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Kleine Stadtbilder

I.
Reich

Reich zu sein, ist der sehnliche Wunsch so ziemlich aller Menschen.

Die einen wünschen, reich zu sein um der Genüsse willen, die ihnen der Reichtum jedenfalls verschaffen würde, die andern sehnen sich nach Reichtum des Glanzes wegen, den er um sie verbreiten, oder des Ansehens wegen, welches er ihnen verleihen müsse; wieder andere geben vor, sie wünschten nur, reich zu sein, um sich mit Kunstwerken umgeben, Wohltaten ausüben, kurz auf Schritt und Tritt Segen verbreiten zu können; sehr viele geben gar keine Gründe an, weshalb sie reich zu sein wünschen; aber aus der heiligen Verehrung, welche sie für Geld und Geldeswert an den Tag legen, ist doch wohl zu entnehmen, dass sie wie der schwarze Hund in der Sage auf der Geldtruhe sitzen und dies für den beneidenswertesten Zustand auf Erden halten würden.

Wir überlassen es einem jeden unserer Mitmenschen, sich ungeniert zur einen oder andern Gruppe dieser Ebenbilder Gottes zu gesellen und behalten uns nur diejenigen zu näherer Betrachtnahme vor, welche den Reichtum eigentlich nur verehren und wünschen – weil er glücklich mache!

Gegen den Wunsch, reich zu sein, um glücklich zu werden, lässt sich im Grunde nichts einwenden, denn glücklich zu sein ist ein sehr erlaubtes Vergnügen und jedermänniglich aufs Innerste zu gönnen; umso entscheidender aber muss bestritten werden, dass es der Reichtum sei, welcher das Glück der Menschen ausschließlich und immer bewirke.

Johann Gottfried Eduard Lautner gehörte zu der letzteren Klasse holder Schwärmer und wurde deshalb von allen Reichen, die ihn sonst als gutmütigen Menschen kannten – »die liebenswürdige Narretei« genannt.

Auf ihn machte alles Eindruck, was nach Reichtum aussah; er kannte alle Herrschaften der Hauptstadt von Angesicht zu Angesicht, ihm waren alle Equipagen und Pferde der vornehmsten Häuser bekannt; er war auf nichts so stolz als auf den Dank eines Kavaliers, den er grüßte, auf nicht so erpicht als auf die Ehre, heute oder morgen einmal das Innere einer hochvornehmen Wohnung betrachten – über Teppiche schleichen, an Damastvorhänge rühren zu dürfen – ach, und um es kurz zu sagen: der ganze Mensch war ein so vollständiger Reicher-Leute-Narr, als nur je einmal ein Städtepflaster einen zu tragen das Vergnügen hatte.

Nicht genug, dass Johann Gottfried Eduard Lautner über zeugt war, ein reiches Haus sie der Sammelpunkt alles Schätzbaren und Beseligenden dieser Welt – er hielt es auch für das unüberwindlichste Beste gegen alle Schicksalsschläge.

Denn hörte er z. B., ein reicher Mann sei gestorben und habe seine Familie in Untröstlichkeit zurückgelassen, so rief er mit Verwunderung aus:

»Was? Haben diese Menschen nicht alles, um sich wieder gründlich zu trösten?«

Hörte er, ein Kavalier sei vom Pferde gestürzt und habe beide Beine gebrochen, so sagte er:

»Was tut das bisschen Beinbruch einem Grafen Philipp von der Hassenburg? Wein einer sonst alles hat, so kann er doch wohl einige Monate ohne Beine im Bette liegen!«

Und so ging es fort.

Man setzte dem Glücksphilosophen oft und mit Nachdruck auseinander, welche Unzahl persönlicher Schäden oder widernatürlicher Verhältnisse im Stande seien, das Glück von einzelnen und ganzen Familien zu stören, ohne dass gerade ein fremdes Auge das Übel aus der Ferne entdecken könne; allein Johann Gottfried Eduard Lautner war nicht dahin zu bringen, ein tiefes Seelenunglück wie bei ärmeren Leuten, auf welche oft Berge von Leiden drücken, bei reichen Leuten anzunehmen.

Einst ging er mit einem Bekannten an dem prachtvollen Landhause eines der reichsten Männer der Hauptstadt vorüber; das Landhaus befand sich eine halbe Stunde außerhalb der Stadt, stand mitten in einem reizenden Parke und sah in der Tat auf den Vorüberwandernden in einer Weise heiter herüber, dass man sich des Gedankens nicht erwehren konnte, hier wohne das reinste menschliche Glück.

Lautner brach auch sofort wieder in sein Lob des Reichtums aus und sagte dann:

»Gott, du Allgütiger! Kann es einen Menschen geben, der dieses Haus, diesen Park und solche unmenschliche Reichtümer hat und der nicht zugleich die Freuden eines Erzengels schon auf Erden fühlte?«

Lautners Begleiter war in dieser Hinsicht etwas mäßiger gesinnt und meinte hierauf:

»Ach, mein Lieber, wer weiß auch, wie das alles wirklich steht! Nicht jeder ist glücklich, der reich ist, wie nicht jeder gesund ist, der rote Wangen hat. Der Besitzer dieses schönen Landhauses ist einst arm gewesen, hat dann durch Geschick und Fleiß, durch Geschäftsverbindungen und Spekulationen mit England und dessen Kolonien diese Reichtümer gesammelt und lebt jetzt allerdings hier wie ein kleiner Gott inmitten großer Güter. Indessen, Freund, man darf in der Tat nicht immer bloß nach dem Schein urteilen, – wer weiß, was Menschen, die es so weit haben, nun erst für Ansprüche an das Leben machen, welche immer neue Wünsche im Herzen reicher Leute entstehen – und welche Art auch das Gewissen ist, das ein auffallend gut spekulierender Mann in seine älteren Tage hinübernimmt. Ich zweifle zwar nicht, dass Herr Hallmünder ein zufriedener, ja glücklicher Mann ist, aber für unmöglich halte ich es doch auch nicht, dass er im Ganzen unzufrieden sein könne. Ich will z. B. nur eines erwähnen: Warum wird er fast das ganze Jahr in keinem Theater, bei keiner Festlichkeit – überhaupt an keinem öffentlichen Orte gesehen? Dass er dieses Haus, diesen Garten so gar schön eingerichtet hat und halten lässt, könnte am Ende auch glauben machen, er habe damit nur einen schönen Sarkophag für sein gestorbenes Glück errichten lassen!«

»Nun, das muss ich sagen!« rief Lautner sehr nachdrücklich – »ein derart zweifelfruchtbarer Thomas wie du ist mir noch nicht vorgekommen! Ich wette alles, was ich habe und bin, dass der Besitzer dieses Hauses einer der glücklichsten Menschen ist, die leben! ... O, dürfte ich doch mit ihm tauschen!«

Während dieser Unterredung waren beide vor dem eisernen Torgitter des Landhauses stehen geblieben und blickten nun eine Weile schweigend auf das samtene Grün der englischen Parkwiese, auf die Fülle einheimischer und fremder Gewächse über zierlichen Gestellen – blickten wohl auch nach den Fenstern des Hauses empor, welche mit ihren Spiegelgläsern heiter-vornehm ins Weite schauten.

Aber Lautner und sein Begleiter sollten dieses ungestörten Anblicks nicht lange genießen. Eine Equipage kam angefahren und hielt vor dem Gittertor des Landhauses; ein Diener eilte aus der nächsten Türe, öffnete das Tor und verneigte sich tief vor einem alten, vornehmen Manne mit weißem Kopf, der aus dem Wagen stieg und, ohne ein Wort zu sagen, durch den Park nach dem Hause ging.

»Baron von Norddorf – Kämmerer«, flüsterte Lautner seinem Nachbarn ins Ohr: »Gott, Gott, solche Besuche bekäme unsereiner auch, wenn unsereiner Hallmünders Reichtum hätte!«

Da die Gittertür der Parkes, nachdem der alten Herr eingetreten war, offen blieb und auch der Diener bald nicht mehr gesehen wurde, so konnte Lautner der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick, nur einen kleinen, winzigen, schüchternen – göttlichen Blick tiefer in den Park zu tun, um doch auch zu sehen, was hintenherum, sozusagen im alabasternen Nacken des Landhauses zu bewundern sei; er munterte auch seinen Begleiter auf, ihm zu folgen – und nach kurzem Besinnen traten sie wirklich hinein, nicht ohne sich behutsam und geräuschlos gleich rechts in einen schattigen Laubgang zu verlieren.

Und in der Tat! Lautner hatte recht vermutet, wenn er hinter dem Wohnhause erst die rechte Herrlichkeit des Gartens zu sehen hoffte. Springbrunnen, eine Orangerie, die reizendsten Wiesenpartien mit malerischem Strauchwerk und Baumgruppen labten sein Auge; Lauben, Grotten, Alleen voll »duftender Nacht« luden unwiderstehlich ein zu behaglicher Ruhe, und auf leise rauschenden Wellen eines Teiches ruderten lautlose Gruppen von Schwänen, die schimmernde Furchen zogen.

Mit ängstlich gierem Auge verschlang Lautner alles, was er sah, indem er seinem Begleiter mit bebender Faust am Rockkragen hielt und mit sich weiter und weiter zog.

Wie beneidete er die Marmorstatuen, die hier und dort im Gebüsche standen und starren Augen »ewig ohne Lächeln« auf all' diese Pracht schauen durften! Wie hätte er ohne Bedenken die Rolle der marmornen Nymphe übernommen, die dort im Sonnenschein mitten im Bassin des Springburnnens auf einem Felsenstücke lag und sich an dem Perlenregen labte, der fort und fort auf ihre Schultern niederfiel!

Da – plötzlich wurden, nicht weit von den unberufenen Gästen, Stimmen und Männerschritte hörbar.

Alle Wetter – was tun? Mit Anstand zu entfliehen, war nicht mehr – Lautner trat also schnell ins nächste Gebüsch zurück und zog seinen Freund wie früher am Rockkragen nach.

In diesem grünen Asyle waren die beiden Lauscher kaum angekommen, als der Herr des Hauses, Hallmünder, mit dem Baron von Norddorf in der kleinen Kastanienallee erschien und hier, ganz knapp an dem Verstecke, auf und nieder ging.

Der Herr des Hauses sprach wenig.

Er sah überhaupt nicht aus, als ob er je in seinem Leben schon einmal von Herzen redselig gewesen wäre.

Auch die Farbe seines Gesichtes war nichts weniger als frisch, obwohl Männer in seinem Alter (er mochte nicht über achtundvierzig Jahre zählen) oft noch jugendliche Frische bewahren.

Munterer als er ah unläugbar der greise Herr Kämmerer aus; auch war es dieser, welcher eigentlich das Haupt- und Nebenwort der Unterredung führte.

Und was – was sprach er?

Es schien beinahe, als sei der Geist des Johann Gottfried Eduard Lautner in ihn gefahren; denn er wusste seiner angenehmen Bewunderung kein Ende über die Verschönerungen des Parks seit einem Jahre, er nannte die neue Rotunda mit den Glasgemälden über die Maßen magnifique; er sagte, in der Hauptstad habe unter allen reichen Leuten nur ein einziger Mann Geschmack – dieser einzige Mann sei Hallmünder – Herr Hallmünder, bei Gott – und so ging es weiter!

Lautner stieß während dieser Äußerungen seinen Nachbarn nur einige Male ausgiebig in die Seite, als wollte er sagen:

He? Was hab' ich gesagt? Hörst du von Seiner Herrlichkeit da nicht auch dasselbe? Geld hat er, gescheit ist er, Geschmack hat er – glücklich ist er!

Die beiden Herrn verschwanden hierauf von Zeit zu Zeit nach den verschiedenen Richtungen des Parks, und wenn sie stets wieder in die Kastanienallee zurückkamen, ließ es der Herr Baron an liebenswürdigen Zwischenrufen und Bewunderungen immer nicht fehlen.

Jetzt schien der Augenblick gekommen, wo sich der Kämmerer empfehlen wollte.

Er blieb stehen, reichte dem Herrn des Hauses die Hand und sagte:

»Nun adieu, adieu ... Sie sind ein glücklicher Mann – ne, ne, ne – protestieren Sie nicht; Sie sind der glücklichste Mann der Residenz! Sie haben alles, alles, was ein Mensch wünschen kann – auf Ehre – Sie wissen nicht, was Sie haben – oder leugnen Sie noch, dass Sie der glücklichste Mann des Landes sind?«

Der Herr des Hauses schein nicht antworten zu wollen – ging einige Schritte weiter, zum Zeichen, dass ihm ein anderer Gegenstand des Gespräches lieber wäre – blieb dann wieder stehen und sah viel, viel blässer aus als zuvor.

Lautner stieß seinen Nachbarn im Versteck wieder an, als wollte er sagen:

Gib acht, gib acht! Nun wird's ein Geständnis geben! Hab' acht – tu die Ohren auf – der glücklichste Glückliche des Landes wird reden!

Herr Hallmünder drückte seinem Besuche die Hand und sagte jetzt.

»Sie nennen mich glücklich (das Haupt des Sprechers senkte sich schmerzlich gegen die Brust) Sie nenne mich beneidenswert, Herr Kämmerer – Sie sagen, ich hätte vieles, was ein Sterblicher nur wünschen kann, – wohl, wohl, ganz wohl; – aber ich hätte gedacht, Sie wüssten doch auch – Ihnen wäre doch auch wie so vielen nicht verborgen geblieben ...«

»Was? Was, mein Teurer? Etwa, dass sie auf einmal der unglücklichste Mann des Jahrhunderts seien? He, he! Ich bin doch sehr, sehr begierig zu hören, was Sie für Geheimnisse haben – heraus, heraus damit!«

»Hm«, sagte Herr Hallander und blickte mit feuchten Augen auf den Sand des Weges nieder: »Hm ... 's ist zwar nicht viel – o, ich weiß wohl, es dünkt das manchem kaum ein nennenswertes Übel – nun denn: – Damit sie wenigstens noch einige dieses Landes für glücklicher halten als mich, so wissen Sie ..«

»Nun was? Nun was?«

»… Meiner Frau ist treulos – und mein einziges Kind – mein Sohn – ist missraten!«

*

Der Kämmerer war längst wieder in seinen Wagen gestiegen und davon gefahren; Herr Hallmünder hatte sich wie ein stiller Schatten in die verborgenste Zelle seines palastähnlichen Hauses zurückgezogen, als auch Lautner mit seinem Begleiter wieder auf die Straßen hinaustrat.

Beide blickten vor sich hin und sprachen lange kein Wort miteinander; bis endlich Lautners Begleiter zögernd bemerkte:

»Nun – was denkst du jetzt?«

»Ha – nun ja ...«, erwiderte Lautner zerstreut – »Nun ja doch – wie man's eben nimmt und nehmen kann ...«

»Du hast ja gesagt, Dein glückseligster Wunsch wäre, mit diesem Manne unbesehen zu tauschen!«

»Das habe ich gesagt – ja! – Aber unbesehen? Habe ich gesagt: unbesehen?«

»In Bausch und Bogen ...«

»Das habe ich nicht gesagt – und hätte ich's gesagt, so hätte ich's durchaus nicht so meinen können; – denn – eine treulose Frau – welches Glück könnte diese nicht durchaus zerstören! Und ein missratener Sohn – welches Vermögen ist groß genug, das ein solcher Wüstling nicht vor oder nach der Eltern Tode zu Grunde richten würde?«

»Also nicht unbesehen würdest du mit Herrn Hallmünder tauschen?«

»… Du bist aber auch wie ein frisch geschliffener Dolch hinter mir her ...«

»Also nicht?«

»Nein! ... Denn mein liebes, gutes Frauchen ist mir wacker treu – und von fünf ungezogenen Kindern ist eines ein liebenswürdigerer Narrmatz als das andere! ... Nein, nein, nein! Ich nicht – ich würde um keinen Preis – weder besehen noch unbesehen tauschen!«

II.
Drei Dämmerer

Im Extrastübchen zu den »vier Schäfern« war abgespeist; drei behagliche Freunde, in großen Armstühlen sitzend, hatten ein Stündchen das holde Geschäft der Verdauung geübt, jetzt erhob sich einer derselben, kreuzte die Hände über der Brust, blickte zum Himmel und sagte mit Andacht:

»Lasst uns bummeln!«

Die beiden Freunde nahmen diese feierlichen Worte mit gebührender Teilnahme auf, erhoben sich ebenfalls und steckten ihre zum Anzünden säuberlich zurechtgemachten Zigarren in den Mund.

Nun war es aber eigentümlich, wie die drei behäbigen Freunde um das Tischchen standen, ruhig zuwartend, bis einer von ihnen sein Feuerzeug aus der Tasche ziehen und den andern das mühsame Werk des Feuermachens ersparen würde. Lange schwankten die Hoffnungen; die Geduld der Freunde hielt sich ziemlich das Gleichgewicht.

Joseph Anweiler war es, welcher endlich sein Feuerzeug – nicht aus der Tasche zog, sondern geruhsam zur Türe des Extrastübchens hinaus schritt, um seine Zigarre bequemer durch die Kerze auf der großen Wirtstafel in Glut zu versetzen. Auf das hin folgten die beiden Freunde auch nach dem Speisesaale, warteten ab, bis Herr Anweiler sein Werk der Befeuerung vollendet haben würde, worauf sie ihre Glimmstifte an der Zigarre des Freundes Feuer fangen ließen.

Aus diesem Wenigen schon ist zu ersehen, dass wir es hier mit drei wunderlichen Muster-Gesellen zu tun haben.

Obwohl an Jahren noch jung, hatte das Kleeblatt doch schon folgenden, für viel gesetztere Jahre passenden Satz zum Prinzip erhoben:

»Genieße so viel als möglich, aber alles mit Bedacht; erhitze dich niemals; halte dich weit vom Gedränge und zieh' deine Straße immer still für dich allein!«

Seit Jahr und Tag speisten die Freunde abgesondert von anderen Gästen in einem Kabinettchen neben dem Speisesaale; sie wollten »als Mädchen unter sich sein« und keinerlei Störung erleiden; auch hatten sie ganz für sich eine eigne Tafelordnung geschaffen, welche ihnen heilig war.

Die Stunde des Mittagessens war auf halb ein Uhr festgesetzt, ohne dass man sich gerade an die Minute binden wollte.

Erschien nun einer von ihnen im Speisestübchen, so durfte ihm der Kellner nicht etwa folgen und ihn mit gewöhnlicher Hast nach seinem Belieben fragen – ja nicht einmal schweigsam erwartend, durfte er hinter seinem Stuhle stehen; es wäre zu beunruhigend gewesen, einen solchen Treibteufel mit der Serviette hinter sich zu wissen; nein, der Kellner durfte erst auf ein gegebenes Zeichen in das Kabinettchen treten, wenn die Freunde mit bedachtsamer Muße, Gericht um Gericht, sorgsam und nach gehörigen Zwischenräumen auserlesen hatten.

Dieses Abschließungssystem war ersonnen worden, weil es den drei Freunden geradezu ein Gräuel schien, mitten im Tumult einer Table d'hote oder auch nur eines größeren Tisches, wo nach der Karte genossen wurde, ihr reinlich-bedächtig-sorgsam gewähltes Essen einzunehmen.

Denn dieses Hin- und Herfahren der Kellner, diese türkische Musik der mündlichen Unterhaltung, dieses Fressen mit Mäulern, Händen und Füßen (wie sie sagten), dieses Hereinstürzen verspäteter Gäste in den Saal, dieses Hinstürzen derselben an die Tafel, dieses Nachstürzen der Kellner um das Belieben der Gäste zu erfahren, dieses Hinunterstürzen der Speisen mit Löffeln und Gabeln, dieses pausenlose Lallen, Rufen, Fragen, Antworten und Lachen mit gebratenen und gesottenen Dämpfern in dem Munde – nein! Solche unchristlich-schauderhafte Tafelfreuden sollten ihnen ferne bleiben; – die drei Freunde gingen lieber in ihr stilles Kämmerlein und genossen mit ruhiger Andacht und mutterseelenalleine die wohlbereiteten Gaben Gottes, zu denen sie Gaumen und Herz vorwiegend hinzog.

Der Merkwürdigste unter den drei Freunden war offenbar Stephan Kleber, einziger Sohn und Erbe eines sehr reichen Brauers aus Lagerau.

Sein Temperament war von so langsamer Art, dass er z. B. – man wolle es nun glauben oder nicht – niemals lachen konnte, wenn gerade etwas Spaßhaftes vorfiel, sondern immer erst viel später, zu einer Zeit, wo sonst kein wohlorganisierter Mensch mehr an die ganze Lustbarkeit dachte.

Stephan Kleber war von seinen Eltern ursprünglich bestimmt gewesen, mit dem Leibgurt des väterlichen Vermögens um die Lenden, in die Fußstapfen des gewinnreichen Familiengeschäftes zu treten; allein da die Alten schon bei Zeiten zu der Einsicht kamen, eh' würden die Spitzen der Berge zu Tal und die Täler zu den Spitzen der Berge wandeln, als dass ihr Söhnlein ihr Geschäft einst rührig genug betreiben würde, so machten sie noch bei Lebzeiten ihren gesamten Besitz zu barem Gelde und sagten zu ihrem Sprossen und Erben am Ziele ihres Daseins:

»Leb' wohl, o Sohn; hier hast du, was wir hatten, lebe immerdar zufrieden und in Frieden!«

So etwas ließ der Sohn sich nicht zweimal sagen; – denn er lebte von nun an wirklich ebenso wohl als immerdar zufrieden und in Frieden; – wurde aber erst zwei Jahre nach dem Tode seiner Eltern von einem seltsamen Lächelnd heimgesucht, da es ihm nun erst spaßhaft vorkam, wieso ihm seine Eltern am Sterbebette eine Weisung hatten erteilen können, die er von Kindesbeinen an ja selbst als Leitstern sich ersehen hatte.

Doch genug; Stephan Kleber zog nach dem Tode seiner Eltern nach der Hauptstadt, schnitt Jahr für Jahr gemächlich seine Coupons von Aktien und Staatspapieren und konnte jedes Mal etwa vierzehn Tage nach Empfang der Zinsen höchst erquicklich lächeln über die Art und Weise, wie ihn die lebendigen Zahlmaschinen der Bankiers die Geldrollen entgegen schossen.

Einst sagte ihm ein solcher Zahlmeister, der gern ein Witzlein zwischen die Ziffern seines Geschäftes schwärzte:

»Ich muss Ihnen sagen, Herr Kleber, Sie haben ein besseres Auskommen als Fortkommen!«

Der Witz zielte auf Klebers körperlichen Umfang, der für seine dreißig Jahre in der Tat bedeutend war.

Kleber hatte den Witz vernommen, steckte ruhig und, ohne eine Miene zu verziehen, seine Geldrollen ein, sagte »guten Morgen« und ging gemächlich die Treppe hinunter seiner Wege.

Nach einer halben Stunde hatte er endlich das Haus erreicht, in welchem er wohnt, und steckte eben den Schlüssel ins Schloss seiner Zimmertüre – als um seine Lippen ein stilles Lächeln erblühte und seine Hand nicht sogleich im Stande war, den Schlüssel umzudrehen; denn das harmlose Wortspiel des Kassenbeamten fing eben jetzt erst an, seine holde Wirkung auf Klebers langsames Gemüt zu äußern ...

Eines andern Tages, als Stephan Kleber eben eine lange Straße sich heraufbewegte, schloss sich ihm ganz unerwartet ein Bekannter an, der seltsam verstört aussah und mit traurigem Pathos sagte:

»O Freund, o Freund! Was hab' ich eben auf offener Straße sehen müssen!«

Kleber war nicht im Stande, zu fragen, was denn sein Begleiter gesehen habe, da er durch die Mitteilung eines erschütternden Vorfalles zu sehr für das behagliche Gleichgewicht seiner Stimmung fürchtete.

Erst nach einer Weile sagte er des Anstandes halber:

»Nun, was haben Sie denn sehen müssen?«

Da erwiderte der Bekannte, noch immer ernst und aufgeregt:

»Nun – wie ich soeben aus der Rehfußgasse in die Lederhalle trete, steht an der einen Ecke ein Kind in ganz entsetzlichen Lumpen und weint, dass es einen Stein erbarmen musste. Ich bleibe also stehen und frage das Kind, warum es gar so erbärmlich jammere. Das Kind will lange nicht mit der Sprache heraus, endlich redet es dennoch und sagt: Mein Vater will mich nicht als Sohn anerkennen! Ich, ganz entrüstet, frage: Warum, warum will dich dein Vater nicht als Sohn anerkennen? – Da antwortet das Kind: »Weil ich ein Mädchen bin!«

Nach diesen Worten gab der Bekannte dem Stephan Kleber einen lustigen Schlag auf die Schulter und eilte davon.

Es ist zu bemerken, dass dem Kleber überhaupt jede Anekdote funkelnagelneu vorkam und selten ihre Wirkung verfehlte; diesen Anekdotenwitz aber schien er doch zu kennen oder wenigstens nicht eben hoch anzuschlagen; denn er war still, verzog keine Miene und ging, da es gerade halb ein Uhr mittags war, nach den »vier Schäfern« zu Tisch, wo er, immer noch ruhig, zu seinen Freunden sagte:

»Guten Tag!«

Eine Weile studierte jeder der Freunde schweigsam die Speisekarte, dann sagte Christoph Ständl mit bebender Stimme und feuchtem Auge:

»Ich muss euch eine wehmütige Neuigkeit sagen, Freunde – vor einer Stunde ist mein liebes, einziges Schwesterlein gestorben!«

In diesem Augenblicke kam bei Kleber erst der Witz der letzten Anekdote zum Durchbruch – er sah über die Speisekarte weg und brach in ein lautes, schütterndes Gelächter aus.

»Nun, bei Gott, was ist denn bei einer solchen Todesnachricht zu lachen?« sagte Anweiler zornig, während Ständl schmerzlich darein sah.

»Vergebung«, sagte Kleber, sich vollends das Herz erleichternd, »es ist mir da eben eine Geschichte von einem Kind in Lumpen erzählt worden, dessen Rabenvater es nicht als seinen Sohn erkennen wollte ...«

»Und darüber lachst du wieder ein Jahrtausend zu spät?« fiel ihm Anweiler ins Wort.

Kleber gab, um sich zu rechtfertigen, die Anekdote zum Besten und brachte zum Glück wieder leidliche Stimmung hervor ...

Während desselben Mittagessens geschah es, dass am Tisch des großen Speisesaales der allgemeinen Aufmerksamkeit das folgende Geschichtlein zum Besten gegeben wurde, welches auch unsere behäbigen Freunde im Kabinettchen ganz wohl vernehmen konnten:

»Zu Mainz«, erzählte jemand, »gingen einst zwei Soldaten, ein Österreicher und ein Preuße, am Quai spazieren und sahen junge Enten im Wasser schwimmen, während ihre Bruthenne am Ufer ängstlich nebenher lief. O jemine, he! rief der Preuße – Wunder Gottes und der Natur, da hat eine Henne Enten ausgebrütet! Der Österreicher sieht verwundert den Verwunderten an und erwidert ruhig: O, das is gar nix, ich kenn' a Hebamm', deren ihra Sohn is a Messerschmied!«

Alles lachte; selbst der Anweiler und der Ständl im Kabinettchen konnten ein Lächeln nicht unterdrücken.

Stephan Kleber aber, der Messer und Gabel weggelegt und die Augen auf die halboffene Türe gerichtet hatte, als die Anekdote begann – nahm jetzt Messer und Gabel ernsthaft wieder auf, setzte mit großer Sachkenntnis und Andacht das säuberliche Zerlegen eines Huhnes fort, bis er auf einmal im ganzen Gesicht blass wurde, Tränen in die Augen bekam und zu Freund Ständl mit wahrer Wehmut sagte:

»Also ist es tot – wirklich tot, dein liebes Schwesterlein?«

Seine Teilnahme hatte also jetzt erst das dicke Fleisch seines Behagens durchdrungen und war an den Nerven seiner zarteren Empfindung angelangt; – all nicht lange darauf – man hatte mit aller Bequemlichkeit abgespeist, hatte seine Tasse Kaffee getrunken, hatte dem Verdauungsprozesse eine Weile die nötige Ruhe gestattet, war endlich aufgestanden und hatte, mit der glimmenden Zigarre im Mund, das Tor des Gasthauses erreicht – als Kleber plötzlich in ein lustiges Zittern verfiel, mit leis' anwachsendem Gelächter sich selbst die Zigarre aus dem Munde stieß und die Arme kraftlos an den Hüften schlenkern ließ.

Überrascht fragten die Freunde, was nun das wieder bedeute.

Kleber erwiderte:

»Hahaha! Ich kenn' eine Hebamm', deren Sohn ist ein Messerschmied! ...«

Einige Zeit später erregte ein Vorfall in der Stadt ein ganz ungewöhnliches Aufsehen.

Man hatte am Ufer des Flusses zwei zierliche Damenhüte, zwei leichte Schals und Sonnenschirme gefunden, ohne erfahren zu können, wem sie gehörten und wie sie gerade an jene Uferstelle gekommen sein konnten.

Die Vermutung, dass hier ein Doppeltod im Flusse stattgefunden habe, lag nahe, allein man suchte, wenigstens im Laufe der ersten Stunden, die ertrunkenen Körper vergebens.

Unsere Freunde, Anweiler, Ständl und Kleber saßen eben im Kaffeehause, dem Theater gegenüber, als das Gericht von dem vermutlichen Unglücksfalle auch zu ihren Ohren kam, und zwar mit dem erschütternden Zusatze, vor einigen Minuten sei ein alter Hauptmann aus dem Kaffeehaus abgerufen worden, von dessen zwei jungen und reizenden Töchtern man vermute, dass sie in den Wellen des Flusses ihren Tod gefunden; sie waren an demselben Nachmittage an der bezeichneten Uferstelle gesehen worden, die zierlichen Hüte, Schals und Sonnenschirme seien von denselben Stoffen und Formen, wie sie beide Schwestern zu tragen pflegten – von einer wundersamen Liebe der schönen Kinder in einen und denselben Mann habe man ohnehin lange geflüstert – und nun hätten beide Mädchen, recht schwesterlich und rührend, ihren Tod zugleich in den Wellen gesucht und gefunden!

Noch voll des Eindrucks von diesem Vorfalle, gingen Ständl und Anweiler mit ihrem Freunde Kleber aus dem Kaffeehause nach dem Theater, wo der »Verschwender« von Raimund angekündigt war.

Es war noch etwas früh vor Beginn des Stücks, allein die Freunde wollten bequemlich auf ihre gesperrten Sitze gelangen und strebten daher bedächtig, aber unaufhaltsam ihren nummerierten Plätzen in der Nähe des Orchesters zu.

Hier war es noch ganz »wüste und leer« wie vor Anfang der Schöpfung; nur zwei alte Blasengel des Orchesters saßen bereits plaudernd in einem Winkel und gaben sich »so unter sich« einige Witze und Anekdoten zum Besten.

Unsere Freunde, welche jedes Wort verstehen konnten, fanden es recht behaglich, selber zu schweigen, während anderer Leute Mäuler sich abnutzten, sie lauschten also ruhig und vernahmen folgendes:

»Was du da sagst, das ist nichts«, begann der Oboebläser – »aber in Polen haben die Bauern anno so und so viel, einen Grundbesitzer gefangen genommen, ihn in ein Fass gesperrt und auf Gemeindekosten des Herrlichsten mit Speis und Trank versehen; denn, so gedachten sie, sofern man dasselbe mit jungen Gänsen tue, wachse ihnen die Leber groß und werde ein Leckerbissen; bei einem vornehmen Herrn aber müsste gewiss ein edlerer Teil sich vergrößern – wenigstens das Herz – und ein großherziger Gutsherr würde ihnen Robot und andere Plagen erlassen!«

»Hehe«, sagte der Fagottbläser und schneuzte sich, dass es vom Resonanzboden der nahen Bassgeige zurückhallte, »so klug auch das gedacht gewesen, so hat doch jener Hase, der neulich von zwei Hunden herlief, noch einen feineren Gedanken gehabt ...«

»Wieso?«

»Ein Hase wurde neulich von zwei Hunden verfolgt, von einem schwarzen und einem weißen, und tat sein Möglichstes, um ihnen zu entkommen; namentlich blickte er oft nach dem weißen Hunde zurück, vor dem er besonderen Respekt und Schrecken hatte ...«

»Warum?«

»Weil er meinte, der habe den Rock getragen und laufe ihm in Hemdärmeln nach!«

»Das wäre so übel nicht«, begann der Oboebläser wieder – »wenn jener Meister Messner, welcher nach der Hauptstadt wanderte, um die Krönung zu sehen, nicht ganz was anderes erlebt hätte!«

»Nu, was war's mit ihm?«

»Je nun; – ein Meister Korbflechter und Messner nebenher, hochgewachsen und dürr wie eine verkümmelbare Brotrinde, brach eines Tages mit einem Paraplue und zwei neuen Stiefelsohlen auf und wanderte feierlichst nach der Hauptstadt, um die Krönung des von ihm fanatisch verehrten Fürsten mit eigenen Ohren – will sage, eigenen Augen zu sehen. Es gelingt ihm auch, nach drei Tagen die Hauptstadt zu erreichen und ein für seine Mittel passendes Hotel zu finden; ja er ist so glücklich, im entscheidenden Augenblicke, wo der neugierige Menschenstrom nach dem Dome zur Krönungsfeierlichkeit tobt, das Tor der Kirche zu erreichen – und von einer heftigen Menschenwoge sogar mitten ins Innere des Heiligtums entführt zu werden. Aber siehe da! Er hatte nicht mehr Zeit gehabt, seinen hochgebauten Hut abzunehmen, und stand nun mitten im Gotteshause da, seinen Filzturm auf dem Kopfe! Die hinter ihm Stehenden entsetzten sich aus zweierlei Gründen: weil sie erstens sich alle Aussicht nach dem Altare versperrt sahen, und zweitens, weil sie ein Ärgernis nahmen an der Entweihung des Tempels. Sie flüsterten, sie riefen: Den Hut herunter, den Hut abnehmen! Allein der unglückliche Mann konnte die unter eingezwängten Arme nicht bewegen und musste sich's gefallen lassen, dass man ihm nach vergeblichen Ermahnungen den Hut bis an die Schultern eintrieb – und dies gerade in dem entscheidenden Augenblicke, als die Krönung vor sich ging. Sie war wirklich sehr schön, die Krönung nämlich. Viele taten Mund und Augen auf, jeder gestand, dass er so was noch nicht gesehen habe, manche weinten sogar. Endlich, wie denn alles Schöne auf Erden zu Ende nehmen muss, ging auch die große Feierlichkeit zu Ende – »er hatte sie erreicht«, wie's in Macbeth heißt, nämlich der König die Krone; die Menschen drängten wieder heftig ins Freie, sie hatten es auch erreicht, nämlich Rippenstöße aller Sorten – nur der unglückliche Meister Messner hatte nicht erreicht, weshalb er in die Stadt gekommen war; denn er hatte von der Krönung nichts gesehen und brachte seinen Hut erst wieder in die Höhe, als er nach der Krönung das Freue des Domplatzes erreichte.«

Der Fagottbläser wollte eben seinen Beifall über diese Geschichte in Worte fassen, als der Oboist dazwischenfuhr:

»Nun aber ist die Historie damit noch nicht zu Ende. Der Meister Messner, betrübt und erzürnt über den Unfall, den er erlebt, will sich wenigstens einen kleinen Trost für seinen Schmerz verschaffen und beschließt, den nächstfolgenden Abend ins Theater zu gehen, wo sich, wie es hieß, der »gesammelte« Hof dem Publikum zeigen wolle. Er versagt sich also, um ein Billet ins Parterre kaufen zu können, die Hälfte seiner gewöhnlichen Nahrung, pflanzt sich in den ersten Nachmittagsstunden vor die Theaterbühne und wartet mit Heldengeduld, bis geöffnet würde. Kurz vor Öffnung des Theaters hat sich endlich um ihn her ein großer Drang von Menschen gesammelt, um, sobald die Flügel des Eingangs geöffnet würden, schnaubend und würgend die besten Plätze zu erobern. Die Stunde des Sturmes schlägt endlich, die Pforten des Tempels gehen auf, und hinein wogt und wirbelt und presst sich das Volk. Auch der Meister Messner kommt glücklich an Ort und Stelle – aber – umgekehrt, mit dem Rücken gegen die Bühne gedreht. Also hatte ihn eine stürmende Kolonne im Drang des Vorwärtseilens umgekehrt, also wurde er von den nachdringenden Kolonnen festgekeilt – und also musste er den ganzen Abend die kleine neu angestrichene Flügeltüre des Eingangs betrachten, während hinter seinem Rücken die herrlichsten Dinge auf der Bühne sich ereigneten! ...«

Unter solchen Erzählungen, die sonst aller Welt, nur unsern Freunden nicht bekannt waren, hatte sich indessen das Orchester und Theater gefüllt, das Zeichen zur Ouvertüre wurde gegeben, der Vorhang der Bühne ging in die Höhe, und ein lustiger Bedientenchor eröffnete das Stück: »Der Verschwender«.

Die Freunde Anweiler und Ständl hörten vergnügt lächelnd das Lied der Dienerschaft bis zu Ende – aber Kleber saß in Tränen da und flüsterte seinem Freunde Ständl bebend ins Ohr:

»Entsetzlich, herzzerreißend ... wenn nun der alte Hauptmann heimkommt und die gefundenen Hüte, Schals und Sonnenschirme als die seiner Töchter erkennt – und erfährt – sie beide, seine beiden Kinder, habe ein so trauriges Ende dahingerafft!«

Ständl fühlte sich durch diese Worte nicht eben angenehm in seiner Heiterkeit gestört, doch erwiderte er ziemlich teilnehmend:

»Ja ja, das mag wohl ein Kummer ohne Gleichen sein!«

Das Stück ging indessen rüstig von Statten, und es kam die Stellt, wo der Herr Verschwender Flottwell es mit seinem künftigen Schwiegervater dadurch verdirbt, dass er seinem Kammerdiener im Übermut die kostbare Vase aus Paris zum Geschenke macht; es entspinnt sich zwischen beiden ein scharfer Streit, welcher zur völligen Trennung führt, indem der Baron erklärt, einem solchen Tollkopf von Verschwender seine Tochter nie – niemals anzuvertrauen!

Die Spannung des Publikums war groß, und unter den Gästen Flottwells brach ein Tumult des Schreckens los; – aber im Parterre, nahe am Orchester beugte sich Kleber herzlich lachend zu dem Opfer seines Freundes Anweiler und bemerkte:

»Die Geschichte mit dem polnischen Bauern ist doch gar zu dumm – aber der weiße Hund mit den Hemdärmeln ist zum Ofeneinschlagen!«

Großes Ergötzen verursachte im Schauspielhause jedes Mal die Erscheinung des Tischlers Valentin und seiner Frau.

Diese zwei gesunden Volksfiguren mit ihrem rotwangigen Humor wurden auch sehr ausgezeichnet gespielt und erregten jeden Augenblick den heitersten Lärm des Beifalls.

Ein solches Toben der Freude brach denn wie gewöhnlich ganz besonders am Ende des zweiten Aufzuges los. Valentin hatte sich ein Räuschchen aus dem Keller geholt, um den schurkischen Kammerdiener gründlich durchzubläuen; sein Weib begegnet ihm und ruft: »Was tust denn Valentin? Ich hab' ja g'hört, du bist betrunken!«

»Wer hat dir das entdeckt?« erwidert er: »Ha, ich bin verraten!«

Und hierauf greift er den Kammerdiener und eine Schar Bediente an, wird überwältigt und hinausgeworfen, um gleich drauf abermals zu erscheinen, wieder hinausgeworfen zu werden und von Neuem zu erscheinen.

Noch tobte das Gelächter und der Beifall des Publikums durch das Haus über diese Szene, als Klebers langsame Gemütsart erst bei jenem Auftritt des ersten Aktes ankam, wo sich Flottwell mit dem Schwiegervater so heftig überwirft; – Kleber neigte sich daher zu Freund Ständl rechts und bemerkte ernsthaft:

»Im Grunde ist es kein Wunder, wenn der Baron sich zweimal besinnt, ob er dem Flottwell seine Tochter anvertrauen soll oder nicht, denn es ist doch unerhört, wie dieser Mensch mit seinem Vermögen umgeht!«

Da in diesem Augenblicke ein Zwischenakt eintrat, so ließ sich Ständl mit seinem Freunde in ein näheres Gespräch ein über den bisher gesehenen Teil des Stückes; er hob namentlich die wunderbar gut erfundene und poetische Figur des Bettlers hervor und machte einige treffende Bemerkungen über dieselbe – als im plötzlich Kleber lachend ins Wort fiel und rief:

»Nein, dieser Meister Messner mit dem eingetriebenen Hut im Dom und mit dem umgekehrten Malheur im Theater – es ist doch gar zu possig!«

Ständl wollte dem Freunde über diese Unterbrechung seines ernsthaften Gespräches eben eine Bemerkung machen, als der Vorhang in die Höhe ging und der letzte Akt des Verschwenders begann.

Der einstige Verschwender erscheint in Gestalt jenes verhängnisvollen Bettlers vor seinem einstigen Palais und trifft hier erst mit dem Gärtner und später mit dem schurkischen Inhaber seines Hauses zusammen. Er wird als einstiger Herr erkannt, mit guten Lehren abgefertigt und ohne alle Hilfe gelasen; – da erscheint der Tischler Valentin – auch er erkennt seien gütigen Herrn von ehedem – und kein Auge bleibt trocken bei dem freudig-schmerzhaften Aufschrei des Dieners, der seinem Herrn zu Füßen fällt und ihm fieberhaft die Hände küssen will; ... in diesem Augenblicke wendete sich Kleber links zu seinem Freunde Anweiler und bemerkte mit großer Heiterkeit:

»Was tut denn Valentin? Ich hab' ja g'hört, du bist betrunken! – Ha, ich bin verraten! ...«

Und so ging es den ganzen Abend fort.

Bei den traurigen Szenen des dritten Aktes lachte Kleber über die lustigen Witze des zweiten und im Augenblicke der heitersten Szenen des dritten Aktes schlug wieder eine Träne die andere über die traurigen Vorfälle des zweiten Aktes.

So kam es denn, dass die Wirkung des dritten Aufzugs sich erst spät nach dem Theater in der ganzen Größe äußern konnte, denn als die drei Freunde um zehn Uhr nachts im hell beleuchteten Zimmer zu den »vier Schäfern« bei Tische saßen, weinte Kleber bittere Tränen über ein wohlbereitetes Rebhuhn, weil ihm der Auftritt des dritten Aktes einfiel, wo Herr Flottwell als Bettler von der Tischlerin aus dem Hause gewiesen wird; aber eine halbe Stunde später, als eben im Nebenzimmer erzählt wurde, dass dem Hauptmann zwei Töchter wirklich ertrunken seien, konnte er in ein lautes Gelächter ausbrechen über die vortreffliche Szene, so sich der Tischler und sein Weib wegen ihres Herrn wieder zu versöhnen anfangen, indem der Tischler während der Kampfkrisis zu den Kindern bald sagt: »Kinder geht's 'naus!« und gleich darauf wieder: »Kinder, kommt's 'rein!«

Über die Geschichte von dem Tode der zwei Töchter des Hauptmanns wurde er erst traurig, als er um zwölf Uhr nachts bereits im Bette lag, und der gute Ausgang des »Verschwenders« erheiterte ihn erst am nächsten Morgen, als er wohlbehäbig bei dem Frühstück saß und dachte:

»Der Herr Flottwell kann sich's eigentlich von jetzt an bequemlich machen in der Welt, er hat Geld gefunden in der Ruine und wird das zweite Mal bedachtsamer haushalten als das erste Mal!«

Bald drauf lächelte Kleber noch einmal »über den weißen Hund in Hemdärmeln«, und einige Zeit später fiel ihm zur heitersten Erbauung wieder ein, wie es doch gar zu ergötzlich sei, mit dem Meister Messner im Dom, »den hohen Filzturm auf dem Kopfe« und im Theater »umgekehrt postiert, die Eingangstüre scharf im Auge!«


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