Edgar Allan Poe
Gedichte
Edgar Allan Poe

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Ulalume

Übers.: Hedwig Lachmann

        Die Wolken türmten sich mächtig,
Die Blätter waren verdorrt
Sie waren kraus und verdorrt.
Es war Oktober und nächtig
An einem unseligen Ort.
Es war nahe dem bleiernen Wasser,
Das da so verschlafen steht,
Am Hain, wo des Nachts sich ein blasser
Hohläugiger Schwarm ergeht.

Die Gegend, schroff und titanisch,
Durchstreift' ich mit Psyche allein,
Meiner Seele, Psyche, allein,
Zur Zeit, da mein Herz noch vulkanisch,
Wie die Berge, die rastlos spein,
Die Feuerströme ausspein.
Wie der Berg am Nordpol, der kreißend
Ein flammendes Meer gebiert,
Das sich gewaltsam und reißend
Hinunterstürzt und verliert,
Hinunterwälzt und verliert.

Unsre Rede war ernst und gemessen,
Die Gedanken welk und verdorrt,
Die Gedanken lahm und verdorrt.
Das Gedächtnis war pflichtvergessen,
Denn es mahnte uns nicht an den Ort,
An die Zeit nicht und nicht an den Ort.
Wir ahnten nicht Ort und nicht Stunde
Und nicht den Monat im Jahr,
Den unseligen Monat im Jahr,
Daß es nah beim verfluchten Grunde
Und dem bleiernen Wasser war.

Und da nun die Nacht sich neigte,
Und der Zeiger der Sternenuhr,
Der himmlischen Sternenuhr,
Dem Tag zustrebte, da zeigte
Sich ein nebliger Schein am Azur.
Und diesem weißlichen, zarten
Duftschleier entschwebte zuletzt
Das Diadem von Astarten,
Mit Diamanten besetzt.

Und ich sprach: Sie ist wärmer und milder
Als die keusche Schwester Apolls,
Die flinke Schwester Apolls.
Diana ist feuriger, wilder,
Doch innerlich kühl und stolz.
Sie aber wandelt durch Sphären
Von Seufzern und wirft ihr Licht,
Ihr sanftes, freundliches Licht,
Auf die nimmer trocknenden Zähren
Im gramvollen Erdengesicht.
Und kommt durch das Sternbild des Löwen
Und weist uns den Weg zum Glück,
Den Weg durch Lethe zum Glück,
Und kommt durch die Höhle des Löwen,
Erwärmt uns mit Ihrem Blick,
Mit ihrem liebenden Blick.

Da sah ich Psyche erschaudern.
Sie sprach: Ich traue ihr nicht,
Ich trau dieser Blässe nicht.
O komm, o laß uns nicht zaudern,
Ich fürchte dies weiße Licht,
Dies weiße, flackernde Licht.
Eine Angst, unbeschreiblich, unsäglich,
Durchbebte sie, während sie sprach,
Während sie hastig so sprach,
Sie schluchzte und schleppte kläglich
Ihre Schwingen am Boden nach,
Die Schwingen im Staube nach.

Ich sagte: Du sprichst im Traume,
Laß uns tauchen in dieses Meer,
Dies silberne, leuchtende Meer.
Sieh, wie es im endlosen Raume
Kristallen hin wogt und her,
Es zitternd hinwogt und her.
Wie es strahlt und flutet im Blauen
Mit seiner sybillischen Pracht.
Glaub' nur, wir dürfen ihm trauen,
Es leuchtet uns durch die Nacht,
Wir dürfen dem Wegweiser trauen,
Denn er leuchtet zu Gott durch die Nacht.

So suchte ich sie zu beschwicht'gen
Und küßte sie brüderlich warm,
Ich küßte sie zärtlich und warm,
Und ich sah ihre Angst sich verflücht'gen,
Und wir eilten voran Arm in Arm.
In dunklen Cypressenalleen
Sank dumpfer und dumpfer die Luft –
Da blieben wir plötzlich stehen
An der Türe zu einer Gruft,
Zu einer mystischen Gruft.
Und ich sprach: Was sagt dieser stumme,
Verschwiegene Mund von Stein?
Da erwiderte sie: Ulalume –
Hier ruht Ulalumens Gebein,
Deiner Ulalume Gebein.

Da ward stumpf mein Herz und ohnmächtig,
Und wie die Blätter verdorrt,
Wie die Blätter welk und verdorrt.
Ja, Oktober war es und nächtig,
Rief ich aus, und an diesem Ort,
Ich erkenne deutlich den Ort –
Um den Teich wob ein unheimlicher, blasser
Verdunstender Nebelschwarm,
Und ich irrte an diesem Wasser
Eine schaurige Bürde im Arm,
Eine kalte Bürde im Arm –

Die Wolken türmten sich mächtig,
Die Blätter waren verdorrt.
Es war Oktober und nächtig
An einem unseligen Ort.

 


 


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