß ich den alten theuren Schriftsteller, ich Geringster, irgendwo und wie verbessern wolle. Es ist ein eigen Ding um solche Arbeit. Wen Gott der HErr nicht Selbst darauf hinweist, wer nicht mit Furcht und Zittern darangeht, wer nicht mit unablässigem Gebet dabei bleibt, der kann gar viel verderben. – Der alte Nicolai kommt also wesentlich ganz in seiner alten ursprünglichen Form, es ist ihm mit nichten ein modernes Kleid umgehängt worden. Denn nur für Most gehört ein neuer Schlauch. Der Blick auf jede Seite überzeugt Dich, daß das Alterthümliche nicht in dieser neuen Ausgabe verschwunden ist. Du findest hier keine moderne, präcisirte Sprache. Du findest aber ein Lied im höheren, oftmals im höchsten Chor. Sollte Dir hin und wieder eine Wiederholung begegnen, so vergiß nicht daß das Buch nicht um gearbeitet werden durfte. Und bedenke: diese seligen Dinge kann man sich nicht oft genug wiederholen! Sind die Anmerkungen unter dem Text für Dich überflüssig, so kannst Du ja leichtlich darüber hinweg lesen. Mancher weniger kundige Leser weiß mir doch wohl für dies oder jenes einigen Dank. Vor allem aber stoße sich doch ja Niemand an dieser oder jener einzelnen Stelle, die ihm vielleicht zu stark erscheint. Solche Empfindlichkeit wäre hier gar übel angebracht. Wenn die ganze kräftige Erscheinung des Mannes, der doch auch im Zusammenhänge seiner Zeit beurtheilt werden muß, nicht abgeschwächt, also unwahr präsentirt werden sollte, ließen sich solche Stellen nicht ausmerzen. Ja es wäre ein Frevel gewesen gegen den Mann, dem »die hocherhabene und überwindliche Wahrheit« über alles ging und der von ihrem »Sieg und herrlichen Freudentritt« so gewaltig gezeugt. Und so möge denn der alte helle Spiegel vom köstlichsten Glas trotz seines alterthümlichen Rahmens – ja eben auch mit um desselbigen willen – auch jetzo wieder recht viele neue Liebhaber finden, die ihn gern sich vorhalten lassen, fleißig hinein sehen, viel Lehre, reichen Trost, große Kraft zum Thun und Leiden, lebendige Hoffnung heraussehen je länger je mehr!

Was ich durch meine Ungeschicklichkeit an dem Rahmen versehen, das vergieb mir, mein Gott, um Christi willen, und laß es den Spiegel nicht entgelten! Laß meine gebrechliche Arbeit milde und nachsichtige Beurtheilung finden vor sachverständigen menschlichen Richtern, denen ich mich in aller Demuth unterwerfe. Du weißt ja, daß ich arbeitete zu Deines Namens Ehre, zur Förderung Deines Reiches, und zu meines Nächsten Nutz und Frommen. Ist auch vor Dir unverborgen, wie wohl auch mir und wie fröhlich im Geist ich dabei gewesen, ja daß diese Arbeit nach dem schmerzlichen Abscheiden einer treuen Schwester und eines geliebten Bruders, nach der allerschwersten Zeit – die seligste gewesen meines ganzen Lebens. So gieb denn, mein lieber Gott, insonderheit allen meinen Mitchristen, die da trauern über den tödtlichen Hingang geliebter Anverwandter oder Freunde – gieb ihnen, wie Du es mir gethan, nach des seligen Verfassers Gebet, diesen Freuden-Spiegel als einen heilsamen Lebensbecher in die Hand, und steten Labetrank daraus, ihre ausgemattete Seele damit tröstlich zu erfreuen und zu erquicken! Dir, Du heiliger dreieiniger Gott, sei Ehre, Lob, Dank und Preis allein! –

So viel von dem Buch und seinem Herausgeber. Nun noch ein Rückblick auf den Verfasser des Buchs, den ich meinen lieben Lesern noch viel mehr schuldig zu sein glaube.

Philippi Nicolai ward geboren in dieses Leben am 10. August 1556 zu Mengeringhausen in der (damaligen) Grafschaft Waldeck, woselbst sein Vater, der Dr. Dietrich (» Theodoricus«) Nicolai, Verkündiger des göttlichen Wortes und zugleich Inspector der Waldeckschen Geistlichkeit war. Ein gläubiger, hochverdienter Mann, ein rechter Hausvater zugleich. Er hatte 1540 in dem Flecken Herdecke an der Ruhr die Reformation eingeführt; auch 1555 an der Synode theilgenommen, durch welche die lutherische Kirche in Waldeck begründet ward. Die Mutter eine Eunike. So war es denn kein Wunder, daß der kleine Philipp von Kind auf die h. Schrift wußte und schon frühe ein rechtes Betkind ward. Häusliche Zucht wurde in dem gesegneten Pfarrhause zu Mengeringhausen strenge geübt. Aber dieses Kind hat der Strafen nicht viele erhalten. Der zwölfjährige Jesus kam ihm wenig aus dem Sinn. So nahm »das liebenswürdige Kind« zu nicht blos an Alter, sondern an Gnade bei Gott und den Menschen. So ward der Knabe schon des ewigen Lebens theilhaftig (Joh. 17, 3). Sein liebster Ort war die Kirche. Bei jedem Gange des Vaters dahin war das Söhnlein hinter ihm. Still saß er im Tempel und sah und hörte mit der größten Aufmerksamkeit auf alles. Nach Haus zurückgekehrt suchte ers in kindlicher Weise dem lieben Vater nachzumachen. Die Geschwister und Nachbarskinder haben manche ernstliche Predigt von dem kleinen Pfarrer anhören müssen. Wurden auch Begräbnisse unter seiner Anleitung gehalten und dergl. mehr. Die Anfangsgründe des Wissens haben den fähigen und gelehrigen Knaben nicht lange aufgehalten. Es wurde dem Vater mit dem Unterrichte solches Kindes nicht schwer. Die lieben Eltern sparten auch nachher nichts, dem Sohne eine tüchtige und richtige Ausbildung zu geben. Er ist bei trefflichen Lehrern gewesen. Er hat später verschiedene deutsche Academien besucht. Es hat das alles seinen nicht eben begüterten Eltern große Kosten verursacht. Aber er hat auch ihre Wünsche reichlich erfüllt, ja alle ihre Erwartungen weit übertroffen. Spizel ( Templum honoris reservatum sive illustrium aevi hujus theologorum et philologorum imagines et elogia adornata a Theophilo Spicelio Aug. Vind. 1673) sagt davon: Quod deTimotheo apostolus scribit, ipsum a puero in sacris literis fuisse institutum, id ipsum in praeclaro hocce theologo parentum honestissimorum domestica disciplina feliciter comprobavit. Videbant illi puerum magna alacritate ad sacra ferri, insequi paternos gressus ad templum, et attente quae ibi fierent considerare, domum vero reversum pias repetere conciones et nostrae religionis repraesentare ceremonias, de dictis biblicis difficiloribus disserentes libenter audire, in moribus item nativam quandam notabant amabilitatem, quare filium hunc suum Deo oblatum praeceptorum privatorum et publicorum fidelitati diligentius commendarunt, sub quorum manutam docilem tamque capacem se praestitit, ut paucis annis non vota tantum, sed et spem illorum superaret. »Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnet!« das war die Ueberschrift über jenes liebliche Waldecksche Pfarrhaus, von Vater, Mutter und Sohn gesetzt. Das hat seinen Segen gebracht. Den wollen wir nun an dem lieben Sohn weiter verfolgen.

Zunächst war es für alle drei eine sehr gnädige Fügung, daß der von seinen academischen Studien heimkehrende Sohn eine ganze Weile daheim bleiben konnte. Der Vater scheint bei seinen vielen Arbeiten der Unterstützung in seinem Amte bedürftig gewesen zu sein. Der Sohn durfte sie ihm gewähren und ward im J. 1576, also im 21. seines Lebens, Hülfsprediger zu Mengeringhausen. Ob der liebe junge Prophet etwa ausnahmsweise etwas gegolten habe im Vaterlande, kann ich nicht sagen. Das aber weiß ich, daß er im Vaterhause galt und daß ihn sein lieber Herr nicht dahin geführt haben würde, hätte er nicht den lieben treuen Eltern und dem guten dankbaren Sohn noch eine letzte Friedens- und Segenshütte auf Erden bauen wollen unter dem heiligen Dache des vierten Gebots. Auch nachher blieb der Sohn den Eltern nahe bis an ihren Tod. Der Vater starb 1590. Ja, »den Eltern Gleiches vergelten, das ist wohlgethan und angenehm vor Gott!« O selige Wohlthat für ein Kind, seine alten Eltern Pflegen zu können im eigenen Hause und ihnen im letzten Stündelein die treuen Augen, die so viel gewacht für des geliebten Kindes Wohlfahrt, zuzudrücken zum letzten süßen Schlummer! –

Im Jahre 1583 berief der Graf Wilhelm von Waldeck den jungen begabten Prediger ins Kloster Hardeck. Es waren aber noch keine drei Jahre vergangen, so war er »durch papistische Machinationen«, wie Witten berichtet Memoriae tbeologorum nostri saeculi clarissimorum renovatae decas prima, curante M. Henningo Witten, Francofurti apud Martinum Hallervord a. 1674. , vertrieben. Der Eifer, den der evangelische Klosterprediger für seinen Glauben an den Tag legte, war den Gegnern zu groß. So irrete er umher, bis er noch im Jahre 1586 in der lutherischen Kreuz-Gemeinde zu Cöln am Rhein Aufnahme fand. Er verwaltete hier das Amt eines evangel. Hauspredigers und wurde, wie Witten desgl. vermerkt, von hier aus » seine Tugend und Gelehrsamkeit immer mehr durch ganz Deutschland bekannt.« Aber schon im folgenden Jahre vocirte ihn sein Graf ins Waldecksche zurück, und zwar als seinen Hofprediger nach Wildungen. Es lag ihm von nun an mit Recht daran, die »Insignien (den höchsten Grad in) der h. Theologie« zu erlangen. Ein Versuch im Hessischen schlug fehl, da der Landgraf Wilhelm den Theologen eingeschärft hatte, den Nicolai nicht eher als Doctor gelten zu lassen, als bis er sein Buch über die Fundamente des calvinischen Glaubens widerrufen. Der liebe Waldecker »wollte aber sein Gewissen nicht beschweren.« So wurde er erst 1594 in Wittenberg Doctor der Theologie. Er hatte bei der Disputation Thesen gestellt über den freien Willen, die er unter dem Vorsitz des Aegidius Hunnius vertheidigte. Zwei Jahre daraus erhielt er einen ehrenvollen Ruf gen Unna in Westphalen, die dortige Christengemeinde »in den göttlichen Glaubenswahrheiten zu unterrichten«. Hier verfaßte er die »feine Schrift«: den Freudenspiegel des ewigen Lebens, da gerade (a. 1597) eine große, über ganz Westphalen sich verbreitende Pest wüthete und vor seinen Fenstern in kurzer Zeit gegen 1400 Leichen beerdigt wurden (s. die Vorrede) Wenn den sel. Freylinghausen in Halle die heftigsten Zahnschmerzen überfielen, dichtete er gewöhnlich seine herrlichsten Lieder, unter andern: Wer ist wohl wie Du, Mein Herz gieb dich zufrieden, Unveränderliches Wesen, Jehova ist mein Hirt und Hüter, Mein Geist o HErr nach Dir sich sehnet, Schau meine Armuth an, O reines Wesen lautre Quelle, Der Tag ist hin mein Geist und Sinn sehnt sich etc. –. – Spizel (a. a. O.) sagt, der selige Mann habe dieses Pfarramt »mit unglaublicher Treue und Geschicklichkeit verwaltet« ( sacrum apud Unnenses in Westphalia ministerium cum incredibili fidelitate ac solertia administravit).

Ohne alles Zuthun von seiner Seite und wider all sein Erwarten ( praeter omnem spem et cogitationem) erhielt er in dem kleinen Unna plötzlich von Seiten des »Senates, in Uebereinstimmung mit dem ganzen Ministerio« der großen Stadt Hamburg die Vocation zum Oberpfarrer ( ad primariam cathedram) an St. Katharinen daselbst. Der Ruf kam am 3. Osterfeiertage als am 14. April 1601, und am 6. August ward er durch den Senior in sein neues Amt eingeführt. Es war sein letztes. Den Hamburgern aber war es bald, wenn der Mann aus der St. Katharinenkanzel stand, als wäre der alte Chrysostomus aus seinem Grabe in Comanum auferstanden. So goldene Worte kamen aus seinem Munde, von so feinem Silber waren alle Sonntag die Schalen, darin er die güldenen Aepfel reichte. Ein rechter Nikolaus im geistlichen Sinn, der »mit dem Schwerte des Geistes und göttlichen Wortes die Feinde zusammenbrach« ( gladio spiritus verbique divini adversarios confregit). So stand er zum größten Segen in Hamburg. Bei ihm war keine Liebe der Welt, kein Ansehen der Person. Er nannte alles Ding beim rechten Namen. Er war »kein Polstermacher, Fuchsschwänzer, Leisetreter, Suppen- und Hopfenfreund« (Weingast). Er schlug durch. Er wollte nicht selbst verwerflich werden, während er Andern predigte, nach St. Pauli Centnerwort. Mit seinem eignen Exempel leuchtete er als helle Fackel allen vor. Er war ein Thatchrist durch und durch. Nicht blos rechtgläubig, sondern auch recht – gläubig. Kein verknöcherter, kraft- und saftloser Orthodoxer. Die »süße Himmelslehre« liebte er mit brennender Liebe und suchte sie allen Menschenkindern um ihn her theuer zu machen. Von den Alten liebte er am meisten Augustin, und besonders dessen Tractat de civitate Dei (vom Gottesstaat), wie auch im Freudenspiegel sonderlich zu merken. Mit unermüdlicher Liebe und wahrer Hirtentreue ging er den Verirrten und »in den Schmutz der Sünde Versunkenen« nach. Von Herzen aufrichtig und ohne Falsch, immer freundlich bei allem tiefen Ernst, demüthig wie ein Kind, bei aller Taubeneinfalt schlangenklug, äußerst umsichtig – so trieb er, wie Spigel meldet, seine »dem Teufel verhaßte Arbeit, bis der Tag anbrach, an welchem diesem eifrigen, treuen Lehrer, dieser herrlichen Leuchte Gottes, das ewige Licht aufging, und Philippus, der da viele zur Gerechtigkeit gewiesen, zu leuchten begann wie des Himmels Glanz, und wie die Sterne immer und ewiglich« Alter ut Chrysostomus emicuit bonigue pastoris partes maximo cum gregis commissi emolumento fructuque adimplevit, et ut muneri ac conscientiae satisfieret, remoto etiam personarum respectu, modis laboravit omnibus. Mundi amorem Dei dilectioni opponebat semper et postponebat, peccata graviora debito reprehendebat zelo scaphamque, ut trito proverbio dicitur, scapham appellabat. Ne vero diceret tantum et exhortaretur-vivendo etiam insigne proposuit exemplum et factis quoque nulla non occasione ad seriae pietatis studium excitavit somnolentiores. Spizel nennt ihn weiter coelestis doctrinae amantissimum, humilitate infucata praeditum et ornatum. Resplenduit, sagt er, ineo ardentissimum sincerae pictatis studium. In fronte ipsius et sermone humanitas, in pectore candor et fides habitavit. Nec minus de profanorum peccatique sordibus immersorum hominum cunversione summopere fuit sollicitus inque iis ad Dei cultum seriaeque pietatis exercitia deducendis potiorem aetatis partem consumsit. Arduum vero hunc et mundo ejusque principi adeo invisum laborem cum debita aggressus est circumspectione zeloque flagrantissimo prudentiam et curae indefessae insignem sociavit humilitatem ... Donec dies illa illuxit, qua ardentissimo huic doctori lucernaeque egregiae lux orta est perpetua, atque Philippus, qui multos ad justitiam erudivit, lucere coepit sicut splendor coeli et sicut stellae in sempiterna secula..

Wenn ich eine Ueberschrift setzen sollte über das Leben und Wirken des seligen Mannes in Hamburg, es würde die sein: Den Demüthigen giebt der Herr Gnade, und den Aufrichtigen läßt Ers gelingen. Auch Witten nennt ihn einen »wahrhaft christlichen Theologen, in Lehre und Leben«, spricht davon wie man an ihm seinen » Umgang mit dem Herrn« habe merken können, wie fleißig er die Vergebung seiner Sünden gesucht, wie er so gar aufrichtig, demüthig und durch und durch »lauter« gewesen. »Die Papisten, sagt er, und die Calvinisten haben ihn mit Unrecht als streitsüchtig verschrien. Er verfolgte nur den höllischen Feind und seine Emissäre. Er kämpfte bis zum letzten Hauch für die Reinheit der Lehre. Er war geliebt und geehrt von allen Gutgesinnten. Er hatte mit keinem Menschen in Hamburg Feindschaft, wo er nicht durch sein Amt dazu genöthigt ward. Er war wohlthätig, gütig, freundlich, leutselig, für Jedermann zugänglich ( facilis). Er predigte wahr, aus dem Innersten heraus. Er wollte gern allen dienen, allen alles sein wie Paulus, um ihrer etliche zu gewinnen. Er lebte in schöner Freundschaft und Gemeinschaft mit den bedeutendsten Lichtern am Kirchenhimmel, als: Polycarpus Leyser, Leonh. Hutter, Winckelmann, Mentzer u. anderen. Er war ein rechter Haushalter und führte ein exemplarisches Leben in ungeschminkter Frömmigkeit, voll aller Tugenden. Groß war sein Fleiß, groß sein Scharfsinn. Seinen Collegen war er theuer, der Kirche zum großen Heil.« Auch Scultetus (in seiner » Theol. Hamb. innocentia oder Geretteten Unschuld der Hamburger«) und Schuhmacher geben ihm ähnliches Zeugniß und sind seines Lobes voll. Das sehr von mir begehrte Buch von Nicolais Enkel Dan. Severin Scultetus habe ich leider trotz aller Bemühung nicht erlangen können. Daß er dem sel. Nicolai aber einen rechten Panegyricus halte und sonderlich durch manche kleine interessante Züge aus dem Leben desselben an den Tag lege, wie der von manchen Seiten her wegen seiner vielen Streitschriften Verschriene wahrhaftig ein guter frommer Mann und lebendiger Christ gewesen – diese Nachricht verdanke ich der mündlichen Mittheilung des H. Consistorialraths Dr. Tholuck. – Schuhmacher aber sagt von ihm in seinem conspectus Valdecciae literatae p. 19: Parum profecto abest quin dicam, omnes virtutes theologo dignas, quae raro in uno conspirant, in Nicolao non solum conjunctas, sell eminentes fuisse.

Er hatte in seinen Predigten den Römerbrief und die Episteln an die Thessalonicher dem Volke erklärt. Er »biß dabei die hohen Geheimnisse wie Nüßlein auf und langete die wundersüßesten Kerne heraus.« Die Auslegung der Offenbarung St. Johannis hatte begonnen. Beim 5. Kapitel gebot sein lieber Herr das Halt! Eine heftige Krankheit erfaßte ihn. Starken Katarrh hatte er schon lange. Ein hektisch Fieber kam dazu. Seine Kollegen Joh. Schellhammer und Georg Dedeken ermahnten ihn bei Zeiten, bei der rechten reinen Lehre und im rechten Glauben bis zu seinem letzten Athemzuge zu beharren, und in dem Glauben zu sterben, den er in seinem Leben so tapfer vertheidigt. Er antwortete unerschrocken, mit sichtlichen Zeichen seines großen Vertrauens auf seinen Heiland. Unter Gebet und lieblichen Reden schlief er ein am 26. October 1608 in der sechsten Stunde des Morgens. Er war 52 Jahre alt, 32 Jahre Geistlicher. Die Leichenpredigt hielt ihm Magist. Dedeken über Offenb. 14, 13. Von diesem seinem treuen Kollegen ist auch das Epitaphium, das in der Katharinenkirche zu Hamburg unter Nicolais Bild gesetzt ward. Der Vollendete wird darin » ein reicher Geist, ein guter Soldat, dabei ein friedliebender und geduldiger Mann« genannt. Das Erste und Zweite ist nie bezweifelt worden. Aber auch das Letzte bleibt stehen, trotz allen Bemängelungen. Wir sind hienieden in der streitenden Kirche einmal auf Kampf und Streit angewiesen. Auch auf den Confessionsstreit. Recht muß doch Recht bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen (Ps. 94). Philipp Nicolai hat es aber nie vergessen, daß Joh. am 11. geschrieben steht: JEsus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern daß Er die Kinder Gottes, die zerstreuet waren, zusammenbrächte. Und c. 17, 11: Heiliger Vater, erhalte sie in Deinem Namen, die Du mir gegeben hast, daß sie eins seien, gleichwie wir. Darum hat er bei aller tapfern Vertheidigung der Wahrheit die Liebe hoch gehalten, um Geduld viel gebetet und nach dem Frieden, nach der seligen Einmüthigkeit droben sich herzlich gesehnet. Ich dächte, auch sein Freudenspiegel gäbe deß Zeugniß genug. Ach daß wir doch heut zu Tage auch immer nur in Liebe streiten möchten für die Wahrheit, uns nicht so gar zertrennen und einander so leicht und schnell Glauben und Christenthum absprechen! Bei der scharfen Polemik des sel. Mannes gegen den Calvinismus, den wir seitdem wohl etwas gerechter zu beurtheilen gelernt haben, wollen wir doch ja nicht vergessen, daß zu jener Zeit etliche Calvinisten sich wirklich »gebehrdeten als die allein die Reformation angenommen.« Bei der noch schärferen gegen den Romanismus werden wir jener Zeit gewiß noch viel mehr zu gute halten. Die modernen fanatischen Antipapisten aber sollten sich doch endlich schämen, vom römischen Antichrist, von römischem Polytheismus, heidnischem Bildedienst u. s. w. daher zu reden. Die katholische Kirche hat niemals die Gottheit Christi geleugnet, hat sich jederzeit zum Kreuze Christi bekannt, hat nie geleugnet daß Christus der Grund des Heils allein, hat nie behauptet daß die Heiligen anzubeten, daß ihr Verdienst ein unbedingtes, daß wir durch gute Werke vor Gott die Seligkeit unbedingt verdienen könnten, daß der Priester den Leib Gottes bereite u. s. w. Wer überall bei ihr nur Böswilligkeit, Priestertrug und drgl. wittert, der studire erst Kirchengeschichte und Symbolik. Nur im Zusammenhange des Ganzen lernt man das Einzelne verstehen und würdigen. Alle, die nicht eine bloße Repristination des Alten, sondern den wahren Fortschritt wollen, lernen auch von dieser Kirche, die uns doch – das wollen wir vor allem nie vergessen, zumal wir Lutheraner – unter allem Gerümpel so lange Zeit den theuren Schatz bewahrt hat, fort und fort. – Sein Leib ruhet unter einem Hügel mit Mag. Joach. Westphal. Seim Seele aber – wie wirds ihr gewesen sein bei der englischen Auffahrt, die er so stattlich beschrieben! Und wie wirds ihm nun sein, da er die Freuden des ewigen Lebens nicht mehr »als durch einen Spiegel im tunckeln Wort,« sondern alles »augenscheinlich sehen, hören und tröstlich einnehmen« kann! HErr JEsu, hilf uns allen auch dahin! –

Die zahlreichen Schriften des sel. Mannes hat derselbe Dedeken herausgegeben Hamb. 1611-17. Zuerst stehen die lateinischen. Darunter sind die bemerkenswerthesten:

In Tom. I:

1. Die Art des Streits über die Allgegenwart Christi nach seiner menschl. Natur. Angehängt ist eine »kurze und bündige christl. Antwort auf die beiden Büchlein des Antonius Sadecles, davon das erstere von der geistl., das andere von der sacramentalen Genießung des Leibes und Blutes Christi handelt.«

2. Das hochheilige Geheimniß der Allgegenwart JEsu Christi, sorgfältig erklärt in 2. B. B.

3. Synopsis des Streitartikels vom allgegenwärtigen Christus.

4. Abhandlung vom Abendmahl des HErrn. Item von Christi Person und Amt.

5. Epist. an D. Hofmann über den Abendmahlsstreit.

6. Antwort auf D. Hubers Bekenntniß von der Gnadenwahl.

In Tom. II:

1. Kommentar über das Reich Christi, nach den prophet. und apostol. Weissagungen. ( quo hodierna ecclesiae Christi amplitudo ejusque per Europam, Asiam, Africam et universum terrarum orbem admirabilis propagatio describitur, ad haec oracula scripturae de hostibus evangelii, videlicet Judaeis et gentibus paganis, nec non de antichristis duobus majoribus, Gogo et filio perditionis itemque de bestia septicipite etc. dilucidissime explicantur).

2. 6 B B. germanische Antiquitäten,

3. Lobrede auf die neue Gießener Akademie, an Ludw. Landgr. v. Hessen. Nebst einigen Epigrammen.

Dann folgen die deutschen Schriften in Tom. I.-IV. Davon enthält:

Tom. I:

1. Historia des Reiches Christi, aus den Propheten Ezech. und Daniel, desgl. aus der Offenb. St. Joh., 2 B B, verteutscht durch Mag. Gotthelf Artus Frankf. 1598. 1629 1664. Hamb. 1661, 1759 (die genannten 3 bibl. Bücher studirte er sehr viel; aus der Offenb. prophezeite er den Untergang der Welt auf 1670).

2. Gaudii coelestis speculum oder Freuden-Spiegel des ewigen Lebens in 2 Theilen Frankf. 1602, wieder abgedruckt eben daselbst 1617, zum 3. Male 1633, zuletzt Hamb. 1649.

3. Theoria vitae aeternae oder Historische Beschreibung des ganzen Geheimnisses vom ewigen Leben, 5 B. B. Lübeck und Hamb. 1606, 11, 28, 51.

Ich habe die Lübecker Ausgabe von 1611 (Verlegung von Sam. Jauchen, gedruckt durch Hans Witten) aus der hallischen Marien-Bibliothek in Händen gehabt und mit dem Freudenspiegel vergleichen können. Der sel. Autor widmet die Theorie »der Durchlauchtigsten Hochgeb. Fürstin Sophia geb. Markgr. zu Brandenb., Herz. und Curf. zu Sachsen, Landgräfin in Thüringen, Markgräfin zu Meißen und Burggräfin zu Magdeb.,« unterschreibt als Datum: 1 Januar 1606 und handelt dann:

a. von unserer Erschaffung – die Menschen vor und nach dem Fall, 12 Capitel.

b. von unserer Erlösung – Christus nach seinem doppelten Stande, 12 Cap.

c. von unserer Wiedergeburt – Kirche, Gottes Wort, Predigtamt etc., 12 Cap.

d. von unserer Seelen Heimfahrt – Unterschied des ewigen Lebens hier und droben, himmlischer Friede, himmlische Kindschaft, engelisch Geleit und Gesellschaft, große Gemeinde droben, Hochzeit, himml. Werke der triumph. Seelen, liebliche Gemeinschaft, fröhl. Erwartung des jüngst. Tages.

e. von der Auferstehung unseres Fleisches zum ewigen Leben – von den Leichnamen der verstorb. Heiligen und ihrer Ruhe im Staube der Erde bis hin zum jüngst. Tage. Gewißheit des jüngst. Tages, Zeit und vorhergehende Zeichen des jüngst. Tages, Ende dieser Welt das sein wird Feuer über Gog und Magog und die vollk. Ausstoßung des Teufels, das himml. Feldgeschrei und Christi Erscheinung in den Wolken des Himmels, Auferstehung der Todten und Verwandlung derjenigen die am jüngst. Tage noch in der Welt leben, der Christen Himmelfahrt am jüngst. Tage da sie dem HErrn in den Wolken entgegen kommen werden, das Gericht das Christus mit seinen Heiligen über die Gottlosen halten wird und der Gottlosen ewige Verdammniß, endlicher Untergang dieser Welt, neuer Himmel und Erde, der triumphirenden Kirche freudenreiche Heimfahrt von Gott aus dem Himmel in die neue Welt, Gott alles in allem.

Schon aus diesem Wenigen über den Inhalt der Theorie wird der geneigte Leser ersehen, daß das Wesentliche davon auch im Freudenspiegel enthalten ist. Die Theorie ist nur eine weitere Ausführung desselben, sonderlich bei dem unter e) Angegebenen. Dem Freudenspiegel ist aber von je der erste Preis, und mit vollem Recht, zuerkannt worden. Joh. Casp. Wetzel sagt (in seiner Hymnopoeographia oder Historischen Lebens-Beschreibung der berühmtesten Liederdichter, Herrnstadt bei Sam. Roth-Scholtzen 1719) von Phil. Nicolai: »Er hat verschiedene feine Schriften hinterlassen, darunter die Historie des Reichs Christi und der Freudenspiegel des ewigen Lebens die bekanntesten sind.« Koch in seiner vortrefflichen Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christl., insbesondere der deutschen evang. Kirche Th. I. Band 1, 2. Aufl. Stuttg. 1852 (Belser) S. 182 ff. erwähnt der Theorie gar nicht, sondern nur des Freudenspiegels, aus dem er auch einige Auszüge mittheilt als »gar schöne herzerquickliche Reden.«

4. Von Christo dem Baum des Lebens und seinen edlen Früchten, eine christl. Predigt aus dem Propheten Hosea (14, 9).

Tom. II.

1. Grundfeste und richtige Erklärung des streitigen Artikels von der Gegenwart unseres Seligmachers Jesu Christi nach beiden Naturen, im Himmel und auf Erden.

2. Einige Sonn- und Festtags-Predigten (Ostersonn- und Montag, Quasim., Miser. Dom, Jub., 3 Pfingstpredd.)

3. Zwanzig Predigten über die ersten 5 Kapitel der hohen Offenb. St. Johannis.

In Tom. III. verdient namentlich Erwähnung die:

Friedbietung der Theologen in der churf. Pfalz an alle luth. Kirchen mit treuherziger Antwort zur hochnöthigen Wegräumung aller Friedenshindernisse und christlichen Beförderung des gütlichen Vertrags heilsamlich durchläutert und erörtert. –

Das Beste aber neben dem Freuden-Spiegel sind und bleiben – seine Lieder. Es sind ihrer drei. Anklänge daran, liebliche Vorspiele haben die lieben Leser sicherlich im Freudenspiegel schon mancherlei gefunden. Ich gebe hier die drei Lieder, weil sie in der vorn genannten ältesten Ausgabe von 1602 dem Freudenspiegel angehängt stehen, und weil ich hoffe, Manchem damit einen Dienst zu thun.


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