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1. Die Belagerung von Temesvâr.

Der Bruch zwischen den beiden Führern der ungarischen Revolution Kossuth und Görgey, war durch den kühnen Schachzug des ersteren, am 14. April das Haus Habsburg durch den Reichstag zu Debreczin des Throns von Ungarn verlustig und Ungarn als Republik erklären zu lassen, nur größer geworden. Gegenüber den Tendenzen der republikanischen Umgestaltung wollte Görgey, in offenbar richtiger Erkenntnis der Stimmung des Volkes und des Heeres, eine Aussöhnung mit dem Kaiserhause, und seine politischen Wünsche gingen über die Märzerrungenschaften nicht hinaus. Kossuth, um den Einfluß seines Nebenbuhlers auf die Armee zu entfernen, ernannte ihn zum Kriegsminister; Görgey arbeitete auf die Isolierung des Diktators und die Beseitigung der Polen.

Die Verhandlungen des Kabinetts von Olmütz wegen Intervention Rußlands, deren wir bereits im ersten Band erwähnt, waren unterdes zum Abschluß gediehen, um so rascher, als eine Ausdehnung der ungarischen Revolution, die zum Teil unter polnischen Führern stand, Rußland selbst bedrohen mußte. Ein russisches Korps unter Lüders drang am 19. Juni durch den Roteturmpaß in Siebenbürgen ein, schlug die Magyaren und besetzte Hermannstadt, indessen auch die Österreicher im Süden wieder vordrangen und sich Kronstadts bemächtigten. Die russische Hauptmacht unter Paskewitsch, an 130 000 Mann stark, rückte durch Galizien in Ungarn ein; Bem wurde aus dem nördlichen Siebenbürgen zurückgedrängt und nach einer vergeblichen Diversion gegen die Moldau bei Schäßburg am 31. Juli geschlagen, während eine russische Division, unter Paniutine, sich der Operation Haynaus, des neuen kaiserlichen Oberfeldherrn, an den beiden Ufern der Donau anschloß.

Das Zerwürfnis zwischen Kossuth und Görgey, den man gezwungen wieder an die Spitze der Armee gestellt, war jetzt offen zum Ausbruch gekommen. Der General weigerte sich, den Befehlen der Regierung, sich hinter der Theiß zu konzentrieren, nachzukommen, verweigerte, den Oberbefehl niederzulegen und setzte den Kampf bei Komorn fort. Am 2. und 11. war dort heftig gefochten worden, aber Görgey vermochte nicht, die österreichischen Linien zu durchbrechen, oder wollte es nicht mehr und trat den Rückzug nach der Theiß und Szegedin an, wohin die revolutionäre Regierung sich geflüchtet hatte. Raab war von den Kaiserlichen erstürmt, Ofen und Pest besetzt.

Nicht so glücklich hatte im Süden Jellachich in der Bácska operiert. Zwar hatte er am 7. Juni die Magyaren unter Perczel geschlagen und Peterwardein zerniert, aber bald nachher kapitulierte Arad, und ein unglückliches Treffen bei Hegyesch am 14. Juli nötigte den Banus, die Bácska zu räumen.

Nach der Einnahme von Siebenbürgen hatte sich das 5. ungarische Armee-Korps gegen Temesvár gewandt, um diesen einzigen und wichtigen Punkt zu brechen, den die Kaiserlichen noch zur Verteidigung des Südens, des Banats hatten.


Die Gräfin und die Komteß Pálffy, von der Freischar des Walachen-Tribuns Janko bei dem Blutbad von Enyád gefangen genommen, hatte sich in den Schutz eines Streifkorps des Grafen Leiningen gegeben, das den Walachen nachgesandt worden und die nicht unwichtigen Gefangenen waren von diesen Truppen auf ihrem Rückzug vor den übermächtig herandrängenden Ungarn mit nach Temesvár geführt worden.

Der Kommandant der Festung müßte kein erfahrener Militär gewesen sein, wenn er nicht längst vorausgesehen, daß die Revolutionsarmee nach der Besetzung Siebenbürgens sich bald in das fruchtbare Banat wenden würde, und demgemäß so viel als möglich seine Verteidigungsanstalten getroffen hätte. Von Temesvár aus war unterm 8. Februar die Festung Arad neu verproviantiert worden, und es galt daher um so mehr, den Abgang zu ersetzen, als die ursprüngliche Aprovisionierung der Festung nur auf 4000 Mann festgesetzt war, während zu ihrer Verteidigung eine Besatzung von mehr als 13 000 Mann nötig ist.

Unter dem Schutze des nur langsam zurückweichenden Streifkorps Leiningen wurde die Aprovisionierung für 6000 Mann auf 3 Monate erhöht.

Temesvár ist auf morastigem Grund gebaut, fast rings außer Kanonenschußweite von Wald umgeben. Die Ableitung der Festungsgräben hatte deren Tiefe bedeutend durch den zurückbleibenden Schlamm gemindert, die Fundamente der Festungsmauern, namentlich des Hauptwalls, waren gesunken, so daß an ein Etagenfeuer nicht zu denken war. Die Zahl der bombenfesten Gemächer und Räume waren überaus gering, da sich in der Festung nur 75 größere und 91 kleinere Defensions-Kasematten befinden, die schon für die Aprovisionierung so wenig ausreichten, daß bei vollem Stande der Garnison kaum der 9tägige Vorrat gesichert verwahrt werden konnte. Außer diesen Kasematten waren nur noch das Spital – auf einen Krankenbestand von nur 600 Mann berechnet! das Verpflegungsmagazin und die Siebenbürgener Kaserne bombensicher; alle übrigen Militärgebäude und die Privathäuser der Stadt von leichtem Bau. Schwer gefährdet war die Festung außerdem im Süden und Westen durch die beiden großen Vorstädte Fabrick und Josephstadt, deren Häusergruppen bis an die Werke vorgeschoben sind und gleich dem Damm am Begakanal vom Siebenbürgener bis zum Peterwardeiner Thor, dem Dorf Michala im Nordosten und den vielen nahen Meierhöfen die Arbeiten des Feindes unterstützten. Aus der Vorstadt Fabrick bezog die Stadt und Festung dazu durch Röhrenleitung ihren ganzen Wasservorrat. Die Stadt selbst zählt 6000, die Vorstädte 12-14 000 Bewohner, von denen die deutschen und jüdischen übelgesinnt, die illyrischen und walachischen wenigstens gleichgültig waren.

Der Kommandant ließ sofort, da offenbar die Vorstadt Fabrick nicht zu halten war, zahlreiche neue Brunnen in der Stadt graben, die auf dem morastigen Grund nur zum Teil ein erträgliches Wasser gaben, und die schwache Garnison aus der Umgegend rekrutieren.

Die Besatzung bestand, als die Thore der Stadt am 25. April geschlossen wurden, einschließlich des befestigten vorgeschobenen Lagers aus 4 Generälen, 1888 Offizieren, 8659 Soldaten, von denen 4493 neugeworbene Rekruten waren, und 1272 Pferden. Die Artillerie zählte im ganzen nur 251 Mann, während sie 1200 aufweisen sollte, das Geniekorps nur 17 statt des Etats von 92, Geschütze verschiedenen Kalibers waren für den ganzen Umkreis statt 290 nur 213 vorhanden, da das ungarische Ministerium früher die Vorräte geplündert. Ebenso war keine Geschützmunition fertig, zum Glück aber Pulver hinreichend vorhanden. Die Rekruten konnten weder Montur noch Wäsche, nur Gewehre erhalten, an allen Bedürfnissen war der größte Mangel. Unter diesen schwierigen und fast erdrückenden Verhältnissen begann die Verteidigung in der durch einzelne Nachrichten bestätigten Erwartung, daß alsbald ein Entsatz folgen würde.

Das folgende ist ein kurzer Auszug aus dem in den österreichischen Militärarchiven aufbewahrten Tagebuch des tapferen Kommandanten der Festung Temesvár, des kaiserlichen Feldmarschallleutnants Baron Ruckowina. Es wurden von diesen Aufzeichnungen überhaupt nur fünfzig Abzüge hergestellt, die nie in die Öffentlichkeit gekommen sind.

Den 25. April.

Der Feind marschiert in starken Kolonnen auf allen Straßen gegen Temesvár, das Streifkorps des Grafen Leiningen geht in das verschanzte Lager am Glacis zurück.

Den 26. April.

Der Feind besetzt die Vorstadt Josephstadt, verläßt dieselbe aber wieder auf die Bitte der Gemeinde, der – wegen ihrer schlechten Gesinnung bekannt, – der Kommandant das Bombardement angedroht hat.

Den 27. April.

Auf allen Straßen rücken feindliche Verstärkungen in die Linie, zufolge Kundschafternachrichten 12-15 000 Mann mit 80 Geschützen.

Der Feind hat zwischen der Josephstadt und Freydorf sein Lager aufgeschlagen.

In der Nacht Geplänkel der Patrouillen.

Den 30. April.

Wachtmeister Czyrowski von Schwarzenberg-Ulanen, in der Nacht mit 6 Ulanen gegen Remeto (an der Baga) gestreift, hat die an der Brücke beschäftigten feindlichen Pioniere überfallen und 1 Oberleutnant, 1 Wachtmeister, 10 Gemeine, 10 Pferde mit 2 Wagen und einen Courier mit Depeschen von der deutschen Legion aus Großwardein an den Insurgenten-Chef Bem eingebracht.

Den 1. Mai.

Heute wurde der durch den Ulanen-Korporal Spieß eingebrachte Spion Stigyössy standrechtlich erschossen.

Den 3. Mai.

Alle Waldränder zeigen sich besetzt. Eine Stunde vor der Recognoscierung hat ein feindlicher Parlamentär auf dem Vorposten des verschanzten Lagers eine Depesche vom »Ober-Kommando der Banater – Siebenbürger – Armee an die Garnison von Temesvár« übergeben, die uneröffnet wieder zurückgestellt wurde.

Den 9. Mai.

In der verflossenen Nacht ist auf der Straße durch den Muschnitzer Wald ein Hinterhalt gelegt, der am Mittag den sehr berüchtigten Notar Kereztes samt seinen Panduren mit verschiedenen Proklamationen aufhebt. Seine Aussagen von Wichtigkeit.

Den 12. Mai.

Kundschafter berichteten bedeutende Truppen-Entsendungen aus dem feindlichen Lager bei Freidorf. Der Augenblick wird zu einem Überfall durch die Brigade Leiningen mit zwei Bataillonen Sirkovich, 3 Kompagnieen Zanini, 2 Kompagnieen Romanen, Banater Grenzern, 600 Mann Schwarzenberg-Ulanen, 20 Max-Chevauxlegers und 16 Geschützen und 3 Raketen benutzt.

Zwei feindliche Infanterie-Bataillone und 6 Züge Szekler Husaren stürmen gegen das 1. Bataillon und die drei Geschütze und werden mit bedeutendem Verlust in die Flucht geschlagen. – Auch das 2. Bataillon Sirkovich mit einer Eskadron Ulanen unter Rittmeister Baron Wendt wirft die stürmende feindliche Infanterie zurück; zwei Kompagnieen werden vernichtet. Unterm Schutz der Batterie des Oberleutnants Büchler kehren die Kaiserlichen in die Festung zurück. Tote 14 Mann, 19 Pferde; Verwundete 34 Mann, darunter 2 Offiziere, 31 Pferde.

Den 13. Mai.

Der Feind dringt Nachmittag in die Mihala ein und führt Schlachtvieh und Rekruten fort.

Den 14. Mai.

Starke feindliche Kolonnen rücken, auf 3 Seiten stürmend, gegen die Vorstadt Fabrick, nur verteidigt durch ein Bataillon Sirkovich und 1 Batterie, er forciert die äußersten Häuser und Gärten. Vor der bedeutenden Übermacht, mit der ein Teil der Bewohner gemeinschaftliche Sache macht, wird endlich der Rückzug in das verschanzte Lager angetreten. Tote 20, Verwundete 7, durch das Aufgeben der Vorstadt Fabrick ist die Festung auf 137 Quellbrunnen beschränkt (also auf 108 Menschen und 9 Pferde ein Brunnen!).

Den 15. Mai.

Explosion von Geschützpatronen im verschanzten Lager, Leutnant Le Gay getötet, 1 Offizier und 7 Soldaten verwundet.

Den 18. Mai.

Der Feind bewirft aus 3 Batterieen mit Haubitzen und Bomben die Stadt und mit Schrapnells die Truppen im verschanzten Lager. 200 Granaten fallen in die Stadt. Das Feuer aus den Bastionen der Festung demontiert zwei feindliche Geschütze und zwingt sie zur Abfahrt. Die kaltblütige Tapferkeit des Feuerwerkers Gutbier, mit der er im verschanzten Lager, das Feuer leitete, die Haubitzen selbst gerichtet, und – nach jedem Schuß auf die Brustwehr springend – beobachtet hatte, und das alles unter heftigem Tirailleurfeuer und von Schrapnells überschüttet, wird von dem Lager-Kommandanten Hauptmann Melzer rühmend erwähnt.

Den 25. Mai.

Von dem Streifkommando des Leutnants Bohmann von Sirkovich-Infanterie, das seit 2 Wochen abgeschnitten in den Wäldern umherirrt, haben 10 Mann zur Festung sich durchgeschlagen.

Am 27. und 28. Mai.

Nächtliche Ausfälle der Freiwilligen. Durch zwei feindliche Parlamentäre werden 6 Mann der Siebenbürger Armee, die vom Feind bei Orsowa gefangen wurden, auf die Vorposten gebracht. Sie sagen aus, daß Bem Herr des ganzen Banats, und die Siebenbürger Armee in die Walachei zurückgegangen ist.

Den 31. Mai.

Gegen Mittag werden 400 Arbeiter und andere Bewohner der Festung, die den bedingten Proviantvorrat nicht nachweisen können, oder nicht bleiben wollen, am Wiener und Siebenbürger Thor aus der Festung gebracht. Der Feind treibt sie mit Gewalt zurück.

Den 1. Juni.

Die Ausgewiesenen lagern noch immer vor dem Wiener Thor, nur wenige haben sich durch die Posten geschlichen; aus Menschlichkeit werden sie in die Festung wieder aufgenommen.

Den 9. Juni.

Der Feind hat hinter den Gartenanlagen der Vorstädte unbemerkt mehrere Batterieen gebaut und demaskiert sie.

Den 10. Juni.

In der Nacht haben unsere Vorposten vom Romanenbanater Grenzregiment die Bega unter heftigem feindlichen Plänklerfeuer durchschwommen und das in den feindlichen Linien aufgeschichtete Holz in Brand gesteckt.

Den 11. Juni.

Das Feuer dauert von beiden Seiten ununterbrochen fort. Am meisten leidet das Militärhospital, wohin Bombe auf Bombe schlägt. Die Kranken aus dem ersten Stock werden in die Souterrains getragen. Im Spital hat es zehnmal gebrannt, in der übrigen Stadt an 30 Brände, die von der Löschkompagnie unter Leutnant Seymann von Leiningen-Infanterie unterdrückt werden.

Vom 11. bis zum 13. Juni.

Das Bombardement wütet von beiden Seiten ununterbrochen Tag und Nacht fort, die Verheerungen in der Stadt werden immer größer. Fürchterlich ist die Lage der Kranken im Spital, das dem Feinde zum Hauptzielpunkt dient. In der ganzen Garnison kommt seit dreimal 24 Stunden niemand zur Ruhe; trotz der Erschöpfung ist alles thätig.

Den 14. Juni.

Ohne Unterbrechung dauert das Bombardement gegenseitig verheerend schon den vierten Tag fort, die Zerstörung wird immer allgemeiner. Der Magistrat schildert den Zustand der Bürgerschaft verzweifelnd und bittet um Erwirkung eines sechsstündigen Waffenstillstandes. Das Ansinnen, Regungen bekundend, die nicht aufkommen dürfen, sollen sie der Verteidigung nicht schädlich werden, wird mit Nachdruck zurückgewiesen. Das Bombardement wütet unausgesetzt fort. Die Artillerie auf den Wällen arbeitet bei 30 Grad Hitze im Schatten mit ebenso großer Erschöpfung wie Ausdauer. Die Pulverkammer der feindlichen Kesselbatterie wird durch einen Bombenwurf des Kanonier Dokaupil in die Luft gesprengt, an 90 Bomben explodieren, die Batterie schweigt 5 Stunden.

Den 16. Juni.

Das Bombardement währt gegenseitig zerstörend fort, kaum ein Gebäude ist noch verschont; in allen Kirchen ist das Gewölbe durchgeschlagen. In der Nacht hat der Feind den rechten Flügel des verschanzten Lagers mit Macht angegriffen und die Brücke über die Bega verbrannt. Ein Honved-Offizier (Preuße von der deutschen Legion) ist schwer blessiert gefangen gemacht. Um 12 Uhr mittags erschien am Wiener Thor ein feindlicher Parlamentär mit Depeschen, die aber mit dem Bedeuten zurückgewiesen werden, daß die Festung nur mündlich verkehrt.

Den 18. Juni.

Das Feuer aus den feindlichen Mörsern hat um 11 Uhr nachts wieder begonnen. Es mögen bis jetzt nahe an 2000 Bomben in die Festung gefallen sein. Die Bewohner flüchten sich ohne Unterschied in die Unterkünfte des Militärs und in die Grüfte. Die Hitze ist peinigend, der Krankenstand im Spital hat die Zahl 1000 erreicht.

Den 23. Juni.

Die Hitze steigt über 30 Grad im Schatten, der Krankenstand über 1100. Der Feind eröffnet aufs neue das Feuer.

Den 25. Juni.

Der Feind baut seine erste Parallele. Die Hitze ist ungeheuer. Die menschlichen Kräfte der Garnison sind fast erschöpft. In der Bevölkerung herrschen Nervenfieber, Skorbut und choleraähnliche Zustände, auch macht sich der Mangel an Mundvorrat energisch geltend. Zwei Seressaner, die sich durch die feindlichen Posten schleichen wollten, um Kundschaft zu bringen, sind nach 30stündigen vergeblichen Versuchen wieder in die Festung zurückgekehrt.

Den 29. Juni.

Sechs eingetroffene Deserteure melden, daß dem Feinde Verstärkung von 30 Mörser, 9000 Bomben und vielem schweren Geschütz zugegangen ist. Ein Parlamentär trägt den Bewohnern ungehinderten Abzug aus der Festung an.

Den 1. Juli.

Rittmeister Baron Marburg unterhandelt über die Art und Weise des Abzuges der Bewohner. Um 2 Uhr verlassen über 800 durch das Wiener Thor die Festung.

Den 2. Juli.

So viel wie möglich teilen die Militärs die gesicherten Lokale mit dem Civil, da diese aber bei weitem nicht hinreichen, flüchtet sich alles übrige in die festeren Keller und in die Grüfte der Kirchen.

Den 3. Juli.

Der Gefreite Blaszek von Sirkovich-Infanterie hat sich vor sechs Tagen erboten, scheinbar zum Feinde überzugehen, um Kundschaft zu bringen. Verfolgt von den feindlichen Plänklern, kehrt er heut Nachmittag barfuß zurück. Um 2 Uhr nachts will der Feind aus allen Batterieen das Feuer wieder beginnen. Das Gerücht, daß die Russen mit 200 000 Mann zu Gunsten Österreichs eingerückt sind, ermutigt die Erschöpften. Zur Zerstörung der feindlichen Batterieen fallen zwei Stunden nach Mitternacht 2 Kolonnen unter Hauptmann Melzer und Major Pöschel aus. Der Ausfall gelingt vollkommen, die erste Kolonne vernagelt 5 leichte Geschütze, die zweite nimmt trotz der verzweifelten Gegenwehr des Feindes zwei Batterieen im Sturm, macht die Besatzung mit dem Bajonnet nieder und vernagelt 11 Mörser und 2 Geschütze. Der Hauptmann Schwaymann fällt schwer verwundet in die Hände des Feindes. Oberleutnant Nastaschin, der erste in der Batterie, ist gefallen. 14 Tote, 54 Verwundete.

Den 6. Juli.

Um 9 Uhr beginnt der Feind aus 30 Mörsern und 30 schweren Geschützen das Feuer gegen die Festung. Er hat 20 Batterieen in Thätigkeit. Der Verteidigungsrat hat beschlossen, das Feuer bei der geringen Zahl der noch vorhandenen Artilleristen nicht zu erwidern. Die Stadt leidet ungeheuer und muß in einem großen Schutthaufen enden.

Den 7. Juli.

Das Feuer mit Hohl- und Vollkörpern gegen die Festung dauert unausgesetzt fort, um 9 Uhr beginnen unsere Geschütze es zu erwidern, um 3 Uhr wird es gegenseitig eingestellt. Abermals wird ein feindlicher Parlamentär mit Depeschen zurückgewiesen, und um 5 Uhr die Beschießung gegenseitig wieder aufgenommen und die ganze Nacht durch fortgesetzt. Die Zerstörung wird immer größer, der Wallgang und die Bettungen der Bastionen der Süd- und Ostseite sind so aufgewühlt, daß an eine Fortsetzung des Feuers nicht zu denken ist. Die Brände häufen sich; das Kloster der barmherzigen Brüder und das bürgerliche Krankenhaus stehen in Flammen, der Feind konzentriert das Feuer aller Batterieen auf diesen Punkt. Nur mit Mühe wird das Militärhospital gerettet, die Lage der Kranken ist eine entsetzliche, für ihre Schilderung giebt es keine Worte!

Den 8. Juli.

Die Lebensmittel werden immer schwieriger aufzubringen, das getötete Pferd ist schon ein gesuchter Artikel. Die Stadt schreitet immer mehr der vollständigen Vernichtung entgegen.

Den 10. Juli.

Das Feuer dauert ununterbrochen auch während der Nacht fort. Der Feind erweitert und verlängert die Trancheen. Gegen Morgen zündet eine Bombe im Verpflegungsmagazin, der Brand dringt immer mehr in das Innere der Kasematten. Um 11 Uhr nachts waren unter Kommando des Majors Schifter 600 Mann Bukowina-Infanterie gegen die Mörser-Batterie in der Neuen Welt unter Führung des übergetretenen Honved Janos ausgefallen. Mit Kartätschen vom Feinde empfangen, werfen sie ihn mit dem Bajonett aus der Batterie und verfolgen ihn so lange, bis unsere Artilleristen 5 Mörser und 2 Kanonen vernagelt haben.

Den 14. Juli.

Die Häuser stürzen nach und nach eins ums andere ein, die festesten Keller geben keinen sicheren Aufenthalt mehr, die Lage der Bewohner ist eine verzweifelte. Von heute an wird in der Woche nur zweimal Fleisch gereicht, Pferdefleisch wird ausgeschrottet.

Den 15. Juli.

Der dritte Teil der Garnison reicht für eine Ablösung nicht mehr hin, während die andern zwei Dritteile als Bereitschaft und zu den Ausbesserungsarbeiten konsigniert werden, und somit höchstens nur auf Stunden zur Ruhe kommen können. Demzufolge wird von heute an das verschanzte Lager nur in den beiden Flanken besetzt.

Den 17. Juli.

Das Zeughaus, als eines der festesten Gebäude bekannt, liegt im Schutt.

Den 19. Juli.

In der verflossenen Nacht 2 Uhr ging der Feind mit einer dichten Plänklerkette im ganzen Umkreis der Festung auf das Glacis und gegen das verschanzte Lager vor unterm Schutz eines heftigen Bombardements, das bis 11 Uhr Vormittag dauerte.

Den 22. Juli.

Der Korporal Drafits vom Peterwardeiner Regiment, welcher als Kriegsgefangener in Arad zum Dienst im ungarischen Rebellenkorps gezwungen wurde, ist in die Festung gelangt. Er bestätigt die Anwesenheit Kossuths im Lager. Kossuth soll die Wegnahme der Festung dem ungarischen 5. Armeekorps um jeden Preis zur Aufgabe gemacht haben, infolgedessen auch in allen Trancheen große Thätigkeit bemerkt wurde.

Der Krankenbestand und die Sterblichkeit nehmen zu. Es gebricht an sicheren Lokalitäten, ja selbst das Hauptspital schützt schon nicht mehr gegen die feindlichen Geschosse. Die Lage der Kranken ist eine schreckliche; Typhus und Skorbut herrschen, und so aufopfernd auch die Ärzte sind, kann der Erfolg doch nicht lohnend sein unter der Masse der schrecklichen Umstände, wie sie oft ein Jahrhundert in einen so kurzen Zeitraum zusammengedrängt nicht aufzuweisen hat.

Den 25. Juli.

Der Gesundheitszustand ist sehr beängstigend. Ein Viertel der Garnison ist tot, ein zweites Viertel teils im Spital, teils undienstbar, über 60 Offiziere sind schwer krank, und doch ist noch immer die eigentliche Zeit der Epidemie nicht da!

Den 26. Juli.

Die Hitze ist unerträglich! wir gehen dem Kulminationspunkte der Leiden mit Riesenschritten entgegen!

Den 28. Juli.

Im Spital sind heute 40 Tote, in der Stadt sind 2300 und bei den Truppen über 1000 Kranke. Manche Kompagnieen sind ganz ohne Offiziere. Die Bevölkerung, ursprünglich nur auf 3 Monate verproviantiert, ist mit ihren Vorräten zu Ende, auch die Garnison bekommt, außer dreimal in der Woche Pferdefleisch, kein Fleisch, da die wenigen Ochsen für das Spital reserviert werden müssen.

Den 30. Juli.

Das Hauptspital ist noch immer der Konzentrationspunkt der feindlichen Geschosse und aller physischen und moralischen Leiden. Die Nervenkranken – manche schon auf dem Wege der Besserung – verkriechen sich in schreckensvollem Entsetzen unter die Betten und sterben nach wenigen Stunden. Ich bewundere die Ärzte und Kommandanten in diesem Leichenhaus, in dem die Atmosphäre schon todbringend ist.

Den 31. Juli.

Schon des Nachmittags war die Stabskaserne in Brand geraten; während der Nacht zündete auch die Peterwardeiner Kaserne, und die Pompier-Abteilung, seit 12 Stunden mit der Dämpfung von Bränden in allen Teilen der Stadt beschäftigt und den Anstrengungen beinahe erlegen, konnte trotz der größten Aufopferung des Feuers nicht Meister werden, zumal der Feind alle Geschosse gegen diese größeren Brandstätten konzentriert hatte und der Wind sturmartig das Element nicht zur Ruhe kommen ließ. Selbst die Ruinen der vor kurzem noch so lebensfrohen reichen Stadt scheinen in Feuer aufgehen zu sollen! Die letzten 16 Stunden waren die schrecklichsten seit drei Monaten und haben zahllose Beispiele seltener Selbstverleugnung und Ausdauer der Garnison aufzuweisen. Heute war ihr Prüfungstag, sie hat ihn glänzend bestanden! Jetzt ist vom Geniekorps nur noch der Oberleutnant Keil dienstbar.

Den 3. August.

Die Desertionen häufen sich und machen die Lage der Garnison im Verein mit der großen Sterblichkeit, heute 45 Tote! – immer schwieriger.

Den 5. August.

Der Regen gießt in Strömen und doch beginnt der Feind um 8 Uhr abends wieder aus allen Batterieen heftig zu feuern. Begünstigt von der finstern stürmischen Nacht greift der Feind um 10 Uhr abends beide Flanken des verschanzten Lagers an. Er dringt zweimal bis an die Tambourierung vor, deren Pallisaden von den kühnsten bereits erstiegen wurden. Aber beide Male muß er mit großem Verlust, zuletzt in Flucht, zurückweichen.

In dieser Nacht hat der Feind die Annäherung von der Kapelle bis an die Bega beendet. Im Spital wütet der Skorbut und der Typhus, heute haben wir auch schon vier mit schnellem Tod endende Cholerafälle gehabt, die ganze Garnison ist siech, die Stadt nur ein großes Krankenlager. Die meisten Ärzte sind todkrank, auch an Medikamenten leiden wir schon empfindlichen Mangel.

Soweit das Tagebuch!

Es war am 5. August nachmittags 2 Uhr, als am Wiener Thor ein feindlicher Stabsoffizier und ein Rittmeister mit der Parlamentärfahne erschienen.

Der Kommandant beorderte den Obersten Sztankovics, begleitet von dem Hauptmann Feldegg, die Botschaft in Empfang zu nehmen und versah sie für alle Fälle mit Instruktionen.

Die beiden Offiziere begaben sich vor das Thor, man durfte den feindlichen Parlamentären den schrecklichen Zustand der Stadt nicht zeigen.

Rasch hatte sich die Nachricht von den begonnenen Unterhandlungen verbreitet, die Soldaten füllten die Wälle am Thor, die halbverhungerten Bürger mit den hagern Leichengesichtern drängten sich zwischen sie und waren durch keinen Befehl mehr zurückzuhalten.

Der Parlamentär der Ungarn hielt auf seinem Pferd unfern des Grabens.

Hinter ihm und seinem Begleiter hielt neben dem Trompeter ein berittener Honved im weißen Szür, die breite Krempe des Hutes tief ins Gesicht geschlagen.

Der Parlamentär sah nach ihm hin und drängte sein feuriges Pferd einige Schritte zurück.

»Hast Du die Männer bemerkt, Rósza?«

» Isten teremtete. Dort stehen sie auf dem Wall und der Jude bei ihnen. Sie sehen aufmerksam hierher!«

»Dann gieb ihnen das Zeichen, sobald Du es unbeachtet thun kannst. Du hast das Papier doch bei Dir?«

»Es steckt in der Patronenhülse hier, Euer Gnaden – der Lajos hat Augen wie ein Teufel und wird meine Bewegungen nicht aus der Acht lassen, oder ich will das Grab seiner Mutter verdammt sehen.«

Das Ausfallspförtchen am Thore hatte sich geöffnet, die beiden österreichischen Offiziere kamen heraus, und die Ungarn stiegen sofort von den Pferden und übergaben sie ihren Begleitern.

Die vier näherten sich einander und salutierten.

»Ich habe die Ehre, mich Ihnen als den Obersten Graf Stephan Batthyányi vorzustellen, beauftragt von Sr. Excellenz dem Kommandierenden des fünften ungarischen Armee-Korps General Vecsey, mit dem Herrn Kommandanten von Temesvár zu unterhandeln. Dies ist der Rittmeister Fürst Woronieczky, mein Beistand, und hier sind unsere Vollmachten.«

Der österreichische Oberst lehnte sie mit einer höflichen Handbewegung ab. »Ihr Name, Herr Graf, ist uns Bürgschaft genug. Wir stehen hier im Namen des Feldmarschall-Leutnants Baron Rukowina, Ihre Mitteilungen in Empfang zu nehmen.« Er stellte sich und seinen Begleiter vor.

»Der Zustand der Festung,« fuhr der Ungar fort, »ist uns genau bekannt. Sie haben kaum Truppen noch, um die Wälle zu besetzen, alle Ihre Hilfsmittel sind erschöpft, der Tod wütet in Ihren Mauern. Die Stadt muß in wenigen Tagen in unsere Hände fallen. General Vecsey, bewundernd Ihre ritterliche Verteidigung, läßt der Garnison durch mich hiermit eine sehr ehrenvolle Kapitulation antragen.«

Der alte Oberst verbeugte sich. »Ich bitte, Herr Kamerad, machen Sie mich mit den Bedingungen bekannt, die so ehrenvolle sein sollen!«

»Der General bietet der Garnison freien Abzug mit allen Waffenehren und ihrem Eigentum, nur die Geschütze bleiben in der Festung zurück. Er erbietet sich, die Garnison bis an die serbische Grenze geleiten zu lassen und fünf Stabsoffiziere als Bürgen für die Innehaltung der Bedingungen zu stellen. Die Feindseligkeiten werden sofort aufhören, der General verpflichtet sich, die Sorge für die zurückbleibenden Kranken und Verwundeten zu übernehmen.«

»Wir haben Temesvár jetzt hundert Tage verteidigt, Herr Kamerad,« sagte der alte Österreicher, »und wir sollen es jetzt dem Feind überlassen, wo jeden Augenblick unser Entsatz zu hoffen steht?«

»Sie irren, Herr Oberst,« unterbrach ihn der Fürst, »jede Hoffnung auf Entsatz ist Täuschung. Unsere Truppen sind zahlreich und erhalten täglich Verstärkung, Sie sind verlassen und aufgegeben von den Ihren!«

»Dann wollen wir Ihnen als Männer zeigen, daß wir wenigstens unsere Pflicht erfüllen. Ich habe im Auftrag Sr. Excellenz des Herrn Kommandanten nur eine Antwort!«

»Und die ist?«

»Daß das hunderttägige Verhalten der Garnison den General Vecsey überzeugt haben sollte, daß sich die Garnison bis zur letzten Patrone verteidigen wird!«

Graf Stephan erhob noch einige Gegenvorstellungen, aber sein ausweichender Blick und der gebrochene immer leisere Vortrag bewiesen, daß er die Schmach der Zumutung solchen Männern gegenüber empfand.

»So ist dies das letzte Wort des Kommandanten?« fragte der Fürst.

Der österreichische Oberst verbeugte sich schweigend.

»Dann ist unser Geschäft hier beendet. Adieu, meine Herren!«

Der Reiter im Szür führte die Pferde herbei. Plötzlich, nachdem die österreichischen Offiziere bereits zurückgetreten waren, warf Graf Stephan den Zügel über den Hals seines Pferdes und trat noch einmal auf sie zu.

»Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich die Kameradschaft, ob Ungar, ob Kaiserlicher, noch einmal in Anspruch nehme. Unser offizielles Geschäft ist beendet, ich erlaube mir jetzt, als der Graf Bathyányi eine Frage an Sie zu richten, und ich zweifle nicht, daß Sie so freundlich sein werden, sie mir zu beantworten.«

Die Offiziere verbeugten sich. »Wir stehen zu Ihren Diensten, so weit es unsere Pflicht erlaubt.«

»Unter den Gefangenen der Festung, die von dem Korps des Herrn Grafen von Leiningen eingebracht worden, befinden sich zwei Damen.«

»Die Gräfin Pálffy, wenn ich nicht irre, Mutter und Tochter. Sie wurden dem grausamen Blutbad von Enyád entrissen.«

»So ist es, sie sind meine Verwandten und mir sehr teuer. Können Sie mir eine Nachricht von ihnen geben?«

»Die Gräfin Mutter,« sagte Hauptmann Feldegg, »ist seit ihrer Ankunft leidend, und die notwendigen Schrecken der Belagerung haben sie tief erschüttert. Sie lag im bürgerlichen Lazarett, das Ihre Bomben zum größten Teil demoliert haben.«

»Und die Tochter, Komtesse Helene?«

»Sie ist nicht von ihrer Seite gewichen.«

Der Graf zauderte einige Augenblicke, dann reichte er dem Gegner die Hand. »Ich danke Ihnen, mein Herr! Sie haben mir wenigstens eine Beruhigung gegeben. Wenn wir uns auf dem Schlachtfeld begegnen, werden wir uns auch als Feinde achten!«

Er winkte den Begleitern, die Pferde herbeizuführen.

Der Rósza näherte sich ihm.

»Ist es geglückt?« fragte er leise.

» Kutya lanczos! warum sollte es nicht? der Lajos ist doch nicht auf den Kopf gefallen, und seine Burschen kennen ihn!«

Sie hatten sich in den Sattel geschwungen, der Trompeter blies, noch einen Blick auf den halb zerstörten Wall, der ihm so teures einschloß, und der Graf jagte zurück zum ungarischen Lager.

Die österreichischen Kanoniere standen bei ihren Geschützen, das Feuer der ungarischen Batterieen erwartend und bereit, es zu erwidern, aber der Tag verging ruhig.

Gegen Abend sah man vom Observatorium aus ein Bataillon im großen Umkreis gegen Lippa hin abmarschieren, und auf der Arader Straße wurden 9 Geschütze abgeführt.

Zuweilen scheint die Luft die Ahnung, selbst die Nachricht eines Ereignisses mit sich zu tragen, von dessen Geschehen menschliche Mittel und Verbindungen unmöglich schon die Kunde gebracht haben könnten. Man weiß in entfernten Gegenden, fast in derselben Stunde schon oder doch nach unverhältnismäßig kurzer Zeit, was dort oder da geschehen ist; ja noch wunderbarer, es giebt etwas, nicht in der Kraft des Einzelnen, aber in der Natur der Menge, im Leben der Gesamtheit, was die kommenden Ereignisse im voraus kennt.

Ein solches Gerücht, eine solche Ahnung, hatte sich der zum größten Elend herabgekommenen Besatzung von Temesvár bemächtigt; woher die Nachricht gekommen, war nicht zu ermitteln, aber die Ansicht war allgemein verbreitet: die Stunde der Erlösung habe geschlagen, es seien Dinge da draußen vorgegangen, die einen nahen Entsatz verhießen.

Die scharfe Forcierung des Angriffs in den letzten Tagen und das heutige Anerbieten einer Kapitulation, wie man sie gar nicht hätte erwarten können, sowie die nicht zu verheimlichende Bewegung der Truppen im Lager, ließen allerdings besondere Ereignisse vermuten, aber es galt, sich Gewißheit zu schaffen, denn das Elend und der Jammer waren zum Unerträglichen gewachsen.

Am späten Abend fand ein Kriegsrat der wenigen noch dienstfähigen Oberoffiziere in dem einzigen Gemach, das der Kommandant bewohnte, statt. Der Adjutant des Feldmarschall-Leutnants führte einen zur Unkenntlichkeit verhüllten Mann in die kleine Versammlung, es war ein deutscher Kaufmann, der sich zu dem Wagestück erboten.

Es ist sicher, daß sein Mut und seine Gewandtheit wahrscheinlich Temesvár gerettet haben. Als der vorliegende Roman zuerst erschien, lebte der kühne Mann noch. Der Verfasser verzichtete darauf, seinen Namen zu nennen, weil er ihn, wie er bemerkte, dadurch wahrscheinlich »den Dolchen der Revolution ausgesetzt haben würde.« D. H.

Man verabredete mit ihm, daß er noch in derselben Nacht aus der Festung entfliehen sollte. Dies war nicht so schwer, da die halb zerstörten Wälle nur spärlich besetzt waren. Allnächtlich kamen jetzt Desertionen vor, da das Elend und die Not in der That nicht mehr zu ertragen waren.

Der Flüchtige sollte sich geradezu bei den feindlichen Posten melden und sich ins Lager begeben; er sollte Aussagen machen über den Zustand der Stadt, die seine Zuverlässigkeit verbürgten. Dann sollte er sich im Lager aufhalten und so viel wie möglich erkunden.

Man bestimmte eine Stelle an der Vorstadt und eine Stunde, in der er sich in der Ferne am nächsten oder folgenden Nachmittag zeigen sollte; sehnsüchtige Augen würden ihn vom Wall beobachten.

Ein schwarzes Tuch um den Hals sollte das Zeichen sein, daß alle Hoffnung verloren, ein rotes, daß Entsatz nahe sei.

An solchen unbedeutenden Dingen hängt oft das Schicksal von Tausenden, Sieg oder Untergang!

Der Adjutant selbst brachte den Mann bis an eine genügende Stelle des Walles, hier stieg der Deutsche, von den Segenswünschen des Führers begleitet, hinab und gelangte glücklich durch den jetzt von der Hitze aufgetrockneten Schlamm des Grabens.

Der junge Mann ging langsam und vorsichtig vorwärts, die Nacht war dunkel und finster.

Plötzlich, noch ehe er die ungarischen Posten erreicht hatte, erhob sich hinter einem Erdaufwurf ein Mann und eilte auf ihn zu. »Dem Himmel sei Dank, Sie sind es! Helene!«

Der Sprechende blieb vor ihm stehen, er faßte ihn heftig am Arm, ein zweiter Mann trat herbei.

»Was ist das? Du kommst allein? wo sind die Frauen?«

»Es ist der Lajos nicht, gnädiger Herr,« sagte der zweite. »Wer bist Du, Schurke? Antwort, oder ich zerschmettere Dir den Schädel!«

Der Flüchtling fühlte das kalte Eisen der Pistole an seinen Schläfen.

»Ein Überläufer aus der Stadt, ein Bürger! Das Elend war nicht mehr zu ertragen, und ich bin ein Freund der Magyaren!«

»Den Teufel magst Du sein,« zürnte der Betyár, denn dieser war's, der ihm so rauh begegnet, indem er auf einen Wink eines Gefährten die drohende Waffe senkte. »Du kommst aus der Stadt?«

»Ja, mein Offizier, vor zehn Minuten hab' ich sie verlassen!«

»Auf welcher Stelle?«

Der Bürger beschrieb sie genau.

»Sie ist unbesetzt? man könnte also auf ihr in die Festung gelangen?«

»Das wird schwieriger sein, als sie zu verlassen. Ein einzelner Mann vielleicht, aber ein Trupp würde sofort die Aufmerksamkeit erregen. Der Winkel liegt unterm Schutz der Geschütze.«

»Du bist ein Einwohner der Stadt?«

»Ein armer Teufel, Herr! ich habe das Leben gewagt, um zu entfliehen, ich wollte lieber von einer Kugel, als vor Hunger sterben. Der Bürger hat nichts mehr zu essen, man schlägt sich um den Knochen eines gefallenen Pferdes. Man hat die Särge der Toten aus den Grüften entfernt, um wenigstens für die Frauen einen Raum zum Schutz gegen die ungarischen Bomben zu haben.«

»Gott im Himmel! und sie ist dort und muß all das Elend ertragen, und ich muß denken, daß jeder Schuß, der aus unsern Reihen donnert, ihr den Tod bringen kann.«

» Fene Egyemek!« brummte der Betyár, »wenn's so steht, können sie sich nicht halten in der Stadt, sie müssen sich ergeben, noch ehe …«

»Still! Was hast Du gehört in der Stadt, ist Aussicht, daß sie bei dem Elend endlich übergeben wird?«

»Nicht, Herr, so lange sie noch eine Kugel zu verschießen, noch einen Bissen Brot für die Soldaten haben, mag auch der Bürger verhungern. Der Kommandant ist eine eiserne Natur.«

»Aber die Bewohner? fordern sie nicht mit Gewalt die Aufgabe des thörichten Widerstandes? wir haben doch Freunde in der Stadt!«

»Der Feldmarschall-Leutnant hat geschworen, jeden, der ihm davon spricht, hängen zu lassen. Seine Strenge ist furchtbar, noch diesen Abend, bevor ich mich zum Aufbruch entschloß, ist ein Soldat erschossen worden, ein Überläufer aus dem ungarischen Lager, der sich verdächtig gemacht hatte, die Festung wieder verlassen zu wollen.«

Der Betyár stieß einen wütenden Fluch aus. »Mögen die Hunde sie auffressen – das ist sicher der Lajos Thomas. Lajos: Ludwig. gewesen, der Tölpel!«

»Ich glaube, so nannte er sich,« sagte der Mann, »ich war bei der Exekution zugegen. Sie können denken, daß die Not groß sein muß, da selbst nach diesem Anblick mein Entschluß fest blieb.«

»Noch eins! Hast Du von zwei weiblichen Gefangenen gehört, die vor Beginn der Belagerung schon nach der Festung gebracht worden, einer Gräfin Pálffy und ihrer Tochter?«

»Ich habe sie mehrfach gesehen, die Gräfin ist von schwerer Krankheit genesen, aber die Komteß ist nahe daran, jetzt dem Elend zu unterliegen, denn sie entzog sich alles, um ihre Mutter zu pflegen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Offizier, »ich nehme Sie unter meinen Schutz. Rósza, bringe den Mann nach dem nächsten Posten, man soll ihn nach dem Hauptquartier führen, er kann wichtige Mitteilungen machen. Man mag ihn dann in mein Zelt bringen.«

Der Betyár befahl dem Überläufer, ihm zu folgen und übergab ihn der nächsten Honved-Schildwach, dann kehrte er zu dem Offizier zurück, den er in Gedanken versunken, auf dem Erdhaufen sitzend fand.

»Es ist sicher der Lajos, den sie erschossen,« sagte der Rósza, »der Tölpel hat sich fangen lassen, als er das Papier geholt, ich hoffe, daß der einäugige Tamas klüger sein wird als er.«

»Aber was ist zu thun, wackerer Freund? ich muß das möglichste thun, sie zu retten, ich will selbst versuchen, verkleidet in die Festung zu dringen,« sagte Graf Stephan.

» Kutya lánczos! das sollen Sie nicht, so lange ich ein Wort darein zu reden habe,« zürnte der Betyár. »Lieber sende ich die Katharin, sie ist ein Weib und schlau und listig. Sie hörten selbst, daß die Stadt sich nicht mehr halten kann!«

»Aber der Feind rückt mit Übermacht heran!«

»Ich hörte davon! » Baszom a Mágnást! wir werden ihn schlagen, wie so oft.«

»Das ist nicht gewiß, Kamerad, und wenn die Festung entsetzt wird, ist alle Hoffnung verloren. Unsere Lage ist nicht mehr dieselbe. Die Regierung ist in Zerwürfnis und hat sich nach Lugos zurückgezogen, Pest ist in den Händen der Kaiserlichen, Fürst Lichtenstein zieht gegen Spöregh.«

»Aber Dembinszky, Mézáros, Guyon, Dessewffy, Kmety und Visoczky mit 25 000 Mann stehen dort.«

»Das Glück der Schlachten ist wechselnd, Freund! Wenn Dembinsky geschlagen wird, rücken die Österreicher und Russen gegen Temesvár. Görgey schwankt, Fürst Paskewitsch dringt von Norden her, Siebenbürgen ist bereits für uns verloren.«

»Der blaue Himmel, Herr, ist über dem Ungarland und wird es nicht verlassen. Unsere Macht hier ist stark.«

»Aber Du weißt selbst, Kamerad, wie es hier steht, der Soldat thut alles und verdient mit seinem Blut die geringe Löhnung, während das Lager voll ist von liederlichem unnützen Volk und den Maitressen der Offiziere, die in ihren Armen bei Trunk und Spiel die Stunden verbringen, indes die Unteroffiziere an ihrer Stelle befehligen. Werden wir geschlagen, so müssen wir uns zurückziehen, und Komteß Helene und ihre Mutter bleiben in den Händen der Feinde! Ich sage Dir, läßt Dein Bote bis morgen nacht nichts von sich hören, so muß ich in die Stadt, und gelte es mein Leben!«

Der Graf und sein treuer Gefährte hielten bis zum Morgen auf ihrem Posten aus, aber weder der Überläufer mit den Frauen, deren Flucht er befördern sollte, noch die geringste Botschaft kam.

Die Ungarn hatten während der Nacht ihre zweite Parallele am Bega-Ufer vorgeschoben, bombardierten aber an diesem Tage nur schwach die Stadt, während die Österreicher am Nachmittag ein scharfes Feuer eröffneten.

Vergeblich schauten an diesem Tage ihre mit der Sendung des Boten Vertrauten nach der verabredeten Stelle, niemand ließ sich sehen.

In tiefer, mit jeder Stunde wachsender Entmutigung der Garnison verging die Nacht und der nächste Vormittag.

Die zweite Parallele und der ganze Damm der Bega bis zur Brücke in die Fabrik zeigte sich von einer dichten Vedettenlinie besetzt, bereits sah man an der Bischofsbrücke Kanonen am rechten Ufer in die zweite Parallele eingeführt.

Wurde das Feuer von hier mit schwerem Geschütz eröffnet, so war die Stadt bei der größten Aufopferung nicht 24 Stunden mehr zu halten.

Der alte Feldmarschall-Leutnant beobachtete selbst die Fortschritte des Feindes, dann ließ er alle Truppen auf ihre Posten treten.

Eine Gruppe der Offiziere stand auf dem Wall um den Kommandanten; es war der letzte Tag der Hoffnung; erschien auch heute der Bote nicht, dann war er verunglückt oder treulos.

Die Vedetten unterhielten ein leichtes Plänklerfeuer, während nur zuweilen ein Kanonenschuß von beiden Seiten sich einmischte.

Der Feldmarschall-Leutnant ging mit langsamen Schritten auf und nieder, seine Stirn war tief gefurcht, das Auge finster und trübe.

Endlich blieb er stehen und zog die Uhr. »Es ist 5 Minuten über 3 Uhr, die Stunde ist um, lassen Sie uns gehen, es ist unnütz, länger zu warten. Wir müssen unser Schicksal wie Männer und treue Soldaten des Kaisers tragen bis zum letzten. Wenn auch in Ungarn die Sache unsers Herrn jetzt verloren ist, noch hält der tapfere Radetzki die schwarzgelbe Fahne hoch am Mincio, und die Zeit wird kommen, wo sie auch hier wieder weht über dem Grabe tapferer und treuer Männer. Bis in den Tod drum, meine Herren: ›Treue dem Kaiser!‹«

Und » Treue dem Kaiser!« scholl es ringsum im Kreise.

»Lassen Sie uns gehen!«

Die Adjutanten schoben die Ferngläser zusammen, die Offiziere wandten sich, dem alten Kommandanten zu folgen; auf allen Gesichtern lag die schwere Enttäuschung und trüber Ernst.

»Halt! um des Himmels willen Halt!«

Der Feldmarschall-Leutnant wandte sich um.

»Was giebt es?«

»Sehen Sie dort!«

»Ein Mann, ein Civilist zwischen den Plänklern! Bei Gott, er ist es!«

»Und das Tuch?«

Der alte General konnte so weit nicht sehen. Vielleicht war sein Auge auch trübe von der innern Aufregung.

Der Adjutant hatte das Fernglas am Auge, fünf, sechs Gläser waren auf den Mann gerichtet, der von der Brücke daherkommend langsam mit einigen Soldaten durch die hinteren Linien des Gefechts schlenderte, als wolle er sich das Schauspiel aus der Nähe ansehen.

»Das Tuch? das Tuch?«

»Gott sei gelobt! er trägt ein rotes Halstuch.«

Der alte Kommandant faltete unwillkürlich die Hände, sein Blick hob sich zu dem blauen Himmel, von dem die Sonne heiß herniederbrannte. Gerade in den rauhen, harten Naturen zeigt sich oft in den Stunden der Freude nach schwerem Leid der tiefe, feste Glaube an die ewige Vorsehung am klarsten!

»Noch mehr« – der junge Grenzer-Leutnant, der den guten Boten zuerst entdeckt, sah mit seinen scharfen Augen mehr als die Herren mit ihren Gläsern! – »er zieht ein Taschentuch heraus – Viktoria! es ist auch rot!«

Der Kundschafter drüben in den Reihen der Feinde hatte in der That ein rotseidenes Taschentuch herausgezogen; er schwenkte es zweimal auseinander, wie man wohl zu thun pflegt, wenn man davon Gebrauch machen will.

»Zweimal! – was kann das bedeuten?«

»Es giebt nur eine Deutung, meine Herren,« sagte Graf Leiningen, »es ist, daß binnen zwei Tagen Temesvár auf Entsatz zu rechnen hat.

»So ist es!« der Feldmarschall-Leutnant reichte den beiden Generälen, die mit ihm waren, dem Generalmajor Graf Leiningen, und dem Generalmajor Wernhardt die Hand. »Schade, daß unser braver Gläser es nicht mehr erlebt hat! Der Divisionär Feldmarschall-Leutnant v. Gläser fiel während der Belagerung. Aber nun, meine Herren, nun wir wissen, was wir mit Gottes Hilfe zu hoffen haben, wollen wir den Burschen da drüben auch noch zeigen, was sie zu erwarten haben. Oberst Sirkovich!«

»Zu Befehl!«

»Treffen Sie sogleich die Anstalten zu einem Ausfall. Wir müssen den vorlauten Narren da die Lust vertreiben, uns zu nahe auf den Leib zu rücken.«

»Welche Truppen befehlen Euer Excellenz?«

Der alte General sah sich im Kreise um; jeder hätte sich gern vorgedrängt. Dann haftete sein Auge auf dem jungen Romanen-Offizier des Banater Grenz-Bataillons.

»Leutnant Jackobich

Der Offizier trat salutierend vor.

»Sie waren es ja wohl, der die gute Nachricht zuerst entdeckte, nachdem wir andern die Hoffnung aufgegeben?«

»Ich war so glücklich, Excellenz!«

»Nun, da Sie so gute Augen haben, werden Sie auch sehen, was da drüben am besten zu machen ist. Benachrichtigen Sie Hauptmann Babich, Oberst, daß er mit 150 Grenzern von der Enveloppe XXII gegen die Plänkler-Chaine auszufallen hat, und versuchen Sie, Herr Leutnant, ob Sie bis zu den Kanonen da drüben durchzudringen vermögen.«

Der junge Offizier salutierte, sein Gesicht strahlte vor Freude und Stolz über die Wahl.

»Jetzt die Herren von der Artillerie an ihre Posten!« befahl der Oberst, dem die Anordnung des Ausfalls oblag.

Die Artilleristen eilten in die nahe gelegenen, das Feld flankierenden Bastionen. Die Grenzer, kecke und verwegene Gestalten, standen bereits unter Gewehr.

Auf den Wällen hatte sich die halbe Garnison, auch viele der Einwohner versammelt, um Zeugen des Ausfalls zu sein. Die Nachricht von einem bevorstehenden Entsatz hatte sich, obschon niemand als die beteiligten Offiziere etwas näheres wußten, rasch verbreitet und alle Herzen höher schlagen gemacht.

Jetzt wurde der Ausgang der Enveloppe XXII geöffnet, und die Kompagnie brach unter Kommando des Hauptmann Babich hervor.

Es war eine Freude, anzusehen, wie die an den Einzelkampf in den wilden Grenzdistrikten gewöhnten Soldaten im raschen Vorgehen gegen die Bischofsbrücke die Plänkler-Chaine am Kanaldamm aufrollten, während durch das wohlgezielte Kartätschenfeuer aus den Bastionen IV, V und VI dem Feind weder ein Succurs noch der Rückzug gestattet war, so daß sich alles, was nicht niedergemacht wurde, ergeben mußte.

Während der Hauptmann die Reserve in Ordnung und im Nachstoß hielt, stürmte an der Spitze der tapfere Grenzer Leutnant Jackobich weiter gegen die Josephstädter Brücke, wo eine halbe Kompagnie der Honveds mit Zurücklassung der zwei dreipfündigen Geschütze nach kurzem Kampf die Flucht zu ergreifen gezwungen wurde.

Im Triumph kehrten die Braven zurück mit ihren Gefangenen. Der Jubel der Garnison war groß, jedes Herz von frischem Mut erfüllt.


Es war abends gegen 11 Uhr; die Ungarn arbeiteten am Begadamm zur Verstärkung desselben und der dort angelegten Batterieen, die Garnison störte jedoch fortwährend durch Wachtelwürfe das Vorrücken der Arbeiten; die Aufmerksamkeit war daher hauptsächlich diesem Teil der Circumvallation zugerichtet.

In einem niedern aber noch bombenfesten Gemach mit vergitterten Fenstern der Stabskaserne saßen zwei Frauen, die Gräfin Palffy und Komteß Helene, ihre Tochter.

Die eingefallenen Züge, die hagern Wangen und hohlen Augen der Frauen bewiesen, was auch sie während der schrecklichen Belagerung gelitten. Dazu kam bei der jungen Komteß noch die tiefe Sorge der Liebe, der schwer verletzte Stolz des kühnen Herzens, das sich widerstandslos gefesselt sah, während draußen der Kampf um die höchsten Interessen des Vaterlandes wogte, und bei der Gräfin der rastlos intriguierende Geist, der sich hier auf ein so geringes Feld, wie die bisher kläglich ausgefallenen Freiheitsversuche, beschränken mußte.

Die beiden Frauen waren zwar streng bewacht, aber im allgemeinen nicht hart behandelt worden. Man kannte den großen Einfluß und die rastlose Thätigkeit, die beide mit williger Aufopferung ihres Vermögens für die Sache der ungarischen Freiheit gezeigt hatten, und man hielt es daher für nötig, sie in Gefangenschaft zu halten. Im übrigen hatten sie eben nur das allgemeine Elend zu erdulden gehabt und waren selbst nur wenig im Verkehr beschränkt.

Sie durften in Begleitung einer Wache mit den Bürgern verkehren und hatten eine Frau aus den untern Ständen zu ihrer Bedienung, die unbehindert und zu jeder Zeit bei ihnen eintreten konnte.

»Die Ansca kommt nicht,« sagte endlich die Komteß in fieberhafter Aufregung, »und sie weiß doch, wie sehnsüchtig wir Nachrichten erwarten. Sollte auch sie uns verlassen?«

»Die Furcht thut alles bei Leuten von solcher Herkunft,« bemerkte die Gräfin bitter; »daß der Überbringer des Briefes an Dich, der durch des Juden und ihre Hilfe in unsere Hände kam, ergriffen und erschossen worden ist, hat sie in Schrecken gesetzt.«

»Aber sie war bis jetzt treu, und Isaschar ist es um seines Vorteils willen.«

»Dann hätte er uns Nachricht senden sollen, was in der Stadt vorgeht. Es müssen diesen Nachmittag wichtige Dinge sich ereignet haben, die Soldaten jubeln und sind guter Dinge! diese Lage ist nicht mehr zu ertragen; wenn Dein Starrsinn nicht wäre, Helene, hätte man uns längst freigegeben.«

Das blasse leidende Gesicht der Komteß färbte sich in stolzem Unwillen. »Wie magst Du so sprechen, Mutter? Ich sollte mein Wort geben diesen Knechten der verhaßten Tyrannei, mein Vaterland zu verlassen und an seinem Heldenkampf keinen Teil mehr zu nehmen? Niemals! lieber Gefangene unter tausend Leiden bis zum letzten Atemzug.

»Du hast nicht gelitten, Undankbare, was ich litt auf dem Krankenbett in jenem scheußlichen Hospital. Heiliger Gott! diese schrecklichen Gestalten, dieses niedere gemeine Volk um mich, schon seine Nähe ist verpestend! und dazu jeden Augenblick die Furcht vor dem Tode durch eine der Bomben, die unsere Freunde in die Stadt werfen. Sie hätten doch bedenken sollen, daß wir hier sind, daß uns die gleiche Gefahr drohte …«

»Mutter!«

» Mon Dieu, Kind, es ist wahr! Dein Stephan hätte Mittel finden müssen für unsere Sicherheit. Bedenke selbst, eine Gräfin Pálffy im gemeinen Bürgerhospital und jeden Augenblick in Gefahr, von den eigenen Freunden erschossen zu werden! Diese Leiden und Schrecken sind nicht länger zu ertragen.«

»Ich war bei Dir, Mutter, und hatte noch die Sorge um Dich!«

»Du bist jung, Helene, und hast stärkere Nerven. Schon jene Nacht in Enyád hat meine Gesundheit zerstört; warum war ich auch so thöricht, Deinen Bitten nachzugeben und das sichere Pest zu verlassen. Dein Eigensinn und Deine Leidenschaft sind es, die all dies Elend und diese Gefahr über uns gebracht haben, und Dein sauberer Stephan, statt uns um jeden Preis zu befreien, schießt auf uns mit seinen Kanonen!«

Die Tochter beugte die Stirn bei den Vorwürfen der infolge der kaum überstandenen Krankheit noch reizbaren Frau, schweigend teils in verletztem Stolz, teils in dem Gefühl, daß ihre Liebe zum Grafen Stephan wirklich die Ursache gegeben. Plötzlich fuhr sie lauschend empor. »Hörten Sie nichts, Mama? man kommt!«

Die Gräfin war aufmerksam geworden. »Mein Gott, so spät noch; ich bedarf mindestens der Nachtruhe, wenn man sie unter dem ewigen Schießen finden kann! Wahrscheinlich eine neue Quälerei, um zu sehen, ob wir noch nicht aus diesen Eisengittern entflohen sind, zwei schwache, leidende Frauen!«

Die Thür öffnete sich, eine Frauengestalt, in grobes Gewand und in ein Regentuch dicht verhüllt, schlüpfte herein.

»Es ist die Ansca! Gott sei Dank, daß Du kommst!«

»Es ist unverantwortlich, so spät Dich an Deinen Dienst zu erinnern und uns so lange allein zu lassen.«

Die Frau machte den gewöhnlichen demütigen Gruß, ohne weder auf den Willkommen noch auf den Vorwurf zu antworten. Dann überzeugte sie sich zunächst, daß die Thür verschlossen war, und als dies geschehen, nahm sie das Regentuch ab.

»Was soll das heißen? das ist die Ansca nicht! Wer bist Du, und was willst Du hier?«

»Still, Ihro Gnaden! bei unser aller Leben beschwör' ich Sie! Sehen mich Euer Gnaden recht an,« sie trat in das Licht der Lampe. »Erkennen mich Ihro Gnaden nicht?«

Die Komteß Helene betrachtete sie fest. »Es ist wahr, dies Gesicht ist mir nicht unbekannt, ich muß es irgendwo gesehen haben!«

»Oft genug vor den Thoren Ihres Schlosses in unserer gesegneten Heimat, wenn ich auch ein armes verfolgtes Weib war, und der Rózsa Sándor noch ein geächteter Mann auf den Pußten, statt wie jetzt ein geehrter Krieger des Ungarlandes und der Freund Ihres blanken Bräutigams.«

»Katharina Bodo?«

»Ich bin's, das Weib des Sándor!«

»Gott sei gepriesen! so bringst Du uns Nachricht von Graf Stephan. Wo ist er?«

Das entschlossene und gewandte Weib des Betyárs trat der Komteß noch näher und wies mit einer Bewegung des Daumens nach dem vergitterten Fenster des Gemachs. »Keine hundert Schritt von Ihro Gnaden. Er und Rózsa.«

Die Komteß erbebte, ein tödlicher Schrecken ging ihr durchs Herz, daß ihr Geliebter sich um ihretwillen so großer Gefahr ausgesetzt hatte, und dennoch erfreute es sie als ein Beweis seiner Liebe.

Aber die Gräfin selbst mengte sich jetzt in das Gespräch. Bei der geringsten Aussicht auf Rettung war ihr der politischen Intrigue zugeneigter Geist sofort wieder in voller Thätigkeit.

»So hat man Anstalten getroffen, uns zu befreien, gute Frau?«

»Ja, Ihro Gnaden. Der Oberst wollte durchaus das Wagnis bestehen, da man nicht wissen kann, was schon der nächste Tag bringt, und die Komteß dann vielleicht auf immer ihm verloren wäre.«

»Was meinst Du damit, was ist geschehen –? Die Festung kann sich unmöglich auch nur Tage noch halten und dann wären wir ohnehin befreit.«

Die Betyárenfrau schüttelte den Kopf. »So wissen Ihro Gnaden nicht, was sich ereignet?«

»Keine Silbe! nur diesen Nachmittag sahen wir, daß die Hoffnung unserer Feinde aufs neue gestiegen!«

»Die Festung,« berichtete Katharina, »kann jeden Augenblick Beistand erhalten. Es sind Nachrichten eingetroffen, daß die Deutschen und die Russen herankommen. Die Sache der Freiheit ist in Gefahr, Pest ist in den Händen der Feinde, die unsern sind mehrfach geschlagen und zurückgedrängt, der Bluthund Haynau zieht gegen Szegedin heran.«

»Aber die ungarische Armee?« fragte atemlos, der eigenen Not vergessend, die Komteß.

»General Dembinsky und Mészáros stehen ihm noch in sicherer Stellung gegenüber. General Vecsey hat alle Truppen, die er entbehren konnte, ihnen zu Hilfe gesandt, dort muß sich das Schicksal Ungarns entscheiden; denn wenn unsere Freunde die Deutschen schlagen, ist Temesvár gefallen.«

»Warum hat der Graf sich dann in diese Gefahr begeben?«

Die Botin zuckte die Achseln. »Es kann auch das Gegenteil kommen, und der Oberst will sein Liebstes retten. Der Sándor meint, die Honveds würden kämpfen wie die Bären, aber unter den Offizieren herrscht Zwietracht und Mißtrauen.«

»Wir müssen den Versuch auf alle Fälle wagen,« entschied die Gräfin. »Wie soll es geschehen?«

»Der Oberst und Sándor sind verkleidet in der Festung,« berichtete die Frau. »Der Jude Isaschar hat uns von allem unterrichtet, auch daß der Lajos entdeckt und erschossen ist. Aber er war treu der Bursche, und hat nichts verraten. Mit des Juden Beistand nahm ich die Kleider der Frau, die Ihro Gnaden bedient. Es ist nicht schwer, aus der Festung zu entkommen, wenn das Auge scharf und das Herz entschlossen ist. Der Graf und der Sándor sind in jenem Hause versteckt, das nur noch ein Trümmerhaufen. Hier sind zwei Falina-Tücher, die Ihro Gnaden um den Kopf nehmen müssen, wenn Sie entschlossen sind, mit uns zu gehen. Niemand wird unter dieser Hülle die Gräfinnen Pálffy vermuten.«

»Aber wie gelangen wir von hier fort,« fragte die Komteß. »Es steht eine Schildwach vor der Thür, und wir dürfen bei Nacht die Kaserne nicht verlassen.«

» Ebbadta! Das ist unsere Sache, wenn Ihro Gnaden erst entschlossen und bereit sind. Der Sándor ist ein Tapferer und hat an alles gedacht. Was nicht auf den Wällen oder im Dienst ist, liegt in tiefem Schlaf. Aber Eile thut not, und ich muß sonst zurückkehren zu meinem Mann.«

Es folgte eine kurze Beratung zwischen den Frauen, ob sie den Versuch wagen sollten oder nicht, und obschon die Gräfin im Augenblick der That wieder in ihre gewöhnliche Furcht und Unentschlossenheit zurückfiel, bestand Komteß Helene doch auf der Ausführung des Entschlusses.

Katharina Bodo, das Weib des Betyáren, ergriff die Lampe, die auf dem Tisch stand, trat damit an das mit Eisenstäben gesicherte Fenster und erhob sie dreimal.

Dann setzte sie sich nieder und horchte.

Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck fester Entschlossenheit und vollen Vertrauens auf die Gewandtheit und Kraft ihres Gatten, dennoch, wie sehr sie auch an Gefahr und Blutvergießen in ihrem abenteuerlichen Leben gewöhnt war, zitterte ihre Hand, als sie die Lampe wieder auf den Tisch stellte.

Die Komteß begriff, daß draußen eine jener schrecklichen Scenen vorgehen werde, wie sie so oft der wilde Kampf der Nationalitäten hervorrief.

Man hörte in den längeren Pausen, die jetzt den Donner der Geschütze unterbrachen, den Schritt der Schildwache, die vor der Thür des Gebäudes hin- und herging und sich von Zeit zu Zeit, von den Anstrengungen des Dienstes erschöpft und gegen den Schlaf kämpfend, an die Mauer lehnte.

Der Mann war vom Banater Grenzer-Bataillon, das sich bei dem Ausfall am Nachmittag so glänzend ausgezeichnet hatte.

Der Schritt der Wache hatte jetzt wieder aufgehört, einige Augenblicke folgte eine tiefe Stille, dann klang es wie ein leises Ächzen und ein schwerer Fall.

Komteß Cäcilie erbebte, Katharina hob bedeutsam den Finger – die Gräfin sah erstaunt auf die beiden, ohne zu begreifen, was vorging.

Bald darauf vernahm man wieder den Schritt der Schildwache, aber kräftiger, regelmäßiger, als zuvor. Die beiden Frauen atmeten hoch auf, die Komteß, weil sie eine blutige That ungeschehen glaubte, die Frau des Betyáren, weil die Gefahr beseitigt war.

Gleich darauf hörte man, wie ein Kieselstein oder ein ähnlicher leichter Gegenstand an das Fenster geworfen wurde.

Die Betyárenfrau erhob sich. »Es ist Zeit! Nehmen Ihro Gnaden die Tücher!«

Sie löschte die Lampe aus. Dann öffnete sie die Thür und horchte hinaus auf den Gang. Es regte sich nichts in dem, in den obern Geschossen gleichfalls längst zerstörten Gebäude; wer von den Bewohnern nicht auf den Wällen war, lag in todähnlichem Schlaf.

»Jetzt, Ihro Gnaden, halten Sie sich fest zu mir und folgen mir. Ich habe den Weg gemerkt.«

Die kecke Frau schlich voran, die Komteß, ihre Mutter stützend, folgte mit dieser.

Es war, wie gesagt, kein Hindernis auf dem Wege; die Gefangenen gelangten über den Gang und einige Stufen in den Flur des Gebäudes und an die offene Thür.

Die frische Nachtluft wehte ihnen entgegen, als sie heraustraten. Ein leichter roter Schein von einem an der anderen Seite der Stadt durch die Bomben entzündeten Feuer fiel bis hierher und ließ sie die Gegenstände erkennen.

»Rasch, rasch! In den Schatten dort, nach der andern Seite!« flüsterte die Führerin.

Die Gräfin wollte aufschreien, dicht neben sich erblickte sie die Schildwache; doch die Frau, den gewohnten Respekt beiseite setzend, drückte ihr die Hand auf den Mund.

»Still um der Heiligen willen! Es ist der Rózsa!«

Die Komteß schauderte, sie erkannte jetzt die Wahrheit, und sah jetzt auch, daß die Betyárenfrau ein langes spitzes Messer in der Hand hielt. Der Betyár mit dem Gewehr und Czako der Wache angethan, wandte sogleich den Flüchtenden den Rücken und setzte seinen Gang an dem Gebäude entlang fort.

Die drei Frauen eilten rasch über den freien Platz fort, dem bergenden Schatten des gegenüberliegenden in Trümmer geschossenen Hauses zu.

»Cäcilie!«

Die Komteß fühlte sich von warmen Armen umschlungen. Es war Graf Stephan, der hier, gleich seinem Gefährten in die Uniform eines der österreichischen Überläufer verkleidet, ihrer harrte.

Zwei Männer waren bei dem Grafen, der Jude Isaschar, der während der ganzen Belagerung den Spion gemacht und mit den Belagernden in Verbindung gestanden hatte, und der Honved, der mit dem ertappten Lajos in die Festung gekommen war. Der Jude drängte zum sofortigen Aufbruch, da der geringste Zufall sie verraten konnte.

Katharina legte die Hand an den Mund und ließ einen Ton erklingen wie das Krächzen des kleinen grauen Käuzleins, das die Öde der Pußten bewohnt. Ein gleicher Ton antwortete von der Seite der Wache her.

»Jetzt Jude vorwärts und führe uns. Der Sándor wird bald genug hinter uns sein.«

»Gott der Gerechte,« klagte der Spion, »warum will der gnädige Herr Rózsa, der grauße und berühmte Held, nicht noch bleiben ä Stund auf 'en Posten! es wär gut für uns alle. Denn wenn sie kommen und finden keine Wach', könnt' es geben Spektakel!«

»Hund von einem Juden,« sagte die entschlossene Frau, »meinst Du, daß Mann meinigter hier in der Falle der Deutschen bleiben soll? Ich dächte, er hätte genug gethan, vorwärts jetzt! mir ahnt Gefahr!«

Der Jude ging voran, zunächst so viel als möglich im Schutz der Schatten und auf abgelegenen Wegen sie führend, dann folgte in einiger Entfernung die Betyárenfrau mit der Gräfin, hinter ihnen der Offizier mit seiner Braut. Wieder in kurzer Entfernung kam der Deserteur, einer der schlauen und verwegenen Burschen aus der Freischar des Betyáren, gleichsam als schützende Nachhut, und die kleine Gesellschaft hatte noch nicht die zweite Straße zurückgelegt, als der Graf beim Zurückblicken bemerkte, daß eine zweite Gestalt sich zu jenem gesellt hatte. Er wußte, daß der treue und kühne Rózsa, auf den er alles Vertrauen setzte, jetzt ihren Rückzug decken half, und benachrichtigte mit einem kurzen Wort die Frau von dem glücklichen Entkommen ihres Gatten, worauf alle noch mehr ihre Schritte beschleunigten.

Wir haben bereits erwähnt, daß, was von der Garnison auf den Wällen nicht unter Waffen stand, oder im Dienst beschäftigt war, der erlittenen Not und den Strapatzen in tiefem Schlaf unterlag; dasselbe war mit den Bewohnern der unglücklichen Stadt der Fall. Die Gefahr der Entdeckung war dadurch bedeutend vermindert, und obschon bei der fortdauernden Kanonade die Straßen keineswegs leer waren, ließ doch die Dunkelheit, die Verhüllung der Frauen und die österreichische Uniform der Männer, so wie der Umstand, daß sie in abgesonderten Gruppen gingen, die Flüchtenden ungehindert die Gassen bis in die Nähe der halbzerstörten Festungswerke passieren.

Sie waren bis zu der Stelle gekommen, wo der Graf mit dem Betyáren durch den trockenen Graben sich in die Stadt geschlichen, und vereinten sich hier in dem Schatten einer Mauer.

Der Oberst reichte dem Juden eine wohlgefüllte Börse. »Nimm, Isaschar, und wie das Geschick der Schlachten sich auch entscheiden mag, die Dienste, die Du geleistet, werden nicht vergessen werden.«

Der Jude erschöpfte sich in Danksagungen und verschwand, während die Zurückbleibenden sich rasch berieten, in welcher Weise sie am besten die gefährliche Stelle passieren könnten. Aber schon nach wenigen Augenblicken kam jener hastig zurück.

»Gott Moses und der Propheten! es ist Lärm in der Stadt, es muß sein gepassiert eppes Ungewöhnliches – sie haben vielleicht entdeckt die Schildwach, die der Herr da erschlagen. Retten Sie sich, da es noch ist an der Zeit.«

Er floh aufs neue davon, für seine eigene Sicherheit sorgend. »Vorwärts denn,« sagte der Graf entschlossen, »wir müssen den Versuch wagen und setzen uns höchstens der Kugel der Schildwache dort auf der Bastion aus. Ehe sie munter werden, sind wir im Dunkel des Grabens. Tamas, Du gehst mit mir voran, den Weg zu sichern, Rózsa, Du folgst in zwei Minuten mit den Frauen.«

Er drückte der Komteß die Hand und schritt vorwärts in den freien Raum, der sie von der Courtine und deren Winkel an der Bastion trennte; der Betyár machte sich bereit, ihnen mit den drei Frauen zu folgen, denn sein scharfes Ohr vernahm in den entfernten Straßen militärische Signale.

Der Graf mit seinem Begleiter war etwa zwanzig Schritt vorwärts gegangen, als von derselben Stelle her, der er sich näherte, Worte erklangen.

»Hierher, Herr,« sagte eine ernste gebietende Stimme. »Helfen Sie dem Herrn herauf, Hauptmann. Gott sei Dank, daß Sie zurückgekehrt sind und gute Botschaft bringen.«

»Ich weiß nicht, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen,« antwortete eine scharfe, durch die Anstrengung des Heraufsteigens etwas bewegte Stimme, deren Klang dem Ungarn nicht unbekannt schien und ihm ein Gefühl verursachte, wie etwa der widrige Zischlaut der Schlange dem ruhigen Wanderer – »aber es sind jedenfalls Offiziere Seiner Majestät, und wenn ich auch nicht derjenige bin, den Sie erwarten, so gehöre ich der guten Sache und bringe die besten Nachrichten.«

»Das gebe Gott! Wer sind Sie, Herr? Sie kannten die Parole, die mit Herrn … verabredet worden?«

»Davon nachher – er befindet sich wohlbehalten im Lager der Rebellen, durfte aber selbst die Rückkehr nicht wagen, weil er sich mit jedem Versuch leicht verdächtig gemacht hätte. Zunächst bitte ich, führen Sie mich zu Se. Excellenz dem Herrn Kommandanten, ich habe Depeschen von der größten Wichtigkeit für ihn.«

»Dann haben Sie nicht weit zu gehen. Ich bin der Feldmarschall-Leutnant Rukowina!«

Die Sprechenden waren näher gekommen, der Graf mit seinem Begleiter blieb stehen, er wußte, daß jeder Versuch, sich zu entfernen, nur die Aufmerksamkeit auf sie lenken mußte und vertraute dem scharfen Ohr des Betyáren, daß er genug gehört, um mit den Frauen zurückzubleiben, bis die Gefahr vorüber war.

»Dann erlauben Euer Excellenz mir,« fuhr der Fremde stehen bleibend fort, »Ihnen sofort diese Depesche des Herrn Feldzeugmeisters zu übergeben. Sie verlangt höchste Eile und ist erst diesen Abend durch unsere Vertrauten im Lager eingetroffen. Deshalb hab ich selbst das Wagestück übernommen, sie in die Festung zu schaffen. Das Zeichen auf dem Umschlag besagt: Bei Tag oder Nacht sofort!«

»Dann wäre jeder Augenblick wichtig! Hierher, meine Herren, hat einer von Ihnen Feuerzeug bei sich? Wer steht da?«

Die Frage galt dem Grafen und seinem Begleiter. Der Ungar stand in der reglementsmäßigen Haltung.

»Soldat von der ersten Kompagnie Zanini,« sagte er mit rascher Geistesgegenwart, seiner Verkleidung entsprechend.

»Was thust Du hier?«

»Wir haben einen Kranken vom Wall nach dem Lazarett gebracht.«

»Gut, geht auf Eure Posten! Aber – halt! Schön, Hauptmann, das wird uns helfen. Geben Sie das Ende Licht dort dem Mann zu halten, wir können den Inhalt der Depesche da gleich erfahren.«

Einer der Begleiter des alten Kommandanten hatte in der That, da dergleichen Runden häufig vorkamen, ein Ende Wachskerze aus der Tasche geholt und mit einem Streichholz in Brand gesetzt. Er reichte das Licht dem vermeintlichen Soldaten, der es mit fester Hand empfing und mit ausgestrecktem Arm vor sich hin hielt.

Der greise Kommandant trat dicht an das Licht, untersuchte zuerst die Enveloppe der zu einer Diminutivform zusammen gefalteten Depesche und öffnete sie sodann.

Seine Umgebung bildete in der Entfernung von etwa zwei Schritten einen Kreis um ihn. Es waren vier Offiziere und der Fremde, welcher die Depesche gebracht hatte; alle, auch der letztere, waren wohl bewaffnet. Der zweite verkleidete Soldat, von der Freischar Rózsas, Tamas, stand etwas zurück außerhalb des Kreises, aber er wagte natürlich gleichfalls nicht, sich zu rühren.

Die Situation war entsetzlich, selbst für die stärksten Nerven. Das Licht, das Graf Stephan in der ausgestreckten Hand hielt, verbreitete zwar nur geringen Schein, aber doch genügend, um die Gesichter der Anwesenden zu erkennen; am hellsten fiel er auf sein eigenes.

Ein rascher Blick hatte dem Grafen gezeigt, daß keine gleiche Uniform wie die seine, also kein Offizier von Zanini-Infanterie im Kreise war. Erst dann begann er das Auge zu erheben, um die Gestalten der Anwesenden näher zu erforschen, und für alle Eventualitäten die Kräfte seiner Gegner und die Chancen des Entkommens zu prüfen.

Er mußte alle Kraft seines starken Geistes, alle Besonnenheit seines Mannesmutes aufbieten, um sich nicht durch ein unwillkürliches Zeichen zu verraten.

Das erste Gesicht, auf das seine Augen fielen, war ihm nicht unbekannt. Es war das des Hauptmann Feldegg, desselben Offiziers, mit dem er zwei Tage vorher als Parlamentär vor dem Thor der Festung unterhandelt, und den er um Nachrichten von der Geliebten und ihrer Mutter befragt hatte.

Das Auge des Kapitäns ruhte gleichfalls, wohl zufällig, auf ihm, aber er glaubte den Ausdruck des Staunens, des Nachsinnens in ihm zu erkennen, der Blick wurde fester und fester.

Welche Marter, welche entsetzliche Anstrengung der Seele! Eine aufsteigende Röte mußte ihn verraten, die geringste Verlegenheit konnte Verdacht erregen.

Der Oberst nahm alle seine Kraft zusammen, er erwiderte den Blick ruhig, aber achtungsvoll, und senkte dann gleichgültig das Auge.

Die Aufmerksamkeit des Hauptmanns wurde überdies von einer andern Seite in Anspruch genommen; als der verkleidete Ungar wieder aufblickte, war das Auge seines Gegenüber auf den alten Kommandanten gerichtet, der, dicht über das inhaltschwere Papier gebeugt, so nahe als möglich dem Licht, die Schriftzüge entzifferte und mit einzelnen Ausrufungen und Mitteilungen begleitete.

Keine dreißig Schritt davon, also vollkommen in dem Bereich, alles zu hören und zu sehen, was vorging, befand sich die Gesellschaft der Flüchtlinge im Schutz der dunklen Schatten des Gemäuers. Der Graf, der vor seiner entsetzlichen Lage nicht erzitterte, erbebte bei dem Gedanken, was die Geliebte in diesem Augenblick um ihn leiden mußte. Er wagte nicht, den Blick nach jener Seite zu richten.

»Viktoria, meine Herren!« sagte der alte Kommandant während des Lesens, »unsere Ausdauer trägt den Sieg davon! Gott sei Dank! die kaiserlichen Fahnen sind überall im Sieg! der Feldzeugmeister steht in Szegedin und wird morgen früh die Ungarn angreifen. Baron Blomberg!«

»Zu Befehl, Excellenz!«

Der Alte las immer weiter. »Die Absicht des Feldzeugmeisters geht darauf, Dembinsky und Meczaros über den Bega-Kanal zurückzuwerfen, bevor Bem sich mit ihnen vereinigen kann. Er rechnet auf unsere Unterstützung. Über wie viel waffenfähige Mannschaft disponieren wir im Augenblick?«

»Dreitausend fünfhundert Mann, Excellenz, und fünfhundert Pferde.«

»Es muß alles verwandt werden, was irgend entbehrlich ist. Nehmen Sie den Rest der sechs Schwadronen Schwarzenberg Ulanen, eine Division von Sirkovich und meiner Infanterie, fünfzig Schützen und Pioniere und eine sechspfündige Batterie und lassen Sie diese zum Ausfall bereit sein von morgen früh neun Uhr. Was ist das für ein Lärm dort in der Stadt?«

Der Graf hätte, mit dem Interesse des Kriegers die rasch gesprochenen Nachrichten des Festungskommandanten und seine Befehle anhörend, fast die eigene gefährliche Lage darüber vergessen können, wenn es seit einigen Minuten nicht auf ihm gelegen, wie ein schwerer drückender Alp.

Dort stand der Fremde, der die Depesche gebracht, erst weiter zurück im Schatten, daß er der ersten raschen Umschau entgangen, jetzt näher an den Lichtkreis getreten. Das Auge des Grafen hob sich langsam an der Gestalt empor.

Der Mann, von mittlerer schmächtiger Statur, trug die rauhe Kleidung eines Ochsentreibers oder Fuhrmanns aus den Grenzbezirken, wie sie zu Hunderten von der ungarischen Armee requiriert worden waren und im Lager täglich ab- und zufuhren mit Proviant, Munition und hundert anderen Dingen. Er hatte den breitgekrempten niederhängenden Hut auf dem Kopf und schwarze fettglänzende straffe Zöpfe hingen vor seinen Ohren nieder und umrahmten das blasse Gesicht. Zu beiden Seiten des aufgeworfenen Mundes hingen die langen Spitzen des Schnurrbarts in gleicher Weise nieder.

Die Augen des Grafen begegneten dem starren Blick des Fremden, der fest auf ihm ruhte und es zuckte wie ein Stich durch sein tapferes Herz, ehe er sich selbst noch Rechenschaft zu geben vermochte über das, was er sah. Das Gesicht mit der langen leicht gebogenen Nase und den weit geöffneten Augen, dem kräftigen, dem tierischen Element gehörigen Kinn, der hochgewölbten breiten Stirn und den schmalen tiefen Schläfen trat selbst unter der wohlgelungenen Verkleidung hervor, und der hämische, höhnende Ausdruck, der teuflische Triumph, der in diesen Augen und in dem indolenten Zug um den Mund lag, überzeugten den Grafen sofort, daß er recht gesehen.

Sein tapferes mutiges Herz erbebte; trotz all seiner Selbstbeherrschung machte er eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens.

Schon zweimal hatte er diesem Menschen in ähnlicher Situation gegenüber gestanden, im Garten des Belvedere, als er verkleidet sich durch das kaiserliche Heer aus dem cernierten Wien zu schleichen versucht hatte, und jener zur Revanche für die Verachtung, die er dem Kebsmann der Gräfin an der Barrikade gezeigt, dem österreichischen Feldmarschall seinen Namen nannte, und dann vor vier oder fünf Monaten in der Csárda am Weg nach Enyád, wo er, der Flüchtling, mit dem Verkleideten Pistolenschüsse wechselte.

Es war sein Todfeind, der Doktor Lazare, der Verräter – der Spion! Er fühlte im Augenblick, daß er erkannt sei, daß er von diesem Mann keine Schonung zu erwarten habe.

Der Doktor hatte die unwillkürliche Bewegung des Grafen bemerkt, auch er wußte, daß er erkannt war, und der triumphierende Zug auf seinem Gesicht nahm etwas Diabolisches an. Wie zum Hohn hob sich langsam seine Hand nach dem Mund und entfernte den falschen schwarzen Bart, der ihn umgab.

Die grauen Augen des Doktors blieben unverwandt auf dem Opfer haften, das ihm der Zufall so günstig in die Hände gegeben; der Blick des Grafen starrte ebenso fest auf seinen Feind. Obschon das Blut aus seinem Gesicht wich, und das Herz sich ihm zusammen krampfte, zwang er sich, die Augen nicht abzuwenden von dem Todfeind, der jetzt der Sieger war.

Er wußte, daß er verloren und der tapfere Gefährte mit ihm, daß die Flucht der Damen entdeckt werden mußte und an ein Entkommen nicht mehr zu denken war.

»Wir müssen versuchen, Vecsey von der Straße nach Gyarmata abzudrängen und nach Szent Andras zu werfen,« fuhr der greise Kommandant fort. »Leutnant Weiler, benachrichtigen Sie sofort Ihren Obersten Graf Salis, sehen Sie nach, was es in der Stadt giebt, der Lärm wird immer größer. Sie finden mich am Arader Thor.«

Der junge Ulanen-Offizier wollte sich entfernen, aber die Linke des Agenten hielt ihn zurück, während die rechte Hand desselben einen unter der Guba verborgenen Gegenstand zu fassen schien.

Seine Augen verließen dabei keinen Augenblick den Grafen.

»Einen Augenblick, Excellenz,« sagte der Doktor, »ich glaube, wir werden diese Herren noch brauchen!«

»Was meinen Sie?«

Der Doktor blickte hämisch auf den Ungar; es war, als wolle er seine Nerven prüfen, so langsam, Tropfen um Tropfen, verspritzte er sein Gift.

»Euer Excellenz sind von Verrat umgeben, es befinden sich in diesem Moment ungarische Spione in der Festung.«

»Das wäre der Teufel! Wo stecken sie? Können Sie uns näheres angeben? Es ist von der größten Wichtigkeit, daß in diesem Augenblick keine Nachrichten an den Feind gelangen!«

»Ich bin von dieser Wichtigkeit um so mehr überzeugt, als die Spione bereits um Euer Excellenz Befehle für den Ausfall wissen!«

»Das ist unmöglich! Sie müßten denn unter uns sein!«

»Das sind sie!«

»Wo?«

»Dort!«

Der Finger des Doktors wies auf den Grafen, der noch immer mit ausgestrecktem Arm das Licht hielt. Sein Gesicht war bleich, aber der Mund fest geschlossen; noch hoffte er, mit dem eigenen Opfer vielleicht die Freunde zu retten.

»Diese Uniform ist Verkleidung! lassen Euer Excellenz die beiden ergreifen, es sind ungarische Spione, bei meinem Kopf!«

Die Offiziere griffen nach ihren Waffen, der greise Kommandant starrte einen Augenblick sprachlos den falschen Soldaten an. »Tod und Teufel! was ist das?«

»Es ist wahr, Herr, ich bin Ihr Gefangener!«

»Nehmt ihn fest! Wachen herbei! Durchsucht die Umgebung!«

Der Offizier von Rukowina Infanterie faßte den Grafen an der Schulter: »Deine Waffen her, Bursche, oder ich stoße Dich nieder!« Plötzlich taumelte er zur Seite, ein Schuß knallte aus dem Dunkel des Gemäuers.

» Baszom a lelkedet! Sind wir noch nicht so weit! Fort, Kameraden! nicht lebendig sollen sie den Sándor haben!«

Der Betyár, sein Weib an der linken Hand mit sich fortreißend, stürzte sich auf die Gruppe der Offiziere, die noch von der eben gemachten Entdeckung überrascht waren, und warf sie auseinander; der alte Kommandant selbst wurde über den Haufen geworfen und zu Boden geschleudert, der Betyár hatte nach dem Schuß die Muskete fallen lassen und schwang in der Rechten eine schwere Pistole, mit der er, rechts und links gewichtige Schläge austeilend, sich Bahn brach. »Hierher, Herr! ich weiß den Weg!«

Der Graf hatte die Kerze fortgeworfen, er begriff, daß die verzweifelte That seines Begleiters sie vielleicht noch zu retten vermöge, denn die Dunkelheit und die Gefahr, daß einer den andern verwunde, hinderte die Offiziere, obschon die Überzahl auf ihrer Seite war, von den Waffen Gebrauch zu machen. Er warf rasch entschlossen den ihm zunächst Stehenden zur Seite, sprang über den Körper des alten Kommandanten fort und stürzte gegen den Wall, wohin sich sein tollkühner Gefährte mit seinem Weibe bereits glücklich durchgeschlagen.

Auch Tamas, der einäugige Honved, der bisher unbeachtet außerhalb des Kreises gestanden, ohne doch zu wagen, einen Versuch zu seiner Rettung zu machen, vermehrte die Verwirrung durch seine Flucht, aber er geriet in eine falsche Richtung und lief den Wachen in die Arme, die von der Bastion herbeieilten.

Der Betyár mit seinem Weibe war bereits auf dem Kamm der Courtine, wo die Kugeln der ungarischen Batterieen den Wall zusammengerissen hatten. Auf der nahen Bastion rannten die dunklen Gestalten der Wachen und Artilleristen an ihre Posten; die Stimme des kommandierenden Offiziers, den der Lärm aufmerksam gemacht, war deutlich zu hören: »An die Geschütze! Aufgepaßt! Lunten her!«

Es galt Tod oder Leben!

»Feuer auf sie! Feuer von der Bastion! laßt sie nicht entkommen!« scholl die dröhnende Kommandostimme des alten Kommandanten, den seine Adjutanten vom Boden aufgerafft, und der mit jugendlicher Behendigkeit der Bastion zurannte.

»Fertig! Aufgesetzt! Feuer!«

Das Geschütz, das den Wall flankierte, krachte in die Nacht und spie einen Hagel von Kartätschen über den Wallabhang und den Graben.

Einen Augenblick vorher hatte der Betyár mit starkem Arm sein Weib umfaßt und sich mit ihr in den Wall hinabgeworfen. Seine ungeheure Muskelkraft und Gewandtheit allein rettete sie, indem sie über die Trümmer der Bresche in den Graben rollten. Sie lagen auf dem modrigen Boden desselben, zwischen nachrollenden Steinen und Erde, als die Kartätschenladung über sie weg fegte; dem Umstand allein dankten sie ihre Rettung.

Zerstoßen, halb zerschmettert und zerquetscht raffte der Betyár sich augenblicklich empor. »Lebst Du Katharin oder bist verwundet?«

»Szent Kereszt sei Dank, Rózsa, das Unglück ist an mir vorübergegangen!«

Der Betyár stieß einen wilden Freudenruf aus, zum Hohn den Feinden: »Eljen Hungaria!«

»Schießt! schießt! dort sind sie!«

Aber die Musketen krachten vergebens, im Schutz der Dunkelheit huschten der kühne Freischarenführer und sein Weib auf dem modrigen Grunde des Grabens hin, bis sie aus der gefährlichen Nähe waren und die andere Seite des Grabens hinauf klimmen konnten, um über das Glacis hinweg eine der haushohen Schanzarbeiten zu erreichen, welche die Arbeit ungarischer Genie-Offiziere, aus der österreichischen Schule hervorgegangen, gegen die Festung vorgeschoben hatte.

Keuchend von der Anstrengung, erschöpft von der überstandenen Gefahr blieb die Betyárenfrau im Schutz derselben stehen.

»Szent Endre! der Graf! was ist aus dem Herrn geworden, Rózsa?«

Der Betyár ballte die Faust hinüber gegen die dunklen Wälle der Festung, von den einzelne Leuchtkugeln emporstiegen, in ihrem Zerplatzen ein blaues schauriges Licht über die Umgebung verbreitend. » Baszom a lelkedte! was wird es sein? er ist gefangen! Aber tapfere Ungarn-Nation wird morgen Temesvár haben, und der Graf befreit sein!«

Es wäre Graf Stephan wahrscheinlich gelungen, in der ersten Verwirrung des raschen und kühnen Überfalls zu entkommen, und, wenn er der Kartätschen-Ladung entgangen, die Bresche und den Graben zu erreichen, aber er hatte bei seiner Flucht nicht auf den Todfeind gerechnet.

Der Doktor Lazare hatte mit dem Auge des Geiers, der seine Beute gefesselt hält, jede Bewegung seines Opfers belauert. Als der Betyár so unerwartet hervorbrach, sprang er rasch und geschickt zur Seite, aber obschon die Kerze verlöscht war, verlor er die Gestalt des Grafen keinen Moment aus dem Auge.

Rasch wie der Blitz hatte er unter der Guba das Doppelterzerol hervorgeholt und gespannt, der Schuß krachte hinter dem Fliehenden drein, dann der zweite. Beim zweiten sank der unglückliche Flüchtling in die Knie; die Kugel hatte den Unterschenkel getroffen und den Knochen zersplittert.

Im Nu waren die Verfolger hinter ihm und über ihn her, denn von der Stadt stürmte unter der Anführung mehrerer Offiziere ein Haufen von Soldaten, denen sich, wie bei jedem Lärm, einzelne Bürger angeschlossen hatten.

»Mord! Verrat! haltet die Spione auf, schlagt sie nieder! Es sind Feinde in der Festung!«

Über den Platz, aus dem Dunkel der Ruinen her flog ein anderer dunkler Schatten und warf sich schützend über den Gefallenen. »Um Gottes Barmherzigkeit willen haltet ein! tötet ihn nicht, er ist kein Spion!«

Das Licht der Fackeln, welche die Herbeistürmenden schwangen, fiel auf das todbleiche angstvolle Gesicht der Komteß. Die Gräfin, ihre Mutter, vorziehend, sich in den Schutz der Offiziere zu begeben, als den rohen Insulten der Menge ausgesetzt zu sein, folgte ihrer Tochter und trat, das verhüllende Tuch zurückgeworfen, in den Lichtkreis und auf den Feldmarschall-Leutnant zu, der mit den Offizieren jetzt bei dem Verwundeten stand.

»Ich begebe mich in Ihren Schutz, Herr,« sagte die Gräfin, »lassen Sie uns zurückbringen nach unserem Gefängnis!«

Der alte Soldat stieß eine grimmige Verwünschung aus. »Wie kommen die Weiber hierher? die Geschichte ist schlimmer als ich gedacht! ein förmliches Komplott! Wie konnten Sie die Ihnen angewiesene Wohnung verlassen, Madame, da es untersagt ist, bei Nacht sich zu entfernen?«

»Durch einen Mord!« sagte eine Stimme aus dem Kreis. »Ich habe Euer Excellenz zu melden, daß die Schildwach' vor dem Ausgang der Stabskaserne bei meiner Ronde vermißt wurde. Wir fanden die Leiche mit durchstoßener Kehle in einem dunklen Winkel versteckt und der Waffen beraubt.«

»Tod und Teufel! und das in der Festung! mitten unter unseren Truppen!«

»Bei allem, was heilig ist, ich weiß nichts davon,« jammerte die Gräfin. »Ich bin unschuldig an der blutigen That!«

»Wie kommen Sie dann hierher, Madame, zu dieser Stunde, unter so verdächtigen Umständen?«

Die Komteß hatte sich erhoben von der Seite des Geliebten. »Wir sind freie ungarische Frauen, Herr, die man widerrechtlich hier gefangen hält. Wir haben versucht, unsere Freiheit wiederzugewinnen mit Hilfe unserer Freunde, das ist unser Recht, und wenn es mißglückt ist, so ist dies das Geschick des Krieges und diese Männer haben gleich uns Anspruch auf ehrenhafte Behandlung, denn es sind Ihre Kriegsgefangenen!«

»Mörder und Spione haben kein Anrecht auf ehrliche Soldatenbehandlung. Diese Schurken haben sich unter der Verkleidung unserer Uniformen in die Festung geschlichen, und das Kriegsgericht wird über sie entscheiden wie über die Anstifter des Mordes. Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, Herr, daß Sie den Verrat entdeckten. Kennen Sie die Gefangenen?«

»Diesen hier! Ich erkannte ihn sogleich, als das Licht der Kerze auf ihn fiel und war so glücklich, seine Flucht zu verhindern,« sagte der Agent, der mit kaltem, grausamem Auge die weitere Entwickelung der Scene beobachtet hatte.

»Ich danke Ihnen dafür! Wer ist der Bursche?«

Der Agent warf einen boshaft triumphierenden Blick auf den gefallenen Feind, der finster und den Schmerz der Wunde unterdrückend am Boden saß und auf die angstvoll bebenden Frauen blickte, denn sie wußten, daß die Nennung des Namens die Wichtigkeit der Gefangennahme bedeutend erhöhen und die Maßregeln der Gegner nur verschärfen mußte. Ebenso gut wußte dies der Graf und zugleich, daß er von diesem Feinde keine Verheimlichung zu erwarten hatte.

Desto erstaunter blickte er auf, als er nach einer Pause den Doktor mit ruhiger Miene sagen hörte: »Ich habe ihn mehrfach im ungarischen Lager gesehen und auch schon bei früheren Gelegenheiten. Ich weiß nur, daß er ein Rebell und ein Freund und Gefährte des berüchtigten Rózsa Sándor ist, der wahrscheinlich jener Mann war, welcher sich über den Wall gerettet!«

Der Graf warf einen Blick auf das Gesicht seines Feindes, was sollte diese Verheimlichung seines Namens bedeuten? Aber das Antlitz des Agenten hatte bereits wieder seine stehende Maske angenommen.

Ein Offizier brachte die Meldung, daß eine sorgfältige Nachforschung auf dem Wall und in dem Graben keine Spur von den Geflüchteten ergeben habe, sie mußten also entkommen sein. Das und die Weigerung der Gefangenen, eine Auskunft zu geben, konnte eben nicht die gute Laune des alten Kommandanten erhöhen. Er befahl, die Frauen nach ihrem Gefängnis zurückzuführen, sie und das Gemach genau zu visitieren und sie dann streng zu bewachen. Graf Batthányi und Tamas wurden gebunden und der erstere, da seine Wunde ihm das Gehen nicht gestattete, auf drei Gewehren nach den Kasematten und in die strengste Haft gebracht. Dann setzte der unermüdliche Greis seine Ronde fort und traf weitere Anstalten für den morgenden entscheidenden Tag.

Es war auf beiden Seiten Ruhe bis gegen neun Uhr morgens; infolge der Wachtelwürfe der Belagerten während der Nacht hatten die Arbeiten des Feindes am Begadamm zur Verstärkung seiner beiden dort etablierten Batterieen keinen Fortschritt gemacht. Um diese Zeit bemerkte man endlich eine große Bewegung im Lager und in den Trancheen, und aus der Richtung von Szegedin her ließ sich fortgesetzt starker Kanonendonner hören, der immer näher und näher zu rücken schien.

Man konnte nicht mehr zweifeln, eine Schlacht war in vollem Gange, und die Ungarn wurden zurückgedrängt.

Gegen Mittag war die Kanonade höchstens zwei bis drei Stunden entfernt; starke Wagenkolonnen zogen flüchtig aus der Richtung von Klein-Becskerek gegen Gyarmata.

Es läßt sich denken, mit welchem Interesse die Garnison und die ausgehungerten Bewohner der Stadt von den Wällen und allen zur Observation geeigneten Punkten her jedes Zeichen des Kampfes beobachteten.

Die Ungarn waren offenbar im Nachteil; auf der ganzen Linie vom rechten Ufer des Begakanals über Beschenowa hinaus, bis gegen Merzidorf, wurde von großen Heeresmassen gekämpft. Gegen zwei Uhr stand das Gefecht, der Feind hatte den Csoker Wald sehr stark besetzt und den Rand desselben mit einem großen Teil seiner Geschütze garniert.

Der Augenblick für die tapfere Garnison, an der Schlacht teil zu nehmen, war gekommen!


Die Macht der ungarischen Revolution war bereits im vollen Zusammenbrechen.

Szegedin war von den Truppen Haynaus besetzt; Fürst Lichtenstein hatte mit den Brigaden des tapfern und getreuen ungarischen Helden Benedek und Jablonowsky und einem Teil des russischen Armee-Korps unter Paniutine die Arrieregarde der Ungarn nach hitzigem Gefecht aus ihrer Position gedrängt und nach Szöregh zurückgeworfen, wo sich das Hauptkorps verschanzte, um den Übergang und das Vordringen der österreichischen Truppen zu verhindern. Aber der Fürst warf sich mit dem größten Teil der Hauptarmee und den Russen Paniutines am 5. sofort auf die Position, umging mit einem Kavallerie-Angriff den ungarischen linken Flügel und stürmte die hinter diesem aufgestellten Batterieen; das unwiderstehliche Feuer der österreichischen Artillerie zwang die Gegner Szöregh zu räumen. Am Tage darauf fiel Makó mit ungeheuren Proviantvorräten in die Hände der Kaiserlichen; zugleich überschritt Feldmarschall-Leutnant Ramberg nach einem hitzigen Gefecht bei Kanisza die Theiß; Baja wurde niedergebrannt.

Es blieb der ungarischen Armee unter Dembinsky und Mészaros kein anderer Weg, als sich gegen Temesvár zurückzuziehen und sich mit Konzernierungskorps Vecseis zu vereinigen, oder sie nach Arad zu werfen und dort Görgei zu treffen.

Aber der Entschluß Görgeis, sich nach Arad zurückzuziehen, war damals noch unbekannt, und vom Süden her drang der Banus heran, dem man sich gleichfalls entgegenstellen mußte.

Unter diesen Umständen sammelten die ungarischen Generale ihre Macht bei Kis (Klein) Becskerek, um hier einen letzten entscheidenden Schlag zu führen. Das vereinigte Korps betrug noch über 40 000 Mann, und wenn durch die Demoralisation der Offiziere, durch die Uneinigkeit der Führer, die Kossuth bald ein-, bald abzusetzen sich mühte, und durch den von Fahrlässigkeit herbeigeführten Mangel an Lebensmitteln auch eine Auflösung drohte, noch war durch die Tapferkeit und Zähigkeit des gemeinen Soldaten dies eine sehr gefährliche Macht.

Die ungarische Armee hatte eine vortreffliche Stellung inne, als am Morgen des 9. August von Szegedin her die Avantgarde der kaiserlichen Truppen gegen sie vordrang.

Das Korps des Feldzeugmeisters war, selbst mit der Abteilung der Russen unter Paniutine, welche die Reserve bildeten, kaum so stark, als die Ungarn, denn Fürst Lichtenstein war mit seinem Korps bei Hodos und dort in ein Gefecht mit einer ungarischen Abteilung verwickelt. Durch diese geringere Machtentfaltung gelang es Haynau, die Gegner aus ihrer festen Position herauszulocken und über den Bach in ein morastiges Terrain zu drängen.

Die Schlacht tobte bereits seit drei Stunden; trotz der tapfersten Gegenwehr wurden die Ungarn auf allen Punkten zurückgedrängt und gaben bereits den Kampf für verloren, als plötzlich Bem mit einer Handvoll Husaren von Lugos her auf den Höhen erschien, die Flüchtenden zurücktrieb und dem Kampf eine andere Wendung gab.

Der tapfere Pole hatte nach dem Treffen bei Schäßburg die Trümmer seines Korps in Déva unter dem Kommando Lòzárs zurückgelassen und war nach Lugos geeilt, das er mit Flüchtlingen angefüllt fand, und wohin sich viele Mitglieder der jetzt rat- und hilflosen Regierung zurückgezogen hatten, während Kossuth mit einigen anderen sich noch in Arad befand und von da aus die widersprechendsten Befehle diktierte. Am frühen Morgen in Lugos angekommen, hörte der General von dem Anrücken der Österreicher zum Entsatz von Temesvár und eilte sogleich mit seiner kleinen Eskorte weiter.

Er traf gegen Mittag auf dem Schlachtfeld ein und wendete sofort durch sein Eingreifen das bereits fast entschiedene Geschick des Kampfes.

Während die ungarische Kavallerie und Artillerie, zu neuem Widerstand ermutigt, tapfer den Feind in seinem Vordringen hinderte, ließ der General ein starkes Detachement Husaren, das in dem hinter dem Baragszóer Bach belegenen Wald versteckt war, den linken Flügel der Kaiserlichen umgehen. Vergebens rief der Feldzeugmeister die Abteilung Paniutines und die Reserve-Artillerie in die Schlachtordnung, die magyarischen Truppen fochten mit unwiderstehlicher Energie, und die Österreicher wurden auf der ganzen Linie zurückgedrängt.

Die Wage des Glücks hatte gewechselt, schon triumphierten die Ungarn, der Sieg war in ihren Händen, Temesvár verloren.

In diesem Augenblick, es war Nachmittag 2 Uhr, erschien Fürst Lichtenstein mit seinem Chor von Hodos her, wo er den Feind geworfen, auf dem Schlachtfeld und schloß sich bei St. Endre dem geschlagenen linken Flügel der kaiserlichen Stellung an.

Aufs neue wandte sich jetzt die Schlacht und diesmal in entscheidender Weise.

Die auf dem rechten Flügel der Ungarn postierten Husaren-Rekruten, die zum erstenmal im Feuer standen, vermochten den Stoß der frischen Truppen nicht auszuhalten und wurden von einem panischen Schrecken ergriffen; die alte Glorie des ungarischen Husarennamens vergessend, wandten sie sich zur Flucht, ließen die Geschütze ohne Deckung und ihre Verteidigung den Kanonieren, die tapfer kämpfend an ihnen niedergehauen wurden.

Dieser Augenblick war es, den der greise Kommandant von Temesvár zu dem Ausfall der Garnison benutzte.

Der Oberst Baron Blomberg warf sich an der Spitze der Schwarzenberg-Ulanen, unterstützt von zwei Divisionen Infanterie auf den Feind, griff ihn im Rücken an und drängte ihn aus dem Präsidentengarten, den Friedhöfen und dem Pulvermagazin von der Straße nach Gyarmata ab nach jener von Szent Endre, wo das Lichtensteinsche Korps ihn empfing.

Der Ruf »alles ist verloren!« verbreitete sich bald auch auf dem linken Flügel der Ungarn, wo Bem jetzt kommandierte, und die Verwirrung artete in offene Flucht aus. Vergebens stürzte sich der tapfere Pole zwischen die Fliehenden und versuchte die Ordnung wieder herzustellen, er wurde im Gedränge vom Pferde geworfen und verwundete sich am Arm. Kaum, daß seine treuen Husaren ihn aus dem Gewühl zu retten und auf die Straße nach Lugos zu flüchten vermochten.

Der Rückzug der ungarischen Truppen über Szent Endre artete in vollkommene Flucht aus, der Schrecken, der sie ergriffen, war so groß, daß kein Halt mehr zu gebieten war. Ein großer Teil floh in die Wälder, andere entwichen haufenweise und wurden später aufgefangen. Eine furchtbare Vergeltung übte ihr Recht, wer mit Waffen ergriffen wurde, und war es auch nur ein Messer, wurde ohne Barmherzigkeit erschossen oder gehängt. Die eiserne Zuchtrute des aufrührerischen Bergamo und Brescia, der Mann, der in seinem amtlichen Rapport über die Erstürmung Brescias selbst gesagt: »Ich befahl, daß kein Gefangener gemacht, sondern jeder augenblicklich niedergemacht würde, der mit den Waffen in der Hand ergriffen würde; die Häuser, aus denen geschossen wurde, befahl ich in Brand zu stecken!« er, dem der Haß der Italiener den blutigen Namen der Hyäne von Brescia gegeben hatte, er kannte auch kein Erbarmen gegen die ungarischen Rebellen, und der Schnellgalgen wanderte von jetzt mit seinem entsetzlichen Arm durch das Land und pflanzte sich an hundert und aber hundert Stätten auf, seine Opfer zu empfangen.

Noch ehe die Nacht vollständig hereingebrochen, erreichte der unerbittliche, aber von seinen Soldaten wegen seiner Leutseligkeit und unablässigen Sorge für sie hochgeliebte General an der Spitze seiner Kavallerie und begleitet von General Paniutine und mehreren anderen russischen Ober-Offizieren, die Festung, deren Thore sich vor dem Befreier von namenlosen Qualen, unter dem fieberhaften Jubel der Garnison und der Bevölkerung, zum erstenmal nach einhundert und sieben Tagen wieder öffneten.

Die Mihala, die Josephstadt, die Fabrik und der Jagdwald blieben zwar noch von dem Feinde stark besetzt; nach Mitternacht aber räumte er auch diese Stellungen und ging auf beiden Parallelstraßen nach Lugos zurück.

Temesvár war entsetzt!

Aber um welchen Preis, nach welchen entsetzlichen Opfern!

Die tapfere Garnison hatte in der hundert und siebentägigen Belagerung, mit mehr Schlachttagen, als oft ein ganzer Feldzug in sich schließt, ihre dem Kossuthschen Manifest entgegen gestellte Erklärung vom 10. Oktober des vergangenen Jahres zur Wahrheit gemacht und ein erhabenes Beispiel der Treue mehr in die Blätter der Geschichte gezeichnet.

Diese tapfere Behauptung der Festung im Süden des revolutionären Ungarns hat unbedingt den wichtigsten Erfolg für die kaiserliche Sache gehabt und den endlichen Sieg ihrer Waffen vorbereitet.

Die Energie, welche der Feind namentlich im letzten Drittteil der Belagerung entwickelte, hatten ihn bereits so weit gebracht, daß er in wenigen Tagen mit seinen Arbeiten auf dem Kamm des Glacis gestanden hätte, zumal an Ausfälle nicht mehr zu denken war und die Verteidigung bei der kleinen Zahl der Dienstfähigen sich auf den Hauptwall hätte beschränken müssen.

Die Cernierungs-Armee hatte 36 Mörser, 13 Haubitzen, 20 Belagerungs- und 22 Feldgeschütze verschiedenen Kalibers, zusammen 91 Geschütze in ihre Batterieen eingeführt, denen auf der ganzen Cirkumvallation der Festung nur 213 entgegengestellt werden konnten. Überdies fehlte es den Belagerten, wenn auch nicht an Pulvervorräten, so doch sehr an fertiger Munition, namentlich an Zündgranaten, während der Feind die größten Vorräte besaß und in dem Dorf Szent Endre eine Stückgießerei, im Jagdwald selbst eine Gewehrfabrik etabliert hatte.

Die Festung hatte 41 322 Schüsse oder Würfe gethan, darunter 16 225 Bomben und Granaten, und 25 097 Vollkugeln, es war also durchschnittlich täglich 386 Schüsse oder alle drei Minuten bei Tag und Nacht während hundert und sieben Tage ein Schuß gethan! Man kann annehmen, daß der Feind mindestens die doppelte Zahl an Geschossen auf die unglückliche Stadt geschleudert hatte.

Wenn auch die Zahl der vor dem Feinde Gefallenen und Verwundeten nicht so bedeutend war, desto schlimmer wüteten Not und Krankheit in den Reihen der Verteidiger. Die Festung hatte an Toten 6 Offiziere, 155 Mann vom Feldwebel abwärts und 123 Pferde; an Verwundeten 15 Offiziere, 361 Mann und 96 Pferde, an Gefangenen 3 Offiziere und 24 Mann. Außerdem aber erlagen während der Belagerung an zweitausend Mann der Epidemie!

In neun Ausfällen hatte die Garnison dem Feinde 16 Mörser und Kanonen vernagelt und eine Fahne und zwei Kanonen genommen.

Die Beute, welche die kaiserliche Armee bei dem Entsatz der Festung im ungarischen Lager machte, war groß, eine ungeheure Menge von Bagagewagen fiel in ihre Hände.

Das blutige Trauerspiel nahte seinem Ende!


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