Oskar Panizza
Das Liebeskonzil
Oskar Panizza

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweite Szene (Verwandlung)

Das Himmelskabinett steigt langsam nach oben; die Szene wird dunkler und macht einem tonnenartigen, nach unten sich verlängernden, düsteren, mit grauen Quadern ausgemauerten Tunnel Platz, der sich wie das Innere eines Turmes oder Ziehbrunnens scheinbar bis ins Unendliche nach abwärts erstreckt, und an dessen hinterem Ende eine morsche, verbarrikadierte, vielfach ausgebesserte Holzstiege sich befindet. Auf dieser sieht man bald darauf den Teufel nicht ohne Mühe, ächzend, sich am Geländer fest anhaltend, hinabsteigen, während die gleichzeitig nach oben rückende Szene ihn im Auge behalten lässt. Phantastische Vögel und Ungeheuer, die teils auf Stangen sitzen, teils in Hohlräumen des Mauerwerks lagern, pfauchen und krächzen ihm mit heiserem Ruf ihren Gruss entgegen. – Nach einiger Zeit mündet dieser brunnenartige Gang in einen grösseren, finsteren, kellerartigen Raum, der durch ein traniges Öllicht nur teilweise erhellt ist und in dem zunächst nichts weiter zu erkennen ist, als ein aus Binsen und Flechtwerk roh zugerichtetes Lager rechts im Vordergrund. Die Öllampe ist auf der anderen Seite und mehr im Hintergrund. Der Teufel, der müd und humpelnd angekommen, geht einige Schritte seufzend hin und her, geht dann nach hinten; man hört eine schwere Truhe aufschlagen; er entledigt sich seines engen, schwarzen Gewandes, das er säuberlich in einen der Kasten legt, um in einem aus Tierfellen zusammengeflickten, warmhaltenden Flaus bald darauf nach vorn zu kommen. Er ächzt wiederum erst einige Schritte hin und her, wie nicht wissend, wohin er sich wenden solle, und setzt sich endlich quer auf sein Binsenlager, zieht die Füsse an und vergräbt die Hände tief in das Wollhaar des Kopfes, Stirn und oberen Teil des Gesichtes auf diese Weise verdeckend.

Teufel mit sich redend. Da hockst du nun, Hund; wieder allein; heimgekehrt zu dir; zurückgekehrt von der Audienz; ahnenloser Geselle ohne Respekt und Reputation; und hast wieder einmal gesehen die goldausgelegten Gemächer der Hohen und Vornehmen. Und du bist immer und bleibst der Lump, der Spitzbub, der krumme Kerl. Und die da droben, die dürfen tun, was sie wollen, es mag noch so platt, niedrig oder gemein sein, es ist immer edel und vornehm, weil es in den Gemächern des Nobeltums passiert. Und du magst tun, was du willst – und wenn du mit dem Kopf dich bis zum anderen Ende der Erde wühltest, – es ist immer niedrig und gemein und schuftig. – Pause; überlegt. Wenn du ein Graf wärest, dann wäre auch dein krummes Bein gräflich. Und wenn du nur ein Türsteher da droben wärst, dann wäre auch dein Kopf und deine Gedanken himmlisch und engelhaft, wie dein Kleid, das du dann trügest. Aber so bist und bleibst du ein Hund! – Nur wenn du für sie was tun sollst, was sie selbst nicht können, oder was für sie zu schmutzig ist, dann lächeln sie dir und sagen: »Mein Freund! Mein Freund!« Aber wenn die Audienz vorbei, musst du wieder herunter in Staub und Kot, und dann heisst's »Pfui Deifel! Pfui Deifel!« – Und so bist du ein erdgeborner, gebückter und verzerrter Kerl dein Leben lang, und humpelst herum mit deinem Fuss, und frisst Ärger und Grimm in dich hinein! – –

Und doch! Und doch bist du mehr! Bist mehr als diese Firlefanzleute in ihrem Glück und Wolkenbau! Steckst mitten in der Welt; und in deinem Kopf stecken die Gedanken der Erde! Und wenn du hier allein bist, allein mit deinem Erdgeruch, und dein Kopf sich illuminiert, dann entsteht in diesem vergrämten Kopf, mitten in der Verzweiflung, ein Funken, ein Gift, eine Kraft, die wie ein Blitz, zündend und wetternd, durch die Welt fährt und die Hülsenköpfe in ihrem Wolkenkuckucksheim erbeben macht. – Und brauchst keine Tiaren zu tragen, keine Ambrosia noch Sekt zu trinken und scheppernd und glänzend dich zu zeigen, um glücklich zu sein. Bist so glücklich; glücklich, wie die anderen nicht glücklich sein können! Glücklich in diesem Erdenloch, in diesem kostbaren Tunnel, diesem Hauch von Irdischkeit und Würze, diesem Weltgeruch, der dich kräftigt und stählt und Gedanken erzeugt und zur Arbeit zwingt. – Und brauchst keine Ahnen und Vergangenheitsregister; bist blank und sauber; darfst von neuem beginnen; brauchst nicht nichts zu tun; die Arbeit sind deine Ahnen! Deine Ahnen projizierst du in die Zukunft! – Arbeit! Arbeit! – Springt auf. Also denn auf zur Arbeit!

Er geht längere Zeit auf und ab, bleibt wiederholt stehen und sinnt nach.

Also verführerisch soll es sein, das Ding, – na natürlich, »Sonst beissen sie nicht an«; – »etwas Frauenzimmerartiges«, sagte Maria; – sehr gut! – Die Frauenzimmer kennen ihr Geschlecht immer am besten. – Aber giftig soll es auch sein; darin liegt ja die Strafe; und sie sollen das Gift nicht merken, es hinunterschlucken wie Sirup; – sehr gut! – das lässt sich machen. – Aber es soll dabei Seele und Leib vergiftet werden; aber nicht definitiv; nur bis zur Verzweiflung, bis zum Wahnsinn; sie wollen also sehen, wie sich die Menschheit krümmt und bricht; wie sie ihre Seelen ausleeren wie einen Magen; – ich verstehe; – die Seele soll aber wieder reparierbar sein, – »erlösungsfähig«, wie sie sagen; – na, die Freude kann ich ihnen ja fürs erste lassen; ihnen und ihnen; – vom Leib haben sie nichts gesagt; sehr gut! – Als ob sich das trennen liesse! – Wenn ich den Leib toll und voll verseucht habe, und der ganze Kerl zum Teufel fährt – ah, pardon – kaput geht, dann möchten sie die Seele, nachdem sie schon auf dem Weg zu mir ist, noch erlösen! – Die Barmherzigkeit! – Na, das wird sich ja finden. – Geht wieder schweigend und nachdenklich auf und ab. Was soll das nun aber für ein Gift sein? Welches ruiniert, und doch wieder nicht ruiniert? – Mit organischen und chemischen Giften komm' ich da nicht aus! – Auch kann ich da nicht quantitativ vorgehen. Die schluckten ja und schluckten das Zeug hinunter – besonders, da es so süss ist – und pardauz lägen sie da! Ich kann da nicht dosieren. Ich kann doch kein ellenlanges Rezept an die Bettlade kleben: pro dosi soundsoviel! – Das muss also ein feines, neues und ganz besonderes Gift sein! – Welches weder den Geber noch den Nehmer sogleich vergiftet! – Das muss dann ein feines, schleichendes, langsam wirkendes Ding sein, welches sich ruhig weiter vererbt, und in einigen lebenden Exemplaren immer frisch zu haben ist! – Dann – soll das Gift sich an das höchste Entzücken des Menschen anschliessen, an den Liebestaumel, an das naivste und köstlichste Glück, welches sie besitzen: damit es sicher zu allen dringt! – Ja, das heisst, das war eigentlich mein Gedanke! – keine Verschiebung des geistigen Eigentums! – Na, ja! – Wie nun weiter? – Woher nimmst du das Gift? – Überlegt, bleibt stehen. Na, aus dirKühl. Gibt es denn etwas Giftigeres, die Adern Durchdringenderes als du selbst? – Sehr gut! – Was weiter? – Wie wirst du's nun anstellen? – Überlegend, sehr langsam, mit vorgestrecktem Zeigefinger sich vordiktierendDu musst das Gift, welches an sich vielleicht zu stark ist und tödlich wäre, erst organisch abschwächen und dann in einer lebenden Person verwirklichen! Patscht in die Hände. Hoppla, das ist's! – Noch einmal: du musst das Ding erst organisch so mild machen, dass es ihre Mägen und Lebern zunächst gut vertragen, und es gleichzeitig in einem Lebewesen, das ihnen gleich sei, personifizieren! – Sackerlot! – Und zweitens: dieses Lebewesen muss ein Weib sein! und das Gift muss durch die bekannten Schläuche geleitet werden! – Und drittens. dieses Weib muss schön sein; und ich ihr Vater! – Sapristi! – Reibt sich die Hände. Kommen wir auch einmal zum Zeugen! – Geht lange erregt auf und ab. ... Nun, und wenn ich dies Kunstwerk fertigbringe, was krieg' ich dann dafür? – Freund, nimm dich in acht! Diese Gelegenheit kommt nicht wieder! Jetzt hole die lang aufgespeicherten Speisezettel deiner Wünsche hervor! – Besinnt sich. – Diese Stiege da – schaut nach oben – muss Er mir reparieren. Das Gerümpel. Wenn ich da mal ausgleite und breche mir den Fuss, dann bin ich ein ganzer Krüppel. – Dann, diese Falltüre da oben, die ist meiner unwürdig. Da stoss' ich mich schon lange daran. Da soll ein schöner freier Zugang werden, mit einem Geländer daran und ein paar Teppichen. – Dann, diese Audienzmeierei habe ich ebenfalls schon lange satt. – Wird der Zugang oben frei, muss ich auch freien Zugang haben! Ich muss stets unangemeldet kommen können. – Er kam ja auch stets unangemeldet zu mir herunter. – Dann – sehr bestimmt – muss Er mir meine Bücher frei drucken lassen und ihre breiteste Zirkulation im Himmel und auf Erden erlauben. Das muss ich unbedingt haben. Ohne das gehe ich gar nicht an die Arbeit. Ausbrechend. Wenn jemand denkt und darf seine Gedanken nicht mehr Anderen mitteilen, das ist die grässlichste aller Foltern. – Dass andere das nachdenken, was du vorgedacht hast, dieses reinste Entzücken, dieser Tropfen Lust, der Fässer voll Bitterkeit geniessbar macht, ist das so schwer zu begreifen?! – Also das ist Numero eins! – Dann – muss hier die Ventilation besser werden. – Glotzt lange an der Decke herum. ... Eigentlich könnt' ich mir das Ding hier mit Goldleisten ausschlagen lassen. – Ach, – es wäre doch nicht heller... Wie wär's, wenn Er mich zum Graf machte? – Graf Miraviglioso! Oder gleich ganz italienisch: Conte di Miraviglioso; Signor Conte di Miraviglioso. – Pfui, schäm' dich! Hast du nicht gesagt, du willst ein ehrlicher Kerl bleiben? – Nun ja; ich wollte ja nur auf ganz kurze Zeit das tolle Empfinden haben, ganz ohne Grund etwas zu sein. Nur auf acht Tage. – Ich kann ja den Titel dann meinem Ausgeher schenken. – ... Ein paar Orden könnt' ich mir bei dieser Gelegenheit geben lassen! – Dazu ist es wieder nicht hell genug daherunten. An der Beleuchtung fehlt es hier überhaupt. – Was noch? – Etwas bessere Garderobe! Dieses spanische Kostüm trag' ich nun schon seit Philipp II. Es ist unerhört. – Heftig. Und nur meine ganz ausserordentliche Peinlichkeit erlaubt mir noch, überhaupt oben zu erscheinen. – Dann, um Gottes willen, etwas Mobiliar. Ein paar Pfund Rosshaar werde ich doch noch wert sein. Und ein paar warme Decken. – Weiter! – Etliche Borten an meine Kleider; wenigstens Leutnantsrang! – Dann: Einreihen, wenigstens in die letzte Hofrangklasse; mein Gott, ich helfe doch den Leuten in ganz ausserordentlicher Weise. – Ferner: ein kleines »von« –, und die Möglichkeit einer standesgemässen Verbindung mit einer der Engelklassen; Gott, so ein zartes Geschöpfchen neben mir, 's wär' ja zum Entzücken; sie mag so dünn und jung sein, wie sie will; ich richt' sie mir schon her! – Was noch? – Ein goldenes Portepee, 'n Kammerherrntitel, ein kleines Krönlein, 'n Herzogskragen oder ... – Hält plötzlich inne, greift sich mit beiden Händen an die Stirn und schreit in tierischer Weise hinaus. Äh! – Äh! – Bleib fort! – Er hält die Hände weit von sich, wie um etwas wegzustossen, das auf ihn eindringt, und weicht zurück. Äh! – Es kommt! – Es hat mich! – Du Hund, hab' ich dir nicht gesagt, wenn du über die Schnur haust, packt es dich! – Pfui Teufel! – Spuckt aus, wie um etwas aus seinem Innern zu entfernen. Pfui Deifel! – Es kommt! – Der Ekel, – er hat mich! – Pfui! – Pfui! – Oh, es ist zu spät! – Ekel! Ekel! Verdammte Sauce! – Er krümmt sich. Weisst du nicht mehr? – Weisst du nicht, dass du nur in der Entbehrung, im Finstern, nur unter der Marter gedeihst? – Und dann will der Kerl stolz sein! – Ah, – ah – Er macht Würgbewegungen, schleppt sich bis zu seinem Lager, wirft sich dort auf den Bauch, wälzt sich in Krämpfen, reisst aus der Matratze Stroh heraus, macht einen Knebel und steckt ihn sich mit ingrimmigem Behagen ins Maul; – wird dann allmählich etwas ruhiger, liegt bewegungslos da, und scheint zu schlafen. – Lange Pause. –

Währenddem hat sich im Hintergrund an der Rückwand des Gewölbes die Szene wie aufgeklärt; die Schicht wird heller und heller; zuletzt durchsichtig; es ergibt sich eine, wie es scheint, unermessliche Perspektive; allmählich schwindet auch der letzte trübe Schleier, und man erblickt ein ungeheures Totenfeld, auf dem eine schier unfassbare Zahl, wie es scheint lauter Weiber, in Leibesgestalt, mit fahlen Gewändern, die einen hockend, die anderen hingestreckt, teils die Arme aufgestützt, teils das Gesicht in den Armfalten vergraben, wie schlafend dortliegen; das Ganze übergossen von einem kalten, flirrenden, mondlichtähnlichen Schimmer. – Tiefe Stille.

Teufel wacht langsam auf, hebt sich, mit den Händen aufstützend, matt empor; wie er sich umwendet und erblickt die Szene, fährt er plötzlich zum Sitzen auf, reisst sich den Knebel aus dem Mund Ah! – Ihr seid mir vorausgeeilt, Gedanken! – Betrachtet lange mit Entzücken die Szene. Ihr habt euch verwirklicht, meine guten Gedanken! – Und die gemeinen sind mir in den Magen gefahren und haben mich krank gemacht; – so ist's recht! – Du hast gebüsst, – und bist jetzt wieder ein ehrlicher Kerl! Legt sich, noch immer etwas erschöpft, wieder in mehr ruhende Stellung zurück, aber so, dass er die Szene im Auge behält – matt und langsam. Welche von diesen wähl' ich mir jetzt aus als Mutter für mein glorioses Geschöpf? – ... Schön! – Verführerisch! – Sinnlich! – Giftig! – Hirn und Adern verbrennend! – Ahnungslos! – Tollpatschig! – Grausam! – Berechnungslos! – Seelenschmutzig! – Naiv! – Lange Pause.  –

Er erhebt sich dann zum Sitzen und ruft mit halblauter, aber klarer Stimme, in sanftem Ton

Helena von Sparta – des Priamus Geliebte – Trojanische Königin!

Im Hintergrund erhebt sich aus der Reihe der Schlafenden langsam eine Gestalt mit langem schleppendem Mantel, der um die Taille durch einen mit der Stoffarbe gleichen Strick zusammengehalten, kommt langsam, wie schlaftrunken, mit geschlossenen Augen, den Lichtschimmer, der ihr aus dem Totenreiche anhaftet, beibehaltend, nach vorn und bleibt vor dem Teufel stehen.

Teufel. Du bist damals mit dem jungen Laffen, dem Trojanerprinzen, auf und davon, und hast deinen Mann, den König, zurückgelassen; rein aus Verliebtheit ? – Helena verneint schwerfällig mit dem Kopfe. – Was? Nicht einmal verliebt? – Aus Neugierde? Sie scheint sich zu besinnen; nickt dann wie schlaftrunken. – Nur, weil es dir gefallen hat? – Helena nickt. – Ohne etwas zu denken ? – Nickt. – Justament? – Wartet und nickt dann. – Und als dann der Krieg ausbrach, da dachtest du? – Nickt mechanisch, besinnt sich aber dann und verneint. – Dachtest dir: Es ist nun einmal so! – Nickt und betont. – Geh, leg' dich wieder schlafen – armes, dummes Ding! –

Sie wartet einen Moment, dreht sich dann langsam um und geht zurück auf ihren Platz, wie sie gekommen.

Teufel nach einer Pause, mit der gleichen hellen, sanften Stimme Phryne – aus Athen – glatteste aller Hetären – komm! Von dem Totenfeld erhebt sich aus einer anderen Reihe ein Weib im gleichen Anzuge wie die erste und kommt näher. – Blasseste aller Zauberinnen, du hast Tausende von Männern in dein Garn gelockt, sie arm und elend gemacht, ihnen Geld und Gedanken geraubt, – hast Philosophen genarrt, – Richter bestochen, – Staatsgesetze umgestossen, – Krieg angezettelt, – Reichtümer angehäuft, – hast dich als Göttin geriert, – dich anbeten lassen, – hast dein Vaterland verhöhnt, – wolltest deinen Namen wie eine schmutzige Reklame auf die Mauern Thebens setzen – und dafür bezahlen, – hast dich nackt vor allem Volk gezeigt, – in Korinth dir Tempel und Statuen bauen lassen, – hast fortgehurt, bis deine Haare weise wurden – und wurdest schliesslich in einem Tempel, in den du dich geflüchtet, wie ein unreines Tier erschlagen? – Nickt stumm wiederholt auf alle Fragen. – Warum? – Aus Liebe? – Verneint. – Aus Leidenschaft? – Verneint. – Aus Laune? – Nicht. – Weil du schöner und blasser warst als alle anderen? – Nicht. – Hast gar nichts dabei gedacht? – Verneint. – Liessest den Dingen ihren Lauf? – Bejaht. – Geh, du harmloses Kind, du bist unschuldig! –

Geht langsam und schweigend ab, wie die erste.

Teufel nach einer Pause, wie oben. Heloise – Äbtissin von Paraclet – Latinistin des 12. Jahrhunderts – Eine dritte Gestalt erhebt sich aus dem Totenfeld und kommt im gleichen Anzug, wie die vorigen, näher. – Du hast studiert, – und hast geliebt, – und hast Kinder gebracht, – und hast deinen Lehrer Abälard, die Leuchte des Jahrhunderts, verführt – und deine Familie in Spott und Schande gejagt, – bis sie dir deinen Geliebten zum Kapaun machten – und dich zur Nonne, – und hast dann deinen verschnittenen Abälard fortgeliebt, – und ihm brünstige Briefe geschrieben, – bis man dich zur Äbtissin machte; – und als Äbtissin hast du weiter studiert, und ihn weiter geliebt, und weiter – wenigstens in der Phantasie – Kinder gebracht und mit deinem längst abgekühlten Freund imaginative Scheusslichkeiten begangen, die man selbst in der Hölle nicht sagen darf, – und hast ihm geschrieben: lieber wolltest du des Abälard Hure, als des Kaisers rechtmässige Gattin sein; – und als er starb, hast du dir seine Leiche kommen lassen, und hast ihn immer noch geliebt, und ihn mit deinen eigenen Händen begraben; – und dann hast du ihn noch zwanzig Jahre auf Kosten deiner Phantasie weiter geliebt; – bis du selbst starbst? – Hat zu allen Fragen stumm genickt. Warum? – Aus Liebe? – Bejaht heftig. – Aus reiner Liebe? – Bejaht intensiv. – Kind, du bist ja schon für den Himmel reif! – Halt dich parat, wenn die Posaune ertönt, kommst du zuerst dran! – Inzwischen geh und schlaf weiter! -

Gestalt geht ab.

Teufel für sich. Ich hab' doch verdammt wenig Grandioses in der Hölle; muss mir mal 'n Scheusal holen! – Besinnt sich, dann nach einer Pause. Agrippina – Mutter, Gemahlin und Mörderin von Kaisern – und Gemordete eines Kaisers – komm! – Eine Gestalt erhebt sich aus anderer Gegend. – Du hast etwas viel auf dem Kerbholz, Freundin; – mit vierzehn Jahren heiratetest du deinen Mann, und lässt dich herbei, ihm nach neun Jahren eines der grössten Scheusale, den Nero, zu gebären? – Dafür kannst du nichts! – Tröste dich, wir haben jetzt eine Schule, die dir nachweist, dass du auch für die anderen Sachen nichts kannst; nur ist diese Lehrmeinung noch nicht bis zum Himmel gedrungen. – Du vernachlässigst also deinen Mann, und gibst dich dem Lepidus hin; – das war damals so Sitte! – Dann verbindest du dich mit deinem Freier, um deinen Bruder, den Kaiser Caligula, zu ermorden; – es gelingt nicht! – Dafür kannst du wieder nichts, – das heisst, du warst nicht geschickt genug! – Natürlich wirst du verbannt! – Endlich wird aber Caligula doch ermordet – wie das damals so Sitte – und du wirst wieder hoffähig; du versuchst dann vergeblich, einige andere vornehme Römer zu kapern, bis sich endlich der reiche Advokat Passimus – den ich für gescheiter gehalten hätte – herbeilässt, und mit dir eine zweite Ehe eingeht; du vergiftest ihn dann und beerbst ihn! – Doch das haben schon andere vor dir gemacht; das war damals so Sitte! – Dein folgendes Stückchen war dagegen schon viel origineller: du spielst so geschickt hinterm Vorhang – von deiner Villa aus – dass du die Kaiserin Messalina von ihrem Gemahl, dem Kaiser Claudius, abschlachten lässt, heiratest dann selbst den Kaiser Claudius und wirst Kaiserin! – Was dann folgte, der von dir inszenierte Selbstmord des Lucius Silanus, die Verbannung seiner Schwester Junia und die Verbannung der Lollia Paulina, deren Kopf du dir nachträglich aus der Verbannung zurückholen lässest, waren mehr Nebenabfälle; du folgtest darin den Sitten deiner Zeit. – Dann verschaffst du dir den Beinamen ›Augusta‹, die Heilige, lässest deinen Sohn Nero von deinem neuen Gemahl, Kaiser Claudius, adoptieren, lässest ihn dann mit der Tochter dieses Kaisers Claudius, Octavia, vermählen, vergiftest dann diesen Kaiser, deinen Gemahl, und rufst deinen Sohn Nero zum Kaiser aus. – Das war nämlich damals ganz neu! – Du vergiftest dann noch ein paar Konsuln, Prokonsuln und Nebenbuhlerinnen, und wirst letztlich von deinem eigenen Sohn Nero ermordet! – Die Gestalt hat auf alle Fragen stummnickend geantwortet. – Hör' mal, Agrippina, du bist eine ganz scharmante Person, aber ich vermisse in deinem ganzen Tun den eigentlich künstlerischen Impuls – die Naivität; – alles hängt ab von deinem masslosen Ehrgeiz! – Das ist krankhaft! – Das wird auf die Dauer langweilig! – Wir fassen die Sachen jetzt anders auf! – Nicht ein schöner Mord in deiner ganzen Geschichte! – Ich kann dich wirklich nicht brauchen! – Geh nur und leg' dich wieder schlafen: – Schlaf sanft! –

Gestalt ab.

Teufel nach einigem Überlegen, für sich. Jetzt hab' ich noch eine Nummer, die Herodias; – aber halt – wie wär's? – Er überlegt. Ich nehm' statt der Mutter doch lieber die Tochter! – Ruft. Salome, – schöne, junge Tänzerin, – komm zu mir! – Weit hinten erhebt sich eine schlanke, jugendliche Erscheinung und kommt näher, eine freundliche, heitere Erinnerung auf ihrem Gesicht. – Sag' mir einmal, mein hübsches Kind, du warst damals auf dem Bankett bei Herodes zugegen? – Bejaht. – Und da tanztest du? – Bejaht. – Warum tanztest du? – Sie weiss es nicht. – Nun, du tanztest eben, weil junge hübsche Mädchen überhaupt gern tanzen, – und weil du Tanzstunde gehabt hattest? – Bejaht. – Und du fandest Beifall? – Nickt. – Und Herodias sagte dir, du solltest dir was schenken lassen? – Nickt. – Und du liessest dir einen Kopf schenken? – Nickt. – Einen Menschenkopf? – Bejaht. – Einen lebenden Menschenkopf? – Bejaht. – Weshalb? – Sie weiss es nicht. – Zum Spielen? – Sie zaudert und bejaht schliesslich. – Und Herodes schickte dich mit dem Henker ins Gefängnis, und der schneidet dir dort einen Kopf ab? – Nickt. – Das war der Kopf des Johannes? – Bejaht gleichgültig. – Der ward dir auf eine Platte gelegt, und du kamst dann damit herein in den Bankettsaal? – Nickt. – Das Blut lief wohl in der Platte herum, – und machte sie schliesslich ganz voll? – Nickt. – Es netzte deine Finger? – Bejaht lebhaft. – War dir das angenehm, oder unangenehm? – Bejaht. – Ja, was? – Angenehm oder unangenehm? – Sie reibt die Hände gegeneinander. – Es kitzelte dich? – Bejaht sehr deutlich. – Du hast wohl sehr feine Finger? – Keine Antwort. – Und dann, – dann schenktest du den Kopf deiner Mutter? – Bejaht. – Warum? – Zuckt mit den Achseln. – Er war eben schon tot? – Nickt traurig. – Und du wolltest doch einen lebenden haben? – Bejaht. – Ja, die abgeschnittenen Menschenköpfe halten sich nicht lang! – – Sag' mal, hast du einen von den Leuten da gern gehabt, was man sagt, lieb? – Weiss nicht, was sagen, und verneint schliesslich. – Den Herodes? – Verneint. – Den Johannes? – Verneint. – Deine Mutter? – Zuckt mit den Achseln und verneint. – Aber deinen abgeschnittenen Kopf, den hattest du gern? – Bejaht sehr deutlich.

Teufel springt plötzlich auf. Kind, du bist mein Fall! – Geht auf sie zu. – Aus dir lässt sich noch was machen! – Er schliesst sie, halb von rückwärts kommend, leicht in seine Arme. – Du sollst mir heut in mein Schlafgemach folgen!

Die Gestalt hört man tief und vernehmlich stöhnen.

Während des Folgenden fallen über dem Totenfelde wie im Vordergrund schwarze, anfangs noch durchsichtige Flöre und Schatten herab, die die ganze Szene immer mehr verdüstern.

Teufel die Gestalt sanft mit sich nach rechts fortführend. Wir haben grosse Dinge mit dir vor! – Da sollst die Ahnin eines grandiosen Geschlechts werden, an das kein Aristokrat hinan kann! – Deine Nachkommen werden weder blaues noch rotes, sondern weit merkwürdigeres Blut in ihren Adern führen. – Und du wirst die Mutter sein. – Deine Qualitäten sind einzig in meinem grossen ungeheuren Reich! – Selbst oben, bei Hof, sieht man unsere Verbindung mit gnädigem Wohlwollen! – Er verschwindet mit ihr; die Stimme klingt immer entfernter. – Morgen darfst du schon zu deinen Schwestern zurückkehren! – Unser heisses Temperament lässt Schaffen und Entstehen sich in unglaublich kurzer Zeit vollenden! – Zeugen und Gebären rückt durch unsere Gewalten in wenige Stunden zusammen! – Komm, mein Kind, komm! –

Das Totenfeld ist jetzt verschwunden. Die Flöre fallen nun auch im Vordergrund immer dichter; so dass die Szene bald ganz verdunkelt ist. – Man hört in der Ferne noch einen gellen, weiblichen Schrei. – Dann wird es schwarze Nacht, und

der Vorhang fällt.


 << zurück weiter >>