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Soweit über den Militarismus, wo er sich selbst überlassen ist, im Heere. Suchen wir nun, wenigstens in großen Zügen, zu bestimmen, wie er außerhalb dieser Grenzen das Leben des Volkes beeinflußt, und inwiefern er leider nichts weniger als ein leeres Schlagwort, sondern der sehr reelle und mächtige Gegner des Kulturfortschrittes ist, den wir im Interesse der Nation zu bekämpfen haben.
Die eigentümliche Stellung des Militarismus in der Gesellschaft beruht darauf, daß der größte Teil der männlichen Bevölkerung einige Jahre dem Heere angehören muß und daß das Heer ihn auch nach Erfüllung seiner Dienstpflicht nicht völlig frei zu seinem Berufe zurückkehren läßt, sondern ihn in einer steten, wenn auch losen Verbindung mit dem Militärwesen hält. Noch nicht genug mit dieser auf Gesetz beruhenden Beeinflussung, sucht man auch noch über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus den Einzelnen, der schon frei dem bürgerlichen Erwerbsleben angehören könnte, in militärischen Beziehungen zu halten.
Die Wirkung davon ist die, daß speziell militärische Anschauungen und Rücksichten in alle Stände und Berufsklassen hineingetragen werden. Während die übrigen Stände nebeneinander existieren und sich wohl gegenseitig beeinflussen, aber doch nur im Verhältnis freier Wirkung und 100 Wechselwirkung, durchdringt die Auffassung des militärischen Standes, durch besondere Einrichtungen unterstützt, alle anderen. Überall, wo dann die verschiedenen Auffassungen und Interessen nicht übereinstimmen, beansprucht der Militarismus die Vorherrschaft. Er wird damit zum Gegner aller Stände, die ihre Selbständigkeit behaupten wollen, zum Gegner der bürgerlichen Gesellschaft.
Am auffallendsten ist die Einwirkung und zwar eine tief beklagenswerte Einwirkung des Militarismus in den Kreisen der »guten Gesellschaft«, der besitzenden und gebildeten Klassen. Hier ist das Reserveleutnantswesen das große Mittel der Propaganda und leider oft genug einer gewissen Korruption.
Mit vollem Bewußtsein spreche ich hier nicht nur von Beeinflussung, sondern von Korruption.
Würden die Angehörigen unserer besser situierten Klassen, die Gutsbesitzer, Kaufleute, Industriellen und die Mitglieder der gelehrten Stände nur dadurch, daß sie in das Heer eintreten und dort neue, ihnen bisher fremde Verhältnisse kennenlernen, für andere Anschauungen gewonnen, als sie von Hause mitgebracht haben, so könnte man nur von einem Einfluß sprechen, den der Militarismus auf sie ausübte. – So liegen die Dinge aber offenbar nicht: es ist nicht ein weiterer Blick oder eine tiefere Erkenntnis der Bedürfnisse des öffentlichen Lebens, was in den meisten Fällen unsere jungen Reserveoffiziere zu anderen Anschauungen bekehrt, sondern es ist überwiegend die liebe Eitelkeit und eine würdelose Aufnahme fremder Vorurteile.
Es ist ja eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß der Offiziersstand, der lediglich nach der kulturellen Bedeutung des Berufes gemessen, offenbar hinter den übrigen gebildeten Bevölkerungsklassen zurückstehen sollte, vielfach gesellschaftlich den ersten Platz behauptet. Es ist das z. T. historisch zu erklären, als ein Überbleibsel aus Zeiten niederer Kulturstufe, in denen für die Behauptung der persönlichen Stellung die Waffentüchtigkeit von wesentlicher Bedeutung war. Daß sich dieses Überbleibsel bei uns länger gehalten hat als in anderen Kulturstaaten, liegt z. T. an der Entwicklung des preußischen Staatswesens, in dem eine einseitig militärische Auffassung lange mächtiger gewesen ist als anderswo, – und dann im neuen deutschen Reich an der Nachwirkung des Krieges von 1870. Die glänzenden Erfolge haben dem Militarismus den Wind in die Segel gebracht, und mit großem Geschick hat man sie für seine Herrschaft zu benutzen verstanden. Das Bürgertum aber hat sich in scheuer Ehrerbietung 101 vor ihm verneigt, als ob nicht das deutsche Volk, sondern der preußische Leutnant ganz allein den Krieg geführt hätte.
Genug, der Offizier nimmt jedenfalls bei uns eine bevorzugte gesellschaftliche Stellung ein und durch die Institution des Reserveleutnants wird dem kindischen Ehrgeiz der jungen Leute, an dieser Bevorzugung teilzunehmen, eine bestimmte Richtung gegeben.
Für einen Teil von ihnen gehört es zu den Anforderungen, die sie an sich selbst stellen, daß sie nicht nur in den äußeren Formen das Wesen des Leutnants nachzuahmen suchen, sondern daß sie auch bestrebt sind, sich seinen Anschauungen möglichst anzupassen. Unterwürfigkeit und Nachahmungstrieb, die von dieser Eitelkeit angestachelt werden, beeinflussen ihre Anschauungen. Diese letzteren sind dann also nicht innerlich erarbeitete Überzeugungen, sondern äußerlich angenommene Meinungen, die nun einmal dazu gehören, wenn man sich der militärischen Auszeichnungen würdig machen will, ebenso wie militärische Haltung und ein gewisser, selbstbewußter Ton.
Häufig genug läßt gedankenlose Oberflächlichkeit gewiß gar nicht zum Bewußtsein dieser charakterlosen Unterwerfung kommen, häufig aber mag sich doch dahinter ein schlechtes Gewissen rühren, das durch eine um so rücksichtslosere Behauptung der angenommenen Haltung betäubt werden muß.
Der richtige Reserveleutnant hat sich ganz daran gewöhnt, die Volksmassen anzusehen und zu behandeln, wie es beim Militär üblich ist. Er verliert die Fähigkeit (wenn er sie je besessen hat), mit dem Volke zu empfinden und die Bewegungen, die unsere Zeit aufrühren, zu verstehen.
Natürlich lassen sich bei weitem nicht alle in dieser Weise beeinflussen. Viele machen ihrer Stellung als Reserveleutnant nur gewisse mehr äußere Zugeständnisse und bleiben in anderen Punkten, besonders auch innerlich, unabhängig, anderer nicht zu vergessen, die von ihm gar nicht berührt oder vom Widerwillen erfaßt werden.
Auf viele aber, die sich selbst innerlich dem Militarismus noch entzogen haben, macht sich der einengende Einfluß desselben in anderer Weise geltend. Sie fühlen sich durch Rücksichten auf ihre militärische Stellung gehindert, ihre Anschauungen über Verhältnisse des öffentlichen Lebens frei zu betätigen. Auf Schritt und Tritt begegnet es einem, daß jüngere Leute versichern, sie dächten wohl ähnlich, aber seien durch ihre Stellung als Reserveoffizier verhindert, sich frei zu äußern oder gar für ihre Ansicht irgendwie mit der Tat einzutreten. Eine Korruption, nicht der Personen aber wohl der Zustände!
102 Es ist ja ganz unglaublich, auf welche Dinge nicht etwa nur des öffentlichen Lebens, sondern ganz privater Beziehungen sich diese Rücksicht auf die militärischen Anschauungen manchmal erstreckt und wie tief der Militarismus in das Leben des Einzelnen und in die Gestaltung unserer bürgerlichen Gesellschaft eingreift.
In seinen gesellschaftlichen Beziehungen, in der Wahl seiner Freunde und der Örtlichkeiten, an denen er verkehrt, in dem Verhalten, das er in vielen Verhältnissen beobachtet, ist der Reserveoffizier unter Umständen durch die Vorurteile, nicht seines eigenen Standes, sondern eines ihm ganz fremden Kreises behindert. Ist es nötig an den Bezirkskommandeur zu erinnern, der kürzlich einen Reserveoffizier aufforderte, aus einem Verein auszutreten, in dem er mit Leuten gesellig verkehrte, die militärisch seine Untergebenen waren? Man fängt es nicht immer so ungeschickt an wie dieser Bezirkskommandeur, aber die Auffassung ist vielfach die gleiche!
Besonders verderblich ist der Einfluß des Militarismus in dem eigentlichen Bürgertum, das seine Selbständigkeit doch verhältnismäßig leicht bewahren könnte. Es ist hier am betrübendsten zu sehen, wie er die Unabhängigkeit untergräbt und die Fähigkeit zu einer freien Auffassung des Lebens beeinträchtigt. Für die allgemeine Entwicklung unserer Zustände kann dieser fortschreitende Verfall unseres Bürgerstandes die bedenklichsten Folgen haben; denn es bleiben dann nur die beiden haßerfüllten Gegner übrig, auf der einen Seite der Militarismus mit seinem Gefolge, auf der anderen Seite der aufstrebende vierte Stand, als der allein ungebrochene Vertreter aller, die noch Freiheit schätzen. Wem der Sieg zufallen wird, kann ja nicht zweifelhaft sein, aber die Aussichten auf eine friedliche Entwicklung schwinden sichtlich dahin.
Ist in den bürgerlichen Erwerbsständen der Einfluß des Militarismus am beklagenswertesten, so ist er doch naturgemäß noch schärfer ausgeprägt in den Zweigen der öffentlichen Verwaltung und in allen Beamtenkreisen, welche von Haus aus sich schon in größerer Abhängigkeit von der Regierung befinden.
Es wird später näher darauf einzugehen sein, wie sich das auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens geltend macht. Hier sei nur summarisch darauf hingewiesen, wie ganz anders als eine menschlich frei erzogene Persönlichkeit sich der richtige Reserveleutnant in Verwaltung, Rechtsprechung und Unterricht betätigen wird und wie wichtig es für unsere nationale Entwicklung ist, ob hier eine freie, vorurteilslose Humanität oder militärische Anschauungsweise regiert.
103 Wie man die bevorzugten Stände des Volkes als Reserveoffiziere im Banne des Militarismus hält, so stehen auch eine Anzahl Mittel zu Gebote, um die größeren Massen zu beeinflussen.
Schon durch die regelmäßig wiederkehrenden Kontrollversammlungen und Übungen ist dafür gesorgt, daß der Einzelne, wenn er in das bürgerliche Leben zurückgetreten ist, nicht ganz frei wird von der Empfindung, zugleich einem zweiten Stande, dem Militär anzugehören und den Vorschriften militärischer Disziplin unterworfen zu sein. Wie gelegentlich versucht worden, diese Kontrollversammlungen und Übungen zur politischen Beeinflussung zu benutzen, ist bekannt.
Neben diesen gesetzlichen Einrichtungen werden als wirksamstes Mittel, die kleinbürgerliche Gesellschaft mit dem Geiste des Militarismus zu durchdringen, die Kriegervereine benutzt. Wie immer wieder versucht wird, durch diese Kriegervereine politische Propaganda zu machen und sie besonders für die Wahlen zu verwerten, braucht nicht erst erzählt zu werden, wir erleben es vermutlich wieder in diesen Tagen. Darauf möchte ich auch weit geringeres Gewicht legen als auf die dauernde Beeinflussung, die durch diese Vereine auf die Gesinnung des Bürgertums geübt wird. Es wird dadurch die Anschauung gepflegt, als ob die Anforderungen an militärische Disziplin, die innerhalb des Heeres gelten, für den gemeinen Soldaten auch in seinen bürgerlichen Beziehungen und in Verhältnissen des öffentlichen Lebens noch irgendeine Bedeutung hätten.
Die ganze Auffassung von Disziplin, von dem Unterordnungsverhältnis, das vom Befehlenden keine Rechenschaft fordert und dem Gehorchenden das Recht zur Kritik verweigert, diese ganze Auffassung, die für das bürgerliche und öffentliche Leben nicht zu brauchen ist, wird durch dieses Soldatenspielen in den Kriegervereinen genährt. Es wird zugleich in den Mitgliedern die Anschauung erzeugt, als ob sie als ehemalige Angehörige des Heeres verpflichtet wären, zu öffentlichen Fragen eine andere Stellung einzunehmen als ihre Standes- und Berufsgenossen. Diese Vereine dienen so als ein Mittel der Zersetzung für die bürgerliche Gesellschaft.
Wenn bei öffentlichen Anlässen größere Massen des Volkes, gesondert nach Berufsgenossenschaften und freien Vereinigungen auftreten, so wird diese natürliche Gliederung durchbrochen durch die Kriegervereine. Die ihnen angehörenden Handwerker, kleinen Kaufleute und Arbeiter sondern sich von ihren Berufsgenossen ab und stellen ihre lose Zugehörigkeit zur Armee über die Gemeinschaft, die ihr ganzes bürgerliches Leben beherrscht. Sie fühlen sich als Glieder einer halbmilitärischen Vereinigung 104 in einem gewissen Gegensatz zu ihren rein zivilen Standesgenossen, und ihr Auftreten erhält einen Zug von jener seltsamen Anmaßung, wodurch das Auftreten manches »schneidigen« Offiziers gegenüber dem Zivil gekennzeichnet ist.
Natürlich sind diese Vereine in den großen Städten, wo sich der Einzelne leicht der Beobachtung entzieht, von geringerer Bedeutung. Erst in den kleineren Orten gelangen sie zu rechter Wirksamkeit.
Der militärische Geist in diesen Vereinen wird dadurch gestärkt, daß die Leitung in der Regel in nahe Beziehung zu pensionierten Offizieren tritt, die dem Vereine als Ehrenmitglieder oder Präsidenten anzugehören pflegen. Die halbamtliche Instanz zur Beeinflussung der Vereine im Einzelfalle gibt das Landwehrbezirkskommando ab, und indem dem Verein eine Fahne direkt vom Monarchen verliehen und eventuell auch wieder entzogen wird, hat man ein wunderbar kräftiges Mittel, diese Beeinflussung besonders wirksam zu machen.
Diese Fahne erfüllt gewiß gar manche mit dem heiligen Schauer militärischen Subordinationsgefühls, und wenn der Verein sich dann hinter ihr im Zuge ordnet, in Reih und Glied aufmarschiert, in ganz anders straffer Haltung, als das schlampige Zivil, die älteren Mitglieder mit einigen Kriegsdenkmünzen auf der Brust, da mag man sich wohl vorkommen als etwas, was berufen ist, in der bürgerlichen Gesellschaft eine ganz besondere Rolle zu spielen, während man in Wirklichkeit mit seiner kindlichen Freude an den Äußerlichkeiten des Soldatenspielens sich nur dazu hergibt, einem System, das im Grunde genommen hochmütig auf die bürgerlichen Kreise herabsieht, ergebenst die Schleppe zu tragen.
Es war bisher nur davon die Rede, in welcher Weise die eigentliche bürgerliche Bevölkerung, die dem Heere nur in Erfüllung der Dienstpflicht angehört hat, vom Militarismus beeinflußt wird. Nicht vergessen dürfen wir, wie sich daneben noch ein breiter Strom von völlig militärischen Elementen fort und fort in das bürgerliche Erwerbsleben und besonders in das mittlere und kleine Beamtentum ergießt, dank dem System der Offizierspensionierungen und dem Militäranwärterwesen.
Es sind das bis zu einem gewissen Grade unvermeidliche Übelstände, aber man mag sich vor Augen halten, wie auch hier das Militär eine Ausnahmestellung einnimmt.
Die Strapazen eines Krieges beanspruchen wenigstens für den Dienst an der Front eine körperliche Rüstigkeit und Frische, die erheblich früher als sonstige Arbeitsfähigkeit verloren geht. 105 Die Folge ist, daß Personen, die noch im kräftigsten Mannesalter stehen, ihren Abschied erhalten und nun in einen andern Beruf übertreten, während in jedem andern Berufe, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, der Mann auszuharren pflegt, solange er überhaupt noch für irgend eine Tätigkeit die volle Arbeitskraft besitzt.
Aus keinem andern Stande also gehen irgendwie nennenswerte Elemente in einen andern über, nur aus dem Militär dringen sie ununterbrochen in andere Berufskreise ein, und sie besetzen einzelne derselben förmlich in geschlossener Masse.
Man muß dabei berücksichtigen, daß es nicht junge Leute sind, die sich noch leicht in andersartige Verhältnisse und Anschauungen hineinfinden, sondern Personen im Mannesalter, die durch eine jahrelange Gewöhnung an militärische Denkungsweise, an militärische Unterordnung mit Mißachtung jeder Freiheit dem bürgerlichen Leben entfremdet und zum großen Teil auf immer für eine Gesellschaft, die sich auf anderen Prinzipien aufbaut, verdorben sind.
Das ist, wie gesagt, zum Teil ein durch die Natur der Verhältnisse gegebener unvermeidlicher Übelstand, aber verschärft wird er noch durch eine Reihe von Einrichtungen, die selbst wieder ein Zeugnis für den herrschenden Militarismus sind.
Im Heere allein besteht der Grundsatz, daß jemand nicht in einer niederen Charge, für die er tüchtig ist, verbleiben kann, wenn er dem Dienstalter nach in eine höhere aufrücken sollte. Hält man ihn für diese nicht für befähigt, so muß er seinen Abschied nehmen.
Dadurch wird die Zahl der pensionierten Offiziere, die im besten Mannesalter ins bürgerliche Leben überzutreten gezwungen sind, ganz erheblich gesteigert. In keiner andern Verwaltung besteht dieser Grundsatz, und es ist schlechterdings nicht abzusehen, weshalb ein Offizier, der ein guter Kompanieführer ist, genötigt werden muß, aus seinem Berufe auszuscheiden, nur deshalb, weil er zum Bataillonsführer nicht taugt und ein nach Dienstjahren Jüngerer zu seinem Vorgesetzten ernannt wird.
Widerstreitet das den militärischen Anschauungen, so sollten diese sich eben den Anforderungen der Allgemeinheit anpassen, während bei uns umgekehrt verlangt wird, daß die Allgemeinheit, die Steuerzahler im Budget des Staates und die bürgerlichen Konkurrenten im Erwerbsleben, unter den militärischen Vorurteilen leide.
Das allgemeine Wirtschaftsleben wird nämlich nicht nur durch die zu früh gezahlten Pensionen belastet, sondern auch dadurch geschädigt, daß ein 106 Teil der pensionierten Offiziere und alle Militäranwärter unter günstigeren äußeren Bedingungen im bürgerlichen Erwerbsleben konkurrieren. Durch die Pensionen sind jene in den Stand gesetzt, den bürgerlichen Konkurrenten zu unterbieten, und gewisse Stellungen sind zugunsten der Militäranwärter anderen Personen so gut wie verschlossen.
Gewiß liegen hier Schwierigkeiten vor, und besonders das Los der früh mit jämmerlich schmaler Pension entlassenen Offiziere, die nun dem bürgerlichen Leben fremd und ratlos gegenüberstehen, ist sicherlich kein beneidenswertes. Wir wollen den Einzelnen nicht schadenfroh damit abspeisen, daß er eben dem Militarismus, dem er selbst sich hingegeben hat, nun zum Opfer fällt, und wir erkennen an, daß für die abgehenden Unteroffiziere, so wie die Verhältnisse heute liegen, durch besondere Maßregeln gesorgt werden muß.
Aber ebenso dringend ist das Bedürfnis, dem Überwuchern dieser militärischen Eingriffe in das freie Erwerbsleben Einhalt zu tun; denn es ist eine wahre Kalamität, wenn in die wirtschaftliche Entwicklung Elemente hineingeworfen werden, die unter so ganz anders gearteten Bedingungen konkurrieren und die obendrein – das ist für unsere Betrachtung an dieser Stelle ja der wesentlichste Punkt – den Geist des Militarismus nicht mehr von sich abstreifen können.
Unter diesem Militarismus leidet notwendig die Seele des Volkes. Es wird gehemmt in seiner Entwicklung zur Freiheit und zur Fähigkeit diese Freiheit zu gebrauchen. Es wird beeinträchtigt in seiner wirtschaftlichen Tüchtigkeit.
Wenn wir nicht nur wie bisher die nächstliegenden Interessen und die unmittelbaren Wirkungen ins Auge fassen, sondern unsern Blick darüber hinaus auf die Einflüsse richten, welche indirekt, gleichsam durch die Volksseele hindurchgehend, zwar langsam, aber um so nachhaltiger sich geltend machen, so ist es offenbar eine Frage von allerhöchster Bedeutung, wie der Geist des Militarismus sich zu den allgemeinsten Bedingungen des künftigen wirtschaftlichen, politischen und geistigen Fortschrittes des Volkes verhält.
Das Thema hier in umfassender Weise zu beleuchten, ist natürlich unmöglich, nur einige Schlaglichter mögen zeigen, von welcher Bedeutung und Ausdehnung es ist.
Der wichtigste Zug der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, in der wir stehen, ist die Lösung breiter Volksschichten aus der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit und Unmündigkeit, in der sie lange 107 gestanden haben. Sie haben gelernt, sich als eine Macht in Staat und Wirtschaft zu fühlen, oder sie sind im Begriff, es zu tun, und sie verlangen nun mit unwiderstehlicher Macht eine andere Stellung, größeren politischen Einfluß, neue Formen wirtschaftlicher Organisation und frisches geistiges Brot. Ihnen stehen die bisher herrschenden Klassen, zugleich die Vertreter einer alten Bildung gegenüber.
Die Hauptbedingung für einen glücklichen Verlauf dieser Entwicklung ist nun offenbar, daß auf der einen Seite der Einzelne möglichst tüchtig werde für die veränderte Stellung, die ihm das Vorwärtsdringen seines Standes angewiesen hat, und daß man auf der andern Seite zugleich Verständnis für den notwendigen Umgestaltungsprozeß und auch die Kraft zur Behauptung wertvoller alter Kulturgüter besitzt. Dazu braucht es auf beiden Seiten vor allem möglichst selbständige Menschen, selbständig im Denken und im praktischen Handeln. Daß ein wahrhaft selbständiger Mensch in allen Klassen noch nicht auf Tausende kommt, daran braucht man uns nicht zu erinnern; aber es handelt sich für uns Masse der Durchschnittsmenschen doch um Annäherung an dieses Ideal, das zugleich ein Ideal für die allgemeine Entwicklung ist.
Der Militarismus – wenn er sich jetzt auch rühmt, mehr als früher auf die Einzelausbildung Gewicht zu legen – unterdrückt diese Entwicklung zur Selbständigkeit mit seiner Auffassung von Disziplin und ist damit ein Hemmnis für gesunde soziale Entwicklung, sobald er Einfluß auf die bürgerliche Gesellschaft gewinnt.
Nahe verwandt damit ist ein anderer Gesichtspunkt. Die sozialistische Richtung der Zeit drängt überall nach Organisationen, die auch, wenn sie sich einst auf mehr demokratischer Basis aufbauen und so die Selbständigkeit des Einzelnen beanspruchen, doch die Gefahr mit sich bringen, daß der Individualität zu enge Fesseln angelegt werden. Für die Kultur ist es nun ebenso wichtig, daß Individualitäten sich voll entwickeln und frei ausleben können, wie daß der Gedanke sozialer und politischer Organisation zu seinem Recht kommt. Der Militarismus unterdrückt die Individualitäten wie jeden Gedanken an eine sich von unten aufbauende Organisation. Er ist auch hier mit seinem Einfluß auf die Gesellschaft der Feind der Kultur.
Nachdem das Nationalitätsprinzip in Europa seine große Aufgabe in der Hauptsache erfüllt hat und vielfach schon ausgeartet ist in einen unheilbringenden Fanatismus, angewendet auf Verhältnisse, die eine extrem nationale Behandlung nicht vertragen, liegt der politische Fortschritt, der zugleich ein Kulturfortschritt ist, offenbar nach der Richtung hin, daß die 108 Gegensätze gemildert und die nationale Strömung in Europa durch eine weltbürgerliche abgelöst wird. Für den Historiker oder jeden, der historisch denken gelernt hat, kann es ja gar kein Zweifel sein, daß die starke nationale und zugleich sehr praktisch-realistische Richtung, die zur Zeit herrscht, und die uns als gesunde Reaktion gegen unpraktische Wolkenkuckucksheim-Ideen den nationalen Staat gebracht hat, nicht ewig dauern wird, auch nicht für ewig ihre Berechtigung hat, sie muß, und zwar zum Segen der nationalen Entwicklung, abgelöst werden durch eine stärkere Betonung der Interessen, welche die arbeitende und geistig strebende Menschheit gemeinsam beherrschen und die Völker verbinden. Es will mir scheinen, daß die ersten Ansätze zu dieser Gegenströmung unter der Oberfläche der nationalen Hochfluten schon vorhanden sind.
Daß diese Entwicklung im allgemeinen Kulturinteresse liegt, braucht ja nicht erst ausgeführt zu werden. Sie liegt aber auch in unserm nationalen Interesse; denn wenn wir auch oft noch über Mangel an würdigem Nationalstolz zu klagen haben (wohl weil er der Niederschlag von Jahrhunderten ist und unserer nationalen Existenz diese Patina einmal zu gründlich abgekratzt wurde), so liegt doch die Gefahr gar nicht fern, gleichwohl in nationale Einseitigkeit zu verfallen. Die Symptome für blinden nationalen Dünkel vieler Landsleute und für ihre unvernünftige Geringschätzung fremder Nationen begegnen einem in der Öffentlichkeit und im privaten Verkehr öfter als in unserm nationalen Interesse zu wünschen wäre.
Der Militarismus ist nun offenbar ebenso wie seine heutige Ausdehnung zum Teil als ein Ergebnis der starken nationalen Spannung zu betrachten ist, so auch seinerseits wieder ein Förderer nationaler Vorurteile und ein Hindernis für den Fortschritt der Kultur auch nach dieser Richtung.
Das gefährlichste aber bei seinem Eindringen in die bürgerliche Gesellschaft und in den Volksgeist liegt fast darin, daß mit nationaler Voreingenommenheit zugleich die Auffassung vom Kriege, von seiner Berechtigung und seiner Stellung in der Kulturentwicklung verbreitet wird, die dem Militär eigentümlich ist.
Ist der Krieg im Sinne Moltkes ein Element der von Gott gewollten Ordnung, in dem nicht nur die höchsten sittlichen Kräfte eingesetzt werden, sondern auch die sittliche Entwicklung der Völker gleichsam ein notwendiges Reinigungsbad durchmacht – oder ist er eine entsetzliche Barbarei, die Ursache sittlicher Verwilderung selbst dann, wenn ein Volk den aufgezwungenen Kampf im heiligsten Gefühle seines Rechtes beginnt, eine Barbarei, von der wir zwar nicht wissen, ob sie je ganz wird überwunden werden können, die aber überwinden zu wollen der Leitstern aller 109 Kulturbestrebungen sein muß? In welcher Richtung sich für uns der sittliche Fortschritt bewegt, brauchen wir nicht erst zu sagen.
Wir haben nun darin, seit Kant vor nahezu 100 Jahren seine Schrift zum ewigen Frieden schrieb, entschieden Rückschritte gemacht. Man ergibt sich heute in die Notwendigkeit, nicht nur des Krieges ganz im allgemeinen, sondern in die des uns drohenden Krieges, wie in etwas Unabänderliches, und man belächelt als Phantasten die Männer, welche meinen, die zivilisierten Nationen könnten sich über ihre wirklichen und vermeintlichen Interessen verständigen, ohne daß friedliebende Bürger verwundet und sterbend die Schlachtfelder bedecken. Man stellt sich vielfach den Krieg nur im allgemeinen vor, wie ein Schachspiel mit Figuren, die man indifferent beiseite schiebt, oder wie ein aufregendes Manöver mit glänzend anzusehenden Attacken, Trommelwirbel, Hurra und schmetternden Signalen, und denkt dabei nicht an die gar nicht auszumalenden Greuel im einzelnen.
Auch darin ist die Einwirkung des Militarismus auf die bürgerliche Gesellschaft und das Empfinden des Volkes zu erkennen. Fällt aber der kräftige Widerstand der Volksempfindung gegen den Ausbruch eines Krieges fort, so ist damit eines jener Imponderabilien geschwächt, deren Bedeutung für die Behandlung öffentlicher Angelegenheiten einst Bismarck so treffend hervorgehoben hat, eine jener nicht genau zu erwägenden Kräfte, die im gegebenen Moment doch einmal entscheidend in die Waagschale fallen, einen Krieg verhindern oder ihn herbeiführen können.