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Nach der unseligen Schlacht war der gefangene König eine Zeitlang seines zerfetzten Schenkels wegen in der schmalen Zelle eines Klosters von schweigsamen und unzugänglichen, wenn auch ebenso gewissenhaften Mönchen betreut worden. Gegen Sommersende zu erwies es sich, daß sein Bein zwar lahmte, er aber doch imstande sein würde zu reiten oder langsam zu gehen. Eines Morgens, kaum daß es tagte, nötigte man ihn daher in den dunklen Klosterhof und hieß ihn auf einen von einer Plache überspannten Wagen klettern, der sich alsbald schwerfällig in Bewegung setzte. Dies langsame Dahinfahren unter dem schmutzigen Felldach war weit schlimmer, als das Liegen mit den bohrenden Wundschmerzen gewesen war. Die Qual seiner Seele wurde noch vermehrt durch die Dunkelheit, die unter dem Felldach herrschte, und durch die gewaltsamen Stöße, die jeden Stein und jede Furche des elenden Karrenweges spüren ließen.
Er empfand es nach alledem als ein großes Glück, als man ihn kurz aufforderte, aus dem Wagen hervorzukriechen und die Reise auf einem bereitgehaltenen Pferd fortzusetzen. Wahrscheinlich war diese Wendung zum Gelinderen der beginnenden Gebirgigkeit des Geländes zu verdanken, denn als der König nach den Tagen des dämmerigen Dahinratterns sich unter der 10 niederen Plache hervorwand, sah er sich in eine bergige Waldlandschaft versetzt. Er kannte die Gegend nicht. Der ziemlich gerade Kamm des hohen Waldgebirges, der sich in einiger Ferne ruhig und düster vom zarten Morgenhimmel abhob, mochte wohl schon ebensoweit von seiner Stammesheimat, dem glücklichen und geliebten Flußtal der Narenta, entfernt sein wie von der verhängnisvollen Ebene der Schlacht.
Von dem Plachenwagen aus, in dessen hinterstem Grunde König Slavatz teilnahmslos und gramvoll gelegen hatte, mit geschlossenen Augen, die das Bild der so jählings und von Grund auf veränderten Welt nicht mehr sehen wollten und die auf das dunkelgraue Karrendach gestarrt hatten, als sei es das einzige Himmelsgewölbe, das zu betrachten ihnen fürder ziemte, hatte er weder den Weg verfolgt, noch die zu seiner Bewachung und Beförderung mitreisende Schar in Augenschein genommen und gezählt.
Er sah nun, daß er von mehr als einem halben Hundert reisiger, gut gewappneter und geschienter Krieger begleitet war, die ihn dicht und wachsam umgaben. Sie ritten stets in der gleichen Ordnung, und Slavatz erkannte bald, daß die allermeisten unter ihnen Normannen waren, große und kühne Gesellen mit herrischen und wilden Gesichtern. Doch war ihr Aussehen unwirscher als ihr Verhalten gegen ihn; er ritt ohne Fesseln, wahrscheinlich weil sie wußten, daß eine erfolgreiche Flucht für ihn wegen seines lahmen Schenkels nicht möglich war. Sie trabten gleichmütig dahin, redeten mit groben Stimmen durcheinander in ihrer Sprache, die er nicht verstand, mitunter stimmten auch einige von ihnen aus rauhen Kehlen einen Gesang 11 an, der ihn häßlicher dünkte als das Heulen von Wölfen und Schakalen.
Aus Schmerz und Wut sprach er nicht zu ihnen, und sie gewöhnten sich bald an seine Schweigsamkeit. Hätten sie statt seiner eine kostbare Truhe oder ein heiliges Schwert heil übers Gebirge zu bringen gehabt, so hätten sie diese Dinge wohl mit ähnlich fremden und gleichmütigen Blicken gehütet und von ihnen ebensowenig erwartet, sie reden zu hören, wie von Slavatz. Da er das Schweigen einmal bei sich beschlossen hatte, wäre es ihm bald schon völlig unmöglich gewesen zu sprechen, und es ergab sich auch kaum Anlaß dazu. Er erhielt reichlich genug zu essen; genächtigt wurde in einsamen Gutshöfen oder Klöstern; mitunter nur war man genötigt, im öden Walde zu zelten, wenn vor Nacht kein genügend geräumiges Obdach sich geboten hatte.
Mit wildem und schmerzendem Haß erfüllte Slavatz das Wissen, daß sich unter seinen Wächtern und Feinden auch Kroaten befanden, ja, daß einer von ihnen, ein großer schwarzer mit wüster Geiernase, der lächerlicherweise Golub genannt wurde, was soviel heißt wie Taube, der Anführer der ganzen Eskorte war. Er ritt stets im ersten Glied, genau vor dem gefangenen König, und war von jenen normannischen Männern umgeben, die Slavatz im Laufe der Tage als die vornehmsten und einflußreichsten unterscheiden gelernt hatte. Zu Golubs Linker ritt ein Normanne, der Svein genannt wurde, ein hübscher Junge mit schmalem Gesicht und langem rotblondem Haar. Am Rückenteil seines Kettenhemdes waren einige Glieder gerissen, so daß ein Loch entstanden war, und während Slavatz 12 dahinritt, wurde sein Blick immer wieder von diesem Loch angezogen, unter dem der Stoff eines groben, mißfarbenen Wollwamses hervorsah. Die übrigen Kroaten, acht oder zehn an der Zahl, schienen Dienstleute jenes Golub zu sein, sie ritten zerstreut unter den Normannen und waren wie ihr Hauptmann vornehmlich dazu bestellt, den richtigen Weg und die Unterkünfte ausfindig zu machen. Diese Kroaten, die Slavatz als den Inbegriff alles Verräterischen und Hassenswerten empfand, täglich sehen zu müssen, war für den König eine der schlimmsten Qualen; sie waren auch der Hauptgrund für sein unverbrüchliches Schweigen; denn nur wenn er nie und zu niemandem sprach, glaubte er sich einigermaßen dagegen gesichert, eines Tages einem von diesen teuflisch Treulosen Rede stehen zu müssen. Den schwarzen Golub aber, den er in seinem Herzen nicht anders als Auswurf, Belial und Höllenhund nannte, beim langsamen Dahinreiten von früh bis abends vor Augen haben zu müssen, war unter den Martern die böseste; er wandte die Blicke ab, soviel er konnte und hielt sie auf Sveins goldene Mähne und auf das Loch in seinem Kettenhemd.
Merkwürdigerweise war der König erst mit dem Tag, da das Kloster verlassen worden war, voll zum Bewußtsein seines verzweifelten Schicksals gelangt. Auf dem Krankenlager hatte eine wohltätige Betäubung ihn umfangen gehabt, auch war er damals noch nicht imstande gewesen, seine Lage richtig zu überblicken. Sogar die Tatsache seiner Gefangenschaft hatte sich erst außerhalb der Krankenstube als unzweifelhaft erwiesen. In jener Zelle war er ein von schweigsamen Mönchen betreuter Verwundeter, aber noch nicht 13 eigentlich ein Gefangener gewesen. Erst seit er fuhr und ritt, wurde ihm sein Geschick in furchtbar endgültiger Weise klar.
Die Schlacht war verloren.
Er war nicht mehr König.
Die Feinde führten ihn gefangen davon.
Er war von seiner Stammesheimat, von seiner Gattin und seinem Söhnchen getrennt und besaß nicht die mindeste Möglichkeit, ihnen Nachricht zu senden.
Und wohin ritt man? Wohin führte man ihn? Selbst wenn er es sich nicht selbst verboten hätte, mit seinen Wächtern zu sprechen, war es klar, daß er von ihnen keine Auskunft über Ziel und Zweck dieses langsamen Reitens durch eine immer unwegsamere Wildnis erlangen würde. Slavatz saß auf dem frommen, aber nicht unedlen Pferd, das man ihm zugewiesen hatte, über die Häupter von Golub und Svein hinweg bohrte er seine todestraurigen Blicke in den fremden Himmel und in das Grün der Waldberge, deren sanft welligen Fuß der Reiterzug nun hinanstrebte. Von Anfang an war der Ritt nach Westen gegangen, doch war man oftmals von der Richtung abgewichen, hatte schwer zu durchschauende Umwege nach Süden und Norden eingeschlagen, ja man war mitunter völlig unbegreiflicherweise sogar deutlich nach Osten, also zurückgeritten. Ob Golub durch diese Zickzackzüge etwaige Späher auf falsche Fährten locken, ob er den König verwirren und über den Ort, wo er sich jeweils befand, in immer tiefere Unklarheit versetzen wollte; ob er selbst des Weges nicht sicher war, oder ob er einerseits bevölkerte Gegenden vermeiden, andererseits die geplanten, oft verborgen gelegenen 14 Nachtlager auf diese Weise auffinden wollte, oder ob es einzig in seinem Plan, der dem Auftrag über ihm stehender Gewalten entsprechen mochte, lag, die Reise aus irgendwelchen geheimen Gründen zu verlängern – Slavatz konnte es sich nicht erklären, und das zweifelnde Unbehagen über das unentschlossene Hin- und Widerreiten vermehrte noch sein tiefes inneres Unglück. Obwohl er diesen Teil des Landes nie gesehen hatte, vermutete er doch, daß jenseits des Gebirgszuges im Westen das Meer sein müsse oder doch eine nur schmale, dem Meer vorgelagerte Ebene. Wie weit im Norden sie sich allerdings befanden, wie weit er sich von seiner Heimat entfernt hatte, darüber eben ließ ihn Golubs verworrener Reiseweg in eine von Tag zu Tag dunklere Unklarheit geraten, und er konnte es auch dem Stand der Sonne nicht entnehmen, weil er nicht mit Sicherheit wußte, wieviel Zeit seit dem Tage der Schlacht vergangen und wie nahe die Äquinoktie nun gerückt war.
Denn Slavatz war sich in steigendem Maße auch über die bisherige Dauer der Fahrt im unklaren. Unter dem Felldach liegend waren ihm Tage und Nächte in eins verflossen und er hatte sie nicht gezählt. Und auch seit er ritt, wußte er bald nicht mehr, wie oft er in feuchtem Zelt, wie oft in kleinen Wehrtürmen oder in den kahlen Zellen einsamer Klöster zu nächtigen gezwungen gewesen war. Aber ihn dünkte, als müßten seit dem Verlassen des Plachenwagens etwa zehn oder zwölf Tage vergangen sein, Tage, während derer er nichts getan hatte, als in übermenschlichem Gram sein eigenes Herz zu essen und ohne Unterlaß die verhängnisvollen Geschehnisse neu nach ihren Ursachen 15 und ihrer etwa möglich gewesenen Vermeidbarkeit zu untersuchen.
Immer wieder sah er mit schauerlicher Deutlichkeit den Morgen der Schlacht vor sich, diesen überhellen, schon kurz nach Sonnenaufgang heißen Augustmorgen, der alles entschieden hatte. Er hatte keinen Augenblick an dem günstigen Ausgang dieser Kriegsfahrt gezweifelt. Sein tapferes, kampferfahrenes Heer, das er aus den Narentaniederungen heraufgeführt hatte, um den Comes Amicus, den manche Haming nannten, diesen verruchten Fremdling und Feind, auf der nördlichen Ebene zu treffen, war zahlreich, wohl ausgerüstet, gut genährt und ausgeruht gewesen. Der Marsch war bei leichter Sommerbora, die glücklicherweise geweht hatte, in verhältnismäßiger Kühle, ohne Überanstrengung geleistet worden, die Krieger hatten dem Ausgang des Kampfes ebenso zuversichtlich und siegessicher wie er selbst entgegengesehen. Waren nicht sie die Söhne des Landes, ortskundig und mit allen Geheimnissen des Wetters und des Bodens vertraut, und waren nicht die Gegner verfluchte Fremde, denen Gott auf keinen Fall helfen würde! Mit Jubelgeschrei waren die wohlgeordneten Scharen in die Schlacht gezogen, der König selbst hatte das Mittelglied angeführt, das zu beiden Seiten von zwei mächtig vorwärtsdrängenden Flügeln gestützt war. Wie eine gewaltige Zange mußte das Heer der kroatischen Narentaner die normannischen Haufen in sich saugen, umzingeln und erdrücken. Oh, wie hatte er diesen von ihm selbst erdachten Plan geliebt, wie hatte er im voraus den eigenen Sieg und den Untergang des Feindes gekostet! In einem wahrhaftigen Rausch war 16 das kroatische Heer mit seinen Führern vorwärtsgestürmt, den westlichen Fremden entgegen, die es von der Heimaterde wegzufegen galt. Als die Verkörperung aller echten Kräfte des Vaterlandes hatte Slavatz sich gefühlt, als einen Boten Gottes fast, der den altheiligen Sinn und Brauch des Volkes gegen fremde Sendlinge zu verteidigen berufen war. Wie Gideon aus der Schlacht gegen die Madianiter, so sah er sich stark und siegreich aus dem gerechten Kampf hervorgehen.
Während Slavatz hinter Golub und Svein langsam den steiler werdenden Berghang hinanritt und die Zweige der mächtigen Fichten sein Gesicht streiften, fühlte er sich wieder völlig von jener sicheren Siegesgewißheit erfüllt, er hörte das Brausen, Stampfen und Scharren der vorwärtsstürmenden Berittenen, als wäre es nicht für ewig vergangen, für ewig im Meer des Unwiederbringlichen versunken gewesen. Er fühlte aber auch gleich darauf – und wie oft, wie unablässig kam ihm diese Erinnerung wieder – das starre Entsetzen, das ihn befallen hatte, als er plötzlich den rechten Flügel des Heeres zurückweichen sah. Das war das Unglück aller Unglücke gewesen, die Wurzel des tödlichen Verhängnisses, die Zerschmetterung seines Lebens. Und wie war dies entstanden? Was war die Ursache gewesen? Was hatte diese mächtig und siegreich vordringenden Flankenscharen, die eben noch mit triumphierendem Geschrei auf die Normannen losgestürmt waren, vermocht, in Unordnung zu geraten, sich zurückzubiegen, zu weichen, und dem Feind den Weg freizugeben, so daß die Normannen, statt in eine Zange genommen und erdrückt zu werden, 17 nun ihrerseits dem breiten Haupt- und Mittelglied der Kroaten in den Rücken zu fallen und es in einer mörderischen Umarmung zu vernichten vermochten.
Immer wieder mußte er in seinen grübelnden Gedanken zu jenem leuchtenden Sommertag, zum Morgen der Schlacht zurückkehren. Es war die letzte glänzende Seite im Buche seines Lebens; was später kam, war grau und schwarz, ja, man sah es kaum, er war beinahe nicht. Wie durch einen öden, lichtlosen Stollen blickte Slavatz durch diese trüben Wochen hindurch, am Ende des Schachtes aber lag blinkend und brausend, sonnenleuchtend, blau und hoffnungsfroh vorwärtsflutend das Bild dieses letzten wahrhaften Tages, den er gelebt hatte und auf den er ohne Unterlaß in sehnsüchtiger Verzweiflung hinstarren mußte. Warum, warum hatte es so und nicht anders geendet? War Verrat im Spiel gewesen? War Zvonimir Savski, der Führer des rechten Flügels, verlockt worden, dem Feind in die Hände zu spielen? War es erlaubt, einen solchen Gedanken überhaupt zu denken, den jungen Helden, der mit den höchsten Stammesführern verwandt und von treuer Volksgesinnung war, einer solchen Niedrigkeit auch nur in schweigsam grübelnden Gedanken zu zeihen? Und doch! Und doch! Wie war das plötzliche Schwanken, Weichen und Unterliegen sonst zu erklären? Hatte er, Slavatz, vielleicht in seiner jubelnden Königssicherheit den Ehrgeiz und die Empfindlichkeit seiner jungen Župane immer wieder verletzt, ohne es selbst auch nur im leisesten zu ahnen? Hatte er, der vermeint hatte, in ihnen Freunde von selbstlosester und freudigster Treue zu besitzen, sich 18 durch seinen hochgemuten Königsstolz Feinde und Verräter herangezogen?
Während diese täglich gestellte Frage in ihm klopfte und hämmerte, schlich sich jedoch schon die andere Frage in sein Herz, die mit der ersten untrennbar verbunden war, ja, die ihr nachlief wie ein Wolf seiner Beute. War die Richtung, die er eingeschlagen hatte, vielleicht im ganzen und von vornherein falsch gewesen? War es für einen König der Kroaten nicht möglich, für den Basileus und gegen den römischen Papst zu sein? Konnte er sich nicht behaupten, wenn er alle westlich und lateinisch Gesinnten, die dalmatinischen Küstenstädte, die römische Geistlichkeit, das mächtige Venedig, die vom Papst herbeigerufenen Normannen und vor allem ihn selbst, den Gewaltigen und Willensstarken, Hildebrand, der nun Papst Gregor VII. hieß, gegen sich hatte?
Indem Slavatz dies dachte, erwuchs jedoch eine so starke Verneinung und Auflehnung in ihm, daß er unwillkürlich die Hände, die die Zügel hielten, krampfte und schüttelte und mit dem Kopf zornig herumfuhr, so daß die neben ihm Reitenden meinten, er würde nun endlich doch zu reden beginnen und neugierig nach ihm hinsahen. Er schwieg aber weiter, nur in seinem Herzen schrie es ein leidenschaftliches Nein! Nein! Nein! Die nationalen Stämme waren das Mark des Volkes, sein eigener Stamm, der über alle Maßen kühne und herrliche Stamm Kačić, war mehr als das Mark, er war das Rückgrat mit dem Mark. Den Stammesžupanen gebührte die Herrschaft und nicht den lateinisch gesinnten Königen, mochten sie sich auch, wo es nur anging, ihrer Legitimität rühmen. Und 19 daß Stjepan, der sogenannte rechtmäßige Thronfolger, Petar Krešimirs Neffe, ins Kloster gesperrt worden war, war das nicht recht, war das nicht notwendig gewesen! Er war auch ein Lateiner, ein Westler, einer von den fortschrittlich gesinnten Volksfremden. Mochte er nun in seiner Abtei sich mit römischem Wesen ersättigen und lateinische Gesänge singen Tag und Nacht, wie der Mönch Benedikt es seinen Söhnen vorgeschrieben hatte. In Kroatien sollte die Sprache der Liturgie nicht lateinisch sein, sondern kroatisch, wie es von alters dem tapferen Volke zugebilligt und seither immer wieder von kroatischen Männern, Laien und Priestern, verfochten worden war. Mochte der herrische Hildebrand jenseits des Meeres, er, der mit allen Gekrönten der Welt Händel anfing, die Fäuste schütteln und fremde Heerscharen herübersenden, mochte er seine furchtbaren geistlichen Waffen, Bann und Interdikt, drohend zücken, die gerechte Sache des Volkes würde nicht unterliegen, die nationale Herrschaft neu aufgerichtet, er, Slavatz, von seiner Schmach befreit und in sein heiliges Königsrecht neu eingesetzt werden.
Stets von neuem landete er auf dem Umwege über die bittersten Erinnerungen und bohrendsten Fragen bei dieser Hoffnung. An manchen Tagen umfing sie ihn ganz, so daß er getrost dahinritt und seine Kerkermeister mit Mitleid ansah. Es war eines Königs Sache nicht, Rache zu nehmen und kleinlich Vergeltung zu üben. Aus seinem Angesicht verjagen würde er sie, das wohl, und nur Golub würde er hängen lassen, um seines widerlichen Gesichts und seiner übergroßen Verräterei willen. Und würde Svein, der Junge, nicht geneigt sein, ein Amt an seinem Hofe anzunehmen? 20 Er würde ihm ein neues, kostbares Kettenhemd schmieden lassen und ihn gerne um sich sehen.
Aber warum kam man nicht? Warum sandte der Basileus keine Krieger zu seinem Entsatz? Der Wochen waren genug vergangen, um einen Boten nach Byzanz und eine reisige Gesandtschaft zu seiner Befreiung zurückreisen zu lassen. Es war nicht denkbar, daß Michael für ihn, der sein treuer und begeisterter Verbündeter und Verfechter war, nicht das Menschenmögliche tun würde. Und Rusin, der mächtige Rusin, sein eigener leiblicher Bruder? Wohl, er war zur Zeit der Schlacht auf der Flotte gewesen, bestrebt, die Venezianer an etwa geplanten Unternehmungen zum Nachteil des Königs zu hindern. Aber längst, längst mußte er vom Ausgang der Schlacht unterrichtet sein, längst mußte er seine Schiffe an der Narentamündung vor Anker gelegt und den Fluß hinaufgeeilt sein, um das geschlagene Heer neu zu sammeln und den ganzen wilden Stamm zu seiner Rettung aufzubieten. So wenig wie der Basileus konnte Rusin ihn verraten. Und daß die Kačićleute nicht alles aufbieten sollten, um ihn, der ihr höchster Ruhm und Stolz, der aus ihrem Schoß hervorgegangene König war, zu retten, das wäre ebenso unfaßbar wie widernatürlich gewesen.
An Jelena und den Knaben, der wie sein hoher Pate, der Basileus, Michael hieß, wagte er nicht zu denken. Er verjagte die Bilder, die ihm ihre holden Angesichter zeigten, denn die Ungewißheit über ihr Geschick zerriß ihm wie mit rostigem Schwert das Herz. Wohl zweifelte er nicht, daß Rusin und die übrigen Stammeshäupter jede Sorgfalt angewandt haben würden, um seine Gattin und das königliche Kind in sicherer Burg 21 zu bergen, seine Sorge galt vielmehr an erster Stelle Jelenas Schönheit und ihrem allzu jungen Herzen, das dem Kummer und der Prüfung, wie er wußte, in keiner Weise gewachsen war, ja gar nicht gewachsen sein wollte. Jelena war allzu schön und allzu überzeugt davon, daß ihrer Schönheit einzig Glanz und Verherrlichung gebühre. War er nicht mehr König, so würde sie bereitwillig und selbstverständlich einem anderen die Hand reichen, der nun besser als er imstande sein würde, ihr allen Schmuck, Weihrauch und Glanz zu bieten, der ihrer himmlischen Schönheit, wie sie gewißlich meinte, rechtens zukam. Fast ohne Bitterkeit, nur mit tödlichem Schmerz war der König sich dieser grausamen Wahrheit bewußt. Wenn er bedachte, wie kennerisch die venezianischen Herren Jelenas zartes, perlenbleiches Gesicht, ihre großen, langbewimperten Augen, die völlig von der tiefschwarzen Iris ausgefüllt waren, und ihre vilengleiche prangende Gestalt zu schätzen wissen würden, so wollten ihm schier Tränen den Lidern entstürzen, und wäre es ihm nicht um die verfluchten Wächter gewesen, er hätte laut gestöhnt. Was aber würde aus dem Kinde Michael werden, wenn seine Mutter etwa einem Dogensohn oder einem der großen venezianischen Handelsherren, die Fürsten glichen, als angetrautes oder nicht angetrautes Weib folgte? Wehe dem Besiegten! Jedes, selbst das böseste Schicksal war ihm bereitet.
Jedoch gelang es Slavatz zumeist, diesen schlimmsten und traurigsten Gedanken auszuweichen, so wie ein krankes Glied unwillkürlich die Bewegungen vermeidet, die es am stärksten schmerzen würden. Ja es geschah, daß er beim Morgengrauen in seinem 22 fremden Nachtquartier erwachend, sich nicht zurechtfand, sich in einer seiner königlichen Pfalzen glaubte und froh und geruhig nach Jelenas Atemzügen lauschen wollte, bis nach einigen Augenblicken die entsetzliche Wirklichkeit ihm wieder schwarz und zermalmend bewußt wurde. Mit unsäglich wehem Gram wünschte er alsdann den Schlaf zurück als den einzigen Zustand, in dem es ihm ohne rasenden Schmerz zu leben möglich war. 23