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(1787-91)
»Wäre nur ein einziger Patriot mit am Brett, es sollte ein anderes Gesicht bekommen! Doch da würde vielleicht das so schön aufkeimende National-Theater zur Blüte gedeihen, und das wäre ja ein ewiger Schandfleck für Deutschland, wenn wir Deutsche einmal mit Ernst anfingen deutsch zu denken, deutsch zu handeln, deutsch zu reden und gar deutsch – zu singen!« so schreibt der Componist des Figaro, Mozart selbst 1785. Es sollte ihm am Ende seiner Tage noch durch Zufall endlich doch noch zutheil werden, auch in diesem Punkte einmal nicht bloß wie hier seiner Zunge sondern auch seiner Feder »freien Lauf zu lassen«, und gerade die Verdunkelung seiner äußeren Lebenslage und daß es den damals herrschenden Parteien immer mehr gelang ihn »unter das Pack zu stoßen« war hier entscheidend.
Schon jetzt schreibt Haydn eben nach Prag, wo also Mozart selbst eine weitere Operncomposition abgelehnt hatte: »Sie verlangen eine Opera buffa von mir? Recht herzlich gern, wenn Sie Lust haben etwas für sich allein zu besitzen.« Aber für das dortige Theater hätte er viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemand andern zur Seite haben könne. »Denn,« fährt der edle Meister fort, – man findet den so sehr schönen Brief in den »Musikerbriefen« (2. Aufl. Leipzig 1873), – »könnte ich jedem Musikfreund, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nationen wetteifern ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen!« Prag solle den theuren Mann festhalten, aber auch belohnen, denn ohne dieses sei die Geschichte großer Genien traurig. »Mich zürnt es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bei einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist,« schließt er. »Verzeihen Sie, daß ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb.«
»Man sprach von ihm, wie man von einer Geliebten spricht,« erzählte der Maler Schwind, der in seiner Jugend in Wien noch manchen Freund des so früh gestorbenen Meisters gekannt. Warum thaten denn die »Großen« nichts für ihn?
Der Erfolg des Don Juan schlug doch auch in Wien ein, und da man hörte, Mozart wolle Wien verlassen und nach England gehen, ernannte ihn endlich, am 7. December dieses Jahres 1787, Joseph II. zu seinem Kammercompositeur mit ganzen – 800 Gulden! »Zuviel für das was ich leiste, zu wenig für das was ich leisten könnte!« schrieb Mozart einmal selbst in die Steuerliste: er hatte in seiner Stellung nichts zu leisten als für die kaiserlichen Redouten die – Tanzmusik zu schreiben! Und doch war so eben, am 15. November 1787, durch den Tod Glucks die kaiserliche Stelle, die 2000 Gulden trug, frei geworden. Böse Feinde und Neider und nur halbe Freunde muß er an diesem Hofe gehabt haben, – sein Gönner Maximilian Franz war bereits als Kurfürst von Köln in Bonn und hatte dort den jungen Beethoven gefunden, – der Kaiser selbst aber liebte ja die leichtere Musik mehr als die Kunst Mozarts. So gewann auch Salieri wiederum den Vorsprung und ehe der vom Kaiser bestellte »Azur« nicht gegeben war, durfte an einen Don Juan nicht gedacht werden.
Endlich befahl jedoch der Kaiser auch dessen Aufführung. Es war am 7. Mai 1788, wo sie geschah, aber die Oper – gefiel nicht. »Alle Welt,« erzählt da Ponte, »Mozart allein ausgenommen, war der Ansicht, das Stück müsse umgearbeitet werden. Wir machten Zusätze, änderten Stücke und zum zweiten Mal: Don Juan gefiel nicht!« Dies hinderte nun nach da Ponte's Erzählung diesmal den Kaiser nicht zu äußern, das Werk sei herrlich, es sei noch schöner als der Figaro, aber kein Bissen für die Wiener. »Laßt ihnen nur Zeit ihn zu kosten,« antwortete ihm Mozart, dem er das Wort überbracht hatte, und in der That mit jeder Darstellung steigerte sich der Erfolg. Und Haydn urtheilte in einer Gesellschaft beim Graf Rosenberg, wo sich nicht Mozarts Freunde zu versammeln pflegten, er könne den Streit über die Gebrechen des Werkes nicht ausmachen, aber das wisse er, daß Mozart der größte Componist sei, den die Welt jetzt habe!
Und derweilen litt Mozart Noth, materielle Noth! – Vom 17. Juni desselben Jahres ist der erste jener traurigen Briefe an seinen Freund, den Kaufmann Puchberg, die uns seine ganze Lage die letzten Lebensjahre hindurch – denn sie kündet schon das trübe frühe Ende des Meisters an, – aufdecken. Der Don Juan brachte ihm in Wien ganze 225 Gulden ein. Seine Compositionen waren nach Inhalt und Spiel den Dilettanten zu schwer und sein Kunstgefühl gestattete ihm nicht anders zu schreiben, so daß die Verleger ihm nicht eben viel zu zahlen vermochten. Zudem wurde das wirklich Populäre überall nachgestochen. Concerte waren auch nicht stets zu geben und überhaupt alle Einnahme zu unregelmäßig. Dazu ein Haushalt, der trotz seiner Einfachheit viel Ausgaben machte! Denn es kamen rasch hintereinander mehrere Kinder und Constanze lag wiederholt sehr schwer krank, einmal gar ganze acht Monate. »Meine Frau war gestern wieder elend, heute befindet sie sich gottlob wieder besser. Ich bin doch sehr unglücklich! – immer zwischen Angst und Hoffnung! – und dann!« schließt einer jener Briefe, in dem er seinen Freund um eine »augenblickliche Unterstützung nach seinem Belieben« bittet und beschwört.
War nun auch solche stete innere und äußere Bedrängniß zugleich eine stete Prüfung seines besseren Wesens und besitzen wir in jenen Briefen selbst außer seiner Musik die schönsten Zeugnisse für die Reinheit seiner Gesinnung und die Tiefe seiner Empfindung, so bleibt es immer ein trauriges Bild, was sich uns mit diesen letzten Lebensjahren Mozarts von dem Dasein eines deutschen Künstlers enthüllt, und nur Mozarts eigener Geist ist es, der uns hier über alle Trauer und Bitterkeit zu erheben vermag. Denn dieser ließ sich nicht trüben: dem Phönix gleich entschwebte er jeder brennenden Noth aufs neue und in immer glänzenderem Gewande und stets höherem Fluge. Und von kaum einem Künstler gilt mehr als von ihm, daß sein letzter Ton auch ein wirklicher Schwanengesang, ein nie vernommenes wonnigwehmuthsvolles Klingen aus anderen, höheren Welten war.
Den Namen Schwanengesang hat sogar die Symphonie in Esdur erhalten, die in eben diesen Sommertagen von 1788 fertig ward. »Liebe und Wehmuth tönen in holden Geisterstimmen,« heißt es so schön in Hoffmanns berühmten Phantasiestücken, »die Nacht geht auf im hellen Purpurschimmer und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir den Gestalten nach, die freundlich uns in ihre Reihen winkend in ewigem Sphärentanze durch die Wolken fliegen.« Ja unmittelbar folgen die so überaus energisch lebensvolle Symphonie in Gmoll und die Jupiter-Symphonie. Hatte man je zuvor solchem stillen Jubel aller Wesen gelauscht wie in dem Andante dieser letzteren? Wer solche Werke schreibt, kennt höhere Freuden als die Welt geben und rauben kann, sein Blick ist innerer Seligkeit voll auf ein ewiges Ideal gerichtet, das ihn wie der heilige Gral seine Ritter labt, erhält und beglückt. Auch das wehmüthig ernste kleine Hmoll-Adagio für Clavier stammt aus diesem Jahre 1788.
Händels kraftvolle Mannesnatur tritt damals in Mozarts Sphäre: er bearbeitet für einen gönnerischen Freund, den früheren Gesandten in Berlin, Baron van Swieten, der uns auch bei Beethoven begegnet, Acis und Galathea und den Messias. Händel wisse am besten was großen Effect thut; wo er das wolle schlage er ein wie ein Donnerwetter und es sei überall, auch in seinen hergebrachtesten Arien, etwas darin, soll sein Urtheil gelautet haben. Bald aber sollte er etwas Größeres kennen lernen, das ihm zugleich in jeder Weise imponiren mußte, Sebastian Bach. Denn die freiere Form Händels und seine dramatische Charakterisirung waren ihm nicht neu, und daß er selbst eine Schlagkraft besaß wie Händel, wissen wir vom Idomeneo her. Allein Bachs Erscheinung war dem Menschen wie dem Künstler eine neue und doch längst tiefinnen geahnte und gekannte Welt. Dieses Meer von Vielstimmigkeit und so souverän beherrscht! Und doch lag die Sache noch tiefer.
Eben in Leipzig und vielleicht mit Bezug auf Bach hatte in einem Gespräch Einer es unersetzlichen Schaden genannt, daß es so vielen großen Musikern wie den alten Malern ergangen sei, daß sie ihre ungeheuren Kräfte auf die unfruchtbaren und geisttödtenden Sujets der Kirche verwenden gemußt. Ganz verstimmt und trübe antwortete Mozart, das sei wieder so ein Kunstgeschwätz. »Bei euch aufgeklärten Protestanten, wie ihr euch nennt, wenn ihr eure Religion im Kopfe habt, kann etwas Wahres daran sein, das weiß ich nicht,« fuhr er ungefähr fort. »Aber bei uns ist das anders. Ihr fühlt gar nicht was das heißen will: Agnus dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem (Lamm Gottes, der du trägst der Welt Sünde, verleih uns Frieden). Aber wenn man von frühester Kindheit in das Heiligthum unserer Religion eingeführt ist, wenn man da in voller Inbrunst seinen Gottesdienst abwartete und diejenigen glücklich pries, die unter dem rührenden Agnus dei hinknieten und das Abendmahl empfingen und die Musik in sanfter Freude aus dem Herzen der Gläubigen sprach: Benedictus qui venit (Gesegnet sei der da kommt im Namen des Herrn), dann ist's anders, und wenn man nun die tausendmal gehörten Worte nochmals vornimmt, um sie in Musik zu setzen, so kommt das Alles wieder und bewegt einem die Seele.« Dabei erinnerte er sich dann eben jener ersten kirchlichen Einweihungscomposition in seiner Kindheit in Wien und der religiösen Eindrücke Italiens, von denen wir oben berichteten.
Jetzt war er in Leipzig und lernte Sebastian Bach von Angesicht zu Angesicht, das heißt in seinen kirchlichen Gesangscompositionen kennen. Denn die Noth hatte ihn wieder auf Kunstreisen geführt. Sein Freund und Schüler Fürst Karl Lichnowsky, der bald auch in Beethovens Leben seine bedeutsame Stellung einnehmen sollte, hatte ihn aufgefordert mit ihm nach Berlin zu reisen, wo er ihm vielleicht bei dem sehr musikliebenden Friedrich Wilhelm II. nützen konnte. Die Nachricht über diese und eine folgende Reise bieten uns nun jene Briefe an Constanze, von denen sie später gerührt selbst schrieb, diese seine unstudirt geschriebenen Briefe seien der beste Maßstab seiner Denkungsart, seiner Eigenthümlichkeit und Bildung: »ganz vorzüglich charakteristisch ist seine seltene Liebe zu mir, die alle diese Briefe athmen, – nicht wahr, die in seinem letzten Lebensjahre sind ebenso zärtlich, als er im ersten Jahre unserer Verheirathung geschrieben haben muß?« Wir haben hier also zugleich den inneren Menschen Mozart und seine weiteren äußeren Erlebnisse vor uns.
In Prag hatte es der Theaterdirector »fast richtig gemacht« ihm für eine neue Oper 200 Ducaten und 50 Ducaten Reisegeld zu geben: dies lüftete ihm von vornhinein die Schwingen. Einer der alten Münchener Freunde, der Oboist Ramm, der von Berlin kam, hatte ihm ebenfalls schon in Prag erzählt, der König habe ihn »sehr oft und zudringlich« gefragt, ob Mozart gewiß komme, und da er noch nicht gekommen, geäußert: »Ich fürchte er kommt nicht.« »Nach diesem zu schließen sollen meine Sachen nicht schlecht gehen,« sagt Mozart. In Dresden ward er mit Schillers Freund Körner, dem Vater des Dichters bekannt und von dessen Schwägerin Doris Stock mit Silberstift gezeichnet, welches unbefangen geistvolle Bildchen ebenfalls »Mozarts Leben« schmückt. Alle Liebe, die ihm begegnet, läßt ihn aber um so inniger an Frau und Kind daheim denken. »Liebstes Weibchen, hätte ich doch auch schon einen Brief von dir!« heißt es am 13. April 1789. »Wenn ich dir alles erzählen wollte, was ich mit deinem lieben Portrait anfange, würdest du wohl oft lachen. Zum Beispiel wenn ich es aus seinem Arrest herausnehme, so sage ich: Grüß dich Gott Stanzerl! Grüß dich Gott Spitzbub, Krallerballer, Spitzignas, Bagatellerl, Schluck und Druck! Und wenn ich es wieder hineinthue, so lasse ich es so nach und nach hineinrutschen und sage immer Nu, Nu, Nu! und bei dem letzten schnell: Gute Nacht, Mauserl, schlaf gesund.« Die volle Unbefangenheit eines wahrhaft kindlichen Gemüthes, von der auch die Prager Freunde zu reden wußten! »Voll munterer Laune ergoß er sich dann in den drolligsten Einfällen, sie können sein gutes argloses Herz nie genug rühmen, man vergaß ganz, daß man Mozart, den bewunderten Künstler vor sich habe,« erzählt einer derselben, der Professor Niemetschek, dem wir die erste Biographie Mozarts verdanken. Und Mozart schließt hier: »Nun glaube ich so ziemlich was Dummes, für die Welt wenigstens, hingeschrieben zu haben; für uns aber, die wir uns so innig lieben, ist es gerade nicht dumm.« Wir werden noch hören, wie ihm dieser Schatz eines stets bräutigamgleich liebenden Herzens für seine Kunst wucherte: nur das höchste Genie zeigt solche Unschuld und Tiefe der Empfindung zugleich. Jenes »Schluck und Druck« aber bezieht sich auf einen der vielen scherzhaften Canons, woran er mit den musikalischen Seinen im Prater oder sonst in Gesellschaft sich zu ergötzen wußte.
In Dresden spielte er bei Hofe und erhielt eine »recht schöne« Dose. Da war denn auch ein Schüler Sebastian Bachs, ein gewisser Häßler, dessen »Force« die Orgel und das Clavier bildeten. So erschien Mozarts Können doppelt gereizt. Fugen von Bach und Händel hatte er schon früher in Menge durch van Swieten kennen gelernt, auch oft selbst solche phantasirt oder auf den Wunsch der Frau niedergeschrieben, und wer die Polyphonie in dem Maße frei handhabt wie Mozart in den Ensemblesätzen von Figaro und Don Juan, die hauptsächlich darin die Höhe des technischen Könnens bekunden, daß nur der Kenner diese Wunder bemerkt, der muß auf wahre Kunst in diesem Punkte auch wahrhaft halten. »Nun glauben die Leute hier, weil ich von Wien komme, daß ich diesen Geschmack und diese Art zu spielen gar nicht kenne,« schreibt er. »Ich setzte mich also zur Orgel und spielte. Der Fürst Lichnowsky, weil er Häßler gut kennt, beredete ihn mit vieler Mühe auch zu spielen.« Da erwies sich denn, daß er nur Harmonie und Modulationen vom alten Sebastian Bach auswendig gelernt hatte und nicht im Stande war eine Harmonie ordentlich auszuführen, daß er, wie Mozart sagt, noch lange kein Albrechtsberger war, der als einer der Generalbaßlehrer Beethovens bekannt ist. Beim Clavierspielen nachher aber »sank seine Schale« erst recht.
Jetzt kam Mozart nach Leipzig selbst und der Nachfolger des großen Sebastian, der Cantor Doles an der Thomaskirche ward ihm nahe befreundet. Zunächst ließ er sich hier auf der Orgel hören. »Doles war entzückt über des Künstlers Spiel und glaubte den alten Sebastian Bach auferstanden,« sagt ein Ohrenzeuge. Mozart hatte alle harmonischen Künste »mit der größten Leichtigkeit« angebracht und den Choral »Jesu meine Zuversicht« aufs herrlichste aus dem Stegreife durchgeführt. Dieser figurirte Choral aber war die besondere Kunst der norddeutschen Organistenschulen. Zum Dank dafür ließ ihm nun Doles von seinem Thomanerchor Bachs achtstimmige Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« vorführen. »Da ist doch einmal etwas, woraus sich was lernen läßt,« rief unser Meister dabei voll Freude. Sowie Richard Wagner, der sie im Jahre 1848 in Dresden aufführte, begeistert von derselben sagt, wie durch ein Meer von harmonischen Wogen brause hier der lyrische Strom der Melodie, und zugleich gesteht, daß eben die Kenntniß solcher polyphonen Kunst ihn auch erst Mozart selbst »innig erkennen und lieben« gelehrt, während Beethoven voll Gefühl für solche allüberragende elementare Gewalt und Größe ausrief: »Nicht Bach, Meer sollte er heißen!«
Mozart ließ sich denn auch sofort, da er hörte, daß die Thomaskirche noch mehrere solcher Motetten besitze, sie alle geben und legte nun die einzelnen Stimmen, – denn eine Partitur war nicht vorhanden, – auf die Kniee und Stühle um sich her, mit ganzer Seele sich in ihr Studium vertiefend und nicht nachlassend, als bis sie alle durchstudirt waren. Auf seine Bitte gab ihm Doles dann auch noch eine Copie derselben.
Was da in Mozart vorging? Der Künstler erkannte den Künstler: er hätte von Vorgängern wohl einzig in Palestrina den ähnlich schöpferisch ebenbürtigen gefunden. Aber mehr noch berührte ihn tief in der Seele die Erhabenheit des Religiösen, die in diesem Geiste lebt und die ihn, den Katholiken, bei einem Protestanten nur um so mehr innerlich erfassen und erheben mußte. »Dann wurde er plötzlich still, wurde bitter, trank viel starken Wein und sprach kein vernünftiges Wort mehr,« erzählt der junge Rochlitz, der ihn damals kennen lernte und sich später als Schriftsteller gerade über Mozart hervorgethan hat. Die Oper bot ihm hier keine Gelegenheit seine Kunst zu zeigen und für die eigene Kirche zu schreiben, hatte wenig Reiz, seit durch die Reformen Josephs II. auch die Seelenspende der Musik sogar bei einem Gottesdienst, der aus eigenster Erforderniß sich diese Kunst erschaffen hatte, auf das empfindlichste beschränkt worden war. Daß er sich aber innerlich auch mit dem erhabenen Frieden dieses mächtigen Cantors berührt hatte, werden uns bald seine eigenen Kompositionen zeigen. Und hier in Leipzig sehen wir noch, daß er wenigstens die Trübheit nicht äußerlich Herr über sich werden ließ. Er speiste den letzten Abend bei Doles, die Wirthe waren traurig und baten um ein Andenken von seiner Hand. Er schrieb »in höchstens 5 bis 6 Minuten« auf zwei Blättchen je einen Canon: der eine klang in langen Noten sehr wehmüthig, der andere sehr drollig. »Als man nun bemerkte,« erzählt Rochlitz, »daß sie zusammengesungen werden könnten, schrieb er unter den einen: ›Lebet wohl, wir sehn uns wieder!‹ unter den andern: ›Heult noch gar wie alte Weiber!‹ Es ist nicht zu sagen, welch lächerliche und doch tief, fast ingrimmig einschneidende Wirkung dies auf uns Alle machte, und irre ich nicht auf ihn selbst, denn mit etwas wilder Stimme rief er plötzlich ›Adieu Kinder‹ und war fort.«
Die nähere Kenntniß des »alten Bach« war aber auch der einzige dauernde Gewinn der langen weiten Reise. Friedrich Wilhelm II. hatte ihm nach seinem freimüthigen Urtheil über seine von J. F. Reichardt geführte Capelle freilich die fernere Leitung derselben mit einem Jahrgehalt von 3000 Thalern angetragen. Aber: »Soll ich meinen Kaiser verlassen?« darin sprach sich das ganze österreichische Heimatsgefühl dieses Künstlers aus, dem im märkischen Sande damals gewiß der fruchtbare Nährboden entzogen gewesen wäre. Hundert Friedrichsdor in einer goldenen Dose und die Bestellung von drei Quartetten – denn diese Musik liebte der König, der selbst Cello spielte, am meisten, – waren jedoch auch ein mäßiger äußerer Ertrag.
Daheim drängten ihn dann die Freunde dem Kaiser wenigstens die Sachlage vorzutragen, denn der König von Preußen hatte seinen Antrag ein Jahr lang offen gehalten. »Wie? Sie wollen mich verlassen?« – »Ew. Majestät, ich empfehle mich zu Gnaden, ich bleibe,« – lautet einfach das Resultat der Audienz, und einem Freunde, der auf eine mögliche Gehaltserhöhung anspielte, ward die bezeichnende Antwort zutheil: »Der Teufel denke in solcher Stunde daran!« Dem Oesterreicher war sein Kaiser Joseph ein Ideal, und gar damals, wo dem edlen Herrscher die besten Absichten im eigenen Lande verketzert wurden und Türken wie Belgier ihm gleich viel Noth machten! Er, der sich in der That gerade von den Seinen verlassen fühlte, sollte einen der Besten der Seinen jetzt scheiden sehen? Das ging über die Empfindung eines Mozart. Doch ward jetzt, wol auf Anordnung des Kaisers, zunächst der Figaro wiederaufgenommen, für den Mozart noch die große Arie der Gräfin in Fdur hinzuschrieb, und der Neuerfolg des Werkes ward für den Kaiser bestimmend, ihm eine neue Oper aufzutragen, zu deren Text die leichtsinnige Wette zweier Offiziere den Anlaß gegeben haben soll: Così fan tutte (So machens alle oder die Schule der Liebenden). Zwei Offiziere wetten mit einem Hagestolzen wegen der Treue ihrer Bräute, und wirklich gelingt es ihnen mit Hilfe der Zofe und einiger verzweifelten Schreckmittel sie einander gegenseitig abtrünnig zu machen, worauf sie sich schließlich mit dem schlechten Trost bescheiden: So machens eben alle.
Von leichtfertigerem Inhalt ist nicht wohl etwas zu denken. Allein abgesehen von dem Tone einer Zeit, der das déluge fühlbarst bevorstand und die nun noch spielend genoß, was zu genießen war, hat Mozart hier mehr den Maskencharakter der Opera buffa betont und die Sache eben nicht ernst sondern als ein Schattenspiel genommen, das nur den Anlaß und Anhalt zu dem wunderbaren Traumspiel der Musik gab. Diese ist denn auch märchenhaft duftig, eine halb verschleierte sonnig-wolkige Morgenwelt, die alles Festgestaltete noch verhüllt oder nur dämmernd durchscheinen läßt, Musik wie sie nur Mozart schreiben konnte. Aber eben der geringfügige und frivole Text hat der Oper doch rasch den Prozeß gemacht und alle Wiederbelebungsversuche sind vergeblich geblieben. Erst als das Leben, das dem tiefgründenden Sinne dieses Künstlers jetzt selbst ein täuschungsvolles Wechselspiel geworden war, in einem wirklichen Märchenbild vor ihn trat, da gelang es ihm auch wieder dem Bilde den vollen Hauch höherer Wahrheit zu leihen, der vor einer so grassen, hohläugigen und durchlöcherten Wirklichkeit wie jener Offizierswette völlig flieht. Das war die Zauberflöte, und mit ihr nahen wir uns wie dem Ende so der höchsten Vollendung und der vollen Concentrirung von Mozarts Wollen und Können.
Così fan tutte ward am 26. Januar 1790 gegeben und fand großen Erfolg. War das Werk doch in dem ganzen leichtgeschürzten Style der allbeliebten italiänischen Musik geschrieben! Doch der es veranlaßt sah es nicht mehr: Kaiser Joseph war damals bereits krank und erlag dem Kummer und Gram der letzten Regierungsjahre im Februar dieses Jahres 1790, und zwar leider ohne irgend besser für Mozart gesorgt zu haben. Es gibt in Mozarts Leben kein Jahr, das so wenig Compositionen aufweist. Er selbst schreibt dies solcher äußersten materiellen Bedrängung zu. »Sie haben Recht, wenn Sie mich keiner Antwort würdigen, meine Zudringlichkeit ist zu groß,« muß er ebendamals beschämend genug für ihn und mehr noch für uns, die Nachlebenden, an seinen »liebsten Freund« Puchberg schreiben. »Nur bitte ich Sie meine Umstände von allen Seiten zu betrachten, meine warme Freundschaft und mein Vertrauen zu Ihnen zu bedauern und zu verzeihen.« Selbst sein Fleiß half ihm nicht: man kaufte eben seine Compositionen nicht, sie gingen zuweit über das Auffassungsvermögen der Zeit und so verfiel seine äußere Subsistenz bald völlig. Der Hausmeister eines benachbarten Gasthauses, der Mozart manche äußere Hilfeleistung that, fand ihn eines Frühmorgens mit Constanze im Zimmer umherwalzen: sie hatten kein Holz und wollten sich auf diese etwas seltsame Weise vor dem Frieren schützen. Künstlers Erdenwallen!
Ein Gesuch an den neuen Kaiser Leopold II. ward verfaßt und dazu eine Eingabe an einen Erzherzog, deren Concept noch vorhanden ist. »Eifer nach Ruhm, Liebe zur Thätigkeit und Ueberzeugung meiner Kenntnisse heißen mich es wagen um eine zweite Capellmeisterstelle zu bitten, besonders da der sehr geschickte Capellmeister Salieri sich nie dem Kirchenstyle gewidmet hat, ich aber von Jugend an mir diesen Styl ganz eigen gemacht habe,« heißt es da in Erinnerung an die Leipziger Thomaskirche, und der Hof hatte ja seine eigene Kirchencapelle in der Augustinerhofkirche an der Burg. Auch bittet er wegen des »wenigen Ruhms den ihm die Welt für sein Pianofortespiel gegeben« um den Unterricht der königlichen Familie. Er machte sich dann wirklich große Hoffnung, da der Kaiser seine Bittschrift zurückbehalten hatte. Allein Glucks einstiger Gönner war Mozart nicht hold, und dann überhaupt, alles was zu Joseph II. in näherer Beziehung gestanden, hatte hier kaum einen gnädigen Blick zu erwarten.
»Nun habe ich zwei Schüler, ich möchte es gern auf acht bringen; suchen Sie es auszustreuen, daß ich Stunden annehme,« muß am 17. Mai dieses Jahres 1790 der Componist von Figaro und Don Juan schreiben. Derweilen wurden wenigstens die drei Quartette für Friedrich Wilhelm II. fertig, und Swieten erhält wieder zwei neue Bearbeitungen Händels, das Alexanderfest und die Cäcilienode. Und als nun bei der Anwesenheit des Königs von Neapel im September 1790 auch nicht entfernt Mozarts gedacht und Salieri wie dessen Schüler Weigl vorgezogen wurden, war Mozart überzeugt, daß jetzt nur in der Fremde sein Glück blühe. Im October sollte in Frankfurt Kaiserkrönung sein. Dorthin! Und den Mann seiner ältesten Schwägerin, den Violinspieler Hofer, nahm er sogleich mit, denn er zweifelte nicht an seinem Erfolge diesmal. Als Kammercompositeur sich dem Hofe anschließen zu dürfen ward ihm nicht gewährt. So mußte das Silberzeug aufs Pfandhaus wandern, damit nur erst ein Reisewagen beschafft werden konnte. Diese Kunstreise – es sollte die letzte sein, – führen uns nun wieder die Briefe an sein »liebstes bestes Herzens-Weibchen« vor: sie athmen eine tiefe Wehmuth, die Schatten des letzten Endes spielen schon auch um dieses schöne lichte Siegfriedshaupt.
»Nun bin ich fest entschlossen meine Sachen hier so gut als möglich zu machen und freue mich dann herzlich wieder zu dir. Welch herrliches Leben wollen wir dann führen! Ich will arbeiten, so arbeiten, damit ich nicht wieder durch unvermuthete Zufälle in so eine fatale Lage komme«, – als wenn er nicht der Fleißigste aller Sterblichen gewesen wäre! Er »steckte« ja völlig in der Musik und war durch diese Vertiefung so zerstreut, daß er nicht einmal wagte, sich beim Essen selbst das Fleisch zu zerschneiden, aus Furcht sich zu verletzen, – daß er oft mit der zusammengedrehten Ecke einer Serviette heftig unter der Nase umherfuhr oder sonst Grimassen und Gesten machte, die seine völlige Abwesenheit in andern Welten bekundeten! Allein er war in die Hände von Wucherern gefallen, und diese »unchristlichste Classe Menschen« wie er sie nennt, wußten den in solchen pecuniären Dingen zeitlebens wenig Erfahrenen völlig zu umstricken.
Bald aber muß er sich leider überzeugen, daß auch in Frankfurt nicht viel zu »machen« ist. »Ich freue mich wie ein Kind wieder zu dir zurück,« schreibt er am 30. September 1790. »Wenn die Leute in mein Herz sehen könnten, so müßte ich mich fast schämen, es ist alles kalt für mich, eiskalt. Ja wenn du bei mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden, so ist es aber leer.« Auf der Rückreise besuchte er Mainz, wo ihn Goethe's Freund Tischbein malte, er wollte nach Mannheim. »Der ersten Liebe goldne Zeit!« Welche Gedanken ihn dabei erfüllten? Aber war es nicht in ganz Wien bekannt, wie glücklich er mit seiner Constanze lebte, während das unglückliche Verhältniß Aloysia's zu ihrem Mann sogar in den öffentlichen Blättern besprochen wurde! Nur der damals die glänzendste Laufbahn verhieß, was war er, daß er noch so um das tägliche Brod in der Welt umherreisen mußte? Dieses Gefühl erfüllte ihn selbst mit Bitterkeit, als er dann in München wegen des Königs von Neapel zum Concert bei Hofe geladen worden war. »Eine schöne Ehre für den Wiener Hof, daß mich der König in fremden Landen hören muß!« schreibt er. Die Vernachlässigung von Seiten des Hofes trug in der That am meisten Schuld an seiner trüben Lebenslage.
Persönlich erheitert und erfrischt hatte ihn die Reise, in seiner materiellen Lage erleichtert aber nicht. So konnte nur ein Theil des Silbergeräthes eingelöst werden und der Rest ging gar durch Mozarts zu großes Vertrauen auf einen freimaurerischen Freund ganz verloren. In dieser Zeit war der Mitleiter einer Londoner Concertgesellschaft, J. P. Salomon, in Wien, um Haydn, dessen alter Fürst Esterhazy soeben gestorben war, nach London zu führen, später sollte dann Mozart folgen. Der Abschied von dem »alten Papa« war rührend, wir vernahmen oben sein tiefes Gefühl für Mozart. »Wir werden uns wol das letzte Lebewohl in diesem Leben sagen,« sprach er mit Thränen zu dem soviel älteren Manne, der wol eher an den eigenen Tod denken konnte. Er ahnte nur zu richtig! Haydn weinte bittere Thränen, als er ein Jahr später in London Mozarts frühen Tod erfuhr. »Die Nachwelt bekommt nicht in 100 Jahren wieder solch ein Talent,« schrieb er. Und noch viele Jahre später: »Verzeihen Sie mir, ich muß – immer weinen beim – Namen meines Mozart.«
Mozarts Seele war tief innen getroffen. Aber stets mehr richtete sich sein Sinn auf ein ewiges Sein und eine höhere Ausgleichung der Dinge dieses Lebens. War es Schuld, was ihn bei diesen Verhältnissen traf, sie wog leicht gegen das unendlich werthvolle Gut, das er selbst mit treuem Fleiß und voller Hingebung seines besten Wesens von je dem Leben geboten und stets von neuem bot. So ist es auch nur ernste Wehmuth, nicht Schmerz und Klagen, was seine Seele erfüllt, und goldener Schimmer des Trostes umzieht jetzt all sein Schaffen. »Liebe! Liebe! Liebe! ist die Seele des Genies!« hatte einst ein Freund in sein Album geschrieben: jetzt faßt er selbst dies völlig im Sinne einer ewigen Liebe und erbarmenden Güte, und eine wunderbare Milde und Versöhnung umspielt alle seine Klänge. Man betrachte die beiden vierhändigen »Fantasien« in Fmoll. Sie sind in diesem letzten Winter 1790-91 »auf die sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes« geschrieben und zwar für ein Orgelwerk in einem Wachsfigurenkabinet, in dem ein Graf Deym seinen Landsleuten berühmte historische Persönlichkeiten vorführte, das kleinere erste zu einem »Mausoleum« des berühmten Feldmarschalls Laudon. Es ist die volle Sonnenhöhe des Mozartschen Genius, wie er sich an einem wechselvollen herben Leben vertieft und wieder an einem ewigen Besitz, dem ja auch Sebastian Bachs hehre religiöse Kunst entflossen, innerlichst erhoben hat: die Vereinigung geheiligten persönlichen Empfindens mit der Darstellung des Ewigen selbst, zu dem die Menschenseele in stiller ernster Ergebung und Gläubigkeit aufblickt. Es war Zeit, daß Mozart noch Gelegenheit wurde, diesem letzten und höchsten Empfinden der Menschenbrust auch seinerseits allumfassenden Ausdruck zu leihen. Und sie ward ihm: den bloßen äußeren Zufall lenkte ein tief innerer Drang der Nothwendigkeit zu seinem Ziel, – wir stehen vor der Zauberflöte und dem Requiem, denen jene Fantasien ganz so als leuchtende Morgensterne voranziehen, wie einst das Gmollquintett dem Don Juan.
Um die Bedeutung, die diesen beiden Werken auch in Mozarts eigenem Leben zukommt, völlig zu kennen, müssen wir jedoch vorerst etwas weiter zurückschauen.
Wir kennen Mozarts inniges religiöses Gefühl, es hat sich uns bei den entsprechenden Anlässen auf das unbefangenste enthüllt. Eben so aufrichtig blieb er seiner Kirche zugethan. »Ich wünsche dir die Gnade Gottes, die dich allerorten begleite, die dich niemals verlassen wolle und niemals verlassen wird, wenn du die Schuldigkeit eines wahren katholischen Christen auszuüben beflissen bist,« hatte der Vater geschrieben, als Wolfgang auf die große Pariser Reise ging. Allein es war damals allgemeiner das Bedürfniß erwacht, auch außerhalb der Kirche die letzten Dinge zu ergründen und in ernstem Gespräche einander gegenseitig die Räthsel der eigenen Seele aufzudecken. Und dies um so mehr, als die protestantische Kirche damals in den Gegensatz von Orthodoxie und Rationalismus zerklüftet, die katholische aber im Dogma erstarrt und wieder einem fast theatralischen Tande des Cultus verfallen war, also beide Gottesdienste dem Gebildeten seine geistigen Bedürfnisse wenig befriedigen zu können schienen! Die Vereinigung der Geister führte bald zu Bünden und Orden, von denen der der Freimaurer die größte Bedeutung erlangte. Von den Männern, die eben unsere geistige Belebung und Veredlung im Auge hatten, gehörten Lessing, Wieland, Herder, Goethe diesem Orden an. Und da seine sittliche Tendenz die höchsten Tugenden des Christenthums zu verwirklichen trachtete, Reinigung des Gemüths durch Selbstopfer und thätige Hilfe gegen alles was Mensch heißt, wie sollte da nicht eine Natur wie die Mozarts sogleich von allen Seiten für diese Bestrebungen eingenommen gewesen sein?
Wir finden ihn denn auch in Wien schon bald in diesem Orden, und so ernst ist ihm vor allem diese Lehre von dem heiligenden Wesen des Todes als dem »wahren Endzweck unseres Lebens« und dem Sinnbild der stets zu verwirklichenden Selbsthingabe, daß er nicht nachläßt, bis der Vater ebenfalls dem Orden beigetreten ist. Ihre gegenseitige Korrespondenz über diesen Gegenstand ist freilich von ihnen vernichtet worden. Aber Zeugniß von dem Ernst, mit dem Mozart diese erhabenen Wahrheiten des Christenthums auch außerhalb der Kirche nahm, gibt uns eben die Zauberflöte, und sie entstand in folgender Weise.
Schikaneder, der schon 1780 in Salzburg den jungen Mozart für sich zu verwenden gewußt, war seit einigen Jahren in Wien und hatte ein kleines hölzernes Theater im Stahrembergischen Freihause auf der Wieden. Seine unverwüstliche Laune machte ihn zu einem guten Gesellschafter und Mozart verkehrte seit langem gern in seinem theatralischen Kreise. Jetzt war er, der schon so manchesmal als echter Theaterdirector bald in Ueberfluß geschwelgt bald wieder gedarbt hatte, durch die Concurrenz der Leopoldstädter Bühne an den Rand des Verderbens gebracht. Es war im Frühjahr 1791. Er kommt zu Mozart um eine »Zugoper«: einen passenden Stoff habe er schon, eine Zauberoper, und Mozart sei der rechte Mann die Musik dazu zu schreiben. Der k. k. Kammercompositeur, der Componist von Figaro und Don Juan eine Zauberoper für eine Bretterbude in der Vorstadt! – es war eine Keckheit sonder Gleichen und enthüllt den ganzen Schikaneder. Aber er kannte die Welt, kannte Mozart. Dazu die Freimaurer-Brüderschaft! Hatte doch Mozart selbst gerade dieser seine stete Hilfe bei Puchberg zu danken! Sein Weigern wich also bald der Schilderung der großen Noth des schlauen Directors. »Wenn wir ein Malheur haben, so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht componirt,« mit diesen Worten ging Mozart auf den Plan ein und auch sofort an die Arbeit.
Als Hauptsache galt dem Possenreißer Schikaneder der Federnmann Papageno, der so recht die gutmüthige, etwas furchtsame, launige und leichtlebige Natur des gewöhnlichen Wieners darstellen sollte. Dem Componisten aber war das gewählte Märchenspiel als Widerschein des Lebens, wie es ihm schon seit langem vor der Seele stand, und vor allem das Liebespaar am Herzen gelegen, das hier durch herbes Schicksal getrennt einander zu um so innigerem Bunde wiederfinden sollte, und »Dies Bildniß ist bezaubernd schön« wiederholte aufs schönste und noch tieferen Seelentones voll jene ersten innigen Liebeslaute seiner Jugend. Aber auch der ideale Zauber und die Verklärung aller anderen in diesem Zauberspiel erscheinenden Mächte ist zu betonen: Mozart kennt wirklich höhere Mächte und daß sie über unserem Leben walten. Schon im Juli konnten die Proben des ersten Actes beginnen. Denn Schikaneder hatte ihn ganz für sich zu gewinnen und an sich zu fesseln gewußt, ihm sogar das Gartenhaus im Freihofe eingeräumt und ihn stets in den heitersten Verkehr zu bringen gesucht. Stammen aus diesen Tagen die Gerüchte die Mozart selbst als einen leichtfertigen Genußmenschen darstellten, so braucht man nur die gleichzeitigen Briefe an seine Frau, die sich damals wieder wegen Krankheit im nahen Baden befand, zu lesen, um zu wissen, daß mit diesen äußeren Lustbarkeiten seine Seele nichts zu thun hatte. Aber was blieb ihm, den die große Welt verschmähte, anders als die kleine? Er war jetzt wirklich gesellschaftlich »unter das Pack gestoßen«. Und daß er obendrein mit der größten Anstrengung arbeiten mußte, um mit Frau und Kind nur leben zu können, versetzte seinen ganzen Organismus in einen Krampf, den eben wieder nur Geselligkeit und Wein zu lösen vermochten. Solche höchste Steigerung und Zusammenfassung aller geistigen und physischen Potenzen, wie das künstlerische und vor allem das musikalische Schaffen sie naturgemäß mit sich bringt, führt auch nothwendig zu dem Bedürfniß nach gesteigertem Genuß, und wenn es nur für Momente wäre. Daß aber Schikaneder solche Momente herbeizuführen wußte, um seinerseits den Componisten wieder ganz für seine Zwecke zu besitzen, erfahren wir aus der Nachricht, daß er nach Mozarts so jäh erfolgtem Tode umher ging und laut schrie: »Sein Geist verfolgt mich allenthalben, er steht immer vor meinen Augen!«
Aber wichtiger als diese Fragen ist, daß Mozart durch die doch immer etwas ausgelassene Existenz dieser Tage gerade auch auf das energischeste in das eigene Innere zurückgeschleudert wurde. Dahin wirkten zwei Dinge zu gleicher Zeit und mit vereinter Gewalt.
Schon im Mai dieses Jahres 1791 hatte er sich um die Stelle eines musikalischen Beigehilfen an der Stephanskirche beworben, da er sich dafür »durch seine auch im Kirchenstyle ausgebildeten Kenntnisse vor Andern fähig halten dürfe«, und schon längst wünschte er wieder auf diesem Gebiete thätig sein zu können, dessen Josephinische Beschränkung der neue Kaiser aufgehoben hatte. Jetzt kam der Auftrag zu einem Requiem, einer Seelenmesse, also dem Ernstesten, was der Musik sein Cultus bot, und dies unter höchst sonderbaren ja mysteriösen Verhältnissen. Ein langer hagerer graugekleideter Mann mit ernstem Gesichtsausdruck überbrachte die Bestellung in einem sehr schmeichelhaften Briefe. Mozart theilte die Sache seiner Frau mit und äußerte dabei, es verlange ihn wieder einmal in dieser Gattung seiner Kunst thätig zu sein und ein Werk auszuarbeiten, an dem Feinde wie Freunde noch nach seinem Tode studiren sollten. Dann nahm er den Antrag an und verlangte als Preis ganze – fünfzig Ducaten, ohne jedoch den Zeitpunkt der Ablieferung zu bestimmen. Der Bote kam wieder, zahlte das Geld und versprach noch eine Zulage, indem der Componist ganz nach Stimmung und Laune schreiben, übrigens sich keine Mühe geben solle, den Besteller zu erfahren, dies werde ganz gewiß vergeblich sein.
Wir wissen nun heute, daß es ein Graf Walsegg war, der das Werk bestellte, um es als seines zur Todesfeier seiner Gemahlin aufführen zu lassen. Allein Mozarts Phantasie ward von diesem Geheimnißvollen erfaßt, als sei hier ein Geheiß von oben. Denn schon war seine Seele ganz von den Gedanken erfüllt, die über das Leben hinaus führen. Dazu kam jener andere Umstand.
Der erste Act der Zauberflöte war bis auf das Finale fertig, da muß Schikaneder erleben, daß gerade das Concurrenztheater denselben Gegenstand mit dem größten Erfolg zur Aufführung bringt. Allein seine anfängliche Verzweiflung endet auch hier in guten Rath und rechte That: man beschließt die Spitze des Stückes umzukehren und aus dem bösen Zauberer, der die Prinzessin geraubt, die Tamino wieder holen soll, den Weisen und Menschenfreund Sarastro und aus der betrübten Mutter die böse »Königin der Nacht« mit ihrem Mohren und den drei schwarzen Damen zu machen. Ist nun dadurch auch eine merkliche Ungleichheit und manches Widersprechende in das Ganze gekommen, so war doch jetzt auch hier Mozarts volle innere Seele für die Sache gewonnen, und wir verdanken diesem Zufall die schönsten und ernstesten Ergüsse aus seinem Geist und Herzen. Denn es war eben die Idee der Freimaurerei, was jetzt Mittelpunkt des Werkes wurde: durch ernste Prüfung ihrer sittlichen Kraft sollen die sterblich Gebornen ihr höheres unsterbliches Theil und damit ihr Glück gewinnen. So reinigt und heiligt sich hier auch der Bund der beiden Liebenden zu jenem tieferen Lebensbunde der Ehe, die durch das Wirken in Liebe und Hingebung von aller Leidenschaft befreit und erst den ganzen Zweck und Gehalt der Liebe hervortreten läßt. Und wer hätte diese, die stets jungfräuliche Erscheinung wahrer ehelichen Liebe reiner gekostet als Mozart, der noch als solch längst verheiratheter Mann gerade jetzt einen Brief mit folgenden Worten schließt: »Adieu liebe, einzige! Fang du auch auf in der Luft, es fliegen 2999 und ½ Küsse von mir, die aufs Auffangen warten. Adieu. Tausend zärtliche Küsse. Ewig Dein Mozart!«
Und gar die Gestalt des Sarastro! – Von allen menschlichen Erscheinungen, die in sein Leben getreten, war nächst seiner geliebten Constanze die des Vaters die tiefste und umfassendste, und dies trotz des Mißverstehens und gar Mißtrauenden des alternden Mannes in den letzten Jahren! Und waren nicht nach den künstlerischen gerade diese persönlichen menschlichen Erfahrungen ihm auch im wirklichen und sogar großen öffentlichen Leben sozusagen als Walter des Daseins in kenntlichster Gestaltung entgengetreten? War nicht der Josephinismus und mit ihm die Freimaurerei ein Bild des edelsten Wollens und Waltens für rein menschliche Zwecke, das seine Phantasie sich jetzt vorstellen konnte? Dabei blieb das Religiöse völlig unberührt: seine Kirche, sein persönlicher Glaube waren ihm fest in sich abgeschlossene Dinge, deren Mißbräuche wie z. B. das übermäßige Ordenswesen wol angegriffen werden konnten, deren Kern und Wahrheit ihm jedoch über jeden Zweifel erhaben dastanden. Aber während diese letztern nach ihrem innersten Bestand in seinem Herzen jetzt in dem Requiem ebenfalls ihren geweihtesten Ausdruck fanden, konnte es nicht ausbleiben, daß diejenigen Theile der neuen Oper, die jenem höheren menschlichen Ernst angehörten, ebenfalls an dem ernstgeweihten Klang, in dem diese schöne und innig empfindende Menschenseele jetzt ertönte, ihren vollen lebendigen Antheil nahmen, so daß wir behaupten dürfen: Requiem und Zauberflöte sagen uns, was dieses Herz von Himmel und Erde wußte und empfand und daß es das Irdische vom Himmlischen verklärt und aufs tiefste befriedet wissen wollte. Der Chor »O goldne Ruhe steig' hernieder, Kehr in der Menschen Herzen wieder«, bekundet uns dies so gut wie Tamino's schmerzlich sehnsuchtsvoller Ausruf: »O ew'ge Nacht, wann wirst du schwinden? Wann wird das Licht mein Auge finden?« – es ist das »Heimweh zu Gott«, das edelste Gut der menschlichen Seele, was sich hier ausspricht.
Der Vollendung der beiden Werke thürmten sich freilich zunächst bedeutende Hindernisse entgegen. Die böhmischen Stände bestellten zu Leopolds Krönung eine große Oper » Titus der Milde«. Es blieben zu dem Werke nur wenig Wochen. Mozart begab sich sofort auf die Reise, es war um Mitte August. Constanze begleitete ihn wieder. Als sie in den Wagen steigen wollten, stand der seltsame graue Bote da. Mozart beruhigte ihn, nach der Rückkehr solle das Requiem die erste Arbeit sein. Doch war es ihm wie neue Mahnung das letzte Lebenswerk nicht aufzuschieben. Denn als solches verstand er diese Seelenmesse. Und er fühlte sich bereits unwohl. Die allzu große Anstrengung in Prag – in achtzehn Tagen war der Titus geschrieben und einstudirt! – beschleunigte den raschen Verfall der ohnedies stets übermäßig angespannten Lebenskräfte. Dazu der mangelnde Erfolg des Werkes! Denn diesmal war das »Eile mit Weile« vergessen, und das eine Quintett großen dramatischen Styles im ersten Finale konnte selbst den hier gewiß nachsichtigen Pragern den Mangel eigentlich Mozartscher Kunst nicht verdecken: Titus blieb eine Opera seria, ein Arienbündel, und der gewohnte Beifall fehlte sogar in Prag. Mozart ward sehr niedergeschlagen. Er gebrauchte obendrein Arznei, sah blaß aus und seine Miene war traurig. Der angeborene heitere Sinn drang freilich auch jetzt noch manchmal siegend durch. Doch flossen beim Abschied Thränen: er meinte seine Freunde wol nicht wiederzusehen.
Um Mitte September war er wieder in Wien, es galt der Inscenirung der Zauberflöte, sie konnte die Scharte seines Ruhmes wiederauswetzen, und dann, war sie nicht jetzt auch ein Stück seiner höheren Lebensaufgabe? Denn Kaiser Leopold hatte auch den Freimaurerorden aufgehoben, und dessen nächste humane Tendenzen in jeder Weise schön ans Licht zu stellen, war jetzt schon einfache Ordenspflicht. Und welches Leuchten strahlt aus den Chören des zweiten Actes, aus der Ouvertüre, die wie der an Idomeneo erinnernde feierliche Einleitungsmarsch desselben Actes erst jetzt geschrieben wurden! »Durch Nacht zum Licht!« war ihm der Sinn des ganzen Werkes, dessen zufälliges Costüm ihn nicht entfernt beirrte. Ja in eines der Stücke, die diesen ganzen Ernst sittlicher Prüfung des Herzens darstellen sollten, wob er gar einen protestantischen Choral: es ist der Gesang der »Geharnischten Männer«, und an seiner Figuration erkennt man, daß Mozart auch Bachs Kunst in sich aufgenommen. Aber auch seinen Geist tiefer Frömmigkeit und echter Tugend! Und nichts beweist so sehr, wie ernst und hoch diesem Künstler sein Beruf stand und daß es für ihn keinen abgeschlossenen Ort gab, wo allein das Ideale, das Göttliche zu lehren war. Wie die Sonne soll es allüberall walten, und die Bühne blieb ja gerade diesem Künstler der Ort, so recht aus innerstem Herzen zu seiner Nation, zu seiner Mitwelt zu reden.
Und welch ein Werk steht hier vor uns! Nie ist ein größerer Gegensatz zwischen einem idealen Kunstwerk und dem Ort und Anlaß, dem es seine Entstehung verdankt, gesehen worden: die Zauberflöte, einer der Ausgangspunkte der idealsten Bestrebungen der deutschen Nation und der neueren Zeit überhaupt, und das Publikum der Bretterbude einer Wiener Vorstadt!
Freilich von den Trivialitäten und Lächerlichkeiten des Textes muß man absehen. Und doch hat selbst hier Mozarts Musik förmlich Verstand und Sinne von der zufälligen Lebensungestalt auf herrlichste Idealerscheinungen zu lenken gewußt. Und dies, obwol ihm jener Vogelfänger Schikaneder selbst manche der jetzt so allgeliebten Melodien vorgeträllert haben soll! Denn es existirt noch ein Billetchen von ihm mit den Worten: »Lieber Wolfgang! Derweilen schicke ich dir dein Pa-Pa-Pa zurück, daß mir ziemlich recht ist, es wird's schon thun. Abends sehen wir uns bei den bewußten Beweisen. Dein Schikaneder.« Allein eine Weise wie »Bei Männern, welche Liebe fühlen« konnte später sogar einem kirchlichen Gesange untergelegt werden, – wie ideal müssen also diese Linien gehalten sein, daß die höhere sittliche Empfindung selbst durch eine so einfache Weise erregt wurde!
Ganz diesen Ton der Würde eines Herzens, das über sich selbst Herr geworden und in Weisheit und Liebe nur der Menschheit gedenkt und waltet, hat aber jener bekannteste aller ernsten Gesänge »In diesen heil'gen Hallen«, und nur daß er uns eben so bekannt und vertraut wie Luft und Licht, läßt uns vergessen, daß er wie diese ätherisch und leuchtend ist. Sarastro's Gestalt ist, was Mozart von dem tieferen Sinn des Lebens erfaßt hatte, Pamina der schönste Ausdruck reiner Liebe und Zärtlichkeit, Tamino jene ideale Jünglingsgestalt, die in tiefinnerer Vorahnung vom Zweck des Daseins die eigene Empfindung unter »des Lebens ernstes Führen« bändigt und darum sich und den ihm vom Schicksal Anvertrauten das Glück des Lebens auch zu sichern weiß. Man erinnere sich nur in dem Gespräch mit dem Priester seines Ausrufs »der Lieb und Tugend Eigenthum!« Diese wenigen Töne sprechen in dem vollsten Ausdruck inniger Ueberzeugung den ganzen sittlichen Bestand von Mozarts Natur aus.
Von diesen Gestalten bis zu den hohen Helden- und sicher weiblichen Frauengestalten R. Wagners geht eine kenntliche Bahn, und nicht ohne Fug und Ursache hat Franz Liszt den »Ring des Nibelungen« die Zauberflöte unserer Tage genannt. Wagner erfüllt hier, was einst Mozart aus dem vollen Grund und Wesen unserer deutschen Natur heraus in dieser Zauberflöte von menschlichen Idealen in lichtesten aber kenntlichsten Linien angedeutet hatte. Denn auch jene hehren idealen Mächte, die uns bewegen und führen, von den bewußten Wollungen des eigenen Innern bis zu der elementaren Urgewalt, die unseren eigenen Willen bestimmt, sind hier wenn auch in zartesten Umrissen doch die ersten Züge der sichersten Charakteristik gegeben, und wie Osmin auf Fafner, so weisen die »drei Knaben«, die Tamino führen, auf die drei Rheintöchter, die Siegfried vor dem Tode warnen. Es ist das erste Mal in der Oper, daß mit solcher Rafaelischen Idealkunst dasjenige gezeichnet ist, was als Gewissen, als innerstes Wissen von dem wahren Bestande der Welt in jeder menschlichen Brust lebt und uns mit dem Gefühl eines Ewigen erfüllt. Es ist dies aber auch der eigenthümliche Ton des Ganzen: es liegt wie goldener Morgenschimmer des ersten Schöpfungstages über dieser Zauberflöte.
Und dem entsprach denn auch die Aufnahme des Werkes, dessen Popularität heute wol in keiner Nation ihres gleichen hat. Nur 30. September fand die erste Aufführung statt, Mozart selbst dirigirte. Nach der Ouvertüre war das Publikum ganz still, wer erwartete in einer Zauberoper solch feierlich anrufende Klänge? Doch da kroch Schenk, der spätere Componist des »Dorfbarbiers« und Lehrer Beethovens, der nur noch im Orchester einen Platz gefunden, bis zum Dirigentenstuhle hin und küßte Mozarts Hand, der mit der andern forttactirend ihn freundlich ansah und seine Wange streichelte: der Meister erfuhr, er war selbst hier in der Bretterbude ganz in seinem lieben Wien und Oesterreich. Doch war nach Schluß des ersten Actes der Beifall ebenfalls nicht groß und Mozart soll blaß und bestürzt zu Schikaneder gekommen sein, der ihn beruhigt und getröstet habe. Während des zweiten Actes aber bemerkte auch diese bunte Menge, was hier zugleich dem innersten Menschen geboten ward. Freilich Mozart war jetzt nur mit Mühe zu bewegen auf die Bühne hervorzutreten, es hatte ihn gekränkt, daß man das Beste, was er geben konnte, so wenig zu würdigen gewußt. Allein bald durfte er doch selbst seinem »liebsten besten Weibchen« nach Baden schreiben, die Oper sei trotz des Posttages »mit ganz vollem Theater und dem gewöhnlichen Beifall« gegeben worden, und seine Empfindung für das Werk drückt der Schluß des Briefes aus: »die Stunde schlägt – leb wohl! – wir sehen uns wieder!« – es sind die Worte des unvergleichlichen Terzetts, wo Sarastro die beiden Liebenden zur Prüfung ihrer Liebe entläßt. Seinen Todfeind Salieri führte er nach seiner unbekümmerten Großmuth selbst hinein, und dieser fand das Werk »würdig bei der größten Festlichkeit vor dem größten Monarchen aufgeführt zu werden.« Wie oft ist dies nicht seitdem geschehen! Sein eigentlicher Souverain aber bleibt das Volk, das Volk in der unbefangensten Unschuld aller seiner Regungen und der idealsten Erschauung von des Lebens Grund und Wesen. Und ihm gehört dieser ganze Mozart, ihm ist er nicht gestorben.
Denn bald schlägt uns selbst hier die Stunde des Abschieds von dieser schönen Künstler- und Menschenerscheinung.
Die Arbeit am Requiem ward jetzt nicht mehr unterbrochen, das Theater einem jüngeren Capellmeister überlassen. Er »verschrieb« sich dabei manchmal bis gegen zwei Uhr und nachts finden wir ihn spät noch auf. Ja jenem so nahestehenden Wiener Freunde schlägt er den Musikunterricht für eine Dame ab: er habe eine Arbeit unter Händen, welche dringend sei und ihm sehr am Herzen liege; bis diese vollendet sei, könne er an nichts anderes denken. Schon während der Arbeit an jenen letzten Stücken der Zauberflöte wie dem Marsch und dem Chor »O Isis und Osiris« war er zuweilen erschöpft auf den Stuhl zurückgesunken und von kurzen Ohnmachten befallen worden, – sein ganzes Innere arbeitete daran mit. Noch weniger achtete er der körperlichen Erschöpfung jetzt, wo es galt unmittelbar und am heiligen Orte selbst seiner Empfindung des Ewigen ein würdiges Denkmal zu setzen. Und diese Schrecken der Schuld waren ihm ernst, er kannte sie, wenn auch nur als Schwachheit. Aber eben so kannte er und noch unendlich tiefer die vergebende Liebe, die der Lebensgrund seiner eigenen Seele war! Das gewaltige christlich-mittelalterliche Gedicht des Dies irae regte dazu seine ganze Phantasie an: er wollte der Welt zeigen, was ihr schmerzlich tragischer Inhalt und was ihre beseligende Versöhnung ist. Nie gewiß ist aufrichtiger der religiöse Ausdruck der Seelenmesse künstlerisch gewollt worden. Daß nur einzelne Momente auch diesem tiefen religiösen Sinne so völlig entsprechen, wie wir dies bei Mozarts weltlichen Compositionen für den ihnen eigenen Inhalt empfinden, davon ist der Grund eben seine zu lange und zu ausschließliche Beschäftigung mit der Oper, deren ganzer Ton, wie wir oben sahen, außerdem selbst der jetzt herrschenden Musik dieses Cultus nicht fremd war. Aber diese Momente selbst, vor allem die erschütternden Accorde des menschlichen Schuldbewußtseins und das »Gedenke gnädig meines Endes!« am Schluß des Confutatis, sodann die rührende Bitte um liebendes Erbarmen im Lacrimosa, – diese Momente entsprachen der vollen religiösen Empfindung ihres Erschaffers wie seinem unübertroffenen künstlerischen Können. Und dies machte eben ihm selbst das Werk so innig lieb: es war sein Schmerzenskind, ja sein Todeslied. Und wenn die Kunst auf diesem Gebiete später eigene und ganz andersgeartete Bahnen zu wandeln hatte, die Sprache des gotterfüllten Herzens und des reinsten Vertrauens auf die ewige Liebe und göttliche Gnade ist doch auch immer in diesem Requiem zu vernehmen, ja sie ist ihr eigenster Hall.
Wir kommen rasch zu Ende: das »Zügenglöcklein« läutet schon, und wehmuthsvoll ist dieses letzte Bild in einem Künstlerleben, wie die Welt nur je eines so reich und glänzend erblickte.
Constanze sah der wachsenden Hinfälligkeit und Schwermuth ihres geliebten Mannes mit wachsender Sorge zu. Sie suchte ihn mit allen Mitteln von der Arbeit zu entfernen und dann durch Gesellschaft zu erheitern. Aber der sonst so Gesellige blieb in sich gekehrt und niedergedrückt und gab nur zerstreute Antworten. Sie fuhr mit ihm ins Freie. Hatte doch von je die Natur auf ihn so befreiend und erheiternd gewirkt, daß gerade auf der Reise er stets am fruchtbarsten schuf und sein »Portefeuille«, wie er die Ledermappe mit Notenpapier in der Seitentasche des Wagens nannte, nah zur Hand sein mußte! So waren sie auch an einem schönen Novembertage miteinander im Prater, und die ersterbende Natur, das Fallen des Laubes mochte um so eher auf Gedanken des Endes der Dinge führen. Mozart begann vom Tode zu sprechen und sagte mit Thränen im Auge: »Ich weiß wohl, das Requiem schreibe ich für mich. Ich fühle mich zu sehr. Gewiß hat man mir Gift gegeben, ich kann mich von diesem Gedanken nicht befreien.« Die völlige Erschlaffung ohne bemerkbaren äußeren Grund konnte ihn leicht auf solchen Argwohn bringen. Wie vermochte er selbst sich vorzustellen, daß seine Kraft eben durch geistige Arbeit aufgezehrt war! Und dann, hatte nicht seit Jahren Sorge und Gram an seinem Leben genagt?
Constanze war aufs äußerste erschreckt und wußte es jetzt dahin zu bringen, daß er ihr die Partitur des Requiems abgab. Auch zog sie den Arzt zu Rathe, und die anempfohlene Ruhe wirkte denn auch bald so günstig, daß er am 15. November für eine neubegründete Loge die Cantate »Das Lob der Freundschaft« zu schreiben und kurz darauf selbst zu dirigiren vermochte. Der Erfolg des Werkes, aus dem eine zu ruhiger Heiterkeit erhobene Stimmung spricht, erfrischte und erhob ihn selbst wieder: er erklärte die Giftgedanken jetzt für Ausgeburt seines Unwohlseins und verlangte das Requiem zurück. Allein nach wenig Tagen befiel ihn die trübe Stimmung von neuem und seine Kräfte schwanden. »Ich fühle, daß es bald ausmusizirt sein wird,« sagte er eines Tages in der »Silbernen Schlange« zu dem getreuen Hausmeister, der ihn einst mit Constanze im Zimmer umhertanzend gefunden, gab ihm seinen Wein hin und bestellte ihn auf den andern Morgen zu einer Besorgung. Aber schon an der Thüre empfing diesen dann die Magd mit der Nachricht der heftigen Erkrankung ihres Herrn über Nacht, und Mozart selbst sah ihn aus seinem Bette starr an und sagte: »Joseph, heute ist's nichts, wir haben heute zu thun mit Doctors und Apothekers.«
Er verließ das Bette nicht mehr, und bald traten schlimmere Symptome auf. Die Besinnung schwand keinen Augenblick, eben so wenig seine liebenswürdige Milde und Güte. Aber tiefe Wehmuth zog um Frau und Kinder in sein Herz. Gerade jetzt waren bessere Aussichten für ihn eingetreten: der ungarische Adel und reiche Amsterdamer Musikfreunde verlangten gegen alljährliches bedeutendes Honorar Compositionen von ihm. Und dann der Erfolg der Zauberflöte! So nimmt er denn auch an diesem den regsten Antheil. »Jetzt ist der erste Act aus! – Jetzt ist die Stelle: Dir, große Königin der Nacht!« sagte er wol abends mit der Uhr neben sich, und noch am Tage vor seinem Tode äußerte er: »Constanze, könnte ich doch noch einmal meine Zauberflöte hören!« und summte dabei mit kaum vernehmbarer Stimme den »Vogelfänger«.
Aber noch mehr lag ihm das Requiem am Herzen, dessen Hauptzüge soweit skizzirt waren, daß sie sein Schüler Süßmayr, der auch die Recitative zum Titus geschrieben hatte, später auszuführen vermochte. Noch am Nachmittag vor der letzten Nacht seines Lebens ließ er sich die Partitur ans Bett bringen. Der Tamino von Schikaneders Truppe nahm den Sopran, Sarastro den Baß, Schwager Hofer den Tenor und Mozart wie gewöhnlich den Alt. So waren sie durch die sechs Sätze bis zu jenem Lacrimosa gelangt, als Mozart plötzlich zu weinen anfing und die Partitur beiseite legte: die Vorstellung des herannahenden Endes und der allerbarmenden ewigen Liebe erfüllten sein Herz mit jener unsagbaren Empfindung, die es wehmuthvoll beseligt überquellen macht. Wir fühlen dies deutlich aus den unnennbar mild versöhnenden Tönen, womit Mozart jenen Thränentag, an dem die ewige Gnade und Güte die ewige Schuld des Menschen auszugleichen hat, in diesem Satze des Werkes dargestellt hat.
Am Abend kam seine Schwägerin Sophie. »Ach gut, liebe Sophie, daß Sie da sind. Sie müssen heute Nacht dableiben, Sie müssen mich sterben sehen.« Und als sie ihm abwehrend entgegnete, sagte er: »Ich habe ja schon den Todesgeschmack auf der Zunge, ich rieche den Tod und wer wird dann meiner liebsten Constanze beistehen?« Constanze bat sie darauf einen Geistlichen zu holen, aber es kostete viel Mühe, einen solchen zu bewegen. War der Kranke doch Freimaurer und dieser Orden allerdings zugleich gegen mancherlei Institutionen der Kirche gerichtet.
Als sie zurückkam, fand sie Süßmayr an seinem Bette: Mozart setzte ihm die weitere Ausarbeitung des Requiems auseinander. »Habe ich es nicht gesagt, daß ich es für mich schreibe?« sagte er dabei. Am Abend trat die letzte Krisis ein. Kalte Umschläge auf den glühenden Kopf erschütterten ihn so, daß er nicht mehr zum Bewußtsein kam. »Sein Letztes war noch, wie er mit seinem Munde die Pauken in seinem Requiem ausdrücken wollte, das höre ich noch jetzt,« schreibt 85 Jahre später die Schwägerin Sophie. Gegen Mitternacht richtete er sich auf, seine Augen waren starr. Dann wandte er das Haupt gegen die Wand und schien einzuschlummern. Um ein Uhr morgens, es war der 5. December 1791, war er verschieden.
»Wie grenzenlos elend seine treue Gattin sich auf ihre Kniee warf und den Allmächtigen um seinen Beistand anrief, ist mir unmöglich zu beschreiben,« sagt unser letzter Bericht. Sie warf sich in sein Bett, um an der gleichen Krankheit zu sterben. Als wenn der Grund dieses Todes eine zufällige Krankheit gewesen wäre! Wie denn auch die drei ärztlichen Gutachten jedes eine verschiedene Angabe über die Ursache dieses frühen Sterbens machten: Gehirnentzündung, Frieselfieber, Wassersucht!
Schaarenweise gingen die Menschen um das Haus in der Rauhensteingasse, wo die Wohnung war, und weinten laut. »Wo er so oft in armer Wittwen Hütten die ungezählte Gabe trug,« heißt es in dem Trauergedichte des Freimaurerordens auf ihn. Der Besitzer des Kunstcabinets, für den jene beiden Fantasien in Fmoll geschrieben, kam und »drückte sein bleiches erstorbenes Gesicht in Gyps ab«: die beiden erhabenen instrumentalen Traueroden konnten jetzt zu seinem eigenen Mausoleum dienen.
Für das Begräbniß sorgte van Swieten. Doch da sich nur 60 Gulden im Nachlaß vorfanden, ward ein allgemeines Grab genommen und so wissen wir heute nicht, wo Mozarts Grabesstätte sich befindet. Denn als die erkrankte Constanze später auf den Kirchhof geht, ist ein anderer Todtengräber da, der die Stelle nicht mehr anzugeben vermochte. Auch folgte kein Freund der Bahre bis zum Kirchhof, sie kehrten des schlechten Wetters wegen am Thore um. Der Schädel Mozarts dagegen ist gerettet und befindet sich in Wien: der Sohn des Wärters des Friedhofes hatte ihn heimlich aus dem Grabe wieder hervorgeholt.
Den Abschied von dieser trotz allem Trüben dennoch lichten Künstlererscheinung möge ein Billet aus diesen letzten Tagen bilden, das die milde Gefaßtheit Mozarts in seiner letzten Lebenszeit deutlich redend schildert.
»Geehrtester Herr,« entgegnet er hier dem Warnungsrufe eines Freundes, – das italiänisch verfaßte Autograph befindet sich in London, – »ich würde gern Ihrem Rathe folgen, allein wie es machen? Mein Kopf ist verwirrt, ich sammle mich mit Mühe und kann das Bild dieses Unbekannten nicht von meinen Augen fortbringen. Ich sehe ihn fortwährend, er bittet, er drängt mich und verlangt mit Ungeduld das Werk. Ich arbeite weiter, weil die Arbeit mich weniger erschöpft als die Muße. Sonst habe ich nichts mehr zu fürchten. Ich merke an dem wie ich mich fühle, daß die Stunde schlägt. Ich bin im Bereich des Todes. Ich bin zu Ende gekommen, ehe ich mich meines Talentes gefreut habe. Das Leben war aber dennoch so schön! Die Bahn eröffnete sich unter so glücklichen Auspizien, aber man kann sein Geschick nicht ändern. Keiner bestimmt seine Tage, man muß sich ergeben, es geht wie die Vorsehung will.« –
»Wir wandeln durch des Tones Macht
Froh durch des Todes düstere Nacht,«
so singt ernst und feierlich das so innig beseelte und ideal verklärte Liebespaar in der Zanberflöte, die Mozarts eigenstes Seelenbekenntniß war: es ist das Sinnbild des neuen tiefen Lebensstromes, der der Menschheit in der Musik entquollen ist, und Mozart war bis zum letzten Athemzuge ein geweihter Priester seiner reinigenden und heiligenden Fluten. Seine Schöpfungen werden leben, so lange die Menschheit an dem Leben ihrer eigenen Seele haftet und höhere Nahrung in ihm sucht.
Ende.