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Es vergingen viele Tage und Nächte.
Er hatte sich eingeschlossen und ließ niemanden zu sich ein.
Er hatte Angst auf die Straße zu gehen, denn er wußte, daß er sie treffen würde und er wußte, daß auch sie ihn suche, daß sie herumirre und ihn suche, wie er sie gesucht hatte. –
Und wenn es wieder dämmerte, und er ausgehen mußte, dann schlich er langsam an den Häusern und an Alleebäumen entlang. Jedes geringste Geräusch ängstigte ihn, der Widerhall von fernen Schritten schreckte ihn hoch, denn alles, was ihn umgab, eine ganze Welt von Gedanken und Erinnerungen, die ganze Welt hinter ihm war sie.
Er wußte nicht, weswegen er sich so ängstigte. Er fühlte nur, daß, wenn er sie wiederträfe, sich etwas Fürchterliches ereignen müsse.
Und nie hat er sich nach ihr so gesehnt; nie sich so gequält.
Wenn die Welt taub wurde in unermeßlicher Stille, aus den Sternenkelchen die leise Gnade des Lichtes aufblühte und sich niedergoß, wenn zwischen dem Geäst der Kastanienbäume die Trauer des Mondes blutete – dann ach! dann streckte er im verzweifelten Schrei die Hände nach ihr, seine Seele erstarb im wilden Krampf, und er kroch zu ihr, denn es war ihm, als müßten die Entfernungen weichen und sie, umströmt von dem köstlichen Duft der herrlichsten Blumen, die er in seinen Träumen erlebte, umkleidet von dem überirdischen Zauber blauer Himmelspracht werde zu ihm niedersteigen und mit ihren leuchtenden Händen seine fieberkranke Stirn pressen, ihn an sich ziehen und streicheln und küssen ...
Oder anders: sie werde über ihn niederströmen mit der unfaßbaren Gnade der Stille und Ruhe, werde sich in ihm ergießen mit dem Vergessen und in seiner Seele das hohe Lied weißer Träume anstimmen.
Anders noch: Sie wird über ihn kommen mit dem gedämpften Widerhall ferner Glocken, die in seiner Seele ihm die grünen Teppiche seiner Muttererde breiteten, das Herz ihm trunken machen an dem Glanz herrlicher Kindheitserinnerungen, als er noch auf dem Schoß der Mutter die Wunder träumte, die in der jungfräulichen Brust schlummern, auf das Lied horchte, das ihm der heimatliche See in der gespenstigen Mitternachtsstunde sang und zu den Vögeln hinaufsah, die über den geheimnisvollen Gräbern regungslos ihre schweren Flügel breiteten und in Gärten herumirrte, kostbar von schwarzen Bäumen, an denen ungeheure Dolden von schweren goldenen Blüten herabhingen.
Er sehnte sich nach ihr und er hatte sinnlose Angst, sie wiederzusehen.
Einmal glaubte er sie durch das Fenster zu sehen. Sie preßte ihr Gesicht an die Scheiben und sah ihn an mit Augen wie ein ersterbendes Doppelgestirn.
Das war ein Schmerz, der keine Kraft mehr hatte aufzuschreien oder zu stöhnen. Nur ein veräscherter, sterbender Feuerscheit auf dem Herd. Nur das letzte Aufprasseln der Totenkerzen am Katafalk, von dem man bereits den Sarg geborgen hat. Nur das letzte Aufatmen vom Wind, der auf die Erde niederfiel und gebrochen durch die herbstlichen Stoppelfelder hinkeucht.
Er sah hin im tiefsten Schreck, wich zurück – nur die Augen blieben schmerzlich haften an dem durchsichtigen Gesicht und ihrem verendenden Doppelgestirn. Er stützte sich zitternd an der Wand, wie ein Totenlaken flog etwas an seinen Augen vorüber – und alles verschwand plötzlich – mit unsagbarer Angst starrte er in die tiefste Nacht der Vorstadt.
So vergingen Tage und Nächte.
Bis endlich der Schmerz brach und er die kranke Sehnsucht überwältigte.
Er mußte ihr nur noch etwas zum Abschied sagen, sein letztes Lied herausschreien.
Als er auf die Estrade trat, sah er niemanden. Er fühlte nur den heißen Atem einer tausendköpfigen Menge. In seinen Augen flimmerte das grüne Licht riesiger Leuchter, eine Sekunde lang erzitterte sein Gehirn mit dem Gedanken an sie – er wollte hinsehen, wo sie saß, wo sie sitzen mußte, er fühlte ihren Blick flackernd auf sich irren, aber plötzlich verschwamm alles und eine unsagbare Ruhe breitete sich in seiner Seele aus.
Die Ruhe und Stille vor der Schöpfung.
Unter seinen Händen strömte ein übermenschlicher Gesang:
Er saß auf dem Golgatha zu den Füßen der aufs Kreuz gespannten Menschheit. Wie ein Orkan wälzten sich über seine Seele Jahrhunderte von Qualen und gräßlicher Martyrien, eine ganze Ewigkeit von Verdammnisleiden, zuckender Schreie nach Erlösung; höllischer Flüche und heulender Krämpfe nach einer Sekunde von Glück. Das ganze Leben des Seins feierte in seiner Seele eine düstere Messe voll entsetzlichen Grauens –
So saß er zu Füßen des Kreuzes und starrte in die finstere Nacht, über ihm die Sonne, mit schwarzem Flor umhängt.
Er schlug mit rasender Faust gegen die Himmelspforten, fluchte dem Schicksal, das ihn leben, sich in Not wälzen, sich mit Ekel und Abscheu bespeien und tief in der Hölle ewighungriger Dämone der Sinne verfaulen ließ.
Ohnmächtige Wut der Rache heulte in seinem Gehirn, ohnmächtiges Verlangen nach Vergeltung kocht in seinem Blut, und aus der heiseren Kehle riß sich ein gräßlicher Schrei heraus: Wo ist das Ende, und wo der Anfang? Wo ist die Ursache, wo das Ziel?!
Er ging mit dem irren Stern auf der Stirn und führt mit einer blutigen Fackel eine kranke, entsetzte, vor Furcht bebende Menge hinter sich. Durch das Dickicht der tiefsten Nacht arbeitet er sich blutüberströmt hindurch unter allen gespenstischen Schrecken hinab in die unterirdischen Gänge, wo unbekannte, erträumte, dunkel geahnte Schätze verborgen liegen. Er geht voran, stolz und unzugänglich, aber sein Herz zerwühlt die Angst und Verzweiflung: werde ich sie finden können? Ich habe sie der Menge versprochen, – wie lange werde ich noch herumirren?
Und im Nu war er das Allsein, das in Millionen von Sternen zerbarst, in Milliarden von Getiergattungen sich verkörperte und wieder zu einer Einheit in ihm wurde: eine Unendlichkeit von Gefühlen, eine Unendlichkeit von Schöpfungen und Erden.
Eine ungeheure Sonne trug er in seiner Brust, ging, flog in die Höhe. Höher und höher, verlor das Bewußtsein seiner Allmacht, seines Willens und Seins – weiße Flügel breitete er von einem Pol zum anderen und schwebte in schwerem Grübeln über der Welt.
Es brach der Zorn und der Schmerz des Lebens – das Leiden erstarrte und die Sehnsucht, denn in der Dämmerungsstunde schlief die Erde.
Und in der Tiefe wogen die Getreidefelder in träumender Trunkenheit, und in der Tiefe dämmert gespenstisch das öde Brachgefilde, und in der Tiefe schrecken auf dunklen Sümpfen flackernde Irrlichter – ach – in der Tiefe breitet sich in dem schwarzen Abgrund des Sees der Himmel und aus seinem Grund blühen herauf blasse Sterne und weben auf der glatten Fläche den stillen Zauber versunkener Kirchen ...
Sehnsucht umfing schwer und drückend sein Herz.
Und wieder schritt er dahin, er, der erdgeborene Sohn, ging voran mit dem heiligen Glauben, daß er die Erlösung bringt, aber mit tiefstem, traurigsten, weltvergessenen Schmerz wußte er, daß man ihn werde kreuzigen lassen ...
Er schleppte sich seinen Todesweg hin mit blutenden Füßen, blutiger Schweiß trat ihm auf die Stirn und in seiner Brust ein Gehenna von Qualen ...
Er fühlte, daß er etwas auf den Armen trage, er trug es andächtig und mit unendlicher Sorgsamkeit – aber er sah niemanden ...
Und plötzlich, etwas wie das Rauschen eines Kleides im Zimmer – wie das Leuchten eines heißen, verlangenden Augenpaars.
Er schrak hoch.
Nein, nein – das war kein Traum.
Kein Traum mehr!
Sie war es, sie, leibhaftig sie!
Sie stand an der Wand und atmete tief.
Sie sahen sich an, erschreckt, stumm, zitternd.
– Ich bin zu dir gekommen, flüsterte sie – ich bin gekommen, die Sehnsucht und das Verlangen zerfraßen meine Seele.
Und sie sank in seine Arme.
O Stunde gottestrunkenen Glücks, Stunde des Wunders, in der zwei Seelen ineinanderfließen!
– Hast du Angst vor der Sünde? fragte er sie heiß und zitternd.
– Ich liebe die Sünde, ich liebe die Hölle – mit dir – mit dir ... Und sie warf sich in seine Arme besinnungslos – weltvergessen ...
*
Und er sprach zu ihr:
– Ich wußte nicht, was Glück bedeutet, jetzt weiß ich es.
Mit dir koste ich das Glück und heilige unerschöpfliche Lust.
– Die Stunde des Wunders hat sich erfüllt, lachte sie mit leisem, irren Lächeln.
– Nie konnte ich ein Weib mit mir verschmelzen, flüsterte er innig – du strömst in meinen Adern wie ein goldener Golf von Sonnenstaub.
– Die Stunde des Wunders, die Stunde des Wunders! wiederholte sie leise in bebender Verzückung.
Stille.
– Warum weinst du? er erschrak.
Sie streichelte sein Haar, sie nahm sein Gesicht in ihre kleinen Hände, preßte sich noch heftiger an ihn, umfaßte seinen Hals mit den Armen und wieder irrten ihre weißen Finger in seinem Haar.
– Warum weinst du?
– Vor Glück! sie schluchzte leise.
Und er umfing sie mit zitternder, gottseliger Liebe, flüsterte ihr die heißesten Worte zu, unablässig dieselben Worte in irren Sätzen, er wiegte sie hin und her und wiegte, wie man ein Kind in liebenden Armen beruhigt.
Sie weinte nicht mehr.
Sie preßten sich eng aneinander, wie sich zwei Kinder im frischen Heuschober aneinander schmiegen, wenn über ihnen ein wütendes Gewitter rast und der Himmel schwere Blitze über die Erde sät.
– Ist dir gut so?
– O mein Geliebter, mein Einziger – du, du ...
– Dein, dein! wiederholte er unaufhörlich.
– Jetzt bleiben wir immer zusammen? fragte er mit tiefster Angst.
Sie antwortete nicht, nur unablässig durchzuckten sie heiße Schauer ...
– Ich werde den Kreuzweg antreten, – ans Kreuz lasse ich mich nageln. – In der Stunde des Wunders hat sich mein Leben erfüllt ... Frag nicht, nimm mich, preß mich noch fester in dich hinein – fester noch – töte mich!
Langes, schwüles Schweigen.
Und wieder sprach er zu ihr:
– Erinnerst du dich, wie ich dich in furchtbaren Stürmen durch den Urwald trug? Der Himmel schien auf uns niederzustürzen – um uns tanzten grüne Reifen von Blitzen, mächtige Äste der Kokospalmen barsten mit dem Krachen und Schreck einfallender Gewölbe und verlegten uns den Weg mit einer immer höher anwachsenden Mauer, ab und zu zerspaltete der Blitz einen tausendjährigen Stamm, so daß die Scheite um den Wurzelboden sich rings neigten und zu Boden fielen wie riesige Blätter von dem Kelch einer welkenden Blume. Der Orkan warf uns hoch und wieder zu Boden, wir stolperten, fielen, schlugen uns wund an den Bäumen, aber ich riß mich wieder auf, fiel, kroch auf den Knien weiter, kletterte über die Haufen gebrochener Äste, über die toten Leiber der Urbäume, aber ich ging, denn ich trug dich auf meinen Armen, und das Gewitter des Verlangens, das in mir tobte, war stärker als alle Gewitter, die jungfräuliche Urwälder vom Boden wegfegen.
Sie antwortete nichts.
– Und erinnerst du dich, wie ich mit dir floh durch den Brand lichterloh entzündeter Steppen? Der Wirbelwind des Feuers raste hinter uns, wuchs mit gräßlichen Säulen in den Himmel hoch, wälzte sich auf der Steppe in ungeheuerlichen Strömen, und ich lief, lief in irrsinnigen Sprüngen eines gehetzten Raubtiers mit dir auf meinen Armen, ich flog über den von Höllenfeuer versengten Boden, und ich war stärker als das Feuer, es erreichte uns nicht, denn ich trug dich auf meinen Armen, und ein stärkeres Feuer als das auf der Steppe wütete in meinen Adern.
Sie antwortete nichts.
– Erinnerst du dich als ein wahnsinnigerer Malstrom unsern Kahn erfaßt hat? In einem Augenblick warf er den Kahn bis auf den Grund des gräßlichen Schlundes, erbrach ihn wieder und stürzte jäh auf wie ein Holzstück auf die rasenden Wogen, wieder umfaßte er ihn mit seinem rasenden, wütenden Reifen und wieder fiel der Kahn mit der Schnelle eines fallenden Sternes in den grausigen Trichter herab und wieder schoß er hinauf, wie ein Lavastein, den ein kochender Vulkan hinausschleudert, und so flog ich dreimal hinunter und dreimal wurde ich wieder hochgeworfen auf die kochenden Strudel des Stromes, bis endlich unser Kahn auf ein stilleres Wasser fiel. Ich war stärker als der Malstrom, denn ich fühlte wie du meinen Körper umfaßt hieltst, deinen Kopf fühlte ich auf meiner Brust, und in mir selbst raste ein Malstrom stärker als alle der Welt: Du – du in mir – meine Liebe zu dir.
Sie antwortete nicht.
– Siehe! Ich bin der erdgeborene Sohn, ich bin der urewige Adam; in meinem Herzen wütet ein Sturm stärker als jener, der die mächtigsten Urbäume wie trockenes Schilf zerbricht – in meinen Adern rast eine Feuersbrunst mächtiger als jene, die die Grassteppen überströmt und ein weit abgründigerer Malstrom kocht in mir, als der, der das größte Schiff zu nichts zerreibt und seinen Staub auf dem Grund der Ozeane sät:
Liebst du mich?
– Du bist stark, du bist groß, du bist übermächtig.
– Das ist nicht das, was ich von dir hören mag.
Nun höre:
Ich kann mich jederzeit zum König machen, alle Völker zu unseren Füßen werfen, mich der Erde bemächtigen, über Millionen von Sklaven herrschen, ich kann dich ans Kreuz nageln lassen und dich wieder mit meiner Allmacht ins Leben rufen – ich kann mich als der Sonnengott erklären – in heiligen Hainen wird man mir Altäre bauen und Opfer bringen – ich kann vor deine Augen alle Wunder und Paradiese aller Zeiten und aller Erden zaubern – ich habe alle Schmerzen, alle Qualen der Menschheit erlebt, all ihre Lust und Glück, kann sie in die Hölle stürzen und sie wieder erlösen:
Liebst du mich?
– Du bist ein Gott!
– Es ist nicht das, was ich von dir hören mag.
Hör also:
Und wenn ich dich mit lustheischenden Armen auf meine Brust werfe, wenn dein Haar sich wie eine Mähne sträubt und du dich mit den Lippen in mein Blut einsaugst, wenn ich dein Verlangen in einen Abgrund von Lust peitsche, daß dir die Welt von den Augen verschwindet, und die Ewigkeit in einer Sekunde zerschmilzt, und du ohnmächtig auf mich fährst wie eine vom Hagel gepeitschte Narzissenstaude –
Liebst du mich denn?
Sie lachte auf in seltsamer, irrer, uferloser Lust, umfaßte seinen Körper, rieb die Seide ihrer Haare an seiner Brust und sah ihm dann lange, lange in die Augen; ergoß sich ganz in seine Augen, es war ihm als ob sie sich ganz bis auf den Grund seiner Seele gleiten ließ, sich heiß um sein Herz legte, sich in jede Pore einsog – er hatte sie nicht mehr bei sich, sie war in ihm, in seinem Blut, sie zerschmolz in ihm in langen ewigkeitstrunkenen Schauern:
Ich liebe dich, ich liebe, liebe dich!
Er fühlte im Traum, daß sie still und leise aus seinen Armen glitt – durch den Traum fühlte er, daß ihm das Blut vom Herzen floß, etwas sich von seiner Seele löste –
Aber das war im Traum ...
Er hörte wie Augen in furchtbarer Qual schrien, daß sie im Feuer fieberkranker Sterne aufzuckten, und dann plötzlich erloschen – noch ein weitfernes Aufleuchten und dann eine entsetzliche Stille des Dunkels –
Aber das war im Traum ...
Er fühlte, als ob das unendlich feine Spinngewebe von seidenen Haaren über sein Gesicht striche – hörte etwas wie ein leises Auftreten scheuer Schritte –
Aber das war im Traum ...
Und plötzlich empfand er in sich eine furchtbare Nacht, eine Nacht die erstarrte, versteinerte in der Luft, und er wußte, daß kein Strahl sich mehr durch das finstere Riesengewölbe der Nacht durcharbeiten werde.
Er sprang vom Bette, suchte umher in Todesangst, aber sie war nicht mehr da.
Für einen Augenblick war er wie gelähmt, ein gräßlicher Schrecken schnürte ihm das Herz zusammen, und wieder raffte er sich auf und begann sie zu suchen im wilden Entsetzen.
Die erste Frühsonne ergoß sich mit blauen Lichtströmen in das Zimmer – er suchte, suchte – er sah sie ja doch ganz deutlich vor sich, er faßte sie ja schon an den Armen, er sah doch tief in ihre Augen übervoll von Glück und Seligkeit, er küßte ihr Haar:
Sie war nicht da!
Er wankte, setzte sich, stand wieder und taumelte in das andere Zimmer hinein.
Auf seinem Schreibtisch ein Strauß roter Mohnblumen auf einem weißen Papierblatt.
Er sah lange drauf hin – auf diesen Papierstreifen und den roten Strauß, tastete mit den Fingern, um sich zu vergewissern, ob er nicht träume und endlich wurde er wach.
Er las:
Ich gehe weit – weit weg. Ich gehe in das heilige Reich der Qual hinein, zu meinem Kreuz zurück, auf das du mich genagelt hast. Die Stunde des Wunders ist vollbracht. Such nicht nach mir – du wirst mich nicht finden. Warte nicht auf mich – denn vergebens. Ich gehe ohne dich, aber ich werde nicht mehr allein sein. Ich bin bei dir und mit dir für alle Ewigkeit – und meine Seele wird traurig sein bis ans Ende ...
Er las nicht weiter. Zerknitterte das Papier, schob von sich weg den roten Strauß – ging auf und ab ohne Unterlaß in dem Zimmer und fiel endlich erschöpft auf das Fauteuil hin.
Über ihm das schwarze Gewölbe der Nacht und in seinem Herzen Graus und Schrecken der gespenstischen Stunden ...
Als er erwachte war es schon gegen Abend.
Noch einmal las er ihren Brief durch und wußte, daß die Stunde des Wunders sich erfüllt hat und nimmer zurückkehren werde.
Jetzt wußte er, daß er sie nicht mehr finden würde und auf sie nicht mehr zu warten brauchte.
Alles umsonst!
Er wußte das alles mit einer Sicherheit, die sein Gehirn mit glühenden Nadeln zerstach und er empfand eine sinnlose Trauer und gleichzeitig die helle, unsagbar heilige Majestät des Todes.
Und mit hochaufgerichtetem Haupt ging er weit hinter die Stadt – fernab.
Er ging hinter etwas, worin man ihm die ganze Welt begraben hat, sein ganzes Glück verborgen, seine Vergangenheit und Zukunft versargt.
Er ging hinter jemandem her, der ihn führte, ihn hinter sich schleppte und an ihm zerrte – er wankte, strauchelte, ab und zu fiel er zu Boden, aber wieder richtete er sich auf, denn jemand schleifte ihn mit Gewalt – und wenn er fiel, wickelte sich eine grausame Hand um sein Haar und riß ihn hoch.
Und dann ging er wieder in großen, qualvollen Schritten wie jemand, der vor Schmerz erstarrt war und große, steinerne Tränen in seinem Herzen trägt.
Er sah nichts mehr, hörte nur das Dröhnen seiner schweren Schritte, als wäre er eisenbepanzert, als fiele über sein Gesicht ein schwerer eherner Helm.
Er sah sich erstaunt um.
Er war ja ein großer Führer, seinen dröhnenden Schritt hörte er tausendfach widerhallen, denn ihm folgten tausende erzbeschlagene Ritter.
Er ging an der Spitze durch dunkle Wälder und hinter ihm die Ritter mit blutroten Fackeln.
Er empfand keinen Schmerz mehr, keine Sehnsucht trübte ihm seine Seele, er hörte nur unablässig ihre Worte, die sie ihm Tages vorher in der Stunde des Wunders gesagt hatte, als er sie immer heftiger, mit immer größerer Lust an sich preßte:
Heilig bist du mir, weil du mich in mir erzeugt, das dunkelste und nackendste Geheimnis meiner Seele belauscht, alle ihre schauerlichen Rätsel mir gedeutet hast. Glanz, Licht und Offenbarung bist du mir – die Sonne, in deren Glut mein Herz zerschmolz.
Unablässig wiederholte er diese Worte. Diese Worte wurden ihm zu ihren kleinen weißen Händen, in die er sein Gesicht legte, und er fühlte den Abdruck der tausendfältigen Verkreuzung ihrer Handlinien auf seiner Haut.
Ihre Worte wurden ihm zu dem seidenen Glanz ihres Körpers – oh! mit welcher abgründigen Lust schien er sich hinein in seine Brust, wie weiß leuchtete ihr Körper an seiner dunklen Haut!
Und jedes Wort lebte und zitterte, er hielt es in seiner Hand, es schlug, es schlug ... Er fühlte es in seinen Adern, wie es sich mit dem Blutstrom zusammen in ihm ergoß – rings um sich hörte er es klopfen und sich um ihn in feurigen Ringen ergießen.
Schwer lastete es über seinem Herzen; ein tauber Schrei würgte ihn:
Mutter der Barmherzigkeit!
Aber es gab kein Mitleid mit ihm.
Und wieder brach der Schmerz und wieder hörte er ihre Worte, die sie ihm gesagt hatte in der Stunde des Wunders, als ihre Augen gespenstisch aufflammten und irr über dem Spiegel seiner Seele flackerten:
Ein dunkles Verhängnis brütet schwer über mir, und zu meinen Füßen öffnet sich die Hölle und das Verderben. Meine Seele verblutet an der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.
Er stand auf der Spitze eines himmelhoch ragenden Felsen. Plötzlich berührte ihn ihre kleine, weiße Hand, und er fiel von einer Spitze auf die andere, zerfleischte seinen Körper an den scharfen Zacken, glitt tiefer und tiefer die Gletscher hinab, in einer tausendstel Sekunde flog vor seinen Augen sein ganzes Leben vorüber – rettungslos wälzte er sich wie eine Lawine in dunkle Höllengründe, bis er Wollust empfand, so zu stürzen, sich so an den Riffen zu zerfleischen.
Er fühlte ihre Macht, ihre Qual und ihr ohnmächtiges Beginnen, denn eine andere, fremde Kraft hat ihn durch sie in den Abgrund gestoßen.
Und zum dritten Mal hörte er ihre Stimme, aber diesmal in seinem Herzen: ein Schrei heißer Finger, die in seinem Haar wühlten, flehende Umarmung ihrer Arme, die keuchende Verzweiflung ihres Körpers, der sich an dem seinen wundrieb:
»Ich gehe, ich gehe schon, such mich nicht – die Stunde des Wunders ist vollbracht.«
Es wurde finster vor seinen Augen, seine Beine knickten ein, als wäre er von hinten in den Rücken mit einem Speer getroffen und im Todesschrei fiel er auf den Boden.
Wachte er wieder auf?
Ja er ritt auf einem wilden, schwarzen Hengst über sonnenverbrannte Steppen. Rings hat die wütende Glut alles aufgefressen, alle Bäche und jegliches Gewässer aufgesogen, nichts vor ihm, nichts hinter ihm, nur die rachsüchtige, weißglühende Sonne und ein Himmel, der in weißem Brand sich verzehrte. Heißer, kochender Nebel, das war die Luft, die er atmete, und die verbrannte Erde versengte seinen Hengst. Der Helm brannte sich ihm mit feurigen Striemen in seine Stirn und seine eherne Brünne senkte seinen Leib.
Er ritt in ohnmächtiger Verzweiflung, denn in seinen Armen erstarb vor Durst die, der er sein eigenes Blut zum Trinken geben möchte.
Langsamer und schwächer schleppte sich der todesmüde Hengst hin, stolperte, fiel in die Knie, raffte sich wieder auf, sein Hals hing herab, wie ein angesägter Ast – jeden Augenblick, gleich, sogleich, beim nächsten Schritt, würde er tot umfallen.
Und im Nu wieherte er glücklich auf.
Denn plötzlich inmitten dieser Hölle, dieser sengenden Glut in Brand gesteckter Nebel eine Wasserzisterne.
Und schon hob er sie hoch, um sie auf den Boden zu setzen, und ihre Stirn mit Wasser zu benetzen, da plötzlich, als wüchse er aus der Erde hoch, pflanzte sich ein schwarzer Ritter vor ihm auf in einer übermächtigen, gottgleichen Majestät, und seine Stimme dröhnte wie der Ruf der Jüngstengerichtstrompete:
Ich bin es, der die Grenze für jegliches Glück und jegliche Lust dieser Erde setzt –
Ich bin es, der vor jedem Anfang war und jedes Ende überdauern wird:
Gott, Satan, Schicksal!
Wieder zerrann das gespenstische Gesicht.
Er sah in die Tiefe hinab – dort unten zu seinen Füßen dies wogende Meer von Dächern, das den Schein vom elektrischen und Gaslicht atmete, das war eine Stadt – ja – aber nicht seine – eine fremde Stadt.
Nein! das war nicht seine Stadt!
Und plötzlich sah er sie deutlich vor seinen Augen, eine Stadt in seltsamen Felsen ausgehauen, durchzogen von einem wirren Netz von Gräben, die Stadt des Todes und der Öde, die einstens seine Vorfahren ihm dem letzten Sproß gebaut hatten.
Wieder empfand er eine große, heilige Sonne in seiner Brust.
Dort in dieser Todesstadt wird er sie finden.
Dort – dort!
Sein Herz schwoll in unbekannter Macht, er wuchs in den Himmel hinauf, streckte seine Arme und sprach zu ihr:
Ich gehe zu dir, aber wozu soll ich dich suchen, du durchkreist meine Adern, du bist der Atem meiner Seele, der Drang meines Verlangens, der Zauber meiner Träume, du bist ich.
Und wieder blickte er hinab auf die Stadt, die ihm nun fremd ward.
Dort hat sich die Stunde des Wunders erfüllt.
Aber die Stadt war ihm fremd.
Und wieder sprach er zu ihr und sich:
Du bist eine Sonne, die sich in mir ergossen hat. So oft ich will, wirst du vor mir stehen und mein sein. Aber nicht hier. Ein größeres Wunder wird sich vollziehen dort, wo meine Stadt die wilden Felsen erklimmt, wo der heilige Strom tobt und rast in granitnen Abgründen und in unterirdische Felsen Kaskaden von Stalaktiten erfrorenen Mondlichtes hinabwirft.
Über seinem Haupt erglänzte ein großer, grüner Stern, der ihn in das neue Syon führen sollte, in das neue Jerusch-Halaim, den urewigen Alkazar seiner Ahnen – dorthin, wo in dem geheimen Zauber der Todesdämmerung sich noch ein größeres Wunder vollbringen sollte ...
Er stand am Fenster des Alkazar und blickte auf die seltsame Stadt hinab, die ihm seine Vorfahren vor Tausenden von Jahren erbaut hatten.
Es war Mondnacht und in dem gespenstischen Licht schreckten Formen und Konturen dieser Stadt, die sich in einer seltsam gebrochenen Dächerfläche zu seinen Füßen breitete.
Als hätte die Erde gebebt, das glatte, felsige Terrain sich gebogen und gebrochen, die mächtigen Felsmassen sich übereinander geschoben, ineinander gekeilt, zu Pyramiden aufgetürmt oder sich in gezackten Wellen ins Land ergossen.
Es sah aus wie eine Miniatur-Gebirgskette, die auf einem kleinen Platz zusammengedrängt war mit tausend Spitzen, Tälern, Riffen, Abhängen, jähen Schluchten und unerwarteten Aufrissen, und hoch oben auf der äußersten Spitze breitete sich ein mächtiges Felsenplateau, darauf stand die herrliche Fürstenburg, der uralte Alkazar.
Er sah lange auf die Stadt dort unten. Er sah tausend scharfe, schwarze, seltsam ineinanderverschlungene Konturen der Straßen, die das riesige Dachterrain zu einer absonderlichen Zeichnung fügten.
Diese ganze weiße Dächerfläche sah aus wie ein heiliges, geheimes Ornament, das ein Gewirr von mystischen Arabesken bildete.
Und es war, als hätte die Hand eines gewaltigen Magiers in der weißen Oberfläche des mächtigen Felsens heilige Runen seines tiefsten Wissens eingehauen.
Von der Höhe des Alkazar sah die Stadt aus, als wäre sie nicht erbaut, sondern aus den Aushöhlungen des Felsens gebildet.
Breit lag die Stadt vor ihm, ein unermeßliches Katakombengrab, überragt von dem Alkazar, der stolz, ernst und streng mit schlanken Türmen in den Himmel aufstrebte.
Ein Schauer überlief ihn, wenn er daran dachte, einst in diese Katakomben herabsteigen zu müssen.
Er kannte alle Gäßchen, alle Schlupfwinkel, alle Straßen, ihr wirres Durcheinander, die Stellen, wo sie sich kreuzten, sich verflochten oder in Blindsäcke mündeten, er wußte, daß er in diesem Gewirr, diesem verstrickten Knäuel von Straßen sich nicht verlieren könnte, und doch fühlte er einen geheimen Schreck, daß er in diesem Labyrinth irren und nie wieder aus ihm herauskommen könnte.
Und es gab niemanden, der ihm den Weg weisen könnte, denn die Stadt war tot.
In unsagbarer Trauer sah er die Stadt an, die ihm nur Schreck und Angst einjagte.
Und doch sollte sich hier ein großes Wunder vollbringen.
Hier sollte er aus sich gestalten, was der Ton seines Gedankens war, die Äußerung seines Gefühls, die Form seines Willens.
Hier sollte er – denn also hat ihm sein Herz versprochen – die verlorene Geliebte wiedergewinnen – sie aus dem kostbaren Schatz seiner geheimsten Schönheit, seines verstecktesten Seins wiedergestalten.
Aber vergebens hat er gewartet, vergebens seinen Willen in kranken Visionen angespannt – alles vergebens.
Er vermochte nicht, sie aus sich selbst zu formen.
Und wozu ihm diese herrlichen Alkazare, wozu diese Wunder und Zauber, diese furchtbare Totenstadt rings um ihn?
Jäh erfaßte ihn ein entsetzliches Grauen vor diesem ungeheuerlichen Mitternachtsspuk zu seinen Füßen, und mit der ganzen Seele sehnte er sich nach seiner Heimat zurück – nach der Stadt in dem tiefen Tal, das in den Nächten das kostbare Licht atmete, nach den dunklen Alleen, auf denen er tagelang herumirrte, als er sie suchte, nach den dämmrigen Kirchen und den Anhöhen, die sich über der Stadt in dunkelgrünen Stockwerken aufbauten, und mit ihren Kastanienwäldern sich in schwere Damastpracht in die Stadt ergossen.
Und in majestätischen Wogen ergoß sich der unsagbare Zauber dieser heiligen Erde, die schweren Getreidefelder, die sich traumbefangen hin und her wiegten, die Brachäcker, die in heißen Sommernächten fieberten; der geheime, gespenstische Graus der Irrlichter auf den dunklen Sümpfen – ach! – und dieser Himmel, der sich in der Untiefe des Sees gebettet hat, aus dessen Grund der Lichtzauber blasser Sterne aufblühte und über dem stillen Antlitz des schlafenden totenstillen Wassers die düstere Erinnerung an versunkene Kirchen breitet.
Und wieder sah er auf die tote Stadt da unten und auf den rasenden Strom, der die Stadt in der Form eines heiligen Omega umtoste.
Tief in felsigen Schluchten stürzte er sich von einem Katarakte zum anderen, wälzte sich in Wirbeln und Strudeln, warf hinab in unermeßliche Gründe schwere, rauchende, spritzende Wassermassen, schleuderte sie hoch empor an den spitzen, stachelichten, felsigen Cleopatranadeln, die aus dem Bett aufragten, drängte sie in die Spalten und Ritzen der Riffe, die das granitne Ufergelände zerfetzten, er kochte, heulte, schäumte, goß sich mit Höllenhast in wilden Geysiren und Malstromwirbeln.
Lange sah er hin mit einer seltsamen, leidenschaftlichen Ehrfurcht auf diesen heiligen Strom, der eine ganze Bergkette zerrissen, ganze Steinpyramiden durchschnitten, sich Gänge und Schluchten und unterirdische zahllose Korridore ausgegraben hat.
In dem Mondlicht sah der Strom aus, als wäre er aus geschmolzenen Mondstrahlen und dort, wo er in unzählbaren Wasserfällen sich in unterirdische im Granit ausgehöhlte Kanäle hinabstürzte, schien er Kaskaden gefrorener Stalaktiten von kaltem Mondlicht zu werfen.
Mit kranker Lust horchte er auf das höhnische Geheul irrsinniger Gefälle, denn das war die Musik zu der Verzweiflungsmesse, die in seiner Seele tobte – und er sah den gespenstischen, düsteren Glanz der Katarakte, denn in diesem trüben Gräberlicht der Verwesung und schimmligen Kupfergrüns flackerten seine kranken Fieberträume.
Er hielt den Atem an, streckte sich in die Höhe, breitete seine Arme aus und sog gierig das gespenstische Wunder ein.
Entsetzt sah er sich ringsherum.
Es geschah etwas Fürchterliches!
Er war allein, von der ganzen Welt losgeschnitten irgendwo in der Mitte eines Ozeans auf einer Insel, die sich hoch über dem Meer auf einem ungeheuren Basaltblock schwer niedersetzte.
Die ganze Insel war eigentlich nur ein aneinandergewachsener, steiler Fels von Basaltsäulen, ein in abertausend Ecken gebrochenes Vieleck, dessen Seitenwände steil ins Meer flossen, gleich den hieratischen Falten auf den Gewändern byzantinischer Heiligen.
Rings um die Insel sah er das Meer in der Flut. Die Wellenberge keuchten atemlos hochauf, warfen sich empor in wilder, zähnefletschender Kraft und gossen sich über das Plateau der Insel. Zwischen ihr und den felsigen Riffen, die die Insel umkränzten, raste das Meer, drängte sich mit höllischer Macht hinein, ergoß sich in ungeheuerlichen Ansätzen und Rucksprüngen, die zum weißen Schaum zerschlagenen Wassermassen fielen von oben herab in glitzernde Schneewolken, und wurden wieder hochgeworfen, als hätte sich ein unterirdischer Krater geöffnet, der diese Lava herausspie, dieser spritzende, tollgewordene Gischt.
Und es war für ihn eine nieempfundene Lust diesen ungeheuerlichen Kampf der aneinanderprallenden Wasserwogen anzusehen. Von beiden Seiten in dem Engpaß zwischen der Insel und der langen Felsbank rings im Kranze umher stauten sich immer mächtigere, in den Himmel wachsende Wassermassen – sie prallten in der Mitte wütend aneinander, wuchsen aneinander hoch, ohne sich zerschlagen zu können, umfaßten sich wie ringende Feuersäulen kochender Sonnen, warfen sich nieder, sprangen wieder jäh hoch, barsten wie Planetenringe, die sich von dem Mutterkern losreißen wollen – aber schon ergossen sich von der einen und der anderen Seite neue Wasserorkane, die das Meer vom Grund loszureißen schienen.
An dem Horizont schwoll das Meer an in wahnsinniger Macht, sein Schoß wölbte sich in ungeheuerlicher Schwangerschaft in den Himmel höher, noch – noch, noch höher, der ganze Ozean wölbte sich zu einer unermeßlichen Kuppel über seinem eigenen Grund, hoch über der Insel schwebte das entsetzliche Wassergewölbe, aber jäh brach die Kraft, die den Ozean von seinem Grund hochhob. Die Wasserkuppel barst und mit dem Krachen und dem Donner einstürzender Welten fielen die schweren Wasserwolken hinab, prallten vom Boden noch einmal hoch, wälzten sich mit einer Sintflut über die Insel hinab – und es wurde Ruhe.
Aber nur auf einen Augenblick.
Plötzlich stand das Meer in Flammen.
Das war nicht mehr ein Meer, das waren Wogen von geschmolzenem Metall, der kochende Strudel flüssigen Gesteins.
Als wäre die ganze Erdoberfläche wieder flüssig geworden, und raste in vorsintflutigen Stürmen, in gräßlichen Konvulsionen, Zuckungen und Choreatänzen.
In das schwarze Himmelsgewölbe hinauf schossen unerhörte Fontänen von siedendem Metall, zu Tälern gossen sich Ströme von kochenden Erzen, besessene Gesteinsgolfe verkrampften sich miteinander, Wassersierren wüteten in Weltenbränden und Feuer-Niagaren schienen sich umgewälzt zu haben und schreiende Orkane von Flammen in den Himmelsabgrund zu speien.
Langsam erstarrte das kochende Meer. – Wo vor kurzem noch die Wassermassen sich in den Himmel türmten, sah er rings eine verlöschende Gebirgskette. In einem atmosphärenlosen Licht, das seine fressende Macht verloren hat, sah er über dem Himmel mächtige Farenkräuter ihr vorsintflutliches Violett breiten, in den Wolken verlorene, schwarze Stämme verkohlter Palmen und Zypressen starrten wie ein toter Säulenwald, mit stiller Lust blühten ungeheure Lilienkelche auf, in das Blau der unermeßlichen Neunfarenblätter fraßen die giftigroten Zungen von Orchideen und all das raste in dem entfesselten Farbenorkan: Das Grün, das Violett, Ultrapurpur und überweißer Siedeglanz kämpften miteinander – durch das ächzende Geschrei des flüssigen Eisenrot wanden sich dunkle Fäden von Gebirgsbächen, wie man sie von der weitesten Ferne sieht, auf den dunkelgrünen Teichen der Neunfarenblätter krochen messingfarbene Stauden in unglaublichen Spiralen von mythischen Schlingpflanzen und in das tiefe Schwarz der verkohlten Wälder spritzte die abgeschnellte, blitzhelle Feder des verborgenen Giftes von Curarepflanzen, und auf dem dunklen See des Purpurs wiegten weiße Seerosen ihre traumschweren Häupter.
Er schloß die Augen, er konnte nicht dies rasende Tedeum des Farbenorgiasmus ertragen, aber der Eindruck ergoß sich ihm bis in den geheimen Knotenpunkt, wo sich alle Sinne durchdringen, überströmte von neuem sein Gehirn, aber diesmal mit einer gräßlichen Symphonie von dröhnenden Blasinstrumenten, schmelzender Fagotte, heulender Bässe, kreischender Geigen in der Applikatur, Hörner, die wie apokalyptische Bestien heulten, Klarinetten, die wie Höllenhengste wieherten:
Entsetzt prallte er zurück und lief durch eine lange Pilasterallee bis in die äußerste Tiefe eines unermeßlichen Saals und fiel erschöpft auf einen Teppich, in dem er endlos zu versinken schien.
Unermeßliche Seligkeit umfing sein Herz.
Mit nie gekannter Lust atmete er Ruhe, Stille und Gottgefühl.
In dem weichen, dämmrigen Halbdunkel eines Lichtes, das die porphyrnen Säulen atmeten und das von der dunklen Decke aus Zederbaumholz strömte und sich mit dem bläulichen Glanz des basaltenen Estrichs innig ineinanderschmiegte, fühlte er plötzlich den Augenblick des heiligen Wunders nahen ...
Der Abend legte sich mählich um die Welt. Das Rot der Porphyrsäulen ergoß sich in dem dunklen Glanz des Ebenholzes; die heiligen Kühe der Kapitäle wurden zu ungestalteten Ungeheuern, das Licht, das sich durch den engen Spalt der Säulenallee hineinzwang, erblaßte, wurde still, zitterte und flackerte wie das Licht einer verlöschenden Fackel.
Und in dieser heiligen Stunde stand er auf und langsam, erhobenen Hauptes, als trüge er die Mitra eines Welteroberers durchmaß er die Säulenallee, blieb auf der granitnen Terrasse seines Alkazars stehen, seine Seele hat sich vom Körper freigelöst und breitete sich aus mit heiliger Gnade über der Stadt und dem Ozean.
Und in der toten Stille der Katakombenstadt wußte er endlich, daß er ganz allein auf der Welt sei, irgendwo auf einem millionenweiten, weit entfernten Stern: er vergaß, daß es noch jemanden außer ihm in dem ganzen Weltall gäbe.
Er war allein da, ganz allein!
Es dunkelte. Die Himmelswunder erloschen, und über die Erde breitete die Nacht den dunklen, schweren Trauerflor.
Seine Seele zitterte und flatterte umher wie ein Vogel vor dem Gewitter in rastloser Unruhe, denn sie wußte, daß die Stunde nahe ist, da sich die Untiefen öffnen, da die Seele alle Geheimnisse durchdringt und in die Pracht ihrer eigenen Nacktheit schaut.
Und es war als ob sich der Raum von allen Seiten verengte, nah und näher an ihn heranrückte, als ob die Linien und Konturen sich von der Stadt loslösten, sich zu neuen Bildungen entformten – das Dunkel schien sich noch zu vertiefen, zu Körper und Gestalt zu werden, und plötzlich barsten die schweren Vorhänge der Nacht und es ward Licht, ein seltsames Licht: ein leuchtendes Atmen duftender Sommernächte, ein kalter, gleichmäßiger Abglanz verborgener Welten – es ward ein Licht, das die Reflexe metallischer Spiegel bilden – ein inneres Licht – das Licht der Seele und des Weltalls.
Und in diesem lichtlosen Leuchten sah er, wie sie ihm langsam entgegenschritt: Sie – Er – Sie!
Sie ging zu ihm wie ein Licht, das sich in dunklen Nebelmassen verirrt – als ob sie sich in Mühe und schwerem Ringen mit ihrer Lichtgnade durch die schweren Nebellasten durchzwängte.
Sie ging wie das Stöhnen der Glocken meilenweit geht über glitzernde Schneegefilde an frostigen Winterabenden, und sie ging so leise wie die Dämmerung, die die Gebirgskoppen überrascht.
In die Schluchten und zerrissenen Riffe drängen sich scharfe, lange Schattenkeile hinein, und schmelzen ein das lichte, sehnsüchtige Violett zu bleigrauem Blau – mit langen, spitzen Zungen beißen sie sich in das Weiß des ewigen Schnees, und langsam düstern nach die kristallnen Funken, ins Dunkel hüllen sich die Spitzen und die Plateaus ein: still, ernst und feierlich gießt sich das Schattenmeer hinab.
Und sie ging wie das weiße Leuchten der Silberpappeln in dem Karfreitagzauber, furchtbar und verzweifelt. Irgendwo auf den schmerzerstarrten Feldern pflanzte sich auf das Windsegel und ächzt und heult und stöhnt, und zum Takt schlagen aneinander die metallisch glänzenden, weißen Blätter.
Er wich zurück.
Und durch den Säulenwald ging näher und näher an ihn heran das silberne Leuchten, der stille Lichtschein, der die Vorhänge der Nebel durchriß – eine Wellenbrandung des Stöhnens schwingender Glocken, die düstere Dämmerungssehnsucht, die von den Anhöhen in das Tal strömte.
Immer tiefer wich er in die weiten Gründe seines Alkazars, fiel auf sein Gesicht und stammelte:
– Bist du endlich gekommen? Meine Seele blutet und ihre Flügel sind zerfetzt – über Berge und Meere bin ich hergekommen – mich tötet der gespenstische Schrecken dieser Stadt, aber hier harrte ich deiner, denn mein Herz sagte mir, hier werde ich dich finden ...
Totenblasse Stille rings um ihn ... Er erschrak, daß er vielleicht nicht zu ihr spräche ...
Er kreuzte seine Arme und flehte in inbrünstigem Flüstern:
Wer bist du?
Und durch seine Seele ging eine Stimme wie das Aufleuchten eines schmerzlichen Lächelns, wie eine blasse Lichtwelle, wie ein verrauchender Atem eines in sich kauernden, andächtigen Schweigens:
– Ich bin die geheimste Tiefe deiner Seele – ich bin die Linie alles dessen, was du durchlebt hast, bin der Ton und die Farbe deiner Träume und das Ziel deines Verlangens; ich bin das Blut, das immer von neuem deine Brunst sättigt, durch mich und in mir bist du empfangen – durch mich und in mir wird sich dein Sein vollbringen ...
Und durch den ungeheuren Saal hallte es wider wie von dem Schluchzen des herbstlichen Regens, es glänzte wie eine ungeweinte Träne in einem schmerzverglasten Auge und um das Gewölbe strömte die tiefe Klage:
– Denkst du noch an die Nacht, da ich dein Gesicht in meinen Händen hielt, da ich dich mit meinen heißen Armen umfing, mein Haupt auf deiner Brust ruhte und meine heißen Finger in deinem Haar wühlten?
Er zuckte auf vor Schmerz. Diese Stimme, voll von Angst und überirdischer Sehnsucht, voll von bebenden Erinnerungen wuchs ihm in seine Kehle hinein, staute das Blut in seinen Adern – er wand sich vor etwas Unsichtbarem im Staub und flehte:
– Oh, komm – komm! So lange hab ich auf dich gewartet hier in dieser gräßlichen Katakombenstadt, denn so hat mich meine Seele betört, daß ich dich hier wiederfinden und dich haben werde, so oft ich es will.
Wie dich fassen?! Sieh, ich suche, ich spähe nach dir, ich breite meine Arme aus – oh, komm, oh, komm!
Und es war, als hätte jemand seine Knie umfaßt, fiele ihm um den Hals, schmiegte sich an seine Brust in nie enden wollender Lust und dem Schmerz ohnmächtiger Verzückung.
Lässiges Schweigen goß sich um das Zedergetäfel der Decke und das grüne Syenit hinter den porphyrnen Säulen ...
Und er fühlte, fühlte ihre klein-kleine, weiche Hand, sah sie in sich, wie sie sich über ihn beugte und ihm zuflüsterte:
– So lange irrte ich herum, suchte und wartete, ob deine Hand mich nicht aus dem Nichts herausreißen, mich formen, gestalten werde und mich zum Körper werden lasse ...
Hörst du mich, o du Geliebter mein, fühlst du mich?
Ich bin von dir weggegangen, denn, wenn du mich ansahst, in deine eigene Seele starrtest – denn ich bin der Körper deiner Gedanken, ich bin die Form und die Gestalt deiner Sehnsucht, der Ausdruck deines Fühlens und die Bewegung deines Willens ... ich ging weg von dir, denn ich war dein Verderben und dein Tod ...
Ich habe dich verlassen, aber heute flehe ich dich an, bitte ich dich und schreie: streck hinein deine Hand in den Abgrund meines Nichts: mag sie die Millionen von verwehten, zerrissenen, in alle Winde ausgestreuten Tönen zu einem Akkord meines Leibes fügen, Millionen von Farbenflecken zu einer Sonne gießen, die meinen Körper durchwärmen wird ...
O du mein Heiliger. Du mein Gott! So lange irrte ich und suchte und schrie nach dir, aber die Sturmorkane haben mein Flehen und mein Stöhnen und meine Verzweiflung verweht – und du hast mich nicht gehört ...
Jetzt zittere ich nicht mehr, daß du zugrunde gehst – ich weiß, daß du, wenn du in mich – in deine eigene Seele – schaust, zugrunde gehen mußt, aber du willst doch nicht ohne mich leben – reiß mich heraus aus meinem Nichts oder komm zu mir – komm – oh! komm!
Die Sehnsucht hat meine Seele irr und trübe gemacht, Schmerzensstürme haben mein goldenes Haar zerrauft, oh, faß die goldenen Strähnen, winde sie um deinen Arm, reiß mich heraus aus diesem Abgrund: ein Paradies ist er mit dir zusammen, eine Hölle ohne dich!
Hörst du mich? Fühlst du mich?
Und ein furchtbarer unermeßlicher Schmerz der Sehnsucht zuckte in wildem Krampf durch den Saal:
– O du mein Lichtgeborener – ich habe dich gerufen, ich habe mich gewälzt im Schrei und verzweifelten Gebet nach dir, aber meine Stimme verhallte und brachte das Erz deines Herzens nicht zum Schwingen – ich umfaßte dich in zitternden Flutwellen des Lichts, meine Lippen haben nach den deinen gelechzt, für dich öffnete sich die mystische Rose meines Leibes, aber dein Herz schwieg – ich kroch in deine Träume hinein, ich badete in ihrer Glut meinen lustheischenden Schoß – aber, als du aufwachtest, war der überirdische Zauber meiner Reize von dir gewichen ...
Und immer mächtiger schwoll die Sehnsucht und das Verlangen ihrer Stimme an:
– Faß mich mit deinen Händen um die Hüften, so, ach, so! Reiß mich an dich mit deinen starken Armen, wirf mich hoch auf deine Brust, daß sich mein Haar zur wilden Mähne sträubt in der sengenden Glut deines Geschlechtswillens!
Sieh, sieh!
Ein banges, ein süßes Erschauern ...
Ich werde Körper!
Fühlst du das Pochen meiner Adern? Sengt dich die Glut meines Verlangens?
Schrei auf, schrei himmelhoch auf, laß deinen Willen, das ganze Sein erschauern, daß ich werde!
Er schnellte auf, wuchs hoch, in ihm raste ein Willensorkan und dreimal wiederholte sich ein furchtbarer Schrei:
Werde! Werde! Werde!
Vergebens ...
Ihre Stimme hörte er wieder wie einen letzten, verhauchenden Ton von Engelchören:
– Vergebens: Komm mit mir! Diese Liebe ist nicht von dieser Welt – komm, folge mir dorthin: dort, ja dort werden wir eins sein, nicht hier, nicht hier ...
Seine Seele vereinigte sich mit dem Körper.
Tief, ganz tief in dem dunklen Tal erlosch die Stadt, die letzten Widerklänge stieben auseinander, nur die Erinnerung an die große, an die heilige Nacht breitete ihre Flügel über der Stadt.
Er konnte nicht mehr unterscheiden, was Traum, was Wirklichkeit war – wie ein weitfernes Echo, das irgendwo über den Erdenrand hinaufzukommen schien, hörte er das Tosen der Wasserfälle, sah die ragenden goldenen Turmspitzen der Alkazare.
Er schloß die Augen:
Etwas wie der leise Flügelschlag einer Möwe:
Komm! Oh, komm!
Ein Leuchten wie von einem flüsternden, tonlosen Blitz:
Komm! Oh, komm!
Etwas umfing sein Herz mit zarten, feinen Händen, streichelte und küßte es:
Komm, oh, komm!
Aus seiner Seele riß sich ein schluchzender, sehnender Schrei:
Ich gehe schon, ich gehe!
Und dort in der Tiefe die dunklen Kastanienalleen. Er glaubte zwischen den schwarzen Bäumen ihre lichthelle Gestalt zu sehen.
Und dort in der Tiefe dämmrige, feuchte Kirchen, in denen die Sarkophage von Fürsten und Königen brüteten. Noch fühlte er das Zittern ihres Herzens, ihren heißen Atem, den Pulsschlag ihrer Adern, der ihr Gesicht rot überströmte, als er sie einmal in den dunklen Kreuzgängen getroffen hatte.
Ach in der Tiefe – dort in der Stadt des Wunders hat er sie in seinen Armen wie ein Kind hin und her gewiegt, sie wieder jäh auf seine Brust geworfen, und wieder behutsam gebettet, und rings ergoß sich die goldene Flut ihrer leuchtenden Haare.
Übers Kreuz warf er sich auf den Boden und lag so lange, bis der Schmerz in ihm brach, und in seinem Herzen es still wurde mit einer Stille, die vor der Schöpfung war.
Ruhe, oh, Ruhe!
Die Meere waren gestorben, der Pulsschlag der Erde hörte auf, in den Himmel ragten verkohlte Wipfel erstorbener Palmenbäume und mächtiger Stämme von Faren, über dem unermeßlichen öden Totengefilde der Eismeere lag verstreut die furchtbare Saat von Knochen vorsintflutiger Tiere ...
Stille, taube Stille!
Mit erloschenen Strahlen verband sich der Mond mit der Erde, und es gab keine Hand, die diesen toten Saiten einen Klang entreißen könnte – mit breitem Schoß öffnete sich die Erde, aber es gab kein Licht, das sie befruchten könnte – in der atmosphärenlosen Unendlichkeit hängen reglos entsetzliche Sterne wie kalte Globen aus Messing, und die Sonne, kohlenschwarz, verreckt aufgefressen von ihrem eigenen Feuer.
Und in dieser gräßlichen Stille erhob sich von neuem die Sehnsucht in ihm, eine unsagbare Sehnsucht nach der, die er einst besessen, wieder verloren, die er aus der Mutterscholle seiner Seele wieder zum Leben auferwecken, Blut seines Herzens in sie ergießen und seinen Willen ihr als Rückenmark geben sollte ...
Aus seiner eigenen Adamsrippe sollte er sie schaffen, aber er vermochte es nicht.
Mit ganzer Kraft sehnte er sich nach der, die er hienieden nicht mehr schauen durfte. Die Nacht des Wunders, die er mit ihr durchkostet, breitete sich zu einer Ewigkeit – eine Ewigkeit lebte er mit ihr zusammen, eine Ewigkeit unendlichen Glücks.
Und er sprach zu ihr:
O ihr meine Augen –
so oft ergoß sich meine Seele in eure dunklen Untiefen, einem Sterne gleich, der in die Abgründe der Ozeane sich herabstürzt –
noch einmal saugt auf meinen Gram und meinen Schmerz – mag er in eurem Schlund versinken wie ein Lichtstrom unsichtbarer Sterne in den raumlosen Weiten der Unendlichkeit, –
o ihr meine Augen!
O du mein kostbarer Mund,
so oft irrte seine stumme Trauer auf meiner Brust, biß sich seine Verzweiflung in mein Fleisch, sein Zauber sättigte meine Seele mit dem süßen Gift unsäglichen Verlangens – so oft öffnete er sich zum keuchenden Liebesgeflüster, zu unzüchtigen Schreien, zu wilden Lästerungen, –
einmal noch öffne sich der wundersame Kelch, einmal mag er noch seinen gespenstischen Zauber in mich ergießen,
o du mein kostbarer Mund!
O du mein geliebtes Haupt,
so oft hab ich dich an meinem Herzen geborgen, so oft sankst du an meine Schultern in meiner wilden Umarmung, warfst dich zurück, versengt von der Glut meines Verlangens, fielst ohnmächtig in zuckenden Liebesschauern auf die Kissen –
einmal noch verbirg dich an meinem Schoß, gieß über mich die Sternenflut deiner Haare
o du mein geliebtes Haupt, oh du goldener Strom deines Reichtums!
In dem Tal zu seinen Füßen brütete die schwarze Nacht – nur ein winziges Licht flackerte wie der letzte Funken einer verlöschenden Fackel.
Er verzweifelte nicht mehr. Denn er wußte, daß er zu ihr gehe, mit ihr eins werde in dem Ewigkeitsschoß, aus dem er und sie entstanden sind.
Keine Verzweiflung mehr, nur eine kranke, sinnlose Sehnsucht nach diesen Augen, die ihre Sterne in die Abgründe seiner Seele mit solcher Liebe im Schmerz eintauchten und nach den Händen, die ihre Tausende von verhängnisvollen, schicksalschweren Linien in sein Gesicht gruben, nach dem traurigen Lächeln, das mit brütender Schwere sich um die Lippen legte ...
Es geschehe!
Er und sie sollten zum Urschoß zurückkehren um zu einer heiligen Sonne zu werden.
Eins und unteilbar sollten sie werden,
und alle Geheimnisse nackt und gelöst mit ihren Augen schauen
und in gottewiger Klarheit alle Ursachen und Ziele durchdringen und sie leiten
und alle Erden und jegliches Sein beherrschen
in dem Gottgefühl: Er-Sie!
Androgyne!
Es umfloß ihn der Glanz ihrer feinen, weißen Hände, ihn durchströmte der Duft ihres Körpers und in seiner Seele jauchzte das verlangende, lockende Geflüster:
Komm Geliebter, komm!
Und er ging mit einem gewaltigen Todestriumph in seinem Herzen, dort wo im Mondesglanz der siebenarmige See schimmerte – ging still und groß und wiederholte nur mit unendlicher Liebe:
Ich gehe, ich komme!