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Der Eroberer

Wir sind noch immer zu sehr in alten, längst überlebten Naturanschauungen befangen, die sich wie Pech an uns hängen.

Da spukt noch immer der Mensch im Strahlenglanz seiner göttlichen Abstammung, völlig getrennt von der übrigen Natur, von Pflanzen und Tieren, als das letzte Wunder des Schöpfungsakts.

Und Gott sah, daß es gut war, und sprach: Lasset uns den Menschen machen nach unserm Ebenbild und Gleichnis, der da herrscht über die Fische des Meeres und das Geflügel des Himmels und über die ganze Erde und alles Gewürm, das sich regt auf der Erde!

Seit dieses Gotteswort niedergeschrieben wurde, ist die unüberbrückbare Kluft aufgerissen, die den Menschen von der Natur und allem Wachsenden und Werdenden darin für immer scheidet. Er war jetzt der Herr darin, nicht der Genosse, und machte die Erde mit allem, was darauf, sich untertan.

Und viele Tausende von Jahren galt das als Rechtens. Niemand dachte daran, sich die Sache näher anzusehen, Tiere und Pflanzen, und darin doch eine gewisse Verwandtschaft zu erblicken. Alles sträubte sich dagegen: menschlicher Hochmut, Religion, die Vernunft selbst.

Die Folge mußte sein eine völlig ungerechtfertigte Geringschätzung des Tieres als Lebenswert. Der Mensch war allein das Maß der Dinge. Die Stimmen einzelner Weisen wurden überhört, als ketzerisch und widersinnig niedergeschrien.

Nur das Märchen und die Sage nahmen sich der Verlassenen an und erhielten den verschütteten Glauben an die alte Bruderschaft, bis endlich die Wissenschaft, mutig geworden, einen Weg hieb durch das Gestrüpp von Lüge und Vorurteil.

Die Lehre von der Entwicklung brach siegreich durch, der Mensch ist kein Anfang und kein Ende mehr, er steht mitten darin im Kreislauf des Werdens, und unübersehbare Zukunften liegen vor ihm.

Mit dieser Kenntnis aber beginnt eine frohe Zeit. Wald, Flur und Feld gewinnen neues Leben. Jeder Baum, jede Blume spricht zu uns in verständlicher Sprache, wir erkennen die Gemeinsamkeit ewiger Gesetze; die Tiere aber werden zu Genossen, zu Spiegelbildern unseres Selbst, in denen wir unsere eigenen Triebe wiedererkennen in ungeschminkter Wahrheit; das tat twam asi der alten Inder tönt wieder vernehmlich an unser Ohr, und der große Pan ist wiedererwacht und lockt uns mit seiner Syrinx hinaus in Wald und Au.

So geht's mir immer im Frühling; in die Wurzhütte am Spitzingsee wollte ich, und im Paradiese bin ich gelandet. Aber das macht nichts, die beiden sind gar nicht so weit auseinander, für mich wenigstens. Jeder hat sein eigenes Paradies, und das meine ist die Wurzhütte, und zwar ist sie es eben durch die neue Erkenntnis der Einheit alles Lebens; damit ist auch die alte Hütte am Bachrand nicht totes Gerumpel, sondern tausendfaches Leben quillt ihr aus allen Ritzen.

Leben aber ist Individualität. Es gibt ungezählte Hütten am Bachrand, aber nur eine Wurzhütte, ebenso wie es ungezählte Hirsche gibt oben im Bergwald, aber nur einen »Eroberer«, und von beiden will ich erzählen, von der Wurzhütte und vom »Eroberer«.

Sie liegt am Ufer des Spitzingsees, uralte Tannen halten vor ihr wie Grenadiere die Wacht, den Rücken deckt der Bergwald, zur Seite, ihre bemoosten Holzwände seit einem Jahrhundert bespülend, kollert, gurgelt und plappert der Schwarzbach.

Das alte Schindeldach, von bemoosten Steinen gehalten, reicht bis dicht unter die schmalen Fensterluken, die über den Bach herüberblinzeln.

Der Eingang ist etwas zu niedrig ausgefallen für die Rasse, die dort aufwächst; doch der Arbeitsmensch ist gewohnt, seinen Nacken zu beugen unter Schicksal und Last, warum sollte es denn hier anders sein!

Man tritt in eine richtige Halle, die bis unter die verräucherten Dachsparren sich fortfetzt. Das ist die Leutestube, mit derb gezimmerten Tischen und Bänken, Hölzer und Almleute sind ihre Besucher; die nötige Wärme strömt aus einer kleinen, finsteren Kammer, in der die Wurzerin am Kochherd schafft.

Von der Leutestube aber führt eine noch niedrigere Tür in einen kleinen Raum, das »Stüberl« kurz benannt. Hier schlägt das Herz der Hütte, bald stürmisch und laut, als ob es seine Wände sprengen wollte, wenn die bärtigen Männer an dem grünen Tische ihre Tabakswolken ausstoßen und mit dröhnendem Lachen oder Faustschlag auf den Tisch von Jagd und Wald erzählen, den Honoratioren der Hütte, die Förster und Jägerleute der Umgegend; bald ganz still und heimlich wie der Sonnenschein, der nur an ganz besonders ausgewählten Tagen zum Fenster hereinspielt über die warmbraunen Holzwände, die rußbedeckte Decke, den grünen Tisch und das Moidei, die Wurzerin, die in stoischer Ruhe den riesigen Wollknäuel abwickelt, der sie nie verläßt.

Das Moidei, eine Hünin von Gestalt, die fast das Stüberl füllt, war die eigentliche Gründerin der Hütte. Ihre Lebens- und Liebesgeschichte ist so romantisch, daß man sie jetzt nicht mehr erzählen darf: Paul und Virginie ins Oberbayrische übersetzt.

Und der kleine Tisch erst in dem kleinen Holzeckerl. Er ist längst nicht mehr grün, nur einige grüne Inseln erinnern noch daran in der ausgewaschenen Platte; dafür sind die Gesellen an ihm um so waschechter, der Förster von der Valepp, der Forstwart vom Josefsstal, der schwarzbärtige Kielechner, der Jagdgehilfe und der Graßl und der Graswang. Ganz gleich, wie sie alle heißen, alles eine Rasse, und wenn der Tod Lücken reißt, so füllen andre sie aus; alles eine Rasse, der grüne Tisch duldet keine andern. Wie unvernichtbare Sporen sitzt da die Jägerei in den Wänden und schlägt immer wieder von neuem aus.

Im Winter schläft die Hütte unter dem Schneehügel, der sie dicht bedeckt; wenn das Frühjahr naht, blinzelt sie erst sehnsüchtig heraus, ob die Moidl nicht kommt, mit dem Muli, aber sie kommt noch lange nicht; erst wenn der Kuckuck ruft im Wald, dann aber dampft sie vor Lust und weint die hellen Freudentränen. Da knistert und kracht es in ihrem alten Leib, die Schindeln begrünen sich, aus allen Fugen regt sich's, die Hauswurz', Waldefeu und allerhand buntes, schwammiges Zeug.

Am schönsten aber ist sie im Herbst, wenn die lohenden Buchen ringsum sie mit einem rötlichen Reflex verzieren und der köstliche Duft des Enzians ihre alten Glieder durchzieht, den das Moidei in der Küchl braut. Da wird sie zur Dichterin im bacchischem Alkoholdusel; und wenn der Vollmond über dem dunklen See steht, in dem die schwarzen Berge sich spiegeln, dann gehen für mich uralte Lieder von ihr aus, die der Schwarzbach mit seinem silbernen Rauschen harmonisch begleitet.

Und wieder ist Herbst, und ich sitze mit meinem Jakl wieder an dem grünen Tisch, und nichts hat sich geändert. Der Valepper, der ewige Fatalist, der nicht einmal sitzend den Kopf strecken kann, ohne sich an die Decke zu stoßen. Sein Ärger gilt dem Nebel, der seit drei Tagen draußen lagert.

»Aus is, gar is, für das Jahr, i werd' dem Teufl sein' Narr'n mach'n, heim geh' i, morg'n in aller Fruah.«

Der Josefstaler ist sein Gegenstück, ewig heiter und voller Humor. Er findet es grad grüabi' in der warmen Stub', und der graue Gesell' draußen stört ihn nicht im geringsten. »All's hebt si' und legt si' mit der Zeit, und der Nebl macht's a net anders. Lass' ma's no' a wengerl hitzig'r werd'n, is eh' net weit her mit'n Schrei'n.«

»No i dank',« bemerkte der Valepper verdrossen, »und bei mir schreit si' aner d' Lung' aus. A ganz a narreter, 's ganze Revier bringt er mir durchanand. Mein Lebtag hab' i so was no' net g'hört, aber natürli', gang ja sunst guat heu'r, da muaß so a Luad'r komma, heut' da und morg'n dort, und all's muaß außa, grab er will der Herr sein.«

»Da wäre er schon der Rechte,« meinte ich, »ich wollt', er wär' bei mir, gel, Jakl?«

Der zog nach seiner Art die Achsel hoch. »Was woaß ma, kunnt' glei' sei', das is halt amal sa a Eroberernatur! Gibt's ja unt'r die Mensch'n a, dena koan Platz groß g'nua is, grad all's verdruk'n.«

Eroberernatur! Der Jakl machte oft so treffende Bemerkungen, das Wort saß mir im Ohr.

»'s Viech hat halt a sei' Eigenart,« fuhr er fort, »ja wol! Da wenn oan'r meinert, a Hirsch is halt a Hirsch, a Gams is halt a Gams – o je, da kunnt i Sach'n verzähl'n –«

Das war praktische Philosophie, die Jakl trieb. Der Valepper lachte nur höhnisch. »Oh, das sechat mir gleich, a Woch' lang umanderkreil'n in d' Berg, auf den Tropf'n, und z'letzt schiaßt 'hn ihr –«

»Den ›Eroberer‹,« setzte Jakl lachend und doch selbst stolz auf seinen Einfall hinzu und taufte so für immer den Geweihten.

Den andern Morgen um vier Uhr trat er schon in voller Ausrüstung in meine Stube, die von alters her die Jagdkavaliere bewohnten.

»Schwarz is drauß'n wia in an Sack. Der Först'r bleibt lieg'n. Wia's moana, schiaß'n werd'n ma kaum.«

»Aber hören, hören können wir ihn, den ›Eroberer‹,« und schon war ich aus dem Bett. »So einen hören, ist schon der Mühe wert.«

»Hübsch weit drin im Valeppisch'n hat er halt gestern g'schrien,« meinte Jakl bedenklich.

»A was, weit drin! Für einen Eroberer gibt es kein Weit und kein Nah.«

»Wia S' nur grad so hab'n einschnapp'n könna auf den dumm'n Nam', der mir grad so komma is.«

»Gar nicht dumm, der Name –« Der helle Eifer war über mich gekommen. Aber wie ich in die Finsternis hinaustrat, kam schon der Förster über den Steg herüber.

»Hat's ihn do' net schlaf'n lass'n,« meinte der Jakl.

»Natürli', weil i scho' so a Neidhamm'l bin, das willst du sag'n damit, aber schiaßt's 'hn do', dank'n tät i's euch, jawohl, dank'n a no' –«

So recht nach Dank klangen die Worte gerade nicht, die sich im Nebel verloren.

»Was moan' ns jetzt, rechts oder links?« fragte der Jakl.

Ich kannte den Schlauen: alle Verantwortung von sich abwälzen und dann doch nach seinem Kopf!

»Also rechts.«

»Ganz richti', im Grenzgrab'n schiab'n ma uns schön langsam nauf, und wenn ma auf'm Föllalmgrat san, hör'n ma die halbe Valepp aus, jed'n Schroa – wenn's grad war,« setzte er bedeutsam hinzu.

Er zündete die Laterne an, dann begann die Schieberei im ewig feuchten, zerklüfteten Graben, mitten durch grobes Gestein, über glitschiges Lanergras, zur Rechten den tosenden Bach, der einem das Gehör verschlug. Dabei rieselte sanft der Nebel, und die nassen Fichtenzweige schlugen einem klatschend ins Gesicht.

Recht gemütlich halt, aber wer auf »Eroberer« birscht, der muß hartgesotten sein. Die verschiedenen »Sakra« des Fall blieben von mir völlig unerwidert, und daß der Graben ein Saugraben, wie er immer wieder brummte, war die volle Wahrheit.

Ein richtiger Schnürlregen schien sich zu entwickeln. So nach zwei Stunden begann der nackte Grat, der die Grenze zwischen Valepper und Schlierseer Revier bildet. Wir mußten ihn zur Rechten lassen, um nicht fremdes Gebiet zu betreten. Dabei galt es alle Vorsicht, um nicht auf unsrer Seite Wildbret anzulassen.

Die Laterne ist längst gelöscht, der Nebel wallt und schleicht, hinauf, hinunter, immer noch besser als das dumpfe Brüten.

Der Tag hält zurück, nur schwarze Wäldermassen tauchen auf im Nebel, einmal wird eine schlechte Stimme laut auf unsrer Seite, wir lassen uns nicht aufhalten.

Endlich war der Platz erreicht, das zerklüftete Terrain bot trefflichen Ansitz. Jetzt beginnt der interessante Nebelkampf. Es sind zwei Parteien. Die eine drängt mit voller Wucht nach abwärts, die andre sucht auf allen möglichen Schleichwegen ihr den Vorteil abzugewinnen, katzenartig geschmeidig, jede Bodenwelle benutzend. Dann prallen sie wieder zusammen in wildem Chaos, bäumen und recken sich. Das Licht aber benutzt den Kampf der beiden und bohrt sich in die weißen Leiber. Sie bäumen sich auf in ohnmächtigem Widerstand, zerflattern in Fetzen. Das Licht ist Sieger, der blaue Himmel lacht, von rosa Wölkchen durchzogen, wie Opferdampf steigt es auf aus den triefenden schwarzen Wäldern, schon glühen rings die Spitzen, und wie Zum Willkomm des Tages ertönt plötzlich weit hinten in Valepperwaldbergen eine mächtige Stimme, wie ich sie so tief, so mächtig nie gehört, zweimal nur.

Wir sahen uns an – das ist der »Eroberer«.

»In den Erzgrab'n hint'n schreit er,« meinte der Jakl, »grab im Först'r sein' Revier, den seh'n ma heut' amal nimm'r.«

Wer weiß, Eroberer sind unberechenbar.

Alles schwieg ringsum, im heiligen Respekt wohl vor der Stimme. Unter uns auf der Föllalm trat der Schwache aus, den wir eben gehört, ein lausiges Sechserl, geschäftig hinter zwei Schmaltieren her, aber ohne einen Laut von sich zu geben.

Ich ergötzte mich an seinen renommistischen Allüren, wie er den buschigen Hals vorstreckte, dann den Grind zurückwarf, ohne einen Schrei zu wagen. Oben auf der Jägerkammschneid zog ein Rudel Gams aus, friedlich äsend. Dieses Zusehen ohne Leidenschaft ist nicht der kleinste Genuß für den echten Jäger; dabei ist immer noch Hoffnung, daß ein Besserer erscheint.

Da donnerte wieder der mächtige Schrei durch die Wälder, leider noch etwas ferner, wie mir schien. Der »Eroberer« hatte wohl in seinem Revier genug zu tun.

Sonst schwieg die ganze Valepp. Der Förster hatte am Ende recht, der Kerl ruiniert die ganze Brunft.

Die Schneiden glühten immer intensiver, noch eine Viertelstunde, dann ist die Zeit vorbei. Der Schneider unten treibt sein stilles Spiel weiter, kein Rivale erscheint.

»Das hab'n ma vom Förster sein G'red,« meinte ärgerlich der Fackl, »wär'n ma auf die Fürstalm ganga, hätt' ma g'schoss'n.«

Wir waren aber schon viermal auf der Fürstalm und haben nicht geschossen.

Plötzlich geschah irgendwas, irgendwo; instinktiv fühlte ich eine Unruhe in den Wäldern unter uns, Zweige knackten, auf der Wallenburgeralm drüben wurde eine Schar Gams flüchtig, irgend etwas geschah im Wald, dann tauchte da und dort auf den Kuppen, zwischen den Latschen, Felsen, flüchtiges Rotwild auf, in seltsamer Unruhe, die auch mich ergriff.

Die Gams auf der Schneid, das Wildbret auf der Alm, alles äste noch friedlich. Da ertönte von neuem der Schrei, viel näher, der Hirsch mußte eine gute Wegstunde gegen uns zurückgelegt haben, über Rücken und Gräben.

Das Wildbret unten trippelte unruhig hin und her, warf die Grinde auf, das Gamsrudel oben wurde unruhig, da polterten schon drei Stück heran, von der Wallenburgeralm her, über Stock und Stein, blieben stehen, blickten ängstlich zurück, und wieder der Schrei in immer kürzeren Intervallen, der ganze Wald hallte davon. Äste brachen, Steine kollerten, flüchtige Gams gingen unter uns durch. Die drei Stück Wildbret sausten in vollen Fluchten an uns vorüber, und nun wieder die drohende Stimme, Begier und Zorn sprachen daraus, ein trotziger Wille.

Das ganze Revier wurde rebellisch, dann wieder lautlose Stille, die jetzt die höchste Spannung erzeugte. Einmal war es, als ob Geweihe aneinanderschlügen. Ein schwacher Zehner brach kopflos unter uns durch.

Schon hob ich die Büchse, der Fall drückte sie mir gewaltsam nieder. Und wie zur Bestätigung, daß er recht hatte, dröhnte unter uns der mächtige Schrei herauf, den ich unter tausenden herausgekannt.

Ein Gerassel und Brechen, und Schrei auf Schrei, daß die Berge das Echo aufnehmen.

Jetzt spielt jeder Nerv, das Auge sucht gierig nach dem Geheimnis des Waldes, das sich alsbald offenbaren muß.

Der Richtung nach mußte uns der Hirsch kommen. Da kam uns der Schneider unten unerwartet zu Hilfe. Nachdem er sich bis zur Waldgrenze zurückgezogen, ließ er noch einmal einen ganz kindischen Schrei hören; das war offenbar Majestätsbeleidigung, ein frecher Hohn.

Der Hirsch drüben antwortete mit einem Wutgeheul; Wildbret, Gams, alles flüchtete kopfüber, wie von einer Panik erfaßt.

Zum erstenmal nahte mir das Hirschfieber. Ich kam mir unendlich klein vor gegenüber solcher Naturgewalt, ärgerlich klein, der ganze menschliche Hochmutsdünkel kam mir in diesem Augenblick zum Bewußtsein.

Jetzt tauchte ein roter Rücken auf zwischen Geröll und Latschen, ein Tier, noch eins, senkte sich in den steinichten Graben unter uns, verschwand, dann er – – wiegenden Schrittes, den Grind dicht am Boden, an dem mächtigen Geweih blitzten schneeweiße Enden. Er blieb am Rande des Grabens stehen, schlug zornig mit dem Lauf und schleuderte mit dem Geweih Rasenstücke in die Luft.

Der Anblick packte mich so, daß ich nicht den Arm zu heben kam, obwohl Licht und Entfernung den Schuß erlaubten; dann verschwand er mit einem Satz im Graben, dem Wildbret nach.

Schon hob auf unsrer Seite ein Mutterstück den Grind herauf, während das Kalb, dicht daran gedrückt, schreckensvolle Blicke zurückwarf auf den furchtbaren Verfolger.

Jetzt Höhepunkt der Spannung, die Zähne schnattern. Schäme dich, alter Junge! Es rasselt im Graben, ein dumpfes Gronen tönt daraus, dann wurde das Kälberstück flüchtig. Und wieder ließ sich der Schneider hören unten im Almwald.

Jetzt war seine Geduld zu Ende: polternd hob er sich auf den Grabenrand, die kalte Morgenluft zog wie ein Rauchwölkchen aus seinem Wildfang, dem sich ein neuer zorniger Schrei entrang.

Keine hundert Schritte! Jetzt ist es Zeit! Er bietet mir das volle Blatt. Nie noch empfand ich in solchen Augenblicken etwas wie Mitleid. Die strotzende Kraft hat es mir angetan, die zu vernichten ich eben im Begriff war.

Da krachte der Schuß, der Hirsch hob sich vorn hoch, rutschte mit den Hinterläufen aus und verschwand in dem Graben. Steingerassel, ein dumpfer Fall, und Stille ringsum, feierliche Stille.

Jetzt entspannten sich erst die Nerven. Ich konnte mein Weidmannsheil noch nicht recht begreifen, ich mußte mir erst die eiskalte Stirn reiben.

Jakl polterte schon hinunter zum Graben, ich folgte ihm ganz langsam, nach Sammlung ringend.

Da lag er unten, die dunklen Steine mit seinem dunklen Schweiß färbend, im Tode noch posierend. Der »Eroberer« ohne Zweifel, wir hatten keinen solchen im Revier weit und breit.

Mir war im ersten Augenblick nicht recht wohl dabei, und mich ärgerte fast der Jakl, der sich wie ein wildes Tier auf den Gefällten stürzte, den Knicker schon zum Aufbruch gezückt. Dann rang sich rasch wieder die Jägerlust durch, und alle Reflexionen wichen.

Sollte der Stolze in elender Wintersnot verkommen? Lieber doch gefällt von einer reinlichen Kugel inmitten seines Siegeszuges durch die Wälder!

»Und das G'weih, no i dank', der Förster, der wird grea vor Neid,« meinte der Jakl. »Aber a scho' an Stern, an Saustern hab'n S'.«

»Und doch habe ich ihn nur dir zu danken. Hättest du ihn nicht den ›Eroberer‹ genannt, weiß Gott, ich wäre auf die Fürstalm gegangen.«

»No, nacher is a recht. Is mir a amal was Guat's eing'fall'n, aber auf die Platt'n schreib'n S' ihm 's a nauf, den Ehrentit'l. Das müass'n S' ma versprech'n.«

Gern tat ich es.

Der Jakl wühlte schon mit den aufgeschürzten Armen im Hirschleib, ein roter Bach sprudelte abwärts über die Steine, das heiße Blut des »Eroberers«.

Ich hatte so meine Gedanken, das »tat twam asi« des indischen Weisen tönte durch meine Seele, und tief unten im Tal lag die Wurzhütte noch im tiefen Schatten gebettet, und im klaren See spiegelten sich in erhabener Ruhe die bunten Berge. Hinter dem Kamm ging die Sonne auf – »tat twam asi«. Die Natur durchdrang mich ganz, ich war mitten in ihr, da schweigt jeder Vorwurf, alles ist sie, Berg und Wald und Fels und See, das zarte Lüftchen, das mich umstreicht, die flockigen Wölkchen um die Spitzen, der »Eroberer« im Graben, mein wildes Gelüste, mein Vorwurf und meine kindliche Freude. Der Valepper war lange nicht so erbost, als Jakl meinte. Sein Fatalismus half ihm rasch darüber hinweg. »Für mi is so einer net g'wachs'n.« Und als der Knecht den Kapitalen gebracht, tat er den Hut herunter und sah ihn ganz andächtig an. »Den merk'ns Ihna, der verdient a ganz an b'sondern Platz.«

Abends bei der Hirschfeier im Stüberl war er wieder von bester Laune. Sepp spielte auf dem Fotzhobel, Jakl drehte sich mit der Wurzenresl in dem engen Raum, den Rücken gekrümmt wie ein Kater, die Hände noch nicht ganz sauber vom Hirschschweiß. Der Mond stand hoch über dem flimmernden See, als wir zur Ruhe gingen, der Schwarzbach aber spielte jetzt mit silbernen Fingern eine lustige Melodei... Ich habe dem Jakl Wort gehalten: der »Eroberer« hat wirklich einen ganz besonderen Platz. Unter ihm steht mein Liebling, das Meisterwerk Verrocchios – der Colleoni! Die Faust trotzig in die Seite gestemmt, das Symbol einer kraftvollen Zeit, dessen Anblick stets erfrischend auf mich wirkt.

Der »Eroberer« dicht über ihm umfängt ihn förmlich mit seinen mächtig ragenden Augensprossen.

In beiden flutet dieselbe Kraft, derselbe Lebenswille, gleichviel ob in wilden Schlachten um Ruhm und Freiheit oder um die Eroberung des Weibchens in den Waldbergen des Valepp.


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