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An Bord der »Macedonia« herrschte reges Treiben. Alles wettete um die Seemeile. Die Lage des Schiffes sollte gleich festgestellt werden. Man näherte sich der Insel Socotra und dem Cap Guardafui an der Ostspitze Afrikas. Die Dünung ließ bedeutend nach, und an Deck befand sich alles in fröhlichster Stimmung.
Dok Mali ging mit Arno Arns auf und ab. Sie hatten sich vorher an den Bordspielen beteiligt. Dok Mali war müde geworden, und so setzten sie sich. Sie sah sehr angegriffen aus. Die Erlebnisse in Colombo hatten sie furchtbar mitgenommen. Zuerst glaubte sie nicht weiterleben zu können. Aber Arno wachte über sie und hielt sie von verzweifelten Schritten zurück. Mit feinem Takt suchte er sie zu beschäftigen, damit sie keine Zeit haben sollte, ihren trüben Gedanken nachzuhängen. Vor allem sann er darauf, ihrem Leben irgendein Ziel, eine Richtung zu geben.
An Bord war ein Turnsaal mit allen möglichen Geräten, und da er ein großer Sportsmann war, verbrachten sie jeden Morgen dort einige Zeit mit Übungen. Sowie die »Macedonia« ruhigere Fahrt hatte, wurde auch häufiger an Bord getanzt, für Dok Mali und Arno Arns war das eine angenehme Zerstreuung. Es machte ihnen Vergnügen, immer neue Variationen der bekannten Tänze zu finden. Dok Mali lebte dabei förmlich auf. Dann strahlte ihr Körper, ohne daß sie sich besonders parfümiert hätte, einen seltsam erregenden Duft aus.
Arno Arns hatte sich sehr schnell in seine Beschützerrolle gegen sie gefunden. Er war ausgezogen, die Wunder des Ostens kennenzulernen, hatte viel Schönheit an Kunst und Menschen gesehen, aber das größte Wunder begegnete ihm erst jetzt.
Es ging ins Rote Meer. Arno Arns fürchtete dessen große Hitze, doch die »Macedonia« hatte Glück. Auf der ganzen Fahrt von Aden bis Suez wehte eine erfrischende Brise, die dem Schiffe gerade entgegenkam. Sie verließen den Dampfer in Suez, und während die »Macedonia« durch den Kanal fuhr, machten sie einen Ausflug nach den Pyramiden. Da sich gleichzeitig viele Schiffe in Suez angesammelt hatten, brauchten sie sich nicht sehr zu beeilen.
Dok Mali sah andächtig die Sphinx und die erhabenen Denkmäler ägyptischer Baukunst.
Sie kamen so frühzeitig in Port Said an, daß ihnen noch einige Stunden zur Besichtigung dieses traurigen Nestes blieben. Als sie fröhlich und nichts ahnend vor einem Café saßen und einer etwas lärmenden Kapelle zuhörten, stand plötzlich ein kleiner schwarzer Araberbub mit einem großen Fez vor Dok Mali – er mochte höchstens fünf Jahre alt sein – nahm ihre Hand, guckte ernsthaft hinein, fuhr mit dem Finger die Linien nach und sagte dann würdevoll, indem er die Hand hob und dabei zwei Finger ausstreckte:
»Two children, nix more!«
Beide mußten herzlich lachen.
Arno hatte schon daran gedacht, mit Dok Mali vierzehn Tage in Ägypten zu bleiben und mit dem nächsten englischen Dampfer weiterzufahren. Doch wußte er nicht, wie sie einen solchen Vorschlag auffaßte, und er wollte alles vermeiden, was ihr hätte unangenehm sein können.
Die letzten fünf Tage bis Marseille gingen im Fluge dahin. Dok Mali hatte ihren Partner jetzt genauer betrachtet. Er hatte dunkle gewellte Haare und tiefbraune Augen. Es gefiel ihr, daß er keinen Bart trug.
»Ich müßte eigentlich heute meine Korrespondenz erledigen«, sagte er eines Nachmittags. »Wollen Sie nicht auch einmal nach Bangkok schreiben?«
Zuerst wies Dok Mali diesen Gedanken weit von sich, dann aber nahm sie doch Papier und Feder, und schließlich war ein lieber und freundlicher Brief an ihre Mutter fertig, auch schrieb sie an Malila. Sie fühlte sich wieder frei und wohl dadurch und dankte Arno Arns für diese Anregung aufrichtig.
Was sollte nach Marseille werden? Gedacht hatten beide schon oft daran, aber es war noch nicht zu einer Aussprache darüber gekommen.
*
Die erste Königin ließ sich vom Prinzen Naret über den Stand der Halsbandaffäre berichten. Pra Rata war inzwischen in Bangkok eingetroffen. Sie hatte darauf gedrungen, daß er im gewöhnlichen Gefängnis untergebracht werden sollte mit all den gemeinen Verbrechern, Räubern, Mördern und Dieben zusammen. Aber auf ausdrücklichen Befehl des Königs geschah dies nicht. Die Untersuchung kam um keinen Schritt vorwärts. Pra Rata beteuerte nach wie vor seine Unschuld. Man forschte unermüdlich nach dem Verbleib der Perlen selbst, aber sie fanden sich nirgends. Die erste Königin war fest davon überzeugt, daß Dok Mali die Beute in Sicherheit gebracht habe. Über den Raub des Halsbandes entrüstete sie sich nicht so sehr wie darüber, daß Pra Rata mit Dok Mali geflohen war. Sie stand im Anfang der Vierziger, und die Persönlichkeit und Erscheinung Ratas hatten tiefen Eindruck auf sie gemacht. Seine schlanke, etwas über mittelgroße Figur mit der stark betonten Taille und seine großen, mandelförmigen Augen mit den langen Wimpern sah sie noch lebhaft vor sich. Sie hatte schon mehrere Zeremonienmeister gehabt, aber Rata war ihr von allen der liebste gewesen, ohne daß sie sich dessen besonders bewußt geworden wäre.
Die Familie Pra Ratas und seine Anverwandten glaubten mehr oder weniger an seine Unschuld und drängten auf die Verhandlung des Prozesses. Auch die Königin wünschte jetzt, daß er unschuldig sein möchte. Aber aus unklaren Stimmungen heraus verzögerte sie den Beginn des Prozesses.
Rata litt in der ersten Zeit sehr unter der Haft, aber dann taten ihm nach all den furchtbaren Aufregungen die vollkommene Ruhe und Abgeschlossenheit wohl. Er wurde gut behandelt, war in einem geräumigen, sauberen, der Brise zugekehrten Zimmer untergebracht, bekam gutes Essen, hatte so viel Lektüre, wie er nur haben wollte. Diese Zelle war für Untersuchungsgefangene aus dem höheren Beamtenstande besonders eingerichtet. Schließlich hatte er sich dazu aufgerafft, ein Gnadengesuch an den König einzureichen, das aber infolge der gegenteiligen Einflüsse der ersten Königin abschlägig beschieden wurde. Hätte er sein Schreiben an die erste Königin selbst gerichtet, so wäre das Resultat wohl anders ausgefallen.
Er bereute das Verkehrte seines Handelns, aber er war der festen Überzeugung, daß eines Tages seine Unschuld an den Tag kommen müsse. Die Erinnerung an Dok Mali und das kurze Glück mit ihr malte er sich in immer schöneren und immer glühenderen Farben aus. Wenn er die Freiheit wieder erlangt hätte, würde er sie zu finden wissen. Er konnte es nachfühlen, daß sie nicht nach Bangkok zurückgekehrt war. Das hatte er in seiner Gefangenschaft auch erfahren. Es wäre ihm nicht schwer gefallen, sich über alles zu orientieren, aber es war eine Wohltat für ihn, daß er von allem Hofklatsch und all den kleinen und großen Intrigen während dieser Zeit verschont blieb.
Zuerst störte ihn das Klirren der Ketten der Schwerverbrecher auf dem Hofe, die Holz zerkleinerten und andere Arbeiten verrichten mußten, aber allmählich gewöhnte er sich so daran, daß es ihm fast wie friedliches Glockenläuten deuchte. Oft schaute er des Abends zu, wie die Gefangenen am Gitter mit ihren Angehörigen sprachen und sich von ihnen Tabak, Zigaretten und Näschereien zustecken ließen. Auch der Strafvollzug war in diesem buddhistischen Lande menschlich und mild.
Während er am Fenster seiner Zelle saß, kamen ihm ganz eigene Gedanken. Alles spielte sich in großen Kreisläufen ab: die Existenz der Seelen in den Kreisläufen der Wiedergeburten, und jede einzelne Wiedergeburt spielte sich in den Kreisläufen der Jahre, der Monate, Wochen, Tage und Stunden ab. Wieder schlossen sich die Jahre zu Kreisläufen zusammen, und in jedem Kreislauf gab es eine Tag- und eine Nachtseite, Licht und Schatten, und auf eine Periode der Kraft folgte immer eine Periode der Schwäche. Dieser ewige Wechsel von Gut und Böse hatte seine Wendepunkte, und auch in seinem Leben war nun solch ein Wechsel eingetreten. An jedem Wendepunkt aber stand das Weib. Welch außergewöhnlich hervorragende Karriere hatte er hinter sich, und wie war er plötzlich aus allem Glück ins Unglück gestürzt! In dem lichten Teil seiner Laufbahn hatte er Erfolg gehabt, war er frei gewesen, und dann ging sein Geschick hindurch durch das astrologische Haus der Venus, des Weibes, und Freiheit hatte sich verwandelt in Gefangenschaft, Licht in Finsternis, Tätigkeit in Untätigkeit, Ehre in Schande. Aber so mußte es ja sein; denn von der lichten Hälfte des Jahres ging es durch das Sternbild der Jungfrau hinab in die dunkle.
*
Die »Macedonia« fuhr dicht an der Küste von Korsika vorbei. Es war sechs Uhr abends. Arno und Dok Mali lehnten an der Reling und schauten nach der verwitterten Felseninsel, die langsam in den Strahlen der untergehenden Sonne aufglühte. Das Schauspiel gestaltete sich immer prächtiger und schöner. Das schwarzblaue Meerwasser stand in seltsamem Kontrast zu den innig rostroten Felsen, deren Schatten in tiefe Sepiatöne und Schwarz übergingen. Schaumkämme bekrönten die Wogen der leichtbewegten See, Möwen segelten mit ihren weißen Fittichen darüber hin.
Dok Mali war in den herrlichen Anblick versunken, und ohne zu wissen und zu wollen, lehnte sie sich an seinen Arm an. Er fühlte ihre Wärme und Nähe und wagte nicht sich zu rühren, aus Furcht, den Traum zu zerreißen.
Da erscholl melodisch und mild wie ein friedliches Pastorale das Hornsignal, das die Damen daran mahnte, sich zur Abendtafel umzukleiden. Die beiden überhörten es. Für Dok Mali mischte sich das leise Rauschen der Wogen mit den goldenen langgezogenen Trompetentönen, die von fernher über das Deck klangen und der musikalische Ausdruck für das Schauspiel waren, das ihre Augen an tiefsatten Farben tranken. Immer stärker brannte das glühende Rot der Felsen, hell lohten sie gegen das klare Firmament, und dann war der Höhepunkt überschritten. Schnell kamen die Schatten der Nacht, das Wasser wurde dunkler, ja schwarz. Gespenstisch zogen die Möwen. Nur noch der obere Teil der Bergspitzen glühte, und jetzt verschlang die Finsternis das letzte Leuchten.
Es war wie ein Zauber. Keiner der Passagiere wollte von Deck gehen. Der Obersteward mußte sein Signal noch einmal blasen, und der Beginn der Mahlzeit wurde um eine Viertelstunde hinausgeschoben.
Jetzt erwachte Dok Mali aus ihrem Sinnen und fröstelte. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich. Arno blieb an der Reling stehen, er blickte auf das Wasser unten dicht an der Schiffswand. Unaufhörlich, schnell ging es weiter. Die Maschinen standen nicht still. Tag und Nacht arbeitete sich dieser Koloß vorwärts und trug alle an Bord unaufhaltsam fernen Zielen entgegen. Ein Ausruhen gab es nicht. Heute war der letzte Abend an Bord, morgen in der Frühe würde der Dampfer in Marseille einlaufen. Heute mußte er sprechen. Schon an jedem Tage hatte er sich vorgenommen, endlich Klarheit in die Zukunft zu bringen, und immer hatte er es von Stunde zu Stunde verschoben. Wenn er aufwachte, wollte er nachher im Turnsaal sprechen, aber dort waren die Übungen so anregend und ihre Stimmung so lustig, daß er dieses Thema nicht vorbringen konnte und bis zum Spaziergang auf dem Promenadendeck verschob. Da wurde wieder getanzt, und so ging es fort, bis der Abend herbeikam, und wenn sie dann nach dem Diner draußen oder im Musiksalon saßen, verrann eine halbe Stunde nach der anderen, und schließlich waren schon so viele Damen der Gesellschaft gegangen, daß Dok Mali auch aufbrechen mußte. Er glaubte jeden Abend deutlich ein Zögern auf ihrer Seite zu bemerken, und es schien ihm, daß sie den Zeitpunkt der Trennung möglichst hinausschiebe. Aber das konnte auch nur Einbildung sein.
Als er sich umgekleidet hatte, wartete er oben auf dem Promenadendeck auf seine Dame. Während er auf- und abging, zündete er sich eine Zigarette an. Die Passagiere waren schon fast vollzählig versammelt. Er wurde unruhig, da kam sie die Treppe herauf, festlich geschmückt. In ihrem Haar blitzte das Perlennetz mit den Brillanten, das sie damals auf dem Hofball trug. Auch sonst hatte sie ihre Kleidung möglichst ähnlich der des damaligen Abends gewählt.
Arno konnte nicht anders, er mußte ihr sagen, wie herrlich sie aussah. »Ihr Schmuck glänzt so magisch, und Sie sehen so hold und zauberhaft aus wie die Fee Paribune aus dem Märchenland.«
Sie sah ihn mit warmem Blick an. »Ich kenne zwar die Geschichte mit der Fee Paribune nicht – aber wenn Sie es mir sagen, muß es etwas sehr Schönes sein.«
Er küßte ihre Hand und bot ihr den Arm.
Der letzte Abend an Bord! Festliche Stimmung lag über allem. Die Kapelle spielte rauschende Weisen. Kapitän und Offiziere strahlten in ihren Galauniformen. Die Schiffskompanie tat ihr Bestes, um heute zu repräsentieren. Die Tische waren reich gedeckt und prachtvoll geschmückt. Heute, am letzten Abend, entfalteten die Damen ihre farbenfreudigsten Toiletten, Schmuck und Geschmeide blitzten auf und nicht minder die Blicke schöner Frauen.
Wenn solch eine Reise aus dem Osten auch im Verhältnis zur Dauer des Menschenlebens nur eine kurze Spanne umfaßte, war es doch ein Abschnitt, ein besonderes Kapitel, dem Meereswellen, Meeresrauschen und der Herzschlag der Schiffsmaschinen ein eigenes Gepräge gaben. Wochenlange Ruhe und Muße ließ den Menschen Zeit zum Nachdenken und Träumen.
Europäer kamen auf Urlaub aus heißer Tropensonne, um in der Heimat ihre Gesundheit zu stärken. Asiaten wollten die Wunder Europas kennenlernen. Denn ebenso wie für den Europäer der nahe und ferne Osten das Ziel der Sehnsucht, das große, unerschlossene Märchen der Menschheit bedeutet, ebenso sehnt sich der gebildete Asiate nach dem Westen mit seinen Wundern der Technik, seinem alles zermalmenden Großstadtleben, seiner Kunst, seinem Theater. Mit welcher Sehnsucht wurde von vielen das Land erwartet!
Das Gespräch flutete heiter an den Tischen. Auch Dok Mali und Arno waren in gehobener Stimmung. Sie hatte nur selten Wein getrunken, heute aber reichte sie ihm selbst ihr Glas, und als er ihr zutrank, sah sie ihn groß an und tat ihm Bescheid.
»Als Buddhistin dürfte ich eigentlich keinen Wein trinken.«
Arno war ein frohes Weltkind. Er scherzte: »Ich kann kaum glauben, daß Sie so streng sind.«
Dok Mali wurde ernst. »Nein, streng bin ich nicht. Wenn ich aber nicht Buddhistin wäre und nicht fest an die Wiedergeburten glaubte, würde mir das Leben zu schwer sein. Es gibt auf dieser Welt so viel unverdientes Leid, dessen Ursache wir nicht kennen. Ich kann es nur dann ertragen, wenn ich als Ausgleich dafür auf unendliches Glück in späteren Wiedergeburten hoffen darf.«
Arno war auf eine solche Antwort nicht gefaßt. Dok Mali wurde eifrig und erzählte ihm nun von buddhistischen Tempelfeiern und allem, was sie aus ihrer Jugend von buddhistischer Weisheit behalten hatte. »Wie schön ist doch der Spruch: ›Von Liebem getrennt sein, ist Leiden, mit Unliebem vereint sein, ist Leiden.‹«
Obschon er jetzt ernster gestimmt war, konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken und fragte schalkhaft: »Bin ich damit gemeint?«
Dok Mali schwieg. Er hatte sie nicht kränken wollen und versuchte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Aber das Thema »Von Liebem getrennt sein, bringt Leiden« zitterte in ihnen nach und war das Leitmotiv ihrer ganzen Gedanken an diesem Abend.
Die Festtafel war vorübergerauscht. Sie gingen auf das Promenadendeck, um dort den Kaffee einzunehmen. Als Arno an den morgigen Abschied dachte, kam ihm zum Bewußtsein, wie fröhlich die Gegenwart und wie öde die Zukunft sei. Seine Züge verdüsterten sich.
»Haben Sie Kummer oder Sorgen?« fragte Dok Mali teilnehmend. »Weshalb gehen Sie eigentlich nach Europa? Hat Ihre Reise eine traurige Veranlassung?«
»Nein, das gerade nicht. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich nur einen Unfall auf der Baustelle. Herabfallende Steine hätten mich beinahe erschlagen. Als ich mich in einem Sanatorium in Kalifornien erholte, erinnerte ich mich meiner Jugendträume, und es überkam mich eine Sehnsucht, die Schönheiten dieser Erde zu sehen, bevor es zu spät sei. So fuhr ich denn auf eine Reise um die Welt ohne bestimmte Zeit und ohne bestimmtes Ziel.« Dann erzählte er ihr, wie er als Waisenknabe erzogen wurde, das Bauhandwerk lernte und sich von seinen Ersparnissen weiterbildete, zuerst auf der Baugewerkschule, später auf dem Polytechnikum und auf der Akademie.
Schließlich gewann er als Architekt in Neuyork verschiedene große Konkurrenzen, wurde dadurch bekannt und besaß jetzt eine der größten Baufirmen der Oststaaten. Dazu hatte er sich durch günstige Landspekulationen in Kalifornien ein großes Vermögen von mehreren Millionen Dollars erworben.
Er schwieg und sah zu Dok Mali hinüber, die ihm aufmerksam zugehört hatte. Sie legte ihre Hand auf die seine: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir das alles gesagt haben.«
Arno fuhr fort: »So traf er unterwegs die schöne Fee Paribune, mit der er zu der Sphinx und den Pyramiden reiste und auf Kamelen durch die Wüste ritt. Mit ihr fuhr er dann nach Europa und stieg im Hafen von Marseille aus. Und hier endet das schöne Märchen.«
Es war kühl geworden. Er hing ihr das Cape um und holte eine Reisedecke aus seiner Kabine. Als er sie eingehüllt hatte, legte er seinen Arm um ihre Schulter, und als ob es so sein müßte, lehnte sie sich an ihn an. Noch nie hatte er eine Frau wirklich so mit allen Fasern seines Herzens geliebt, nie hätte er gedacht, daß ihm das Geständnis seiner Liebe so schwer werden würde. Unter Menschen gleicher Rasse sagte sich das leichter.
Sie saßen und schwiegen.
Vom Salon drang Musik und Gesang herüber. Überall hatten sich kleine Gruppen gebildet. Im Rauchzimmer spielte man. Die festgesetzte Zeit, zur Ruhe zu gehen, war längst vorüber, aber heute hörte man nicht die mahnende Stimme des Kapitäns: »Now it's time to go to bed.«
»Wohin werden Sie nach Marseille reisen?« fragte er nach einer langen Pause.
»Ich weiß es noch nicht«, entgegnete sie zaghaft, fast ängstlich.
»Dann schlage ich vor, daß Sie sich erst an der Riviera einige Wochen erholen. Ich will es auch tun.«
»Also bleiben die beiden Kamelreiter noch ein wenig zusammen.«
Aus dem Gesellschaftszimmer ertönte Tanzmusik. Ohne daß sie sich darüber verständigt hatten, erhoben sie sich, sie nahm seinen Arm, und bald schwebten sie durch den Saal.
*
In einem der Luxushotels in Nizza ruhte auf der Terrasse in einem bequemen Liegestuhl Arno Arns. Weiche Kissen stützten ihn. Buntes Treiben wogte auf dem breiten Korso, fröhliches Lachen und heiteres Gespräch der Kurgäste tönte herüber. Man hatte von hier einen herrlichen Ausblick über das Meer. Arno schien es nicht zu sehen. Er blickte trübe vor sich hin.
Akim brachte ihm ein Glas Whisky-Soda.
Wie schön hatte er sich dieses Zusammensein mit Dok Mali an der Riviera vorgestellt, und nun entwickelte sich alles so ganz anders. Sie hatte hier verschiedene ihrer früheren Freunde aus Paris getroffen, die die alte Bekanntschaft mit ihr begeistert erneuerten. Mit zweien oder dreien der Herren spielte sie früher schon Tennis, und so war man denn gewöhnlich in großer Gesellschaft.
Da sie den Wunsch äußerte, mit ihm zu reiten, willfahrte er schließlich ihrer Bitte. Nachdem er einige Male mit ihr im Tattersall gewesen war, machten sie zusammen einen Spazierritt ins Freie. Er war ein vorzüglicher Reiter. Nach kurzer Zeit wurde aber sein Rappe so unruhig, daß er abstieg und Zaum- und Sattelzeug nachsah. Da fand er am hinteren Rande unter der Decke eine Buchecker eingeklemmt. Unmöglich konnte er hier auf der Promenade den Sattel abschnallen und alles nachsehen. So ritten sie denn zurück. Das Tier ließ sich kaum halten. Als sie vor dem Stall ankamen, bäumte sich das Pferd. Es gelang ihm noch, abzuspringen, dabei taumelte er aber und erhielt einen Hufschlag gegen die linke Schulter. Es war nicht weiter schlimm, und er würde in einigen Tagen wieder wohlauf sein, aber der Ärger fraß an seinem Herzen. Wer konnte ihm diesen Streich gespielt haben? Anscheinend war er der französischen Gesellschaft im Wege.
Und Dok Mali? Die gedrückte Stimmung wich von ihr und sie lebte in der Erinnerung an ihre glückliche Pariser Zeit wieder auf.
*
Für heute nachmittag hatte man eine größere Motorbootpartie auf das Meer hinaus verabredet. Dok Mali wollte zuerst bei Arno zurückbleiben, aber das gab er nicht zu. Jetzt überlegte er: Der Abwesende hat immer unrecht, und der Anwesende hat doppelt recht. Also mußte er doppelt anwesend sein. Er versuchte sich aufzurichten, doch die Schulter schmerzte noch empfindlich, auch fühlte er ein Stechen in der Seite.
Besonders der Vicomte de Lavallette interessierte sich lebhaft für Dok Mali, und er schien ihr nicht ganz gleichgültig zu sein. Hätte er nur an jenem letzten Abend von seiner Liebe zu ihr gesprochen! Sie hätte ihm ihre Hand nicht verweigert. Aber jetzt entglitt sie ihm immer mehr, wenn er sich nicht energisch aufraffte. Von diesen leichten französischen Flaneuren durfte er sich doch nicht aus dem Felde schlagen lassen. Er wollte sich heute Klarheit verschaffen.
Gerade kam Dok Mali mit einem ganzen Schwarm von Kavalieren ins Hotel zurück. Er sah sie schon von weitem. Alle begrüßten ihn sehr höflich und freundschaftlich, beinahe herzlich. Man setzte sich einen Augenblick zu ihm nieder – eine kurze lebhafte allgemeine Unterhaltung – dann brach, Gott sei Dank! die fremde Gesellschaft wieder auf.
»Wir sehen uns doch heute abend beim Tanz?« rief Lavallette zurück.
Sie winkte zum Abschied.
Dok Mali setzte sich zu Arns, Akim servierte den Tee. Das Gespräch wollte nicht in Gang kommen. Um aber einen Anfang zu machen, fragte er, da ihm nichts anderes einfiel: »Wie steht es eigentlich mit Ihrem Tanzen? Haben Sie heute schon geübt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ach, dazu habe ich bisher gar keine Zeit gehabt. Seitdem wir hier sind, komme ich zu gar nichts mehr.«
Wieder trat eine Pause ein.
»Wie haben Sie sich eigentlich Ihre Zukunft gedacht?« sagte er unvermittelt.
Sie schaute ihn groß und befremdet an. »Ich habe manchmal Furcht davor. Was soll ich anfangen? Als ich mit Pra Rata von Bangkok fortging, wollte ich mit ihm in die Nähe von Paris ziehen. Wir hatten vor, ein kleines Landhaus zu mieten und still unserem Glück zu leben. Aber Sie wissen ja, diese Hoffnung ist nun für immer vorbei. Als Sie mir Ihre Geschichte erzählten, wünschte auch ich, etwas zu werden und viel zu leisten. Bei meiner Ausbildung hat man nicht daran gedacht, daß ich einmal allein im Leben stehen würde. Wenn ich überlege, wie viele Jahre Sie brauchten, um Architekt zu werden, habe ich gar keinen Mut mehr. Seit dem Abend lasse ich mir vieles durch den Kopf gehen. Darf ich Ihnen einmal sagen, was ich mir gedacht habe?«
Arno nickte.
»Ich habe nicht viel fürs praktische Leben gelernt, aber ich kann tanzen. Schon mehrmals bin ich mit gutem Erfolg in größerer Gesellschaft aufgetreten. Ist es möglich, daß ich den Tanz als Beruf wähle?«
Arno hatte sich den Verlauf der Aussprache etwas anders vorgestellt. Da er aber selbst das Gespräch in diese Bahn gelenkt hatte, besprach er den Plan mit ihr. Sie wurde sehr lebhaft und zutraulich, ja die alte Stimmung von Bord des Dampfers kam wieder über sie.
»Was tanzten Sie denn damals?«
»Oh, das war nichts Besonderes, ich hatte es bei dem Ballettmeister gelernt. Aber inzwischen habe ich mir viel Eigenes ausgedacht.« Und nun begann sie zu erzählen, wie sie das siamesische Ballett zu neuen Tanzschöpfungen benutzen wollte.
Er folgte gespannt ihren Ausführungen. Sie sprach jetzt das aus, was auch er in Siam empfunden hatte.
»Wir müssen von hier fort, diese Umgebung ist nichts für Sie.«
»Wo wollen wir denn hin?« fragte sie unsicher.
»Am besten gehen wir nach Mittelitalien, vielleicht nach Florenz. Dort könnten wir Ihren Plan in aller Ruhe beraten.«
Allmählich fing er an, sich für diese Idee zu begeistern; der Künstler regte sich in ihm. Er erzählte ihr, wie er Kostüme für sie entwerfen wolle, und wie ein Tanz nach vielen Seiten hin reiflich durchgedacht und ausgeprobt werden müsse.
Dok Mali war ganz Ohr. »Können Sie mir denn noch so viel Zeit opfern?« fragte sie. »Sie wollten doch nach Deutschland?«
»Ich habe keinen festen Reiseplan. Wir wollen zunächst einige Tänze vorbereiten, und wenn alles gut geht, können Sie vielleicht schon in einem halben Jahr zum erstenmal auftreten. Ich werde Ihr Impresario.«
Dok Mali sah ihn zweifelnd an. »Ach, bitte, treiben Sie nicht Ihren Scherz mit mir! Das wäre zu schön.«
»Es ist mein voller Ernst. Hier meine Hand darauf, schlagen Sie ein!«
Noch halb ungläubig reichte sie ihm die Hand, die er festhielt. So war aus einer Liebeserklärung ein Künstlervertrag geworden.
Dok Mali tanzte an diesem Abend nicht mit Lavallette und seinen Freunden.
*
Arno stand vor der Staffelei und zeichnete emsig. Auf einem Tisch neben ihm lagen Farbstifte, Aquarellkasten, Pinsel und Papiere in den verschiedensten Tönen. Durch das geöffnete große Fenster fiel der Blick in das liebliche Flußtal. Im Hintergrund erhob sich majestätisch die altehrwürdige Kuppel des Florentiner Domes. Breit hingelagert dehnte sich die berühmte Stadt der Medici. Er hatte diese Villa auf längere Zeit gemietet, um hier in aller Ruhe mit Dok Mali Tänze einzustudieren. Im Verhältnis zu seinen sonstigen großen Projekten waren dies kleine Aufgaben, aber er arbeitete mit ganzer Hingabe daran, und da die Liebe zu Dok Mali seine Schaffenskraft beflügelte, fand er hohe künstlerische Befriedigung darin.
Sie trat eben ins Zimmer. Der Luftzug wehte ein paar Blätter zu Boden; sie nahm sie wieder auf. Arno war so im Eifer, daß er sich nicht gleich von seiner Zeichnung trennen konnte. Der letzte Gedanke mußte erst noch mit einigen Strichen festgehalten werden.
Sie sah ihm zu. »So viele schöne, neue Skizzen sind ja wieder fertig geworden.«
»Ja, heute habe ich einen guten Tag.«
Dok Mali reichte ihm ein Telegramm.
»Großartig. Mein Bruder Theo ist schon in Genua eingetroffen. Sie wissen, daß ich ihn dringend hierher eingeladen habe.«
»Konnte er denn so schnell von Amerika loskommen?«
»Ja. Spätestens morgen wird er hier sein.« Arno war freudig gestimmt. »Theo kann uns viel helfen, er malt fabelhaft.«
»Ich bin sehr gespannt auf ihn. Aber jetzt werde ich Sie nicht weiter stören.« Sie nickte ihm freundlich zu und ging wieder hinunter, wo mehrere Räume nur für sie eingerichtet waren. Sie rief Mä Di, die ihr beim Entkleiden half; dann trat sie in ein großes, achteckiges Zimmer, das innen an den Wänden und an der Decke ganz mit Spiegeln verkleidet war. Das war ihr Reich, niemand hatte hier Zutritt. Sie mußte allein sein, um ihren neuen Tanzideen Ausdruck geben zu können, und übte nackt, um in strenger Selbstkritik ihren Körper zu beobachten und zu schulen.
Langsam machte sie einige Bewegungen – so würde es gehen. Vielfach warfen die Spiegelflächen ihr herrliches Bild zurück. In elastischer Kurve hob sie die schönen Arme, bis die weiche Plastik der prachtvollen Brüste ganz hervortrat – die einzelnen Stellungen mußten noch harmonischer miteinander verbunden, die Übergänge geschlossener und gleitender werden. Von allen Seiten bestätigten ihr die Spiegel die wohlabgewogene Schönheit ihres Tanzes. Nach und nach steigerte sie die Wirkung durch Gewand, Geschmeide und Blumenschmuck. Schließlich war sie mit sich zufrieden.
Nach Tisch tanzte sie Arno die neue Komposition im Salon vor.
»Die Bewegungen sind gut, aber statt des violetten würde ich einen dunkelroten Überwurf versuchen. Der paßt besser zu den Dekorationen.«
Sie gingen zusammen zur Versuchsbühne, wo der Theatermaler gerade die Kulissen für die »Versuchung Buddhas« aufbauen ließ. Dok Mali stellte sich davor. Der Raum wurde verdunkelt, die Scheinwerfer blitzten auf. Mä Di brachte auf ihren Wink seidene Schals in den verschiedensten Tönen. Nun probierte man den neuen Tanz auf alle Möglichkeiten der Farbe und der Beleuchtungseffekte durch.
Arno war ganz in seinem Element. »Wir wollen noch einmal ›Nachtlotosblume‹ durchnehmen.«
Die Kulissen und Dekorationen wurden aufgebaut. Der ganze Bühnenraum war in blaue, weiße und Silbertöne getaucht. Die verschiedenen Abstufungen des Blau vertieften sich bis zu Samtschwarz, und die geschickt verteilten, giftgrünen Flecke der Blätter hoben durch ihren Kontrast die Wirkung. Goldene Lichter waren über die Fläche verstreut.
Jetzt erschien Dok Mali auf der Bühne. Das Blütenweiß ihres Gewandes war durch Schmuck von Perlen und Aquamarinsteinen betont und ließ ihre braungolden irisierende Körperfarbe prachtvoll hervortreten. In fein abgestimmten Nuancen rieselte von oben Mondlicht herab. Eine geheimnisvoll dunkle Melodie begleitete ihren Tanz.
Leise trat Theo Arns durch die schweren Portieren in den verdunkelten Raum. Niemand beachtete ihn. Staunend wandte er seinen Blick zur Bühne. Dok Malis schlanke Gestalt und der Zauber ihrer jugendlichen Anmut nahmen ihn gefangen. Ihr duftiges Kostüm ließ die edlen Formen ihres Körpers erkennen. Das feine Oval ihres Gesichtes, von schwellenden Lippen belebt, wechselvoll im Ausdruck, je nach der Stimmung, zeigte eine weiche Frauenschönheit. Und dann ihre Augen – tiefschwarz unter kühngeschwungenen Brauen, feurig aufblitzend und wieder ruhig und sicher blickend, in der Trauer elegisch und wie durch einen Flor verschleiert, in der Andacht von langen seidenen Wimpern beschattet.
Als die letzte Tanzbewegung erstorben und der letzte Ton verklungen war, strahlte der Raum wieder in hellem Licht.
»Guten Abend, Arno! Entschuldige, daß ich ohne Erlaubnis in dieses Feenreich eingedrungen bin.«
Herzlich war die Begrüßung zwischen den Brüdern.
Dok Mali eilte in ihrem Tanzgewand herbei und reichte ihm die Hand. »Wie lieb, daß Sie zu uns gekommen sind!«
Für heute war es mit den Proben vorbei. Die beiden gingen hinauf, Dok Mali wollte sich umkleiden und später nachkommen.
»Deine begeisterten Briefe haben mich sehr überrascht, aber jetzt verstehe ich alles. Dok Mali ist wirklich von so zauberhafter Schönheit, wie ich noch keine Frau sah.« Theo war noch ganz benommen. »Es stimmt alles so wunderbar zusammen, Tanz, Musik und Farbe. Über ihre bezaubernde Eigenart bin ich ganz erstaunt und könnte sie mir gar nicht in europäischen Tänzen vorstellen.«
»Du hast recht«, erwiderte Arno. »Als wir zuerst mit Ballettstudien und Spitzentänzen begannen, leistete sie zwar Außergewöhnliches; als sie mir aber siamesische Tänze mit siamesischer Mimik vorführte, wurde mir klar, daß dies ihr eigenstes Gebiet ist, auf dem sie die größten Erfolge erringen wird. Erst nachdem sie sich von dem Zwang europäischer Ballettschule befreite, kam sie zu diesen fabelhaften Leistungen.«
Die Unterhaltung wandte sich Theos Reise zu. Sie hatten sich viel zu erzählen.
Sofort nach Dok Malis Erscheinen ging man zu Tisch. Wieder war von ihrer Kunst die Rede.
»In Siam tanzen immer viele junge Mädchen zusammen. Es ist schade, daß ich nicht einen Chor von Siamesinnen habe, dann würden die Tänze viel reicher wirken.«
»Sicher käme mehr Abwechslung hinein«, stimmte Arno zu.
»Vielleicht machen Sie einen Versuch mit Süditalienerinnen«, meinte Theo.
Dok Mali lachte, aber der Vorschlag gefiel ihr ganz gut. Auch Arno trat dafür ein, und man wollte gleich in den nächsten Tagen Ernst damit machen.
»Ich halte allerdings einen richtigen Tanzpartner noch für wichtiger«, sagte Arno. »Aber den passenden Tänzer für Dok Mali zu finden, ist nach unseren bisherigen Erfahrungen fast aussichtslos. Wir haben schon viel vergeblich annonciert und manche Enttäuschung erlebt.«
»Die Musik hat mir sehr gut gefallen«, sagte Theo.
»Ja, Primaveccio ergänzt uns ausgezeichnet. In einem Caféhaus fiel er uns durch sein wunderbares Geigenspiel auf. Er ist außerordentlich begabt und kann die Motive, zu denen er durch Dok Mali angeregt wird, gleich in Noten umsetzen, die das Geheimnisvolle ihrer Tänze gut widerspiegeln.«
Später gingen sie noch in dem Park spazieren und saßen dann lange auf der Terrasse in angeregter Unterhaltung beisammen. Die Lichter des nahen Florenz schimmerten herüber. Unten rauschten die Fluten des Arno. Ein prachtvoller Sternhimmel wölbte sich über ihnen. Vom Fluß tönte Gesang und Mandolinenspiel herauf.
*
In den nächsten Tagen besuchten sie gemeinschaftlich ein Theater und gingen nachher zu einer russischen Tanzvorstellung. Feurige Nationaltänze wechselten mit hervorragend guten Soloeinlagen. Besonders der geschmeidige Wladimir Purtiloff erregte ihr Interesse. Arno gelang es, ihn zu sprechen und ihn zum nächsten Nachmittag einzuladen. Die Truppe blieb noch vierzehn Tage in Florenz, und als Purtiloff einige Male mit Dok Mali geprobt hatte, war man so zufrieden, daß ihn Arno engagierte und von seiner Truppe gegen eine größere Abstandssumme loskaufte. Dieser Russe hatte ein so ausgeprägt feines Kunstgefühl für asiatische Tänze, daß er sich in kürzester Zeit mit großer Genialität in seine schwere Aufgabe einlebte.
Theo hing sehr an seinem älteren Bruder, und beide verstanden sich ausgezeichnet. Er galt für einen der gesuchtesten Porträtmaler in Neuyork und war eine schlanke, elegante Erscheinung, aber im Gegensatz zu seinem Bruder blond und blauäugig. Theo wunderte sich sehr darüber, wie sich Arno durch das Zusammensein mit Dok Mali verwandelt hatte. Als er zuletzt in Amerika von ihm Abschied nahm, war er schweigsam und ernst gewesen – jetzt aber traf er ihn in frohester Stimmung wieder. Arno erzählte ihm selbst, daß er ein ganz anderer geworden sei, seitdem er als Künstler, und zwar für Dok Mali, schaffen konnte. Theo freute sich über die Leistungen seines Bruders sehr. An Brillanz der Farbe und kühner Zusammenstellung war er unübertrefflich. Theo, selbst Maler, hatte Mühe, dem Flug seiner Ideen zu folgen.
Beide Brüder wetteiferten nun, Tänze Dok Malis zu den erlesensten Kabinettstücken darstellender Kunst zu machen.
Aber schöne Ideen allein führten nicht zum Ziel und Erfolg, sondern nur systematisch strenge Arbeit und zäher Wille. Über all das verfügte Arno, und so wurde er wirklich Dok Malis großer Manager in des Wortes umfassendster und bester Bedeutung, und sie fühlte sich sicher unter seiner Leitung. Beide steigerten sich gegenseitig. Wenn sie eine geniale neue Tanzbewegung fand, geriet er in Begeisterung. Dok Mali kannte dann ihren ruhigen, stillen Begleiter vom Dampfer gar nicht wieder.
Tage, Wochen und Monate vergingen, keiner merkte es.
Die gemeinsame Arbeit hatte alle so sehr angeregt und in Bann geschlagen. Schon war der Oktober herbeigekommen. Aber man hatte auch viel erreicht.
Wien war für das erste Auftreten Dok Malis gewählt. Theo fuhr voraus, in zwei Wochen sollte die erste Aufführung stattfinden. Als Dok Mali mit Arno eines Abends im Park spazieren ging, sagte sie unvermittelt:
»Wir haben jetzt sehr viel gearbeitet und dürfen uns wohl eine kleine Erholung gönnen.«
»Sie haben recht. Wir wollen morgen noch eine Probe abhalten und dann vor der Wiener Aufführung eine Woche nach Neapel und Sizilien gehen.«
Arno saß am nächsten Morgen während der Vorführung tief im Zuschauerraum. Bisher hatte er immer die Regie geführt, heute versuchte er sich in die Lage eines unbefangenen Zuschauers zu versetzen. Jetzt, als er sich der Wirkung der Tänze ganz und gar hingab, erkannte er erst, wie hoch die künstlerischen Leistungen Dok Malis standen. Seine Begeisterung stieg von Tanz zu Tanz. Schluß und Höhepunkt war die »Gattinnenwahl«.
Der Tanz bezog sich auf einen altsiamesischen Brauch. Die Frauen der Großen führten jeden Abend vor ihrem Herrn einen Reigen auf, wobei sie alle ihre Schönheiten in reizvollen Bewegungen entfalteten. Die unter ihnen, die sein größtes Gefallen erregte, bezeichnete er durch ein Geschenk als Erwählte der nächsten Nacht.
Dok Mali wurde durch den Tanz an sich erotisch erregt, und der Duft ihrer geheimsten Schönheit offenbarte sich. Die Ausdrucksfähigkeit ihrer Bewegungen und Mimik war unübertrefflich, ihre Gelenkigkeit grenzte ans Wunderbare – sie konnte ihre Fingerspitzen bis auf den Unterarm zurückbiegen. Ihre schwarzen Augen flammten. Arno gab sich ganz dem Zauber ihres Tanzes und ihrer Persönlichkeit hin, und seine Leidenschaft erwachte. Das Blut sang in seinen Schläfen, er hatte Mühe, ruhig zu bleiben.
Die Probe war zu Ende.
Eine Stunde darauf fuhr der Regisseur mit dem ganzen Personal nach Wien, um dort die Ankunft Dok Malis zu erwarten.
*
Am Nachmittag saßen Arno und Dok Mali am Flusse in einer Laube. Leise rauschte das Wasser an der hohen Böschungsmauer vorüber. Der letzte Glanz italienischer Herbstsonne vergoldete die Landschaft. Ein sanfter Südwestwind kam von der Küste. Arno war in gehobener Stimmung. »Wenn die Aufführung in Wien auch nur ein Abglanz der heutigen Probe wird, wird Mani Mekala beispiellosen Erfolg haben. Ich kann es kaum erwarten, Sie vor einem großen Publikum auftreten zu sehen.«
Dok Mali schwieg. Er fing ihren seltsam erregten Blick auf, der seine verhaltene Leidenschaft aufs neue emporlodern ließ. Er wollte sprechen, die Worte versagten ihm. Wieder begegneten sich ihre Blicke – da sank er zu ihren Füßen nieder, und sie gehörten einander an ohne Worte. – –
Arno und Dok Mali fuhren nicht nach Neapel ...
*
»Jetzt dürfte Pya Prajura endlich erledigt sein. Die Regierung hat den Beweis in der Hand, daß er sich alte Kriegsschiffe von England gekauft hat, um sich mit Waffengewalt zum König zu machen«, sagte Luang Nimit.
An einem großen Teakholztisch saßen Beamte des Ministeriums des Innern im Kasino und speisten zu Mittag.
»Ach, höre doch von Pya Prajura auf, der ist mehr als einmal totgesagt worden!« antwortete Pra Anurak.
»Es ist nur gut, daß Dok Mali geflohen ist, sonst wäre Prajura vielleicht längst König. Damals war doch schon alles vorbereitet zu dem Bau eines Palais für sie – die Pläne sind fertig, sie mußten in acht Tagen vom Hofarchitekten gezeichnet werden.«
»Ich verstehe Dok Mali nicht. Wenn sie gewollt hätte, könnte sie heute die größte Macht in Siam haben«, meinte Pra Rampai.
Alle wußten etwas zu berichten.
»Eine tragische Situation – der König kennt seinen Gegner, der ihm Leben und Thron entreißen will, und verliebt sich in dessen Tochter.«
»Dok Mali floh, weil sie den König nicht verraten wollte. Pya Prajura hatte sie in seine Pläne eingeweiht, nach denen sie ihn nach der Hochzeit beseitigen sollte.«
»Da warst du wohl dabei, als er ihr das unter vier Augen sagte?« mischte sich Pra Anurak wieder ein.
Die tollsten Gerüchte wurden in der Hauptstadt verbreitet. Die jüngeren Beamten wußten natürlich alles, und was sie nicht wußten, kombinierten sie hinzu.
»Übrigens hat sich Dok Mali in Paris verheiratet.«
»Ja, verheiratet schon. Aber dabei hat sie offenbar das gesuchte Glück nicht gefunden. Ich habe bestimmt gehört, daß sie sich vergiftet hat.«
Die Tür wurde aufgerissen. »Prinz Marupong ist wieder Finanzminister, Pya Prajura ist gestürzt«, rief Kun Akani.
»Woher weißt du das?«
»Prinz Marupong ist oben beim Ministerpräsidenten. Ich habe ihn angemeldet. Prinz Prabodi hat ihm gratuliert, ich habe es selbst gehört.«
Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Kun Akani hatte wirklich recht gehört. Am nächsten Morgen stand es in den Zeitungen.
*
In der letzten Zeit war der Boden in Bangkok sehr heiß geworden. Es sickerte durch, daß Beamte des Prinzen Prabodi verborgene Schiffsgeschütze in der Zollstation bei Chankaburi festgestellt hatten. Das waren die Kanonen zu den von Frankreich gelieferten Zollkreuzern. Noch mehr für Frankreich unangenehme Entdeckungen und Nachrichten folgten. Die Gerüchte darüber konnten auf Wahrheit beruhen, die Beteiligten schwiegen sich hartnäckig aus. Die Französische Gesandtschaft dementierte offiziell die ganze Angelegenheit, und die politische Höflichkeit verlangte, daß man es glaubte oder wenigstens so tat.
Die Gemüter hatten sich einigermaßen beruhigt, als plötzlich mehrere japanische Beamte entlassen wurden und der japanische Gesandte auf Erholungsurlaub gehen mußte. Richtig, Pya Prajura stand ja auch mit ihm in engster Fühlung. Hierbei kam schon mehr an die Öffentlichkeit. Ein japanischer Arzt, der Versuchsplantagen mit Kaffee und Baumwolle angelegt hatte, war in Sriracha als Leiter des Krankenhauses angestellt worden. Wer die Landzunge von Sriracha besaß, war Herr des Hafens von Bangkok und der Menammündung und hatte damit den Schlüssel für das ganze Königreich in der Hand. Nach einiger Zeit richtete der Arzt an die Regierung ein großes Memorandum, in dem er die Erfolge seiner Pflanzversuche mit Kaffee und Baumwolle als hervorragend bezeichnete, große Tabellen aufgestellt hatte und behauptete, es müßten bei Sriracha große Plantagen errichtet werden, sie würden einen ungeheuren Nutzen abwerfen. Dieses Projekt war aufs wärmste von Pya Prajura befürwortet und dem Ministerrat vorgelegt worden. Das siamesische Ackerbauministerium wollte der Sache nähertreten und die erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Aber der Japaner erklärte, daß für diese Spezialarbeiten nur seine Landsleute geeignet seien, und versprach goldene Berge, wenn man ihm gestattete, etwa tausend Kulis aus Japan zu holen. Dadurch wurde man aufmerksam und entlarvte bald seine Absichten. Auch die Siamesische Gesandtschaft in Tokio war auf dem Posten und konnte feststellen, daß die verlangten Arbeiter die Reservemannschaften eines bestimmten japanischen Regiments seien. Weitere Nachforschungen ergaben, daß die Angehörigen des ganzen Regimentsstabes bereits irgendwie in Siam tätig waren, teils als Verkäufer in japanischen Läden, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen, teils als siamesische Beamte. Der japanische Arzt wurde auf der Stelle entlassen. Man hatte auch herausgebracht, daß er genaue Karten von der Menammündung angefertigt und die ganze Küste kartographisch aufgenommen hatte. Deshalb liebte er auch den Fischfang so sehr und war bei ruhigem Wetter immer mit einem Boot unterwegs. In Wirklichkeit peilte er Meerestiefen.
Die von Pya Prajura eingerichtete Seidenfarm rentierte sich plötzlich nicht mehr, und die japanischen Spezialisten für Seidenbau reisten ab. Ebenso gingen die japanischen Läden wieder ein. Kurzum, die blühende Blume der Freundschaft zwischen Siam und Japan welkte über Nacht, weil böse Wühlmäuse ihre Wurzeln abgenagt hatten. Man erzählte wieder, daß da Zusammenhänge bestanden hätten, Pya Prajura aber in diesem Fall der betrogene Betrüger gewesen sei. Die Japanische Gesandtschaft dementierte, und das mußte man wieder glauben, denn es war offiziell.
Immerhin warf es ein Schlaglicht auf japanische Expansionsgelüste. Ähnliche Meldungen kamen damals aus Australien, von Kalifornien, den Philippinen und sogar der birmanischen und indischen Küste.
Am klügsten verhielt sich die siamesische Regierung. Sie machte Pya Prajura nicht zum Märtyrer, da sie ihn nicht zum Tode verurteilte, sondern frei ausgehen ließ, und gab so den Beweis sicherer innerer Ruhe und Festigkeit. Der Ministerpräsident, Prinz Prabodi, dementierte gar nichts, behandelte dadurch die ganze Angelegenheit als Bagatelle und überwarf sich deshalb auch nicht mit den befreundeten Regierungen von Frankreich und Japan.
Die Eingeweihten wußten alles, zeigten ein freundliches Gesicht und schwiegen; die Nichteingeweihten wußten noch viel mehr, schmunzelten und schwiegen nicht. Und so konnte jeder darüber denken, was er wollte – und das tat er auch.
Das vom Ministerpräsidenten gegen Prajura beantragte Verfahren wegen Hochverrats genehmigte der König nicht, da er in Erinnerung an Dok Mali Gnade für Recht ergehen ließ. Nach einer ernsten Unterredung mit dem Prinzen Prabodi wurde Pya Prajura lammfromm. Ihm waren alle diese Dinge aus leichtbegreiflichen Gründen sehr peinlich, und er zog es deshalb vor, auf längere Zeit seine angegriffene Gesundheit außerhalb der Hauptstadt wieder in Ordnung zu bringen. Er litt persönlich sehr unter den Verhältnissen. Am meisten aber schmerzte ihn die Flucht seiner Tochter Dok Mali. Er fühlte sich wirklich vereinsamt.
Die erste Königin hatte Malila als Hofdame zu sich genommen. Allgemein nahm man an, daß Malila nach dem Sturz ihres Vaters in Ungnade fallen würde. Aber das geschah nicht, sie wurde im Gegenteil ausgezeichnet. Früher protegierte der König die schöne Tochter Pya Prajuras, jetzt tat es die Königin.