Stanislaw Przybyszewski
Totenmesse
Stanislaw Przybyszewski

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Stanislaw Przybyszewski

Totenmesse

Motto: Fismoll-Polonaise
Op. 44.
Friedrich Chopin


Meinem Freunde,
dem Dichter
der »Verwandlungen der Venus«
Richard Dehmel
gewidmet.

Einen von den Unbekannten, von den im Dunklen und in Vergessenheit lebenden »Certains« führe ich hier vor.

Er ist Einer von denen, die auf dem Wege hinknicken, wie kranke Blumen, – Einer von dem aristokratischen Geschlechte des neuen Geistes, die an übermäßiger Verfeinerung und allzu üppiger Gehirnentwicklung zu Grunde gehen.

Wie ich in der Serie »Zur Psychologie des Individuums« durchaus keine Kritiken schreiben wollte, sondern einzig und allein die jüngste Evolutionsphase des menschlichen Gehirnes zu untersuchen beabsichtigte, ihre feinen und feinsten Wurzelfasern zu beschreiben, ihre Zusammensetzung zu analysieren, ein Totalitätsbild dessen zu geben, was noch unklar und verschwommen, nichtsdestoweniger immer energischer in den verschiedensten Äußerungen des modernen Lebens sich kundgibt: so auch in dieser Erzählung.

Es sind zumeist nur feine Spuren, die sich bis jetzt verfolgen lassen, zumeist nur Schattenstreifen, die eine Monomanie, eine Psychose in die Zukunft wirft; aber das sind die geknickten Zweige in der finsteren Wildnis, die zur vorläufigen Orientierung genügen.

Man erschrecke nicht vor den Neurosen, die am Ende doch den Weg bezeichnen, den die fortschreitende Entwicklung des menschlichen Geistes einzuschlagen scheint. In der Medizin hat man sich schon längst abgewöhnt, beispielshalber die Neurasthenie als eine Krankheit zu betrachten; sie scheint vielmehr die neueste und absolut notwendige Evolutionsphase zu sein, in der das Gehirn leistungsfähiger und vermöge der weit größeren Empfindlichkeit viel ausgiebiger wird.

Wenn auch die Neurose vorläufig noch tief den Organismus schädigt, so ist das weiter nicht schlimm. Gegen das Gehirn ist die sonstige körperliche Entwicklung zurückgeblieben, aber es dauert nicht lange: der Körper wird sich anpassen, das wunderbare Selbststeuerungsgesetz wird in Funktion treten, und was heute neurasthenisch heißt, wird sich morgen die höchste Gesundheit nennen.

Grade in den Neurosen und Psychosen liegen die Samenkeime eines neuen, bis jetzt noch nicht klassifizierten Empfindens; sie sind es, in denen das Dunkle sich mit der Morgenröte des Bewußtseins rötet und die unterirdischen Riffe sich über das Niveau der Meeresfläche heben.

Wenn auch manches »cent fois grandeur naturelle« erscheint, so schadet auch das nichts! Was groß ist, kann besser gesehen werden; für den Psychologen kann solche Größe nur willkommen sein.

Einen Unbekannten, Einen »vom Wege« habe ich aufgelesen. Die Menschen, die ich analysiere, brauchen durchaus nicht literarische »Größen« zu sein; aus dem Empfindungsleben eines fein konstruierten Alkoholikers, eines Monomanen, der an Schreckbildpsychose leidet, kann man tiefere und feinere Rückschlüsse auf die Psychologie der Zeit, auf die Natur einer wirklich individuellen Veranlagung gewinnen, als aus den Werken manches großen Literaten.

Zumeist sind es die großartigsten Offenbarungen des Intimsten und Innersten der Menschenseele; zuckende Blitze sind es, die in das große Unbekannte, in das fremde Land des Unterbewußten ein grelles, wenn auch momentanes Licht werfen.

Daß diese »Certains«, diese geistigen Sachsengänger, die überall und nirgends ihre Heimat haben, zu Grunde gehen, ist weder befremdlich, noch traurig. Sie sind vielleicht der einzige Luxus, den sich die Natur jetzt noch gestattet. Die Seele ist ihr großes Meisterwerk, aber sie schafft und experimentiert noch immer an ihm, noch immer schafft sie neue Versuchsformen, bis sie eines Tages doch vielleicht das große Übergehirn erschafft, nach dem es sie gelüstet.

Der Psychologe hat selbstverständlich das unumschränkte, unbegrenzte Recht, ein solches Experimentierobjekt mit derselben Freiheit zu behandeln, mit derselben Ruhe, mit demselben Jenseits von Gut und Böse, wie es beispielshalber dem Botaniker ohne Widerrede eingeräumt wird, wenn er eine neue Spezies behandelt. Von diesem Rechte habe ich Gebrauch gemacht.

Die Erzählung, in der dies individuelle Leben speziell in Rücksicht auf den Geschlechtswillen untersucht wird, ist in der Ichform geschrieben, weil man in ihr den intimsten Puls am besten erfassen, das leiseste Zittern des neuen, aus den Plazentahüllen des Unbewußten sich sehnenden Geistes am deutlichsten vernehmen kann.

Berlin, Pfingsten 1893.

 

Am Anfang war das Geschlecht. Nichts außer ihm – alles in ihm.

Das Geschlecht war das ziel- und uferlose απειρον des alten Anaximander, als er Mir den Uranfang träumte, der Geist der Bibel, der über den Gewässern schwebte, als noch nichts war außer Mir.

Das Geschlecht ist die Grundsubstanz des Lebens, der Inhalt der Entwicklung, das innerste Wesen der Individualität.

Das Geschlecht ist das ewig Schaffende, das Umgestaltend-Zerstörende.

Es war die Kraft, mit der Ich die Atome aufeinander warf, – die blinde Brunst, die ihnen eingab, sich zu kopulieren, die sie Elemente und Welten schaffen ließ.

Es war die Kraft, die den Äther in namenlose Sehnsucht brachte, seine Teile Welle in Welle zu kuppeln, sie in heiße Vibrationen stürzte und zu Licht werden ließ.

Es war die Kraft, die den elektrischen Strom in sich zurücklaufen, Dampfmoleküle an einander prallen ließ, – und so ist das Geschlecht Leben, Licht, Bewegung.

Und das Geschlecht wurde maßlos geil. Es schuf sich Fangarme, Trichter, Röhren, Gefäße, um die ganze Welt in sich hineinzuschlürfen; es schuf sich einen Protoplasmaleib, um mit unendlicher Fläche zu genießen; es sog alle Lebensfunktionen in seinen gierigen Schlund hinein, um sich zu befriedigen.

Und es wälzte sich dahin in endloser Evolution und konnte nicht ruhen; und es streckte sich aus in zahllose Formen und konnte sich nicht befriedigen. Es raste nach Glück im Trochiten, es wieherte nach Genuß in der ersten Metazoë, als es das Urwesen in zwei Teile zerriß und sich selbst in zwei Geschlechter spaltete, grausam, brutal, zur gegenseitigen Zerstörung, nur um ein neues, raffinierteres Wesen zu schaffen, das eine kompliziertere Befriedigungsorgie für die ewig hungrigen Dämonen seiner Wollust erfinden könnte.

Und so schuf sich das Geschlecht endlich das Gehirn.

Das war das große Meisterwerk seiner Wollust. Es fing an ihm zu kneten und zu winden an, und drehte an ihm, und stülpte es aus in Sinnesorgane, zerteilte Das, was ganz war, in tausend Modifikationen, differenzierte Gemeingefühle zu distinkten Sinneseindrücken, zerschnitt ihre Verbindungen unter einander, daß einer und derselbe Eindruck in verschiedenen Sensationen kostbar würde, daß die einheitliche Welt als fünf- und zehnfache Welt erschiene, und wo früher eine Kraft sich sättigte, wühlten nunmehr tausende.

Das war die Geburt der Seele.

Das Geschlecht liebte die Seele. An seiner hermaphroditischen Brust ließ es die Gehirnseele erstarken; es war für sie die Aorta, die von dem Herzen des Allseins ihr das Lebensblut zuführte; es war für sie die Nabelschnur, die sie mit der Allgebärmutter verband; es war der Linsenfokus, durch den die Seele sah, die Skala, in der sie die Welt als Ton, der Umfang, in welchem sie die höchste Lust, den höchsten Schmerz perzipierte.

O – das arme, dumme Geschlecht! und die undankbare Seele!

Das Geschlecht, das sich durch Mich ins Allsein objektivierte, das zum Lichte wurde, das sich die Seele schuf, ging an dieser Seele zu Grunde.

Was Mittel sein, was dienen sollte, wurde Selbstzweck, wurde Herrschaft. – Die Sinneseindrücke, die eine neue Zuchtwahl einleiten, neue Gattungen bilden sollten, fingen an, autonom zu werden.

Die distinkten Sinne fingen sich zu mischen an, das Oberste wurde zum Untersten, Ton zur Farbe, Geruchserregung zur Muskelempfindung, die Ordnung wurde zur Anarchie, und ein wütender Kampf zwischen Mutter und Kind begann.

Sie wollte es bemeistern, unterjochen; sie spannte um ihr Kind die Mutterkrallen, sie riß an ihm, band es an sich fest mit tausend Lüsten, tausend geilen Fäden, sie warf es auf das Genital- und Zeugungstier – das Weib; sie überflutete seine Augen mit Blut und stumpfte sein Gehör ab, und dämpfte seine Stimme zum heißen keuchenden Liebeszischen, und brachte seine Muskeln in Krämpfe, und ließ Wollustschauer wie bebende Schlangen über seinen Körper kriechen, – aber nichts, nichts konnte helfen.

Die kleine Bakterie fraß den Leukozyten auf.

Vergebens ließ er alle seine Lebenssäfte auf den Punkt zusammenströmen, wo die Bakterie saß und um sich fraß, vergebens warf er seinen Kern in seine satanische Braut, sie mit seiner Lebensachse zu zerstören; der Kern zerbirst, reißt auseinander, er zerfällt in seine Granula, und die höchste Lebensfunktion, die Allmutter alles Seienden, die Erschafferin der Lebewesen, der Vatersame jeglicher Entwicklung, ist tot.

Der Leukozyt stirbt.

Huh! Das war die Brautnacht, die blutschänderische Brautnacht des Geschlechtes mit der Seele, das Hohe Lied von der siegenden Bakterie.

Und die Seele wurde krank und welk und siech.

Eigenhändig hat sie sich von der Gebärmutter losgerissen, die Aorta unterbunden, die Kraftquelle versiegen lassen.

Sie lebt, – ja, sie lebt noch, weil sie sich sattgefressen hat am Geschlechte; sie zehrt noch an dem Inhalt, den das Geschlecht ihr gab. Sie produziert Formen und Töne, die sonst nur der Fortpflanzung dienten; sie kann sich noch Halluzinationen schaffen, die sonst nur die Sexualsphäre reizten; sie kann sich in eine Ekstase versteigen, die dem Größenwahnsinn des Geschlechtes gleicht, wenn es wähnt ein fremdes Wesen in sich aufgehn lassen zu können. Aber alles, was sie so auf eigene Faust erzeugt, ist nur Luxusfunktion, wie die Kunst nur Luxusfunktion des Geschlechtes ist, und ist steril, was die Kunst nicht ist, weil in ihr der mächtige Pulsstrom des lebendigen Geschlechtes, der fieberheiße Samengolf des Lichtes, des Willens nach persönlicher Unsterblichkeit erzittert.

Und so muß die Seele untergehen; so muß die siegende Bakterie an dem resorbierten Leukozyten sterben.

Aber ich liebe die heilige, große Funktion, in die sich mein Geschlecht verflüchtigte und sublimierte: meine große, sterbende Seele, die mir mein Geschlecht geraubt hat und es auffraß, um daran zu sterben.

Und so muß ich untergehen an meinem zerfallenden, in tausend übergeschlechtliche Sensationen zerbröckelten Geschlecht.

Ich muß untergehen, weil die Lichtquelle in mir ausgetrocknet ist, weil ich das Schlußglied bin in der endlosen Kette der Entwicklungstransformationen meines Geschlechtes, weil die Wogen dieser Geschlechtsevolution nicht über mich hinauskönnen, weil ich der weiße, sturmgepeitschte Schaum bin auf dem Kamme ihrer letzten, brandenden Woge, die sich bald am Strande zerschlagen wird.

Ich muß untergehen, weil meine Seele zu groß wurde und zu schwanger mit meinem Geschlechte, als daß sie einen neuen, leuchtenden, morgenbrünstigen, zukunftsfrohen Tag gebären könnte.

Und so muß ich an der sterilen Schwangerschaft meiner Seele zu Grunde gehn.

Aber ich liebe auch mein totes Geschlecht, dessen Reste meine Seele aufzehrt; ich liebe diese letzten Blutstropfen meiner Individualität, in denen sich das Ursein widerspiegelt in seiner ganzen Majestät, in seiner Untiefe und Abgründigkeit, blaß und schwach; ich liebe das Geschlecht, das meine Gehörseindrücke mit den wunderbarsten Farben färbt, Geschmackshalluzinationen auf die Sehnerven leitet, epidermale Eindrücke zu visionären Ekstasen werden läßt, – und ich liebe meine Krankheit, meinen Wahnsinn, in dem so viel von doktrinärem, raffinierten, höhnenden, mit ernster, heiliger Miene höhnenden System sich offenbart.

*

Ich bin ganz ruhig – und sehr, sehr müde.

Nur tief, ganz tief, schmerzt mich etwas. Es ringt etwas nach Gleichgewicht; oder vielleicht, ja, vielleicht ringt es in der letzten Agonie.

Etwas ist verloren gegangen; der mystische Oszillationspunkt, auf den sich alle meine Kräfte beziehen. Er wurde aufgehoben durch tausend andere Kraftzentra, und das Einheitliche zerfiel in tausend Scherben.

Meine Gedanken nehmen etwas Eigenwilliges an, sie gehen und kommen spontan, willkürlich, zügellos.

Manche erscheinen mir wie rötliche Phosphoreszenzen um einen tiefvioletten Heiligenkranz, wie man die Interferenzen der Gaslichtlaternen im Regenwetter durch die trüben Scheiben sieht, ganz weich und flüchtig. Manche kommen mir vor wie ein langer Lichtstrahl, der auf eine wellengekräuselte Wasserfläche geworfen wird; irgendwo in der Tiefe spiegelt er sich wider, in Millionen Lichtflecke zerbrochen, die sich auf den Wellen wiegen, umarmen und küssen in einer überirdischen Reinheit, Keuschheit und Ewigkeit.

Andere wachsen ins Riesenhafte, Ungeheure, Exotische aus. Mein Gehirn, das bisher nur in europäischen Dimensionen zu denken gewohnt war, umspannt jetzt die gewaltigen Formen der Tempel von Lahore, kombiniert die ägyptische Sphinx mit dem chinesischen Drachen; es schreibt mit den furchtbaren Massen, aus denen die Pyramiden entstanden sind, es denkt in dem vollen, majestätischen Sanskrit, wo jedes Wort ein lebender Organismus ist, der durch einen mystischen, pangenetischen Vorgang zu einem Wesen wurde, einem riesigen Geschlechtsorgan mit unermeßlicher Zeugungskraft, das alle Sprachen, alle Gedanken gezeugt hat: eine Synthese von Logos und Kâma – das Wort des Johannes, das zum Fleische wurde.

Und ich schwelge dann in wüsten Raumphantasien. Ich bin ein assyrischer König, mit himmelstürmender Tiara und grellen, lichtgewobenen Brokatkleidern; auf dem Sensenwagen schwebe ich dahin über der europäischen Misere mit einer Macht und grandiosen Herrlichkeit, die einst die Sklaven auf ihr Angesicht in Staub und Kot geworfen hat.

Ja: ich liebe die babylonische, schweigsame Majestät, wo die Worte teuer und kostbar waren, weil sie einen schauerlichen Geburtsakt kosteten.

Ja: ich liebe die titanische, naive Gewalt des Machtbewußtseins, die den Göttern höhnt, die über Menschen herrscht und all Getier, die das Meer peitschen ließ und in unbekannte Länder Fesseln mit sich führte.

Ja: ich liebe den Wahnsinnstrotz, den granitharten, drachenzahngeborenen Stolz des biblischen Menschen, der dem grausamen Gotte höhnend mit dröhnendem Lachen sein erstes Satan-Jehovah zuruft und einen Felsen aus der Erde reißt, um ihn gegen den Himmel zu werfen, gegen die eherne Stirn des furchtbaren Mörders, der seine selbsterschaffene Brut geißelt für die Sünden, die er selbst ihr eingeimpft hat.

Und ich fühle, wie mir die Pupille das Auge überflutet, wie mein Körper sich reckt, wie die Brust mit doppelter Lungenkapazität sich dehnt und die furchtbare, heilige Mitrasstille sich auf mein Antlitz legt.

Und dann kommt der gigantische Augenblick, wo ich Sensationen empfinde mit einer Fläche von tausend Quadratmetern, wogegen diese paar Kubikzentimeter Blut, mit denen ich Sauerstoff absorbiere, eine lächerliche Kleinigkeit sind, – wo ich die Wiedergeburt aller Völker und Kulturen in mir feiere, – wo ich mit unaussprechlicher Liebe das kindische Konglomerat von grellsten Farben auf einem ägyptischen Friese und die höchste technische Farbenvollkommenheit irgend eines Franzosen genieße, – wo mir das lächerliche Tam-tam eines Negerliedes neben der kompliziertesten Chopin'schen Sonate als gleicher Genuß gilt, – wo sich alle meine Sinne durchdringen wie in einer Xenophanischen Gottheit oder wie in einer Molluske, die nur mit einem Organe alle Sinneseindrücke aufnimmt.

Und wenn der Raum entweicht, – wenn alles um mich einstürzt, wie Wellen in ein Loch, das ein Kind mit einem Steine in die Wasseroberfläche einschlägt, – wenn die Herrschaft über meine Muskeln aufhört und ich Haut- und Muskelsinn verliere und nicht mehr weiß, ob ich da bin, – wenn tausend Jahre in mir rückwärtsfluten und ich auf Augenblicke meine nackte Individualität, mein sterbendes Geschlecht zurückgewinne, daß ich in das Ursein sinke, mich als Uratom begreife, der sich selber begatten will, und den Puls des Allseins sich in meine Adern gießen fühle: dann empfinde ich ein namenloses, tiefes, unendliches Glück, weit und tief wie die Atmosphäre, die sich über die Welt gelagert hat.

Ich begreife sehr gut, daß es das Ende ist. Ich weiß, daß es Desintegrationen der Empfindungen, schwere Muskel- und Innervationsstörungen sind. Aber was geht das alles Mich an!

Ich will untergehen.

Und wenn auch meine Empfindungssphäre sich völlig von meinem Willen emanzipierte, wenn meine Seelenzustände nur zur Hälfte gedeihen, – eine wirre Menge von Gedanken, ein zerfasertes Netz von Gefühlen, jeder motorischen Energie von Grund aus bar: so genieße ich dafür in Mir das wunderbare, mikrokosmische Bild einer titanischen Weltanschauung! –

Ich, das Subjekt, bin nur in der Empfindung; ich kenne mich nur in der Empfindung; ob die zum Willen wird, ist furchtbar Nebensache.

Ich kenne nichts außer meiner Empfindung, und ich kenne vor allen Dingen keine Kausalität, nur Aufeinanderfolge meiner Empfindungen; ob sie logisch sich abwickeln oder nicht, das ist nicht meine Sache.

Mein Subjekt sitzt einfach auf dem Isolierschemel. Es ist das Gravitationszentrum, um das das illusorisch Seiende oszilliert; es guckt durchs Mikroskop oder, je nachdem, durchs Fernrohr; und in der Souveränität Meines Subjektes erlaube Ich Mir zu denken, daß alles nur ein Traum ist und das »Wirkliche« nur eine besondere Form des Traumes und Ich mir selbst so fremd wie Euch.

Und Euretwegen, die ihr gar vielleicht nicht existiert, ihr Hirngespinste meiner geschlechtsschwangeren Seele: Menschenkinder, euretwegen sollte ich leben?

Etwa weil ich der Menschheit etwas schuldig bin, weil ich »doch nun einmal da bin«?

Ha, ha, hah! Mais rassurez vous: Ich liebe euch alle –

euch, die ihr nichts zu sein vermögt, als die autonomen Geschlechtsorgane der Argonauten, die sich in der Brunstperiode vom Mutterleib ablösen und auf eigene Faust das Weibchen suchen;

und euch, die ihr euch in ständiger geschlechtlicher Innervation befindet, euch Künstler nennt und eure Wollustideale produziert;

und euch, die ihr ewig lauert auf Erwerb für eure fortgepflanzten Spermatozyten, was ihr Liebe zur persönlichen Unsterblichkeit benamst;

und euch, die ihr maßlos verschwenderisch seid; denn in eurer Narrheit waltet die dumme Grandiosität der Geschlechtsnatur, die fünfzehn Millionen Spermatozyten braucht, um ein lächerliches Eichen zu befruchten;

oh! ich liebe euch alle, und ich bedauere euch, weil ihr leben müßt und der Misthaufen seid, dem neue Zukunft entsprießen soll, weil ihr Mittel seid und Genitalorgane des Geschlechtes und euch verpflichtet fühlt für andere zu leben.

Ich bin für mich allein!

Ich bin Anfang, weil ich die ganze Entwicklungsreihe in mir trage, und bin Ende, weil ich ihr Schlußglied bin.

Allein mit meinen Empfindungen.

Ihr habt noch eine Außenwelt; ich habe keine, ich habe nur Mich.

Ich bin Ich.

Ich, die große Synthese von Christus und Satan, der ich mich selber auf den Berg führe und in Versuchung bringe und mich übertölpeln will.

Ich, die Synthese von trunkenster Begeisterung und kalt berechnetem Raffinement, die Synthese vom gläubigsten Urchristen und höhnisch grinsendem Unglauben, ein mystischer Ekstatiker und satanischer Priester, der mit gebenedeietem Munde die heiligsten Worte und obszönsten Blasphemien im selben Augenblick verkündet.

Und in diesem Augenblicke habe ich eine Lichtempfindung, wie wenn ein ganzes Meer von Purpurrot aus halbgeronnenem Venenblut über den Himmel ausgegossen wäre, und in den Ohren einen schneidenden, sauren Ton in der Applikatur, wie wenn ein Folterknecht mit einer Säge durch eine Glasplatte schnitte –

O qualis artifex pereo!

*

Du bist wie ein schwacher, matter, silberner Lichtstrahl, den ein Hüttenfenster in einer lauen Herbstnacht auf die Wiese ausgespien hat über das nasse, weiche Nebeltuch, das mit brünstiger, lustsatter Müdigkeit auf dem Grasteppich lagert. Über die Nebelfläche wiegt er sich wie eine zögernde Welle Licht; wie Glockentöne zum Ave-Maria fließt er rein, golden, allmählich verklingend, und lange hallt er nach und gießt sich in den Körper mit matter, kranker Ruhe.

Du bist wie die blaue Morgenstunde, wenn der Osten sich zu röten und Licht auszuatmen beginnt. Die ganze Welt sättigt sich mit den dunklen Osternachtmysterien der Auferstehung, sie taucht unter in der blauen Seligkeit des Himmels, sie zerfließt in dieser Atmosphäre kalten, flüssigen Damaszenerstahls, und plötzlich brennt sie auf, in weitem, tiefem violetten Farbenmeer, das die ersten, melancholischen, traummüden Lichtkolumnen entfachen.

Und alles ist tief und blau und heilig.

Um deine Augen war es wie Protuberanzenschein bei Sonnenfinsternissen, wie eine Phosphoreszenz der Fäulnis, und sie glühten wie zwei tiefe Sterne einer schwarzen Herbstnacht in den Abgrund meiner Seele hinein.

Um deine Mundwinkel feine, weiche Interferenzlinien, die mich an meinen heimatlichen See erinnerten, an die klare, stille Wasserflut, wenn ich sie mit dem Ruder bewegte.

Deine Stimme kam zu mir, wie wenn sie über das grüne Meer mit dem Frühlingswinde hergeweht wäre, und ich höre sie fortwährend als ein aufgelöstes, in Schallatmosphäre transformiertes Lichtmeer, das mich beständig umfließt mit unendlich feinen, distinkten Wellenschwingungen.

Ich gehe wie eingehüllt in sie, und meine Gedanken fließen auf und nieder auf der wogenden Rhythmik dieser Stimme mit der weichen – frauenhändeweichen Dominante in Cismoll.

Als ich dich das erste Mal erblickte, war es mir, als ob ich meine Individualität in ihrer mystischen Nacktheit gesehen hätte.

Du warst für mich die Offenbarung meines höchsten Schauens; in Dir war das Rätsel meiner höchsten ästhetischen Sehnsucht gelöst.

Du warst die Geschichte meiner Entwicklung, meine sexuelle Vergangenheit. Ein Stück Palingenesis warst du von mir; in uns beiden hat sich die gemeinsame Uridee, die gleiche Woge der Geschlechtsevolution objektiviert.

Und so mußte ich deine Formen, deine Bewegungen lieben, so mußte mich die Stimmung, die du strömtest, berauschen, weil mein Geschlecht mir meine Seele auf dich eingerichtet hatte, daß sie dich zum Fraße ihm zuführe, zum Molochopfer überliefere.

Du warst wohl ursprünglich mein höchstes sexuelles Ideal; doch seitdem sich meine Seele autonom erklärte und mein Geschlecht erwürgte, konnte ich dich nur noch mit den Sinnen meiner Seele lieben, ihre Werkzeuge auf dich richten, dich mit meinen Augen trinken, den Tonfall deiner Sprache streicheln, meine Muskeln innervieren lassen durch die verschwimmenden Linien deines Körpers in eine unendliche Weichheit.

Und ich habe dich genossen in ewiger Qual und namenloser Sehnsucht. Es war, wie wenn ich eine Art physiologischen Amöbenbewußtseins empfangen hätte und den Augenblick in mir verspürte, als die Amöbe sich teilte, die Hälfte ihres Kernes zum neuen Wesen werden ließ, dieses verloren hatte und sich nun in brütender, qualvoller Sehnsucht nach ihm sehnte.

Es war, wie wenn ich mich als Hermaphroditen fühlte, mich selbst parthenogenetisch befruchtet hätte, ein Weibchen nach meinem Urbilde schuf, das aber fremd und Nicht-Ich wurde.

Und ich sehnte mich nach dir immer und ewig, ich sehnte mich nach jenem Augenblicke, als du Eines mit mir warst, bevor ich mich in Deinem Körper objektivierte.

Ich sehnte mich in heißem Fieber nach dem Werdeprozeß, wie die Formen Meines Geistes sich in deinen Körper kleideten, die Zuckungen meiner Muskeln dich ins Leben leiteten, wie du nach dem Muster meines Geistes wurdest und ein neues Wesen begann.

Ich liebe dich, wie die untergehende Sonne das Roggenfeld an Sommerabenden mit den letzten, blutroten Strahlen liebt; ich scheide ungern von dir, wie die Sonne von der Erde scheidet mit Weh und Sehnsucht, weil sie das heilige Mysterium der Nacht nicht sehen kann.

Das Mysterium der Nacht und des Abgrunds – in Dir wollte ich es sehen. Ich griff nach ihm mit fiebernden, qualstöhnenden Fingern; wie feine Lanzettenspitzen grub ich sie in deine Tiefe, und immer entschlüpfte es mir, glitt tiefer, verschwand.

Das Grundelement verflüchtigte sich in tausend Sublimationen, und mein Geist rang und krümmte sich in wilder Qual, dich wieder in sich aufzusaugen, dich aufzulösen in seiner brünstigen Hitze wie ein Stück Metall – Dich, seine verlorene Kernhälfte.

Und so bliebst du mir fremd, weil nur mein Geschlecht dich wiedererkennen könnte; das lebendige, nackte Geschlecht, das in mir tot ist.

Tot ist Das, was war, bevor ich wurde, was deinen Entstehungsprozeß sah, was ihn vielleicht veranlaßt hat, was durch endlose Formen sich bis zu mir hindurchgerungen hatte, was einst keine katoptrischen Instrumente brauchte, um zu sehen, kein Cortisches Organ, um zu hören.

Ich liebte dich nur mit meiner Seele, mit der skeptischen, kranken Seele, die dich als klein, mir unterlegen, meine Magd und Sklavin empfand.

Ich liebte deine Lüge, weil ich selbst verlogen bin.

Aber während Deine Lüge ein paar lächerliche Liebhaber an der Nase führen konnte, schuf Meine Lüge die wunderbarsten wissenschaftlichen Hypothesen, schuf neue Welten, schuf Poesie, zwang den Menschen neue Gedanken, neue Gesittung auf, vollbrachte die ganze Kulturarbeit.

Ich liebe dein Verbrechertum, weil ich selbst Verbrecher bin.

Aber während Du als Verbrecher höchstens Prostituierte, Diebin und Kindesmörderin werden konntest, habe Ich als Verbrecher neue Gesetzestafeln geschrieben, alte Religionen vernichtet und neue entsponnen, Völker von der Erdkarte weggestrichen, der Erde die Eingeweide herausgerissen: Ich, der nimmersatte, ewige Verbrecher, der Erreger des Stoffwechsels in der Geschichte, der Geist der Evolutionen und Zerstörungen.

Ich liebe dein Geschlecht, das dich brünstig und empfänglich machte; du warst der Maßstab für die Stärke meiner Muskelkraft, mit deinem Gebärmuttergehirn hast du mein Geschlecht begriffen, mich in meiner Nacktheit gesehen, mich vor mir selbst entkleidet und das Rätsel meines Seins entwirrt.

Und das ist deine Stärke.

Das, was ich nicht konnte.

Deshalb liebe ich deine Lüge und dein Verbrechertum, weil sie deine Geschlechtsfunktionen sind, mit denen du den Weltgeist in mir faßtest und dich an ihm festsaugtest und ihn auf dich wirken ließest, um ihn doch vielleicht der neuen Zukunft, die deinem Schoß entsprießen sollte, dienstbar zu machen.

Vor meinen Augen steigen Bilder namenloser Qual auf, die ich mit dir verlebte.

Erinnerst du dich wohl, wie du im ekstatischen Aufschwung deines starken Geschlechtes mich tief, schmerzlich tief, in dich hineinpreßtest?

Von unten empor drangen Tonwellen irgend einer Musik in mein Zimmer herauf; durch grünen, dichten Abat-jour ergoß die Lampe mattes Krankenbettlicht, und ich fühlte, wie durch irgend einen Vorgang die Zuckungen deines Körpers sich mir mitteilten, wie sie auf meine Blutbahnen wirkten und das Herz in kleineren Zwischenräumen das Blut in die Gefäße speien ließen und in meinem Gehirne lange, lange nicht betretene Pfade in Erzitterung gerieten.

In diesem Augenblicke fühlte ich Glück.

Ich horchte gespannt, wie die geschlechtlichen Elemente sich summierten, wie eine schwache Welle sich in meinem Körper fortpflanzte, die immer stärker wurde, immer weitere Interferenzkreise um sich zog; ich fühlte, wie mein Kehlkopf sich zusammenschnürte und banale Liebesworte stammeln wollte, wie mein Bewußtsein immer schwächer wurde, immer geringeres Verständnis für die inneren Vorgänge hatte, – aber da plötzlich hat dein Körper sich in eine schiefe, gebrochene, unanständige Linie gekleidet, und im Momente stürzte das mühevolle Werk intensesten Wollustschmerzes zusammen, das Gehirn packte mit eisernen Raubtierkrallen das Geschlecht und erwürgte es.

Und du lagst da, und betteltest mit deiner Brunst, schweigsam, mit geschlossenen Augen.

Und ich lachte; roh, zynisch, gemein; – lachte, daß ich glaubte, mir würden alle die feinen Blutgefäße in meinen Lungenbläschen platzen.

Du armes Kind! – Deine Gebärmutter hat dich übertölpelt. Aber beruhige dich: du hast mit ihr das Saïsrätsel meines Lebens geschaut.

*

Ich entstamme einer Mischehe zwischen einem protestantischen Bauern und einem katholischen Weibe, das einer alten, verarmten aristokratischen Familie angehörte.

In meinen Erinnerungen dominiert noch immer die schlanke, schmächtige Frau mit dem Carlo-Dolci-Gesicht, in deren Züge Jahrhunderte von Verfeinerung und auserlesenster Zuchtwahl ein unauslöschliches Stigma geprägt hatten.

Sie liebte niemals den Vater; sie heiratete ihn nur deshalb, um bei ihren Standesgenossen nicht dienen zu müssen. Unter endloser Qual hatte sie gelernt, sich seiner Lust hinzugeben; unter tiefstem sinnlichen Ekel, unter der mächtigsten Empörung ihrer blutenden Seele, der nach Rache schreienden Physis wurde Ich geschaffen.

Von Anfang an Schmutz – und Schmutz – und Schmutz.

So weit sich meine Erinnerungen strecken, empfand ich mich immer als etwas Unkoordiniertes, Widerspruchsvolles, Zusammengewürfeltes, das mein Wollen paralysierte und mein Denken durch impotente, aber immerwährende Impulse in steter Reizbarkeit erhielt.

Immer hatte ich etwas an mir, das nicht die geringste Affinität zu anderem in mir besaß. Die heterogensten Elemente lagen als Gemenge nebeneinander, ohne Verbindungen stiften zu können; kleine feindliche Teufel standen sich gegenüber, um sich bei jeder Gelegenheit mit blutigem Hohn zu beschimpfen.

Die Mutter war das große geologische Agens, das die entstehenden Formationen meiner Seele verschob, kantete, auflöste, abnorme Verbindungen bildete und mit ihrem Geiste den ersten giftigen Bildungskeim in die frische Krume legte.

Und dieser Bildungskeim, der zu einem Seuchenherde wurde, aus dem die kranken Sumpfblumen meiner Lebensäußerungen sproßten, das war ja jene unbefriedigte geschlechtliche Sehnsucht; das war ihr eigener abgründiger Zwiespalt zwischen der Gebärmutter und der Seele; – das war, daß ihr Geschlecht von der Seele als etwas Schmutziges weggestoßen werden mußte, weil es einem ungeliebten Manne zum Werkzeug diente.

Ihre Seele sah sich in den Kot getreten, mit brutaler Kraft vergewaltigt, und sie schwang sich empor mit wildem Elan nach etwas grenzenlos Innigem, Reinen, Verklärten, Geschlechtslosen.

Das Geschlechtslose in ihr erzeugte das Geschlechtslose außer ihr, ein Etwas, um das sich alle ihre Gefühle wie um einen kosmischen Kernpunkt gruppierten, in Wärme gerieten, ewig wechselten, in ewigem Fluß verharrten.

Und wenn wohl auch allmählich die Leidenschaft und Wärme ihrer Sehnsucht matter wurde und das große Weh, das diese Sehnsucht belebte, sich verlor, so blieb doch immer etwas, dessen Herkunft sie nicht mehr sagen konnte, das den Zusammenhang mit ihrem früheren Leben eingebüßt hatte, – gleich einer abgeschliffenen, kurrenten Metapher, deren rätselhafte Genesis niemand mehr entwirren kann.

Und mit dieser metaphorischen Sehnsucht imprägnierte sie meine Seele; sie goß sie in jede Nervenfaser, sie schlug sie wie Grenzpflöcke in den Umfang meines Empfindens, und sie machte mich so krankhaft empfindlich, so mystisch verschämt und so maßlos zynisch.

Sie war es, die mich tränkte mit dem Ekel vor dem Geschlechtlichen, die den ersten Zerstörungskeim in die Verbindung zwischen meiner Seele und dem Geschlechte säete, die den Zwiespalt meiner physischen Hereditäten noch tiefer spaltete.

Immer empfand ich mich als den Bauern mit dem ausgesprochenen Rechtlichkeitssinn, der naiven Verschlagenheit, der Neigung zur ruhigen, freudelosen Beschaulichkeit, in der Jahrhunderte starren Protestantentums und mühevoller Arbeit lebten.

Aber neben dem Bauern, der Jahrhunderte lang mit dem Ochsen zusammen, am Pfluge zog, der seinen Rücken vor dem Schloßherrn beugte, dessen Füße platt und dessen Hände schwielig wurden, lebt da in mir der Aristokrat, dessen Ahnen von den Steppen des heiligen Irâns in die europäischen Ebenen zogen und die Autochthonen sich dienstbar machten, – der Aristokrat mit der maßlosen Frechheit und prahlenden Verlogenheit der herrschenden Klasse, der Aristokrat mit der Treibhaushitze des Raffinements, das Jahrhunderte von Züchtung, Herrschaft, Üppigkeit und Nichtstun erzeugen.

Und so mußte das Heterogene aneinanderprallen, so mußte es Krieg geben. So mußten alle Willenshandlungen in mir sich paralysieren:

Niemals gab es in mir Liebe und Synthese.

Ich bin das Urbild alles Zentrifugalen, das Urbild der Auflösung und Zerstörung.

Ich bin die Walpurgisnacht am Hexensabbath der Entwicklung, das Mene Tekel, in dem sich meine Zeit in den letzten spasmatischen Zuckungen austobt.

In jede Nervenfaser drang dieser Zwiespalt hinein, in zwei parallele Nervenströme teilt er jede meiner Sensationen: jede immer Lust und Schmerz zugleich. Sie überfluten einander, sie wollen einander aufreiben, und immer ist die Schmerzempfindung die siegreiche.

Kaum empfinde ich das leise Prickeln eines Lustgefühls, schon höre ich das Klopfen und Hämmern des Schmerzes, und dann tut sich eine wahre Orgie auf, wo die Lust zum Wahnsinn wird unter den giftigen Bissen der Schmerzschlange, eine Orgie von wildem brünstigen Hengstgewieher und stillem, verbissenem, höhnisch grinsendem Lachen eines Janushauptes mit Luzifer- und Erzengel-Michael-Gesicht.

Und diese meine Degenerationserscheinungen werde ich jetzt zu Hilfe nehmen.

Jetzt werde ich die faule Bestie von Geschlecht aus ihrer Höhle an den Ohren zerren, und ihr mit der weißen Eisenhitze meiner Lust den Rücken sengen, und in ihre Sohlen den spitzen Stachel meines Schmerzes keilen, daß sie schreit und tanzen, herrgott tanzen lernt!

Mit den Bildern, die meine kalte, raffinierte Unzucht gebar, werde ich sie stacheln, bis ich mich wieder Mann fühle, ich armer Märtyrer deiner Üppigkeit, du junges Gehirn.

*

Mein Gehirn habe ich auf die grüne Weide geschickt, auf das sterile Moor meiner Heimat; jetzt bin ich ganz Synthese, ganz Konzentration, ganz Geschlecht.

In meinen Armen ruhst du, und es ist Nacht.

Wir küssen uns, daß uns der Atem ausgeht, daß wir in einander aufgehn, wesensgleich werden.

Ich presse meine Lippen in deinen fiebernden Busen, daß meine Brust sich weitet von dem langersehnten, heißbegehrten Glück; ich schmiege deinen Pantherleib so innig an mich an, daß ich dein Herz an meine Mannbrust klopfen höre und seine Schläge zählen kann, daß ich den Blutstrom, der durch deinen Körper rast, an meinem eigenen sich entlang gießen fühle und die Wollustschauer, die deinen Körper durchzucken, meine eigenen werden.

Ich wühle mich in dich hinein; ich fühle, wie sich deine Glieder bäumen in der dionysischen Ekstase eines Wollustkrampfes, wie sie auffahren in dem wüsten Erethismus einer schmerzhaften Lust.

Fester – tiefer – noch tiefer, daß ich deinen unsterblichen Geist packe in dieser unerträglichen Hitze meiner Brunst, in dieser tollen Farce meiner Sinneslust, in dem keuchenden Hallelujah meiner Wollust.

Und jetzt bin ich die Inkarnation des Logos, als er zum Evangelium des Fleisches wurde; jetzt bin ich die allgewaltige Allsexualität, der Verknüpfungspunkt vom Vergangenen und Kommenden, die Brücke zum Jenseits der Zukunft, das Unterpfand einer neuen Evolution.

Nun weiß ich nicht mehr um meine Qual; ich sauge an deinem Geiste; immer tiefer zieh' ich ihn in mich hinein, und in dieser Wesenseinheit und Wesensvertauschung, in dieser Auflösung meines Seins in dem deinigen, in diesem Ineinandergreifen der Räderzähne unsrer tiefsten und intimsten Gefühle, in diesem übermenschlichen, rücksichtslosen, im himmelstürmenden Triumph der Geschlechtsfreiheit aufjauchzenden Willen zur Zukunft und Unsterblichkeit, hab ich deinen Geist mit den zitternden, bebenden Fingern gegriffen.

Ja, ja, ja, ja:

Er zerrann!

Wie Quecksilber zerstäubt er unter meinen Fingern; und da bist du da, – da liegst du in deiner göttlichen Nacktheit, in der Schamlosigkeit deines Geschlechtes, und ich schaue dich an als etwas Fremdes, Weites, Millionen Meilen weit Entferntes, und ich blicke in deine abgründigen Augen, die vielleicht nicht einmal Oberfläche sind.

Aber nein, – nein, – um Gotteswillen nein!

Mit der zuckenden, schauernden, hirnzerrüttenden Leidenschaft, mit der fiebernden Glut, die mein Gehirn durchtobt, mit der ungestümen Kraft meiner lusterstarkten Glieder will ich mich von dem Erdbeben deines Fleisches schütteln lassen, nichts fühlen als die bleiche Hitze deiner Glieder, nichts hören als das jagende Sausen meines Blutes, nichts empfinden als das stechende, brutale Weh des Liebesdeliriums, – ich will aufhören zu leiden in dem Siegesdithyrambus des Geschlechtes, der tosenden Brandung einer schauerlichen Symphonie des Fleisches.

Und sage mir, wie du mich liebst! sag' es unter dem begehrlichen Gezucke deines Leibes, brenn' es mir in meine Glieder, senge es auf meine Lippen, atme es in mich hinein, dies heiße, gierige, ekstatische:

Ich liebe dich!

Sag, sag, sag es mir – wie – wie liebst du mich?

Wie – wie liebst du mich? –

Ha ha ha hah!

Ich brauche deine Liebe nicht – was willst du von mir – ich kann dir ja nichts geben – was sollt' ich mit dir – ich weiß ja nicht, was ich mit dir anfangen soll! –

Steh' auf; zieh' dich an; und bewundere ja mein großes Gehirn, das solche lustige Farce von Pubertäts- und Gymnasiastenliebe in Szene setzen kann.

Ophelia, geh in ein Kloster.

*


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