Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Prinz Peters unrühmliches Ende

Es gab jedoch noch eine Nebenlinie. Nichtapanagiert. Bis zum siebzehnten Jahrhundert hatte nämlich das heutige Einsprengel Hilligenstadt ein Sonderdasein geführt unter der fürstlichen Linie Osterburg-Hilligenstadt, während die Tillener Osterburger längst Kurfürsten geworden waren. Sigismund der Fünfte zwang dann auf keineswegs einwandfreie Weise den Hilligenstädter Vetter, Peter den Einfältigen, zur Abdankung, »um die Tochter Hilligenstadt nicht länger ihrer Mutter Tillen vorzuenthalten«.

Mit diesen Worten war der glatte Länderraub bemäntelt worden.

Als Ernst der Zweite zur Regierung kam, lebte nur noch ein Sproß jener durch die lieben Verwandten entthronten Linie, der Prinz Peter. Er war schon mit jungen Jahren in österreichische Dienste getreten. Ein hübscher, schlanker k. u. k. Leutnant mit schwarzem Haar und schwarzen Augen voll geradezu abenteuerlichen Leichtsinns. Da er nichts im Kopf hatte als den Gaul, den er gerade ritt, das Mädel, das ihn just beschäftigte, den Schampus, den er eben trank, war es kein Wunder, daß das Sopherl, eine ebenso hübsche, schlanke, nur blonde und mit blauen Augen bedachte Vertreterin des böhmischen Hochadels sich in ihn verliebte.

Ale siebente unter neun Töchtern des Prinzen Wenzeslaus Slivovitz besaß sie ebensowenig wie Prinz Peter. Sie legten es zusammen, heirateten und führten eine erstaunliche Ehe, ständig von Schulden bedroht, bisweilen getrennt, denn die junge Frau war ihm davongelaufen, weil er eheliche Untreue »aus natürlicher Veranlagung« für unabweislich hielt. Da er nun das Sopherl nicht »reklamierte«, sie jedoch als Katholikin nicht wieder hätte heiraten können, dabei aber, trotz verliebtem Blute, zu eigener Untreue zu fromm war, so blieb ihr nichts anderes übrig, als zurückzukehren.

Schon drohte dem Prinzen Peter Osterburg der Abschied wegen irgend etwas »Grauslichem«, als der Krieg von 1866 ausbrach, und es ihm gelang, mit einem Fleischschuß am Oberschenkel und sieben Säbelhieben, sowie dem Maria-Theresien-Orden zurückzukehren. Diesen höchsten Kriegsorden Österreichs hatte er bei der Kavalleriedivision Taxis erhalten, weil er mit seiner Schwadron, zwar völlig gegen jede militärische Einsicht, auch ohne Befehl, jedoch erfolgreich angegriffen. Den Ritter des Maria-Theresien-Ordens abzuhalftern, ging wohl nicht an. In der Verzweiflung eines kleinen ungarischen Nestes wurde ein Sohn gezeugt und, der Eheabmachung entsprechend, evangelisch getauft auf die Namen Arbogast Ernst Peter Franz. Ernst der Zweite hatte nämlich als Äußerstes zugestanden, daß etwaige Töchter katholisch würden, während Söhne evangelisch sein mußten, widrigenfalls er dem Prinzen die Apanage entzogen hätte.

So war Prinz Peter zwar evangelisch geblieben, aber er hätte der alleinseligmachenden Kirche einmal doch wohl anheimfallen müssen, wäre nicht das Sopherl plötzlich zu ihren Heiligen abberufen worden durch eine Herzlähmung nach Genuß von Satanspilzen.

Angesichts einer wirtschaftlich trostlosen Lage und bei der Gefahr, Prinz Arbogast mit dem unevangelischen, auch gänzlich untilligen Namen möchte unter Leitung seines Vaters noch betrübend endigen, überwand König Ernst der Zweite seine Abneigung gegen die fürstliche Linie im allgemeinen, wie Sopherl Osterburg-Slivovitz im besonderen und rief Prinz Peter in die Tillener Heimat zurück. Ein Abschied von der k. u. k. Armee, der dem alternden Rittmeister wie seinem Regimentskommandanten Tränen entlockte, nämlich dem Jüngeren der Trauer, seinem Vorgesetzten der Erleichterung.

Prinz Peter wurde nun in Tillenau im Sigismundflügel des Schlosses sozusagen »interniert«, denn wenn er auch nicht gerade unter Aufsicht stand, so mußte ihm doch immer abends bei verspäteter Heimkehr der Wachthabende von der Schloßwache das Tor aufschließen.

Der k. u. k. Rittmeister im Ruhestand fiel in Tillenau völlig aus dem Rahmen mit seinem in die Schläfen gebürsteten Haar, dem kleinen Backenbart, der immer etwas zu engen Kleidung und dem Strohhalm der Virginia hinterm Ohr. Doch er genoß einer Art Volkstümlichkeit: armer Peter, dessen Frau der König »verjiftet« hat. Jawohl, denn wie »das Volk« genau wußte, hatte ja Ernst der Zweite das Sopherl aus dem Wege räumen lassen (oder war sie etwa nicht an »Jift« gestorben?), damit nicht etwa noch katholische Töchter geboren würden. Daß übrigens ein Sohn da war, ahnte man nicht, weil er nie gesehen ward. Der König ließ nämlich Prinz Arbogast auswärts erziehen.

Auch Prinz Peter zeigte sich nirgends. In der Öde seiner kleinen galizischen und ungarischen Garnisonen hatte er irgendwelche geistige Regsamkeit, falls etwa Ansätze dazu vorhanden gewesen sein sollten, schnell eingebüßt. Auf Urlaub in Wien genügte ihm die »Operett'«. Am liebsten ging er freilich in den Wurstlprater, denn er fuhr leidenschaftlich gern Karussell (man denke sich, daß Ernst der Zweite ihn auf einem Holzpferdchen gesehen hätte!), sang mit den Volkssängern die Gigeratschen-Gageratschen, pfiff das Fiakerlied und drehte beim Heurigen den Hut. Sonst las er im Kaffeehaus den »Kikeriki«.

Wie er nun nach Tillenau in die Verbannung kam, erblickte er ein neues Feld der Tätigkeit in der Abrichtung der Pferde des Königlichen Marstalles. Doch dieser Plan zerschlug sich an dem Widerstände des Oberstallmeisters Exzellenz von Zaum, der unbegreiflicherweise der Ansicht schien, er und seine Hofbereiter könnten das besser. Da nun der Prinz vom Schatullverwalter Seiner Majestät, Exzellenz von Böswetter, knapp gehalten wurde, blieb nichts übrig als das Kaffeehaus. Nun konnte man das Haupt der Hilligenstädter Seitenlinie alltäglich bei J. Schwanzer an der Stechbahn in Hemdsärmeln Billard spielen sehen mit Hofspediteur Packer oder Ratsarchivar im Ruhestand Staub, am liebsten aber mit Herrn Sauber, einem geborenen Wiener, ehemals Wachtmeister bei Windischgrätz-Dragonern. Leider stand Herr Sauber in keinem guten Rufe, weil er eine Dame geehlicht hatte, die unter dem Namen der »Madame« bei der Lebewelt Tillenaus als Inhaberin eines zweifelhaften Hauses bekannt war.

Da nun die Herren vom Königlichen Hofe den Vertreter der Fürstlichen Linie ziemlich von oben herab behandelten, so schnitt Prinz Peter sie seinerseits, indem er, genau wie der schöne Theodor, behauptete, er wüßte nicht, was er mit ihnen reden solle. In der Tat, sie kannten weder den »Niki Esterhazy« noch die »Pepi Gallmeyer«. Keiner von ihnen hatte je in Pardubitz oder in Kecskemét geritten. Wenn er vom Prater erzählte, so fingen sie vom Hirschgarten an, dem Tillenauer Park, der ja ganz nett war, aber doch eben kaum mehr als das. Hatten sie beim Sperl mit der Poldi Flitscherl oder der Mizzi Koller gedraht? Und was war das Tillenauer Schloß gegen die Hofburg oder Schönbrunn? Wer beim Sacher gespeist, konnte doch unmöglich in der »Goldenen Gabel« Tillenaus essen. Freilich durfte der Prinz da im Grunde nicht mitreden, denn seine Mittel erlaubten ihm nicht einmal das. Aber wenn auch die Hofschranzen wegwerfend von seinen Kaffeehausfreunden redeten, so verstanden ihn doch die Gaste bei J. Schwanzer, denn der Herr Ratsarchivar Staub, großer Antisemit (obwohl seine Frau heimlich beim Juden kaufte), lachte sich schief, wenn der Prinz sagte, in seiner galizischen Garnison habe es »bei dreihundert Einwohnern dreihundertundsechs Juden g'habt«. Übrigens führte der Hofspediteur Packer ja auch einen Hoftitel, genau wie die Hofschranzen.

Dabei kam des Prinzen Osterburger Hochmut an den Tag, schien ihm doch sein Abstand von einem Hoflieferanten nicht größer als von einer Oberhofcharge, denn beide waren ja keine Osterburger. So tat er mit den Spießern freundlich, mit den Schranzen von oben herab. Freilich fand er kaum Gelegenheit dazu, höchstens bei den Hofbällen. Dann erschien Prinz Peter mit dem Maria-Theresien-Orden und dem Großkreuz des Osterburger Hausordens auf seiner österreichischen Ulanenuniform und hatte seinen großen Tag, wenn er hinter dem Könige eintrat und die »hochmütige Bande« sich vor ihm mit verneigen mußte. Die Czapka im Arm prüfte er die Damen. Zwar nicht Wienerinnen, gewachsen wie die Pfeifenröhrl, sondern als Tillen etwas gedrungen, aber es machte doch Spaß, hübschen Mädeln in den Ausschnitt zu gucken.

Mit den Herren hatte er sich nichts zu sagen. Die Gesandten freilich mußte er anreden, das verlangte der König. Der Lausitzer, Exzellenz von Gaffe, kam von selbst, seine tiefen Diener zu machen, und dem braven Schwaben Freiherrn von Hutzel, wie dem gemütlichen Bajuvaren Doktor Max Ritter von Vollbier hing er seine österreichischen Geschichten auf, aber dem Borussen Exzellenz von Klops gegenüber blieb er fremd und steif. Er haßte die Borussen. Meist tratschte er daher mit dem österreichischen Gesandten, Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Geheimen Rat Scheberl, Edler von Fisol, ursprünglich Berufskonsul, der aber, seitdem er, reicher Fabrikantensohn aus Brünn, die arme Gräfin Gabrielle Schau geheiratet, zur Diplomatie übergegangen war. Mit dem österreichischen Attaché, dessen lange schwarze und pinselartige Wimpern alle Tillener Damen schwer beunruhigten, sagte er sich Du, war jener doch ein Slivovitz, wenn auch nur von der gräflichen Linie.

So hätte der gute Prinz Peter allmählich in ein ehrenwertes Alter hinübergleiten können, wäre nicht etwas durchaus Unwürdiges geschehen. An einem späten Abend nämlich erschien beim Hauptmann der Schloßwache Herr Sauber, der einstige Wachtmeister von Windischgrätz-Dragonern, und seine Worte bewirkten, daß der Hauptmann den Flügeladjutanten vom Dienst weckte. Dieser wiederum rüttelte den alten Kammerdiener Treu, der im Vorraum vor dem Arbeitszimmer des Königs eingenickt war. Der Alte lauschte an der Tür. Man hörte Räuspern, ein Buch weglegen: Ernst der Zweite war bei der Arbeit. Was dann geschehen ist, hat kein Mensch erfahren. Nur die Posten draußen am Ausgang zur »langen Galerie« haben später erzählt, daß sie eine tiefe Stimme vernommen hätten, wie ein Löwengebrüll. Kurz darauf verließ Herr Sauber in Begleitung von zwei Herren das Schloß, und eine Stunde später fuhr durch das Seitentor des Sigismundflügels eine Droschke. Etwas wurde ausgeladen. Der Leibarzt Generalarzt Doktor Vagus schritt nebenher.

Am nächsten Tage erfuhr man, daß Seine Durchlaucht Prinz Peter von Osterburg-Hilligenstadt plötzlich an Herzruptur verschieden war. Trotz allen Vorsichtsmaßregeln sickerte aber durch, es sei geschehen bei seinem Freunde Herrn Sauber, oder vielmehr im Hause von dessen Gattin, der »Madame«.

Seitdem war die fürstliche Linie nur noch auf zwei Augen gestellt.


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