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VIII. Kapitel.
Ein Pilger, Nachrichten von Martha

Das Leben im Glockenhofe war nun viel wilder geworden; früher hatte man doch die Martha und den Meister gescheut, jetzt aber kannte man keine Zügel mehr, der letzte, wenn auch schwache Schutzgeist, war von hinnen.

So mancher Wanderer war im Volderwalde verschwunden, man wusste nicht wie. Der Volderwald wurde arg verrufen, und doch saßen die Räuber in ihrem Neste sicher, sie hatten ihre Fäden fein angelegt. Bei Tage standen sie an dem Schürofen und Gussofen oder kneteten an dem Lehme herum oder feilten und putzten die gegossenen Glocken. War die Nacht angebrochen, dann standen zwei Räuber regelmäßig auf der Lauer, einer oben, der andere unten am Wege. Kehrte der Wanderer in die Schenke ein, so war er gewiss verloren, keine Menschenhand rettete ihn aus den Krallen der Wütheriche. Gieng er an der Schenke vorbei, so eilte ihm die Rotte auf Umwegen nach und überfiel ihn, aus dem Walde hervorbrechend; da gab es keine Gnade, jeder musste in das Gras beißen. Fast hatte das Rosengärtlein nicht mehr Erde genug, um die Leichname der Gemordeten zuzudecken.

Wer von den geschehenen Mordthaten auf der Hochstraße Kenntnis hatte, getraute sich fast am hellen Tage nicht mehr durch den Volderwald zu wandern, besonders nicht allein.

Und doch sehen wir heute einen Pilgrim allein furchtlos den Weg durch den Wald heraufziehen. Er ist in eine braune Kutte gekleidet, ein Strick umgürtet seine Lenden, ein breiter Hut schützt sein Haupt vor dem Ungemach der Witterung, eine Kürbisflasche hängt an seiner Seite, er trägt einen Stab mit einem Kreuz an der Spitze in seiner Hand, staubbedeckt sind seine Schuhe. Der Pilgrim muss eine weite Reise gemacht haben und hat vermuthlich noch einen langen Weg vor sich. Er liest aus einem Buche, wahrscheinlich ist es der Psalter; denn die Worte klingen lateinisch. Der Mann geht langsam einher; er scheint müde zu sein.

Die Sonne ist schon beinahe hinter die Berge hinabgesunken und berührt nur noch leise die höchsten Spitzen, gleichsam sterbend sie noch einmal mit ihrem Rosenmunde anhauchend. Der Pilger bekreuzt sich und schlägt das Buch zu; denn es verschwimmen ihm die Buchstaben.

Vergeblich hatte man ihm in Hall abgerathen, heute noch durch den Wald zu wandern. Er gieng doch, er wollte heute noch oder doch wenigstens morgen nach Judenstein.

»Wer kommt denn dort den Weg herauf?« rief Langhanns durch eine Oeffnung der Gießerei lugend. »Mir scheint, es ist ein Bettelmönch, da wird's mager aussehen. Was kann er haben? Rosenkränze und Reliquien – alles nur Waren für Weiber: schade, dass die Martha nicht mehr da ist. Dennoch werden wir ihm heiß machen, er muss wenigstens ein Angstschwitzbad nehmen und uns von allen begangenen und zukünftigen Sünden absolvieren, bevor er fortkommt; das gibt einen köstlichen Spass. Wir wollen sehen, ob er zukehrt. – Ja, er lenkt ein! Lasst uns Feierabend machen und das Mönchlein empfangen!«

»Gelobt sei Jesus Christus!« grüßte der Pilger in die Zechstube eintretend.

Nur das Triefauge sagte halblaut: »In Ewigkeit! Amen.« Die anderen lachten.

Der Pilgrim: »Bin ich recht auf dem Wege nach dem Judenstein und Rinn. Wie weit habe ich noch?«

Der Langhanns: »Noch eine Stunde, doch Ihr werdet heute wohl hier über Nacht bleiben. Der Weg da hinauf ist leicht zu verfehlen, vorzüglich, wenn man in die Nacht kommt, auch soll es nicht recht geheuer sein wegen der Räuber. Uns ist zwar nie etwas widerfahren, aber anderen.

Der Pilgrim: »Nun wegen der Räuber hätte es nichts zur Sache, diese fürchte ich am wenigsten. Aber ich bin zu müde, und der Weg geht, wie mir scheint, über den steilen Berg hinauf, so sagte man mir.

Langhanns: »Das ist richtig! Aber sagt mir, warum fürchtet Ihr Euch nicht vor den Räubern?«

Der Pilgrim: »Warum, das will ich Dir schon sagen. Einmal habe ich außer meinem Psalter und was Ihr da an mir seht, nichts bei mir, was Räuber mir abnehmen könnten. Das Essen bettle ich mir. Zu trinken bekomme ich überall, wo eine Quelle hervorsprudelt. Das Nachtlager gewährt mir da und dort eine mitleidige Seele; denn ich bin mit einem bischen Heu oder Stroh zufrieden, und finde ich kein Plätzchen, so gibt mir der himmlische Vater die weite Welt zur Herberge. Meine schlechte Kutte nimmt mir niemand ab. Siehst Du also, unser einer kann überall sicher gehen.«

Langhanns: »Aber wenn man Dich doch anfallen und ermorden würde?«

Pilgrim: »Nun dann würde ich meine Seele Gott empfehlen, und denken: ›Das ist ein Stündchen, das der Herr will. Auch recht!‹ ›Ungewiss ist die Stunde, wann der Herr kommt, seid bereitet!‹ So heißt es im Evangelium.«

Langhanns: »Seid Ihr gut bereitet?«

Pilgrim: »Gut bereitet – das bin ich gerade nicht und werde es nie sein. Dazu gehört viel, aber doch wenigstens denke ich mir immer, jeder Tag, den ich erlebe, sei der letzte!«

Langhanns: »Ihr seid ein sonderbarer Kauz, aber ich meine, wenn es zum Ernste käme und Euch irgend einer das Messer an die Kehle setzen würde, wäre es anders; es käme Euch wohl da doch das Furchtfieber!«

Pilgrim: »Ich glaube nicht. Ich habe schon oft dem Tode ins Auge geblickt; denn Du weißt wohl, auf dem Schlachtfelde kann einem so etwas leicht begegnen.«

Als die Räuber vom Schlachtfelde reden hörten, schauten sie den Pilgrim mit großen Augen an. Sie, die früher den elenden Pilger verächtlich angesehen hatten, fiengen an, vor ihm Respekt zu bekommen.

»Wie,« fuhr Langhanns fort, »Du wärest Soldat gewesen? Dein Anzug schaut nicht darnach her!«

Pilgrim: »Etliche Jahre war ich Landsknecht, ich trug mehrere Wunden davon; ich trage noch die Narben am Leibe, aber einmal wurde ich so schwer verletzt, dass ich Monate lang zu heilen hatte. Und als der grausernste Knochenmann mir schon am Genicke saß, that ich ein Gelübde, ein anderes Leben anzufangen und, wenn ich gesunde, nach Rom zu wallfahrten und alle Heiligthümer auf dem Wege zu besuchen. Ich genas. Das wilde, gefährliche Soldatenhandwerk gefiel mir nun nicht mehr, nicht etwa wegen der Gefahr für den Leib, sondern wegen der noch viel größeren Gefahr für die Seele. Ich fieng an noch lateinisch zu lernen. Ein guter Herr, ein Pfarrer aus Landshut, unterstützte und unterrichtete mich, ich empfieng die Weihen, und nun gehe ich mein heiliges Wort zu lösen. Da ich in Hall drunten von dem heiligen Märtyrlein von Rinn gehört habe, so konnte ich es nicht unterlassen, auch diesem meine Verehrung zu Füßen zu legen.

Langhanns: »Ihr waret eigentlich ein Narr, ein lustiges Leben aufzugeben und ein so düsteres anzufangen!«

Pilgrim: »Das mag wohl Dir so scheinen! Ich aber lebe seit dieser Zeit so froh, so vergnügt in meiner Seele, dass ich keinem Fürsten der Erde tauschen würde, und dann hoffe ich, es erst dort oben noch besser zu bekommen.«

Der Pilgrim sprach diese Worte mit solcher Ueberzeugung und Festigkeit, dass man es ihm deutlich anmerkte, es müsse ihm ernst sein.

Langhanns sah, dass an diesem Manne nicht viel zu gewinnen sei. Er gab sein früheres Vorhaben auf; denn einen alten Soldaten zu quälen, wäre ihm doch zu unehrlich vorgekommen. »Nun, Pilger!« sprach er, »macht es Euch bequem, streckt nur Eure müden Beine auf die Bank hin! Ich will den Meister rufen, ein Plätzchen zum Ausruhen für diese Nacht und einen Imbiss gibt er Euch schon umsonst, gar so knauserisch ist er nicht, morgen mögt Ihr dann weiter ziehen.«

Langhanns gieng in die Gießerei, wo noch der Meister schaffte, und erzählte ihm, was für ein sonderbarer Gast angekommen sei.

Hanns hatte noch viel Anhänglichkeit an seinen früheren Stand. Wie er hörte, dass ein alter Landsknecht da sei, ließ er den Hammer sinken und begab sich in die Zechstube.

»Kein Haar dürft Ihr ihm krümmen!« sagte er auf dem Hinwege zu Langhanns, »Soldaten gebürt Gastfreundschaft. Das soll man dem Hanns nicht nachsagen, dass er seine Hand ohne Nothwehr in solches Blut tauchte!«

»Ein Krüglein Wein verschmäht Ihr doch nicht?« sprach Hanns zum Pilger, als er in die Stube trat, »was wir haben, geben wir Euch, es ist Euch herzlich vergönnt.«

Der Pilger nahm das Angebotene und musste dann dem Hanns erzählen, wo er überall im Kriege gestanden war.

Da tauchten in Hanns wieder die Bilder aus vergangenen Zeiten auf, sein Auge blitzte, seine Rechte ballte sich, als ob er noch das schwere Schlachtschwert oder die Lanze zu führen hätte; er horchte gespannt zu und so auch die anderen; denn die Erzählung der Kriegsthaten riss sie hin.

Es war schon spät in der Nacht, da brachen die Gesellen auf, um sich zur Ruhe zu begeben, nur der Meister und der Pilgrim nicht, und als die anderen auf ihrem Lager schnarchten, hatte Hanns noch manches zu fragen und sich erzählen zu lassen, kannte er ja all' die Orte, von denen der Pilger berichtete.

»Wo seid Ihr eigentlich zu Hause?« fragte endlich Hanns.

»Ich bin«, sprach der Pilgrim, »nicht weit von Oettingen auf einer Kaplanei. Gering ist zwar das Erträgnis meiner Pfründe, für mich aber groß genug, jedoch zu klein für meine Armen. Ich halte meine Schäflein etwas soldatisch, ich liebe Ordnung und Pünktlichkeit und werde gerne unwirsch, wenn nicht alles nach der Schnur geht. Aber die Meinigen kennen mich, sie haben mich doch gerne, sie wissen schon, dass es nicht böse gemeint ist. Glaubt's mir, ich habe in meinem jetzigen Stande viele Freuden; besonders eines meiner Seelsorgskinder ist mir wirklich immer ein Trost, wenn ich es ansehe. Es ist dies eine blasse Frau, der Sprache nach aus Tirol stammend. Sie kam vor etwas mehr als einem Jahre von Oettingen herüber und kaufte sich in unserem Dorfe ein kleines Bauerngut. Sie hatte zwei herzliebste Büblein voll Witz, Munterkeit und Leben bei sich. Anfangs waren diese gar wild. Doch bald streifte sich die Wildheit ab, als sie zu mir in die Schule giengen; jetzt sind sie folgsam, gelehrig und fromm und übertreffen alle andern Kinder im Dorfe.«

»O Gott!« seufzte jetzt Hanns tief erschüttert vor sich hin, »meine Martha, meine Kinder!«

»Man weiß nicht genau,« fuhr der Pilger fort, »wo die Frau eigentlich her ist und wer sie ist, man sieht sie nirgends als morgens früh in der Kirche bei der hl. Messe, dann aber schafft sie den ganzen Tag auf ihrem Gütchen. Sie tritt in kein anderes Haus, außer wenn sie muss, und dann sind ihre Worte sparsam gemessen. Von ihren früheren Lebensverhältnissen erzählt sie nie etwas, immer weicht sie den Fragen aus. Ich getraute mir noch nie, sie etwas auszuforschen; denn ich bemerkte, dass sie ein trauriges Geheimnis bewahren wolle. Immer schwebt ein Zug der Schwermuth über ihrem Antlitze; ich sah sie nie lächeln, doch sie ist gut gegen Arme und dienstfertig gegen alle; man liebt sie im ganzen Dorfe und betrachtet sie fast als eine Heilige. Ihre Kinder sind ihre einzige Freude und Sorge, sie bewacht sie wie ihren Augapfel; die Büblein lieben aber auch ihre Mutter und folgen ihr auf den Wink. Ich glaube, wenn sie sagte, sie sollen ihr durch's Feuer gehen, sie thäten es. Ich habe sie erst vor meiner Abreise noch gesehen.«

Als der Pilgrim dieses erzählte, kehrte Hanns sein Antlitz ab, um seine innere Bewegung zu verbergen, es kostete ihm eine große Anstrengung, sich nicht zu verrathen; wie hätte er gerne um so vieles gefragt über Martha's und seiner Kinder jetziges Leben. Bis zum frühen Morgen wäre er dagesessen und wäre nicht müde geworden, alles haarklein zu hören. »Die Martha ist wieder die Martha von einst geworden, sie hat sich wieder gefunden; nur der Kummer wird in ihrem Herzen nagen, darum ist sie blass geworden, ich bin der Wurm, der an ihrer Lebensblüte frisst und gefressen hat!« so dachte Hanns in der Bitterkeit seiner Seele, doch eins tröstete ihn, dass er Martha nicht mit ins Unglück gezogen, dass er sie und die Kinder aus der Räuberhöhle entfernt und der Ehrlichkeit wieder gegeben hatte. Tief empfand er das Opfer, das er gebracht hatte, aber der Martha, der betrogenen Martha und den Kindern war er es schuldig, sie nicht auch um den Himmel zu betrügen.

»Ihr meint,« sagte jetzt der Meister, »sie sei von Tirol?«

»Ja!« sagte der Pilgrim. »Es ist gewiss; denn die Sprache verrieth sie schon. Vielleicht stammt sie gar aus dieser Gegend; denn sie scheint dieselbe gut zu kennen. Als ich meinen Plan, nach Rom zu gehen, ihr entdeckte und ihr sagte, dass ich durch Tirol ziehen und auch nach Hall kommen werde zur Liebfrauenkapelle in der dortigen Pfarrkirche, wo so viele heilige Martyrergebeine ruhen, da färbte sich auf einmal das Antlitz der Martha purpurroth.«

»Der Martha, sagt Ihr? ja sie ist's!« rief Hanns sich vergessend aus.

»Wie,« sprach der Pilgrim, »kennt Ihr sie etwa? Wisst Ihr ihre Schicksale, o erzählt sie mir!«

»Nein!« antwortete der Meister sich fassend, »Die Martha, welche Ihr meint, kenne ich nicht, aber ich hatte ein theures, liebes, gutes Weib. Sie starb mir; ich habe sie vor wenigen Monden begraben, sie war das Abbild der Martha, von der Ihr mir erzählt, gerade so war mein Weib. Darum sagte ich, sie ist's. Die Erinnerung an sie wachte wieder auf, die Wunde wurde frisch aufgerissen.«

»Verzeiht!« sprach der Kaplan, »wenn ich ohne Wissen und Wollen Euch wehe gethan habe, ich will nun davon abbrechen und wir wollen auch das Lager aufsuchen.«

»O, ich bitte Euch!« sprach nun Hanns, »erzählt nur noch weiter von dieser Frau, ich sehe da gleichsam wieder mein Weib aufleben, und wenn auch die Erinnerung wehe thut, so liebt man doch diese Schmerzen. Also das Antlitz Martha's färbte sich purpurroth, habt Ihr gesagt – fahrt weiter!«

»Und dann,« fuhr der Kaplan fort, »wurde es wieder blass. Ich hörte ihr Herz klopfen und sah, wie sie sich von mir abwendend eine Thräne abwischte, dann ihre Kinderchen an sich zog und an ihr Herz drückte. Ich sah es ihr an, dass sie tief bewegt war. ›Da drinnen in Tirol‹, dachte ich mir, ›da muss der Schauplatz sein, wo sie große Leiden erlebt hat, die sie in die weite Welt, in die Fremde hinausgetrieben haben; denn seine liebe Heimat verlässt man ungern, besonders sagt man von den Tirolern, dass sie ihre Berge gar so lieben. Also dort muss ihr Mann begraben sein; dort stand einst ihre Wiege. Was wird doch das gewesen sein, was sie von ihrem Vaterhause, von der Ruhestätte ihrer Theuren, vertrieb? – ›Martha!‹ fragte ich, ›kennst Du Tirol, soll ich Dir das schöne Land grüßen? Ist es Dir vielleicht besonders lieb und wert?‹

›Ja, ich kenne es!‹ sprach Martha, ›zu Euch, hochwürdiger Vater, allein sei es gesagt, – es ist mein Heimatland, und wenn Ihr das schöne Thal dem Innstrome nach hinaufzieht, so grüßt mir das Land, wo ich einst viele glückliche und so viele schmerzhafte Tage erlebt habe. Und wenn Ihr nach Hall gekommen seid und Euch dort umgesehen habt, so zieht auch hinauf zum Judenstein und von da zur Dorfkirche von Rinn, wo gleich rechts am Eingänge drinnen in einem Särglein die Gebeine des kleinen Martyrleins ruhen, das draußen am Judenstein unter den Messern grausamer Peiniger verblutete. O, gedenkt dann meiner an diesen beiden heiligen Orten, leset in der Kirche von Rinn eine hl. Messe zu Nutz und Frommen meiner Kinder und meines Mannes. Mein Mann ist todt und welchen Todes starb er! Ach Gott, mir schaudert, wenn ich daran denke!‹

Dann nahm sie ein Goldstück aus einem Schranke und wollte es mir mit aller Gewalt als Almosen für die heilige Messe und zur Pilgerreise aufdrängen. Ich jedoch hätte es für eine Sünde gehalten, der betrübten Witwe es abzunehmen. Hatten ja ihre Kindlein es mehr von Nöthen!

›Das thue ich Dir schon doch, Martha!‹ sagte ich, ›ich werde es nicht vergessen.‹

›Nun!‹ sprach sie, so werde ich halt das Geld den Armen geben, nicht wahr?‹

›Das kannst Du meinetwegen thun,‹ erwiderte ich, ›Gott wird es Dir lohnen!‹

Nun stand sie eine Weile zögernd vor mir, als ob sie noch etwas auf dem Herzen habe; dann zog sie ein Bildnis der Muttergottes von Oettingen heraus und sagte: ›Fast getraue ich mich nicht, Euch noch um etwas zu bitten!‹

›Sage es nur, Martha!‹ ermunterte ich sie, ›alles, alles will ich für Dich thun.‹

›Wohlan dann, Ehrwürdiger Vater, weil Ihr es mir anbietet, so getraue ich es mir, Euch aufzubürden. Wenn Ihr zur Stadt Hall im Innthale kommt, so habt Ihr noch anderthalb Stunden nach Judenstein hinauf und von da kaum eine Viertelstunde nach Rinn hinüber. Ober der Stadt Hall beginnt ein Wald, und mitten in diesem Walde steht eine Herberge, der Glockenhof genannt. Wenn Ihr dort vorüber wandert, so kehrt zu. Freilich ist der Wald berüchtigt, dass dort Räuber hausen. Ich bin auch in Sorge um Euer theures Haupt. Aber Gott wird Euch schützen, und wenn Ihr etwa von Räubern angefallen werden solltet, so sagt nur, Ihr hättet etwas für den Hanns, den Glockengießer, und trefft Ihr dann den Meister, so sucht Ihn unter vier Augen zu bekommen. Erzählt ihm dann von einer Martha, die Ihr kennt und gesehen habt. Erzählt, was Ihr von mir und meinen Kindern erfahren und ich bin sicher, er wird Euch gastfreundlich bewirten und Euch noch etwa das Geleit nach Judenstein geben. Gebt ihm dann dieses Bild! Sagt ihm, es sei ein Andenken von seiner verstorbenen Martha, er solle es behalten und bis zum Tode sich nicht von ihm trennen; es werde ihm zum Troste sein. – Doch Vater, sagt niemand davon je ein Wörtchen! Ich weiß, dass Eure Priesterehre und das Priesterwort Euch heilig ist und dass keine Macht der Erde je Euch entreißen wird, was ich in Euer Herz heute niederlegte.‹ So sprach sie, und unvergesslich ist mir der Schmerzensausdruck, der bei diesen Worten über ihr Antlitz schwebte.

Die Kinderchen schauten ihre Mutter groß an, sie lasen von deren Gesichte herab, dass sie traurig, sehr traurig sei. Sie sagten: ›Mutter, weine nicht, wir wollen mit dem Kaplan gehen, den Vater suchen! Du gehst auch mit, nicht wahr?‹

›Nein, nein!‹ sprach Martha, ›der Vater ist todt, wir sehen und finden ihn nicht mehr, geht jetzt, Kinderchen, wir wollen in der Kirche für den Vater beten!‹

Da habt Ihr nun das Bild, ich habe mich meines Auftrages entledigt!«

»O, es ist genug, es ist genug, zu viel für mich!« sagte Hanns und küsste das Bild, das ihm Martha geschickt hatte; er küsste es andächtig und voll von Wehmuthsgefühlen; es war das erstemal, dass er ein Muttergottesbild küsste seit der Zeit, als er von dem Giftkelche des Verbrechens getrunken hatte. »Geht jetzt, ehrwürdiger Vater, zur Ruhe, es ist spät, lasst mich allein, ich will beten. Erlaubt mir, dass ich Euch zur Schlafstätte führe, Ihr sollt ein gutes Bett bekommen!« So sprach Hanns weiter.

»Mir genügt,« sprach der Kaplan, »eine hölzerne Bank hier, ich bin's gewöhnt!« Doch der Meister ließ nicht nach, er führte den Pilgrim hinauf in sein eigenes Bett. »Wann wollt Ihr nach Judenstein aufbrechen?« fragte er noch. »Mit Tagesanbruch!« entgegnete der Kaplan. »Dann will ich Euch frühzeitig wecken,« sagte der Meister darauf, »ich will Euch selbst nach Judenstein begleiten!«

»Gut!« sprach der Pilgrim, »vergelt's Euch Gott! Der Herr sende Euch heute seinen schützenden Engel, der Euch segne, über Euch wache und Eure Seelenschmerzen lindere. Eure Ruhe sei sanft!«

Und Hanns ließ den Pilger allein und gieng in die Zechstube hinab; er hörte, wie der Fremde oben in der Kammer betete.

Da wurde dem Hanns so sonderbar zu Muthe, er sollte beten, er konnte aber nicht. Oft fieng er das »Vaterunser« und das »Ave Maria« an, er kam aber nicht weiter. Es schien ihm, als würde er eine Gotteslästerung aussprechen. Hieng ja noch die höhnende Narrenkappe über dem Haupte des Gekreuzigten. Sollte er da hinausbeten; schaute ja der Herrgott so ernst, fast zornig herab! Da stieg Hanns hinauf auf die Bank und riss die Narrenkappe von dem Haupte des Heilandes und zerknitterte sie in seinen Händen so schnell, als ob sie glühend heiß gewesen wäre oder gebrannt hätte. Er reinigte das Bild des Herrgotts von den Spinnengeweben, holte reines Wasser, tauchte ein Tuch darin ein und wischte den Ruß vom Bilde herab. Wohl war der Gekreuzigte nun rein, man konnte die Blutstropfen, die aus seinen Wunden flossen, jetzt sehen; aber Hanns war nicht rein, er hatte damit nicht auch seine Schuld abgewaschen, sie lag noch immer gleich schwer auf seinem Gewissen und zerfraß es wie dichter Staub, der in ein Kleid sich eingenistet hat. Hanns zitterte, während er das Bild reinigte, am ganzen Leib, als ob der Christus vor ihm lebendig würde und gegen ihn ein zweischneidiges scharfes Schwert zücke. Als er die Wunden wusch, kam es ihm vor, als würden daraus Blitze hervorschießen und ihn durchbohren.

Dem Hanns war gar unheimlich zu Muthe; er gieng hinaus in den Wald, um Luft zu schöpfen, doch auch da kam es ihm vor, als höre er vom Rosengärtlein herüber ächzende Geisterstimmen und Sterbegeröchel. Er kehrte in die Herberge zurück, gieng dann in die Gießerei und hämmerte und feilte da, bis im Osten die Morgenröthe aufstieg. Wie lang schienen dem Hanns diese Paar Stunden der Nacht! Es war, als wollte der Morgen gar nicht grauen, als würde die Nacht ewig dauern. In seiner Seele tobte ein wildes Feuer, und wohin er blickte, war nirgends etwas Trostvolles. Nur dass er sich von Martha getrennt hatte, war ihm ein kleines Fünkchen von einem himmlischen Lichtstrahle und doch fiel ihm gerade das am schwersten, dass Martha nicht da war. Ihr hätte er jetzt sein ganzes Leben bekannt und er meinte, dann wäre ihm leichter gewesen.

Hanns klopfte leise an die Thüre des Pilgrims. Dieser ist schon aufgestanden und kniet vor dem Bilde Unserer Lieben Frau, das Martha zurückgelassen, Hanns aber nicht von der Stelle gethan hatte, sei es, dass er das Bild in der letztverflossenen Zeit gar nicht mehr beachtete oder dass er es aus Anhänglichkeit an Martha nicht von seinem alten Platze verrücken wollte.

Der Pilgrim hatte sein Morgengebet beendet. »Seid Ihr schon bereitet, Meister?« fragte er nun. »Wie habt Ihr geschlafen?«

»Nicht gut!« antwortete Hanns, »brechen wir auf nach Judenstein und Rinn. Ihr werdet in Rinn Messe lesen wollen! Sonst hätte ich Euch einen Morgenimbiss angeboten.«

»Ja in Rinn beim Martyrlein will ich heute das hl. Opfer darbringen,« sprach der Kaplan. »So habe ich es der guten Martha auch versprochen! Doch Ihr müsst jetzt etwas zu Euch nehmen!«

»Ich kann jetzt nicht!« sprach der Meister, »sorgt Euch nicht für mich, ich habe eine Natur von Eisen!«

Und so traten die Beiden die Wanderung nach dem Judenstein an. Es gieng hinauf durch den Wald über den näheren Fußpfad, den Hanns genau kannte.

Hanns zeigte dem Pilger den Weißenhof, wo das sel. Martyrlein Andreas geboren war. Der Pilger kniete sich voll Ehrfurcht nieder an der Stätte, wo das Knäblein damals schlief, als seine Mutter von ihm Abschied nahm. Er küsste den Boden, schnitt sich ein Stücklein Holz von der Wand ab und steckte es als Heiligthum zu sich. Hanns stand gesenkten Blickes zur Seite; dann besichtigten sie noch die Abler-Herberge, und endlich giengen sie hinaus in den Birkenwald zum Marterstein.

»Hier also auf diesem Steine,« sprach der Pilgrim, »haben die grausamen Juden das arme Kindlein unter ihren Messern verbluten lassen?«

»Ja hier!« antwortete halblaut Hanns und wendete sein Antlitz ab; denn auch er hatte ja unschuldige, arglose Leute hingemordet und sie vielleicht auch doppelt, auch für die Ewigkeit getödtet. Waren sie ja vielleicht in schweren Sünden, als sie so jählings sterben mussten! Es schüttelte den Hanns, als ob er fieberkrank gewesen wäre, doch der Pilgrim merkte nichts davon. Er stand betend und betrachtend vor dem Steine.

Endlich brach der Pilgrim auf, sie nahmen ihren Weg nach Rinn.

Gern wäre Hanns schon jetzt in den Glockenhof zurückgekehrt, aber er schied ungerne von dem Kaplan wegen der Martha. Er wollte ihm noch etwas an sie auftragen, wusste aber nicht was.

Er gieng mit dem Pilger in die Kirche von Rinn und zeigte ihm darin die Ruhestätte der Gebeine des sel. Martyrleins Andreas. Mit tiefer Rührung stand der Kaplan geraume Zeit vor dem marmornen Särglein, worin die heiligen Reliquien lagen; dann las er die hl. Messe. Hanns blieb bei derselben. Es war seit Jahren die erste, die er wieder anhörte. Was der Meister während derselben dachte, wie er betete, wäre schwer zu sagen. Sein Herz war zerrissen und voll widersprechender, peinlicher Gefühle. Als die Messe vorüber war, gieng Hanns hinaus auf den Gottesacker und wartete dort auf den Kaplan; das Warten unter diesen ernsten, warnenden Todtenkreuzen und Grabeshügeln war ihm aber bald zuwider, predigte ihm ja alles hier Tod und Verwesung.

Der Kaplan kam lange nicht. Als er endlich aus der Kirche heraustrat, führte ihn Hanns noch hin zum Gräblein, wo einst das selige Anderle gelegen war. Auch vor dem leeren Gräblein hielt sich der Kaplan längere Zeit in stille Betrachtung versunken auf. Endlich schickte er sich zum Fortgehen an.

Hanns geleitete den Pilger noch bis zur Ellbögnerstraße, zog dort ein Goldstück aus der Tasche, übergab es dem frommen Wanderer und sagte: »Da habt Ihr von mir ein kleines Zehrgeld, wollt Ihr es selbst nicht gebrauchen, so vertheilt es unter Arme. Betet für mich und gedenket meiner am Grabe der Apostel, und wenn Ihr nicht mehr diesen Rückweg nehmt, so sagt Eurer frommen Martha draußen, dass Ihr mich gesehen habt und dass ich das Bild hoch in Ehren halten will. Vielleicht wird der liebe Herrgott sich auch noch eines armen Sünders erbarmen. Sie möge beten!«

»Ich werde alles getreulich überbringen!« sprach der Kaplan, »nun lebt wohl, Gott vergelte Euch Eure Liebe!«

»Das war nichts!« erwiederte Hanns, »es ist nicht der Rede wert. Und nun noch etwas: Wenn etwa Eure Martha der Gram bald aufzehrt und dann ihre Kinder allein in der Welt dastehen, wer wird sich der fremden Waislein erbarmen? Sie liegen mir sehr am Herzen!«

»Ich!« sprach der Kaplan, »ich werde sie als meine Kinder ansehen, und wenn mir Gott das Leben schenkt, sollen sie mir zu schönen Himmelsbäumlein herangezogen werden. Ich will sie hüten wie meinen Augapfel, wäre schade, wenn diese herrlich aufblühenden Pflänzchen der Wurm der Verführung anfräße!«

»Gott lohn' Euch dies mit dem Himmel!« sagte Hanns und reichte dem Pilger die Hand zum Abschiede. »Ihr thut gewiss ein großes, großes Liebeswerk! – Glückliche Reise!«

»Lebt wohl!« kam es nochmals freundlich von des Kaplans Munde; dann schieden die beiden Männer stumm von einander. Hanns gieng dem Glockenhofe zu; er gieng ungerne hinab. Wäre er ja viel lieber mit dem Pilger auf und davon gegangen, um nie wiederzukehren.

Der Pilgrim wanderte westwärts und dachte auf seinem Wege über das sonderbare Wesen des Meisters nach.


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