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Des Klosters Hochamt ist zu Ende,
Doch noch von Betern überfüllt
Sind Schiff und Gänge, zart umhüllt
Vom Weihrauchduft der Segensspende.
Heut prangen Säulen sowie Wände
In blumenheiterm Festtagsstaat.
Und von der Gnadenmutter Kleid
Aus plumpem, steifem Goldbrocat
Blitzt durch den Dunst der Opferkerzen
Perlschnur und Edelsteingeschmeid
In all der armen Waller Herzen,
Die jetzt, vor ihr auf's Knie gefallen,
Mit gläub'gem Kinderlippenlallen
Um Wunder flehn für Noth und Schmerzen.
Und draußen in den Kreuzganghallen,
Ringt, schwer von einem Kreuz beladen,
Manch andrer Zug nach Wundergnaden,
Und rutscht die Kniee büßend wund.
Ein dritter wäscht am Klosterbronnen,
Aus siebenfachem Rohr geronnen,
Die kranken Augen sich gesund,
[90] Da er sie siebenmal besprengt.
Und Andre, Kopf an Kopf gedrängt,
Stehn gaffend vor den Wachsgeschenken,
Von ausgewachs'ner Mannsstatur
Bis zu den kleinsten Kindsgelenken.
Auch die und jene Wundercur
Wird überzeugend zugeraunt,
Und höchlichst dann auch angestaunt.
So geht's nun schon drei Tage fort
An diesem heil'gen Gnadenort.
Lief doch in's Land erst weit die Mähre,
Daß dieser neue Klosterabt,
Deß Weihe gestern stattgehabt,
Unfehlbar schon ein Heil'ger wäre,
Und seinethalb drei Tage lang
Das Bild besondre Wunder wirke!
Auch großer Ablaß ward verkündigt,
Der jeden Reuigen entsündigt.
Drum aus dem fernesten Bezirke
Kam zahllos her der Pilger Zug.
Die Kirche war nicht groß genug,
Drin Tag und Nacht ihr Lied erklang.
Und Messen sind bestellt schon worden,
Daß nicht ein Jahr genug gewesen,
Ließ' alle dieser einz'ge Orden
Nur durch die eignen Priester lesen.
Doch gegen all dieß dumpfe Wogen
In Kirchenschiff und Kreuzgangbogen,
Und all der Bauern laut Getreibe
Vor Wurstküch- und in Schenkenzelten,
[91] Die auch der Pilger ird'schem Leibe
Ihr Labsal zur Verfügung stellten –
Wie war's im Oratorium
Des Mönchconvents nun grabesstumm!
Im festtäglichen Abtsgewand,
Den Stab in der beringten Hand,
Auf thronerhöhtem Stuhl so eben,
Von allen Mönchen rings umgeben,
Abt Innocenz sich niederläßt.
Mit wolkendüsterm Antlitz schaute
Der Herbsttag draußen auf dieß Fest.
Doch auch aus all der Mönche Mienen
Kein reiner Freudenhimmel blaute.
Hoffährtig nur sie meist erschienen,
Und andre stumpf wie tiefbetrübt.
Nur er, im Mienenzwang geübt,
Sah regungslos herab zu ihnen.
Und doch, war's ihm ein heimlich Laben
An der Besiegten Minderzahl,
Die in der bessern Herzenswahl
Dem Theophil die Stimme gaben! –
Doch
Der, wie auch mit dreistem Munkeln
Der Sieger Augen ihn umfunkeln,
Steht wie leibhaft'ger Seelenfriede;
Und in des Hohns Triumphesliede
Sein Herz wie Orgelklang ertönt,
Der banger Beter Leid versöhnt.
Der Abt noch eine Weile sinnt,
Und feierlich er dann beginnt:
»Ehrwürd'ge Brüder, Gruß und Segen! –
[92] Nachdem euch Christi Leib gespeist,
Und ihr gefleht zum heil'gen Geist:
Euch zu erleuchten allerwegen,
Ward ich, Unwürdigster, erwählt.
Doch, einzig durch Gebet gestählt,
Kann ich's trotz meiner Sünden wagen,
Solch schweren Amtes Last zu tragen.
So helft auch ihr mir, nicht zu zagen
Vor'm immer wachen bösen Feinde!
O betet für mich – Alle – Alle!«
Und allzumal in dumpfem Falle
Warf nieder sich die Mönchsgemeinde.
Er selbst sank zum Gebet auf's Knie.
»Erhebt euch!« – rief er jetzt dem Hauf,
Und wiederum umstanden sie
Den neuen Herrn und horchten auf:
»Nun wißt ihr auch, daß in der Nacht,
Die Abt Johannes Tod gebracht,
Weitum in unserm Klosterland
Zugleich die Blüth' erfroren ist.
Wer hat nun solchen Weltverstand,
Der solches Frostes Sinn ermißt? –
O mahnt' uns drin nicht Gottes Finger,
Der unsre Reben so verdarb,
Daß uns in frost'ger Weltlust Zwinger
Der Seele Weinstock gleich erstarb?
Und daß wir nun drum büßen sollen,
Sofern wir nicht verfallen wollen
Dem Fluch allew'gen Gottesbannes? –
O betet für den Abt Johannes!« …
[93]
Ach, wie bei diesem edeln Namen
Jetzt Manchen Schauer überkamen!
Und manche Lippe seufzte schwer.
Denn Innocenz sah streng umher,
Als sei er der verworfnen Geister
Wegweiser oder Kerkermeister. –
Die Jüngern wagten mehr und mehr
Am Becher des Triumphs zu nippen.
Doch auf des Gutsverwalters Lippen
Spielt' ein geheimer Zug des Spottes:
»Das sei für uns der Finger Gottes?
Fror's denn bei Guten wie bei Bösen
Nicht völlig gleich in fernen Weiten?
Was giebt's da Räthsel aufzulösen?
Uralt ist solche Winzerklage.
Drum heißen auch seit alten Zeiten
›Eismänner‹ die drei Azitage.«
Und wiederum der Abt begann:
»Nun höret aber auch zugleich
Die Vision, die gnadenreich
Mir Gott in
heut'ger Nacht gezeigt!« –
Und, mit dem Kopfe vorgeneigt,
Beschrieb er eines Kreises Rund.
Dann sprach er wie mit Sehermund:
»Seht her!
so lag als Meeresschlund
Die ganze Menschheit vor mir da;
Und hoch erhöht auf Felsengrund
Im göttlichen Apostelsitze
Des Papstes Majestät ich sah
Mit Hirtenstab und Bannfluchblitze. –
Den ersten hielt er in der linken,
[94] Den zweiten in der rechten Faust.
Und sah ich mit dem Stab ihn winken,
Dann kam die Meerfluth, lichtumsäumt,
Voll Ehrfurcht um den Fels gebraust.
Doch sah ich mit dem Blitz ihn dräuen,
Umbrüllte sie, wild aufgebäumt,
Den Thronstuhl gleich ergrimmten Leuen. –
So schaut' ich um der Kirche Felsen –
Jahrhunderte, minutengleich –
Bald licht bald nächtig Wogenwälzen
Im Ringen um das Gottesreich …
Da – plötzlich sah ich – welch ein Wunder!
Hoch über schaum'gen Wogenkämmen
Des Herren Hand die Fluthen dämmen.
Sie wurden runder, immer runder,
Und endlich flacher, immer flacher.
Des Felsens grimmste Widersacher,
Selbst diese mußten sich mit Zischen
Jetzt mit den Friedenswogen mischen.
Und nach dem tausendjähr'gen Streiten
Lag als Erfüllung aller Zeiten
Nun sonnigklar der Meeresstrom,
Abspiegelnd drinnen Petri Dom,
Der zauberherrlich draus erstand.
Und hoch vom Thurmkreuz, himmelnah',
Die Inschrift flammend niedersah:
›
O Roma, gentium patria!‹ –
O Rom, der Völker Vaterland.«
Wie jetzt der Mönchsconvent gelauscht,
Als hab' ihn Adlerflug umrauscht!
Und es verspürten wohl die Meisten:
[95] Ein Geist, viel mächt'ger, als der ihre,
Sie nach Belieben nun regiere.
Ja, selbst die Faulen und die Feisten
Von diesem Geist ein Hauch beschlich,
Und auch der Witzigste, schier bange,
Vor solchem Ernst die Segel strich.
Und wie geschah erst Odilo?
Wie das Kaninchen oft der Schlange
In mag'schem Garn in's Auge blickt,
Auch ihm, so oft er auch nun floh,
Des Abtes Blick das Herz umstrickt.
Er kann und kann ihm nicht entrinnen.
Stets tiefer nur versinkt er drinnen.
Und – o
der qualvoll hehren Wonnen! –
Der Mystik dunkler Zauberbronnen,
Nun hat er ganz ihn überronnen.
Auch Innocenz gar wohl verspürte:
Wie hundertfach als einz'ger Mann
Er so verschiednes Geistgespann
In
einer Faust zum Ziele führte.
Und mit gewalt'ger Redewendung
Begann des Meisterstücks Vollendung:
»Mit Thränen nest' ich nun mein Kissen,
Wie Dank und Jubel sie macht thauen.
Und wieder ward zu neuem Schauen
Von Gottes Geist ich aufgerissen.
So hört denn, was ich weiter sah! …
Weg war das Meer. Auf trocknem Sand
Stand jetzt die Menschheit vor mir da,
[96] Von jedem Stamm, aus jedem Land,
Vielfarbig Antlitz wie Gewand,
Zahllos wie nächtens Stern an Stern –
Ein einzig heilig Volk des Herrn.
Und wieder mitten drinnen stand
Des Petristuhles Felskoloß.
Doch dann auf blüthenweißem Roß
Kam aus der Völkerschaaren Mitten
Ein Fürstenjüngling hergeritten,
Der Schönheit und der Kraft Genoß.
Erst sprengt' er zu dem Felsen vor,
Sah demuthsvoll zum Papst empor,
Sich dreimal neigend vor deß Throne;
Sprang drauf vom Roß, nahm Schwert und Krone,
Und legte sie dem Papst zu Füßen.
Und niederstieg der Vater drauf,
Den ehrfurchtsvollen Sohn zu grüßen,
Und reicht' ihm neu des Schwertes Knauf,
Setzt auch die Kron' ihm wieder auf.
Dann hielt der Jüngling Zaum und Bügel.
Er half dem Papst auf's Pferd zugleich,
Führt' ihn zu Fuße dann am Zügel
Als sein
Vasall durch's Völkerreich;
Und Millionen Hände schwangen
Zum Himmel grüne Palmenreiser,
Und Engelsschaaren Gloria sangen –
Dem apostol'schen Völkerkaiser!« …
Tief Odem holend jetzt er schwieg.
Welch unbegrenzter Herrschaft Welt,
Vom Licht der Sehnsucht aufgehellt,
Den jüngern Geistern da entstieg!
[97] Manch Andrer hatte, geistesstumpf,
Nur halb der Worte Sinn erfaßt.
Ein Dritter warf auf den »Bombast«
Geheim nur aus des Hohnes Trumpf.
Kleingläubig fragt' auch Manches Miene:
Wozu solch Wort wohl
Mönchen diene,
Und ob dieß Weltreich je erschiene?
Doch er, der schnell in jedem Zug
Den Geist, der ihn geformt, erkannte –
Anreizend zu erneutem Flug
In neuem Eifer jetzt entbrannte:
»Zwar, fromme Brüder in dem Herrn –
Uns liegen dieses Weltreichs Zeiten
Vielleicht Jahrhunderte noch fern.
Doch jetzt schon ist's uns heil'ge Pflicht,
Daß wir sie helfen vorbereiten.
Und wähnt in
falscher Demuth nicht,
Als ob wir schwache Mönche hier
Doch allzu wenig Macht besäßen,
Um mitzubau'n an solchem Reich!
Wär's gleicher Irrthum nicht, wenn wir
Das Beispiel Gottes jetzt vergäßen,
Der, so im Land wie Wasser gleich,
Aus Körnern Sands Gebirge schuf
Und aus den Quellen Meere speist?
Nun denkt euch erst den Menschengeist!
Und wer ermißt wohl deß Beruf,
Der sich in Gottes Dienst gestellt?
Wer giebt im Voraus schon euch Kunde,
Wohin ein Wort aus eurem Munde
Fruchtzeugend einst als Saatkorn fällt?
[98] Ja, war's nicht einst ein Hirtenknabe,
Der mit dem Völkerhirtenstabe
Als Papst beherrscht die ganze Welt?
Drum, wer ist groß, und wer ist klein? –
Der Herr ist wahrhaft groß allein,
Der unter seiner Kirche Gliedern
Erhöhen kann und auch erniedern.«
Jetzt steht er auf. Die hagern Hände
Reckt er hinaus zur Segensspende:
»So segn' ich unsre heil'ge Fahne,
Die ich zum Kampf euch vor will tragen.
Als Gottesstreiter ich euch mahne,
Daß ihr die Schlacht mit helfet schlagen –
Die Schlacht gen Alle, die nicht Rom
Als Centrum dieser Welt verehren.
Helft dieser Neuzeit Geistesstrom
Den sünd'gen Wellenschlag verwehren!
Vertilgen helfet alle Lehren,
Nicht approbirt in Petri Dom!
Was nicht katholisch apostolisch,
Es sei verflucht als diabolisch!
Nur Rom sei euer Vaterland,
Die Kirche nur sei euer Staat
Und einz'ger Unterthanverband!
Der Papst nur sei euch Potentat! –
Freund sei euch jedes Volk der Erde
In der kathol'schen Gottgemeinde!
Die andern alle sei'n euch Feinde! –
Und daß dieß einst Erfüllung werde,
Drum segn' ich euch in Christi Namen.
So kämpft, harrt aus und sieget! – Amen.«
[99] Und des Dreiein'gen Segen rief
Er nieder auf der Mönche Schaar,
Die, bis zum Knie die Stirne, tief
Zum Boden hingeworfen war
Und all' die Zeit so liegen blieb.
Da –aus Johannes' Gruft hervor
Klang's seufzergleich an Dreier Ohr:
»Kindlein! habt einander lieb!«
Nun tretet wieder in den Saal,
Der einst der Aebte Gast empfangen! –
Jetzt dient er Innocenz zumal
Als Schlaf- und Wohn- und Arbeitszimmer.
Doch was ist mit ihm vorgegangen?
Fort alles Möbeltandes Schimmer,
Hinweg das schlüpfrige Parkett.
Aus Föhrenholz ist Tisch und Bett,
Wie Buchgestelle, mächtig groß.
Die Fenster sind gardinenlos.
Statt Sammttapeten, goldgeblümt,
Und all den Bildern, hochgerühmt,
Starrt nüchtern graue Tünche bloß.
Ja, selbst die Köcher, Bogen, Speere,
Sie dünkten ihm zu ird'scher Tand.
Nur Heil'ge schmücken noch die Leere.
Johann vom Kreuz an einer Wand,
An andrer Sanct Theresia;
Sanct Aloys von Gonzaga
War's dritte Bild; als viertes sah,
Im schwarzen Rock mit Kreuz und Stola,
Herab Ignatius von Loyola.
[101] Dann noch als Holzbild in der Wand
Die Mater Dolorosa stand.
Was hat der Abt zur Stunde jetzt,
Daß er, am Schreibtisch hingesetzt,
Und in der Hand den Kopf gehalten,
Nun vor sich hinstarrt also düster? –
Wohl zieht er meist die Stirn in Falten,
Und oft bebt seltsames Geflüster
Wie eben jetzt auf seinem Munde,
Wenn er in myst'scher Dämmerstunde
Zwiesprache mit den Heil'gen hält. –
Jetzt sieht er einen Sarkophag
Im öden, Zimmer aufgestellt. –
's ist seiner Mutter Sterbetag!
* * *
Wie's heut nur kam? – Seit Jahren nimmer
Erinnert er sich dessen mehr;
Und that er's, flog deß Wiederkehr
An ihm vorbei wie Nebelschimmer.
Doch vorhin erst auf stummer Lauer
Ging er entlang die Gartenmauer.
Und wie er so im Abendscheine
Die Zellenfenster überschaut,
Trat Odilo just an das seine.
Ein Tuch streckt' er durch's Gitter aus,
Und winkt' in's Thal so liebetraut,
Daß bald drauf auch vom Erkerhaus
Der Mutter Hand ein Gleiches that.
Schon überfiel ihn Zorneshitze,
Weil ungehorsam der Novize.
[102] Sein streng Verbot nun übertrat.
Da plötzlich – wer's erklären mag? –
Hört' er's wie Sterbeglockenschlag:
»Vergess'ner Sohn, besinne dich!
's ist deiner Mutter Sterbetag!«
Ihm ward darob ganz schauerlich;
Und eh' er auf sein Zimmer schlich,
Verneigt' er und bekreuzt' er sich.
* * *
Er hält die Hand jetzt vor's Gesicht.
Da taucht in der Erinnrung Licht
Aus langer Jahre Nebelflor
Vor ihm der Heimath Haus empor.
Weit, weit von hier, da steht's am Bach.
Schon altersgrau mit schiefem Dach
Schaut's aus den Bäumen traut hervor.
Und liebe Brüder, holde Schwestern,
Sowie sich selbst, als jüngstes Kind,
Sieht er drin wohnen, als sei's gestern,
Die all' der Stolz der Mutter sind.
Da, eines Tags, als Herbst es war,
Kommt Einer her im Mönchstalar
Und holt aus der Geschwister Schaar
Den Jüngsten ab im achten Jahr.
O wie der Bube da erschrickt,
Weil All' ihn traurig angeblickt!
Die Mutter einzig banget nicht
Und streichelt ihm das Angesicht:
»Sei ruhig, Kind! Gott selber schickt
Dich nun in's heil'ge Mönchsconvict,
Daß du dich drin dem Himmel weih'st,
[103] Und am hochheil'gen Gnadenort
Einst unser Aller Gnadenhort,
Wie meines Dankes Opfer sei'st!« …
Noch tiefer sinkt sein Kopf jetzt nieder.
Wie pocht sein Herz, wie stöhnt es schwer:
»Die Mutter sah ich niemals wieder,
Auch keines der Geschwister mehr!
Ich weiß von keiner Wiederkehr
In meiner Kindheit altes Haus,
Wie andrer Kinder Herz es weiß.
Ach, meines brannt' im Kind schon aus,
Und liebesöde, starr wie Eis,
Schlägt's nun im frühgewordnen Greis« …
Ob das nun wirklich Thränen waren,
Da er, voll Hast emporgefahren,
Die Faust in seine Augen drückte,
Solch weichlich Naß zurück zu stemmen?
Doch bald den Kopf er wieder bückte.
Trotz all des Mönches Widerstand –
Heut konnt' im Herzen er nicht hemmen,
Was menschlich drin der Mensch empfand.
Und drohend winkt' er mit der Hand:
»Wo immer auch dein Geist nun weilt,
Ich frag' ihn, Mutter: thatest du
Wohl Recht an mir? Und wer dazu,
Wer hatte dir die Macht ertheilt,
Daß du das Mönchsthum mir geplant,
Wo ich vom ganzen Weltgetriebe,
Wie von dem Stachel der Natur
Als schuldlos Kind noch Nichts geahnt?
[104] War's wirklich nur aus Gottesliebe?
War's mehr aus Gnadenschacher nur?
O Mutter, Mutter, frage dich:
Wär' ich als Mönch zu Grund gegangen,
Sag': käme dann der Fluch auf mich?
Und wer von uns, du oder ich,
Wer müßt' einst drum vorm Richter bangen?«
War das in dieses Sohnes Reden
Von Schmerz und Groll ein herb Gemenge,
Als ob daraus ein ganzes Eden
Verlorner Lebensfreuden klänge! –
Dann, jählings wieder aufgerissen,
Er in der Dämmrung Schatten sah.
Ihm war, als stände sein Gewissen
Leibhaftig ihm vor Augen da.
Die Angst bog rückwärts sein Genick
Und mit den Händen wehrt' er sich.
»Was suchst du mich, mein bess'res Ich,
Mit diesem ernsten Fragerblick?
Willst du vielleicht mein Kläger sein?
Ha komm, sieh mir in's Herz hinein!
Blieb's nicht bis jetzt, wie einst im Knaben,
Von jeder Fleischessünde rein?
Und steht mir der Ascese Lehre
Nicht im Gesicht schon eingegraben?
Ist nicht mein Glaube tief und echt
Und all mein Ziel nur Gottes Ehre?
War ich nicht stets ein treuer Knecht
Der Heil'gen wie der Mutter Gottes?
Und Ungehorsams sowie Spottes,
Wann hätt' ich deren mich erfrecht?«
[105]
Als ob er erst auf Antwort harrte,
Er horchend jetzt in's Leere starrte,
Doch angstvoll fuhr er wieder auf.
»Der geist'gen Hoffahrt zeihst du mich?
Doch ach, bedenk', besinne dich:
Gab ich dem Mönche nicht in Kauf,
Was die Natur zum Reiz mir gab?
Und wem die Liebe ging zu Grab,
Wie mir seit frühster Kindheit schon,
Wem jeder Frohsinn längst erstarb –
Wer bricht wohl über mich den Stab,
Daß ich in heil'gen Eifers Frohn
Nur noch um geist'ge Herrschaft warb?
Und stieg' ich auf der Würdenleiter
Selbst bis zum Kardinalsbarette –
Wär's nicht zu Gottes größ'rer Ehre,
Wenn ich, als seiner Kirche Streiter,
Dieß höchste Ziel erklommen hätte?«
Und wieder starrt' er in das Leere.
Stets dichter jetzt gespenst'ge Schatten
Zum öden Saal geschlichen kamen,
Die der vier Heil'gen schwarze Rahmen
Allmälig ganz umdüstert hatten.
Da, als ob er in seiner Nähe
Ein drohend Schemen vor sich sähe,
Das sein erregtes Blut gewoben,
Hielt schützend er den Arm erhoben.
»Ha, todter Abt, was grollst du mir,
Als hab' ich heimlich dich erschlagen?
Nur Gott nahm dich hinweg von hier!
Was willst du
mich nun drum verklagen?
[106] Und lud ich einst nach heil'ger Pflicht
Dich vor der Obern Strafgericht –
Verdiente das dein Frevel nicht,
Den du am Heiligsten verübt?
Hast du vergöttert nicht den Bauch,
Verlästert allen Kirchenbrauch,
Und gläub'ge Seelen tief betrübt?
Und haben Gleiches, so wie ich,
Nicht selbst die Heiligen gethan,
Wenn strenge Klosterzucht entwich?
Gott nur klag' um dein Sterben an!
Nur dessen Allmacht that's – nicht ich.«
Jetzt sah er diesen Schatten fliehn.
Er athmet' auf, und doch auf's Neue
Ergriff ihn Qual und foltert' ihn.
»Doch ach, ich weiß es auch, ach ja,
Wie er mit demuthsvoller Reue
Mich herzlich um Verzeihung bat.
Auch, wie er mir in's Auge sah,
Als ich versöhnt dann mit ihm that,
O nie vergess' ich diesen Blick.
Und als er aus der Zelle trat,
Schien er mir nicht wie ganz verwandelt?
Doch konnt' ich für das Mißgeschick?
Es war ja jener Brief schon fort.
So war's nur Gott, der so gehandelt,
Und der mit allgerechtem Wort
Statt meiner angeklagt den Abt.
Hätt' er's doch in der Hand gehabt,
Daß ich den Brief nicht weiter sende!
Und wer wohl klagte Gott drum an?
[107] In Unschuld wasch' ich meine Hände.
Was Gott thut, das ist wohlgethan!«
Und an der Klingelschnur er riß,
Daß schrill es durch die Halle klang.
So lieb ihm sonst die Finsterniß,
Wie ward ihm fürder vor ihr bang! –
Ein Bruder trat erschrocken ein
Und beugte fragend Haupt und Knie.
»Licht, bringt mir Licht!« er heiser schrie.
Und wie der Lampe trauter Schein
Die öden Räume bald erhellte –
Er mitten in den Saal sich stellte
Und sprach mit schwurerhobner Hand
Zu den vier Heil'gen an der Wand:
»Ihr starken Geisteshelden hier,
Vergebt, vergebt die Schwäche mir,
Die jetzt mein irdisch Fleisch beschlichen!
Ich schwör' es euch in dieser Nacht:
Von heut' an sei für alle Zeit
In meinem Herzen ausgestrichen,
Was je den Geist zum Schwächling macht
In unsres Glaubens heil'gem Streit,
Auf daß ich in der Ewigkeit
Gleich euch in meines Vaters Haus
Des Siegers Krone tragen mag!
Auch dich nun streich' ich in mir aus –
Du – meiner Mutter Sterbetag!«
Es sitzt der Abt im öden Saal,
Um jetzt, wie schon seit ein'gen Tagen,
Dem Schüler seiner Gnadenwahl
Dogmat'sche Logik vorzutragen.
Schien Odilo, der Mönchsnovize,
Ihm doch zu edles Holz zu sein,
Als daß mit Andern im Verein
Er nur den Dutzendmönch draus schnitze!
Den wollt' er in besondern Formen
Nach mystischer Ascese Normen
Zum starken Glaubenshelden schaffen,
Der Kirche Feinde hinzuwerfen.
Denn alles Erz zu solchen Waffen
Sein Kennerblick vorhanden fand.
Nur noch zum Stählen und zum Schärfen
Bedurften sie der Meisterhand.
So saß er als Professor da,
Den Holzstuhl zum Kathedersitze,
Die Beine kreuzweis' überschlagen.
Und vor der Schmerzensmutter sah
In's Aug' ihm stehend der Novize,
Von dessen geist'gem Ueberragen
[109] So ehrfurchtsschauerlich durchgraut,
Wie zu des Schneebergs starrer Spitze
Ein grüner Hügel aufwärts schaut.
»Du weißt bereits nun, frommer Sohn,« –
Begann der Abt die Lection –
»Daß durch den ersten Sündenfall
Nicht nur das erste Menschenpaar,
Nein, auch das ganze Weltenall
Der Sünde Fluch verfallen war.
Und doch bedenk' das Zweierlei! –
Ward auch in heil'ger Taufe Bade
Durch Christi bluterkaufte Gnade
Die
Menschheit dann von Erbschuld frei –
Natürlich die kathol'sche nur –
So haftet doch der Gottesfluch
Noch immerfort an der
Natur.
Wie sie auch außen klingt und gleißt,
Hält unsichtbar ein Leichentuch
Die Schöpfung dennoch überspannt,
Und nach Erlösung seufzt ihr Geist.
Wie sie voreinst noch ungebannt,
Freiwillig uns zu Dienst wie Lust,
Sich mit der Menschheit Eins gewußt:
So stellt sie nun, durch Fluch getrennt,
Feindselig nur sich uns entgegen
Und schließt ihr trotzig Element
Uns nur noch auf so vielen Segen,
Als Arbeitsmüh' ihr abgezwungen.
Doch, wo's nur kann, da schwemmt und brennt
Empört es weg, was wir errungen.
Der Meeresgrund und Bergesschacht
[110] Urplötzlich unser Müh'n verlacht
Und reißt uns selbst in Grabesnacht.
Manch Thier, einst zahm uns unterthan,
Erwürgt uns jetzt mit grimmem Zahn.
Ja, selbst die freie Himmelsluft
Verpestet wie ein Schinderanger
Uns durch den heuchlerischen Duft,
Mit Krankheitskeimen todesschwanger. –
So ward durch Adam's Sündenfall
Verkehrt der Schöpfung göttlich All.
O Gott! und was soll ich erst reden
Von der Natur Verführung auch
Durch Aug' und Ohr und Zung' und Bauch,
Mit Gott uns stündlich zu verfehden?
Ach ja, einst war sie wohl ein Eden
Mit tausendfachen Gnadenthronen …
Jetzt herrschen drinnen – nur Dämonen!«
Ha, war's ein Blick nun, abgrundtief,
Mit welchem der Dämonenbanner
Nun die fünf letzten Worte rief!
Und schweigend, forschend wieder sann er,
Wie das auf Odilo wohl wirke.
Der stand, bis in das Mark durchgraust,
In diesem mystischen Bezirke
Gleich schlanker, bleicher Friedhofsbirke,
Durch die gespenst'ger Nachtwind saust.
»Drum siehe Nichts, und höre Nichts!
Demuthgesenkten Angesichts
Im Glanze nur des Gnadenlichts
Und in des Psalmenklangs Belauschen
[111] Sollst du die Seele dir berauschen!«
Der Abt befriedigt weiterfuhr.
»Auch du drum lern' in der Natur
Den Flucheszwiespalt recht begreifen
Und jeglichen Empfindens Spur
Für diese unerlöste Welt
Bemüh' dich gründlich abzustreifen!
Denn der Naturdämonen Schmeicheln
Dir überall sonst Schlingen stellt:
Dein Herz in Weltlust einzufangen,
Daß es nach Schweinemast von Eicheln,
Anstatt nach Manna, trägt Verlangen.
Gar Vielen ist's schon so ergangen,
Und dir auch wahrlich ging' es so. –
Verstandest du mich, Odilo?«
Der sagte leise seufzend: »Ja!«
Und furchtsam drauf er niedersah,
Denn durch die hohen Fensterbogen
Die Abendwolken eben glühten,
Die mehr und mehr wie Rosenblüthen
Des Himmels Lichtflur überzogen.
»Doch merke weiter, frommer Sohn!«
Sprach jetzt der Abt in milderm Ton,
»Nicht nur in der Natur allein
Umlauert stündlich uns Gefahr.
Auch
Menschen unser Heil bedrohn,
Und sollten's auch die liebsten sein
Sei's Vater oder Mutter gar …«
Ha, wie da Odilo erschrack!
Ein Pfeil in seinem Herzen stack,
[112] Und zitternd drückt er drauf die Hände.
Wohl sah der Abt jetzt deß Erregung
Und dann mit kalter Handbewegung
Wies er umher auf die vier Wände:
»Sieh, Odilo, da prangen sie,
Umstrahlt von ew'gem Glorienschein!
Vor diesen beuge Haupt und Knie,
Um ihnen Ehrfurcht zu erstatten!
Die sollen jetzt dein Vorbild sein. –
Auch
sie geliebte Eltern hatten,
Geschwister und Verwandtensippen,
Und waren in der Welt gewöhnt,
An ird'scher Freundschaft Kelch zu nippen.
Doch, ewig für sie ausgetönt,
Verklang dieß Lied auf ihren Lippen,
Ansonst sie nie durch Sturm und Klippen.
Zum sel'gen Hafen eingelaufen.
So mußt auch du dein Herz bezwingen,
Du Auserwählter aus dem Haufen!
Und jeder ird'schen Neigung Klingen,
Das an der ew'gen Gottesliebe
Allstündlich wird zum list'gen Diebe,
Mußt du in dir zum Schweigen bringen,
Daß nur mit Gott dein Herz sich eine!«
Unheimlich jetzt sein Auge lohte,
Und fragend mit der Hand er drohte:
»Erräthst du, welche Lieb' ich meine?«
Doch mit der Todesangst Geberde
Der aus dem Kindesherzen schrie:
»O, Herr des Himmels und der Erde!
[113] Ihr meint doch meine Mutter nicht?«
Kalt sprach der Abt: »Ich meine sie.« –
Da warf's den Schüler auf das Knie
Und er bedeckte sein Gesicht.
Erst war's ein grabestiefes Schweigen.
Solch schriller Aufschrei der Natur
Jetzt selbst des Abtes Herz durchfuhr,
Und seine Stirne mußt' er neigen.
Schnell aber schüttelt' er den Schrecken,
Gleich Flocken Schnee's, ab vom Gewand.
Er trat zum Weihewasserbecken,
Taucht ein die Teufelsbannerhand,
Und sprach zu Odilo sodann,
Da er deß glühend Haupt besprengte:
»Ein Dämon war's, der dich bedrängte!
Doch sieh, schon ist gelöst der Bann,
Denn jeden bricht dieß heil'ge Naß.
Steh' auf und neuen Muth nun faß! –
Nur Gott durch meine Lippe spricht,
Und Gottes Wort belügt dich nicht.«
Langsam sich Odilo erhob.
Schlaff hingen Kopf und Arme nieder.
Drauf ihn von seinem Stuhle wieder
Der Abt mit neuem Netz umwob:
»Du, deiner Mutter Sohn! – Sag' mir:
Was liebst du wohl zumeist an ihr?«
»Zumeist?« – Der Sohn verzagend sprach.
»Was liebt' ich minder oder mehr?
Und sänn' ich noch so lange nach –
Wie wird mir diese Antwort schwer!«
[114] Doch dann nach sinnendem Verweilen
Rief er mit vollstem Herzenston:
»O, Gott, Herr Abt, wie kann ein Sohn
Denn was an seiner Mutter theilen?
Ach, nur in
ganzer Harmonie –
An Leib und Seele lieb' ich sie!«
Drauf sprach der Abt scharf abgemessen:
»So hast du also schon vergessen,
Wie dich das Dogma Leib und Geist
Am Menschen unterscheiden heißt?
Und, da du ohne Zweifel weißt,
Daß, leiblich vom Instinct getrieben,
Auch
Thiere ihre Mutter lieben,
Wie kannst du dann am Menschenweib
Dann auch noch lieben dessen
Leib?
Nein, nein, bei Allem, was dir heilig!
Willst du die Ordnung nicht verschieben,
Die göttliche, die selbst zweitheilig –
Nur ihre
Seele darfst du lieben!«
Es starrte zitternd der Novize
Und sah die Wolken näher ziehn
Mit der dogmat'schen Logik Blitze.
In Mark und Bein schon spürt' er ihn.
»Doch weißt du auch, mein frommer Sohn,«
Sprach jetzt der Abt und herber Hohn
Umspielte den gekniffnen Mund –
»Ja, weißt du wohl, daß du im Grund
Die Mutter hassest und nicht liebst,
Sofern du sie zu ew'gem Fluch
Ohn' aller Retterthat Versuch
Der Höllenpein einst übergiebst?«
[115] »Wie? – Solche Mutter? – Höllenpein?«
Des Sohnes Seele wieder schrie.
»Beim Albarmherz'gen! – Nein! – O nie!
Es kann – es kann nicht möglich sein!
Nein, giebt es ew'ge Seligkeit,
Wird
sie den Engeln eingereiht.
Und giebt es ew'ge Höllenpein –
Nie wird sie bei den Teufeln sein!«
Mit zitternd ausgestreckten Armen,
Welch Schmerzensbild zum Steinerbarmen! –
Was aber liegt dem Felsen dran,
Wenn sich ein Wildbach an ihm brach?
Er bleibt ein Fels, so vor wie nach,
Nie zum Erweichen angethan.
Der Abt mit eis'gem Lächeln sprach:
»Ei, welch pathetisch Declamiren,
Wie Komödianten wohl agiren!
Doch, Heißsporn du, bedenk' es wohl:
Mit Herzensphrasen, vag und hohl,
Hat nie Dogmatik was zu schaffen.
Nur mit des log'schen Schlusses Waffen
Trägt in den theolog'schen Schranken
Man also stritt'ge Fragen aus.
Drum laß dein Herz nur hübsch zu Haus,
Und ficht allein mit dem Gedanken!«
Und wie vorm Streite sich zwei Fechter
Vom Scheitel bis zur Sohle messen,
Maß Odilo den Herzverächter,
Und sprach dann, aller Angst vergessen:
»Nun wohl! – Mein
Herz verhöhntet ihr?
[116] So sagt denn mit dem Kopfe mir:
Wie könnt' einst all den Millionen
In heidnischtiefen Finsternissen
Derselbe Gott mit Hölle lohnen,
Der's doch zugleich auch zugelassen,
Daß sie vom Lichte noch nichts wissen?
Wie sollt ich solch Verdammen fassen?
Und, wer als Protestant erzogen,
Und sei er hundertmal betrogen,
Der Väter Glauben bleibt ergeben –
Wie kann gen Solchen zum Gericht
Ein Engel wohl das Schwert erheben?«
Und jetzt mit flammendem Gesicht
Rief er in innerstem Erbeben:
»Nein, Menschenliebe, ganz allmächtig,
Heißt mich nur
Brüder Alle nennen,
Ob mittagshell, ob mitternächtig,
Die Völker ihren Gott erkennen.
Und nur durch eigner Schuld Gericht
Halt' ich den Einzelnen verloren. –
Ach, andern Glauben fass' ich nicht.
Sonst wär' ich lieber nie geboren!«
»Ha, bravo, mein Herr Liebesritter!«
Rief Innocenz nun hohnesbitter,
Da Odilo, ganz cherubgleich,
Erglüht ihm gegenüber stand
Und dann mit hingesenkter Hand
Aufathmete vom Schwertesstreich.
Und siegreich höhnt' ihn Jener weiter:
»Nur kamst, mein allzuhitz'ger Streiter,
Du Anfangs gleich aus der Parade,
[117] Und übergabst dich meiner Gnade!«
»»Ich?«« – stammelte nun Odilo,
»Schon jetzt durch euch besiegt? Wieso?«
Und Innocenz sprach siegsgewiß:
»Drauf ist die Antwort kinderleicht,
Sofern man nicht in Finsterniß
Vom hellen Pfad der Logik weicht.«
Hoch in die Brust er jetzt sich warf
Und er docirte schwertesscharf:
»Welch Loos einst jenen Völkerschaaren
Vom Himmel zu bestimmen bleibt,
Die nicht bisher der einzig wahren
Gemeinschaft Gottes einverleibt;
Und warum Gott nach ew'gem Walten
Allweiser Heilsöconomie
Dem einen Volk sein Licht verlieh
Und anderm noch es vorenthalten –
Die Fragen – wer ergründet sie?
Und doch ist's feste Glaubensnorm,
Daß nur die Taufe selig macht,
Sonst wäre sie nur nicht'ge Form.
Ja, selbst für solche Protestanten,
Die, halb im Licht und halb in Nacht,
Doch ohne wissentliche Schuld,
Der Christuslehre Heil erkannten –
Wer will es sagen, welch Gericht
Einst hält des Herrn barmherz'ge Huld,
Wenn sie auch einst gewißlich nicht,
Gleich fromm verstorbnen Katholiken,
Der Sel'gen vollen Glanz erblicken?
Wär' es doch sonst ganz einerlei,
[118] Welch einer Kirche Glied man sei!
Und müßt' ich auch bezweifeln gar,
Daß
unsre nur alleinzig wahr,
Unfehlbar und unwandelbar
Allzeit regiert vom heil'gen Geist;
Doch falsch die andre, die uns trennt,
Ob sie sich auch gar lügendreist
Ohn' allerheiligst Sacrament
Und gottgeweihtes Priesteramt
Aus Trotz die evangel'sche heißt,
Drin Jeder selbst sein heil'ger Geist,
Der anders jedes Hirn durchflammt!«
Und wieder hielt er zögernd inne;
Doch nur, daß er in weiterm Bogen,
Mit dem er Odilo umzogen,
Noch stärkern Niederschlag gewinne;
Indeß sein Gegner scheuen Blicks
Und eingezogenen Genicks
Vor's Kindesherz die Hände hielt,
Worauf des Abtes Schwert nun zielt.
Und sieh – jetzt fällt der Todesstreich! –
»Wer aber, deiner Mutter gleich,
Zuerst als Ketzerin geboren,
Und drum für's
volle Himmelreich
Nach log'schem Schluß wohl nicht erkoren,
Dann später die kathol'sche Wahrheit
Als Mutter also tief erkannt,
Daß sie mit vollster Geistesklarheit
Ihr Kind katholisch beten lehrte,
Doch,
selbst in Ketzertrotz verrannt,
[119] Sich gegen diese Gnade wehrte
Und sie auch dann noch von sich stieß,
Als sie zum Mönch dich werden ließ –
Wen so vergeblich durch Jahrzehnte
Der Kirche Mutterarm ersehnte –
Die zählt' einst zu den Kindern Gottes,
Falls unbekehrt sie heimgegangen? –
Nein! – Nie! – Fürwahr voll frechen Spottes
Gott zu verlästern müßt' ich bangen.
Ja, eher müßt' ich gottlos wähnen,
Daß aller Glaube Trug nur wäre,
Daß Höll' und Himmel Ammenmähre,
Und nur des Nichts unendlich Gähnen
Mich als Atom dereinst verschlänge,
Eh' mir der Glaube je gelänge,
Daß ihr der Herr einst offen ließe
Den Eingang zu dem Paradiese!« …
Ein Aufschrei noch – ein dumpfer Fall –
Verstummt war aller Schwerterschall.
Und Odilo, am Boden lag er
Und starrt' als herzdurchbohrter Frager
Durch's Fenster schmerzlich himmelwärts.
Es bebte selbst des Siegers Herz. –
Und zu ihm nieder neigt' er sich
Und sprach zu ihm: »Beruh'ge dich!
Du fielst durch mich in allen Ehren!
Und wollt' ich nur den Kampf dich lehren,
Daß du in Anderer Bekehren
Einst später lernst gleich mir zu siegen! –
Gen solche Logik hilft kein Wehren.
Auch
du drum mußtest ihr erliegen!«
Und schon des andern Tages stand
Frau Walburg vor der Klosterpforte
Und schellte mit verzagter Hand.
Der Schweiß ihr von der Stirne floß.
Das Thor mit kaltem Fragerworte
Ein neuer Pförtner ihr erschloß
Und hieß in seiner Zelle sie
Des neuen Abts Befehl erwarten.
Sie folgt' ihm nach mit müdem Knie,
Sank drin zum Stuhl und regungslos
Zum Boden ihre Blicke starrten.
Wie war ihr Freuen sonst so groß!
Und warum bangt ihr heute so?
Weiß sie schon was von Odilo? –
O nein! nur ist's das erste Mal,
Daß seit des neuen Abtes Wahl
Den Sohn sie heut besuchen geht.
Und ob wohl auch
der strenge Mann
Ihr den Besuch gern zugesteht? –
»O ganz gewiß!« – getrost sie sann,
»Auch er hatt' eine Mutter ja.
Und wenn er noch so hart nun ist,
[121] Auf diese nie ein Sohn vergißt.«
Dann wieder neu Gespenst sie sah:
»Doch wie vom Chorgesang heut Nacht
Halb träumend noch ich aufgewacht,
Mein Gott! wie mir da weh geschah!
Da hört' ich aus den Stimmen allen
Wehklagend seine einz'ge schallen
Durch all der Andern Gloria.«
Und so sich quälend saß sie da.
Da kam der Pförtner hergeschritten.
Ein düstrer Mönch war sein Geleit;
Der sprach zu ihr voll Höflichkeit:
»Euch lassen Seine Gnaden bitten:
Folgt mir in eures Sohnes Zelle!
Kein Weib betrat noch solche Schwelle
Und aus besondrer Gnade nur
Erschließt der Abt euch die Clausur.«
»O Herr! so ist mein Sohn wohl krank,
Weil ich in seine Zelle soll?«
»»Nein, ganz gesund.«« – O, Gott sei Dank!«
Gepreßt ihr Mutterwort erscholl.
Drauf mit dem Mönche seltsam bang
Durchwankte sie den Zellengang.
Und an des Kreuzgangs Pfeilerschaft
Saß jetzt ihr Sohn auf einer Bank,
Am Leib wie an der Seele krank
Von jener Logik gift'gem Saft,
Den gestern ihm der Abt kredenzt.
Ein fahler Ring sein Aug' umgränzt.
Denn, bis ihn Morgenroth umglänzt,
[122] Blieb ihm des Schlafes Gunst versagt. –
Du Adler, von des Geiers Jagd
So todesmatt nun abgehetzt,
Wo sind die Adlerschwingen jetzt?
Ha sieh! jetzt schleicht der Abt herbei.
Wie suchend späht er rings um sich.
Und, als ob ein Gespenst er sei,
Ein Haufen Mönche seitwärts schlich,
Die statt einsamem Meditiren
Im Kreuzgang traut Colloquium hielten,
Und, schnell den Blick auf den Brevieren,
Dann tiefversunkne Beter spielten.
Jetzt steht er vor der Marmorbank.
Rasch der Novize niedersank.
Und da der Abt ihn aufstehn hieß,
Er gütig sich vernehmen ließ:
»Mein lieber Odilo, so eben
Kam deine Mutter zu uns her.
Das ist kein blindes Ungefähr,
Daß sie schon heut sich herbegeben,
Wo wir um deren ew'ges Leben
Uns gestern erst so klar verständigt.
O ganz gewiß hat unser Wort
Schon jetzt durch mystischen Rapport
Den Ketzertrotz in ihr gebändigt,
Und, dürstend nach der Kirche Frieden,
Trieb sie's zu unserm Gnadenort.
Drum schnell, mein Sohn, zur Mutter fort!
Aus seltner Gunst, nur dir beschieden,
Sprich sie in deiner eignen Zelle!
[123] Und nun dich an den Ambos stelle!
Wann's Eisen warm ist, muß man's schmieden.«
Doch Odilo, wie
der verzagte!
Und flehentlich er erst noch fragte:
»Ach, ist's denn gar nicht möglich mehr,
Daß, voll von solchem Herzenswehe,
Der Kelch an mir vorübergehe?
Jedweden tränk' ich lieber leer.«
Der Abt ihn bei den Händen nahm
Und wie voll Mitleid klang's und Gram:
»Kannst du, mein lieber Sohn, wohl wähnen:
Der Kirche mildem Mutterherzen,
Der Trösterin der Völkerschmerzen,
Wär' es geglückt, ohn' alle Thränen
Der Lüge Saat einst auszumerzen?
Glaubst du, es sei ihr leicht geworden,
Einst all die grimmen Ketzerhorden
Sammt ihren gottverfluchten Lehren,
Aufreizend zu der Seelen Morden,
Zu Gottes und der Wahrheit Ehren
Mit heil'gem Schlachtschwert zu vernichten?
Einst Scheiterhaufen aufzurichten,
Daß in dem Sühnebad der Flamme –
Ward ird'scher Leib drin auch zur Asche –
Die ew'ge Seele rein sich wasche,
Anstatt daß Gott sie einst verdamme?
O hatt' einst Christi myst'scher Braut
Und aller Völker Mutter, nicht
Vor solcher Retterthat gegraut,
Weil sie die Nacht gekehrt in Licht –
[124] Wie zagtest
du nun seelenbang:
Nur durch der Rede sanften Zwang
Aus ewigen Verderbens Ketten
Die
eigne Mutter zu erretten?«
Drauf schärfer noch beschaut' er ihn,
Der immer noch zu zaudern schien,
Und fuhr dann kalt gebietend weiter:
»So geh' als deiner Kirche Streiter!
Beweis', daß du mein Schüler bist!
Denn solch ein luthrisch Weib, das auch
Noch eines Mönches Mutter ist,
Verpestet gleich dem Gifteshauch
Des Glaubens reinen Odem hier.
Und besser wär' es jedenfalls,
Wie Gott befiehlt: man bände mir
Gleich einen Mühlstein um den Hals,
Der mich zum Meeresgrund versenkte,
Als daß ich durch solch Aergerniß
Noch länger hier die Seelen kränkte. –
Nun geh', und sei des Siegs gewiß!«
Und Odilo von dannen schlich.
Dem Nebel seine Seele glich,
Der herbstlich jetzt das Thal umbraute.
Und wie aus alten, fernen Tagen,
Hört' er wie Aeolsharfenlaute
Johannes' Wort an's Ohr nun schlagen,
Das einst von Ketzerseelenfang
So trostreich seiner Mutter klang.
Jetzt geht er selber darauf aus! –
Auch Innocenz betrat das Haus,
[125] Von Neugierhitze ganz entfacht,
Und stieg hinan zum Corridor,
Wo durch ein Schallloch in den Mauern,
Jetzt allwärts heimlich angebracht,
Ganz unbemerkt sein Horcherohr
Der Zweien Reden konnt' erlauern.
Und Odilo,
der arme Sohn,
Nun kniet er in der Zelle schon
Und ringt erst vor dem Kreuze noch,
Daß Gott der Mutter Seele doch
Im Lichtmeer der Erkenntniß bade
Und aus des Irrthums Bettlerjoch
Zum Hochzeitsmahl der Wahrheit lade.
Jetzt horch! – Die Thür geht auf. – Erschreckt
Sinkt ihm die Hand, erst weit gestreckt.
Gott! das wird die Mutter sein!
Das ist ihr Tritt – es rauscht ihr Kleid! –
Und doch vor Angst und Herzeleid
Starrt er noch stets in's Kreuz hinein.
Jetzt hört er näher her sie gehen.
Doch wagt er nicht, sich umzusehen.
Sie seufzt: »Mein Sohn! – Die Mutter ist es?«
Da dreht' er scheu sich um: »Du bist es?«
»»Du bist wohl krank!«« sie schmerzlich sprach.
Und langsam stand er auf danach.
Er griff zur Stirn, als wollt er drin
Erst ordnen den verwirrten Sinn.
Und tiefer athmet' er, stets tiefer,
Bis siedheiß ihm die Thränen sprangen.
[126] Dann hielt er ihren Hals umfangen
Und aus der Seelen Tiefen rief er
Mit solch allmächt'gem Liebverlangen,
Daß selbst dem Horcher weh geschah:
»Ach Mutter – Mutter – bist du da?«
War das ein Ineinanderschließen
Als sollt' es ew'ge Tage währen!
Von Mutter und von Kindeszähren
Welch bittres Ineinanderfließen!
Sie rang sich los und allzugleich
Besah sie ihn. – »Ach, bist du bleich!
Was fehlt dir? – Du bist krank, mein Kind!«
Da schwieg er erst. – O wie er litt,
Und wie er mit sich selber stritt! …
Dann brach es los wie Sturmeswind:
»Ach, ärmste Mutter, mir fehlt Nichts!
Dir aber fehlt, was selig macht!
Dir fehlt der Strahl des wahren Lichts
In deines falschen Glaubens Nacht!«
»Was sagst du?« gellte jetzt ihr Schrei.
»O Herz, mein Herz, spring' nicht entzwei!«
Dann, mit erneuter Seelenkraft
Aus Schmerzenstiefen aufgerafft,
Sprach sie mit abgerungner Ruh':
»Mein Sohn, nicht streit' ich um das Meinen:
Wer einen bessern Glauben habe,
Du oder ich? denn sag': wozu?
Den meinen kenn' ich, wie den deinen,
Als völlig gleiche Himmelsgabe.
[127] So lebe nach dem deinen du,
Und laß ihn dir den bessern scheinen!
Doch mich laß sterben in dem meinen!«
Halb abgewandt, doch felsenfest,
Hält sie den Mutterarm ihm vor,
Indeß der Abt sein Horcherohr
Zu tiefst verblüfft an's Schallloch preßt.
Doch Odilo, erst ganz erstarrt,
Rafft sich, dem Schiffer gleich, empor,
Der Mast und Steuer schon verlor
Und nur noch auf ein Wunder harrt.
Dann rief er: »O erst höre mich!
Ach, Mutter, ich beschwöre dich:
Laß mit dogmatisch log'schen Gründen
Dir klärlich auseinander halten,
Wie beider Kirchen Gnadenflüsse
Zu gleichem Meer nur
scheinbar münden,
Doch in der Wirklichkeit sich spalten,
Weil einer davon falsch sein
müsse,
Wenn falsch nicht seien alle zwei!
Denn nie – so lehrt mich log'sche Klarheit –
Sind beide Kirchen einerlei
Und nur in
einer wohnt die Wahrheit.«
»Das meinst du nur!« gab ungerührt
Frau Walburg ihm schier stolz zurück.
»Ich aber glaube, ja, ich weiß:
Daß einst allewig selig Glück,
Als frommen Christenwandels Preis,
So dir, wie mir, beschieden sei.
[128] Was kümmert mich dogmat'sches Netz
Und log'sche Taschenspielerei?
Was fürcht' ich mich vor Ketzerfluch?
Des Herrn verpflichtendes Gesetz
Steht hier in meines Herzens Buch.
Ich bin ein ungelehrtes Weib,
Doch in der Bibel wohl zu Haus.
Und streut' ich, rein an Seel' und Leib,
Als Weib und Wittwe, wie als Mutter,
Der Liebe Segenssaat hier aus –
Dann tret' ich auch trotz meinem Luther
Dereinst vor Gottes Richterthron,
So glaubensstark des Spruchs gewärtig,
Wie dir ich's wünsche, du mein Sohn!
Und nun kein Wort mehr! – Ich bin fertig.«
Versteinert stand er vor ihr da.
Doch, kaum ihr Mutteraug' ihn sah,
Da war auch
ihre Kraft gebrochen
Und weinend rief sie: »Ach, vergieb,
Daß ich so hart mit dir gesprochen!
Hab ich dich doch so lieb, so lieb! –
Um Gotteswillen, starr' nicht so!
Viel lieber gleich mir's Herz durchstochen!
Ach, habe mit mir Mitleid, Sohn! –
Sei wieder ganz mein Odilo!«
Und sieh, er wankt. Die Arme schon
Der Mutter sich entgegenstrecken. –
Da tritt aus aufgerissner Thür
Der vor'ge finstre Mönch herfür.
Ha, wie sie da zusammenschrecken!
[129]
Der deutet stumm mit strenger Hand
Zum Gang hinaus der Mutter hin
Und hält den Sohn ihr abgewandt.
Zwei Blicke noch mit Blizesschnelle
Voll unbeschreiblich tiefem Sinn! –
Und todeswund wankt aus der Zelle
Die unbekehrte Ketzerin.
Nun kam auch nach Mariagnaden
Die Gnadenzeit, in neuem Lenzen
Zur Wunderwallfahrt einzuladen,
Wo Licht und Duft den Trank kredenzen,
Der kranke Herzen macht genesen
Und froher noch, die's schon gewesen.
An solchem lichten Frühlingstag
Saß Odilo im Klosterhag,
Drin längst, vom Thalgrund abgekehrt,
Ganz einsam seine Zelle lag. –
Wie ist er bleich und abgezehrt!
Auf seinen Augen liegt's wie Flor,
Der Wangen Schmelz sich ganz verlor. –
War das auch eine Winternacht,
Drin mystisch Grübeln, Büßerzucht,
Nur noch gereift als Klosterfrucht
Und er in düsterm Felsenschacht,
Von der Scholastik Dunst umdämmert,
Als logischer Gedankenschmied
Mit unzerschellbar ehrnem Glied
Des Dogma's Kettenring gehämmert.
[131] Denn seit dem trüben Herbstestag,
Wo unbekehrt die Mutter schied,
Er, wie kein anderer Scholar,
Im myst'schen Bann des Abtes lag,
Drin längst sein Herz erstorben war.
So saß er, wie in düsterm Traum.
Nicht sah er, wie der Apfelbaum
Die Steinbank rosig ihm umschneite
Und Wolken, gleich wie Schwan an Schwan,
Mit einem Falken zum Geleite,
Die blaue Himmelsfluth durchzogen.
Ihn hatte längst der Mystik Wahn
Um heitre Frühlingslust betrogen.
Denn lehrt' ihn nicht der Heil'gen Mund:
Wie Satan, mit Natur im Bund,
Zur Sünde sie verlockt allstündlich?
Ja, selbst der frömmsten Mutter Kuß –
Warnt' ihn Sanct Aloysius –
Wirkt auf des Sohnes Herz noch sündlich.
Doch vor der Mutter Kußverlocken
Braucht' er schon lang nicht mehr zu bangen.
Niemehr kam sie heraufgegangen.
Nur an der Mutterliebe Rocken
Spann sie die lange Winterszeit
Des Opferschleiers schwarzen Faden,
Mit solchen Perlen eingereiht,
Wie nie sie noch ein Herz geweiht
Der Mutter zu Mariagnaden.
Kein Brieflein und kein Grüßen mehr,
Kein Freuen auf die Wiederkehr!
[132] Noch Hand und Kuß einst für die Zwei –
Und 's war vollbracht – und 's war vorbei!
Mit Stock und Hut, im Reisekleid,
Das Antlitz trüb von Abschiedsleid,
Wird jetzt ihn Theophil gewahr.
Abseits der andern Mönche Schaar
Hatt' er zu ihm sich hergestohlen,
Da längst ihm Innocenz befohlen,
Daß er den Umgang mit ihm meide.
Wie Odilo vor ihm erschrickt!
Doch ruhig
Der in's Aug' ihm blickt.
»Du weißt wohl noch nicht, daß ich scheide?
Da wär's doch lieblos, wenn wir Beide
Nicht noch die Hand uns wollten geben.
Ach Freund – zum Lebewohl für's Leben!«
»Für's Leben? – Und wohin denn gehst du?«
Betroffen der Novize fragte.
»Nach Africa« der Pater sagte,
»Zur Mission, und ach, verstehst du?
Dort ist für mich des Todes Land.
Drum gieb mir noch die Freundeshand
Zum ersten Abschied wie zum letzten!«
Und Odilo die Hand ihm gab,
Matt war sein Blick, die Lippe schwieg.
Drauf traut sie sich zusammensetzten,
Gleichwie vor einst'ger Freundschaft Grab,
Draus nochmal deren Geist entstieg.
»Und warum gehst du, Theophil,
Wenn dort du nur zum Tod erkoren?«
Fragt' ihn der Andre wie verloren.
[133]
Drauf sprach der Pater wehmuthstill:
»Weil ich viel tausend Male lieber
Schnell sterb' am african'schen Fieber,
Als daß ich hier mich Tag um Tag
Nur langsam tödten lassen mag.
Und hier, wo Liebe ging zu Grabe,
Verschmachtet ja auch noch die Seele.
Siehst du, wie lieb ich dich noch habe,
Daß ich auch dieß dir nicht verhehle?«
Doch der Novize fuhr empor:
»O Freund, kaum trau' ich meinem Ohr.
Wie fass' ich deiner Rede Sinn?
Wo jetzt, wie niemals noch zuvor,
Dieß Kloster statt nach Geldgewinn
Und Gaumenlust, die's einst umnachtet,
Nur noch nach Gnadenschätzen trachtet –
Wo der Ascese Heiligung
Und heil'ger Mystik Flügelschwung
Uns erst so recht zu Mönchen machte –
frommer Freund, erklär' es mir:
Wie ist's nur möglich, daß nun dir
Die Priesterseele hier verschmachte?«
Drauf sprach, in Blick und Wort gleich mild,
Dieß demuthvolle Priesterbild:
»Ach ja, mein Freund, wohl hast du Recht!
Zu viel ward hier voreinst gepraßt,
Was übel zu dem Christen paßt,
Und erst zum Mönche dreifach schlecht.
Das hatt' ich selbst mir nie verhehlt
Und mich auch hatt' es oft betrübt.
[134] 's war aber nur am
Leib gefehlt,
Nur aus Gewohnheit, längst geübt,
Und war von Menschenliebe noch
Der Meisten friedlich Herz beseelt.
Jetzt sündigt man am Geist jedoch,
Der als des Glaubenshasses Gast
Im Gift zelot'schen Eifers praßt,
Statt ihn zum Liebesmahl zu laden.
Und
welche von den beiden Sünden
Bringt in die Welt wohl ärgern Schaden? –
Die Welt
geschichte mag's verkünden!«
Und stumm in dessen ernste Mienen
Starrt' Odilo. – Hatt' ihm dieß Wort
Doch wie der erste Sternenschein
Die lange Geistesnacht durchschienen!
Und wieder fuhr der Priester fort
Und sah ihm bis in's Herz hinein:
»O Freund, nicht darf ich mich vergleichen
Mit Jenen, die da auserkoren
Des Tabors lichte Höh'n erreichen.
Aus minderm Stoff bin ich geboren:
Ein schlichter Priester, wie es eben
Unzähl'ge mag auf Erden geben,
Die Mystik wie Scholastik meiden,
Und dennoch, treuen Hirten gleich,
Auf guten Triften friedensreich
Am Quell des Heils die Schafe weiden.
Mit nur ein wenig Weltverstand
Ließ ich des Meisters Wort ertönen,
Das Sanftmuth ist und Liebe nur –
Und manch verlorner Sohn, er fand
[135] Zum Vater heim, sich zu versöhnen.
Ja, wie der Schnee der Winterflur
Oft hinschmilzt bei der Lerche Sang,
So schnell des Hasses Eis oft sprang
Durch dieses Wortes Liebeszwang
Und selten nur mein Werk mißlang.«
Er schwieg. In sein verklärt Gesicht
Stets tiefer Odilo nun schaute
Und heller, immer heller graute
Daraus der Liebe Morgenlicht.
Die Hand drückt' er ihm fieberheiß
Und zog ihn näher noch an sich.
»O mehr, viel mehr dein Herz noch weiß.
Verlaß mich noch nicht! – Sprich – o sprich!«
Und Theophil sprach inniglich:
»O, Freund, so denk' an jene Nacht,
Da wir beim sel'gen Abt Johannes
Am Sterbebette hielten Wacht!
Entsinnst du dich des Wortes noch? –
Kaum hörbar noch vom Mund ihm rann es –
Und ewiglich behalt' ich's doch.
Denn wahrlich – nicht uns Drei'n allein
Es damals hinterlassen blieb:
Für alle Menschen sollt' es sein,
Für die's auch der Apostel schrieb
Als aller Völker stet Gebet.
Ach, wenn dieß
eine Wort vergeht –
Der Kirche Heil wie Sand verweht,
Ob noch so fest ihr Fels besteht
Gen Sturmeswind und Wogentrieb.
[136] 's ist ja des Himmels höchst Geheiß,
Verständlich so dem Kind wie Greis:
›Kindlein, habt einander lieb!‹«
»Ich will ja lieben – will, o will!«
Rief Odilo voll Fiebergluth,
»Doch Theophil, mein Theophil!
Will ich mir ewig Heil gewinnen,
Darf dann in vage Liebesfluth
Mein fester Glaubensbau zerrinnen,
Der bis zum höchsten Kreuzesknauf
Die wunderbarste Logik ist?
Und geb' ich
einen Stein drin auf,
Zerfällt er nicht zu gleicher Frist?«
Welch wilden Schmerz er jetzt empfand,
Der Kopf und Leib ihm rückwärts bog!
Doch Theophil mit sanfter Hand
Ihn wieder zu dem Herzen zog.
»O Freund, wer sprach vom kleinsten Steine,
Der aus der Kirche Bau zu trennen,
Deß Wunder wir ganz gleich erkennen?
Ich sage dir jetzt nur das Eine:
Und sei er noch so wunderbar
Und noch so logisch streng und klar –
Was soll er wohl der Menschheit frommen,
Wird draus des Bauherrn Geist genommen,
Der einst die Liebe selber war?«
Versunken Odilo drauf schwieg.
Nur herbes Naß in's Aug' ihm stieg.
[137] Doch wie ihn Theophil beschaute,
Da spürt' er's, wie geheim tief innen
Das Eis in dessen Herzen thaute.
Und auch sein eignes mahnt' ihn drinnen:
»O schweig' noch nicht! – Gleich Osterglocken
Soll noch dein Wort den Freund umklingen!«
Da klang's auch in deß düstres Sinnen:
»O komm! Wisch' erst dein Auge trocken!
Der Frühling will dir Grüße bringen,
Da darf nicht dunkle Thräne rinnen!
Aus Wipfeln und aus Blüthenflocken
Will er sein Osterlied dir singen.
Und du, du blickst, gleichwie erschrocken,
In solch ein sonnig, duftig Eden?
Sind's wirklich nur Dämonenschlingen,
Dich in der Sünde Garn zu locken
Und mit dem Himmel zu verfehden?«
Jetzt einen Augenblick er sann.
Etwas befangen sprach er dann:
»Zwar viele Bücher davon reden,
Und Heil'ge schreiben sie zumeist.
Doch – Gott die Kühnheit mir vergebe,
Daß ich selbst Heil'gen widerstrebe,
Die sonst mein Herz so freudig preist! –
Ist mir's nicht wohl erlaubt, zu fragen:
Ob sie nicht erst aus
eignem Geist,
Einsam in Grüblerbann geschlagen,
Den Fluch in die Natur
getragen?
Und die auch noch in unsern Tagen
Vom Segen der Natur Nichts wissen,
Die doch seit aller Tage Frist
[138] Der Gottesallmacht Spiegel ist;
Die jedes Band mit ihr zerrissen,
Statt daß sie ›Mutter‹ zu ihr sagen –
O muß ich drum nicht gleichfalls bangen:
Ob nicht in gleichen Finsternissen
Sie, die des Fluches sie verklagen,
Im Herzen wie im Geist befangen?«
Und Odilo sprach wieder Nichts.
Zuviel des Frühlingssonnenlichts
Umfloß sein Herz in wonn'gem Bade.
Im Abglanz nur des Angesichts
Sah Theophil die Wundergnade,
Gewirket durch sein Freundeswort.
Aufstehend er deß Hand ergriff
Und rief in sehnsuchtsfroher Klage:
»Die Stunde drängt, ich muß nun fort.
Gesegnet sei dafür das Schiff,
Daß es mich über's Weltmeer trage,
Um dort, wie auf der Urzeit Wegen,
Verschont noch von des Hasses Wurm,
Wie geistiger Gewaltthat Sturm,
Des Kreuzes jungen Baum zu pflegen,
Daß die, so in deß Schatten ruhen,
Nur Liebesfrucht vom Zweige brechen,
Nur ›Bruder‹ zu einander sprechen,
Und, wie sie reden, so auch thuen.«
Jetzt hielt des Freundes Angesicht
Herzinnig er nochmal umfaßt
Und küßt' es dann mit stürm'scher Hast:
»Fahr' wohl, doch ach, verzage nicht
[139] An deiner besseren Natur!
Sie ist nicht
todt – sie
schlummert nur!
Und wie Jairus Töchterlein
Heiß' in der Liebe Sonnenschein
Sie
menschlich wieder auferstehen!
Fahr' wohl! – Auf Niemehrwiedersehen!«
Und er entschwand in raschem Gang.
Da mahnte ferner Glockenklang,
Daß die Erholungszeit verflossen.
Heim eilten Priester wie Novizen.
Nur Odilo blieb einsam sitzen,
Des Leibes Augen fest geschlossen.
Nach außen sah und hört' er nicht.
Nur mit der geist'gen Blicke Licht
Sah er noch Theophils Gesicht.
Nur seinen Worten noch er lauschte …
Und wie's jetzt heimlich in ihm rauschte!
Erst, wie im Wald ein ferner Bronnen.
Dann hört' er's näher hergeronnen.
Und näher stets mit stärkerm Laute
Klang's jetzt, gleich wie des Bergstroms Brausen,
Den Damm zerreißend, der ihn staute.
Und jetzt, o welch ein wonnig Grausen! –
Wer will's durch Fluchesformeln bannen? –
Jetzt spürt' er's, wie die Sturmesfluthen
So Herz wie Geist ihm überrannen:
Im Liebesstrom des Menschlichguten
Sie wiederum gesund zu baden.
Und in ihm, todt nicht, schlummernd nur,
Erstand die irdische Natur
Zur ewigen von Gottes Gnaden.
[140]
Erst blieb er lange noch versunken.
Dann sprang er von der Bank wie trunken
Und, ganz geblendet von den Funken,
Jauchzt' er der Frühlingssonne zu:
»O du Besiegerin der Nacht,
Die nun auch mir den Tag gebracht,
Gegrüßt, dreimal gegrüßt seist du
In deiner göttlich hehren Pracht!
Wo schau' ich noch der Schöpfung Fluch,
Davon mir log der Mystik Buch
Bei Wintersturm und Nebelflor?
Nun schwand durch dich er all dahin,
Du lenzige Erlöserin! –
O sursum corda! – Herz empor!
Zu dir, du göttliche Natur,
Für die ich einst mein Herz verlor,
Als ich in geist'ger Irrsalfahrt
Zu Nachtdämonen niederfuhr!
Doch jetzt nur Allmacht, Segen nur
Dein Wunderbuch mir offenbart.
Mutter, nimm als Sohn mich hin,
Der ich in
dir nur Leben bin!«
Ach, wie umduftet' und umblüht' es
Und wie durchklang es und durchglüht' es
Ihm jetzt berauschend alle Sinne,
Und ward er mit der Schöpfung Leben
Die göttliche Gemeinschaft inne!
Doch, kaum im Frühlingshauch so eben
Die Worte: »Mutter – Sohn« verklangen,
O wie erschrak er drüber doch!
[141] Und welch unsäglich Liebverlangen
Nach einer andern Mutter noch
War neu im Herzen ihm erwacht!
Jetzt auch die Nachtigall noch sang,
Wie in des Vaters Todesnacht.
Und jetzt, sieh, mit beschwingtem Fuß
Er zu der Gartenmauer sprang,
Von wo er in das Thal entlang
So oft entsandt der Liebe Gruß.
O wie viel trübe Monde schon
Hatt er als
Mönch den Platz geflohn!
Jetzt stürmt er auf ihn zu als
Sohn. –
Des Vaters Grab der Mutter Haus,
Schon schaut er sie; da sinkt er nieder
Und streckt die Arme zitternd aus:
»O Mutter, Mutter, hab' mich wieder!«
Der Mönchschor in der Mitternacht
Ist eine Weile schon verklungen,
Drum hält mit doppelt starker Macht
Des Schlafes Arm nun All' umschlungen.
Zudem – war's heut ein schwüler Tag,
Als ob schon tiefer Sommer sei!
Und heimlich drückend, schwer wie Blei,
Die Mailuft auf den Herzen lag.
Grabstill ist nun jedwede Zelle.
Nur drunten in dem Kirchenchor,
Trotz abgesperrtem Kirchenthor
Auf gnadenreicher Altarschwelle,
Bei zweier ries'gen Kerzen Helle,
Noch wach zwei Beterinnen sind. –
's ist eine Mutter und ihr Kind.
Das Weib, verwelkt, doch schwammig feist,
Daheim die »Rösselleni« heißt,
Weil auch ein Roß ihr Wirthshausschild.
Weitum als reiche Frau sie gilt.
Wie sie von Woll' und Seide strotzt!
[143] Ihr Fetthals gleißt voll Silberketten
Sammt goldgeprägten Amuletten,
Womit sie bösen Geistern trotzt.
Einst freilich, da sie jung und drall,
Ging wohl ihr Rößlein scharf im Trab.
Manch fremdes Futter kam zum Stall;
Gar mancher Seitensprung und Fall
Der bösen Welt zu reden gab
Und half dem Wirth zum frühen Grab.
Doch nun ist Alles längst vergessen,
Ihr Christenwandel exemplarisch.
Zwei tausend Thaler nur für Messen
Verschrieb sie schon testamentarisch.
Stets vorn am Hochaltar sie kniet,
Mit jeder Prozession sie zieht
Und Mönch, wie Pfarrherr und Caplan,
Sie halten nur beim »Rößlein« an.
Und neben ihr kniet todesmüd,
So rosenduftig aufgeblüht,
Maria, deren Töchterlein.
Ihr Aug' ist ganz von Weinen roth
Und schwer ihr junges Herz wie Stein.
' ist aber nicht von Sündennoth.
Die Lieb', ach erste Lieb' allein – –
Doch sieh, war das nicht Blitzesschein?
Hui, stand jetzt in gespenst'gem Glanz
Der leichengleiche Wachspopanz!
Wem sich das Haar nicht sträuben sollte!
Und hört ihr's, wie jetzt Donner rollte? …
[144]
Da sprang der Wirthin Töchterlein
Voll Aengsten auf vom Marmorstein:
»Ach, Mutter, komm, laß uns hinaus
Und alles Beten laß nun sein!
Es kommt gar bösen Wetters Graus
Und wie in einem Todtenschrein,
So schnürt es hier das Herz mir ein. –
Ha, siehst du wieder Blitzesschein?« …
Wohl duckt nun auch die Bäuerin
Den breiten Rücken tiefer hin
Und kommt in ihrem Rosenkranz
Vor Angst aus aller Ordnung ganz.
Dann schaut sie finster auf und schilt:
»Schäm' dich solch sünd'ger Heulerei!
Als ob hier Blitz gefährlich sei,
Wo wir vorm heiligen Gnadenbild,
Wie nirgend
mehr, gesichert sind!
Erst, wenn die Kerzen ganz verbrannt,
Wird auch dein Teufel ganz gebannt.
Schlag' nur den Förster in den Wind!
O bet', du armbethörtes Kind! –
Bet' dich vom Liebesteufel los!« …
Und wieder Blitz und Sturmwindstoß! –
Dem armen Kind entfiel das Buch.
Sie riß hinweg ihr Miedertuch
Und all den Sturm sie überschrie:
»Ach, Teufel, Mutter, sind nur Die,
Die gegen ihn verhetzt dich haben,
Um mich im Kloster zu begraben!
[145] Nur meinen Carl ich lieben mag.
Ist er doch brav und ich so jung! …«
Hei, war das jetzt ein Donnerschlag! –
Da tappte sie in jähem Sprung,
Um einen Pfeiler zu umklammern
Und, ihn verfehlend, wankte sie.
»Ha, siehst du?« scholl der Mutter Jammern,
»Gott selber warf dich jetzt auf's Knie!«
Doch schnell sie wieder aufrecht stand
Und rief mit aufgereckter Hand:
»Gott helfe mir! – Ich kann nicht beten!
Ich kann nicht selbst wie einen Wurm
Mein eignes Herz im Leib zertreten!
Und ließest du auch Kerzen brennen,
So hoch wie dieser Kirchenthurm,
Von meinem Carl mich loszutrennen –
Was hilft es mir? …«
Ha, wie der Sturm
Nun jedes Wort von ihr verschlang!
Und Glockenläuten, Psalmenchor,
Von oben durch den Donner klang.
Maria krümmte sich zusammen,
So gräßlich schlug das an ihr Ohr.
Und ach, der frommen Mutter gar
Ward von den grellen Blitzesflammen
Urplötzlich, wie noch nie zuvor,
Ihr einstig Sündenleben klar.
Voll Aengsten griff sie sich in's Haar
Und murmelt' in den Bart hinein:
[146] »Vor jähem Tod mich, Gott, bewahr'
Und wolle mir barmherzig sein!«
Und sieh, fünf Schritte nur von ihnen,
Durch einen Pfeilerschaft gedeckt,
Erhob sich jetzt mit starren Mienen
Auch Odilo, zu Tod erschreckt
Durch dieses Wetters grimme Macht
Und all den Streit von Groll und Lieben. –
Schon hat er heut die zweite Nacht
Im Bußgebet hier zugebracht,
Das Innocenz ihm vorgeschrieben,
Weil ungehorsam vor zwei Tagen
Beim Glockenruf er ausgeblieben,
Um Theophil Fahrwohl zu sagen.
Jetzt huscht' er durch die Sacristei.
O wie so gern nähm' auch die Zwei
Er gleich mit aus
der Schwüle fort!
Doch schreckt' ihn ab der Mutter Wort:
»Schäm' dich solch sünd'ger Heulerei,
Als ob hier Blitz gefährlich sei!« –
Ihn aber trieb gleich Sturmeswind
Nach oben ein allmächtig Grauen.
»Gott schütze dich, du armes Kind,
Um deiner Mutter Gottvertrauen!« –
So dacht' er noch und eilte drauf
Voll Angst in die Clausur hinauf,
Wo, hingekniet in allen Gängen,
Durchdröhnt von bangem Sturmgeläute,
Der Mönche Chor mit Bußgesängen
Der Luftdämonen Macht bedräute.
[147] Ha, wie die schwarze Heeressäule
Blitzschleudernd immer näher rollte
Und stets mit wilderem Geheule
Der Wolkengeister Schlachtruf grollte!
Doch mitten in dem Corridor
Der Abt als Teufelsbanner stand.
Vor ihm gekniet mit zager Hand
Hielt ihm ein Mönch das Buch empor,
Draus, litaneiend näselnd scharf,
Des Exorcismus Formelplunder
Durch's Fenster er zum Himmel warf.
Doch wie die Geister höhnisch lachten!
Und jetzt – o welch vernichtend Wunder! –
Ein Blitz – und jach ein Schlag darein,
Als ob die Decken niederkrachten! …
Jesus Maria! – das schlug ein! –
Emporgerissen von dem Knalle
Kommt Mancher wieder neu zu Falle.
An's Fenster wankt ein wirrer Knäuel
Und starrt zum Klosterhof hinein.
Es brennt! es brennt! Gott, welch' ein Greuel!
Schon züngelt an dem Kirchendach
Hoch hin der jähe Flammenschein.
Und »Feuer!« schreit es hundertfach.
Vom Stadtthurm bläst das Feuerhorn.
Der Abt erstarrt vor Scham und Zorn
Und murmelt nun statt Zauberfluch
Verwünschung auf sein Zauberbuch.
Da rennt ihn jetzt mit derbem Fluch
Der Pater Gutsverwalter an:
[148] »Ha, das habt ihr uns angethan!
Denn wie so dringend mahnt' ich dran,
Daß schadhaft sei der Blitzableiter!
Doch gottlos dünkt euch deß Gebrauch
Und zornig schicktet ihr mich weiter!
Mit Formelwasser löscht nun auch!«
Fort rennt er drauf nach Spritz' und Schlauch.
Schon qualmt durch alle Zellen Rauch.
Es knistert wie ein Bündel Reiser.
Wohl herrscht der Abt und kreischt sich heiser.
Doch jetzt ist guter Rath gar theuer.
Ein Wirrsal ist es sondergleichen,
Denn Jeder sucht nur sich zu retten.
Zum Schutze nur von Stall und Scheuer
Der strammen Klosterknechte Ketten
Geordnet sich die Eimer reichen.
Was kümmert sie der Kirche Feuer?
»Das soll der Abt nur selber taufen!« –
Höhnt's von des Gutsverwalters Lippen.
Und brüllend in erschreckten Haufen
Erst losgezerrt von ihren Krippen
In's nächt'ge Feld die Thiere laufen.
Und in dieß Durcheinanderrennen
Schrie jetzt der Abt: »Laßt Alles brennen,
Was elend irdisch Gut nur gilt!
Nur rettet unser Gnadenbild!
Armselige! was lauft ihr fort? –«
Doch wer verstand noch dieses Wort,
Drein neue Sturmwindstöße fuhren,
Wo Schreck und Angst die Sinne bannten?
[149] Nur wen'ge seiner Creaturen
Mit zum Portale niederrannten.
Auch Odilo, wie willenlos,
Ward fortgerissen mit dem Hauf.
Umsonst man nach den Schlüsseln schrie.
Drauf mit der Aexte Hieb und Stoß
Riß am Portal das Thor man auf.
Und in dem Kirchenschiff – ha sieh!
Wie sehn sie hoch die Flammen wogen,
Fortzüngelnd durch die Pfeilerbogen! –
Wie Alle da mit wankem Knie
Vorm heißen Qualm zurückgeprallt!
Und durch des Prasselns Sturmgewalt
Jetzt Innocenz noch stärker schrie:
»He, Odilo, hinein mit Gott!
O rette du der Jungfrau Bild!«
Der aber rief ohn' allen Spott:
»Mein Gott! – Ein schwacher Mensch, wie ich?
Ist sie nicht selbst ihr stärkster Schild,
Und ihr allmächt'ger Sohn braucht mich?«
Und kaum er dieses Wort geschrie'n,
Ein Klageruf, ganz jammervoll,
Von eines Fensters Gitter scholl.
Mein Gott! den Ruf, wie kennt er ihn!
Der kommt vom lahmen Cyprian! –
»Nur Menschen brauchen Menschenretter!«
Rief Odilo in's grause Wetter.
Hei, wie jetzt wild der rothe Hahn
Auch auf dem Klosterfirst schon krähte
Und hoch die Flammenflügel blähte!
[150] Doch mit des Mitleids Feuerdrang
Nun Odilo zum Zellengang
Beschwingten Fußes aufwärts sprang,
Wo jetzt in einst'gen Schreckens Bann
Der lahme Gärtner so erstarrte,
Daß er als schon verlorner Mann
Des Feuers Martertod erharrte.
Nur noch um Hilfe konnt' er schreien. –
Wie wird's wohl gehen mit den Zweien?
Und jetzt stürzt aus dem Klosterthor
Mit krankem Mönch auf starkem Arm
Der Bruder Willibald hervor.
Schnell vor der Andern wirren Schwarm
Legt er die theure Menschenlast
Und weiter rennt er voller Hast. –
Der Abt doch schnell beim Arm ihn faßt
Und überschreit des Donners Hallen:
»He, rette du das Gnadenbild!
Du bist der Stärkste von uns Allen!«
Doch, wie sich dieser löwenwild
Von ihm hinwegreißt, daß der schier
Zurückgetaumelt hingefallen!
»Was wollt mit todtem Holz ihr mir?
Muß krankes Leben retten gehen!«
Fort war er, eh man sich's versehen.
Ach, jetzt war seine Zeit gekommen,
Zu sühnen den unsel'gen Schuß.
Drei Leben heut er retten muß
Für's eine, das er einst genommen!
[151] Und gier'ger stets die Flamme leckt.
So viel der Abt auch Retter wirbt,
Doch Jeglichem der Muth erstirbt,
Vom rothen Feuerqualm erschreckt. –
Jetzt auch der Büchersäle Reihen
Aufflackernd ries'ge Flammen speien.
Die pergament'nen Folianten,
Drin so viel geist'ge Nacht geborgen,
Ha, wie sie jetzt wie lichter Morgen
Die rabenschwarze Nacht durchbrannten!
Und drin erst in den Kirchenhallen,
Herrgott, welch heißer Weiherauch!
Schon ist der Hochaltar gefallen,
Und all sein Schmuck ward morscher Zunder.
Nun schweigen selbst die Glocken auch.
Ihr heilig Erz in Brei zerschmolz. –
Doch jetzt – ha siehe, welch ein Wunder!
Am Gnadenbilde stockt der Brand
Ohnmächtig vor dem heil'gen Holz,
Ob rings auch an der Hinterwand
Die Wachsfiguren feurig troffen.
Und mitten durch die wilde Gluth
Wird eine Gasse plötzlich offen.
Der Abt gewahrt's – o neues Hoffen! –
Und ruft mit der Verzweiflung Muth:
»So will denn ich der Retter sein!
Zu riesig wäre ja die Schmach,
Sänk' auch dieß Bild in's Feuer nach!
O heil'ge Jungfrau, sei mein Schild!«
[152]
Schon stürzt' er bis zum Chor hinein.
Schon steht er wie in Engelshut
Ganz unversehrt vorm Gnadenbild.
Schon streckt er seine Hand empor
Nach dem so heiß ersehnten Gut –
Da flog hellzischend allzumal
Von draußen durch das kleine Thor
Der Bräuerspritze Wasserstrahl
In's Wachsfigurencabinet,
Das brennend heiße Tropfen schwitzte.
Hei, wie das Wachs da weithin spritzte,
Als wie gewässert siedend Fett!
Und, vor den Augen beide Hände,
Daß sie dieß Spritzen nicht noch blende –
So stürzt er sinnlos aus dem Chor.
Ein Aufschrei gellt vom Kirchenthor.
Noch stiert er rückwärts, wem es gilt? …
Weh'! – der Altar, er stürzt zusammen
Und mit ihm sinkt das Gnadenbild
Unrettbar mit ihm in die Flammen. –
Der Abt vorm Thore niederbricht
Und er verhüllt sein Angesicht.
Und während so die Spritzenpumpen
Umsonst die Feuerdrachen schrecken,
Die gier'ger stets zum Kohlenklumpen
Das wunderthät'ge Bild belecken,
Als wär's ein Holzblock voller Lumpen,
Und Gold und Perlen dran nur Plunder –
Da schleppt – o welcher Liebe Wunder! –
Mit Cyprian auf seinem Rücken
Sich keuchend Odilo daher
[153] Und sinkt mit ihm zur Erde nieder.
Kaum wollt' ihm noch der Rückzug glücken,
Umbraust vom gier'gen Flammenmeer.
Zugleich eilt Willibald hinwieder
Mit neuem Krankenleib herbei. –
Gerettet sind nun alle Drei!
Nur Einer liegt noch ganz vergessen,
Vor Schreck vom bösen Feind besessen,
In einem Winkel hingekrampft.
Doch jetzt – o sieh, welch Spuckgesicht!
Vom Fensterbogen, schwarz umdampft,
Er schauerlich herniederbellt:
»Weh', weh'! – der Untergang der Welt!
Seht ihr die Hölle? – Wehe, weh'! –
Salva nos, Christe domine!«
Dann stürzt er rückwärts, raucherstickt –
Der arme Bruder Benedict.
Und wieder ward es Morgenpracht
Nach solchem Sturmestraum der Nacht,
Wie auf dem Menschenangesicht,
Drauf wilder Schmerz sich erst gemalt,
Dann der Versöhnung mildes Licht
Verklärungsheiter widerstrahlt.
Wo Nachts noch unter Sturmgeheule
Der Wolken finstre Wahlstatt lag,
Da steigt nun in den blauen Tag
Der Lerchen heitre Liedersäule.
Statt angstverscheuchter Kirchthurmdohlen,
Vom Feuer um ihr Heim bestohlen,
Spielt Fangens neckisch Volk der Schwalben
Mit Kinderlachen und mit Kosen.
Hoch über Asche, Schutt und Kohlen
Nur schwellend Blühen allenthalben!
Es trieben Knospen selbst die Rosen
Inmitten brand'ger Eichenbohlen,
Hinausgezerrt vom Sturmwindtosen.
Was soll in seinem Zauberspruch
Trotz all dem herben Brandgeruch
[155] Solch junger Tag sich viel auch kümmern.
Um all die dunklen Menschensorgen
Ob diesen ruß'gen Klostertrümmern? –
s' ist warmer, wonn'ger Maienmorgen
Und, badend sich im Sonnenstrahl,
Frohlocket nur so Berg wie Thal.
Nun steht, vom Morgenglanz umlacht,
Abt Innocenz im Klosterschutte
Und hüllt sich fröstelnd in die Kutte
Nach solcher schauerlichen Wacht.
Er will – so hat er's streng befohlen –
Mit seinem Gott sich erst berathen.
Und feiernd drum mit Schipp' und Spaten,
Womit im Schutt sie thätig waren,
Stehn fern der Mönche scheue Schaaren.
Jetzt sitzt er hin auf schwarzem Stein
Im ausgebrannten Kirchenschiff.
Wie mag ihm wohl zu Muthe sein,
Daß er so oft zur Stirne griff?
* * *
Der Gurt der Wölbung ist zersprengt
Und mancher Pfeiler wurde schwach.
Nur Sparren starren noch vom Dach,
Windschief das Thurmgerippe hängt.
Doch draußen auch der Klosterbau,
Er ragt mit Zellen, öd' und hohl,
Als der Vergänglichkeit Symbol
Zum sonnengoldnen Himmelsblau.
[156] Ein Grabmal ist es, ungeheuer.
Nur Meierhaus und Stall und Scheuer
Mit unversehrtem Horn und Halm
Steht wie von Stein ein Dankespsalm
Für seiner ird'schen Retter Ehre
In all der Trümmer Miserere.
Und auch – o Hohn! – die Geldeskisten
Und alle sonst'gen ird'schen Schriften
Von Geldlegaten, Messestiften,
Und Zinsen wie Versichrungslisten,
Sie alle stehen wohlgeborgen
Im Klosterhof am heut'gen Morgen,
Weil sie mit praktisch flinker Hand
Zur rechten Zeit bewahrt vom Brand
Des Säckelmeisters Weltverstand.
Doch all der Kleinodschreine Glanz
In Meßgewand, Kelch und Monstranz
Und der Reliquien heilig Gut,
Nach Geldeswerth gar nicht zu schätzen –
All das verschlang die gier'ge Gluth.
Wer in den Klumpen, in den Fetzen,
Die vor'ge Pracht nun noch erkännte?
Selbst all die theuern Pergamente,
Jahrhunderte voll Kunst und Fleißes,
Sie flogen zu den Wolken auf
Gleich ganz armsel'gem Lumpenhauf,
Nicht werth nur eine Stunde Schweißes.
Doch hin ist hin! Was hilft nun Jammern?
Das Alles ist ja zu ersetzen
Aus andrer Klöster Kleinodkammern,
Reliquien- und Bücherschätzen,
[157] Ist doch gar reich daran der Orden!
Wär' Eines nur, ganz unersetzlich,
Was Allen galt als unverletzlich,
Das Gnadenbild gerettet worden –
Unläugbar vor dem Blick der Bräuer
Verbrannt zum winz'gen Haufen Staube! –
Denn sank nicht auch in gleiches Feuer
So viel Geschlechtern schon gar theuer
Vielhundertjähr'ger Wunderglaube?
* * *
O sieh, wie jetzt des Abtes Miene
Sich mehr und immer mehr verdüstert!
Und in die rauchige Ruine
Er jetzt mit heis'rer Stimme flüstert:
»Wär's möglich, Schöpfer dieser Welt,
Der schrankenlos du Allmacht bist,
Und dem seit seinem Ruf zum Werde
Jed' Element ist unterstellt
Bis zu des heut'gen Tages Frist –
Wär's möglich, daß dir diese Erde
Nur deines Fußes Schemel ist –
Daß dir der Elemente Walten
Freisteh' als göttlich freie That:
Und dennoch wär' im Wurf der Blitze
Dein Arm der Allmacht aufzuhalten
Durch ganz armsel'gen Eisendraht,
Erfunden von dem Menschenwitze?«
Jetzt grub er seiner Nägel Spitze
Tief in der Stirne Falten ein,
[158] Als ob ihm das sein Denken kläre.
Und wieder sprach er auf dem Stein:
»Wenn solches Hemmniß möglich wäre –
Durch Menschenhand im Gotteswalten –
Was müßt' ich nach der Logik Schluß
Dann überhaupt von Allmacht halten,
Die unhemmbar doch bleiben muß?
Und bräch' aus meines Glaubens Haus
Nicht auch sogleich der Stein heraus,
Darauf das Wörtlein ›Fügung‹ steht,
Vom Weltall bis zum Menschenhaar,
Mitsammt dem andern Stein: ›Gebet‹?
Ja, müßte dann nicht unrettbar,
Von solchem Zweifelssturm umweht,
Der ganze Bau in Schutt zerfallen,
Wie diese öden Kirchenhallen?«
Gequält hielt er die Hände vor.
Dann wieder fuhr er jach empor,
Geschreckt wie von Gewissenspein,
Und in den Schutt schrie er hinein,
Rückprallend vom zerfallnen Chor:
»Jesus, Maria! nein, o nein! …
Die einz'ge Wahrheit ist nur dieß:
Daß ich des Blitzableiters Draht
Trotz ganz gottlosem Menschenrath
Aus
Glauben nicht erneuern ließ,
Sowie aus Furcht vor Gottes
spott,
Weil Gott
vertrauen mir's verwies –
Das war der Fügung Weg, den Gott
In meinem Geist mich wandeln hieß,
[159] Denn
der nur führt in's Paradies!
Ja, ja, so ist es, so allein!
Es
mußte Gottes Blitz uns treffen.
Wer will als Mensch die Allmacht äffen? –
Es muß – es darf nur Fügung sein!«
Und er stand auf. Wie ein Verklären
Umwob es mälig seine Mienen,
Als sei ihm aus dem Reich der Sphären
Erleuchtend just ein Geist erschienen.
Und so entwallt' er den Ruinen
Erhabnen Gangs, wie ein Prophet,
Der mehr als Menschengeist versteht.
Dann vorm Portale streng und stumm
Winkt' er zur Arbeit sie heran,
Denn jede Hilfe, die profan,
Hielt scheu er fern vom Heiligthum.
Noch sah er nach den Mönchen um,
Um dann zu neuem Meditiren
Im Lindengang sich zu verlieren.
Nun graben und nun schaufeln sie
Inmitten all der Aschenhaufen.
Sie waten drin oft bis an's Knie
Mit steter Schauer Ueberlaufen,
Wann oft von neuem Pickelstoß
Dem Schutt entqualmte jäher Rauch.
Auch Odilo, wie todmüd' auch,
Er gräbt und gräbt ganz sinnenlos.
Hat er in dieser einen Nacht
Ein ganzes Leben doch durchwacht!
Und immer wieder muß er sinnen
[160] Und denkt in die versperrten Thüren:
Ach, konnte sie wohl noch entrinnen,
Um ihren Carl einst heimzuführen?
Jetzt schreit ein Mönch gar herzensroh,
Da er die Schaufel hebt: »Oho!
Seht einmal her! Zwei Menschenleiber!
Ja, richtig! – Und noch gar zwei Weiber!
Ei, ei, was hat die in der Nacht
Noch in die Kirche hergebracht?«
Und Alle liefen schnell herbei,
Neugierig und auch mitleidsvoll.
Nur Odilo that einen Schrei,
Der in der Andern Ruf verscholl.
Und flücht'gen Blicks, unsäglich bang,
Schielt er hinüber nach den Leichen.
Dann huscht' er in den Seitengang
Und sank in's Knie in solchem Ringen,
Als müsse jetzt der Grabstein weichen
Und lebend ihn die Gruft verschlingen.
Sie griffen nun auf's Neu' zur Schippe
Und räumten allen Schutt hinweg.
Die Mutter lag als schwarz Gerippe,
Rücklings gar jäh dahingestreckt.
Die Tochter, auf dem Herzen schräg,
Hielt krampfhaft noch ihr Haupt bedeckt,
Von Staub und Asche nur befleckt. –
Ob sie der Blitz sogleich erschlagen?
Ob aus dem Deckengurt die Steine? –
Der Morgen mag die Nacht drum fragen!
[161]
»Schau, schau, dieß Weib,« rief jetzt der Eine,
»War wohl 'ne reiche Bäuerin.
Betrachtet all dieß Silber nur!«
Er deutet auf die Ketten hin,
Die tief ihr in den Hals gebrannt.
Und kalt ein Zweiter weiterfuhr,
Zum Leib Maria's hingewandt,
Der immer noch, verschleiert zwar,
Verrieth der einst'gen Anmuth Spur:
»Die Junge wohl die Tochter war.«
Manch altem Mönche ging es nah',
Der noch mit Abt Johannes' Herzen
Zur zweiten Leiche niedersah.
Die Jüngern aber, die Asceten,
Herzlos für alle Menschenschmerzen,
Sich kalt auf ihren Fersen drehten
Und gruben fort, aus Stein und Kohlen
Kleinodien hervorzuholen.
Inzwischen lag noch der Novize
Im Seitenschiffe hingebrochen
Und jedes Wort, das von dem Blitze
Die Todten hier heut Nacht gesprochen;
Auch was zum Abt vom Blitzableiter
Der zorn'ge Gutsverwalter sprach –
Dumpf donnernd tönt' es in ihm nach.
Des Zweifels Abgrund, immer weiter,
Vom Blitz durchflammt, er ihn umgähnte,
Und drin ein Weib zu schau'n er wähnte.
Das schlug den Schleier jetzt vom Haar
[162] Und sprach mit marmorstarrem Leib:
»Das ewige Gesetz ich bin,
Gleich herzlos wie unwandelbar!« –
Dazwischen klang's: »Schau, schau, dieß Weib
War eine reiche Bäuerin;
Die Junge wohl die Tochter war.«
* * *
Nun ist die Mittagszeit vorbei.
Wie war der Klosterimbs heut schmal,
Gekocht auf dem Gesindeherd,
Verspeist am Tisch der Meierei!
Und düster zum Kapitelsaal,
Wie auch deß Holzwerk brandverzehrt,
Kommt Innocenz herangeschritten.
Auch der Convent ist drin erschienen.
Gewaltig stellt er sich inmitten
Und spricht wie ein Prophet zu ihnen:
»Ihr Priester, Brüder und Novizen!
Einst sah der Herr im Trauerkleide
Der Juden Volk mit Weheklagen
An Babylon's Gewässern sitzen –
Ihr Psalter hing an grauer Weide.
War, in der Fremde Joch geschlagen,
Ihr Herz doch also schwer von Leide
Und Heimweh nach den Zionsmauern,
Daß sie in ihrer Knechtschaft Tagen
Nicht einmal Psalmenklang ertrugen,
Gleichviel, ob auch mit herbstem Trauern,
Die Sänger ihre Harfen schlugen.«
[163]
Gewohntermaßen hielt er inne,
Denn immer erst wollt' er erproben,
Ob auch der Faden, den er spinne,
Der Hörer Geister schon umwoben.
Und wie er das an sich verspürte,
Er diesen Faden weiter führte:
»Auch euch, ehrwürd'ge Brüder alle,
Erblick' ich jetzt voll Weheklagen
Ob unsrer heil'gen Mauern Falle,
Die Gottes starker Arm zerschlagen.
Doch wollt auch ihr, den Juden gleich,
Entsagen jetzt dem Psalmenschalle?
Wollt ihr als Jammerbilderhaufen,
Ins Leere stierend schreckensbleich,
Wie Jene dort zu Babylon,
Zerfetzten Kleids das Haar zerraufen?
Nein, bei dem eingebornen Sohn,
Auf den ihr einst euch ließet taufen –
Ihr, meine Brüder, o ich weiß es:
Ihr wollt voll Dankes nur und Preises,
Erst recht die heil'gen Psalter schlagen!
Ist
uns doch nach der Knechtschaft Tagen
Aus dieses Babels Brandruinen
Der Gottesfreiheit Tag erschienen!
Und konnt' uns Gott noch lauter sagen,
Daß er an dieser Belialsstätte
Nicht länger Wohlgefallen hätte:
Als, da sogar das Gnadenbild
Sein Zorn den Flammen überlassen?
Ja, wahrlich, sag' ich euch: es gilt
Nur Gottes Willen recht zu fassen.
[164] Erst mahnt' er uns durch Blütherfrieren,
Jetzt sprach er durch des Blitzes Gluth. –
Des Teufels war dieß Klostergut!
Drum müssen wir's um Gott verlieren.«
Der Säckelmeister runzelte
Die Stirne unter'm fuchs'gen Haar.
Der Weine Pfleger schmunzelte
Mit hohngezucktem Achselpaar.
Der Gutsverwalter aber dachte,
Verwünschend diesen Phrasenreiter,
Stumm fluchend an den Blitzableiter.
Verblüfft Gesicht manch Andrer machte.
Ob dieses Klosterguts Verlust.
Die Jüngern nur, schon eingeweiht,
Die hatten's zu verstehn gewußt.
Dann sprach, wie voll Allwissenheit,
Der Abt mit eis'gem Augenstieren:
»Zwar prüft nur Gott so Herz wie Nieren.
Und doch, voll gnadenreicher Kraft
Hab' ich auch davon Wissenschaft.
Ja, schaut nur keck mich an, ihr Einen!
Gut, daß ihr nicht wollt besser scheinen!
Doch ihr auch, die ihr scheu verwirrt –
Erfahrt denn, daß ich jetzt als Hirt
Die Böcke von den Schafen scheide –
Zur Bauchmast wie zur Seelenweide!«
Da trat der Säckelmeister vor.
Ergrimmt hielt er den Arm empor,
Und staunend hörten All' ihn sagen:
[165] »Oho, Herr Abt, laßt doch euch fragen:
Wer gibt zu alldem euch das Recht?
Sind unsres Ordens Regeln nicht
Für euch so bindend, wie uns Alle,
Bis zu dem letzten Klosterknecht?
Wie steht euch zu solch ein Gericht?
Kam dieses Kloster nun zu Falle,
Dann wird es wieder auferstehen.
Denn manches ist verbrannt schon worden,
Und hat man's neuerbaut gesehen.
Der Abt nur seid ihr – nicht der Orden!«
Manch alter Mönch ihm Beifall nickte,
Verzagt manch Andrer niederblickte.
Die Jüngern lächelten drob nur.
Der Abt voll Ruhe weiterfuhr:
»Ganz wohl! der Orden bin ich nicht
Und nur zu Rom sitzt deß Gericht.
Doch wißt:
der Geist nun aus mir spricht,
Der einstmal die Anachoreten
Durchweht im Büßen und im Beten.
Und dieser selbe Gottesgeist
Mich fort von diesen fetten Auen,
Wo stets der Leib den Geist verführt,
Zur Waldschlucht niederziehen heißt,
Um einen Schafstall dort zu bauen,
Wie er für Mönche sich gebührt,
Nachfolgend jenes Hirten Wegen,
Der einst als Gott im Stall gelegen.
Und aller Hirten höchster Hirt
Durch seinen apostol'schen Segen
Mir daran bauen helfen wird.
[166] Wer will nun noch von Unrecht reden?
Lass' ich die Wahl doch einem Jeden,
Wo er sich fürder lasse weiden!
Und Keiner soll Gewalt erleiden.
Doch jetzt schon dräng' ich zum Entscheiden:
Wer will mir folgen – wer mich meiden?«
Und mit bezwingender Gewalt
Stumm deutet er gestrengen Winks.
Da theilte sich auch alsobald
Der Mönche Haufen rechts und links.
Nochmal so groß der rechte war.
Das war des Abts Trabantenschaar.
Doch, weder rechts noch links geschritten,
Stand Odilo verwaist inmitten.
»Was ist's mit dir? Was stehst du da?
Und hast nicht so wie
die gethan?«
Fuhr strengen Worts der Abt ihn an,
Da er ihm scharf in's Auge sah.
Wie staunten Freund' und Feinde drob!
Und Odilo das Haupt erhob,
Das ihm der Wahrheit Glanz umwob,
Gepaart mit Schmerz und Manneskraft.
Dann sprach er ruhig, heldenhaft:
»Herr Abt! das ist deßhalb geschehen,
Weil ich nach meiner Seele Rath
Nicht rechts- und auch nicht linkshin trat.
So blieb ich hier inmitten stehen,
[167] Um fürder so in Wort wie That
Gradaus den eignen Weg zu gehen.
Vollendet hab' ich hier die Lehr'
Und hier befriedigt ganz und gar
Nach weiterm Wissen mein Begehr.
Mir ward mein Kopf hier völlig klar,
Wenn auch mein Herz zum Sterben schwer.
Ein Leben war dieß Probejahr!
Noch gestern ich Novize
war. –
Fahrt wohl, Herr Abt! – Ich bin's nicht mehr!«
Nun ward's im Saal ein solches Schweigen
Und lagerte drin eine Schwüle,
Wie oft in Halmen und in Zweigen
Bei nahen Sturmes Vorgefühle.
Der Abt doch sprach mit höhn'scher Kühle:
»Du Sohn der Ketzerin! – So gehe!«
Dann murmelt' er noch: »Weh' dir, wehe!«
Und, mit dem Antlitz abgewandt,
Wies er ihn fort mit strenger Hand.
Wie Odilo mit festem Tritte
Zur ausgebrannten Thüre schreitet,
Da stürzt der lahme Cyprian
Von links aus seiner Brüder Mitte
Und, weit die Arme ausgebreitet,
Sinkt er auf's Knie. Was liegt ihm dran,
Was nun der Abt dazu wird sagen?
Hatt' Odilo ohn' alles Fragen
Doch ihn auch aus der Gluth getragen!
Und schmerzlich fleht er: »Nimm mich mit!
O dein, nur dein sei dieses Leben!
[168] Du hast mir's ja zurückgegeben!
Und was auch ich dieß Jahr hier litt –
Ach, keine Zunge spricht es aus.
O nimm mich mit! – Laß dienen mich
Als letzten Knecht in deinem Haus!
Kann nicht mehr leben ohne dich.«
Was das nun neues Staunen war!
Gar Manchem stieg zu Berg das Haar.
Und Odilo zog voll Erbarmen
Ihn an sein Herz mit starken Armen
Und sprach: »Du armer Mann, so komm!
Ja, du bei Gott bist wahrhaft fromm!
Komm mit in meiner Mutter Haus!
Und nur der Tod vertreib' dich draus!«
Der lahme Gärtner hinkte kaum
Mit seinem Retter durch die Thür,
Da trat auch in den freien Raum
Schon Bruder Willibald herfür.
Er sah den Abt fest forschend an,
Als ziel' er just nach einem Wild,
Und sprach in tiefem Baß dazu:
»Mein Bußwerk ist hier abgethan,
Denn dreifach Leben eins wohl gilt,
Und meine Seele hat nun Ruh'.
Fahrt wohl ihr Brüder, denket mein!
Will wieder Mensch bei Menschen sein.«
Drauf scheidet er mit strammem Schritte
Hinaus in's Leben – als der Dritte.
* * *
[169] Nun sitzen sie, wie vorig Jahr
Bei ihrem ersten Klostergang,
Auf jener Bank im Buchenhang.
Nur stieg der Sohn im Mönchstalar
Mit seiner Mutter heut zu Thal,
Und nicht bergan, wie dazumal.
Auch schwand die Sonne schon im Wald
Und wird's im Thale dämmern bald.
So warten's nun hier ab die Zwei,
Bis drunten völlig Nacht es sei,
Daß Niemand mehr sein Mönchskleid sehe
Und Niemand auch sein Seelenwehe,
Eh' draus der neue Mensch erstehe.
Und, gleichfalls noch im Klosterrock,
Steht scheu der Cyprian beiseit.
Er beugt sich träumend auf den Stock
Und denkt in stummem Sehnsuchtsleid
An Abt Johannes' Klosterzeit.
Frau Walburg schweigend niederschaut.
Wie Odilo auch liebestraut
Die Hand nun legt in ihren Schooß,
Sie läßt sie traurig wieder los.
Was ist ihr Leid doch gar so arg?
Und jetzt sie ihr Gesicht verbarg
Und lang sie so verharren blieb.
Dann matt die Hand vom Aug' ihr fiel.
Und endlich – welch ein seltsam Spiel! –
Sie Hand um Hand mit Thränen rieb,
Als ob sie
die in Unschuld wasche.
Weß ward sie doch nur angeklagt?
[170] Und heimlich ihre Seele sagt:
»Ach, auch sein Glaube – Schutt und Asche!« …
Was braucht' ihr Sohn zu fragen drum,
Weßhalb ihr jetzt so weh' geschah?
Die Lieb' erräth so Vieles ja,
Will's andre Lieb' ihr auch nicht sagen.
Und wie er sie so weinen sah,
Hielt er den Arm ihr umgeschlagen
Und sprach in ihr verschwiegnes Klagen:
»O weine, Mutter, weine nicht!
Und mußt du's, wein' nur linde Thränen! –
Daß ich aus finstern Abgrunds Gähnen
Mich wieder aufrang an das Licht –
Daß jetzt in meines Lebens Schaft
Kein Wurm mehr will das Mark zernagen
Und daß der Stamm mit neuer Kraft
Nurmehr gesunde Frucht will tragen,
Und Laub, draus Liebe Kränze flicht:
Sag', ist das Grund zu düsterm Klagen? –
Nein, liebste Mutter, weine nicht!«
Doch trotz solch Trostes Offenbaren –
Die Mutter weinte heimlich fort.
Ob es nun linde Thränen waren?
Und wiederum erklang sein Wort:
»O brauchst du Thränen, wein' nur süße!
Denn, daß ich jetzt die Menschen alle
Mit reinster Duldung Psalterschalle
Nur noch als lauter Brüder grüße –
Daß ich vor Allem dich, o dich,
[171] Du Mutterherz, auf's Neu' gefunden,
Daran, ich weiß, ganz sicherlich
Von allen seinen jetz'gen Wunden
Mein Geist und Herz wird neu gesunden:
Beweinst du drum, o Mutter, mich? –
Und sank mir auch, gleich blitzgetroffen,
Wie dieses Klosters Schuttgestein,
Der Dogmen Bau zum Wirrsal ein –
Sag', Mutter, darf ich denn nicht hoffen,
Daß solch ein Herz, wie
ich es habe,
Mit solcher Lieb' und solchem Wehe,
Aus all der jetz'gen Zweifel Grabe
Nicht friedlich wieder auferstehe,
Wenn auch in andern Glaubens Licht? –
Um Alles, Mutter, weine nicht!«
Da war's, als ob mit einem Mal
Sich ihres Grames Nacht gelichtet.
In dieser Worte Trostesstrahl
Stand sie verklärt hochaufgerichtet:
»Ja, du mein Sohn, ja du fürwahr –
Nun ward mir's plötzlich sonnenklar –
Du kommst an deines Suchens Ziel
Und findest dran den Frieden wieder!«
Und um den Hals sie dann ihm fiel
Und sank auf's Neu' zur Steinbank nieder.
Er aber wies zum Thal hinab:
»Sieh, dort liegt meines Vaters Grab!«
Dann griff er nach dem Herzen sich:
»Und hier geborgen sein Vermächtniß.
So schwör' ich dir jetzt feierlich
[172] Bei dieses sel'gen Geists Gedächtniß:
Nur Fluch auf Fluch verfolge mich
Und Freud' und Friede soll mich fliehn,
Eh' daß ich nicht sein Erbe bliebe! –
Sein Testament – ich will's vollziehn:
›Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!‹«