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In ihrem kleinen Salon war Frau Mößler zu gewohnter Stunde damit beschäftigt, ihre täglichen Almosen zu verteilen und mit Herrn Eliphas darüber zu sprechen, als plötzlich ein Diener eintrat und auf silberner Platte dem Wohltätigkeits-Minister ein schmutziges Papier überbrachte, das mit einigen Bleistiftzeilen beschrieben war. Mit der Sorglosigkeit der Gewohnheit griff Herr Eliphas nach dem Blatte und las die Worte, welche darauf standen, dann zerknitterte er es mit der Hand und warf es in den Ofen.
»Was ist das?« forschte Frau Mößler, »eine Bitte um Hilfe?«
»Nein, gnädige Frau, die Bitte um eine Audienz.«
»Sie sagen das so feierlich.«
»Mehr noch, die Sache klingt drohend.«
»Von wem geht sie aus?«
»Von dem Manne, welchen Sie sehr gegen meinen Willen vor einigen Monaten unterstützt haben.«
»Wer war es? In der Masse vergißt man den Einzelnen.«
»Ein Mann namens Marius Bouscares.«
»Ich glaube mich seiner zu entsinnen, ein Südländer, welcher geniale Entdeckungen machen wollte und sich dem Wahne hingab, daß er sich binnen acht Tagen ein Vermögen erwerben werde, wenn man ihm dazu behilflich sei.«
»Ein abgefeimter Schurke, man war ihm behilflich, und er hat nichts zustande gebracht; nun aber teilt er mit, daß er ein Familiengeheimnis kenne, welches die Ehre des Hauses nahe berühre.«
Frau Mößler preßte die Lippen aufeinander und runzelte die Stirne. Redete man ihr von der Familienehre, so dachte sie unwillkürlich an Valentin, und es zog sich ihr Herz schmerzbewegt zusammen; es war dies der dunkle Punkt an ihrem Horizont, sie befürchtete stets eine böse Nachricht von ihm; zu ihrem alten Vertrauten gewendet, forschte sie ängstlich:
»Was dürfte wohl das Richtige sein, was sollen wir tun?«
»Den Mann vor die Tür setzen; wenn man seinen Worten zuhört, werden wir ihn nie und nimmer los. Sie sehen, wie teuer es Ihnen zu stehen kommt, daß Sie ihn einmal empfangen haben.«
»Wenn er aber wirklich Dinge von Belang wissen sollte?«
»So wird er dieselben für sich behalten.«
»Und wenn er das nicht tut?«
»Dann schicken Sie ihm den Polizeikommissar auf den Hals. Diese Spitzbuben haben immer genug Verbrechen auf dem Gewissen, so daß die Einmengung eines Beamten von gewünschtem Erfolge gekrönt ist.«
»Gut, es sei, aber aus Vorsicht heben Sie die Adresse jenes Mannes doch auf.«
»Er hat sie gar nicht angegeben.«
Frau Mößler hatte große Lust, Herrn Eliphas zu bitten, er möge sich dieselbe verschaffen, aber sie befürchtete, ihre Unruhe allzu deutlich zu verraten, und schwieg daher. Wenn Eliphas aber auch auf dem Zettel, welchen Bouscares geschrieben, dessen Adresse nicht gefunden, so war es für ihn doch nicht schwer, den Südländer zu entdecken, wenn ihm daran gelegen. Er besaß bei sich zu Hause sehr ordentlich gehaltene Archive, in welchen die Unterstützungsbedürftigen ebenso genau eingetragen waren, wie die Banditen auf der Polizeipräfektur.
Nachdem er Frau Mößler verlassen, begab sich Eliphas Clément nach Hause, um zu frühstücken. Bouscares' Billett hatte ihm aber im Grunde genommen weit mehr Sorge bereitet, als er dies seiner alten Freundin gegenüber zugestehen wollte, und er beschloß, sich sehr genau über die Beziehungen zu orientieren, welche zwischen dem Grafen Coutras und dem Bettler bestehen konnten. Vielleicht war es nur eine leere Drohung, welche man gegen die reiche Frau aussprechen wollte; es war dies ein klassisches Mittel, welches sich bei schüchternen oder vorsichtigen Leuten oftmals sehr gut zu bewähren pflegt. Die Leute vom Handwerk nannten das einen großartigen Pumpstreich. Wenn die Person, der gegenüber man einen solchen Streich ausführt, irgendeine Unruhe an den Tag legt, tut dies alsbald dar, daß es einen geheimnisvollen Winkel in dem Gewissen der betreffenden Leute gibt, in welchem man scharfe Umschau halten kann. Herr Eliphas hatte deshalb jene Taktik geraten, welche am leichtesten aus der Fassung bringt, nämlich: absolut nichts in der Sache zu tun und sich in tiefes Schweigen zu hüllen.
Dieser Entschluß bedingte aber nicht, daß man auch keine Erkundigungen einzog, und während er sich auf dem Heimwege befand, sagte sich der alte Schlaukopf: »Du, mein Spitzbube, sollst dazu gezwungen werden, uns das zu erzählen, dessen du in deiner Korrespondenz Erwähnung tust.«
Zu Hause angelangt, sperrte sich Herr Eliphas in seinem Zimmer ein, öffnete einen Karton, welcher mit dem Buchstaben »B« bezeichnet war, und suchte in diesem zusammengebundene Schriften, auf welchen der Name Bouscares zu lesen stand. Ohne Schwierigkeiten fand er, was er wollte, nämlich die Adresse des Mannes oder, richtiger gesagt, eine ganze Reihe von Adressen: »Rue des Envierges 17, Passage Raoul 2, Rue Copin Court 103, Rue Omer 9, Rue Ramay 26.«
Der Wohltätigkeitsminister legte den Faszikel zur Seite, es leuchtete plötzlich verständnisvoll auf in seinem Geiste, und er fing an, die nebelhaften Winkelzüge des guten Bouscares zu begreifen. War der Graf nicht in der Rue Ramay gesehen worden, während er mit jener Kleinen plauderte, deren Vater oder Bruder sie in tugendhafter Entrüstung zu ohrfeigen für gut befunden? In der Rue Ramay also wohnte Bouscares; der Gaunerstreich fing an, ziemlich klar aus dem Dunkel hervorzutreten, und die »Familienehre« war durch den Spitzbuben gefährdet, welcher die zärtlichen Zusammenkünfte des Grafen Coutras zu stören für gut fand. Was gab es Gefährliches an einer solchen Drohung, und was lag vor allem der Angelegenheit zugrunde? Das zu wissen, wäre das Wichtigste gewesen. Daß Frau Mößler Bouscares empfing, konnte gefahrdrohend sein, wenn aber Herr Eliphas den Südländer besuchte, so war das ohne weitere Bedeutung; wie häufig hatte er der unglücklichen Gattin jenes Abenteurers die ihr von Frau Mößler ausgeworfene Pension selbst gebracht. Es konnte folglich auch nicht sehr kompromittierend sein, wenn er dort einen Besuch mehr abstattete.
Gegen zwei Uhr machte er sich daher mit dem Regenschirme unter dem Arme auf den Weg; er sah in seinem groben Ueberzieher, mit dem schlecht gebürsteten Hute etwa wie ein kleiner Ministerialbeamter aus, welcher in recht beschränkten Verhältnissen lebt. Ueber die Höhe von Montmartre begab er sich nach dem Hause, in welchem Bouscares wohnte. Im vierten Stocke mündeten zwei Türen in ein schmales Treppenhaus. Auf einer derselben stand zu lesen: »Chavassu, Edelsteinmakler, von elf bis drei Uhr zu sprechen. Man bittet, stark anzuläuten.« An der zweiten Tür war eine Visitenkarte angebracht, auf der die Worte standen: »Marius Bouscares, Ingenieur.«
Herr Eliphas pochte mit der Holzkrücke seines Regenschirmes an die Tür von Marius Bouscares. Das Geräusch von Schlappschuhen ließ sich alsbald vernehmen, die Tür ging auf, und aus einer Rauchwolke blickte der Ingenieur selbst hervor. Als er Herrn Eliphas erkannte, zog er die Pfeife aus dem Munde, und sein ernstes, gelangweiltes Gesicht nahm den Ausdruck heiterer Neugierde an. Sich tief verneigend, sprach er:
»Oh, mein Herr, geben Sie sich doch die Mühe, einzutreten, ich erwartete Ihren Besuch nicht so bald.«
»Sie haben ihn also doch erwartet«, erwiderte Herr Eliphas mit schneidendem Tonfall der Stimme, indem er in einem Raum von widerwärtig schmutzigem Aussehen trat, welcher gleichzeitig als Küche und als Speisezimmer zu dienen schien.
»Ich dachte mir wohl, daß meine Mitteilungen für meine gütige Wohltäterin von höchstem Interesse sein müßten.«
»Frau Mößler hat von Ihrem Brief keinerlei Kenntnis erhalten, ich war es, welcher denselben öffnete, ich, der ich alle an sie gerichteten Briefe zuerst in die Hand bekomme.«
»Aber nehmen Sie doch Platz, verehrter Herr«, rief Bouscares, indem er Herrn Eliphas einen Stuhl hinschob, dessen Strohgeflecht vollständig zerrissen war.
»Zwecklos, ich bleibe nur einen Augenblick und möchte Sie nur davon in Kenntnis setzen, daß Sie ein Spiel treiben, welches Ihnen leicht Ihre monatliche Unterstützung kosten kann. Liegt es in Ihrer Absicht, dies zu bezwecken, so brauchen Sie nur ein Wort zu sprechen, und Ihr Wunsch ist erreicht.«
»Aber mein Gott!« warf der Südländer lebhaft ein, »ich will ja nur im Sinne und im Interesse meiner edlen Wohltäterin handeln. Der Zufall hat mich zum Mitwisser eines Geheimnisses gemacht, ohne meine Dazwischenkunft –«
»Reden Sie nicht weiter,« unterbrach Eliphas ihn barsch, »ich weiß, um was es sich handelt; meinen Sie wirklich, ich sei so schlecht unterrichtet? Bin ich der Mann, welcher sich von Ihrem Geschwätz einschüchtern läßt?«
»Verehrter Herr, es handelt sich nicht um mich, ich bin nur durchaus ergebener Vermittler.«
»Wem ergeben?«
»Meiner großmütigen Beschützerin, deren Seelenruhe ich unter den obwaltenden Umständen mit einem Eifer bewacht habe, welcher vollste Anerkennung verdient.«
»Schwätzen Sie nicht unnützes Zeug, sondern gehen wir auf Tatsachen über!«
»Tatsache ist folgendes: Mein Nachbar, der höchst ehrenwerte Herr Chavassu, hat eine reizende fünfzehnjährige Tochter.«
Herr Bouscares machte eine Kunstpause und warf Eliphas einen bedeutungsvollen Blick zu. Dieser zuckte mit keiner Wimper; um ihn zu rühren, bedurfte es der Beweise; wie wenig Worte wert seien, wußte er genau.
»Ein Mädchen von fünfzehn Jahren«, wiederholte der Ingenieur.
»Ich höre«, sprach Eliphas kalt.
»Chavassu hält die Beweise in Händen, daß der Graf Coutras alles daransetzt, um die Kleine zu verführen; er sendete in der Abwesenheit Chavassus eine der erfahrensten Vermittlerinnen in Liebessachen zu der jungen Mathilde, und diese Frau war so unklug, eine Visitenkarte des Grafen Coutras bei meinem Nachbar liegen zu lassen, auf welche dieser die Adresse und die Personalbeschreibung des Mädchens niedergeschrieben hatte. Ich brauche wohl nicht erst darauf hinzuweisen, wie viel Kompromittierendes für den Adoptivsohn Frau Mößlers aus diesem Umstände hervorgeht; es läßt sich das Ganze zu einer schmutzigen Geschichte aufbauschen, allein das ist es noch immer nicht, was am meisten zu befürchten wäre, es steht Ernsteres auf dem Spiele.«
Herr Eliphas, welcher auf ähnliche Enthüllungen gefaßt war, hörte ruhig zu, aber der unvorhergesehene Schluß jener Mitteilungen, welche Bouscares zu machen für gut fand, verursachte ihm ein Befremden, welches zu unterdrücken er nicht vollständig fähig war.
»Und welchen ernsteren Gefahren könnte Herr von Coutras ausgesetzt sein?« forschte er.
»Der ernstesten von allen, sein Leben steht auf dem Spiel.«
»Sie scherzen wohl, mein Freund.«
»Nicht im allergeringsten, davon sollen Sie sich sofort überzeugen. Die kleine Mathilde war bisher ein ganz vernünftiges Mädchen, welches von einem ihrer Verwandten, einem jungen, stämmigen Burschen, der Metallarbeiter ist, geliebt wurde; die Leidenschaft des jungen Mannes für das kleine Mädchen ist geradezu ungeheuer, allerdings muß man zugestehen, daß das Kind ein Wunder an Schönheit ist, welches einen Heiligen in Versuchung führen könnte. Man geht ihr auf der Straße nach, und sehr häufig kommt es vor, daß irgendein Herr sie bis hierher verfolgt. Er kommt dann immer die Stiege rascher hinab, als er sie emporgeklommen; denn Vater Chavassu versteht keinen Scherz, er ist die wandelnde Rechtschaffenheit, der gute Alte. Seit dem verflossenen Jahre nun hat er sich dafür entschieden, seine Tochter dem jungen Ravet zum Weibe zu geben – Emile Ravet heißt nämlich der Mann, welcher das Kind liebt – der vernünftige Vater begriff, daß es schwer sein werde, die Kleine, wenn sie einmal sechzehn Frühlinge erreicht habe, in Montmartre zu behalten; es ist dies kein Aufenthalt für eine Venus gleich Mathilde, und es drängte ihn daher sie zu verheiraten. Da fügte es der Zufall, daß, als die Kleine neulich aus dem Geschäfte zurückkehrte, in welchem sie arbeitet, sie vor dem Vater ein kleines ledernes Etui zu Boden fallen ließ. Chavassu griff danach und fand, daß es ein Paar Brillant-Ohrringe enthalte, welche mindestens ihre zehntausend Francs wert sein mögen. Dem Alten kann man nicht leicht etwas weismachen. Mit Fußtritten will er seine Tochter zu einem Bekenntnisse zwingen; sie weint und klagt, aber sie gesteht nichts ein. Der Vater beruhigt sich anscheinend und dringt nicht mit weiteren Fragen in sie, nur sperrt er seine Tochter ein, setzt Ravet von dem, was er entdeckt, in Kenntnis, und die beiden legen sich auf die Lauer. Noch waren keine zwei Tage vergangen, als Chavassu trotz aller Vorsicht, welche er gebraucht, das Mädchen nicht aus den Augen zu lassen, seine Tochter mit dem Grafen Coutras plaudernd vor dem Hause ertappte. Ravet, welcher sich in dem Schnapsladen gegenüber verborgen gehalten, überfiel das schöne Mädchen und dessen Courmacher, aber wenn man gerecht sein wollte, so mußte man zugestehen, daß Ravet seinen Meister gefunden, denn er erhielt solche Hiebe, daß er ein ganz blaues Auge davontrug, wie man dasselbe in der Rue Ramey kaum jemals gesehen, obwohl es hier doch genug Leute gibt, welche an das Beinstellen gewöhnt sind. Von jener Zeit an wird in der Nebenwohnung ein Teufelsleben geführt, man prügelt sich von morgens bis abends. Die Kleine will mit dem Grafen flüchten, der, man weiß nicht wann, immer noch Mittel und Wege findet, sie zu sehen. Ravet hat geschworen, daß er Herrn von Coutras töten werde, und Chavassu spricht davon, klagbar auftreten zu wollen; ich suche, alle zu beruhigen, und bisher ist es mir noch immer gelungen, das Aergste zu vermeiden. Ich habe Mathilde dazu gebracht, sich möglichst ruhig zu verhalten, ich habe Ravet beschworen, nicht mit seinem Messer zu spielen, und es gelang mir bisher, den Vater Chavassu hinzuhalten. So weit wären wir mithin glücklich. Wenn Sie nicht finden, lieber und hochgeehrter Herr, daß ich die Interessen meiner Wohltäterin in nützlicher Weise vertreten habe, so entmutigt mich das dermaßen, daß ich mich versucht fühlen könnte, eine Katastrophe gar nicht mehr länger aufhalten zu wollen.«
Bouscares schwieg einen Augenblick, nicht etwa weil ihm daran lag, Atem zu schöpfen, denn er würde auch noch eine Stunde lang weitergesprochen haben, sondern weil er wissen wollte, was Herr Eliphas von seinen diplomatischen Winkelzügen denke. Er stellte sich daher mit fragender Miene vor den alten Mann und wartete lächelnd auf das, was dieser zu sagen habe. Herr Eliphas senkte den Blick, und Bouscares mußte sich gestehen, daß aus seinen Zügen nichts von dem zu entnehmen sei, was ihn möglicherweise bewegen konnte. Mit gleichgültiger Stimme fragte er:
»Nun, was soll dieses Geschwätz alles zu bedeuten haben?«
»Wieso Geschwätz?«
»Ja, dieser Hintertreppenroman. Sie glauben doch nicht etwa, daß ich durch Ihre bebende Stimme gerührt bin? Ich kenne diese Kniffe, man hat sie mir häufig vorgesungen, ich glaube weder an das unschuldvolle Mädchen, noch an den eifersüchtigen Liebhaber, noch an den Vater, welcher den Richter machen will. All das ist abgenützte Ware. Man würde selbst in der Provinz nicht mehr daran glauben.«
»Wie? Man würde nicht daran glauben? Soll ich Ihnen das Mädchen zeigen, soll ich Ihnen den Vater vorführen? Soll ich Sie mit Ravet bekanntmachen?«
»Und seinem kleinen Messer?«
»Bei meiner Ehre, Herr, Sie sind zu skeptisch; es ist ein großer Schaden für Frau Mößler, denn zweifelsohne wird ein Unglück geschehen.«
Herr Eliphas runzelte die Stirn, und indem er seine Augen unverwandt auf Bouscares richtete, sprach er trocken:
»Wieviel soll es kosten, wenn man dieses Unglück vermieden wissen will?«
Der Südländer nahm sofort eine andere Haltung an, er wurde sorgenvoll und kalt.
»Sie werden wohl einsehen, daß ich nicht wissen kann, was man anbieten müßte.«
»Man bietet gar nichts an, sondern ist nur neugierig, die Forderungen zu kennen, welche möglicherweise gestellt werden würden.«
Bouscares beantwortete die Frage des Herrn Eliphas nicht, denn er wußte, daß Schweigen in derlei Dingen zu den Anfangsgründen eines klug eingefädelten Geschäftes gehöre; er ging scheinbar auf einen andern Punkt über. »Die einzige Art, eine tragische Lösung zu verhindern, würde darin bestehen, daß man Ravet mit der Kleinen in die Fremde ziehen ließe, sie mögen dann dort heiraten; die Hauptsache ist jedenfalls, sich seiner zu entledigen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Ravet eines bösen Streiches fähig ist, er sieht sich sowohl in seiner Eigenliebe wie auch in seiner Eitelkeit gekränkt; der Graf hat ihn mit wuchtigem Schlage zu Boden geworfen, ihn, Ravet, den Schrecken des Boulevards Ernano!«
»Ich dachte, er sei ein Arbeiter; Ihrer Schilderung nach scheint er aber ein Nachtvogel zu sein.«
»Ganz und gar nicht, er ist nur jung, unterhält sich gern, tanzt, streitet wohl auch einmal und kommt, ehe er sich dessen versieht, zu irgendeiner Rauferei. Er hat sehr viele Freunde, die ihm förmlich den Hof machen.«
»Und wohl auch Freundinnen; die junge Mathilde scheint sich aber gegen diese Eroberungsversuche aufzulehnen.«
»Mein Gott, das arme Kind weiß sich wohl kaum zu helfen, sie ist ein unschuldiges Geschöpf; den Vater aber muß man einen gefährlichen Mann nennen, in einem Anfalle von Eifersucht hat er schon vor zehn Jahren versucht, seine Frau zu töten, man mußte dieselbe mit Mühe und Not seinen würgenden Armen entwinden.«
»Aber, mein Gott, wenn der Mann so ist, dann gehört er ja ins Bagno!«
»Ich gebe ihn und die Seinen auch nicht als die Vorbilder der Unschuld aus, ich glaube, daß es nicht schwer werden dürfte, sich jener Leute ein für allemal zu entledigen, wenn man ihnen eine größere Summe ausbezahlt. Sie leben hier im Elend; wollte man ihnen die Möglichkeit bieten, nach Amerika auszuwandern und dort zum Beispiel in New York ein Juwelengeschäft zu eröffnen, in welchem die Kleine als Verkäuferin eine Beschäftigung fände, so würde man sich ihrer Dankbarkeit vergewissern.«
»Haben Ihnen das die Leute selbst gesagt?«
»Ganz und gar nicht, aber ich verstehe ja auch durch die Blume, denn ich kenne das menschliche Herz; ist man an Unglück gewöhnt, so sammelt man dadurch Erfahrungen. Ich würde an Stelle jener Leute nicht zögern, nur müßte die Summe, welche man mir bietet, entsprechend groß sein.«
Bouscares wurde plötzlich sehr ernst und fügte hinzu: »Mir müßte man wenigstens zweihunderttausend Francs anbieten.«
Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, blickte er Eliphas forschend an, dieser aber blieb undurchdringlich, und so fuhr er denn nach einer Pause fort:
»Was ist diese Summe für meine großmütige Wohltäterin? Weinen Sie, daß sie ihren Adoptivsohn solchen Gefahren aussetzen würde, wenn sie um unbedeutenden Preis aus ihren ärgsten Feinden dankbar ergebene Anhänger machen kann?«
»Wieviel würden Sie von diesen zweihunderttausend Francs erhalten?« forschte Herr Eliphas barsch.
»Ich, nichts, bei meiner Ehre, ich handle nur aus Ergebenheit für Frau Mößler und will derselben großen Kummer ersparen.«
»Wenn das so ist, dann beruhigen Sie sich immerhin, lieber Bouscares, Frau Mößler soll nicht einmal erfahren, daß gegen den Grafen Coutras Drohungen ausgesprochen worden sind, und da ich, sobald ich von hier fortgehe, mich zur Polizei-Präfektur begebe, mögen Sie ganz ruhig sein, es wird dem Grafen nichts Schlimmes widerfahren. In bezug auf Ihre Freunde vermag ich, wenn diese bei ihrer Behauptung bleiben, nicht das gleiche anzunehmen. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, dazu beizutragen, daß dieselben ihre Heimat verlassen, aber es soll dies nicht ganz auf jene Art geschehen, welche Sie für die vernünftigste halten.«
Angesichts dieser Erklärung war Bouscares anfangs vollständig vernichtet, dann faßte er Mut und rief lebhaft:
»Herr Eliphas, Sie sind im Unrechte, Sie werden jene armen Leute in Verzweiflung bringen. Die Polizei! Ein schöner Einfall das, wir sollten uns im Gegenteile zusammentun, um zu bewerkstelligen, daß diese abgelenkt werde; alle Welt kann verlieren, wenn die Polizei sich auch noch in diese nicht ganz saubere Angelegenheit mengt.«
»Das wollen wir ja sehen.«
»Sie spielen mit dem Leben des Herrn von Coutras.«
»Ich werde ihn warnen, er soll die kleine Abenteurerin nicht mehr zu Gesichte bekommen.«
»Hm, als ob das etwas nützen würde, ich bürge Ihnen dafür, daß man es verstehen wird, seiner habhaft zu werden.«
»Desto schlimmer für jene, welche ihm ein Leid zufügen wollen.«
»Bieten Sie doch eine Summe, Herr Eliphas,« rief Bouscares verzweifelnd, »vielleicht wird man handelseinig werden können.«
»Sie halten mich für sehr naiv, guten Abend!«
Er griff nach der Türklinke, und zum Aeußersten gebracht, rief Bouscares:
»Herr Eliphas, wenn Sie den Grafen Coutras haßten und sich seiner entledigen wollten, könnten Sie nicht anders handeln!«
Der Ton, in welchem diese Worte ausgesprochen wurden, war so aufrichtig, daß der Greis erbebte. Der Gedanke entsprach vollkommen dem dumpfen Groll, welchen er in seiner Seele nährte, er ahnte ernste wirkliche Gefahr, und fest entschlossen, nicht zu kapitulieren, gelobte er sich, Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Er trat auf den Flur hinaus, und während er sich langsam anschickte, die Treppe hinabzusteigen, rief Bouscares, welcher sich über das Geländer lehnte, ihm nach:
»Sie werden es bedauern lernen, aber dann ist es zu spät; soll ich Ihnen bis abends Zeit lassen, um nachzudenken?«
»Nein«, rief Eliphas vom untern Stockwerk hinauf.
»Wollen Sie mir bis morgen Frist geben?«
»Nein.«
»Sie werden mich zu Hause treffen für den Fall, daß Sie es sich doch überlegen sollten, ich will nicht ausgehen.«
Herr Eliphas antwortete nicht, er befand sich bereits vor der Portierloge und hörte nur noch, wie Bouscares von oben herab fluchte und schimpfte, daß man hätte meinen sollen, seine Worte müßten die Macht besitzen, das Haus einstürzen zu lassen.
Zur gleichen Stunde traf Valentin in der Avenue Friedland ein, nachdem er mit Freunden gefrühstückt, welche er beauftragt hatte, sich mit den Zeugen des Obersten Redel auseinanderzusetzen. Sein Kammerdiener meldete ihm im Vorzimmer, daß die Frau Gräfin ihn bitten lasse, bei ihr vorzusprechen, ehe er sich wieder entferne. Eine solche Forderung war bei Frau von Coutras etwas so Ungewöhnliches, daß Valentin sich verblüfft nach den Gemächern seiner Gemahlin begab, ohne die seinen zuvor zu betreten. Sie saß in ihrem Atelier, ein Buch in der Hand, doch las sie nicht, ihre Blicke schweiften durch das vergitterte Fenster melancholisch hinaus und blieben auf den Spitzen der Bäume ruhen. Ihre Kammerfrau trat mit der Meldung ein, daß der Graf ihrer Befehle harre. Sie stand sogleich auf und trat ihrem Gatten entgegen. Er schien ruhig und lächelnd wie immer, trat an den Kamin, vor welchem er sich niederließ, und indem er seine Füße vor demselben wärmte, fragte er:
»Du hast mich zu sprechen gewünscht, meine Liebe, was gibt es denn?«
Sie gab sich gar nicht die Mühe, auf nähere Auseinandersetzungen einzugehen, sondern griff nur nach einem pneumatischen Briefe, welchen sie aus der Lade ihres Schreibtisches hervorgezogen hatte, und bot denselben dem Grafen dar.
»Hier das gibt es«, sprach sie kalt.
Es war die Botschaft Frau Friedrich Cléments, er las dieselbe, ohne mit einer Wimper zu zucken, wendete sie dann nach allen Seiten um, betrachtete die Adresse, rollte das Schriftstück um den Finger und sah seine Frau an.
»Eine anonyme Mitteilung,« bemerkte er mit leichtem Spott, »welchen Wert sollte dieselbe haben?«
»Jenen, welchen du derselben verleihst, indem du erklärst, ob sie wahr oder falsch sei.«
»Ehe ich dir antworte, gestatte, daß ich eine Frage an dich stelle: Vermutest du, von wem diese Mitteilung dir zugegangen sein kann?«
»Es handelt sich um keine Mutmaßung, sondern um Gewißheit. Die Handschrift ist so wenig verstellt, daß ich keinerlei Zweifel hege über die Person, welche mir diese Kunde gesendet hat.«
»Und wer ist dieselbe nach deinem Dafürhalten?«
»Frau Friedrich Clément.«
Er sprach leise vor sich hin:
»Das habe ich auch gemeint.«
Henriette bewegte ungeduldig das schöne, etwas bleiche Antlitz und wiederholte ihre Frage:
»Ist das, was sie da mitteilt, wahr oder falsch?«
Er entgegnete mit schneidender Schärfe:
»Es ist wahr.«
»Du hast einen Streit mit Oberst Redel gehabt?«
»Allerdings.«
»Wo das?«
»Gestern, hier, in deiner Abwesenheit.«
»Und in Gegenwart Frau Friedrich Cléments?«
»Ja, vor ihr.«
»Vielleicht sogar ihretwegen?«
»Nein, ein nichtiger Vorwand bot den Anlaß, in Wirklichkeit hat es sich nur um dich gehandelt.«
Henriette blickte ihren Gatten mit unerschütterlicher Ruhe an und sprach, indem sie Platz nahm:
»Ich bitte dich, mir in dieser Beziehung einige Aufklärung zukommen zu lassen, denn deine Einmischung da, wo es sich um mich handelt, ist unerwartet und so wenig gerechtfertigt, daß es mir lieb wäre, zu wissen, welchen Umständen ich dieselbe zu danken habe.«
»Es soll mir Vergnügen gewähren, deine Neugierde zu befriedigen.«
Er nahm selbst anscheinend mit vollster Unbefangenheit Platz, und indem er der Gräfin die Mitteilung überreichte, welche er bisher immer noch in Händen gehalten, sprach er:
»Da, nimm dieses Schriftstück doch wieder an dich, es ist ein Beweis, welcher dir vielleicht noch nützlich sein kann, und jedenfalls vermag ich keinen Anspruch auf dieses Papier zu erheben. Um auf Oberst Redel zurückzukommen, würde ich dich wohl nicht in Erstaunen versetzen, wenn ich dir sagte, daß ich die Huldigungen bemerkt habe, welche er dir dargebracht. Nicht als ob ich dagegen Beschwerde erheben wollte, ich lege zu großen Wert auf meine eigene Freiheit, als daß ich diejenige der anderen einschränken möchte; ich fand es ganz in der Ordnung und ganz natürlich, daß ein Ehrenmann wie Redel gerne einer tadellosen Frau huldigt, wie du es bist; er befand sich in guter Gesellschaft, denn deine Umgebung ist ein wahres Dekameron, in welchem lauter geistige Größen bestrebt sind, dich zu unterhalten. Ich sah nur Günstiges in seinem häufigen Verkehr in deinem Salon; er leistete dir Gesellschaft, wodurch du gegen meine häufige Abwesenheit nachsichtiger geworden bist; er erfüllte zur allgemeinen Befriedigung seinen gesellschaftlichen Beruf, und mir kam es nicht in den Sinn, darüber Klage zu führen, als man plötzlich auf den Einfall kam, mir dasjenige vorzuwerfen, was ich bei anderen anstandslos duldete. Man schrie Ach und Weh, weil ich mit einer deiner Freundinnen kokettierte, ich aber sollte es ruhig mitansehen, daß du dich mit einem förmlichen Liebeshof umgabst. Ich war erstaunt, unzufrieden und fand dieses Vorgehen ungerecht.
Ich äußerte dies der Person gegenüber, welche mich zur Rede gestellt hatte; weshalb sollte ich sie nicht nennen, du weißt ja ebensogut wie ich, daß es meine Mutter war; sie nahm meine Gründe nicht an, drückte mir ihre lebhaftesten Befürchtungen aus, erklärte, daß ich dich beleidigte, kurzum, sie erteilte mir den peremptorischen Befehl, meinen Vergnügungen zu entsagen, wenn ich nicht die ernstesten Folgen heraufbeschwören wolle. Ich bin ein ebenso gehorsamer Sohn wie nachsichtiger Gatte; ich gab meiner Mutter die wärmsten Versicherungen, woraufhin sie mir erklärte, daß sie nicht zugeben wolle, daß man mir dasjenige antue, was ich ihrem Verbote gemäß anderen nicht zufügen dürfe. Da hast du, so weit dies mich persönlich berührt, ein klares Bild der Situation. Es ist wahrscheinlich, daß meine Mutter auch anderen jene Vorstellungen gemacht hat, welche sie mir andeutete, und dieselben dürften mit weniger Ergebung hingenommen worden sein, denn nicht jeder hat die Geduld und Nachsicht, welche ich bekundete. Tatsache bleibt, daß Oberst Redel mir eine so schwere Beleidigung zufügte, daß ich Satisfaktion verlangen mußte.«
Henriette hatte, ohne ein Wort einzuwenden, ohne eine Bewegung zu machen, seinen Worten gelauscht; man hätte meinen sollen, daß es sich gar nicht um sie handle.
»Und inwiefern ist Frau Friedrich Clément mit in die Angelegenheit verwickelt?« fragte sie jetzt.
»Frau Friedrich war zugegen, als Oberst Redel mich beleidigte, sie kannte den Streit, konnte dich also leicht von der Ursache desselben in Kenntnis setzen.«
»Zu welchem Zwecke?«
»Vermutlich, um zu hindern, daß die Sache ihre natürliche Folge habe.«
»In wessen Interesse?«
»Meine Liebe, du fragst mich mehr, als ich weiß.«
»Oder richtiger gesagt, mehr als du sagen willst.«
»Weshalb meinst du das?«
»Weil die Wahrheit dir nicht zur besonderen Ehre gereichen würde.«
»Die Wahrheit? Beschuldigst du mich etwa, daß ich sie verberge?«
»Ja.«
Sie standen einander gegenüber und blickten sich in die Augen, und zum ersten Male legten sie ihre Herzen offen voreinander dar, verbargen sie sich auch ihre Gedanken nicht. Valentin erkannte die ernste und kluge Henriette nicht mehr in dieser Frau mit der kühnen Stirn, mit den bebenden Lippen, mit den gereizten Augen. Er fühlte, daß sie die Kraft in sich besitze, sich zu verteidigen, sogar gegen ihn, gegen den durch seine Doppelzüngigkeit so gefährlichen Rivalen. Sie beobachtete ihn seit dem Beginn ihrer Unterredung, sie überlegte jede Phrase, wog jedes Wort ab, fühlte sich gewiß, daß er lüge, war angewidert durch seine heuchlerische Sanftmut und würde ihn am liebsten dazu gezwungen haben, sich so zu zeigen, wie er wirklich war, zynisch und frech.
»Ich weiß nichts von allem, was vorgefallen ist,« bemerkte sie ruhig, »ich habe von niemandem vertrauliche Mitteilungen erhalten, aber ich bin überzeugt, daß, wenn Oberst Redel dir gegenüber jene Zurückhaltung und Mäßigung abgestreift hat, die ihm zur zweiten Natur geworden sind, dann warst du es, der ihn durch deine Handlungen und durch deine Worte dazu gedrängt hast.«
»Besten Dank für die gute Meinung, welche du von mir zu haben scheinst, ich bin sehr gerührt, zu sehen, daß du keinen Augenblick zögerst, da, wo es sich um deinen Gatten und um einen Fremden handelt, Partei gegen den Mann zu nehmen, dessen Namen du trägst.«
»Ich kenne den einen und den andern, ich weiß, wer recht hat.«
»Ich sage dir, daß ich der Beleidigte bin, mein Gegner wird das nicht in Abrede stellen können; gilt dir auch das nicht als Beweis, daß das gute Recht auf meiner Seite sein muß?«
»Es gilt mir nur als Beweis, daß du die Geschicklichkeit hattest, einen ehrlichen und rechtschaffenen Mann bis zum äußersten zu treiben, damit du dadurch den Vorteil gewinnen könntest, jene Waffe zu wählen, welche dir am besten zusagt.«
Valentin lächelte.
»Besser, den Teufel selbst zu töten, als sich von diesem töten zu lassen.«
»Du wirst niemanden töten!«
»Wirklich nicht? Und wer sollte mich daran hindern?«
»Ich!«
»Du? Wieso?«
»Wenn du dich nicht augenblicklich dazu verpflichtest, diese Angelegenheit in gütlicher Weise zum Abschlusse zu bringen, werde ich dich verlassen, um deine Mutter aufzusuchen und ihr alles zu erzählen.«
Valentin schwieg einen Augenblick, dann sah er Henrietten mit frechem Ausdruck in die Augen und fragte:
»Liebst du diesen Redel wirklich gar so sehr?«
Eine dunkle Röte stieg der jungen Frau in die Wangen, ihre Augen sprühten Feuer, und aus ihrer Stimme, wie aus jeder ihrer Gebärden sprach die Tatsache, daß sie bereit sei, ihrem Gatten Trotz zu bieten.
»Ich hege für ihn innige Hochachtung und aufrichtige Zuneigung, er ist genau so, wie ich dich gern gehabt haben würde, stolz und uneigennützig; du magst versichert sein, daß ich das Leben eines solchen Mannes ihm nicht in den Händen einer Persönlichkeit lassen werde, welche so geartet ist wie du.«
Valentin schüttelte den Kopf und sprach in leichtem Tone:
»Du hast recht, das würde sehr waghalsig sein; aber beruhige dich, ich hege ganz und gar nicht die Absicht, diesen Helden zu töten; es möge mir nur in irgendeiner Art Satisfaktion gewährt werden, und ich will dir meine Nachgiebigkeit beweisen, indem ich mich zu jeder Vereinbarung hergebe, welche du wünschest; du wirst mir wohl zugestehen müssen, daß man nicht gefälliger sein kann.«
Henriette betrachtete ihren Gatten mit unverkennbarem Mißtrauen.
»Es hängt alles davon ab, was du unter ›Satisfaktion‹ verstehst; sprich deutlicher, wenn ich bitten darf.«
»Ich werde dich durch meine Mäßigkeit in Erstaunen versetzen. Von Oberst Redel verlange ich nichts; er ist Soldat, und ich kenne ihn als sehr empfindlich, ich will ihn somit vollkommen beiseite lassen; aber die stattgehabte Szene hatte eine Zeugin; Frau Friedrich war bei derselben zugegen, und ich lege großen Wert auf ihre Meinung; sie muß mir die Versicherung geben, daß sie mich nicht schlecht beurteilen wird, wenn ich dem Duell aus dem Wege gehe; ich wünsche sie zu sehen, bitte sie also, hierher zu kommen, laß uns zusammen sprechen, und wenn sie mir triftige Gründe anführt, welche es mir möglich machen, das mir zugefügte Unrecht zu vergessen, dann soll alles beendet sein.«
»Warum gehst du nicht zu ihr?«
»Es würde den Anschein haben, als wollte ich um jeden Preis eine Verständigung herbeiführen; nein, wenigstens der Form halber muß ich mich bitten lassen.«
»Und wenn sie sich zu dieser Vereinbarung nicht herbeiläßt?«
Valentins Züge drückten feste Entschlossenheit aus:
»Dann erwarte kein weiteres Nachgeben von mir, dann wird sich ereignen, was du um jeden Preis vermieden wissen möchtest.«
Henriette neigte das Haupt tief auf die Brust herab und verharrte ein paar Sekunden lang in düsterem Schweigen, dann sprach sie mit zitternder Stimme:
»Ich lese in deinem Geiste, ich sehe, wozu du mich zwingen willst, und ich erröte für dich darüber. Indem du einen Unschuldigen mit dem Tode bedrohst, willst du mich zwingen, meinen Einfluß geltend zu machen, um eine Frau hierher zu bringen, die dir gefällt, welche dich aber flieht. Das ist das Ziel, welches du im Auge hast, nicht wahr? Und warum willst du, daß sie hierherkomme? Damit du ihr einen Handel vorschlagen könntest, gleich demjenigen, welchen du mir anbietest. Das Leben jenes Mannes, der sie vermutlich verteidigt hat, als du sie beleidigtest, ist der Preis, welchen du für ihren guten Willen einsetzest. Fürwahr, du bist durch und durch verderbt, und ich erröte über deine Feigheit.«
Tränen der Beschämung und des Zornes perlten über ihre Wangen; sie stand ganz vernichtet vor Valentin, der sie mit höhnischem Lächeln betrachtete und angesichts ihres Schmerzes ebenso ruhig blieb wie bei ihrem Zorn.
»Ich muß wissen, was du zu tun gedenkst; glaube nicht, daß ich es aufgebe, mich an einem Manne zu rächen, der mich beleidigt hat und den ich verabscheue. Es könnte dies nur sein, wenn du mir dafür jene Entschädigung bietest, welche ich verlange.«
»Kann ich denn jene Unglückliche zwingen, dir zu gehorchen? Sie ist ja doch frei.«
»Das ist deine Angelegenheit. Sage ihr, was immer du ihr zu sagen für gut findest, nur damit sie komme.«
»Sie haßt dich also wohl leidenschaftlich, und du willst sie zwingen, sich deinen Wünschen zu fügen!«
»Gerade ihr Widerstand reizt mich!«
Bei diesen abscheulichen Worten verlor die stolze Henriette allen Mut, sie sah sich verloren, sah sich der Barmherzigkeit eines Ungeheuers preisgegeben, welches unerbittlich sein würde, und zum ersten Male im Leben schwach werdend, rang sie verzweiflungsvoll die Hände: »Nein, ich werde dir nicht gehorchen!« rief sie unter Tränen; »ich werde nicht zu einer solchen Infamie meine Hand hergeben und auf diese Art deine Mitschuldige sein, verlange von mir, was immer du willst, nur das nicht.«
Er machte eine Bewegung erneuter Unzufriedenheit.
»Und was kann ich von dir verlangen? Du machst in der Tat große Schwierigkeiten um einer Sache willen, die ganz belanglos ist. Wer beweist dir denn, daß ich so schwarze Pläne habe? Nimm an, daß ich mich über dein einfältiges Erschrecken, über deine lächerliche Strenge belustigte, daß ich mich gerne mit Frau Friedrich ins Einvernehmen setzen wollte, um zu einer Lösung zu kommen, welche für mich und meinen Gegner annehmbar wäre; überhaupt glaube nur das, was zu glauben in deinem Interesse liegt, und vertraue überdies deiner Freundin. Sie wird sich schon aus der heiklen Situation zu ziehen wissen, sie ist eine phantastische, aber durch und durch pfiffige Person, und hat ja auch nicht zum ersten Male im Leben eine Zusammenkunft mit mir.«
»Wenn das wahr sein sollte, so wäre es sehr verächtlich, daß du es aussprichst.«
»Ich denke mir schon, daß du es in alle Welt hinausschreien wirst. Diesen Sommer in Sauvigny hat sich fast unter deinen Augen die Intrige abgespielt. Meinst du wirklich, daß Frau Friedrich Clément eine reine Unschuldsblüte sei, und willst du sie noch immer mit solcher Heftigkeit verteidigen?«
»Mein Gott,« wehklagte die junge Frau, »ich verteidige ja nur mich selbst, ich will noch meine letzten Illusionen wahren. Was habe ich getan, um so herben Prüfungen ausgesetzt zu werden? Weshalb bist du so selbstsüchtig, so grausam? Warum kannst du nicht sein wie andere Männer, welche sich wenigstens gleichgültig und harmlos benehmen? Alles, was du tust, ist eine Ungeheuerlichkeit; hüte dich, es gibt doch auch noch eine überlegene Gerechtigkeit, welche in jenem Augenblicke niederschmetternd trifft, in dem man es am wenigsten erwartet; zwinge diejenigen, welche du quälst, nicht ihre Bitte an diese Gerechtigkeit zu richten.«
»Ah, jetzt kommen wir auf das Thema des Aberglaubens und der Legende!« rief Valentin, indem er mit gelangweilter Miene im Atelier auf und nieder schritt. »Es ist unnütz, mir die Reueszene aus dem »Don Juan« vorzuspielen; ich bleibe fest dabei, an meinen Entschlüssen ist nichts zu ändern. Fassen wir also die Situation in kurze Worte zusammen: Du willst, daß ich einen Mann schone, ich fordere als Gegendienst, daß du mir ein Weib auslieferst. Das ist in dürren Worten die von aller künstlerischen oratorischen Umhüllung losgelöste Wahrheit.«
Die Entrüstung gab diesmal Henrietten ihre Fassung wieder, sie sprang auf und stand stolz und zornig vor dem Grafen; sie hatte den Arm emporgehoben, als gelte es, ihm einen Schlag ins Gesicht zu versetzen.
»Das ist zu viel der Infamie, ich weigere mich, meine Hand zu einem Ausgleiche herzugeben, möge was immer daraus entstehen!«
»Ganz nach deinem Belieben.«
Sie wies ihm mit einer stolzen Handbewegung die Tür. »Ich bin hier in meinen Räumen, geh'!«
»Ich war auf Aehnliches vorbereitet, leb' wohl, meine Liebe, du machst eine Torheit und wirst es bereuen lernen.«
Er öffnete die Tür und verschwand. Als die Gräfin sich allein sah, nahm sie vor dem Kamin Platz, und das Haupt in die Hand stützend, versank sie in schmerzliche Gedanken; die Situation war klar, aber entsetzlich. Die Offenheit, mit welcher Valentin gesprochen, lieferte den Beweis, daß er fest entschlossen sei, vor nichts zurückzuschrecken. Sprach er die Wahrheit, wenn er behauptete, zu Céline schon früher in näheren Beziehungen gestanden zu haben? Wenn es der Fall gewesen wäre, warum würde die junge Frau denn jetzt vor ihm zurückgewichen sein, quoll nicht alles Unheil aus diesem unerklärlichen Widerstande hervor? Frau von Coutras konnte in ihrem Atelier das Wehklagen, welches auf ihre Lippen kam, nicht zurückdrängen. Sollte die Schlechtigkeit, von welcher sie umgeben war, wirklich auf sie selbst so ansteckend wirken, daß sie Céline einen Vorwurf daraus machte, wenn diese nicht von neuem in dieselbe verfiel? Wenn die junge Frau sich jetzt von dem Grafen fernhalten wollte, so geschah dies offenbar, weil sie bereute, und diese Reue hätte man ihr zum Vorwurfe machen sollen?
Die Erinnerung an alles, was sie durch Valentin schon ausgestanden, erwachte in Henriettes Seele, sie entsann sich der Trauer, des Ekels, der Entrüstung, welche sie empfunden, als sie über die Lügen, über den Betrug, über die Vernachlässigung ins Klare gekommen war, welche Valentin ihr angetan. Weshalb sollte eine andere weniger feinfühlend und empfindlich sein, als die rechtmäßige Gattin? Henriette fand, daß Céline noch unglücklicher sei, als sie selbst es war, denn sie durfte ihren Schmerz ja nicht offen eingestehen und zur Schau tragen. Es genügte aber nicht, daß sie Mitleid für jene empfand; man mußte handeln, und nun, da Valentin den Beweis geliefert, daß er Versöhnungsversuchen nicht zugänglich sei, galt es, ein anderes, solideres und günstigeres Kampfgebiet zu finden. Vor allem mußte man wissen, was sich zugetragen habe, um die Tragweite der zu machenden Anstrengungen genau ermessen zu können. Der Graf hatte in unklaren Umrissen von Beleidigungen gesprochen, ohne zu präzisieren, wodurch er beleidigt worden sei. War nicht vielleicht alles nur eine Lüge? Ging die Beleidigung nicht vielleicht von ihm aus? Wenn dies der Fall war, dann hätte man sich in erster Linie an Redel wenden müssen. Henriette beschloß, sich bei der einzigen Zeugin des Vorfalles zu informieren, und lebhaft klingend befahl sie, daß ihr Wagen vorfahren möge.
Nach der zweifelsohne heftigen Szene mußte Frau Friedrich zu Hause sein. Die Gräfin täuschte sich nicht; es war dies wirklich der Fall, sie befand sich zu Hause, war aber leidend und hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen. Dieser Befehl konnte aber für Frau von Coutras keine Gültigkeit haben, und so bestand sie denn darauf, daß man Frau Clément davon verständige, daß sie dieselbe zu sprechen wünsche. Während sie noch mit dem Diener darüber verhandelte, kam Herr Eliphas die Treppe herab; er war bei seiner Schwiegertochter gewesen und konnte viele Schwierigkeiten aus dem Wege räumen.
»Ich habe Céline soeben verlassen,« sprach der alte Herr, zu Frau von Coutras gewendet, »sie befindet sich wirklich nicht wohl, aber sie wird sich freuen, Sie zu sehen, dessen bin ich gewiß. Wenn sie Ihren Besuch vorgeahnt hätte, so würde sie jedenfalls die Weisung erteilt haben, Sie eintreten zu lassen. Sie sprach gerade vorhin von Ihnen und wollte wissen, ob ich nicht Gelegenheit haben könne, Sie heute zu sehen.«
Ohne weiteren Einwurf von seiten des Dieners stieg die Gräfin die Treppe empor und trat gleichzeitig mit dem Manne bei Céline ein, welcher ihren Besuch hätte anmelden sollen. So fügte es sich, daß sie die junge Frau in der ganzen moralischen Erschöpfung vor sich sah, welcher diese sich seit dem Vorabende hingegeben. Ein Blick genügte den beiden Freundinnen, um sich zu verstehen, und die ersten Worte, welche gesprochen wurden, klärten die Situation auf.
»Céline, du bist es, welche mir gestern jene Botschaft gesendet?«
»Allerdings, ich bin es.«
»Warum hast du nicht mit mir gesprochen, anstatt zu schreiben?«
»Weil ich es nicht konnte, Oberst Redel war zugegen.«
»Was hat sich zwischen ihm und dem Grafen zugetragen?«
Frau Friedrich Clément erbleichte und schwieg. Der kritische Augenblick war für sie herangebrochen; nun galt es, die Wahrheit zu sagen, und welche Wahrheit! Diese enthielt eine tödliche Beleidigung für diejenige, der sie bekannt werden mußte, und gleichzeitig auch für sich selbst.
»Sprich ohne Zurückhaltung,« rief Frau von Coutras lebhaft, »du brauchst mir nichts zu verheimlichen, denn mein Gatte hat mir alles gesagt!«
Bei dieser unerwarteten Enthüllung stieß Céline einen schwachen Schrei aus, und indem sie das Antlitz mit den Händen bedeckte, sank sie in einen Stuhl, ohne daß sie gewagt haben würde, die Augen noch einmal zu Henrietten emporzuheben. Sie weinte leise, und die großen Tränen perlten zwischen ihren zitternden Fingern hervor. Angesichts dieser Verzweiflung und dieses Schweigens fühlte sich die Gräfin von Mitleid bewegt. Regungslos stand sie einen Augenblick da, dann, von dem Wunsche hingerissen, die Wahrheit zu erfahren, faßte sie Frau Friedrich Clément am Arme, zog ihr sanft die Hände vom Gesicht und blickte ihr gebieterisch in die Augen.
»Armes Kind! Du bist ein Opfer gleich mir, erkläre mir alles, und dann wollen wir gemeinsam sofort handeln. Ich hege keinerlei feindliche Gefühle gegen dich, ich sehe, daß das Unrecht, welches man uns beiden zugefügt, sich nicht wieder gutmachen läßt, während wir vielleicht noch in der Lage sind, das Böse zu verhindern, welches man einem andern zufügen will. Bist du ein Kind oder ein reifes Weib, hast du Mut oder kannst du dich nur in nutzlosen Klagen ergehen? Willst du dich mit mir vereinen, um den Grafen zu hindern, daß er Oberst Redel tötet? Das ist es, was ich von dir erfahren will.«
Angesichts dieser mutigen Erklärung raffte Céline sich auf; sie sah Henriette mit ihren schönen, noch durch Tränen verschleierten Augen an und sprach: »Befiehl, ich werde dir gehorchen.«
»Sage mir vor allem, weshalb der Graf und Redel in Streit geraten sind?«
»Weil der Oberst mich gegen den Grafen verteidigte.«
»Ich habe mir's gedacht. Der Zorn, welchen er gegen Redel zu empfinden vorgibt, ist nur Verstellung; bis jetzt darf man denselben noch als Komödie bezeichnen, aber er ist wohl geeignet, in ein Drama auszuarten. Mit Rücksicht auf dieses Duell will er dich zwingen, ihm jene Gunst zu gewähren, welche du ihm bisher verweigert hast.«
»Wer sagt das?«
»Er hat es mir selbst gestanden, er wagte es wirklich, mir ein derartiges Geständnis zu machen, er mutete mir zu, die Zwischenträgerin bei diesem abscheulichen Handel zu sein, ja, von der Art ist dieser Mann; die Macht seiner Verderbtheit ist überdies so groß, daß ich einen Augenblick fast bereit gewesen wäre, dir den Vorschlag zu machen, welchen er von mir verlangte, ja ich bin wirklich zu einem so niedrigen Gedanken herabgestiegen und bitte dich deshalb um Entschuldigung. Du brauchst nicht mehr vor mir zu erröten, Céline, denn ich komme mir kaum weniger im Unrechte vor, als du es gewesen sein magst.«
»Beschuldige dich nicht, Henriette, und verurteile auch mich nicht strenger, als ich es verdiene; ich habe mich ihm niemals hingegeben, und wenn er es dir sagte, so hat er gelogen. Einer Diebin gleich wollte er mich in einer Sackgasse fangen, und mein Abscheu vor ihm ist so groß, daß ich lieber sterben, als mich ihm zu eigen geben würde. In verzweiflungsvoller Wut habe ich ihm die Versicherung meines Hasses und meines Abscheues ins Antlitz geschleudert, und weil Redel, welcher mich ihm entriß, meine Worte bestätigt und verschärft hatte, deshalb faßte er den Entschluß, jenen zu töten.«
Henriette machte eine Bewegung tiefster Entmutigung.
»Welches Verhängnis hat es gefügt, daß Redel mit in diese ganze unglückselige Angelegenheit verwickelt werden mußte?«
»Das Verhängnis trägt keine Schuld daran, und wenn der Graf die Anwesenheit Redels benutzte, um die Verantwortlichkeit für die ganze Insulte auf des Obersten Schulter zu wälzen, so erfaßte dieser andererseits die Gelegenheit, deinen Gatten anzugreifen. Verstehe mich richtig, deinen Gatten. Nicht der Mann, welcher mich beleidigt hat, ist es, gegen welchen er so wütend zu Felde zog, sondern sein ganzer Groll richtete sich gegen Herrn von Coutras, dessen Namen du trägst, dessen Gattin du bist. So, nun kennst du die ganze Wahrheit.«
In düsterer, sorgenvoller Stimmung schwieg die Gräfin, und erst nach ein paar Sekunden sprach sie:
»Ja, es ist die Wahrheit, Valentin hat mit seinem verächtlichen Zynismus mir das auch angedeutet; er gab mir zu verstehen, daß, wenn ich einen Mann beschützen wolle, ich ihm eine Frau ausliefern solle. Er dachte, daß ich Redel ebensosehr liebe, als er dich, und er wollte unsere gegenseitigen Leidenschaften vereinen, um auf diese Art einen doppelten Ehebruch zutage zu fördern.«
Céline wagte es jetzt, einen Blick auf ihre Freundin zu werfen, sie fand nach und nach ihre Selbstbeherrschung wieder, ja, die Neugierde riß sie sogar zu der Frage hin, ob diese denn Redel wirklich nicht liebe, ihn, der ihr doch offenbar von ganzem Herzen zugetan sei.
Henriette hob stolz das Haupt empor, und indem sie ihren flammenden Blick auf die junge Frau richtete, sprach sie:
»Und wenn ich ihn nicht geliebt hätte? Tat man denn nicht alles mögliche dafür, damit ich ihn lieben lerne? Wäre ich hier, wenn meine Neigung nicht ihm gehören würde? Ja, ich liebe ihn, so wie er verdient, geliebt zu werden, und ich werde es verstehen, sein Leben zu verteidigen. Du aber sollst und mußt von dem unterrichtet sein, was sich zuträgt. Du hast deinen Gatten, du hast seine Freunde und die deinen sprechen hören, ich habe seit gestern niemanden gesehen, und alle Welt verbirgt sich vor mir, erkläre und berichte mir, was du weißt.«
»Ich weiß, daß mein Gatte gestern abends schon eine Unterredung mit dem Obersten hatte, daß er heute in den frühen Morgenstunden ausgegangen ist; als ich ihn deshalb befragte, gab er mir ausweichende Antworten und meinte nur, es handle sich um eine für unsern Freund wichtige Angelegenheit.«
»Er dient ihm als Sekundant, das geht aus diesen Tatsachen klar und deutlich hervor,« rief Henriette; »wenn Redel ihn gewählt hat, so geschah es nur, um jede Auseinandersetzung unmöglich zu machen, um zu verhindern, daß ein Ausgleich stattfinde; schlägt er sich mit Valentin, dann ist sein Tod gewiß.«
»Meinst du, daß der Graf des Sieges so sicher sein müsse?«
»Du kennst doch seine furchtbare Kaltblütigkeit und seine ungeheure Kraft; er ist mutig, denn das Blut einer edlen Rasse fließt in seinen Adern; was kalte Entschlossenheit, was stählerne Muskeln und unerreichte Geschicklichkeit zu leisten imstande sind, das wird er gegen den guten, ehrlichen, vertrauensseligen Redel in Anwendung bringen, während jener fast unvorbereitet, fast unbewaffnet auf dem Kampfplatze erscheinen dürfte.«
Mit leiser Stimme, als wage sie das, was sie denke, nur sich selbst anzuvertrauen, flüsterte Céline:
»Und was dann, wenn er den anderen umbrächte?«
»Oh, du nimmst nur den einen Fall an, daß ein für dich günstiges Geschick dich von deinem Verfolger befreien könne, aber ich will es nicht auf eine solche Möglichkeit ankommen lassen. Das Duell muß verhindert werden, um jeden Preis!«
»Wie soll das gelingen?«
»Das ist deine Angelegenheit. Du trägst an allem die Schuld, suche also auch ein Mittel zu finden, um einen Ausgleich zu ermöglichen.«
»Selbst um den Preis meiner Sicherheit und meiner Seelenruhe?« fragte Céline lebhaft.
»Sind diese das wert, was sie kosten werden?«
»Du bist allzu hart«, wehklagte die junge Frau. »In der ganzen Angelegenheit gibt es nur einen Verbrecher, und das ist dein Gatte.«
»Gut, dann komme also mit mir, um ihn zu denunzieren.«
»Bei wem?«
»Bei Frau Mößler; unter uns allen wird sie die Entscheidung zu treffen haben.«
»Man darf ihr also nichts verbergen?«
»Gehe nur mit deinem Gewissen zu Rate.«
»Gut,« warf Céline mit Entschlossenheit ein, »ich werde dich begleiten.« Eiligst nahm sie Mantel und Hut und folgte der Gräfin Coutras.
* * *