Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die fröhliche Wissenschaft
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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"Scherz, List und Rache."

Vorspiel in deutschen Reimen.

1.

Einladung.

Wagt's mit meiner Kost, ihr Esser!
Morgen schmeckt sie euch schon besser
Und schon übermorgen gut!
Wollt ihr dann noch mehr, – so machen
Meine alten sieben Sachen
Mir zu sieben neuen Muth.

2.

Mein Glück.

Seit ich des Suchens müde ward,
Erlernte ich das Finden.
Seit mir ein Wind hielt Widerpart,
Segl' ich mit allen Winden.

3.

Unverzagt.

Wo du stehst, grab tief hinein!
Drunten ist die Quelle!
Lass die dunklen Männer schrein:
"Stets ist drunten – Hölle!"

4.

Zwiegespräch.

War ich krank? Bin ich genesen?
Und wer ist mein Arzt gewesen?
Wie vergass ich alles Das!

Jetzt erst glaub ich dich genesen:
Denn gesund ist, wer vergass.

5.

An die Tugendsamen.

Unseren Tugenden auch soll'n leicht die Füsse sich heben:
Gleich den Versen Homer's müssen sie kommen und gehn!

6.

Welt-Klugheit.

Bleib nicht auf ebnem Feld!
Steig nicht zu hoch hinaus!
Am schönsten sieht die Welt
Von halber Höhe aus.

7.

Vademecum-Vadetecum.

Es lockt dich meine Art und Sprach,
Du folgest mir, du gehst mir nach?
Geh nur dir selber treulich nach: –
So folgst du mir – gemach! gemach!

8.

Bei der dritten Häutung.

Schon krümmt und bricht sich mir die Haut,
Schon giert mit neuem Drange,
So viel sie Erde schon verdaut,
Nach Erd' in mir die Schlange.

Schon kriech' ich zwischen Stein und Gras
Hungrig auf krummer Fährte,
Zu essen Das, was stets ich ass,
Dich, Schlangenkost, dich, Erde!

9.

Meine Rosen.

Ja! Mein Glück – es will beglücken –,
Alles Glück will ja beglücken!
Wollt ihr meine Rosen pflücken?
Müsst euch bücken und verstecken
Zwischen Fels und Dornenhecken,
Oft die Fingerchen euch lecken!
Denn mein Glück – es liebt das Necken!
Denn mein Glück – es liebt die Tücken! –
Wollt ihr meine Rosen pflücken?

10.

Der Verächter.

Vieles lass ich fall'n und rollen,
Und ihr nennt mich drum Verächter.
Wer da trinkt aus allzuvollen
Bechern, lässt viel fall'n und rollen –,
Denkt vom Weine drum nicht schlechter.

11.

Das Sprüchwort spricht.

Scharf und milde, grob und fein,
Vertraut und seltsam, schmutzig und rein,
Der Narren und Weisen Stelldichein:
Diess Alles bin ich, will ich sein,
Taube zugleich, Schlange und Schwein!

12.

An einen Lichtfreund.

Willst du nicht Aug' und Sinn ermatten,
Lauf' auch der Sonne nach im Schatten!

13.

Für Tänzer.

Glattes Eis
Ein Paradeis
Für Den, der gut zu tanzen weiss.

14.

Der Brave.

Lieber aus ganzem Holz eine Feindschaft,
Als eine geleimte Freundschaft!

15.

Rost.

Auch Rost thut Noth: Scharfsein ist nicht genung!
Sonst sagt man stets von dir: "er ist zu jung!"

16.

Aufwärts.

"Wie komm ich am besten den Berg hinan?"
Steig nur hinauf und denk nicht dran!

17.

Spruch des Gewaltmenschen.

Bitte nie! Lass diess Gewimmer!
Nimm, ich bitte dich, nimm immer!

18.

Schmale Seelen.

Schmale Seelen sind mir verhasst;
Da steht nichts Gutes, nichts Böses fast.

19.

Der unfreiwillige Verführer.

Er schloss ein leeres Wort zum Zeitvertreib
In's Blaue – und doch fiel darob ein Weib.

20.

Zur Erwägung.

Zwiefacher Schmerz ist leichter zu tragen,
Als Ein Schmerz: willst du darauf es wagen?

21.

Gegen die Hoffahrt.

Blas dich nicht auf: sonst bringet dich
Zum Platzen schon ein kleiner Stich.

22.

Mann und Weib.

"Raub dir das Weib, für das dein Herze fühlt! " –
So denkt der Mann; das Weib raubt nicht, es stiehlt.

23.

Interpretation.

Leg ich mich aus, so leg ich mich hinein:
Ich kann nicht selbst mein Interprete sein.
Doch wer nur steigt auf seiner eignen Bahn,
Trägt auch mein Bild zu hellerm Licht hinan.

24.

Pessimisten-Arznei.

Du klagst, dass Nichts dir schmackhaft sei?
Noch immer, Freund, die alten Mucken?
Ich hör dich lästern, lärmen, spucken –
Geduld und Herz bricht mir dabei.

Folg mir, mein Freund! Entschliess dich frei,
Ein fettes Krötchen zu verschlucken,
Geschwind und ohne hinzugucken! –
Das hilft dir von der Dyspepsei!

25.

Bitte.

Ich kenne mancher Menschen Sinn
Und weiss nicht, wer ich selber bin!
Mein Auge ist mir viel zu nah –
Ich bin nicht, was ich seh und sah.
Ich wollte mir schon besser nützen,
Könnt' ich mir selber ferner sitzen.
Zwar nicht so ferne wie mein Feind!
Zu fern sitzt schon der nächste Freund –
Doch zwischen dem und mir die Mitte!
Errathet ihr, um was ich bitte?

26.

Meine Härte.

Ich muss weg über hundert Stufen,
Ich muss empor und hör euch rufen:
"Hart bist du; Sind wir denn von Stein?" –
Ich muss weg über hundert Stufen,
Und Niemand möchte Stufe sein.

27.

Der Wandrer.

"Kein Pfad mehr" Abgrund rings und Todtenstille!" –
So wolltest du's! Vom Pfade wich dein Wille!
Nun, Wandrer, gilt's! Nun blicke kalt und klar!
Verloren bist du, glaubst du – an Gefahr.

28.

Trost für Anfänger.

Seht das Kind umgrunzt von Schweinen,
Hülflos, mit verkrümmten Zeh'n!
Weinen kann es, Nichts als weinen –
Lernt es jemals stehn und gehn?

Unverzagt! Bald, solle ich meinen,
Könnt das Kind ihr tanzen sehn!
Steht es erst auf beiden Beinen,
Wird's auch auf dem Kopfe stehn.

29.

Sternen-Egoismus.

Rollt' ich mich rundes Rollefass
Nicht um mich selbst ohn' Unterlass,
Wie hielt' ich's aus, ohne anzubrennen,
Der heissen Sonne nachzurennen?

30.

Der Nächste.

Nah hab den Nächsten ich nicht gerne:
Fort mit ihm in die Höh und Ferne!
Wie würd' er sonst zu meinem Sterne? –

31.

Der verkappte Heilige.

Dass dein Glück uns nicht bedrücke,
Legst du um dich Teufelstücke,
Teufelswitz und Teufelskleid.
Doch umsonst' Aus deinem Blicke
Blickt hervor die Heiligkeit!

32.

Der Unfreie.

Er steht und horcht: was konnt ihn irren?
Was hört er vor den Ohren schwirren?
Was war's, das ihn darniederschlug?

Wie jeder, der einst Ketten trug,
Hört überall er – Kettenklirren.

33.

Der Einsame.

Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.
Gehorchen? Nein! Und aber nein – Regieren!
Wer sich nicht schrecklich ist, macht Niemand Schrecken:
Und nur wer Schrecken macht, kann Andre führen.
Verhasst ist mir's schon, selber mich zu führen!

Ich liebe es, gleich Wald- und Meeresthieren,
Mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
In holder Irrniss grüblerisch zu hocken,
Von ferne her mich endlich heimzulocken,
Mich selber zu mir selber – zu verführen.

34.

Seneca et hoc genus omne.

Das schreibt und schreibt sein unausstehlich weises Larifari,
Als gält es primum scribere,
Deinde philosophari.

35.

Eis.

Ja! Mitunter mach' ich Eis:
Nützlich ist Eis zum Verdauen!
Hättet ihr viel zu verdauen,
Oh wie liebtet ihr mein Eis!

36.

Jugendschriften.

Meiner Weisheit A und O
Klang mir hier: was höre ich doch!
Jetzo klingt mir's nicht mehr so,
Nur das ew'ge Ah! und oh!
Meiner Jugend hör ich noch.

37.

Vorsicht.

In jener Gegend reist man jetzt nicht gut;
Und hast du Geist, sei doppelt auf der Hut!
Man lockt und liebt dich, bis man dich zerreisst:
Schwarmgeister sind's –: da fehlt es stets an Geist!

38.

Der Fromme spricht.

Gott liebt uns, weil er uns erschuf!-
"Der Mensch schuf Gott!" – sagt drauf ihr Feinen.
Und soll nicht lieben, was er schuf?
Soll's gar, weil er es schuf, verneinen?
Das hinkt, das trägt des Teufels Huf.

39.

Im Sommer.

Im Schweisse unsres Angesichts
Soll'n unser Brod wir essen?
Im Schweisse isst man lieber Nichts,
Nach weiser Aerzte Ermessen.

Der Hundsstern winkt: woran gebricht's?
Was will sein feurig Winken?
Im Schweisse unsres Angesichts
Soll'n unsren Wein wir trinken!

40.

Ohne Neid.

Ja, neidlos blickt er: und ihr ehrt ihn drum?
Er blickt sich nicht nach euren Ehren um;
Er hat des Adlers Auge für die Ferne,
Er sieht euch nicht! – er sieht nur Sterne, Sterne.

41.

Heraklitismus.

Alles Glück auf Erden,
Freunde, giebt der Kampf!
Ja, um Freund zu werden,
Braucht es Pulverdampf!
Eins in Drei'n sind Freunde:
Brüder vor der Noth,
Gleiche vor dem Feinde,
Freie – vor dem Tod!

42.

Grundsatz der Allzufeinen.

Lieber auf den Zehen noch,
Als auf allen Vieren!
Lieber durch ein Schlüsselloch,
Als durch offne Thüren!

43.

Zuspruch.

Auf Ruhm hast du den Sinn gericht?
Dann acht' der Lehre:
Bei Zeiten leiste frei Verzicht
Auf Ehre!

44.

Der Gründliche.

Ein Forscher ich? Oh spart diess Wort! –
Ich bin nur schwer – so manche Pfund'!
Ich falle, falle immerfort
Und endlich auf den Grund!

45.

Für immer.

"Heut komm' ich, weil mir's heute frommt" –
Denkt Jeder, der für immer kommt.
Was ficht ihn an der Welt Gered':
"Du kommst zu früh! Du kommst zu spät!"

46.

Urtheile der Müden.

Der Sonne fluchen alle Matten;
Der Bäume Werth ist ihnen – Schatten!

47.

Niedergang.

"Er sinkt, er fällt jetzt" – höhnt ihr hin und wieder;
Die Wahrheit ist: er steigt zu euch hernieder!
Sein Ueberglück ward ihm zum Ungemach,
Sein Ueberlicht geht eurem Dunkel nach.

48.

Gegen die Gesetze.

Von heut an hängt an härner Schnur
Um meinen Hals die Stunden-Uhr:
Von heut an hört der Sterne Lauf,
Sonn', Hahnenschrei und Schatten auf,

Und was mir je die Zeit verkünd't,
Das ist jetzt stumm und taub und blind: –
Es schweigt mir jegliche Natur
Beim Tiktak von Gesetz und Uhr.

49.

Der Weise spricht.

Dem Volke fremd und nützlich doch dem Volke,
Zieh ich des Weges, Sonne bald, bald Wolke –
Und immer über diesem Volke!

50.

Den Kopf verloren.

Sie hat jetzt Geist – wie kam's, dass sie ihn fand?
Ein Mann verlor durch sie jüngst den Verstand,
Sein Kopf war reich vor diesem Zeitvertreibe:
Zum Teufel gieng sein Kopf – nein! nein! zum Weibe!

51.

Fromme Wünsche.

"Mögen alle Schlüssel doch
Flugs verloren gehen,
Und in jedem Schlüsselloch
Sich der Dietrich drehen!"
Also denkt zu jeder Frist
Jeder, der – ein Dietrich ist.

52.

Mit dem Fusse schreiben.

Ich schreib nicht mit der Hand allein:
Der Fuss will stets mit Schreiber sein.
Fest, frei und tapfer läuft er mir
Bald durch das Feld, bald durchs Papier.

53.

Ein Buch.

Schwermüthig scheu, solang du rückwärts schaust,
Der Zukunft trauend, wo du selbst dir traust:
Oh Vogel, rechn' ich dich den Adlern zu?
Bist du Minerva's Liebling U-hu-hu?

54.

Meinem Leser.

Ein gut Gebiss und einen guten Magen –
Diess wünsch' ich dir!
Und hast du erst mein Buch vertragen,
Verträgst du dich gewiss mit mir!

55.

Der realistische Maler.

"Treu die Natur und ganz!" – Wie fängt er's an:
Wann wäre je Natur im Bilde abgethan?
Unendlich ist das kleinste Stück der Welt! –
Er malt zuletzt davon, was ihm gefällt.
Und was gefällt ihm? Was er malen kann!

56.

Dichter-Eitelkeit.

Gebt mir Leim nur: denn zum Leime
Find' ich selber mir schon Holz!
Sinn in vier unsinn'ge Reime
Legen – ist kein kleiner Stolz!

57.

Wählerischer Geschmack.

Wenn man frei mich wählen liesse,
Wählt' ich gern ein Plätzchen mir
Mitten drin im Paradiese:
Gerner noch – vor seiner Thür!

58.

Die krumme Nase.

Die Nase schauet trutziglich
In's Land, der Nüster blähet sich –
Drum fällst du, Nashorn ohne Horn,
Mein stolzes Menschlein, stets nach vorn!
Und stets beisammen find't sich das:
Gerader Stolz, gekrümmte Nas.

59.

Die Feder kritzelt.

Die Feder kritzelt: Hölle das!
Bin ich verdammt zum Kritzeln-Müssen? –
So greif' ich kühn zum Tintenfass
Und schreib' mit dicken Tintenflüssen.

Wie läuft das hin, so voll, so breit!
Wie glückt mir Alles, wie ich's treibe!
Zwar fehlt der Schrift die Deutlichkeit –
Was thut's? Wer liest denn, was ich schreibe?

60.

Höhere Menschen.

Der steigt empor – ihn soll man loben!
Doch jener kommt allzeit von oben!
Der lebt dem Lobe selbst enthoben,
Der ist von Droben!

61.

Der Skeptiker spricht.

Halb ist dein Leben um,
Der Zeiger rückt, die Seele schaudert dir!
Lang schweift sie schon herum
Und sucht und fand nicht – und sie zaudert hier?

Halb ist dein Leben um:
Schmerz war's und Irrthum, Stund' um Stund' dahier!
Was suchst du noch? Warum? – –
Diess eben such' ich – Grund um Grund dafür!

62.

Ecce homo.

Ja! Ich weiss, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr' ich mich.
Licht wird Alles, was ich fasse,
Kohle Alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.

63.

Sternen-Mora.

Vorausbestimmt zur Sternenbahn,
Was geht dich, Stern, das Dunkel an?
Roll' selig hin durch diese Zeit!
Ihr Elend sei dir fremd und weit!
Der fernsten Welt gehört dein Schein:
Mitleid soll Sünde für dich sein!
Nur Ein Gebot gilt dir.- sei rein!


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