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Und von neuem hat das alte Spiel zwischen dem Kinde und dem Junker Groland angehoben. Wir andern alle, die wir auch mit herzlicher Neigung an dem kleinen Mädchen hingen und uns seiner Schönheit erfreuten, wir wurden alle mit fast lustiger Eifersucht durch den tollen Studenten und Kriegsmann von seinem erwählten Liebling weggedrängt; der Liebling aber erwiderte die wunderliche Neigung ganz und gar und hing sich mit ganzem Herzen und in allem zierlichen Eigenwillen an den stattlichen Freund.
Das hat häufig ein gar fröhlich Lachen gegeben; aber die beiden haben sich nicht irren lassen, und viel Liebliches wäre darüber zu sagen, wie die Neigung von Tage zu Tage wuchs, sich veränderte und doch dieselbe blieb bis zu dem Jahre 1415, allwo der Junker Michael Groland von Laufenholz den ersten Dienst im Ernste für die Stadt tat und nachher für weitere fünf Jahre in der Welt wunderlich der Freundschaft und der Nachbarschaft am Paniersberge abhanden kam.
Am 20. Oktober 1414 ist der böhmische Magister Herr Johannes Huß auf seiner Fahrt zum Konzilium unter kaiserlichem Geleit in Nürnberg angelanget. Der ward wohl empfangen und ließ an alle Kirchentüren der Stadt in deutscher und in lateinischer Sprache folgendes anheften:
»M. Johann Huß ziehet nach Costnitz, daselbst seinen Glauben, den er gehabt hat, noch hat und haben wird, durch Gottes Hülfe zu verteidigen bis an sein Ende.« –
Und der Ruf zum Streit fand denn auch alsogleich seinen Widerhall. Magister Albertus, der Pfarrherr bei Sankt Sebald, hat mit dem böhmischen Meister vier Stunden lang eifrig disputieret, bis sie beide zu einem friedsamen Schluß gekommen sind und der Magister Johannes mit freundlichem Gedenken der guten Aufnahme, so er in Nürnberg gefunden hatte, seines Weges zum Konzil, zum Kerker und zum Feuertode fürder gezogen ist. Um das Konzilium aber ist uns eben auf lange Jahre der Junker von Laufenholz, mein lieber Freund, abhanden kommen; denn als im folgenden Jahr 1415 der Rat von Nürnberg Herrn Peter Volkhamer, Herrn Johann von Hollfeldt, den Prediger bei Sankt Lorenz, samt seinem Schaffner, dem Herrn Ulrich Teuchsler, ebenfalls nach Costnitz abfertigte, da ist ihnen aus der Stadt Mitte der Junker Groland als Glevenbürger und Führer des Geleits mitgegeben, hat sie glücklich und wohlbehalten abgeliefert, hat von Kaiser Sigismundi eigener Hand den Ritterschlag empfangen und ist verschollen in Italia bis zum Jahre 1420. –
Die Herren, die vom Rate gesendet waren, sind heimgekehrt und haben erzählt, was sie wußten: der wilde Freund hat der Stadt seinen Dank sagen lassen für gütige Aufatzung, einen fast spöttischen Dank; denn er hat beigefügt, er hoffe noch alles Gute dem gemeinen Wesen doppelt und dreifach heimzuzahlen, man solle nur Geduld haben und mit gutem Willen warten; – wie es sich aber machen werde, wisse er – Michel Groland von Laufenholz – freilich fürs erste selber nicht; aber die Zeit sei glücklicherweise darnach angetan, daß sich zuletzt alles zum Rechten schicken werde.
Da hat man die Köpfe weidlich geschüttelt, ich aber habe wohl noch am besten gewußt, wie es in des Freundes Sinn und Gedanken aussah; denn ich hatte ja auch am meisten davon erfahren, wie der junge Adler an den Ketten zog seit dem Tage, an welchem man den unflüggen Nestling in meines Vaters Haus trug. –
Nun saßen wir allein, der griechische Mann Theodoros Antoniades und ich, im Winter im Stüblein, im Sommer in der Laube, und der Michel störte uns nimmer dadurch, daß er uns mit dem Ellenbogen die Pergamente auf dem Tische zurückschob und uns die kleine Mechthild zwischen die Handschriften stellte und mit Lachen rief: »Sehet die an, auf daß ihr merket, wie die Welt heut noch so lustig ist wie vor tausend Jahren! Ein ganzer Sack voll Eurer Aristoffel, Meister Theodor, wieget die nicht auf. Lache sie aus, Kind, die mürrischen Narren; – lache und wachse und warte auf mich – wir beide wollen dereinst der verdrießlichen Welt noch zeigen, daß man mit einem mutigen Herzen und fröhlichen Sinn ihr selbst am Tage vor dem Jüngsten Gericht noch einen Blumenkranz abgewinnen mag!« – –
Mechthildis, das ist Heldin – mächtige Kämpferin, und es ist kein anderer Name unter den Menschen, der für mich einen so edlen Klang hat als dieser! Ich bin alt geworden und sehe jedes Jahr die Jugend und die Schönheit der Weiber mit den Blumen von neuem heraufkommen; aber es hat sich keine Knospe, so weit meine Augen reichten, zur Blüte entfaltet, die schöner und süßer war denn die, so in des Nachbar Grossen Garten unter den Schwestern aufwuchs und auf die Erfüllung ihres Lebens wartete.
Und sie wuchs und entfaltete sich, während der mutige Freund auf Rittertat und Abenteuer in der Fremde abwesend war, und was wir alle bis zuletzt für ein Kinderspiel genommen hatten, das ist zu einem Ernst geworden, der weit über das arme Erdenleben hinausreichte. Was der Freund mit lachendem Munde gesprochen hat von Treue und Ausharren, das hat die Jungfrau in tiefem Herzen bewahret und hat gewartet auf den Freund geduldig und still, ein Wunder für uns alle, denn wir wußten alle nichts davon, bis uns in der Nacht auf Simon und Juda im Jahre 1420 das süße Mysterium unter Feuerschein und Waffenlärm offenbarer wurde.
In der Nacht auf Sankt Simon und Juda 1420 hat Christoph der Leininger, des Herzogen Ludwig des Bärtigen von Ingolstadt Lehensmann, mit List und Gewalt die Nürnberger Burg eingenommen, nachdem er vorher einen heimlichen Bund mit dem Rat gemacht hatte, von welchem wenige wußten, obgleich nachher tausend Stimmen darüber in die Welt hinausgeschrieen haben.
Die Stadt möge sich stille halten, ließ der Leininger dem Rate entbieten, – er, Ritter Christoph, komme, die Burggrafen heimzusuchen, und das Beste, so aus der Fehde gewonnen werde, solle denen von Nürnberg zugute werden.
Da hat sich der Rat nicht nur stille gehalten, sondern er hat noch ein mehreres getan, worüber nachher die von der Burg vor Kaiser und Reich nicht geringe Klage erhoben. Nämlich da ihres Feindes Scharen allbereits versteckt im Hinterhalt unter ihren Mauern lagen, hat der Rat der Bürgerschaft und den Geschlechtern einen Tanz auf dem Rathause zugerichtet, und ist daraus freilich eine gar lustige, aber auch gar sonderliche Tanznacht geworden. Damals haben die Alten, die Patres, das Wort von der Geschwätzigkeit der Greise wahrlich nicht von neuem zu einer Wahrheit gemacht, und nicht einer aus der Jugend hat geahnet, zu welch einem Spiel die Fäden hinter seinem Rücken durcheinanderliefen. Wir haben uns nicht im geringsten über die plötzliche Lust zur Kurzweil, so über den ehrbaren Rat samt den Losungern, Hauptleuten und über das ganze gestrenge Collegium Septemvirorum gekommen war, verwundert, sondern ohn weiter Gefrage nach der Jugend Art die Lust am Flügel gegriffen. Mit den schönen Jungfrauen der Stadt sind wir aufgezogen, und ich habe die Mechthild, die Allerschönste im Reihen, geführet. Die Burgmannen, so der Klang der Zinken und Pauken von der Veste herablockte, haben wir diesmal kaum beachtet, obgleich man sonsten nur allzugern mit ihnen auf Schwert, Kolben und Spieß anband. Wie unsere Graubärte die Herren des Burggrafen ansahen und wie sie, während der Tanz sich drehete, mit allen Sinnen nach der Veste hinaufhorchten, konnten wir freilich nicht wissen.
Nur noch einmal habe ich des Nachbar Grossen Kind in einer größern Schönheit erstrahlen sehen, als in dieser Nacht auf Simon und Juda des Jahres 1420. – Das war dann an einem andern Tage, im Glanz der Abendsonnen unter dem Portal zum Heiligen Geiste, vor dem Schrein, der des Reiches Krone barg, und die dunkle Nacht folgte alsobald auf diesen noch glorreichern Glanz.
In dieser Nacht auf Simon und Juda ist sie nur in der freudigen Pracht der Jugend erschienen, und als sie unter dem Schein der Lichter und Fackeln durch die Windungen des Reigens lächelnd und stattlich schlupfte, da ist wohl kein Auge gewesen, welches nicht mit Freude und Stolz dem holdseligsten Kinde von Nürnberg nachfolgte. Ich glaube, selbst die in so grimmigem Ernst stehenden und harrenden Alten hatten einen Blick und ein Wort für die schöne Jungfrau übrig.
Aber die Stunde ist gekommen, die der Rat mit dem Leininger besprochen hatte, und der Leininger ist so gut gewesen als sein Wort. Plötzlich ist mitten in der höchsten Lust ein großer Schrecken, ein Auffahren und Aufzucken durch das Fest gegangen; ein wilderer Lärm hat sich in den Zinken- und Flötenschall gemischt, in den Gassen hat das Volk aufgeschrieen; ehe sich noch einer besann, fiel schon der rote Feuerschein von der gewonnenen Burg in die Fensterbogen und über die schreckensbleichen Gesichter der Gäste des ehrbaren Rates von Nürnberg.
Von ihren Sitzen sind die Wissenden, die Alten, aufgesprungen und haben »Sieg!!« und »Libertas!« gerufen. Über den bekränzten Häuptern der Jungfrauen haben die Schwerter der Jünglinge gefunkelt, und alle Glocken der Stadt haben den Sturm und Waffenruf aufgenommen, haben die Kranken und die Kinder erweckt, die Männer aber mit der Wehr in die Gassen hinausgerissen und dem Rat und dem Leininger das gefährliche Spiel gewinnen helfen.
Da ist das Fest und der Tanz auf dem Rathause freilich zu Ende gewesen; aber ein anderes, tolleres Fest und Tanzen hat begonnen. Die Burgmannen, die nach ihrer Art spöttiglich und höhnisch herniedergestiegen waren, die bürgerliche Lust womöglich zu stören und zu kränken, sind mitten im Saale niedergeworfen und entwaffnet worden. Sie mochten wohl »Verrat!« schreien, doch die Stadt jauchzte mit Recht, als sie erfahren, um was in dieser Nacht man die Würfel warf.
Nur wenige Jahre später verkaufte der Burggraf Friedrich, der erste Kurfürst von Brandenburg, die ausgebrannte Ruine der Veste der Stadt Nürnberg mit allem Zubehör inwendig und auswendig, die Freiung, der Pforten Öffnung und Verschluß samt allen Rechten auf den Sebalder und Lorenzer Forst und behielt sich nur den Wildbann, Lehen und Geleit und der burggräflichen Leute Güter und Rechte vor. – Und so hat von dieser glückseligen Nacht an niemand ein größer Recht in Nürnberg aufweisen können als Nürnberg selber und der Kaiser; doch davon will ich weiter nicht reden, sondern davon, daß in eben dieser Nacht auf Sankt Simon und Juda mit dem Ritter Christoph von Leiningen ein anderer Ritter, ein Verschollener, Schwert in der Hand, über die Mauer gestiegen ist der Stadt zu großem Dienst nach seinem Wort: mein lieber Freund und Bruder, Michel Groland von Laufenholz – der wilde Junker Groland, auf welchen die schöne Tochter des Nachbarn seit dem Kinderspiel im Gärtlein wartete! –
Durch den Wirrwarr der Stadt, die Burggasse hernieder, von der flammenden Veste herab, tanzten, die gezückten Schwerter und Streitkolben schwingend und Fackeln in den Händen, die ersten der glücklichen Eroberer. Durch den großen Rathaussaal wälzte sich Welle auf Welle des erregten Volkes, und wir hatten genug zu tun, die Matronen und die Jungfrauen vor dem Erdrücktwerden zu schirmen. Die Alten waren aufgestanden von ihren erhöheten Sitzen, strichen vergnügt die grauen und weißen Bärte und nickten mit Behagen jedem guten Bekannten in der Menge zu; aber es währete noch eine gute Zeit, ehe einer von ihnen zu einem verständlichen Wort in dem übermächtigen Getöse kam. Das geschah erst, als auf den Schultern der Bürger die ersten der Boten des Leiningers in den Saal hineingehoben wurden, und da fühlte ich, wie der Arm Mechthildis', der in dem meinigen lag, plötzlich erzitterte. Die Jungfrau hatte den Freund im wogenden Getümmel über den Köpfen der Menge, im roten Widerschein der brennenden Burg und der Fackeln zuerst erkannt; aber auch mein Herz jauchzte hoch auf ob des unerwarteten Anblicks. Vor der mächtigen Stimme des Ritters Michel Groland von Laufenholz ist es dann auch still geworden im Saale, und der Freund hat der Stadt die geschehene Tat im einzelnen verkündiget; dann aber hat der Schall der Posaunen und Zinken alles wieder übertönet; die Freundschaft und Verwandtschaft hat uns den Ritter entgegengeführet, und so sind in dieser wilden Nacht der Freund und die Freundin zum erstenmal seit Jahren wieder zusammengekommen, und wunderliche Tage sind dem wunderlichen Wiedersehen gefolget. –
Der Ritter Groland hatte der Stadt Nürnberg einen guten Dienst geleistet, und mit Dankbarkeit hat die Stadt das auch anerkannt; aber wenn er sich in das Herz des Kindes Mechthild fast wie in die Nürnberger Burg geschlichen hatte, so mußte er doch nun um das Herz der Jungfrau Mechthildis eine neue und lange Belagerung anfangen, ehe es gestehen mochte, daß es sich ihm schon seit dem Kinderspiel gegeben habe. Das ist der Frauen Art und gehört zu den Listen, durch welche der Erde Schönheit und Lieblichkeit sich erhält in allem Zorn, Hader und Wüten der Zeiten. Wie schlimm und blutig es rund um uns her aussehen mochte, wir sind still und glücklich und in großer Ruhe gewesen durch die beiden Frühlinge einundzwanzig und zweiundzwanzig.
Jetzt schob in der Laube der Ritter von Laufenholz unsere Handschriften nicht mehr mit dem Ellenbogen zurück, um das blühende Leben an ihrer Stelle uns auf den Tisch zu heben. Die Jungfrau blieb sittsam in dem Bereich ihres Gartens, verborgen durch dichtes Gezweig, und nur selten erglänzte ihr Gewand von ferne durch das Grün. Aber der griechische Meister Theodoros Antoniades von Chios hatte jetzt eben des Anakreon Gedichte in die lateinische Zunge übertragen und las sie uns vor und hatte nunmehr keinen aufmerksameren Zuhorcher als den einst so wilden Freund Michel Groland. Der Michel hat mir damals manches gute Blatt edlen Pergaments gestohlen, und jetzt bin ich mit Lachen über ihn gekommen, wenn er saß, sich die Haare zerwühlte und deutsche Lieder machen wollte wie Herr Wolfram von Eschenbach, Herr Walther von der Vogelweide und Meister Heinrich Frauenlob, den die Frauen von Mainz auf ihren Schultern zu Grabe trugen und dessen Leichenstein sie mit so vielem köstlichen Wein begossen, daß die Kirche überfloß und die Männer die Hände rangen und die Haare zerrauften.
Wahrlich, so haben wir gelebt bei schon begonnenem hussitischen Wüten! Und es ist die Jungfrau gewesen, so uns hinausgewiesen hat aus der Weltvergessenheit in die verwüstete, blutige, flammende Welt, in den Kampf um des Reiches Krone! –
Wir hatten nach deutscher Männer Art plötzlich alles vergessen um die gegenwärtige Stunde. Da uns wohl war in dem Augenblick, so sahen wir nichts und hörten wir nichts anderes. Wir wußten kaum, daß allbereits Johannes Ziska vom Kelch, der Hauptmann in der Hoffnung Gottes der Taboriten, im Felde gegen uns stand, und mit müdem Verdruß hatten wir sogar kaum auf das acht, was sich Seltsames und Großes in den Mauern unserer eigenen Vaterstadt begab. Und wahrhaftig, es ereignete sich des Wundervollen viel in der Stadt.
Schon im Jahre 1421 war der Kardinal Brando Placentius de Regniostoli, des Papstes Nuntius, in Nürnberg eingezogen, um mit den Kurfürsten und Fürsten des Kaisers zu warten. Aber der Kaiser Sigismund, durch des Reiches Not auf dem Wege gehindert, mußte den Reichtstag nach Wesel legen und kam erst im folgenden Jahr zweiundzwanzig nach Nürnberg auf den Tag, und ist dann freilich eine stattliche Versammlung vorhanden gewesen.
Während der Michel und ich mit dem Meister Theodoros der Griechen Poeten lasen, sind die Kurfürsten von Mainz, von Trier und von Köln eingeritten, sind der Pfalzgraf und Kurfürst bei Rhein, der Kurfürst von Sachsen und Friedrich von Hohenzollern, der Kurfürst von Brandenburg, gekommen und mit ihnen, nach und vor ihnen eine unzählbare Menge von Fürsten und Prälaten, Grafen und Rittern, der Freien Städte Gesendete nicht zu vergessen. In Sankt Sebald hat vor Kaiser und Reich der Propst Hermann von Neunkirchen das Hochamt de Sancta Cruce gehalten, ist der Kreuzzug wider die Hussiten ausgerufen worden und hat des Papstes Legat, der Kardinal von Regniostoli, dem Kaiser des Kreuzes Fahne in die Hände gegeben. Der Kaiser wiederum aber legte mit dem Panier das Schwert in die Hände Friedrichs des Ersten, des Kurfürsten von Brandenburg, auf daß er des Reiches Heer führe und des Reiches Krone erlöse.
Das war ein Geläut der Glocken in Nürnberg! Und unter dem Klingen und Dröhnen in den Lüften hat sich die verborgene Pforte geöffnet, die aus des Nachbar Grossen Garten in den unsrigen führte, und durch den engen, eingefriedeten Weg her ist die Jungfrau, die als klein Mägdlein so viel lieber unter dem Gezweig der Hecken durchschlüpfte, aufgerichtet, ernst und stolz hergeschritten und hat uns aufgetrieben von unsern Sitzen wie eine Erscheinung der Engel des Herrn.
Im Zorn ist sie vor uns gestanden und hat geredet ohne Scheu. Der Ritter Groland und ich haben uns knapp auf den Füßen gehalten; aber der griechische Heimatlose, der Meister Theodoros Antoniades, hat balde das Gesicht mit beiden Händen bedecket, und die Tränen sind ihm zwischen den Fingern niedergerollt.
»Wisset ihr nicht, wie es gehet um des Reiches Krone?« hat die Jungfrau gerufen. »Was sitzet ihr und treibet Kurzweil mit fremder Völker toten Zeichen und Schriften, weil daß eures eigenen lebendigen Volkes Krone, Zepter und Schwert so hart berannt und bedrängst wird von dem Feinde, von dem man nichts wußte, ehe wir ihn groß machten durch unsere Schuld! Um was werbet ihr, während Kaiser und Reich und alles Volk um Hülfe ruft für die Krone, die der große Karl in Aachen auf seinem heiligen Haupte trug? Meister Theodor, saget Ihr es ihnen doch, daß man heute im eisernen Harnisch bleiben muß, wenn man sein Weib, seine Kinder und sein Haus vor Schmach, Tod und Verwüstung schützen will, wenn man nicht heimatlos umfahren will, ein Fremder in der Fremde! Wie lange glänzt noch der goldene Reif des Kaisers Konstantin, ihr Männer von Byzantium? Habet ihr nicht gestritten für die Krone, wie es sich gebührte, ihr griechischen Leute? Wehe euern Frauen und Töchtern, wenn sie euch nicht das Schwert in die Hand drückten, da es noch Zeit war!« – –
Da brach die Jungfrau ab mit lautem Weinen; aber der wilde Freund, der tapfere Ritter Michel, lag zu ihren Füßen und küßte auch mit Tränen in den Augen den Saum ihres Gewandes; sie aber legte ihm leise die Hand auf das Haupt und entfloh. Mit zitternden Händen suchte der Verbannte, der heimatlose Grieche, seine Schriften zusammen, seine Kniee bebten; gleich einem vom Armbrustbolz Getroffenen sah er auf uns und rief:
»Wehe euch, wenn ihr nicht höret, was die Kinder, die schwachen Mägdlein und die Gräber eurer Vorfahren euch in die Ohren gellen, – wehe euch!«
Und auch er entwich in taumelnder Eile aus der Laube; und so wurden der Ritter Michel und ich gewonnen für den Kampf um des Reiches Krone. – –
Mitten im tobenden Böhmerlande, an dem Wasser, die Beraun geheißen, lag das stolze Schloß, welches der Kaiser Karl, des Namens der Vierte, der Böhmer Abgott, erbauete und es nach seinem Namen den Karlstein nannte. Dorten bei der böhmischen Krone Heiligtümern lagen auch die viel größeren Heiligtümer des Heiligen Reiches Deutscher Nation, lag die Krone Caroli Magni, sein Zepter, Schwert und Reichsapfel bei dem heiligen Eisen des Speeres, der die Seiten unseres Herrn und Erlösers öffnete, und allem andern. Und wider Recht und Versprechen lagen sie da.
Wider Recht und Versprechen; denn gegen sein den Kurfürsten gegebenes Wort, daß er sie immerdar lassen wolle in Nürnberg oder Frankfurt am Main, hatte der Luxemburger sie schnöde nach seinem Karlstein geführet, weil er seinem Böhmerreich alles Glück und alle Gunst und dem Reiche der Deutschen, dessen höchster Vorstand er doch war und dessen Mehrer er doch allezeit sein sollte, wenig oder nichts gönnete oder doch nur das, was bei seinen Böhmen grad vom Tische fiel.
Seit dem Jahre 1350 lagen des Volkes uralte Kleinodien auf dem Karlsteine, den nun im Jahre 1422 die Prager mit aller Macht, mit Sturm auf Sturm umlagerten und berannten, auf daß sie des deutschen Reiches Krone in ihre Gewalt brächten und des deutschen Volkes Schmach, so doch kaum mehr auszusagen war, vollendeten, wenn sie sich seiner hochheiligsten Heiligtümer nach ihrem Willen bemächtiget haben würden.
Um die Krone, den Mantel, das Schwert und Zepter Caroli Magni bewegte sich aber das Herz von Nürnberg am heftigsten; denn das war die größeste Ehr der teuern Stadt, daß sie vordem gewürdigt gewesen war, die Kleinodien zu bewahren; und um sie wiederzuerlangen, hätte doch ein jeglicher, so gering oder stumpf von Sinnen er sein mochte, Blut und Leben mit Freuden hingegeben.
So ward, nachdem Kaiser und Reich dem Rat und der Bürgerschaft von Nürnberg aufgegeben hatten, zweihundert wehrliche Mannen, dreißig Gleven, das ist Ritterhaufen, und dreißig Schützen dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg für den Zug zu stellen, ein mächtig Zudrängen aller jungen Helden innerhalb der Ringmauern.
Auf der Jungfrau schönes Wort sind auch wir, der Michel Groland und ich, zu den andern getreten, und im Anfang September des Jahres 1422 da saßen wir drei zum letztenmal in Hoffnung und Glück beisammen und ergötzeten uns an unsern lichten Gedanken in die wirre Zukunft hinein. Was aber der Michel und die Mechthilde einander versprochen haben, das wurde gar leise gesagt; aber sie beide hatten die allerlichtesten Gedanken und versprachen sich das allerseligste Glück, wenn des Reiches Krone von dem schlimmen Feind erlöset sein würde.
Nicht lange, so sind wir von dannen mit dem Heer. Alle Freunde und Verwandten haben uns am Laufer Tor und von den Mauern nachgesehen, und oft noch im Reiten haben wir uns gewendet und zurückgeschaut; denn von der hohen Mauer hat auch die holde Maid mit dem Tüchlein gewehet, und neben ihr hat mein Meister, der Mann von Chios, Theodoros Antoniades, das kummervolle Haupt an der Brüstung auf die Hand gestützet und seiner eigenen bedrängten Heimat schmerzensreich gedacht.