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V. Aphorismen und Fragmente

1798–1800

Magischer Idealismus: n»Alles kann am Ende zur Philosophie werden, ...«

Der Gegensatz von Leib und Geist ist Einer der aller merkwürdigsten und gefährlichsten. Große historische Rolle dieses Gegensatzes. [1]

Alles kann am Ende zur Philosphie werden, so z. B. Cervantes' Don Quijote. [2]

Die Philosophie ist, wie alle synthetische Wissenschaft, wie die Mathematik, willkürlich. Sie ist eine ideale, selbsterfundene Methode, das Innre zu beobachten, zu ordnen etc.

Auch kann die Philosophie die unerreichbare Wissenschaft kat exochin, das wissenschaftliche Ideal sein? [3]

Sollte die Natur nicht an sich verständlich sein, gar keines Kommentars bedürftig? Bloße Beschreibung, reine Erzählung hinlänglich? [4]

Die Poesie ist der Held der Philosophie. Die Philosophie erhebt die Poesie zum Grundsatz. Sie lehrt uns den Wert der Poesie kennen. Philosophie ist die Theorie der Poesie. Sie zeigt uns, was die Poesie sei; daß sie Eins und Alles sei. [5]

Die Möglichkeit der Philosophie beruht auf der Möglichkeit Gedanken nach Regeln hervorzubringen, wahrhaft gemeinschaftlich zu denken (Kunst zu symphilosophieren). Ist gemeinschaftliches Denken möglich, so ist ein gemeinschaftlicher Wille, die Realisierung großer, neuer Ideen möglich. [6]

Nur wenn wir uns, als Menschen, mit andern Vernunftwesen vergleichen könnten, würden wir wissen, was wir eigentlich sind, auf welcher Stelle wir stehn. [7]

Die Philosophie soll nicht die Natur, sie soll sich selbst erklären. Alle Befriedigung ist Selbstauflösung. Bedürfnis entsteht durch Entzweiung, fremden Einfluß, Verletzung. Es muß sich selbst wieder ausgleichen. Die Selbstauflösung des Triebes, diese Selbstverbrennung der Illusion, des illusorischen Problems ist eben das Wollüstige der Befriedigung des Triebes. Was ist das Leben anders? Die Verzweiflung, die Todesfurcht ist gerade eine der interessantesten Täuschungen dieser Art. Sthenisch, wie im Trauerspiel fängts an, – asthenisch endigt es und wird gerade dadurch ein befriedigendes Gefühl, ein Pulsschlag unsers sensitiven Lebens. Auch kann es asthenisch anfangen und sthenisch endigen. Es ist eins. Ein Trauerspiel, was zu viel Wehmut hinterläßt, hat nicht sthenisch genug angefangen. Jede Geschichte enthält ein Leben, ein sich selbst auflösendes Problem. So ist jedes Leben eine Geschichte.

Hamlet endigt trefflich: asthenisch fängt er an, sthenisch endigt er. Meister endigt mit der Synthesis der Antinomien, weil er für und vom Verstande geschrieben ist. [8]

Die allgemeinen Ausdrücke der scholastischen Philosophie haben sehr viel Ähnlichkeit mit den Zahlen – daher ihr mystischer Gebrauch, ihre Personifikation, ihr musikalischer Genuß, ihre unendlichfache Kombination.

Alles aus Nichts erschaffne Reale, wie z. B. die Zahlen und die abstrakten Ausdrücke – hat eine wunderbare Verwandtschaft mit Dingen einer andern Welt, mit unendlichen Reihen sonderbarer Kombinationen und Verhältnissen, gleichsam mit einer mathematischen und abstrakten Welt an sich, mit einer poetischen, mathematischen und abstrakten Welt. [9]

Unser Geist ist Verbindungsglied des völlig Ungleichen. [10]

Einige Ausnahmen, oder widersprechende Fälle stoßen ein übrigens bequemes und leicht anwendbares System nicht um, sondern indizieren meistens einen Zufall oder eine fehlende Kombination und Anwendung oder gar fehlerhafte Anwendung des Systems oder der Regel. [11]

In jedem System, Gedanken-Individuo, das nun ein Aggregat oder Produkt etc. sein kann, ist Eine Idee, Eine Bemerkung, oder mehrere vorzüglich gediehn und haben die andern erstickt, oder sind allein übrig geblieben. Im geistigen Natur-System muß man sie überall zusammen suchen, jedem seinen eigentümlichen Boden, Klima, seine beste Pflege, seine eigentümliche Nachbarschaft geben, um ein Ideen-Paradies zu bilden: dies ist das echte System. (Das Paradies ist das Ideal des Erdbodens. Merkwürdige Frage, vom Sitz des Paradieses (Sitz der Seele). (Ein Kunstkenner soll in Beziehung auf die Naturkräfte etc. das sein, was ein botanischer und englischer Garten (Nachahmung des Paradieses) in Beziehung auf den Erdboden und seine Produkte ist: ein verjüngter, konzentrierter, potenzierter Erdboden.)

Das Paradies ist gleichsam über die ganze Erde verstreut, und daher so unkenntlich etc. geworden. Seine zerstreuten Züge sollen vereinigt, sein Skelett soll ausgefüllt werden. Regeneration des Paradieses. [12]

Synthetische Überzeugung ist geglaubtes Wissen oder umgekehrt. Eine Überzeugung entspringt bloß im Verstande. Eine in den Sinnen. Eine im Willen. Harmonische, nicht monotonische Koinzidenz aller drei macht die vollkommne Überzeugung. [13]

Sittlichkeit und Philosophie sind Künste. Erstere ist die Kunst, unter den Motiven zu Handlungen einer sittlichen Idee, einer Kunstidee a priori, gemäß zu wählen und auf diese Art in alle Handlungen einen großen, tiefen Sinn zu legen – dem Leben eine höhere Bedeutung zu geben, und so die Masse innerer und äußrer Handlungen (innere sind die Gesinnungen und Entschließungen) kunstmäßig zu einem idealischen Ganzen zu ordnen und zu vereinigen. Die Andre ist die Kunst, auf eine ähnliche Art mit den Gedanken zu verfahren, unter den Gedanken zu wählen – die Kunst, unsre gesamten Vorstellungen nach einer absoluten, künstlerischen Idee zu produzieren und ein Weltsystem, a priori, aus den Tiefen unsers Geistes heraus zu denken, das Denkorgan aktiv, zur Darstellung einer rein intelligiblen Welt zu gebrauchen. (Kunst, Philosoph zu werden ist die Methodik; Kunst sittlicher Mensch zu werden, die Asketik.)

Eigentlich wird in allen echten Künsten Eine Idee, Ein Geist realisiert – von innen heraus produziert – die Geisterwelt. Für das Auge ist es die sichtbare Welt a priori, für das Ohr die hörbare Welt a priori, für das sittliche Organ die sittliche Welt a priori, für das Denkorgan die denkbare Welt a priori, und so weiter. Alle diese Welten sind nur verschiedene Ausdrücke verschiedner Werkzeuge Eines Geistes und Einer Welt. [14]

Der Akt des sich selbst Überspringens ist überall der höchste, der Urpunkt, die Genesis des Lebens. So ist die Flamme nichts, als ein solcher Akt. So hebt alle Philosophie da an, wo der Philosophierende sich selbst philosophiert, d. h. zugleich verzehrt (bestimmt, sättigt) und wieder erneuert (nicht bestimmt, frei läßt). Die Geschichte dieses Prozesses ist die Philosophie. So hebt alle lebendige Moralität damit an, daß ich aus Tugend gegen die Tugend handle; damit beginnt das Leben der Tugend, durch welches vielleicht die Kapazität ins Unendliche zunimmt, ohne je eine Grenze, d. i. die Bedingung der Möglichkeit ihres Lebens zu verlieren. [15]

Wir werden die Welt verstehn, wenn wir uns selbst verstehn, weil wir und sie integrante Hälften sind. Gotteskinder, göttliche Keime sind wir. Einst werden wir sein, was unser Vater ist. [16]

Wie wir uns durch gewisse Erscheinungen auch zu Hinzudenkungen, nicht bloß zu gewissen Sensationen genötigt fühlen, zu einem bestimmten Supplement und Reglement von Gedanken, z. B. durch eine Menschengestalt, ihr einen geistigen Text unterzulegen, so ist es auch – indem wir an uns selbst denken oder uns selbst betrachten. Wir fühlen uns zu einer ähnlichen Hinzutat von Begriffen und Ideen, zu einem bestimmten Nachdenken genötigt, und dieser gegliederte Zwang und Anlaß ist das Bild unseres Selbst.

Die Regeln unsers Denkens und Empfindens sind das Schema teils des Charakters der Menschheit überhaupt, teils unserer individuellen Menschheit. Indem wir uns selbst betrachten, fühlen wir uns auf eine mehr oder weniger deutlich bestimmte Weise genötigt, uns so und nicht anders zu entwerfen, zu denken etc.

Lithocharakteristik. Eine mittelbare Sensation – eine Sensation der Sensation ist ein halber Gedanke – ist vielleicht schon ein Gedanke. [17]

Der Sinn der Sokratie ist, daß die Philosophie überall oder Nirgends sei, und daß man mit leichter Mühe am Ersten, Besten sich überall orientieren und das finden könne, was man suche. Sokratie ist die Kunst, von jedem gegebenen Orte aus, den Stand der Wahrheit zu finden, und so die Verhältnisse des Gegebenen zur Wahrheit genau zu bestimmen. [18]

Es ist nicht das Wissen allein, was uns glücklich macht, es ist die Qualität des Wissens, die subjektive Beschaffenheit des Wissens. Vollkommnes Wissen ist Überzeugung; und sie ist's, die uns glücklich macht und befriedigt. Totes – lebendiges Wissen. [19]

Romantische Theorie: »Die Welt muß romantisiert werden.«

Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarythmisiert – es bekommt einen geläufigen Ausdruck. Romantische Philosophie. Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedrigung. [20]

Nur ein Künstler kann den Sinn des Lebens erraten. [21]

Die Menschheit ist der höhere Sinn unsers Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der oberen Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt. [22]

Wir sollen nicht bloß Menschen, wir sollen auch mehr als Menschen sein. Oder Mensch ist überhaupt soviel als Universum. Es ist nichts Bestimmtes. Es kann und soll etwas Bestimmtes und Unbestimmtes zugleich sein. [23]

Man kann sagen, daß die Natur oder die Außenwelt über dem Menschen in Rücksicht auf Organisation sei; man kann sagen, daß sie unter ihm, und er das höchste Wesen sei.

Sie scheint einem weit höhern Ganzen anzugehören. Ihr Wille, Verstand und Phantasie scheinen sich zu den Unsrigen zu verhalten, wie unser Körper zu ihrem Körper. [24]

Alle Erinnerung ist Gegenwart. Im reinern Element wird alle Erinnerung uns wie notwendige Vordichtung erscheinen. [25]

Eine seltsame Ähnlichkeit, einen Irrtum, irgend einen Zufall zusammen: so entstehn wunderliche Einheiten und eigentümliche Verknüpfungen – und Eins erinnert an alles, wird das Zeichen vieler und wird selbst von vielen bezeichnet und herbeigerufen. Verstand und Phantasie werden durch Zeit und Raum auf das sonderbarste vereinigt, und man kann sagen, daß jeder Gedanke, jede Erscheinung unsers Gemüts das individuellste Glied eines durchaus eigentümlichen Ganzen ist. [26]

In unserm Gemüt ist alles auf die eigenste, gefälligste und lebendigste Weise verknüpft. Die fremdesten Dinge kommen durch Einen Ort, Eine Zeit. [27]

Der allgemeine, innige, harmonische Zusammenhang ist nicht, aber er soll sein. (Folgerungen auf Magie, Astrologie etc. Es sind Schemata der Zukunft, der absoluten Gegenwart.) (Soll sein – Soll dasein.) [28]

Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabs. Alles kann zum Zauberwerkzeug werden. Wem aber die Wirkungen einer solchen Berührung so fabelhaft, wem die Wirkungen eines Zauberspruchs so wunderbar vorkommen, der erinnre sich doch nur an die erste Berührung der Hand seiner Geliebten, an ihren ersten, bedeutenden Blick, wo der Zauberstab der abgebrochne Lichtstrahl ist, an den ersten Kuß, an das erste Wort der Liebe, – und frage sich, ob der Bann und Zauber dieser Momente nicht auch fabelhaft und wundersam, unauflöslich und ewig ist? [29]

Ich == Nicht-Ich: höchster Satz aller Wissenschaft und Kunst. [30]

Elemente des Romantischen. Die Gegenstände müssen, wie die Töne der Äolsharfe, dasein, auf einmal, ohne Veranlassung – ohne ihr Instrument zu verraten. [31]

Zentripetalkraft ist das synthetische Bestreben; Zentrifugalkraft das analytische Bestreben des Geistes; Streben nach Einheit – Streben nach Mannigfaltigkeit. Durch wechselseitige Bestimmung beider durch Einander wird jene höhere Synthesis der Einheit und Mannigfaltigkeit selbst hervorgebracht, durch die Eins in Allem und Alles in Einem ist. [32]

Sollte es nicht ein Vermögen in uns geben, was dieselbe Rolle hier spielte, wie die Veste außer uns, der Äther, jene unsichtbar sichtbare Materie, der Stein der Weisen, der überall und nirgends, alles und nichts ist? Instinkt oder Genie heißen wir sie, sie ist überall vorher. Sie ist die Fülle der Zukunft, die Zeitenfülle überhaupt – in der Zeit, was der Stein der Weisen im Raum ist: Vernunft, Phantasie, Verstand und Sinn (Bedeutung 3–5 Sinne) sind nur ihre einzelnen Funktionen. [33]

Sonderbar, daß das Innre der Menschen bisher nur so dürftig betrachtet und so geistlos behandelt worden ist. Die sogenannte Psychologie gehört auch zu den Larven, die die Stellen im Heiligtum eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehn sollten. Wie wenig hat man noch die Physik für das Gemüt, und das Gemüt für die Außenwelt benutzt. Verstand, Phantasie, Vernunft, das sind die dürftigen Fachwerke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Übergängen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue, ungenannte Kräfte aufzusuchen, – ihren geselligen Verhältnissen nachzuspüren. Wer weiß, welche wunderbare Vereinigungen, welche wunderbare Generationen uns noch im Innern bevorstehn. [34]

Das Wort Stimmung deutet auf musikalische Seelenverhältnisse. Die Akustik der Seele ist noch ein dunkles, vielleicht aber sehr wichtiges Feld. Harmonische und disharmonische Schwingungen. [35]

Wir haben zwei Systeme von Sinnen, die so verschieden sie auch erscheinen, doch auf das innigste miteinander verwebt sind. Ein System heißt der Körper, Eins die Seele. Jenes steht in der Abhängigkeit von äußern Reizen, deren Inbegriff wir die Natur oder die äußre Welt nennen. Dieses steht ursprünglich in der Abhängigkeit eines Inbegriffs innerer Reize, den wir den Geist nennen, oder die Geisterwelt. Gewöhnlich steht dieses letztere System in einen Assoziationsnexus mit dem andern System, und wird von diesem affiziert. Dennoch sind häufige Spuren eines umgekehrten Verhältnisses anzutreffen, und man bemerkt bald, daß beide Systeme eigentlich in einem vollkommenen Wechselverhältnisse stehn sollten, in welchem jedes von seiner Welt affiziert, einen Einklang, keinen Einton bildete. Kurz, beide Welten, so wie beide Systeme sollen eine freie Harmonie, keine Disharmonie oder Monotonie bilden. Der Übergang von Monotonie zur Harmonie, wird freilich durch Disharmonie gehn – und nur am Ende wird eine Harmonie entstehn. In der Periode der Magie dient der Körper der Seele, oder der Geisterwelt. (Wahnsinn – Schwärmerei.)

Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf Wahnsinn zu sein und wird Magie, Wahnsinn nach Regeln und mit vollem Bewußtsein.

Alle Künste und Wissenschaften beruhn auf partiellen Harmonien. (Poeten, Wahnsinnige, Heilige, Propheten.) [36]

Alle Überzeugung ist unabhängig von der Naturwahrheit. Sie bezieht sich auf die magische, oder die Wunderwahrheit. Von der Naturwahrheit kann man nur überzeugt werden, insofern sie Wunderwahrheit wird. Aller Beweis fußt auf Überzeugung, und ist mithin nur ein Notbehelf im Zustand des Mangels an durchgängiger Wunderwahrheit. Alle Naturwahrheiten beruhen demnach ebenfalls auf Wunderwahrheit. [37]

Die Welt hat eine ursprüngliche Fähigkeit, durch mich belebt zu werden.

Sie ist überhaupt a priori von mir belebt – Eins mit mir. Ich habe eine ursprüngliche Tendenz und Fähigkeit, die Welt zu beleben. Nun kann ich aber mit nichts in Verhältnis treten, was sich nicht nach meinem Willen richtet, oder ihm gemäß ist. Mithin muß die Welt die ursprüngliche Anlage haben, sich nach mir zu richten, meinem Willen gemäß zu sein.

Meine geistige Wirksamkeit, meine Realisation von Ideen, wird also keine Dekomposition und Umschaffung der Welt – wenigstens nicht, insofern ich Mitglied dieser bestimmten Welt bin – sein können, sondern es wird nur eine Variations-Operation sein können. Ich werde unbeschadet der Welt und ihrer Gesetze, mittelst derselben, sie für mich ordnen, einrichten und bilden können. Diese höhere Bildung streitet mit der mindern nicht, sie geht, unbeschadet dieser, ihren Weg und benutzt die Welt, die eben deshalb Welt ist, weil sie sich nicht vollständig und total bestimmt – und also noch mannigfach anderwärts her bestimmbar bleibt – welches bei einem vollkommnen, vernünftigen Individuo nicht der Fall ist – zu beliebigen Zwecken.

Zur Welt gehört also alles, was sich nicht absolut vollständig bestimmt – was einem andern Wesen noch zu mannigfachen Behuf dienen kann, ohne daß es davon weiß und dadurch gestört und im Wesentlichen verändert wird.

Ein vollkommen vernünftiges Wesen kann nicht einmal gedacht werden – ohne um diesen Gedanken zu wissen und ihn mit zu bestimmen. (Gott etc.)

(Ein organischer Körper gehört in Rücksicht seiner innigen Gemeinschaft – und seines Grundsatzes: Alle für Einen und Einer für alle, nicht ganz in die Welt – er ist ein gemischtes Produkt.) [38]

Der tätige Gebrauch der Organe ist nichts, als magisches, wundertätiges Denken, oder willkürlicher Gebrauch der Körperwelt; denn Wille ist nichts, als magisches, kräftiges Denkvermögen. [39]

Schlegels übersehn, indem sie von der Absichtlichkeit und Künstlichkeit der Shakespearschen Werke reden, daß die Kunst zur Natur gehört, und gleichsam die sich selbst beschauende, sich selbst nachahmende, sich selbst bildende Natur ist. Die Kunst einer gut entwickelten Natur ist freilich von der Künstelei des Verstandes, des bloß räsonierenden Geistes himmelweit verschieden. Shakespeare war kein Kalkulator, kein Gelehrter, er war eine mächtige, buntkräftige Seele, deren Erfindungen und Werke, wie Erzeugnisse der Natur, das Gepräge des denkenden Geistes tragen und in denen auch der letzte scharfsinnige Beobachter noch neue Übereinstimmungen mit dem unendlichen Gliederbau des Weltalls, Begegnungen mit spätern Ideen, Verwandtschaften mit den höhern Kräften und Sinnen der Menschheit finden wird. Sie sind sinnbildlich und vieldeutig, einfach und unerschöpflich, wie jene (die Erzeugnisse der Natur), und es dürfte nichts sinnloseres von ihnen gesagt werden können, als daß sie Kunstwerke in jener eingeschränkten, mechanischen Bedeutung des Wortes seien. [40]

Die Denkorgane sind die Weltzeugungs-, die Naturgeschlechtsteile.

Die Blüte ist das Symbol des Geheimnisses unsers Geistes. [41]

Auf dieselbe Art, wie wir unser Denkorgan in beliebige Bewegung setzen, seine Bewegung beliebig modifizieren, dieselbe und ihre Produkte beobachten und mannigfaltig ausdrücken – auf dieselbe Art, wie wir die Bewegungen des Denkorgans zur Sprache bringen, wie wir sie in Gebärden äußern, in Handlungen ausprägen, wie wir uns überhaupt willkürlich bewegen und aufhalten, unsre Bewegungen vereinigen und vereinzeln, auf eben dieselbe Art müssen wir auch die innern Organe unsers Körpers bewegen, hemmen, vereinigen und vereinzeln lernen. Unser ganzer Körper ist schlechterdings fähig, vom Geist in beliebige Bewegung gesetzt zu werden. Die Wirkungen der Furcht, des Schreckens, der Traurigkeit, des Zorns, des Neides, der Scham, der Freude, der Phantasie etc. sind Indikationen genug. Überdem aber hat man genugsam Beispiele von Menschen, die eine willkürliche Herrschaft über einzelne, gewöhnlich der Willkür entzogene Teile ihres Körpers erlangt haben. Dann wird jeder sein eigner Arzt sein, und sich ein vollständiges, sichres und genaues Gefühl seines Körpers erwerben können, dann wird der Mensch erst wahrhaft unabhängig von der Natur, vielleicht im Stande sogar sein, verlorne Glieder zu restaurieren, sich bloß durch seinen Willen zu töten und dadurch erst wahre Aufschlüsse über Körper, Seele, Welt, Leben, Tod und Geisterwelt zu erlangen. Es wird vielleicht nur von ihm dann abhängen, einen Stoff zu beseelen. Er wird seine Sinne zwingen, ihm die Gestalt zu produzieren, die er verlangt, und im eigentlichsten Sinn in seiner Welt leben können. Dann wird er vermögend sein, sich von seinem Körper zu trennen, wenn er es für gut findet; er wird sehn, hören und fühlen, was, wie und in welcher Verbindung er will.

Fichte hat den tätigen Gebrauch des Denkorgans gelehrt – und entdeckt. Hat Fichte etwa die Gesetze des tätigen Gebrauchs der Organe überhaupt entdeckt? Intellektuale Anschauung ist nichts anders. [42]

Unsre innre Welt muß der äußern durchaus bis in die kleinsten Teile korrespondieren, denn sie sind sich im Ganzen entgegengesetzt. Was sich dort so entgegengesetzt ist, ist sich hier umgekehrt entgegengesetzt oder durch einander bestimmt; lauter antithetische Bestimmungen. [43]

Sonderbar, daß eine absolute, wunderbare Synthesis oft die Achse des Märchens – oder das Ziel desselben ist. [44]

Ein Märchen ist wie ein Traumbild, ohne Zusammenhang. Ein Ensemble wunderbarer Dinge und Begebenheiten, z. B. eine musikalische Phantasie, die harmonischen Folgen einer Äolsharfe, die Natur selbst.

Wird eine Geschichte ins Märchen gebracht, so ist dies schon eine fremde Einmischung. Eine Reihe artiger und unterhaltender Versuche, ein abwechselndes Gespräch, eine Redute sind Märchen. Ein höheres Märchen wird es, wenn, ohne den Geist des Märchens zu verscheuchen, irgend ein Verstand (Zusammenhang, Bedeutung etc.) hinein gebracht wird. Sogar nützlich könnte vielleicht ein Märchen werden.

Der Ton des bloßen Märchens ist abwechselnd – er kann aber auch einfach sein. (Bestimmte Theorie der Märchen.) [45]

Das Leben ist etwas, wie Farben, Töne und Kraft. Der Romantiker studiert das Leben, wie der Maler, Musiker und Mechaniker Farbe, Ton und Kraft. Sorgfältiges Studium des Lebens macht den Romantiker, wie sorgfältiges Studium von Farbe, Gestaltung, Ton und Kraft den Maler, Musiker und Mechaniker. [46]

Die Synthesis von Seele und Leib heißt Person. Die Person verhält sich zum Geist wieder wie der Körper zur Seele. Sie zerfällt auch einst und geht in veredelter Gestalt wieder hervor. [47]

Mir scheint ein Trieb in unsern Tagen allgemein verbreitet zu sein – die äußre Welt hinter künstliche Hüllen zu verstecken – vor der offnen Natur sich zu schämen und durch Verheimlichung und Verborgenheit der Sinnenwesen eine dunkle Geisterkraft ihnen beizulegen. Romantisch ist der Trieb gewiß – allein der kindlichen Unschuld und Klarheit nicht vorteilhaft; besonders bei Geschlechtsverhältnissen ist dies bemerklich. [48]

Der vollendete Mensch muß gleichsam zugleich an mehreren Orten und in mehreren Menschen leben – ihm müssen beständig ein weiter Kreis und mannigfache Begebenheiten gegenwärtig sein. Hier bildet sich dann die wahre, großartige Gegenwart des Geistes, die den Menschen zum eigentlichen Weltbürger macht und ihn in jedem Augenblicke seines Lebens durch die wohltätigsten Assoziationen reizt, stärkt, und in die helle Stimmung einer besonnenen Tätigkeit versetzt. [49]

Tätigkeit ist die eigentliche Realität. (Weder Gegenstand noch Zustand sind allein, rein zu denken. Durchs Reflektieren mischt sich das Entgegengesetzte hinein, und selbst schon durchs Streben, Begehren, denn beides sind identische Handlungen. Der Begriff der Identität muß den Begriff der Tätigkeit enthalten, des Wechsels in sich selber. Zwei Zusammengesetzte sind die höchste Sphäre, zu der wir uns erheben können.)

(Gott ist die unendliche Tätigkeit. Natur der unendliche Gegenstand, Ich der unendliche Zustand. Alles dreies sind Abstrakte. Alles dreies ist Eins. Sie sind nicht getrennt als in sich selber, in der Reflexion, die aus allen dreien besteht.)

Was Ich – ist durch die Tätigkeit. Insofern Gegenstand und Zustand sind, stehn sie unter den Gesetzen der Tätigkeit i. e. sie sind tätig. Tätigkeit ist Urkaft des Accidens, es ist das unendliche Accidentielle. Zustand und Gegenstand sind das unendlich Substantielle. Tätigkeit zerfällt wie Stand in zwei Teile ursprünglich: reale, ideale oder positive, negative oder aktive, passive. Auch von der Tätigkeit gilt die Regel: daß man sie nur in Verbindung, nicht allein wahrnehmen kann. Sie (ist) immer im Verhältnis zu Gegenstand und Zustand.

(Es ist töricht durch eine solvierende Handlung ein resolviertes Produkt bekommen zu wollen, durch eine bindende Handlung das Gebundene zu trennen. Was zertrennt werden soll, muß gebunden sein, was verbunden werden soll, getrennt. Hieraus ergibt sich die in der Natur der Sache überhaupt liegende Unmöglichkeit, ein sogenanntes reines, einfaches Produkt zu erhalten, da jedes Produkt als solches nur im Trennenden aufgestellt werden kann. Alles Getrennte wird im Verbundnen, alles Verbundne im Trennenden wahrgenommen. [50]

Sollten die Körper und Figuren die Substantiva – die Kräfte die Verba – und die Naturlehre Dechiffrierkunst sein? [51]

Aller innere Sinn ist Sinn für Sinn. [52]

Es gibt manche Blumen auf dieser Welt, die überirdischen Ursprungs sind, die in diesem Klima nicht gedeihen, und eigentliche Herolde, rufende Boten eines bessern Daseins sind. Unter diese Boten gehören vorzüglich Religion und Liebe. Das höchste Glück ist, seine Geliebte gut und tugendhaft zu wissen, die höchste Sorge ist die Sorge für ihren Edelsinn. Aufmerksamkeit auf Gott, und Achtsamkeit auf jene Momente, wo der Strahl einer himmlischen Überzeugung und Beruhigung in unsre Seelen einbricht, ist das Wohltätigste, was man für sich und seine Lieben haben kann. [53]

Wir sind mit dem Unsichtbaren näher als mit dem Sichtbaren verbunden, (mystischer Republikaner). [54]

Zur Welt suchen wir den Entwurf: dieser Entwurf sind wir selbst. Was sind wir? Personifizierte, allmächtige Punkte. Die Ausführung, als Bild des Entwurfs, muß ihm aber auch in der Freitätigkeit und Selbstbeziehung gleich sein, und umgekehrt. Das Leben oder das Wesen des Geistes besteht also in Zeugung, Gebärung und Erziehung seinesgleichen. Nur insofern der Mensch also mit sich selbst eine glückliche Ehe führt, und eine schöne Familie ausmacht, ist er überhaupt ehe- und familienfähig.

Man muß sich nie gestehen, daß man sich selbst liebt. Das Geheimnis dieses Geständnisses ist das Lebens-Prinzip der allein wahren und ewigen Liebe. Der erste Kuß in diesem Verständnisse ist das Prinzip der Philosophie, der Ursprung einer neuen Welt, der Anfang der absoluten Zeitrechnung, die Vollziehung eines unendlich wachsenden Selbstbundes.

Wem gefiele nicht eine Philosophie, deren Keim ein erster Kuß ist? Liebe popularisiert die Personalität, sie macht Individualitäten mitteilbar und verständlich. (Liebesverständnis.) [55]

Nur das Unvollständige kann begriffen werden, kann uns weiter führen. Das Vollständige wird nur genossen. Wollen wir die Natur begreifen, so müssen wir sie als unvollständig setzen, um so zu einem unbekannten Wechselgliede zu gelangen. Alle Bestimmung ist relativ. [56]

Wolkenspiel – Naturspiel (ist) äußerst poetisch. Die Natur ist eine Äolsharfe, sie ist ein musikalisches Instrument, dessen Töne wieder Tasten höherer Saiten in uns sind. (Ideenassoziation.) [57]

Eine wahrhafte Liebe zu einer leblosen Sache ist wohl gedenkbar, auch zu Pflanzen, Tieren, zur Natur – ja, zu sich selbst. Wenn der Mensch erst ein wahrhaft innerliches Du hat, so entsteht ein höchst geistiger und sinnlicher Umgang, und die heftigste Leidenschaft ist möglich. Genie ist vielleicht nichts, als Resultat eines solchen innern Plurals. Die Geheimnisse dieses Umgangs sind noch sehr unbeleuchtet. [58]

Die Natur hat Kunstinstinkt – daher ist es Geschwätz, wenn man Natur und Kunst unterscheiden will. Beim Dichter sind sie höchstens dadurch verschieden, daß sie durchaus verständig und nicht leidenschaftlich sind, welches sie von denjenigen Menschen unterscheidet, die aus Affekt unwillkürlich musikalische, poetische oder überhaupt interessante Erscheinungen werden. [59]

Der Traum ist oft bedeutend und prophetisch, weil er eine Naturseelenwirkung ist und also auf Assoziationsordnung beruht. Er ist, wie Poesie bedeutend, – aber auch darum unregelmäßig bedeutend, – durchaus frei. [60]

Ehemals war alles Geistererscheinung. Jetzt sehn wir nichts als tote Wiederholung, die wir nicht verstehn. Die Bedeutung der Hieroglyphe fehlt. Wir leben noch von der Frucht besserer Zeiten. [61].

Aller Zufall ist wunderbar, Berührung eines höhern Wesens, ein Problem, Datum des tätig religiösen Sinns.

(Verwandlung in Zufall.)

Wunderbare Worte und Formeln. (Synthesis des Willkürlichen und Unwillkürlichen.)

(Flamme zwischen Nichts und Etwas.)[62]

Die Sprache ist für die Philosophie, was sie für Musik und Malerei ist, nicht das rechte Medium der Darstellung. [63]

Hier ist Amerika oder nirgends. Philosophische Zusätze und Corollarien zu diesem Text. [64]

Vielleicht kann man mittelst eines dem Schachspiel ähnlichen Spiels Gedankenkonstruktionen zustande bringen. Das ehemalige logische Disputierspiel glich ganz einem Brettspiel. [65]

In allen wahrhaften Schwärmern und Mystikern haben höhere Kräfte gewirkt – freilich sind seltsame Mischungen und Gestalten daraus entstanden. Je roher und bunter der Stoff, je geschmackloser, je unausgebildeter und zufälliger der Mensch war, desto sonderbarer seine Geburten. Es dürfte größestenteils verschwendete Mühe sein, diese wunderliche, groteske Masse zu säubern, zu läutern und zu erklären – wenigstens ist jetzt die Zeit noch nicht da, wo sich dergleichen Arbeiten mit leichter Mühe verrichten ließen. Dies bleibt den künftigen Historikern der Magie vorbehalten. Als sehr wichtige Urkunden der allmählichen Entwicklung der magischen Kraft sind sie sorgfältiger Aufbewahrung und Sammlung wert.

Magie ist Kunst, die Sinnenwelt willkürlich zu gebrauchen. [66]

Man ist allein mit allem was man liebt. [67]

Der erste Mensch ist der erste Geisterseher. Ihm erscheint alles als Geist. Was sind Kinder anders, als erste Menschen? Der frische Blick des Kindes ist überschwenglicher, als die Ahndung des entschiedensten Sehers. [68]

Die Kinder sind Antiken. Nicht alle Kinder aber sind Kinder. Auch die Jugend ist antik. Aber auch nicht alle Jünglinge sind Jünglinge. [69]

Menschen halten und sich herzlich lieb haben und verehren. [70]

Einem gelang es, – er hob den Schleier der Göttin zu Sais –

Aber was sah er? er sah – Wunder des Wunders – sich selbst. [71]

Religionsphilosophie: »Der Tod ist das romantisierende Prinzip ...«

Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung, Offenbarung des Geistes. Die Zeit ist nicht mehr, wo der Geist Gottes verständlich war. Der Sinn der Welt ist verloren gegangen. Wir sind beim Buchstaben stehn geblieben. Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verloren. – Formularwesen. Ehemals war alles Geisterscheinung, jetzt sehen wir nichts als tote Wiederholung, die wir nicht verstehen. Die Bedeutung der Hieroglyphe fehlt. Wir leben noch von der Frucht besserer Zeiten. [72]

Die Welt ist auf jeden Fall Resultat einer Wechselwirkung zwischen mir und der Gottheit. Alles was ist und entsteht, entsteht aus einer Geisterberührung. Die äußere Sollizitation ist nur in Ermangelung innrer Selbstheterogenisierung – und Berührung. [73]

Alle unsre Neigungen scheinen nichts als angewandte Religion zu sein. Das Herz scheint gleichsam das religiöse Organ. Vielleicht ist das höhere Erzeugnis des produktiven Herzens – nichts anders als der Himmel. Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenständen, sich selbst empfindet, sich selbst zu einem idealischen Gegenstande macht, entsteht Religion. Alle einzelnen Neigungen vereinigen sich in Eine, deren wunderbares Objekt ein höheres Wesen, eine Gottheit ist; daher echte Gottesfurcht alle Empfindungen und Neigungen umfaßt. Dieser Naturgott ißt uns, gebiert uns, spricht mit uns, erzieht uns, beschläft uns, läßt sich von uns essen, von uns zeugen und gebären; kurz ist der unendliche Stoff unsrer Tätigkeit und unsers Leidens.

Machen wir die Geliebte zu einem solchen Gott, so ist dies angewandte Religion. [74]

Historie ist angewandte Moral und Religion, auch angewandte Anthropologie im allgemeinern Sinne. Daher der wunderbare Zusammenhang der Geschichte mit unsrer Bestimmung – des Christentums und der Moral.

Wir tragen die Lasten unsrer Väter, wie wir ihr Gutes empfangen haben, und so leben die Menschen in der Tat in der ganzen Vergangenheit und Zukunft und nirgends weniger als in der Gegenwart.

Der heilige Geist ist mehr, als die Bibel. Er soll unser Lehrer des Christentums sein nicht toter, irdischer, zweideutiger Buchstabe. [75]

Der Tod ist das romantisierende Prinzip unsers Lebens. Der Tod ist – das Leben [?]. – Durch den Tod wird das Leben verstärkt. [76]

Es ist sonderbar, daß nicht längst die Assoziation von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat. [77]

Religionslehre ist davon ganz abgesondert. Sie kann nur religiösen Menschen verständlich und religiös nutzbar sein.

Religion kann man nicht anders verkündigen, wie Liebe und Patriotism. Wenn man jemand verliebt machen wollte, wie finge man das wohl an? [78]

Wo der Mensch seine Realität hinsetzt, was er fixiert, das ist sein Gott, seine Welt, sein Alles. Relativität der Moralität. (Liebe.) Unsre pedantischen Grundsätze. (Was gefällt, was mißfällt, was zieht uns an, was stößt uns ab?) – Realität der menschlichen Phantasie und des Willens. Freiheit der Selbstbestimmung, des Schicksals etc. – Mich muß sogar das mir Unangenehme an andern Menschen interessieren. [79]

Über das irdische Individuum – das himmlische Individuum und ihre Verhältnisse. (Gott ist die Weltseele der Idealwelt.) [80]

Wie das Auge nur Augen sieht – so der Verstand nur Verstand, die Seele Seelen, die Vernunft Vernunft, der Geist Geister etc., die Einbildungskraft nur Einbildungskraft, die Sinne Sinne; Gott 'wird nur durch einen Gott erkannt. [81]

Das sind glückliche Leute, die überall Gott vernehmen, überall Gott finden, diese Leute sind eigentlich religiös. Religion ist Moral in der höchsten Dignität, wie Schleiermacher vortrefflich gesagt hat. [82]

Dem echt Religiösen ist nichts Sünde. [83]

Wer Gott einmal suchen will, der findet ihn überall. [84]

Romantische Literaturwissenschaft: »Der echte Dichter ist allwissend; ...«

Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizism gemein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das Notwendig-Zufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare etc. Kritik der Poesie ist ein Unding. Schwer schon ist zu entscheiden, doch einzig mögliche Entscheidung, ob etwas Poesie sei oder nicht. Der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt, dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigentlichsten Sinn (das) Subjekt-Objekt vor – Gemüt und Welt. Daher die Unendlichkeit eines guten Gedichts, die Ewigkeit. Der Sinn für Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn der Weissagung und dem religiösen, dem Sehersinn überhaupt. Der Dichter ordnet, vereinigt, wählt, erfindet – und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders. [85]

Die Poesie schaltet und waltet mit Schmerz und Kitzel, mit Lust und Unlust, Irrtum und Wahrheit, Gesundheit und Krankheit. Sie mischt alles zu ihrem großen Zweck der Zwecke – der Erhebung des Menschen über sich selbst. [86]

Es liegt nur an der Schwäche unsrer Organe und der Selbstberührung, daß wir uns nicht in einer Feenwelt erblicken. Alle Märchen sind nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist. Die höhern Mächte in uns, die einst als Genien unsern Willen vollbringen werden, sind jetzt Musen, die uns auf dieser mühseligen Laufbahn mit süßen Erinnerungen erquicken. [87]

(Das Genie überhaupt ist poetisch. Wo das Genie gewirkt hat – hat es poetisch gewirkt. Der echt moralische Mensch ist Dichter.) [88]

Der Zauberer ist Poet. Der Prophet ist zum Zauberer, wie der Mann von Geschmack zum Dichter. [89]

Der echte Dichter ist allwissend; er ist eine wirkliche Welt im Kleinen. [90]

Worin eigentlich das Wesen der Poesie besteht, läßt sich schlechthin nicht bestimmen. Es ist unendlich zusammengesetzt und doch einfach. Schön, romantisch, harmonisch sind nur Teilausdrücke des Poetischen. [91]

Höchst sonderbar ist die Ähnlichkeit unsrer heiligen Geschichte mit Märchen: anfänglich eine Bezauberung, dann die wunderbare Versöhnung etc. die Erfüllung der Verwünschungsbedingung.

Wahnsinn und Bezauberung haben viel Ähnlichkeit. Ein Zauberer ist ein Künstler des Wahnsinns. [92]

Die Schreibart des Romans muß kein Kontinuum, es muß ein in jeden Perioden gegliederter Bau sein. Jedes kleine Stück muß etwas Abgeschnittnes, Begrenztes, ein eignes Ganzes sein. [93]

Tadle nichts Menschliches. Alles ist gut, nur nicht überall, nur nicht immer, nur nicht für alle. So mit der Kritik. Bei Beurteilung von Gedichten z. B. nehme man sich in acht mehr zu tadeln als, streng genommen, eigentlicher Kunstfehler, Mißton in jeder Verbindung ist. Man weise möglichst genau jedem Gedichte seinen Bezirk an, und dies wird Kritik genug für den Wahn ihrer Verfasser sein. Denn nur in dieser Hinsicht sind Gedichte zu beurteilen, ob sie einen weiten oder engen, einen nahen oder entlegnen, einen finstren oder hellen, einen hellen oder dunkeln, erhabnen oder niedrigen Standort haben wollen. So schreibt Schiller für wenige, Goethe für viele. Man ist heutzutage zu wenig darauf bedacht gewesen, die Leser anzuweisen, wie das Gedicht gelesen werden muß, unter welchen Umständen es allein gefallen kann. Jedes Gedicht hat seine Verhältnisse zu den mancherlei Lesern und den vielfachen Umständen. Es hat seine eigne Umgebung, seine eigne Welt, seinen eignen Gott. [94]

Kurz, man verliert die Lust am Mannigfaltigen, je mehr man Sinn für die Unendlichkeit des Einzelnen bekommt. Man lernt das mit Einem Instrument machen, wozu Andre hunderte nötig haben, und interessiert sich überhaupt mehr für das Ausführen, als für das Erfinden. [95]

Darstellung ist eine Äußerung des innern Zustands, der innern Veränderungen, Erscheinung des innern Objekts. Das äußere Objekt wechselt durch das Ich und im Ich mit dem Begriffe, und produziert wird die Anschauung. Das innre Objekt wechselt durch das Ich und im Ich mit einem ihm angemeßnen Körper, und es entsteht das Zeichen. Dort ist das Objekt der Körper, hier ist das Objekt der Geist. Das gemeine Bewußtsein verwechselt das Entstandne, die Anschauung und das Zeichen mit dem Körper, weil es nicht zu abstrahieren weiß, nicht selbsttätig ist, sondern nur notwendig leidend, nur halb, nicht ganz. [96]

Die Idee eines Ganzen muß durchaus ein ästhetisches Werk beherrschen und modifizieren. Selbst in den launigsten Büchern. Wieland, Richter und die meisten Komiker fehlen hier sehr oft. Es ist so entsetzlich viel Überflüssiges und Langweiliges, recht eigentliche hors d' œuvres, in ihren Werken. Selten ist der Plan und die große Verteilung ästhetisch. Sie haben nur ästhetische oder komische Laune, nicht ästhetisch komischen Sinn oder Geist. (Einheit des Mannigfachen.) [97]

Ein Roman muß durch und durch Poesie sein. Die Poesie ist nämlich, wie die Philosophie, eine harmonische Stimmung unsers Gemüts, wo sich alles verschönert, wo jedes Ding seine gehörige Ansicht, alles seine passende Begleitung und Umgebung findet. Es scheint in einem echt poetischen Buche alles so natürlich – und doch so wunderbar. Man glaubt, es könne nichts anders sein, und als habe man nur bisher in der Welt geschlummert – und gehe einem nun erst der rechte Sinn für die Welt auf. Alle Erinnerung und Ahndung scheint aus eben dieser Quelle zu sein. So auch diejenige Gegenwart, wo man in Illusion befangen ist – einzelne Stunden, wo man gleichsam in allen Gegenständen, die man betrachtet, steckt und die unendlichen, unbegreiflichen, gleichzeitigen Empfindungen eines zusammenstimmenden Pluralis fühlt. [98]

Es ist seltsam, daß in einer guten Erzählung allemal etwas Heimliches ist – etwas Unbegreifliches. Die Geschichte scheint noch uneröffnete Augen in uns zu berühren – und wir stehn in einer ganz andern Welt, wenn wir aus ihrem Gebiete zurückkommen. [99]

Lustspiel und Trauerspiel gewinnen sehr und werden eigentlich erst poetisch durch eine zarte, symbolische Verbindung.

Der Ernst muß heiter, der Scherz ernsthaft schimmern. [100]

Die Darstellung des Gemüts muß, wie die Darstellung der Natur, selbsttätig, eigentümlich allgemein, verknüpfend und schöpferisch sein. Nicht wie es ist, sondern wie es sein könnte und sein muß. [101]

Der Roman handelt vom Leben, stellt Leben dar. Ein Mimus wäre er nur in Beziehung auf den Dichter. Oft enthält er Begebenheiten einer Maskerade, eine maskierte Begebenheit unter maskierten Personen. Man hebe die Masken; es sind bekannte Begebenheiten, bekannte Personen. Der Roman, als solcher, enthält kein bestimmtes Resultat, er ist nicht Bild und Faktum eines Satzes. Er ist anschauliche Ausführung, Realisierung einer Idee. Aber eine Idee läßt sich nicht in einen Satz fassen. Eine Idee ist eine unendliche Reihe von Sätzen, eine irrationale Größe, unsetzbar, incommensurabel. (Sollte nicht alle Irrationalität relativ sein?) Das Gesetz ihrer Fortschreitung läßt sich aber aufstellen, und nach diesem ist ein Roman zu kritisieren. [102]

Wohl unsrer Sprache, daß sie ungelenk ist! Der Starke zwingt sie, und den Schwachen zwingt sie; dort wird die Erscheinung der Kraft sichtbarer, schöner, hier das Unvermögen auffallender, und so bleibt das Reich der Schönheit reiner, adeliger, unvermischter. [103]

Die Schriftsteller sind so einseitig, wie alle Künstler Einer Art – und nur noch hartnäckiger. Unter den Schriftstellern von Profession gibt es gerade auffallend wenig liberale Menschen, besonders, wenn sie gar keine andre Subsistenz, als ihre Schriftstellerei haben. Von Schriftstellerei leben, ist ein selbst für echte Geistesbildung und Freiheit höchst gewagtes Unternehmen. [104]

Der Poet versteht die Natur besser, wie der wissenschaftliche Kopf. [105]

Die Bücherwelt ist in der Tat nur die Karrikatur der wirklichen Welt. Beide entspringen aus derselben Quelle. Jene aber erscheint in einem freiem, beweglicheren Medio. Daher sind dort alle Farben greller, weniger Mitteltinten, die Bewegungen lebhafter, die Umrisse daher frappanter, der Ausdruck hyperbolisch. Jene erscheint nur fragmentarisch, diese ganz. Daher ist jene poetischer, geistvoller, interessanter, malerischer, aber auch unwahrer, unphilosophischer, unsittlicher. Die meisten Menschen, die meisten Gelehrten mitgerechnet, haben auch nur eine Buchansicht, eine fragmentarische Ansicht der wirklichen Welt, und dann leidet sie unter den nämlichen Gebrechen und genießt aber auch die nämlichen Vorteile, als die Bücherwelt. Viele Bücher sind auch nichts als Darstellungen solcher einzelnen, fragmentarischen Ansichten der wirklichen Welt. – Mehr über das Verhältnis der Buchwelt (Literarwelt) zur wirklichen Welt. [106]

Die Meisten wissen selbst nicht, wie interessant sie wirklich sind, was sie wirklich für interessante Dinge sagen. Eine echte Darstellung ihrer selbst, eine Aufzeichnung und Beurteilung ihrer Reden würde sie über sich selbst in das höchste Erstaunen setzen und ihnen in sich selbst eine durchaus neue Welt entdecken helfen. [107]

Jeder muß mit seiner Stimme und mit seinem Stile zu ökonomisieren, beide gehörig immanent zu proportionieren und zu nuancieren wissen. [108]

Die intuitive Darstellung beruht auf systematischem Denken und Anschaun. [109]

Schöne liberale Ökonomie. Bildung einer poetischen Welt um sich her. Dichten mit lebendigen Figuren. [110]

Die gemeine Sprache ist die Natursprache – die Büchersprache die Kunstsprache. [111]

Das Höchste ist das Verständlichste, das Nächste, das Unentbehrlichste. Nur durch Unbekanntschaft mit uns selbst, Entwöhnung von uns selbst entsteht für uns eine Unbegreiflichkeit, die selbst unbegreiflich ist. [112]

Des Dichters Reich sei die Welt, in den Fokus seiner Zeit gedrängt. Sein Plan und seine Ausführung sei dichterisch, das ist, dichterische Natur. Er kann alles brauchen, er muß es nur mit Geist amalgamieren, er muß ein Ganzes daraus machen. Das Allgemeine, wie das Besondere muß er darstellen – alle Darstellung ist im Entgegengesetzten, und seine Freiheit im Verbinden macht ihn unumschränkt. Alle dichterische Natur ist Natur. Ihr gebühren alle Eigenschaften der letzteren. So individuell sie ist, so allgemein interessant doch. Was helfen uns Beschreibungen, die Geist und Herz kalt lassen, leblose Beschreibungen der leblosen Natur – sie müssen wenigstens symbolisch sein, wie die Natur selber, wenn sie auch kein Gemütszustandsspiel hervorbringen sollen. Entweder muß die Natur Ideenträger, oder das Gemüt Naturträger sein. Dieses Gesetz muß im Ganzen und im Einzelnen wirksam sein. Egoist darf der Dichter durchaus nicht erscheinen. Er muß sich selbst Erscheinung sein. Er ist der Vorstellungsprophet der Natur, so wie der Philosoph der Naturprophet der Vorstellung. Jenem ist das Objektive Alles, diesem das Subjektive. Jener ist Stimme des Weltalls, dieser Stimme des einfachsten Eins, des Prinzips, jener Gesang, dieser Rede. Jenes Verschiedenheit vereinigt das Unendliche, dieses Mannigfaltigkeit verbindet das Endlichste. Der Dichter bleibt ewig wahr. Er beharrt im Kreislauf der Natur. Der Philosoph verändert sich im ewig Beharrlichen. Das ewig Beharrliche ist nur im Veränderlichen darstellbar. Das ewig Veränderliche nur im Bleibenden, Ganzen, gegenwärtigen Augenblick. Vor und nach sind ihre Bilder. Sie ist allein Realität. Alle Darstellung des Dichters muß symbolisch oder rührend sein. Rührend hier für affizierend überhaupt. Das Symbolische affiziert nicht unmittelbar, es veranlaßt Selbsttätigkeit. Dies reizt und erregt, jenes rührt und bewegt. Jenes ist ein Handeln des Geistes, dies ein Leiden der Natur, jenes geht vom Schein auf Sein, dies vom Sein auf den Schein, jenes von der Vorstellung zur Anschauung, dies von der Anschauung zur Vorstellung. Ehemals konnte der Dichter Allen Alles sein, der Kreis war noch so eng, die Menschen noch gleicher an Kenntnissen, Erfahrungen, Sitten, Charakter; ein solcher bedürfnisloser Mensch erhob in dieser Welt einfacher aber stärkerer Bedürfnisse die Menschen so schön über sich selbst, zum Gefühl der höheren Würde der Freiheit, die Reizbarkeit war noch so neu. [113]


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