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Die Grafen wollten den Weg von Jerusalem nach Beirut zu Land, und zwar mit dem Umweg über Nazareth, Galiläa, Kanaan usw., zurücklegen, um soviel wie möglich alle Stellen zu besuchen, die für uns Christen gewiß die interessantesten sind. Sie hatten die Güte, mich abermals in ihren Bund aufzunehmen. Der 11. Juni ward zur Abreise festgesetzt.
11. Juni 1842
Um drei Uhr nachmittags verließen wir Jerusalem und zogen durch das Damaskustor einer großen Hochebene entgegen. Obwohl auch hier alles Stein und immer und ewig nur Stein ist, so sah ich doch ziemlich viele Stoppelfelder und hin und wieder spärliche Grashalme.
Die Aussicht ist sehr weit; in einer Entfernung von zwei Stunden sahen wir noch Jerusalems Mauern, bis der Weg sich um einen Berg wand und der Anblick dieser heiligen Stadt uns auf ewig entzogen ward.
Um sechs Uhr abends kamen wir an das Dörfchen El-Bire. Gleich außer demselben schlugen wir auf einem Stoppelfeld unser Nachtlager auf. Ich hatte auf der ersten Landreise in Syrien, nämlich von Jaffa nach Jerusalem, schon einen kleinen Vorgeschmack bekommen, was es heißt, in diesen Gegenden zu reisen. Wer nicht sehr abgehärtet, furchtlos und gegen Hunger, Durst, Hitze und Kälte unempfindlich ist; wer nicht auf hartem Boden, ja auf Steinen zu ruhen und sich den kalten Nächten unter freiem Himmel auszusetzen vermag, der soll ja nicht weiter als von Jaffa nach Jerusalem gehen, denn in der Folge werden die Strapazen immer ermüdender und anhaltender, die Wege immer gräßlicher, die Kost gerade nur, um nicht zu verhungern, das Wasser lau und von den ledernen Schläuchen, in welchen man es bei sich führt, übelriechend.
Wir ritten gewöhnlich sechs bis sieben Stunden in einem fort, ohne auch nur auf Augenblicke vom Pferd zu steigen, oft bei einer Hitze von dreißig bis vierzig Grad. Dann wurde höchstens eine Stunde Rast gemacht, und das oft wieder auf freiem Feld, wo kein schattiger Baum zu treffen war. Von Nahrung war gar keine Rede, weder für den Menschen noch für das arme Tier, oft sogar fehlte uns Wasser, um den quälenden Durst zu stillen. Die Pferde mußten von Sonnenauf- bis -untergang rastlos arbeiten, ohne Futter zu erhalten. Solche Anstrengungen kann aber auch nur ein arabisches Pferd aushalten. Des Abends wird den Lasttieren das Gepäck abgenommen, die Sättel aber höchst selten; die Araber sagen, es sei dem Tier weniger schädlich, die Sättel Tag und Nacht zu behalten, als nach so großer Erhitzung der kalten Nachtluft ohne Bedeckung preisgegeben zu sein. Riemenwerk, Sättel und Sporen sind so überaus schlecht zusammengeflickt, daß man stets in Gefahr ist, samt dem Sattel vom Pferd zu stürzen, was sich in unserer Gesellschaft einigemal ereignete, jedoch glücklicherweise immer ohne Beschädigung ablief.
12. Juni 1842
Die Nacht war sehr kühl; obwohl wir unter einem Zelt schliefen, hätte der Mantel beinahe nicht ausgereicht, um hinlänglich vor der Kälte zu schützen. Des Morgens hatten wir so starken Nebel, daß man kaum dreißig Schritte weit sehen konnte. Erst gegen acht Uhr verzog er sich, und einige Stunden später fing die Sonne an, uns sehr lästig zu werden. Man weiß kaum, wie man sich vor der Hitze verwahren soll; besonders muß man sich den Kopf sorgfältig verhüllen, um den Sonnenstich nicht zu bekommen. Ich hatte immer zwei weiße Sacktücher um den Kopf geschlagen, darüber einen runden Strohhut und außerdem noch einen Sonnenschirm.
Wir ritten von El-Bire bis Jabrud, wo wir ein wenig ausruhten, sechs Stunden lang durch eine einförmige, nur wenig fruchtbare Gegend. Nach Nablus, unserer Nachtstation, hatten wir noch volle vier Stunden.
Die Wege sind so über alle Beschreibung schlecht, daß man glaubt, selbe weder zu Fuß noch zu Pferd zurücklegen zu können. Oft geht es bergauf und -ab über die größten Felsstücke, und man muß die Geschicklichkeit und die Kräfte der armen Pferde bewundern, wenn man sieht, mit welcher Sorgfalt sie den kleinen Raum zu finden wissen, auf welchem sie allein ihre Füße stellen können, um von einem Felsen zum andern zu klettern. Oft geht es über Steinplatten, wo das Tier jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt ist, auszugleiten; dann wieder an erschrecklichen Tiefen vorüber, deren Anblick allein schon Schwindel erregt. Ich hatte schon manches über diese Reitpartien gelesen und war auf vieles gefaßt; dennoch fand ich es in der Wirklichkeit viel ärger. Man muß sich in Gottes Namen dem Schicksal und den geübten Pferden überlassen.
Anderthalb Stunden früher als wir unsere Nachtstation erreichten, kamen wir am Grabmal des Patriarchen Jakob vorüber. Hätte man uns aber nicht aufmerksam gemacht, so wären wir vorbeigezogen, ohne es zu bemerken, denn nichts liegt da als einige Felsstücke. Unweit von dieser Stelle beginnt das Gebiet Samaria, auch ist in ihrer Nähe der »Jakobsbrunnen«, an welchem Jesus die Unterredung mit dem samaritischen Weib hatte. Von dem Brunnen sahen wir keine Spur, die Quelle sprudelt noch jetzt bescheiden aus einem Fels.
Die Stadt Nablus, der Hauptort in Samaria, mit viertausend Einwohnern, soll eine der ältesten Städte Palästinas sein. Sie ist mit einer Festungsmauer umgeben und besteht aus einer sehr langen, höchst schmutzigen Gasse. Wir ritten von einem Ende zum andern, über den ärmlichen Bazar, wo mir nichts auffiel als in so früher Jahreszeit frische Feigen, die natürlich gleich von uns aufgekauft wurden, aber noch sehr unschmackhaft waren.
In den Städten liegt überall viel Militär, lauter Arnauten, ein roher, verwilderter Menschenschlag, vor welchem sich die Einwohner mehr zu fürchten scheinen als vor den herumstreifenden Horden, gegen welche jene sie schützen sollen.
Gleich außerhalb der Stadt schlugen wir auf einem kleinen Hügel unsere Zelte auf. Man kann sich nicht leicht etwas Unangenehmeres denken, als so in der Nähe einer Stadt oder eines Dorfes zu biwakieren. Alle Einwohner, groß und klein, alt und jung, strömen herbei, um eine europäische Karawane, die für diese Menschen ein höchst seltener Anblick ist, von allen Seiten zu betrachten. Sie drängen sich oft bis in die Zelte, so daß man genötigt ist, sie beinahe mit Gewalt zurückzutreiben. Dieses Angaffen ist nicht nur höchst lästig, sondern auch mit der Gefahr des Bestohlenwerdens verbunden.
Unser Koch war so glücklich, ein kaum drei oder vier Tage altes Zicklein zu erhandeln, welches gleich geschlachtet und brühwarm mit Reis gekocht wurde. Es war ein schwelgerisches Mahl, denn so gut erging es uns selten.
13. Juni 1842
Die Morgensonne traf uns bereits zu Pferd, wir durchzogen das ganze herrliche Tal, an dessen Eingang Nablus liegt. Die Lage dieser Stadt ist sehr schön. Das Tal ist nicht sehr breit, höchstens drei viertel Stunden lang, von allen Seiten mit mäßig hohen Bergen umgeben. Der Berg rechts heißt Ebal, jener links Garizim, berühmt durch die Versammlung der zwölf israelitischen Stämme unter Josua, die da beratschlagten, wie das Land Kanaan zu erobern sei.
Das ganze Tal ist ziemlich fruchtbar, selbst die Berge sind mitunter bis an die Spitzen mit Oliven-, Feigen-, Zitronen- und Orangenbäumen bepflanzt. Einige Bächelchen durchziehen das liebliche Tal gleich Silberströmen. Wir mußten öfters durch das Wasser reiten, das aber kaum den Huf des Pferdes bedeckte, so niedrig ist zur Sommerszeit hier der Wasserstand.
Hat man die Höhe des nächsten Berges erreicht und blickt zurück, so wird man sich ungern von diesem Tal trennen, denn nicht leicht kann man ein lieblicheres, frischeres Bild sehen als diesen Zauberhain.
In zwei Stunden kamen wir nach Sebastiye, dem alten Samaria, welches ebenfalls auf einem schönen Hügel liegt, aber mit der Lage und Üppigkeit von Nablus nicht zu vergleichen ist. Sebastiye ist ein erbärmliches Dorf. Man wies uns die Ruinen des Klosters, das an der Stelle steht, wo einst Johannes der Täufer enthauptet wurde, aber selbst von den Ruinen ist sehr wenig mehr zu sehen.
Jenin erreichten wir in weiteren fünf Stunden und befanden uns nun im Gebiet von Galiläa. Wenn diese Gegenden auch gerade nicht so üppig sind, wie sie vielleicht einst waren, so stehen sie auf jeden Fall in starkem Kontrast zu Judäa. Hier sieht man wieder Hecken von indianischen Feigen, Palmen und große Strecken Felder, nur keine Wiesen und keine Blumen, diese fehlen überall.
Die Tracht der Samariterinnen und Galiläerinnen usw. ist überall gleich arm, schmutzig und einförmig; sie tragen nichts als dunkelblaue lange Hemden. Der Unterschied besteht nur darin, daß sie in manchen Orten mit bedecktem und in andern mit unbedecktem Gesicht gehen. Übrigens könnten sich alle vermummen, denn von schönen, reizenden Mädchen und Frauen ist wahrlich so wenig zu sehen, daß man sie wohl mit der Laterne suchen könnte. Sie haben alle eine braune, garstige Haut, struppige Haare und nicht so volle Gestalten wie die Türkinnen. An beiden Teilen des Kopfes, vom Scheitel bis unter das Kinn, tragen sie eingefaßte Silbermünzen; jene, welche mit unbedecktem Gesicht gehen, haben gewöhnlich den Kopf in ein blauleinenes Tuch gewickelt.
Jenin ist eine schmutzige kleine Stadt, die wir in Augenschein nahmen, um uns den Platz zeigen zu lassen, wo die Königin Jezabel vom Fenster hinabgestürzt und von den Hunden zerrissen wurde. Palast und Fenster sind so ziemlich verschwunden; allein Hunde, die vielleicht auch heute noch bereit wären, einen so köstlichen Königsbissen mit wahrer Begierde zu verschlingen, liegen überall in den Gassen. Nicht allein in Konstantinopel, auch in allen Städtchen Syriens fanden wir diese herrenlosen Hunde, nur in verhältnismäßig kleinerer Anzahl.
Wir lagerten uns auf eine oder zwei Stunden vor der Stadt an einer Kaffeeschenke unter freiem Himmel, unter welchem großen Naturdach auch eine gemauerte Feuerstelle errichtet war, auf welcher stets heißes Wasser bereitstand. Unweit davon waren einige Erderhöhungen aufgeworfen, welche als Diwane dienten. Ein in Lumpen gehüllter Bub war mit Kaffeestoßen und sein Vater, der Herr des Kaffeehauses, mit Kaffeebereiten und dem Bedienen der Gäste beschäftigt. Uns wurden Strohmatten auf die Erddiwane gelegt und, ohne viel zu fragen, Kaffee und Nargileh gebracht. Im Hintergrund stand ein großer, hoher, sehr schön gemauerter Stall, der mich ganz an die europäischen in großen Gasthäusern erinnerte.
Nachdem wir uns hier ein bißchen erholt hatten, brachen wir auf, um unsere Tagesreise zu endigen. Gleich außerhalb des Ortes hat man eine wunderschöne Fernsicht über die ungeheure Hochebene Esdrelon bis zu dem großartigen Zirkel von Gebirgen, welcher dies unermeßliche Tal umfängt. In weiter Ferne wies man uns den Berg Karmel, etwas näher den Berg Tabor. Die Gebirge sind auch hier ziemlich kahl, bestehen aber doch nicht mehr aus ganz nackten Felsen; besonders schön macht sich der ganz abgesondert stehende, reichbewachsene Berg Tabor.
Wir ritten gegen drei Stunden über die Ebene Esdrelon und hatten Muße genug, der hier vorgefallenen Begebenheiten zu gedenken. Man kann nicht leicht ein großartigeres Schlachtfeld sehen als dieses und begreift recht gut, wie sich hier ganze Völker bekriegen konnten. Von den Zeiten Nebukadnezars bis zu den Zeiten der Kreuzzüge und von diesen bis zu Napoleon sah man hier die Heere aller Nationen versammelt, um ihre wahren oder eingebildeten Rechte zu erkämpfen oder Eroberungen zu machen.
Das Erdreich auf dieser Hochebene war durch die große anhaltende Hitze so schrecklich zerspalten und zerrissen, daß wir bei jedem Schritt unserer Pferde in Angst schwebten, sie möchten mit den Füßen zwischen die Spalten und Risse geraten und sich selbe verstauchen oder wohl gar brechen. Der Boden besteht aus schöner Erde ohne Steine, scheint aber meistenteils brachzuliegen, denn er war reich mit Unkraut und wildwachsenden Artischocken bedeckt. Die Dörfer liegen in weiter Ferne an den Gebirgen.
Wir schlugen unser Nachtquartier außerhalb des elenden Dorfes Lagun an einer kleinen Zisterne auf und schliefen die dritte Nacht auf harter Erde.
14. Juni 1842
Heute ging es noch eine Stunde in dieser Ebene fort, auf welcher wir wieder einmal von den kleinen, schrecklich lästigen Mücken, die wir das erstemal auf der Reise von Jaffa gegen Ramle trafen, sehr viel zu leiden hatten. Sie verließen uns erst, als wir schon eine gute Strecke auf fürchterlichen Wegen die die Ebene begrenzenden Berge erstiegen hatten, von deren Spitze wir Nazareth erblickten, am Ende eines ziemlich fruchtbaren Tales freundlich an einem Hügel erbaut. Im Hintergrund sieht man den schön gelegenen Berg Tabor.
Von dem Punkt, wo man Nazareth zuerst ansichtig wird, hat man noch anderthalb Stunden zu reiten, folglich von Lagun bis Nazareth vierthalb Stunden und von Jerusalem sechs- bis siebenundzwanzig Stunden.
Wir kamen schon um neun Uhr morgens zu Nazareth an und stiegen im Fremdenhaus des Klosters der Franziskaner ab, wo uns die Geistlichen sehr zuvorkommend empfingen. Kaum hatten wir unsere Gemächer ein wenig in Augenschein genommen und sie an Aussehen und Einrichtung jenen zu Jerusalem vollkommen ähnlich gefunden, so machten wir uns wieder auf den Weg, um alle merkwürdigen Plätze, vor allem aber die Kirche zu besuchen, in welcher sich die Grotte der Verkündigung befindet. Diese Kirche, in welche uns ein Geistlicher begleitete, ist nicht besonders groß. Im Hintergrund führt eine Treppe in die Grotte hinab, in welcher die heilige Maria durch den Engel die Botschaft des Herrn empfing. Drei kleine Granitsäulen sind in dieser Grotte noch sichtbar. Der untere Teil von einer derselben wurde durch die Türken zerstört, sie ist nur oben befestigt, daher behaupten viele, sie schwebe ganz frei in den Lüften. Hätten diese Menschen weiter gesehen, als ihre Nase reicht, und nur einen Blick in die Höhe geworfen, sie würden schwerlich ein Wunder behaupten, das nur in ihrer Einbildung existiert. Ein ziemlich gutes Gemälde an der Wand stellt die Verkündigung vor. Die eigentliche Wohnung Marias ist hier nicht zu sehen, weil der Sage nach ein Engel sie nach Loretto in Italien trug. Seitwärts gelangt man über einige Stufen zu der Grotte, in welcher die Nachbarin Marias wohnte, die in Abwesenheit der letzteren die Aufsicht über deren Wohnung führte und ihre häuslichen Geschäfte besorgte.
In der Stadt liegt auch die Grotte, wo Josephs Werkstätte war; man hat sie in ihrem ursprünglichen Zustand gelassen und nur einen ganz einfachen hölzernen Altar darin errichtet. Unweit davon findet man die Synagoge, wo Jesus das Volk belehrte und die Pharisäer dadurch so erbitterte, daß sie ihn von einem Berge gleich außerhalb des Städtchens herabstürzen wollten. Zum Schluß zeigte man uns noch einen ungeheuren Felsblock, auf welchem Jesus das Abendmahl mit seinen Jüngern verzehrt haben soll.
Des Nachmittags besuchten wir den Marienbrunnen gleich außerhalb Nazareths am Weg nach Tiberias; er ist mit Steinen ummauert und liefert reines frisches Wasser. Hieher ging die heilige Maria täglich mit dem Krug, und auch heute noch drängen sich alle Weiber und Mädchen zu diesem Brunnen und wandeln mit Krügen auf der Achsel hin und zurück. Diejenigen, welche wir sahen, waren alle schmutzig und ärmlich gekleidet; viele gingen ohne Kopfbedeckung, was um so häßlicher ist, da ihnen die Haare ganz struppig wegstanden. Die ziemlich lebhaften Augen waren das Hübscheste an ihnen. Auch hier tragen sie eingefaßte Silbermünzen vom Scheitel bis unter das Kinn.
Der heutige Tag war für mich ein Tag des Leidens, denn schon des Morgens, als wir von Lagun fortritten, fühlte ich mich sehr unwohl. Ich bekam unterwegs heftige Kopfschmerzen, wiederholtes Erbrechen und starken Fieberschauer. Ich glaubte kaum, Nazareth erreichen zu können. Das traurigste bei der Sache war, daß ich meine Unpäßlichkeit ebenfalls wieder wie damals auf dem Weg nach Jerusalem verbergen mußte, aus Furcht, zurückgelassen zu werden. Auch war der Wunsch, alle heiligen Orte in Nazareth zu besuchen, so lebhaft in mir, daß ich mit größter Anstrengung den ganzen Tag mit der Gesellschaft herumging, mich aber alle Augenblicke wegstahl, damit mein Zustand nicht offenbar werde. Als wir zu Tisch gingen, erregte mir der Geruch der Speisen einen solchen Ekel und solche Übelkeit, daß ich mir schnell das Sacktuch vor die Nase hielt und ein plötzliches Nasenbluten vorgab, um hinauseilen zu können. Nur meiner braunen Gesichtsfarbe, die die Blässe meines Aussehens nicht durchschimmern ließ, verdankte ich es, daß mein Übelbefinden nicht bemerkt wurde. Ich genoß den ganzen Tag über nichts; erst des Abends erholte ich mich ein wenig. Nun stellte sich auch die Eßlust ein, aber leider war nichts zu bekommen als eine schlechte Hammelsuppe und eine Omelette in ranzigem Öl gebacken. Ach, es ist schon bitter, im gesunden Zustand auf einen solchen Imbiß angewiesen zu sein, um wieviel mehr erst, wenn man krank ist. Ich ließ daher um etwas Wein und Brot bitten und suchte mich dadurch ein bißchen zu stärken.
15. Juni 1842
Heute war mir Gott sei Dank ziemlich wohl. Um sechs Uhr morgens saß ich schon wieder zu Pferd, um an dem Ausflug teilzunehmen, welcher für heute nach
bestimmt war.
An der Marienquelle und einem Berg, auf welchem einige Ruinen stehen, vorbei, ritten wir gegen anderthalb Stunden bis an den Fuß des Berges Tabor, dessen höchste Spitze man erst nach länger als einer Stunde erreicht. Von einem Weg war keine Spur zu entdecken, wir mußten über Stock und Stein setzen, wobei unsere Pferde so stark ermüdeten, daß sie nach einer halben Stunde nicht mehr weiterkonnten und wir genötigt waren, zu Fuß zu gehen. Nach vielen Beschwerden, sowohl des Kletterns als der Hitze wegen, gelangten wir auf den Gipfel des Berges, und in der Tat, nicht nur die geschichtliche Begebenheit, welche sich hier zutrug, lohnt die Mühe des Ersteigens, sondern auch die schöne Aussicht, deren man sich hier erfreut. Diese ist wirklich großartig. Der Berg Tabor ist auch unter dem Namen »Berg der Seligkeit« bekannt; hier oben hielt Jesus die berühmte Bergpredigt. Von allen Bergen, die ich bisher in Syrien sah, ist der Tabor allein bis zur Spitze mit Eichen- und Johannisbrotbäumen bewachsen. Auch in den Tälern sieht man statt des früheren Gesteins die herrlichste Erde. Dessenungeachtet ist die Bevölkerung gering, die wenigen Dörfer sind klein und elend. Die armen Bewohner Syriens werden aber auch zu sehr gedrückt, sie können, da die Steuern für die Erzeugnisse des Landes zu hoch sind, unmöglich mehr bauen, als sie zum nötigsten Lebensbedarf brauchen. So sind zum Beispiel die Fruchtbäume nicht im ganzen, sondern stückweise besteuert. Da zahlt ein Olivenbaum ein bis eineinhalb Piaster, ein Orangen- oder Zitronenbaum ebensoviel usw. Trotz alledem kann der arme Bauer nie mit Sicherheit sagen: dies oder jenes gehört mir. Der Pascha darf ihn nach Belieben versetzen oder wohl gar vertreiben, denn er hat in seiner Provinz so große Macht wie der Sultan in Konstantinopel. Auf dem Berg Tabor halten sich Stachelschweine auf; wir fanden einige schöne hornene Stacheln derselben.
Wir stiegen am jenseitigen Abhang des Berges hinab in das schöne, große Tal, wo Jesus viertausend Menschen mit einigen Broten und Fischen speiste, und ritten noch fünfhalb Stunden bis nach Tiberias.
Sehr überraschend ist der Anblick, welcher sich von der Höhe des letzten Berges vor Tiberias darbietet. Mit einemmal entfaltet sich eine der herrlichsten Landschaften vor unsern Augen. Tief senkt sich das Tal bis zum Spiegel des Galiläischen Meeres, um dessen Ufer die schönsten Gebirge sich wahrhaft malerisch mit den verschiedenartigsten Staffagen ziehen. Besonders pittoresk erscheint der kolossale Rücken des Antilibanon, der, mit Schnee bedeckt, herrlich im Sonnenglanz schimmernd, sich nebst seiner Umgebung getreu in der klaren Fläche des Sees spiegelt. Tief unten liegt das Städtchen Tiberias, überschattet von einigen Palmen, beschützt von einem etwas höher liegenden Kastell. Dieser unerwartet schöne Anblick überraschte uns so sehr, daß wir von den Pferden stiegen und über eine halbe Stunde auf der Spitze des Berges verweilten, um das wundervolle Bild recht nach Lust betrachten zu können. Graf S. entwarf in Eile eine recht wohlgelungene Skizze der Landschaft, die wir alle so schön fanden, obgleich die sie umgebenden Berge alle kahl und öde sind. Dies ist der eigentümliche Charakter dieser Länder; Matten, Alpen und Wälder in unserem Weltteil zeigen uns wieder eine ganz andere Fülle von Naturschönheiten. In einem europäischen Gebirgsland würde uns dieser Anblick wohl nicht halb so entzückt haben, aber hier in diesen an Natur und Menschen armen Gegenden ist man mit wenigem befriedigt, von wenigem entzückt. Würde uns zum Beispiel auf unserer Reise ein ganz einfach gekochtes Stück Rindfleisch nicht besser geschmeckt haben als in der Heimat die leckersten Gerichte? So erging es uns auch mit der Natur.
Als wir das Städtchen betraten, befiel uns eine unbeschreibliche Wehmut. Es lag noch halb im Schutt nach einem der furchtbarsten Erdbeben, welches im Jahr 1837 hier besonders zerstörend gewütet hatte. Wie mag es damals ausgesehen haben, da es noch jetzt, wo überall nachgeholfen und gebaut wird, einem halben Schutthaufen gleicht! Wir sahen ganz eingestürzte Häuser, viele sehr beschädigt, ganze Risse und Spalten in den Mauern, zusammengefallene Terrassen und Türme, kurz, wir wandelten allenthalben auf Ruinen. Bei diesem Erdbeben sollen viertausend Menschen, mehr als die halbe Bevölkerung, ihren Tod gefunden haben.
Wir stiegen bei einem jüdischen Arzt ab, welcher hier in Ermangelung eines Gasthofes die Fremden aufnimmt. Ich war ganz erstaunt, bei diesem Mann alles sehr nett und rein zu finden. Seine Zimmerchen waren einfach, aber bequem eingerichtet, der kleine Vorhof mit großen Steinplatten gepflastert, und in der Vorhalle standen rings an den Wänden weichgepolsterte, sehr schmale Bänke. Sosehr wir durch diese schöne Ordnung und Reinlichkeit überrascht waren, so stieg unsere Verwunderung noch mehr, als wir die Juden, deren es so viele in Tiberias gibt, weder türkisch noch griechisch, sondern ganz so gekleidet fanden wie bei uns in Polen und Galizien. Auch sprachen die meisten unter ihnen deutsch. Ich erkundigte mich gleich nach der Ursache dieser Eigentümlichkeit und erfuhr, daß alle hier ansässigen Judenfamilien aus Rußland und Polen gekommen seien, um im Gelobten Land wenigstens zu sterben. Überhaupt nähren alle Juden eine große Sehnsucht, die letzten Tage ihres Lebens in der Heimat ihrer Voreltern zuzubringen, um da wenigstens begraben zu werden.
Wir ersuchten die junge Hausfrau (ihr Mann war abwesend), uns eine tüchtige Portion Pilaw nebst einigen Hühnern recht bald zu bereiten, währenddessen würden wir die Stadt und die nahen Bäder am See Genezareth besuchen und längstens in anderthalb Stunden zurückkehren.
Wir gingen an den See Genezareth, der süßes Wasser enthält, setzten uns in eine Fischerbarke, um auch da zu schiffen, wo Jesus einst den Sturm beschwichtigt hatte, und ließen uns bis an die warmen Quellen führen, welche einige hundert Schritte außerhalb der Stadt ganz nahe am Gestade entspringen. Auf dem See hatten wir, Gott sei Dank, keinen Sturm, allein kaum ans Land getreten, ging es mit den Fischern stürmisch her. Wir setzten uns in die Barke, ohne den Fahrpreis zu besprechen, beim Aussteigen aber wurde ihnen eine sehr gute Belohnung gereicht. Allein sie warfen das Geld hin und begehrten dreißig Piaster, während sie bei einer Unterhandlung gewiß nicht zehn verlangt hätten. Man gab ihnen fünfzehn, um sie loszuwerden; es war ihnen noch nicht genug, sie schrien und lärmten vielmehr dergestalt, daß die Diener der Grafen schon mit den Stöcken Ruhe und Ordnung herzustellen drohten. Dies brachte sie insoweit zur Vernunft, daß sie wenigstens gingen, jedoch beständig zankend und schreiend.
Wir fanden bei den warmen Quellen ein Badehaus, in runder Form erbaut und mit einer Kuppel gedeckt, und trafen da eine ziemlich bedeutende Pilgerschar, meistens Griechen und Armenier aus der nahen Umgebung, die nach Nazareth und Jerusalem wallten. Sie hatten an dem Badehaus ihr Lager aufgeschlagen. Die Hälfte dieser Leute befand sich im Vollbad, worin es höchst lebhaft zuging. Wir wollten auch hinein, nicht um zu baden, sondern nur um die innere Schönheit und Einrichtung, worüber so manches in Büchern geschrieben steht, in Augenschein zu nehmen; allein ein solcher Dunst und Qualm strömte uns entgegen, daß wir nicht ganz hineinzudringen vermochten. Doch sah ich genug, um mich auch hier wieder zu überzeugen, daß Übertreibung oder Poesie so manche Feder weit über die Wahrheit hinaus leitet. Sowohl das Äußere dieses Bades als das Vorgemach und der Blick in das Innere erregten nicht sehr mein Erstaunen oder meine Neugierde. Von außen gleicht es einem sehr mittelmäßigen kleinen Gebäude, an dem wir durchaus nichts Schönes entdecken konnten. Im Innern war viel Marmor angebracht, zum Beispiel die Täfelung des Bodens, die Einfassung des Bades usw. Marmor ist hierzulande nichts so Seltenes, um seinetwegen ein Wunder aus diesem Badekiosk zu machen und desselben mehr als vorübergehend zu erwähnen.
Abends um acht Uhr kehrten wir ganz müde und voll Eßlust in unsere freundliche Wohnung zurück und schmeichelten uns, das einfache Mahl, das wir vor mehreren Stunden bestellt hatten, rauchend und dampfend auf dem gedeckten Tisch zu finden. Ach, wir fanden weder in der Vorhalle noch in einem der Zimmerchen einen ungedeckten Tisch, viel weniger etwas anderes. Halb erschöpft lagerten wir uns auf Stühle und Bänke und sahen mit ungestillter Sehnsucht dem Mahl und der darauffolgenden Ruhe entgegen. Ein Bote nach dem andern wurde in die Küche gesandt, um zu forschen, ob die gekochten Hühner noch immer nicht im eßbaren Zustand seien. Wir wurden von einer Viertelstunde auf die andere vertröstet, und es kam nichts. Endlich, um zehn Uhr, ward ein Tisch gebracht, dann ein Stuhl, dann wieder einer, und endlich ein reines Tischtuch, und so ging es fort bis elf Uhr. Da erschien der Herr des Hauses, welcher eben erst von einer kleinen Landreise heimgekommen war, und mit ihm ein gekochtes Hühnchen. Ach, es trug sich bei unserer Mahlzeit kein Wunder zu wie in der Ebene, wo viertausend Menschen mit einigen Broten und Fischen gespeist wurden, wir waren doch nur sieben Personen, da hätte sich dies Hühnchen nur siebenmal vermehren dürfen, und wir wären gesättigt gewesen; so aber erhielt jeder nur ein Rippchen und damit Punktum. Freilich kam dann ein Gericht nach dem andern, das wußten wir aber nicht, ebensowenig die Anzahl der bereiteten Speisen, sonst hätten wir uns das Ding schon eingeteilt, und ein jeder hätte ein Gericht ganz für sich behalten, denn im Lauf von fünf viertel Stunden kamen neun bis zehn Tellerchen zum Vorschein; aber mit lauter winzigen Portionen, so daß man im eigentlichen Sinn des Wortes nur überall kosten konnte. Wir hätten zwei derbe Speisen all diesem Firlefanz vorgezogen. Die Gerichte bestanden aus einem gekochten, einem gebratenen und einem eingemachten Hühnchen, aus einem Tellerchen gefüllter Gurken, aus einem solchen roher Gurken, aus einem bißchen Pilaw und einigen Stückchen Schöpsenfleisch.
Für die Unterhaltung bei Tisch sorgte unser Wirt, indem er eine greuliche Szene aus der Zeit des Erdbebens nach der andern erzählte. Auch er hatte dabei sein Weib und seine Kinder verloren, und nur weil er gerade auf einem Krankenbesuch in der Umgebung war, entkam er selbst diesem Schicksal.
Eine halbe Stunde nach Mitternacht suchten wir unsere Schlafstellen. Der Arzt räumte uns sehr gefällig seine drei Kämmerchen ein, da war aber die Hitze so drückend, daß wir es vorzogen, im Hof auf den Steinen unser Lager aufzuschlagen. Ein hartes Lager, dagegen eine leichte Verdauung des großen Mahles.
16. Juni 1842
Um fünf Uhr früh empfahlen wir uns und kehrten auf demselben Weg, nur nicht zum zweitenmal über den Berg Tabor, sondern längs desselben, in sechs Stunden nach Nazareth zurück. Ich besuchte heute noch einmal alle die Orte, die ich zwei Tage früher halbtot besehen hatte, und brachte auf diese Art einige Stunden recht angenehm zu.
17. Juni 1842
Morgens um halb sechs Uhr sagten wir den würdigen Priestern zu Nazareth für immer Lebewohl und ritten unausgesetzt bis zwei Uhr, also neunthalb Stunden bis zum Kloster auf dem Berge
Lange hatten wir keine so guten Wege gehabt wie an dem heutigen Tag. Nur hin und wieder, vermutlich, um uns der Gefahren und Strapazen nicht gänzlich zu entwöhnen, kam eine Strecke echt syrischen Weges zum Vorschein. Dazu kam auch noch die Annehmlichkeit, daß wir keinen Durst zu leiden brauchten, denn einige Male durchschritten unsere Pferde Bächelchen mit gutem klarem Wasser. Ja wir durchzogen sogar ein Stückchen Eichenhain, in Syrien eine fast unerhörte Erscheinung. Freilich fand sich kein einziger Baum darunter, der für einen Maler ein würdiges Studium abgegeben hätte; alle waren klein und verkrüppelt. So schön belaubte Bäume wie in unseren Gegenden sah ich in diesen Ländern höchst selten. Der einzige Johannisbrotbaum, der hier sehr häufig wächst, ist ein hübscher Baum und sein Blatt sehr schön; es ist nicht größer als ein mittleres Rosenblatt, etwas länglich rund, einen Messerrücken dick und von schöner, glänzend grüner Farbe.
Der Berg Karmel liegt hart am Meer. Er ist nicht hoch; in einer guten halben Stunde erreicht man seinen Rücken, auf welchem ein schönes und großes Kloster steht. Wohl in ganz Syrien mag dieses das schönste sein, selbst die Klöster zu Jerusalem und Nazareth nicht ausgenommen. Eine Reihe von sechs oder sieben großen, herrlichen Zimmern mit Doppeltüren und großen, regelmäßigen Fenstern bildet die Hauptfront des Gebäudes. Diese Zimmer und noch mehrere in den Seitenflügeln sind zur Aufnahme der Reisenden bestimmt. Sie sind nach europäischer Art eingerichtet, mit sauberen Möbeln, wobei weder Kanapees noch gute Kommoden fehlen.
Ungefähr eine Stunde nach unserer Ankunft bewirteten uns die geistlichen Herren mit einem so köstlichen Mahl, wie mir seit dem Aufenthalt zu Konstantinopel nicht zuteil geworden war.
So mittelmäßig die Kost und so einfach die Zimmer und deren Einrichtung zu Jerusalem und Nazareth waren, so überaus schön und gut fanden wir hier alles. In einem eleganten Speisesaal stand ein großer Tisch mit feinem weißem Tischzeug belegt, geschliffene Gläser blinkten uns freundlich entgegen, reinliche Eßbestecke und Porzellanteller fehlten nirgends, ein europäisch gekleideter Diener trug die besten Fastengerichte (es war Freitag) auf, und ein artiger Geistlicher leistete uns Gesellschaft, aber nicht im Essen, denn das, dachte er mit Recht, würde eine so ausgehungerte Kompanie auch ohne seine Hilfe treffen.
Auf der ganzen syrischen Reise war dieses Kloster ein wahrer Glanzpunkt für Seele und Körper. Wie wohl würde es uns bekommen haben, wenn hier einige Tage Rast gemacht worden wäre. Allein die Herren hatten noch ein gar weites Ziel vor sich, und da ging es nur immer fort und fort.
Nach dem Essen stiegen wir hinab an das Gestade und besuchten die große Grotte, die sogenannte Prophetenschule. Diese Grotte gleicht wirklich einem hohen, sehr geräumigen Saal, wo eine Menge Zöglinge Raum fänden, sich die Lehren der Propheten anzueignen.
Die Grotte, in welcher der heilige Elias lebte, befindet sich oben auf dem Berg in der Kirche. Der Berg Karmel ist ganz öde und nur hin und wieder mit Gestrüpp bedeckt. Die Aussicht ist aber wirklich himmlisch. Das Auge kann im Vordergrunde über den unbegrenzten Meeresspiegel gleiten, während es wieder unten am Fuß des Berges einen Anhaltspunkt findet an dem nicht unbedeutenden Ort Haifa, der sich freundlich in einem schönen, fruchtbaren Tal ausbreitet, welches sich bis an die hohen Gebirge zieht, deren Schlußgrenzen der Antilibanon und in weiterer Ferne der Libanon bilden. Längs der Meeresküste fällt der Blick auf Acre (Ptolemais), Es-Sur (Tyros) und Saida (Sidon).
18. Juni 1842
Heute morgen schickten wir unsere armen todmüden Pferde leer nach Acre, und wir wanderten mittags in einer Hitze von dreiunddreißig Grad zu Fuß nach Haifa, ungefähr eine gute Stunde Weges. Ganz erhitzt und erschöpft gelangten wir bei dem Konsul an, welcher zwar Katholik, in allem übrigen aber ganz nach orientalischer Sitte zu leben scheint. Er ist Ehrenkonsul von Österreich und Frankreich. Obwohl er nicht zu Hause war, führte man uns dennoch gleich in das Prunkzimmer, wo wir auf weichen Diwans ruhten, mit Scherbet von allerhand Farben, als grünen, gelben, roten usw., nebst kleinen Schälchen Rosenkaffee, der uns aber nicht schmeckte, und mit Tschibuks bedient wurden. Endlich erschien die Gemahlin des Konsuls, eine junge, schöne, stattliche Gestalt in orientalischer Tracht. Sie rauchte ihre Wasserpfeife mit demselben Wohlbehagen wie die Männer. Zum Glück war ihr Bruder gegenwärtig, der etwas Italienisch verstand und sprach und die Güte hatte, den Dolmetscher zu machen. Leider findet man nirgends eine Orientalin, die außer ihrer Muttersprache noch eine andere verstände.
Nachdem wir uns erholt hatten, fuhren wir in einer Barke nach Acre, ungefähr anderthalb Stunden. Bei der Hinreise nach Jerusalem hatte ich dieses Denkmal des letztes Krieges bloß von außen gesehen, nun konnte ich es auch von innen betrachten, was sich aber wahrlich nicht der Mühe lohnt. Sind die türkischen Städte an sich schon im guten Zustand häßlich, so kann man sich leicht denken, um wieviel mehr erst, wenn sie zerschossen, voll Löcher und Kugeln sind und der Schutt sowohl vor als in den Häusern noch herumliegt. Der Eingang zum Kloster führt durch den Hof der türkischen Kaserne, in welcher es sehr lebhaft zuging, und wo wir Gelegenheit bekamen, besser als auf den Posten einen Überblick über die armselige Bekleidung und über die noch viel armseligere Beschuhung der Mannschaft zu gewinnen.
Das Kloster ist sehr klein, eigentlich nur ein Wohnhaus, in welchem sich eine Kapelle befindet. Zwei Geistliche und ein Laienbruder machen den ganzen Hausstand des Klosters aus.
Kaum war ich auf dem mir angewiesenen Zimmer, als eine recht artige Frau kam, die sich mir als die Gattin eines im Dienst des hiesigen Paschas stehenden Arztes aufführte, der sich aber gegenwärtig in Konstantinopel befinde, und mir zugleich bemerkte, daß sie alle Abende mehrere Stunden hier zubringe und die Honneurs des Hauses mache. Dies war mir eine so ganz neue Erscheinung, daß ich gewiß stumm geblieben wäre, wenn sie nicht eine recht liebenswürdige, geschwätzige Französin gewesen wäre. So verplauderten wir den Abend, bis uns die Speiseglocke in das Refektorium rief. Alles, was ich in diesem Kloster sah, war ganz das Gegenteil von dem freundlichen, netten Karmel-Kloster; der Speisesaal über alle Maßen unrein, zwei schmutzige Tische nebst einigen Bänken, die Einrichtung, Tischzeug, Teller usw. dem übrigen angemessen, und die Kost tat sich gerade auch nicht hervor. Wir speisten an zwei Tischen; an dem einen die Herren mit dem Pater Reverendissimus und an dem andern ich und die Französin.
19. Juni 1842
Unsere heutige Reise ging nicht weit, darum machten wir uns erst um zehn Uhr auf den Weg, und zwar in Begleitung mehrerer Franken, welche im Dienst des Paschas stehen. Sie führten uns in den an der Straße liegenden Park, welcher der Sultanin-Mutter gehört und wo im Sommer gewöhnlich der Pascha von Acre residiert. Nach einer halben Stunde gelangten wir hin. Der Garten ist nicht übel, enthält aber außer Zitronen-, Orangen-, Granat- und Zypressenbäumen nicht viel anderes. Die Blumenflora war ebenfalls nicht sehr ausgezeichnet, sie wies uns nicht einmal alle die Gattungen von Blumen, die wir in unseren Gärten zu sehen gewohnt sind, viel weniger fremdartige oder seltene Gewächse. Einige Kioske sind auch vorhanden, aber alles in einem jämmerlichen Zustand.
Das Wohnhaus des Paschas außerhalb des Gartens ist schon freundlicher. Wir machten ihm unsere Aufwartung, wurden sehr artig empfangen und mit den üblichen Getränken bedient. Kaum erfuhren die hohen Damen im Harem, daß eine Fränkin auf ihrem Gebiet sei, so sandten sie eine Botschaft an mich, um mich zu einem Besuch einzuladen. Ich nahm diese Einladung mit Vergnügen an, weil sie meiner Neugierde sehr zusagte. Ich wurde in einen andern Teil des Hauses geführt, dort trat ich dann in ein mittelgroßes Gemach, dessen Boden mit Matten und Teppichen überdeckt war und an dessen Seiten Polster lagen, auf welchen die verschiedenartigsten Schönheiten, vermutlich aus allen Weltgegenden zusammengerafft, zwölf bis fünfzehn an der Zahl, saßen. Eine derselben war ziemlich alt und vermutlich die eigentliche Frau, denn alle übrigen deuteten auf sie. Die Jüngste darunter mochte achtzehn bis neunzehn Jahre zählen und war Mutter eines ungefähr acht Monate alten Kindes, mit welchem alle spielten wie mit einer Puppe; das arme kleine Geschöpf ging von einer Hand in die andere. Die Kleidung dieser Damen war geradeso, wie ich sie an den Töchtern des Konsuls in Jaffa beschrieben habe. Von ausgezeichneten Schönheiten, wenn man die hier sehr verehrte Beleibtheit nicht dafür hält, sah ich nicht viel, wohl aber eine Einäugige, eine in diesem Land nicht ungewöhnliche Erscheinung. Sklavinnen erblickte ich da von allen Schattierungen. Die eine hatte einen Ring durch die Nase gezogen, die andere hatte blaubemalte Lippen. Alle aber, Frauen und Sklavinnen, hatten schwarzgefärbte Augenlider und Augenbrauen und auch die Nägel und die innere Fläche der Hand von dem Saft der Hennawurzel lichtbraun gefärbt.
Unwissend und neugierig sind die Orientalinnen im höchsten Grad; sie können weder lesen noch schreiben, von der Kenntnis einer fremden Sprache ist schon gar keine Rede. Eine außerordentliche Seltenheit ist es, wenn eine unter ihnen Goldstickereien zu machen versteht. Wenn man mich zufälligerweise an meinem Tagebuch schreiben sah, kamen Männer, Weiber und Kinder heran, betrachteten mich und mein Buch von allen Seiten und gaben ihre Verwunderung durch Zeichen kund.
Beschäftigung und Arbeit scheinen die Damen des Harems für entehrend zu halten, denn ich sah sie weder hier noch an anderen Orten etwas anderes tun, als mit untergeschlagenen Beinen auf den Polstern oder Teppichen sitzen, Nargileh rauchen, Kaffee trinken und schwatzen. Auch ich mußte mich gleich zu ihnen auf ein Polster kauern, wo sie mich dann alle umgaben und durch Zeichen um vieles zu fragen versuchten. Sie nahmen meinen runden Strohhut und setzten ihn auf den Kopf, dann befühlten sie den Stoff meines Reisekleides; am meisten staunten sie aber über meine kurz abgeschnittenen Haare, bei deren Anblick diese armen Geschöpfe vielleicht gar dachten, die Natur habe den Europäerinnen den langen Haarwuchs versagt. Sie fragten mich pantomimisch, wie das zuginge, und jede der Frauen besah und befühlte meinen Kopf. Auch meine Magerkeit schien sie sehr zu befremden. Sie reichten mir ihre Nargileh und boten mir Getränke und Naschereien. Die Unterhaltung war im ganzen nicht sehr groß, weil wir keinen Dragoman an der Seite hatten, der unsere Gespräche übersetzt hätte. Wir mußten nur jedes erraten, was das andere sagen wollte, und am Ende saß ich stumm unter ihnen und war froh, als ich nach einer Stunde zur Fortsetzung der Reise abgeholt wurde. Ich war in der Folge noch in mehreren, mitunter auch in bedeutenderen Harems, allein ich fand überall dasselbe. Der Unterschied bestand höchstens darin, daß ich in manchem Harem schönere Frauen oder Sklavinnen fand, daß sie reicher gekleidet oder eingerichtet waren. Aber überall traf ich dieselbe Unwissenheit, Neugierde und Trägheit. Im ganzen mögen sie glücklicher sein als wir Europäerinnen; dies schließe ich teils aus ihrer Beleibtheit, teils aus ihren ruhigen Gesichtszügen. Ersteres stellt sich doch gewöhnlich nur bei ruhigen oder zufriedenen Gemütern ein, und ihre Züge sind so ohne allen bestimmten, ausgesprochenen Charakter, daß ich sie unmöglich großer Empfindungen und Leidenschaften, weder im Guten noch im Bösen, fähig halte. Ausnahmen gibt es überall, folglich auch unter ihnen; ich sage nur, was ich im Durchschnitt bemerkte.
Wir ritten diesen Tag in allem nur sieben Stunden. Wir kamen an einem schönen Orangenhain vorüber, außerdem ging der Weg immer knapp am Meer im tiefen Sand; nur ein einziges Mal hatten wir eine schreckliche Passage über den weißen Berg, dessen Fuß sich ins Meer verläuft. Diesen glücklich überschritten, gelangt man in die Nähe der schönen, ausgedehnten Wasserleitung, welche ich ebenfalls bei der Reise nach Jaffa von der Barke aus bemerkte und die einen Teil dieses schönen freundlichen Tals durchzieht.
Das Städtchen El-Sur, unser heutiges Ziel, konnten wir nicht betreten, weil es der Pest wegen abgesperrt war. Wir zogen also vorüber und schlugen unsere Zelte nahe an einem Dorf auf, bei welchem sich große herrliche, in Felsen gehauene Wasserbehälter befinden, von denen das überfließende Wasser vier bis fünf Klafter tief hinabstürzt, ein Mühlrad in Bewegung setzt und sich dann als Bach durch das Tal schlängelt.
20. Juni 1842
Nach fünf Uhr morgens saßen wir wieder zu Pferd und kamen nach einigen Stunden an den schönen Fluß Litani, der zwar so breit, aber bei weitem nicht so wasserreich wie der Jordan, nach demselben der bedeutendste ist, den man auf dieser Reise antrifft, und zugleich eine der seltensten und lieblichsten Erscheinungen in diesen wahrhaft wasserarmen Gegenden bleibt. Sein Wasser war rein wie Kristall.
Nach zehnthalb Stunden erreichten wir Saida, wo wir ins Kloster ritten, weil in all diesen Orten kein Gasthof ist. Das Klösterchen nebst der winzigen Kirche liegt am Ende eines großen Hofes, der so voll von Menschen, Pferden und besonders Soldaten war, daß wir lange Zeit brauchten, um durchzudringen. Als wir uns endlich den Aufgang ins Kloster erkämpft hatten, bekamen wir den Bescheid, es sei kein Raum für uns. Was war zu tun? Wir mußten noch froh sein, bei einer griechischen Familie ein Zimmerchen zu erhalten, wo wir die Nacht zubringen konnten; doch war von Betten keine Rede, sondern wir mußten auf den Steinplatten schlafen. Im Hof war ein halbes Lager aufgeschlagen, in welchem nebst einer Menge Arnauten zwölf Prachtpferde des Emirs vom Libanon, lauter echte Araber, kampierten.
Die Arnauten, das Militär, sind überall gefürchtet, mehr aber von den Freunden als vom Feind. Sie betragen sich sehr lärmend und gegen das Volk höchst anmaßend. Sogar einer der Herren Grafen wurde, als er ausging, nicht von einem aus dem Volk, sondern von einem solchen militärischen Kerl insultiert. Diese schlecht disziplinierten Truppen sind überall versammelt, um bei der geringsten Unruhe, die zwischen den Drusen und Maroniten ausbricht, dreinzuschlagen. Ich glaube aber, die Arnauten sind viel mehr zu fürchten als die Drusen und Maroniten, denn später zogen wir durch das ganze Gebiet der letzteren, ohne von ihnen nur im geringsten beleidigt oder beunruhigt zu werden. Das wäre wahrscheinlich nicht der Fall gewesen, wenn wir einer Schar dieser wilden Jäger begegnet wären.
Beim türkischen Militär sind die Arnauten am schönsten gekleidet und gleichen mit ihren kurzen, weißen, sehr faltenreichen Röcken aus Leinwand oder Wolle, mit den weißleinenen, enganliegenden Hosen, der Binde um die Mitte und dem weißen oder roten Spenzer ganz den Albanesen.
21. Juni 1842
Heute hatten wir den anstrengendsten Tag; wir machten zwar auch nicht mehr als zehn Stunden, allein diese zehn Stunden in einem Ritt, ohne auch nur ein Viertelstündchen auszuruhen, und noch dazu bei einer Hitze von dreiunddreißig Grad. Wir ritten in einer Sandwüste, die sich von Saida bis Beirut und in der Breite gewiß eine Stunde weit gegen das Gebirge erstreckt. Die einförmige Steppe wird nur durch mehrere aufgetürmte Sandhaufen unterbrochen. Die Oberfläche des Sandes ist in lauter wellenförmigen Linien gezeichnet, der Sand selbst sehr fein, schön und bräunlich-gelb gefärbt. An diese Wüste schließt sich wieder ein schönes, fruchtbares Tal, das sich bis an den Libanon hinzieht, an dessen bläulichgrauen mächtigen Felsenmassen man mehrere Dörfer liegen sieht.
Dieser Berg gewährt einen prächtigen Anblick. Weiße Felsen und weiße Sandschichten durchziehen gleich Schneefeldern seine weite, meist unfruchtbare Außenseite.
Wir kamen während der langen zehn Stunden an keiner Quelle, Zisterne oder Pfütze vorüber, und selbst die Flußbette, die wir passierten, waren von der Hitze ganz ausgetrocknet. Wir trafen keinen Baum, um uns unter dem Schutz seiner Äste auf Augenblicke der Sonne zu entziehen. Es war für uns und die armen Tiere ein Tag der höchsten Marter. Zwei von unsern braven Pferden erlagen auch der großen Anstrengung, sie konnten sich nicht mehr weiterschleppen, obwohl man ihnen alle Bürde abnahm; die armen Tiere mußten zurückbleiben und verschmachten.
Um drei Uhr nachmittags langten wir endlich zu Beirut an, nachdem wir Beschwerden und Hindernisse aller Art, die mit einer Reise in Syrien immer verbunden sind, während zehn Tagen mutvoll ausgestanden hatten.
Diese Stadt liegt in einer Sandfläche, nur die Maulbeerpflanzungen, von welchen sie reichlich umgeben ist, gewähren ihr ein freundliches, frisches Ansehen. Doch geht man überall in den Gärten und Alleen und auf allen Wegen tief im Sand. Von der Ferne gesehen macht Beirut, wie ich schon bei meiner Ankunft von Konstantinopel bemerkte, einen überraschenden Eindruck, allein in der Nähe betrachtet, verliert es sehr. Ungern ging ich in der Stadt und deren Umgebung herum, aber mit wahrem Vergnügen betrachtete ich die Landschaft, an einem schönen Abend auf einer Terrasse sitzend. Ich sah den dunkelblauen Himmel sich wölben über die herrliche Gebirgskette, über das üppige Tal und über die weite Meeresfläche. Ich sah die goldne Sonne, wie sie ihre Strahlen zum Abendgruß den Gebirgen zusandte und endlich selbst dem Auge entschwand, alles in ein sanftes Dunkel hüllend. Ich sah die unzähligen Sterne glänzen und den Mond sein zauberisches Licht über die nächtliche Landschaft ergießen; und wer bei diesem Übermaß von Naturschönheiten nicht den bessern Menschen in sich fühlt, der ist wahrlich des Namens »Mensch« nicht würdig. Ja, der Tempel Gottes ist überall, überall verkünden seine Werke ein Etwas, dem auch der ungläubigste Geist nicht widerstehen kann: es ist das Dasein Gottes. Wie viele so schöne Abende genoß ich nicht in Beirut, sie waren auch meine einzige Entschädigung für die unendlichen Leiden, die ich in dieser Stadt ertragen mußte.
Im Gasthof bei Battista fand ich abermals kein Kämmerchen, und diesmal war ich in einer noch viel größeren Verlegenheit, ein Unterkommen zu finden als das erstemal; denn die Frau des Wirtes war samt den Kindern auf dem Land, ihre Privatwohnung vermietet, und ich saß somit im vollen Sinn des Wortes auf der Gasse. Ein Geistlicher, den ich in Konstantinopel kennengelernt hatte und welcher jetzt gerade in Beirut war, erbarmte sich meiner und brachte mich gleich außerhalb der Stadt bei einer recht braven arabischen Familie unter. Nun war ich zwar unter Dach und Fach, allein ich konnte mich mit niemandem verständigen, denn keine Seele sprach Italienisch, und ich wußte keine andern Wörter Arabisch wie schön, Wasser, Milch, nichts.
Mit diesem Reichtum an Ausdrücken war natürlich nicht weit zu kommen, was ich gleich am folgenden Tag sehr schmerzhaft empfand. Ich ließ mich nämlich durch einen Knaben in die Kirche führen und bedeutete ihm, daß er auf mich warten solle, um mich wieder nach Hause zu begleiten. Als ich fort wollte, sah ich den Jungen nicht mehr. Ich wartete vergebens und mußte mich endlich entschließen, den Weg allein zu suchen.
Das Haus, wo ich wohnte, stand in einem Garten mit Maulbeerbäumen, allein die Häuser in der ganzen Gegend haben dieselbe Bauart, an jedes ist ein Turm angebaut, in welchem sich ein bewohnbares Zimmer befindet, und alle stehen in Gärten von Maulbeerpflanzungen, die entweder gar nicht abgeteilt oder nur durch kleine Sanderhöhungen voneinander getrennt sind. Blumen oder Gemüse sieht man nirgends, ebensowenig Straßen oder Wege, und so geriet ich in ein Labyrinth von Bäumen und Häusern ohne Ende. Ich begegnete lauter Arabern, die mich nicht verstanden und daher auch nicht zurechtweisen konnten. So lief ich nun kreuz und quer, bis ich endlich nach langem, ermüdendem Herumirren zufällig auf mein Haus stieß. Dergleichen Unannehmlichkeiten wollte ich mich nicht öfters aussetzen und lieber in der Stadt wohnen, wo ich ohnehin täglich sein mußte, um eine Gelegenheit zur Reise nach Alexandria zu suchen. Ich ließ mich daher von demselben Jungen in die Stadt zum österreichischen Generalkonsul Herrn v. A. führen. Leider war dieser Herr für mich unbedeutende Person nicht zu sprechen; er ließ mir sagen, ich möchte einige Stunden später kommen. Dies war für den Augenblick eine wahre Hiobspost. Die Hitze war groß, ich ohnehin schon zum zweitenmal in der Stadt, und nun sollte ich wieder hinaus in den glühenden Sand, um in einigen Stunden zurückzukehren. Wenn ich nicht übernatürliche Kraft gehabt hätte, wäre ich in dieser Lage halb untergegangen. Allein auch hier wußte ich mir glücklicherweise zu helfen.
Ich ließ mich durch meinen kleinen Führer in das Haus führen, wo ehemals die Frau des Wirtes Battista wohnte. Bei meinem ersten Aufenthalt in Beirut hatte ich zufällig erfahren, daß in demselben Haus eine Französin wohne, die sich mit dem Unterricht der Kinder beschäftige. Diese Französin suchte ich auf, fand sie glücklich, und nun war mir insoweit geholfen, daß ich doch mit jemandem reden und jemanden um Hilfe ansprechen konnte. Die Französin, ein Fräulein von ungefähr vierzig Jahren namens Pauline Kandis, war ein vortreffliches Geschöpf. Meine verhängnisvolle Lage ging ihr so zu Gemüt, daß sie mir zum einstweiligen Aufenthalt ihr eigenes Zimmer anbot. Ich sah freilich, daß auch hier noch sehr viel zu wünschen übrigblieb, denn ihre Wohnung bestand aus einem Zimmer, welches durch mehrere hohe Kästen in zwei Teile abgeteilt war; in der vorderen Abteilung stand ein großer Tisch, um welchen vier oder fünf Mädchen saßen oder standen, die lernen sollten. Das rückwärtige Gemach machte die eigentliche Rumpelkammer aus. Da gab es denn Kisten und Körbe und Töpfe, ein altes Faß, auf welchem ein Brett lag, diente statt eines Tisches, aber meine Lage war in diesem Augenblick zu verzweifelt, um nicht mit Freuden diese angebotene Rumpelkammer anzunehmen. Ich wanderte gleich mit meinem Jungen fort, und schon um Mittag war ich mit Sack und Pack bei meiner liebreichen Wirtin. Nun aber konnte ich für diesen Tag auch keinen Schritt mehr machen. Meine Kräfte waren teils noch von der Reise, teils von dem heutigen Herumlaufen so erschöpft, daß ich um nichts als um ein Lager bat, welches mir zwischen den alten Kisten und Körben auf dem Boden zuteil ward. Ich legte mich nieder, um der mir höchst nötigen Ruhe zu genießen.
Abends um sieben Uhr wurde die Schule geschlossen, da empfahl sich Fräulein K. und überließ mir beide Gemächer, indem sie hier nur Schule hält und bei ihrem Bruder, dem Dr. K., wohnt.
Der Aufenthalt bei Fräulein K. war das Ärgste, was mich auf der Reise traf.
Von acht Uhr morgens bis sieben Uhr abends waren vier oder fünf Mädchen da, die aber eher alles taten, als lernen. Das war den ganzen Tag ein Laufen und Springen, Lärmen und Schreien, daß man sein eigenes Wort nicht hörte. Nebstdem befanden sich in den höheren Regionen dieses Hörsaales acht Taubennester, da flatterten die Alten, die so zahm waren, daß sie einem den Bissen nicht nur vom Teller, sondern sogar vom Mund wegstahlen, beständig im Zimmer herum, so daß man sich nirgends setzen konnte, ohne vorher den Platz zu besichtigen und zu reinigen. Auf dem ebenerdigen Terrain balgte sich ein Hahn mit drei Gemahlinnen, und eine Frau Mutter Henne mit elf hoffnungsvollen Jungen gackerte stets dazwischen. Mich wundert, daß ich nicht schielend wurde, denn ein Auge mußte stets in die Höhe und das andere in die Tiefe gerichtet sein, um nirgends Unheil zu leiden oder anzurichten. Des Nachts war eine Hitze und ein Gestank, kaum zum Ertragen, und der Hahn fing nach Mitternacht zu krähen an, als ob er dafür bezahlt würde. Ich öffnete bei Nacht das Fenster, um der Hitze und dem Geruch einen Ausweg zu verschaffen, und legte mich, wie einst der Mameluck vor Napoleons Tür, vor das Fenster, um die mir anvertrauten Pfänder vor jedem nächtlichen Überfall zu schützen. Allein schon in der zweiten Nacht mußte ein Paar wandernde Katzen meine Gesellschaft erlauert haben; ohne viel zu deliberieren, stiegen sie ganz leise und behutsam über mich in das Gemach und fingen da einen Mordsspektakel an. Ich sprang auf und verscheuchte die Mörder und mußte mich von nun an wieder in das Innere zurückziehen, die Fenster mit Balken verschanzen und mutig alle Leiden tragen.
Die Kost war ebenfalls sehr erquicklich. Die Schwägerin der guten Pauline sandte täglich das Mittagessen; da kam dann an einem Tag ein Fingerhut voll safrangelb gefärbtem Pilaw und den andern ein halbes Kopfstückchen von einem Fisch. Fünf Tage in der Woche sollte ich fasten und an den beiden andern hätte ich nichts zu essen bekommen. Ich kündigte also die Kost gleich auf und kochte mir täglich selbst ein gutes deutsches Gericht. Des Morgens ließ ich mir Milch bringen, um ebenfalls nach deutscher Art Milch und Kaffee zu trinken. Leider aber müssen unsere Milchpanscherinnen schon bis Syrien gedrungen sein, denn hier bekam ich ebensowenig echte Ziegenmilch wie in Wien unverfälschte Kuhmilch.
Meine Bettstatt war eine alte Kiste, meine Unterhaltung und Beschäftigung Nichtstun. Ich hatte kein Buch zum Lesen, keinen Tisch zum Schreiben, und erhielt ich wirklich einmal etwas zum Lesen oder versuchte ich zu schreiben, so kam der ganze Schwarm der holden Jugend und sah in mein Buch oder auf meine Feder; da hieß es dann wohl:
Geduld, Geduld! wenn's Herz auch bricht,
Mit Gott im Himmel hadre nicht.
Hadern, nun das hätte so nichts genützt, allein den Ärger konnte ich nicht ganz unterdrücken.
Meine Freunde werden mir vergeben, daß ich meine Leiden so genau beschreibe, allein es geschieht nur, um alle jene abzuschrecken, die etwa Lust zu solch einer Reise hätten und nicht reich, vornehm oder doch recht abgehärtet sind, denn ohne den Besitz wenigstens einer dieser Eigenschaften möge jeder lieber zu Hause bleiben.
Weil ich nicht vornehm oder reich war, empfing mich der Herr Konsul das erstemal gar nicht, obwohl gerade vor mir der Kapitän eines Dampfschiffes seine Aufwartung abstattete. Als ich nach einigen Tagen wieder kam, ihm meine Not klagte und sehr deutlich zu verstehen gab, wie glücklich ich mich schätzen würde, wenn sich meiner jemand annähme und die Gefälligkeit hätte, mir gegen Bezahlung eine anständige Wohnung zu verschaffen, bis ich eine Gelegenheit nach Alexandria fände; da war der Herr Konsul so gütig, zu all meinem Elend nur den Kopf zu schütteln und die trostreichen Worte zu sagen: »Ich bedaure, es ist wirklich traurig«, usw. Der gute Herr muß sein Gefühl beim Übersiedeln vergessen haben, sonst hätte er mich unmöglich mit ein paar so herzlosen Floskeln abfertigen können, um so mehr, da ich ihm ausdrücklich sagte, daß ich hinlänglich mit Geld versehen sei, um die Kosten zu tragen, daß es aber oft Lagen gebe, wo man nebst Geld auch noch anderer Hilfe bedürfe. Kurz, er erkundigte sich während meiner langen Anwesenheit in Beirut kein einziges Mal nach mir.
Während meines Aufenthaltes machte ich einen Ausflug nach der Grotte, in welcher der heilige Georg den Drachen erlegt haben soll, sie liegt rechts unweit der Quarantäneanstalt. Der Ritt dahin ist wegen der schönen Ansichten sehr lohnend, an der Grotte selbst ist nichts Sehenswertes.
Abends ging ich öfters zu einer arabischen Familie, setzte mich auf die Terrasse des Turmes und erfreute mich an dem herrlichen Sonnenuntergang.
In Beirut lag sehr viel Militär, ebenfalls lauter Arnauten. Sie hatten ihre Zelte vor der Stadt aufgeschlagen, die dadurch ganz das Aussehen eines Feldlagers erhielt. In vielen Städten sind keine Kasernen, und da die Soldaten in Privathäusern nicht einquartiert werden, so müssen sie auf dem Feld unter Zelten biwakieren.
Der Bazar ist sehr groß und ausgedehnt. Ich hatte einmal das Unglück, mich in diesen vielen Gassen zu verirren, und brauchte längere Zeit, mich wieder herauszufinden; dabei sah ich die Menge der Handelsartikel und die Unzahl der Kramläden; an beiden ist nichts Merkwürdiges. Zugleich überzeugte ich mich hier abermals, daß an dem Gerede der Menschen die Hälfte unwahr ist. Man hatte mich nämlich gewarnt, nicht allein auf die Gasse, noch viel weniger aber in den Bazar zu gehen. Ich versuchte beides, nicht etwa einmal, sondern während meines Aufenthaltes täglich ein-, auch zweimal, und nie begegnete mir das Geringste.
Zehn ewig lange Tage saß ich schon in Beirut, und noch fand sich keine Gelegenheit nach Alexandria. Da kam Ende Juni der geschätzte Maler S., dessen Bekanntschaft ich in Konstantinopel gemacht, hier an, suchte mich auf und machte mir den Vorschlag, mit ihm, dem Grafen B. und einem Franzosen D. nach Damaskus zu reisen, statt hier zu sitzen. Dieser Vorschlag war mir höchst willkommen. Ich sehnte mich nach Erlösung aus meinem Hühnerstall. Meine Anstalten waren gleich getroffen, ich nahm nichts mit als etwas Wäsche und einen Polster, die auf mein Pferd gepackt wurden.