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Villa Eugénie.

Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, die Lage der Villa Eugénie, das vor fünf Jahren erbaute Geschenk der kaiserlichen Galanterie an die schöne Spanierin, zu erwähnen, müssen aber noch einige nähere Angaben hinzufügen, um dem Leser den Schauplatz der nächsten Szenen möglichst deutlich vor Augen zu führen.

Die kaiserliche Villa liegt, wie schon erwähnt, zwischen den Bädern und dem Leuchtturm, in einer breiten Einbuchtung des hohen Ufers, mit der Front gegen das Meer, während die Seitenflügel rückwärts ein offenes Oblong bilden. Gartenanlagen umgeben auf allen Seiten das Meerschloß, vor dessen Front eine Terasse von mäßiger Breite liegt, deren Balustrade die Wand gegen das Meer bildet. Eine Steintreppe läuft hinunter von dieser zu dem von den Wellen bespülten Strand, an dem an entfernterer Stelle einige Boote von der wachsenden Flut geschaukelt werden. Zwei Balkone treten an der Front hervor.

Das Parterre bewohnen der Kaiser und die Kaiserin, der Kaiser die Zimmer des linken, südlichen Flügels – die Ecke nach dem Bade zu wird von dem Speisesaal eingenommen, dann folgt das Arbeitszimmer, das Schlaf- und das Badezimmer des Kaisers; – die Kaiserin bewohnt die Zimmer des rechten oder nördlichen Flügels, an der Front liegt das Arbeits- und Schlafzimmer, dahinter (im Flügel) ein Wohnzimmer, das Zimmer der Prinzeß Agnes Mürat und die Garderobe der Kaiserin.

Die Mitte der Front nehmen der große und der kleinere Salon ein; aus beiden führen Glastüren auf die vorspringenden Balkone, – überall gewähren die großen, zum Boden reichenden Fenster die Aussicht auf den prächtigen Golf und die Felsen dieses Amphitheaters. Wie das gewaltige Atmen einer Riesenbrust schlägt das unaufhörliche Brausen der Brandung herüber an das Ohr der Bewohner.

Die Wohnungen des Kindes von Frankreich und des größten Teiles des Hofstaates und Kabinetts befinden sich im oberen – dem einzigen – Stockwerk.

Es war Schlag 8 Uhr, als der Wagen, der den jungen geheimnisreichen Abenteurer, der sich Graf von Lerida und John Waterfort nannte, zur kaiserlichen Villa führte, an der inneren Auffahrt hielt. Bevor die zuspringenden Lakaien den Schlag öffnen konnten, hatte sich der griechische Steward der Victory vom Bock geschwungen und diesen Dienst verrichtet.

Während die Dienerschaft neugierig die prächtige farbenreiche Tracht des reichen albanesischen Anzugs bekrittelte, trat der junge Kavalier in die Vorhalle, wo ihm bereits Graf Tascher entgegen kam.

»Willkommen Señor Conde, Sie haben als Seemann die Tugend des Soldaten, die Pünktlichkeit. Ihre Majestäten erwarten Sie, und der ganze Hof, namentlich die Damen, kann ich Ihnen sagen, tut das Gleiche mit Ungeduld. Wie ich sehe, haben Sie eine Probe Ihres eigenen romantischen Hofstaates mitgebracht.«

»Meines Hofstaates?«

»Der höchst interessant sein soll, eine wahrhaft kosmopolitische oder ethnologische Sammlung. Oder glauben Sie, daß wir uns hier um die Badeneuigkeiten gar nicht bekümmerten?«

»Ah, Monsieur, ich zweifle nicht, daß Ihre Polizei so vortrefflich ist, wie Ihre Duane!« Es lag ein leiser Anflug von Sarkasmus in der Antwort.

»Ah – Pfui Graf, wer wird gleich immer an die Polizei denken. Die ist gut für Paris! Oder glauben Sie, daß Kammerzofen und Lakaien nicht Augen im Kopf und eine französische Zunge im Munde haben, um ihren Damen die Chronik von Biarritz zu melden? – Aber erlauben Sie mir, Ihnen den Herrn Maréchal des Palastes, Kommandant Aupèrement, vorzustellen!«

Die Herren verbeugten sich.

»Ist es gefällig – daß wir näher treten?«

Die Flügeltüren öffneten sich und der spanische Kammerdiener der Kaiserin meldete Sua Excellenza el conde da Lerida!

Mit der Tournüre des vollendeten Kavaliers, der Gewandtheit des Hofmannes und doch wieder einem gewissen freien kühnen Wesen, das den Abenteuer bezeichnete und ihm jenes romantische Lustre gab, dem nur selten die Männer, niemals die Frauen widerstehen, trat der Kapitän und Eigentümer der Jacht in den Salon, in welchem der Hof versammelt war.

Es war der kleine Salon der Kaiserin, der sich zwischen dem Arbeitszimmer und dem großen Salon mit den prächtigen dreihundertjährigen Gobelins von Fontaineblau befindet. Madame Eugenie saß im Kreise ihrer Damen an der geöffneten Tür des Balkons, durch deren Flügel der kühle Seewind und jener eigentümliche, so kräftigend auf die Nerven wirkende Hauch des Meeres mit dem Geräusch der mehr und mehr schwellenden Wogen hereindrang, während sie die dunklen Wolkenmassen beobachtete, die am Mond vorüberjagten und weite Schatten auf die Fläche des gewaltigen Meeres legten. An ihrer Seite stand der päpstliche Hausprälat, der am Nachmittag ihr Begleiter gewesen war, und mit dem sie sich über die Aussicht unterhielt, die ihr Auge hier überflog.

Die Kaiserin, zu deren Füßen der junge Prinz auf einem Tabourett saß, den Kopf an die Knie seiner Mutter gelehnt, wandte sich bei der Anmeldung des Grafen sogleich um, und der Kaiser verließ die Gesellschaft einiger Herren und trat ihm zwei Schritte entgegen.

Der Graf von Lerida verbeugte sich tief vor dem Herrscher.

»Wir sind Ihnen zu neuem Dank verpflichtet, Herr Graf,« sagte der Kaiser überaus huldreich, »daß Sie es möglich gemacht haben, unserer Einladung Folge zu leisten. Die Kaiserin erwartet Sie.«

»Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu der schönen Spanierin, die graziös den Fächer neigte.

»Wir sind so sehr in Ihrer Schuld, Señor Conde,« sagte sie, »daß mein Gemahl ernstlich darauf denken muß, Sie Ihren Irrfahrten abspenstig zu machen und an Frankreich zu fesseln, damit wir recht oft Gelegenheit haben, Ihnen unser Wohlwollen zu beweisen.«

»Euer Majestät Gnade für einen so unbedeutenden Dienst, der allein meine Dreistigkeit entschuldigen konnte, mich an jener Stelle finden zu lassen, ist so groß, daß ich es darauf wagen will, um eine besondere Gunst für mich zu bitten.«

»Desto besser, Herr Graf, sprechen Sie!«

»Dann bitte ich Euer Majestät demütig, den kaiserlichen Prinzen nicht der Fürsorge seiner bisherigen Oberhofmeisterin für ein so geringes Versehen berauben zu wollen.«

»Ah – die Frau Admiralin!« – Sie wandte sich an den Kaiser: »Sie haben gehört, mein Herr!«

Der Kaiser schien die nur halbversteckte Kälte, mit der ihn seine Gemahlin ansprach, mit sichtlicher Zuvorkommenheit in bessere Laune verkehren zu wollen, denn er beugte sich, ihre Hand zu küssen und sagte halblaut: »Ihre Wünsche, Madame, sind mir Befehl.« – Dann sich wieder aufrichtend, hob er die Augenlider und warf einen Blick über den Damencercle.

»Madame la Duchesse,« sagte er zu einer Dame, derselben, die der Oberkammerherr dem Spanier in den Bädern als die Herzogin von Rochambeau bezeichnet hatte, »ich sehe Ihr Frau Tante nicht. Sie werden uns verbinden, wenn Sie nachsehen wollen, ob sie etwa durch Unwohlsein verhindert wird, zu erscheinen und Louis seiner Bonne zu übergeben.«

Die schwere Seidenrobe der jungen Herzogin rauschte in der tiefen Verneigung, mit welcher die junonische Figur zusammensank und dann mit stolzem sicheren Schritt den Kreis verließ.

Aber indem sich die Dame erhob, hatte ein Blick den Spanier getroffen. Es war ein kurzer rascher Strahl aus dem kalten grauen Auge, aber in dem Moment, den er herüberflog, schien er zu einem elektrischen Funken geworden, unter dem unwillkürlich der Abenteurer erbebte.

Eine leichte Röte stieg auf seine Stirn, aber sie verschwand im Augenblick wieder unter der großen Sicherheit, die er besaß.

Der Blick der Herzogin war nicht die einzige Beobachtung, die er gemacht hatte.

Er hatte bemerkt, daß die Hand der Kaiserin sich ziemlich heftig aus der des Kaisers losgemacht hatte, und daß auf der Stirn desselben trotz der Galanterie, die er geübt, die schwere Falte, die schon bei seinem Eintritt darauf gelegen, noch tiefer wurde, während ein Zug von Befriedigung über das hagere Antlitz des ehemaligen Rektors der Jesuiten von Bologna lief.

»Haben Sie Dank, Herr Graf,« sagte die Kaiserin, – »ich wußte, jenseits der Pyrenäen wohnt noch immer eine ritterliche Gesinnung für die Frauen. Und Sie, Sire, da Sie sich in so gefälliger Stimmung befinden, werden vielleicht die Güte haben, mir zu sagen, ob es wahr ist, daß heute abend noch ein Kurier nach Paris geht?«

»Marschall Randon selbst wird um 10 Uhr mit Extrazug dahin zurückkehren. Haben Sie Befehle für ihn, Madame?«

»Ich wünsche, daß er bei der Totenfeier des tapfern General Pimodan in meinem Namen einen Kranz auf den Sarg des Helden der heiligen Kirche legt, da ich selbst es nicht tun kann. Der Frau Marquise werde ich schreiben.«

Der Kaiser biß leicht die Lippen zusammen. »Der Herr Marschall wird Ihre Befehle entgegennehmen, wenn er sich beurlaubt,« sagte er. »Einstweilen ist er noch in meinem Kabinett beschäftigt.«

»Ah – es scheinen also Depeschen von Wichtigkeit! – Nun, Herr Graf,« wandte sie sich abbrechend zu diesem zurück – »in unserem kleinen Cercle hier herrscht vollkommene Freiheit. Ein jeder sucht sich zu unterhalten, wie es ihm gefällt. Tun Sie also dasselbe, wir haben hier die Freiheit der Villeggiatura. Indem ich Sie jetzt dem Kaiser und allen jenen Herren überlasse, hoffe ich, daß Sie der politischen Gespräche recht bald müde werden, und zu uns zurückkehren.«

Der junge Kavalier verstand die Entlassung und trat mit einer Verbeugung zurück. Der Kaiser verweilte noch einige Augenblicke.

»Wollen Sie nicht das Fenster schließen lassen, Eugenie?« fragte er besorgt. »Die Luft ist rauh, und es hat sich ein scharfer Wind erhoben, der, wie Kapitän Blainville sagte,« – er deutete mit einem Kopfnicken nach einem Seeoffizier, der in einer der entfernteren Herrengruppen stand, – »leicht zum Sturm diese Nacht werden könnte. Sie werden sich erkälten, Madame! Es ist ohnehin schon zu spät in der Jahreszeit für einen längern Aufenthalt an der Küste, und ich denke, wir kehren bald nach Paris zurück.«

»Ah. – Sire – Sie verschweigen mir etwas. Ich sehe es deutlich!«

Die Worte waren mehr geflüstert – ohnehin war der Kreis der Damen, als das hohe Paar jetzt zu einander sprach, mit einer geschickten Bewegung, die jeden Anschein von Absichtlichkeit ausschloß, zurückgetreten.

»Sie irren, Madame! – wie kommen Sie darauf? – es sind Verwaltungsgeschäfte!«

»Bah – gehen Sie! ich lasse mich nicht täuschen. Seien Sie versichert, daß ich mich nicht irreführen lasse. – Ah – kommen Sie, Frau Admiralin. Es ist Zeit, daß Louis zu Bett geht.«

»Ich will hier bleiben!« sagte das Kind.

»Du weißt, Louis, daß du heute schon einmal ungehorsam gewesen bist. Nehmen Sie ihn, Frau Admiralin, und übergeben Sie ihn seiner Bonne.«

Der kleine Knabe fing an zu weinen und verlangte nach seinem Vater.

Aber der Kaiser hatte bereits die Gelegenheit zu einem Rückzug benutzt.

Er hielt sich einige Augenblicke in dem Kreise auf, der sich um den Fremden an der Tür des großen Salons gebildet hatte und in dem der Oberkammerherr ihn verschiedenen Anwesenden vorstellte.

»Der Herr Kommandant, Graf Bretanne – der Herr Graf Juan da Lerida.«

Der stattliche stolze Offizier, auf dessen Gesicht seit der furchtbaren Katastrophe in der griechischen Villa der Bucht von Therapia »Sebastopol«, Band IV: »Die Orgie«. sich selten ein Lächeln mehr zeigte, verbeugte sich.

»Wenn ich nicht irre, habe ich das Vergnügen gehabt, diesen Herrn bereits in Varna zu sehen, in der Begleitung des General Prim – aber man nannte mir einen andern Namen. Man vergißt ausgezeichnete Physiognomien nicht!«

»Es geht mir mit der Ihren ebenso, Herr Graf,« sagte der Spanier verbindlich. »Ich war damals im Gefolge des Grafen Prim. Meine Familie heißt Lerida Ycunha de la Rosa, und ich machte also bloß von meinem Familiennamen Gebrauch, da ich den Titel noch nicht führte.«

»Und ich hatte die Ehre, Sie als den Herrn von Roccabruno vor Sebastopol zu kennen,« sagte ein anderer Offizier.

»Eine Besitzung meines Oheims, des verstorbenen Marquis von Heresford, eines Freundes Seiner Majestät. Er zog es vor, daß ich als Italiener in der sardinischen Armee die Belagerung mitmachte. Aber obschon ich die große Ehre zu schätzen weiß, mich so unverhofft in einem bekannten Kreise zu finden, erinnere ich mich doch in diesem Augenblick nicht …«

»Unsere Begegnung war allerdings nur flüchtig,« sagte der junge Ordonnanzoffizier – »aber ich erlaube mir, Sie an die Jagd auf die wilden Hunde im Labordonagagrunde zu erinnern, am Tage des Sturms auf den Mamelon.«

»Ah richtig – ich war mit einigen englischen Freunden in der Gesellschaft. Es war bei der Gelegenheit, als Kapitän Cavendish einen so unglücklichen Tod fand.«

»Ja – er wurde vergiftet, wie man sagte, durch das Uriasgeschenk eines indischen Brahminen. Die englischen Offiziere erzählten von einer seltsamen Geschichte, die er erlebt, von einem interessanten Jagdabenteuer mit einem Tiger, aber man hat nie das Ende erfahren, da er verhindert wurde, mitzuteilen, wie er aus jener verdammten Falle entkam.«

»Wenn es Sie interessiert,« sagte lächelnd der Spanier, »kann ich Ihnen dies Entkommen mitteilen. Ich hörte es in Indien.«

»Wie, Sie waren auch in Indien?«

»Mein Oheim schickte mich bald nach dem Fall Sebastopols mit einer Botschaft an einen der indischen Fürsten – richtig, es war Nena Sahib selbst, nach Bithoor. Es war eine Art ehrenvoller Verbannung für einige Jugendstreiche in Europa.«

»So haben Sie den indischen Aufstand dort erlebt? Sie fochten gegen die Rebellen? waren bei Delhi oder Lucknow?«

Das Interesse für den jungen Abenteurer hatte sich jetzt auch der Männer bemächtigt, – man war in den großen Salon getreten und ein Kreis umgab ihn.

»Wie meinen Sie das, Monsieur?«

»Ich frug, ob Sie unter Havelock oder Colin den schändlichen Mord von Cawnpoor rächen halfen?«

»Aber par Dieu! was denken Sie denn von mir, meine Herren? Glauben Sie denn, daß ich gegen die Indier gefochten habe?«

»Aber – sie sind doch, wie wir hörten, ein halber Engländer?«

» Goddam – mein Oheim hätte mich enterbt, wenn ich nicht auf Seite der Unterdrückten gestanden hätte. – Zu Ende des Jahres 57, nachdem Delhi gefallen, erhielt ich den Befehl meines Oheims, schleunigst nach England zurückzukehren, aber leider hatte ihn bereits die Mörderhand in Paris getroffen, und ich fand nichts als das Testament, das sein Vermögen zwischen mir und meinem Vetter teilte. Wenn Sie mir das Vergnügen machen, meine Herren, morgen auf meiner Jacht zu dejeunieren, kann ich Ihnen ein Exemplar eines echten indischen Thuggs zeigen, den ich gezähmt und zum Andenken an Indien mit mir genommen habe, ebenso wie den Neffen des berüchtigten smyrniotischen Räubers Jan Katarchi, den ich in Konstantinopel mit einigen Mahmuhd'ors aus den Händen des Polizeimeisters loskaufte und der jetzt mein Stewart ist.«

»Ah – der junge Albanese, Ihr Diener! Der Herr Maréchal erzählte uns davon und wir müssen uns ihn ansehen. Sie sollen eine ganz famose Bootsmannschaft haben.«

» Very well! ich habe sie wohl an zehn verschiedenen Punkten der Erde oder vielmehr des Meeres aufgelesen, denn es sind sämtlich tüchtige Matrosen.«

»Wissen Sie auch, Herr Graf,« sagte der Marquis de la Houdinière, der junge Ordonnanzkapitän, derselbe, der mit dem Gast an der Jagdpartie im Labordonajagrund »Sebastopol«, IV. Teil, Seite 338. teilgenommen, »daß Sie uns vorkommen, wie ein Doppelgänger Ihres berühmten Dichter Byron?«

»Oder wie die Personifizierung seines Don Juan,« meinte ein anderer der Herren.

»Ich habe allerdings das Unglück, Juan zu heißen, aber ich habe in meinem Leben noch kein Gedicht gemacht.«

»Warum nennen Sie den Namen ein Unglück?«

»Ei – Damned! er erweckt Vorurteile bei den Damen, und ich muß gestehen, meine Herren, das tut mir sehr leid!«

Die Worte waren mit so einer sichtbaren Naivetät gesagt, daß der ganze Kreis in Lachen ausbrach.

»Vorsicht, meine Herren,« mahnte der Oberkammerherr, der eben vorüberging – »sehen Sie nicht, daß Seine Majestät in ernster Unterhaltung sind?«

»Was um Himmelswillen, hat es denn gegeben?« fragte der Prinz Mürat. »Ich habe schon den ganzen Abend bemerkt, daß der Kaiser verstimmt ist. Haben Sie Mocquard noch nicht gesprochen – was hat er gebracht?«

»Er hat sich in das Kabinett des Kaisers eingeschlossen gleich nach der Rückkehr von dem Spaziergang.«

» Parbleu – macht Plonplon vielleicht wieder Streiche? Hat er eine unnütze Rede gehalten?«

»Sie werden sich noch den Mund verbrennen, Marquis.« Der Maréchal neigte sich zu dem Ohr des Prinzen. »Es sollen unangenehme Nachrichten aus Italien eingelaufen sein. Sehen Sie, wie angelegentlich sich der Kaiser mit Pietri und dem Minister unterhält.«

»Von General Gayon?«

»Ich glaube, es sind bereits Befehle zum Einschiffen von Verstärkungen abgegangen.« Er flüsterte ihm zwei Worte ins Ohr; der Prinz fuhr erstaunt zurück. »Wie – so bald? Und die Kaiserin?«

Er hatte den Maréchal am Arm genommen und promenierte mit ihm vorwärts.

»Sie scheint noch nichts davon zu wissen. Passen Sie auf, das gibt einen Sturm.«

»Wie den da draußen, der zu wachsen scheint. – Wie Kapitän, wo wollen Sie hin?«

Der Kapitän des kaiserlichen Dampfers, der draußen in der Nähe des Leuchtturms lag, war herangetreten. »Ich möchte den Herrn Oberkammerherrn bitten, mich bei Sr. Majestät zu beurlauben. Es ist zwar nur ein starkes Wehen, aber ein Offizier gehört bei ungünstigem Wetter auf sein Schiff.«

»Oh, vor der Morgenwache wird es nichts auf sich haben – erst dann kann der Wind umsetzen.«

Der alte Marinekapitän warf dem Engländer einen ziemlich unfreundlichen Blick zu. »Was ich zu sichern habe, Mylord, ist Eigentum des Staates, nicht eines Privatmannes, wie Ihre Jacht. Meine Herren, vergessen Sie nicht Ihr Versprechen, mich an Bord zu besuchen.«

»Der brummige Seebär,« sagte der Marquis zu dem Gast, an den er sich vertraulich anschloß – »da sind Sie in der Tat ein anderer Mann und gewiß ein so guter Wetterkundiger wie er. Aber sehen Sie, da kommen die Fregatten, die wir am liebsten sehen, mit vollen Segeln in unsern Hafen. Kommen Sie, ich will Sie meiner Cousine, der kleinen Kervague, vorstellen, die ein ganz allerliebstes Mädchen sein würde, wenn sie nicht so verteufelt fromm wäre und alles glaubte, was ihr die Schwarzröcke ins Ohr hängen.«

Die Kaiserin hatte ihren Cercle verlassen und war in den großen Salon getreten; es schien sie eine gewisse innere Unruhe zu treiben.

Zugleich mit Ihrem Erscheinen begann die Gesellschaft, die bisher sich abgesondert hatte, während die Dienerschaft den Tee umherreichte, sich in gemischten Gruppen zu zerstreuen. Der Oberkammerherr präsentierte die Karten, aber die hohe Dame schützte Kopfweh vor und lehnte es ab, zu spielen. Sie hatte Herrn von Thouvenel, der von der Seite des Apartements des Kaisers hereingetreten war und einige Worte mit diesem gewechselt hatte, in Beschlag genommen, während der Marschall mit dem Kaiser sprach, aber von Zeit zu Zeit ziemlich ungeduldig nach der Uhr sah, deren Bronzeaufsatz Napoleon in Ägypten darstellte.

Der Marquis hatte seinen alten Bekannten in den anstoßenden Salon geführt, wo eine junge Dame an einem der Fenster stand und träumerisch hinausblickte auf das dunkle Meer.

Es war die junge Blondine in dem duftigen blauen Kleide, nach der am Nachmittag in dem Felsenrondel des alten Bades der Spanier den Grafen Tascher de la Pagerie gefragt hatte.

»So einsam, meine schöne Cousine? – An was denken Sie – wie, gar eine Träne in Ihrem schönen Auge?«

Sie wandte sich langsam um. Es war eine schlanke ätherische Gestalt mit kindlich unschuldigem Gesicht. Helles blondes Haar fiel in einer langen Seitenlocke über den in zarten lichtblauen Flor gehüllten Busen. In dem sinnenden verschwimmenden Auge lag eine Welt voll süßer Unschuld und Schwärmerei.

»Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, es Ihnen zu sagen, Cousin Armand,« erwiederte sie. »Herr von Mocquard hat mir Briefe aus Paris mitgebracht und einer davon enthält die traurige Nachricht, daß ein Spielgefährte meiner Kindheit, der einzige Sohn der Freundin meiner verstorbenen Mutier, der Marquise von Laroche-Beauvoir bei Castelfidardo gefallen ist.«

»Wie – der junge Etienne? ich erinnere mich, ihn bei meinem Aufenthalt in der Bretagne auf dem Schloß Ihres Vaters gesehen zu haben. Ist die Nachricht offiziell? Er kann vielleicht unter den Gefangenen oder in einem Lazarett sein. Ich hörte davon, daß er trotz aller Abmahnungen nach Rom gegangen war.«

»Eine irländische Dame hat Frau von Laroche die traurige Nachricht mitgeteilt – sie ist Zeuge seines Todes gewesen.«

»Das ist das Los, dem der Soldat wie der Seemann sich aussetzt. Da Sie beides sind, Herr Graf, haben Sie gewiß um so häufiger dem Tode ins Auge gesehen. Erlauben Sie mir Cousine Angelique, Ihnen hier unseren kühnen und gewandten Ritter von heute nachmittag, den Herrn Grafen von Lerida vorzustellen.«

»Der um eine Träne aus so schönem Auge mit Freuden dem Tode entgegen gehen würde,« sagte der Graf galant.

»Wie kann ein armes unbedeutendes Mädchen wie ich, anders das herorische Opfer ehren, das der Mann allein auf dem Altar einer großen Sache niederlegen darf O wahrlich, meine Herren, es muß schön sein, für die Sache der heiligen Kirche gleich den Märtyrern der Vorzeit sein Leben zum Opfer zu bringen. Und dennoch kann die menschliche Schwäche es nicht überwinden, ein so junges Leben zu beweinen. – Uns armen Frauen ist es versagt, für das Hohe und Edle zu kämpfen.«

»Aber sie können es im Herzen tragen und zum Kampfe uns Männer begeistern,« sagte der Graf mit warmem Ausdruck.

Der Marquis lachte. »Ich glaube wahrhaftig. Sie haben Anlage zum Schwärmer, Mylord. Nun dann, muß ich Ihnen sagen, können Sie keine bessere Gesellschaft finden, als Angelique von Kervague, und da ich leider sehr materiell bin und weniger gewohnt, mich in so ätherischen Regionen zu bewegen, als in dieser sehr schönen und vorzüglichen Welt soliden Vergnügens, nehme ich meinen Abschied und saldiere mich als Weltkind vor jeder Verführung!«

Ehe die junge Bretagnerin ihn zurückhalten konnte, war er fort.

Eine leichte Röte überzog das schöne feine Gesicht der jungen Dame, als sie sich mit dem interessanten Fremden allein sah, der zweifellos seit Stunden das Thema der Unterhaltung der Hofdamen gewesen war.

War es der Zauber wirklicher Unschuld, der ihn überwältigte, – der gewandte, kecke Mann blieb stumm.

Als das Fräulein endlich, erstaunt über dieses, den gewöhnlichen Regeln der Gesellschaft widersprechende Benehmen, schüchtern die Augen erhob, begegnete sie zwei dunklen Strahlen, die mit jener dämonischen Gewalt der Schlange, die ihr Opfer fesselt, auf sie gerichtet waren.

Das junge Mädchen erbebte unter diesem Blick und hob unwillkürlich die Hand nach ihrem Herzen.

»Herr Graf,« sagte sie endlich stammelnd, – »Sie haben sich heute ein so hohes Verdienst um Frankreich erworben …«

»Glauben Sie das wirklich, Fräulein von Kervague?« Nochmals wagte sie die Augen zu ihm aufzuschlagen, nochmals drang die dunkle Glut seines Blicks wie ein elektrischer Strom in ihre Seele, und wiederum mußte sie die Wimpern sinken lassen.

»Ich habe es ja gesehen – wir waren alle so erschrocken – Sie waren der einzige, der die Kraft und die Entschlossenheit hatte, einer Mutter ihr Kind zu retten.«

»Das ist etwas anderes!« sagte er fast hart. »Das war's, was ich tat – nicht Frankreich einen unberechtigten Erben!«

»Herr Graf – – um aller Heiligen willen, bedenken Sie, wo wir sind!«

»Sollte wirklich Fräulein von Kervague, die Tochter des Tapfern, der die Herzogin von Berry mit seinem Leben gegen die Gendarmen Louis Phllipps verteidigte, weniger Legitimistin sein, als ein Fremder?«

Ein Ausdruck von Freude zuckte über ihr liebliches Gesicht. Wie, Herr Graf,« sagte sie flüsternd – »Sie sind ein Freund der vertriebenen Königsfamilie?«

»Ich bin Bourbonist, und es wundert mich, eine Dame Ihres Namens hier zu sehen.«

»Ich schulde der Kaiserin persönlich Dank – ich liebe sie. Ihr Fürwort hat meinen einzigen Bruder gerettet, und ich durfte nicht undankbar ihre Güte ablehnen. Selbst mein Oheim, der Bischof von Rennes, wünschte es, daß ich die Stelle einer Hofdame annehmen sollte, obschon ich wußte, daß ich mich hier nicht glücklich fühlen werde.«

»Und wo würden Sie sich glücklich fühlen?«

»O gewiß – in meiner geliebten Bretagne – darum stimmt mich der Anblick dieses dunklen Meers so traurig. – Aber in der Tat, mein Herr – es ist das erstemal, daß wir uns sehen, und dennoch – seltsamer Weise, – haben wir Geheimnisse ausgetauscht – –«

Sie schwieg verwirrt.

Sein Blick schien sie näher und näher zu ziehen, ein unwiderstehliches, magnetisches Fluidum auf sie auszuströmen, wie der kleine zitternde Vogel immer näher zum Rachen der Klapperschlange flattert.

»Mein Fräulein, haben Sie nie nachgedacht über die Sympathie der Seelen?«

»Herr Graf – –«

»Als ich Ihnen vorhin sagte, daß ich mit Freuden für eine Träne aus solchen Augen in den Tod gehen würde, glaubten Sie nicht, daß ich die Wahrheit sprach?«

»Mein Herr – eine bloße Galanterie –«

Wiederum schoß einer jener überwältigenden Strahlen aus seinen Augen.

»Männer meines Schlages,« sagte er, »vergeuden ihre Zeit und ihre Worte nicht an leere Galanterien. Juan de Lerida hat Angelique Kervague vor fünf Stunden zum erstenmal gesehen, und seit fünf Stunden liebt er sie und weiß, daß sie sein werden muß!«

Ein leiser Schrei – vielmehr nur ein wie um Beistand rufender Seufzer aus der schwer bewegten geängsteten Brust kam über ihre Lippen, während sie wie vernichtet auf den Sessel in der Fensterbrüstung sank, auf dessen Lehne sie sich bisher gestützt.

Der Spanier wendete sogleich sein Auge von ihr, und es schien dieser sensiblen nervösen Natur eine förmliche Erleichterung zu gewähren, daß sein Blick nicht mehr auf ihr ruhte. Die leichte Farbe kehrte auf ihre Wange zurück, und ihr Auge begrüßte mit einer gewissen Freude den päpstlichen Prälaten, der von dem andern Ende des Salons herbeikam.

Don Lerida trat sofort mit einer Verbeugung zurück, als verabschiedete er sich von der Hofdame.

Der Prälat hatte kurz vorher von einem der aufwartenden Lakaien eine Tasse Tee genommen. Dabei waren die Hände des hohen Würdenträgers der Kirche und des Dieners nach einem bezeichnenden Blick des letzteren in Berührung gekommen, und ein schmaler Papierstreifen war in die Hand des Prälaten übergegangen.

Während der Geistliche den Tee schlürfte, hatte er den Inhalt des Papiers gelesen, das nur eine Zeile enthielt. So vollkommen feiner Herr auch der päpstliche Prälat war, er schien ihn doch tief zu bewegen. Die Falten zwischen seinen buschigen, bereits ergrauenden Brauen wurden noch tiefer, und er dachte einige Momente mit fest auf den Boden gehefteten Augen nach.

Dann schritt er auf die junge Bretagnerin zu.

»Meine Tochter,« sagte er leise, sich neben sie setzend, »welche von den Damen Ihrer Majestät hat diesen Abend den Dienst bei der Toilette?«

»Ich, Monsignore.«

»Wollen Sie der heiligen Sache der Kirche einen wichtigen Dienst erweisen?«

»Mit Freuden, Monsignore.«

»Dann bitte ich Sie, diesen Zettel, ohne ihn zu lesen, an einen solchen Ort zu legen, wo Ihre Majestät ihn noch vor dem Zubettgehen bemerken muß.«

»Da er von Ihnen kommt glaube ich kein Unrecht damit zu begehen!«

»Gewiß nicht. Ich bitte Sie nur darum, weil ich die Nachricht, die Ihre Majestät damit erhält, nicht selbst zu geben wünsche. Es ist deshalb auch nötig, daß Sie darüber unbedingtes Schweigen beobachten.«

Das Fräulein von Kervague verneigte sich; sie hatte das Papier in ihrem Busen verborgen.

In dem großen Salon machte sich eine Bewegung bemerklich; – der Kriegsminister Marschall Randon verabschiedete sich eben vom Kaiser und der Kaiserin. Der Wagen wartete auf ihn, um ihn nach der Station zu führen, wo der befohlene Extrazug seiner harrte.

Der scharfe Wind, der von der See her wehte, hatte eine jener Pausen gemacht, die häufig eintreten, ehe seine Kraft sich gewaltiger erhebt. Die Wolken verhüllten die Mondsichel nicht mehr, und ihr milder Schein versilberte den Park und das Meer.

»Blainville ist zu besorgt gewesen,« sagte der Kaiser, indem er seinen Arm in den des Ministers legte. »Die Wolken verziehen sich, und wir werden noch eine schöne Nacht haben. Kommen Sie, Marschall, ich will noch einige Augenblicke des frischen Seehauchs genießen und werde Sie bis zum Ausgang des Parks begleiten. Lassen Sie den Wagen dahin vorausfahren, Marquis!«

Der Stallmeister, Marquis de Caux, beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten; auf einen Wink des Kaisers öffnete einer der Kammerdiener die bereits geschlossene Glastür nach der Terrasse.

»Meine Beduine, meine Damen, ich bitte!«

Der Kaiser, der bereits in der Tür war, wandte sich rasch um.

»Ich kehre sogleich zurück, Madame, Sie werden sich erkälten.«

»Gehen Sie doch, Louis – in diesem Klima! Ich bin nicht so verwöhnt und will gleichfalls noch etwas die Luft genießen.«

Der Kaiser biß sich auf die Lippen, aber er ließ sofort den Arm des Marschalls fahren und reichte den seinen der Kaiserin.

Der größte Teil der Gesellschaft folgte dem hohen Paar ins Freie, wo in der Tat eine köstliche milde Frische herrschte.

Der Graf von Lerida war im Begriff, als einer der letzten aus dem Salon zu treten, als ein eleganter Handschuh sich leicht auf seinen Arm legte.

»Einen Augenblick, mein Herr!«

Sich umwendend, sah er sich vor der Oberhofmeisterin des Kindes von Frankreich und ihrer schönen Verwandten. Don Juan glaubte im ersten Augenblick, er habe den Damen den Weg versperrt und trat mit einer ehrerbietigen Verbeugung zurück.

Aber beide Damen blieben vor ihm stehen; ein flüchtiger Blick überzeugte ihn, daß der Salon bis auf die Dienerschaft leer war.

»Herr Graf,« sagte die ältere Dame, »Ihre Delikatesse hat Sie offenbar verhindert, sich uns vorstellen zu lassen und unsern Dank in Empfang zu nehmen. Von der Frau Herzogin weiß ich, daß ich Ihnen diese so baldige Beseitigung der allerdings nicht verdienten Ungnade verdanke. Rechnen Sie dafür auf mich und die Meinen für jeden Dienst.«

»Madame – Sie beschämen mich!«

»Ich muß der Kaiserin folgen – die Frau Herzogin wünscht Ihnen gleichfalls zu danken.«

Sie ging voraus.

»Darf ich die Gnade haben, der Frau Herzogin meinen Arm zu bieten?«

Ein stolzes reserviertes Neigen des schönen Hauptes erteilte ihm die Erlaubnis. Die Hand der hochmütig kalten, schönen Dame stützte sich leicht auf den Arm ihres Kavaliers.

»Lassen Sie uns geradeaus gehen, Monsieur,« sagte sie, »ich brauche den Herrschaften nicht zu folgen, und ich liebe jene Stelle.«

Er führte sie dem Befehl gemäß nach der Balustrade; die ganze Gesellschaft hatte sich über den Platz zerstreut, nur die nächsten Damen und Kavaliere folgten den kaiserlichen Herrschaften.

Das Paar blieb an der Marmorgalerie stehen, die über der Brandung hängt.

Unwillkürlich, wie sehr auch die stolze Schönheit an seiner Seite seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, ließ der Kapitän der Victory doch einen minutenlangen scharfen Blick über das Meer schweifen.

Die weite Fläche war von majestätischer Ruhe in dieser ewig rastlosen Bewegung. Der kundige Blick des jungen Seemanns zeigte ihm jedoch in den höher und rascher aufeinander folgenden Flutwellen, daß das gewaltige Element bereits begonnen hatte, mehr als gewöhnlich sich aufzuregen. Der Mondschein tanzte und funkelte in Silberlichtern auf den sich überstürzenden weißen Kämmen der mächtigen Wogen, die wie in langen Angriffslinien weithin, so weit das Auge reichen konnte, gegen den Strand zogen und sich immer und immer wieder erneuerten, wenn sie am Ufer sich zu perlendem Schaum geschlagen.

Drüben unterm Leuchtturm, am Cap de la Fregatte, lag die dunkle Masse des kaiserlichen Dampfers, und ein scharfes Auge konnte selbst ihr Auf- und Niederwogen am Horizont erkennen; vor ihnen ragten, durch das Hochaufspritzen des Schaumes erkennbar, die dunklen Massen des St. Martin-Felsens und des Hizzard aus der bewegten Flut.

In flüchtigem Gedanken berechnete er die Zeit, – das Gig mit Miguel, dem Schmuggler und seinen Genossen mußte jetzt bereits im Schatten des Cap de la Fregatte liegen und Seespinne schon mit seiner gefährlichen Aufgabe beschäftigt sein, das Tau um die Schaufeln der Schiffsschraube zu legen und sie so für die Nacht unbrauchbar zu machen. Auch der Steuermann der Victory mußte mit der Barkasse auf der Höhe der südlichen Bucht angelangt sein und dort kreuzend die Boote des Schmugglerschiffs erwarten.

Auch die Dame hatte einige Augenblicke ihre Augen langsam über das eigentümlich schöne Schauspiel wandern lassen und richtete sie jetzt auf ihren Kavalier.

Die Herzogin von Rochambeau war eine Schönheit eigentümlicher Art. Sie mochte etwa sechs- oder siebenundzwanzig Jahre zählen, vielleicht auch ein oder zwei Jahr mehr, – bei einer Pariserin läßt sich selbst ein halbes Dezennium schwer unterscheiden, namentlich da von dem kaiserlichen Vorbild aller Toilettenkunst selbst für die jungen Schönheiten die abscheuliche Schminke und Paste so sehr in Mode gebracht ist. Sie war von einer hohen gebieterischen Gestalt und hatte in ihrem ganzen Äußeren etwas Stolzes, Zurückweisendes – jede ihrer Bewegungen zeigte diesen Charakter. Ihr Haar war ein halbdunkles Braun, grau das große und leicht hervortretende, aber fast unbewegliche Auge in dem Gesicht, das nach dem Schnitt der Condés und Croys, von denen sie ihre Abstammung herleitete, etwas Adlerartiges hatte, indem Stirn und Nase gewölbt einen leichten Bogenabschnitt bildeten, während der voll und schön gespaltene Mund mit dem kurzen, in der Kehle verschwindenden Kinn bis zum schön geformten kräftigen Halse die Absenkung des Bogens bildete. Gesicht, Hals und Büste hatten einen leichten Blutteint und die Herzogin schien zu verschmähen, denselben durch die gewöhnlichen Lagen von Reispuder zu entstellen, ja nicht einmal der schwarze Schatten über der hochmütig aufgeworfenen vollen Oberlippe war verborgen.

Während ihr Kavalier selbstvergessen noch immer die bewegte Fläche des Meers durchforschte, jenes gewaltige Bild der Menschengeschichte, dessen einzelne Wellen auf- und abrauschen, jeden Augenblick geboren werden und vergehen, oft vom Sturm zu Bergen gepeitscht und doch auch dann nur eine verschwindende Bewegung in der Unermeßlichkeit und der ewig tätigen Ruhe des Ganzen – hatten sich ihre Augen von dem Meer abgewandt und maßen jetzt den Mann an ihrer Seite.

Dabei änderte sich der sonst so kalte gemessene Ausdruck dieser Augen nach und nach auf eine eigentümliche Weise, er bekam etwas von dem des Falken, der eine Beute sieht, und es war, als ob eine höhere Blutwelle in diesen Blutteint der junonischen Büste aufstiege.

Als sie sprach, hatte die sonst etwas tiefe Stimme der unstreitig schönen jungen Frau einen vibrierenden Ton Ihre Augen blieben auf die Brust des Kavaliers geheftet, über dessen Gilet die goldene Doppelkette der Uhr mit einem reichen, phantastisch aus zierlichen und kostbaren Bijouterien zusammengesetzten Berlocke in Mondstrahl blitzte.

»Herr Graf,« sagte die Herzogin, »ich habe Ihnen gleichfalls meinen Dank zu sagen. Die Frau Admiralin Bruat ist meine Verwandte.«

Der Graf war bei dem ersten Laut ihrer Stimme sofort wieder der Kavalier, nicht mehr der Seemann.

»Ich wußte es, Frau Herzogin, und ich will offen gestehen, daß dies der Grund der Freiheit war, welche ich mir gegen die erlauchten Personen erlaubte.«

»Und wer hat es Ihnen gesagt, da Sie doch fremd in unserem Kreise schienen?«

»Der Herr Ober-Kammerherr, den ich nach dem Namen der schönen Dame frug, welche zuletzt die Terrasse des alten Bades verließ.«

»Das war dreist – indes es ändert an meiner Schuld nichts. Ich erlaube Ihnen, zum Dank meine Hand zu küssen.«

»Madame – Sie machen mich sehr glücklich!«

Er beugte sich über die feine volle Hand, die sie ihm reichte und drückte einen Kuß auf den Handschuh.

Plötzlich, ohne die Hand fallen zu lassen, fuhr er, wie von einem elektrischen Funken getroffen, zurück und blickte erstaunt empor.

Der kleine Finger der rechten Hand der Dame hatte sich in eigentümlicher Weise über dem des Kavaliers gekreuzt.

Ohne den fragenden Blick zu beantworten, zog die Herzogin langsam ihre Hand zurück.

»Nach dem Blitzen jener Edelsteine zu schließen, scheinen Sie allerliebste und gewiß auch sehr interessante Erinnerungen an dieser Kette zu tragen, Herr Graf,« sagte sie abbrechend von dem bisherigen Gegenstand. »Ich liebe jene Albums von Gold und Rubinen. Darf ich diese Zierlichkeiten betrachten?«

Der Graf, noch immer stumm, aber mit flammenden Augen, löste die Kette von seinem Gilet, und reichte ihr die Berlocke. Die zierlichen kostbaren Nichtigkeiten liefen durch ihre Finger, das Mondlicht war hell genug, sie zu erkennen. Einen Gegenstand behielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und sah scharf auf ihn nieder.

Es war ein Ring von antiker Form von grün oxydiertem Gold, aus zwei mehrfach umeinander gewundenen Schlangen bestehend, deren gemeinsamen Kopf ein roter korallenartiger Stein bildete.

Jetzt zum erstenmal hob die vornehme Dame die Augen und richtete sie voll und fest auf das dunkel gerötete Gesicht des Kavaliers.

Langsam erhob sich zugleich ihre linke Hand, faßte die feine venetianische Kette, an der ihr goldenes Lorgnon hing, und zog dieselbe empor.

An der Kette unter dem Lorgnon hing an besonderer Nebenkette gleichfalls eine Berlocke.

Ohne ihre Augen von dem glühenden des Spaniers abzuwenden, suchten ihre Finger in dieser Berlocke, bis sie einen Gegenstand gefunden.

Diesen hielt sie neben den Ring in ihrer rechten Hand.

Es war derselbe – das grüne Gold – die Schlangen – der rote Stein – – –

Der Graf stieß – fast atemlos – ein Wort aus …

Ein zweites aus dem Munde der Herzogin antwortete ihm – – – – – – – – – – – – – – – –


»Das ist ein kaum gehofftes Glück, Madame!« sagte der Graf. »Darf ich hoffen …«

»Daß Sie mir gefallen? Wäre ich sonst hier? Die Gesetze der Gesellschaft der freien Seelenbräute dulden keine Prüderie. Ich bin bereit, den Dank, den ich Ihnen schulde, mit der Hingebung einer Nacht zu lösen. An Ihnen ist es, die Mittel zu finden. – Soll ich morgen unter einem Vorwand nach Bayonne oder Bordeaux fahren?«

»Nein, Madame – es ist unmöglich. Ich bin bereit, mein Leben einzusetzen – aber ich bin gewohnt, den Becher zu leeren, sobald ich ihn zu den Lippen erhoben! Ich fordere mein Glück, mein Recht hier zur Stelle, oder niemals!«

»Sie reden wie ein Unsinniger – diese Nacht – hier? – das ist unmöglich!«

Der Graf lächelte mit übermütigem Trotz. »Für was trüge ich den Namen des berühmten Helden der Mozartschen Oper, wenn an dem einfachen Unmöglich eines Frauenmundes mein glühendes Verlangen scheitern sollte. Eine Frau, wie Sie, hat Mut!«

»Ich habe ihn – und dennoch …«

»Ich wiederhole Ihnen, heute oder nie! Wer weiß, welche Woge und welcher Sturm mich morgen jagt. Der ist ein Tor, der einen Himmel auf das Morgen verschiebt. Wo ist Ihr Schlafgemach?«

»Über dem Arbeitszimmer der Kaiserin im ersten Stock.«

»Zeigen Sie mir das Fenster!«

»Dort. Das vierte von der Ecke.«

»So ist der Zugang von dem Salon des obern Stockwerks?«

»Mein Zimmer stößt daran – es hat eine Tür nach dem Salon und dem Korridor.«

»Und Sie können zu dem Balkon gelangen?«

»Er gehört wie die Estrade im Parterre zu einem Salon, der gemeinschaftlich ist für die Dmnen der Kaiserin, wie der anstoßende für die Kavaliere.«

»Sagen Sie mir – der junge Prinz, wo schläft der Prinz?«

»Aber, mein Himmel, was kümmert uns der Knabe?«

»Sehr viel. Wo ist das Zimmer des Prinzen?«

»Das Eckzimmer – nur durch ein anderes getrennt von dem meinen. Das Fräulein von Kervague ist meine Nachbarin, allerdings – diese Nacht – sie hat den Dienst – – auf der andern Seite sind die Zimmer der Oberhofmeisterin und der andern Palastdamen.«

»Vortrefflich. Um welche Stunde ist alles zur Ruhe?«

»Sie sind wahnsinnig, Graf! – Die Kaiserin ist gewohnt, um 11 Uhr ihr Coucher zu halten – um Mitternacht ist freilich alles in Ruhe, aber –«

»Nun?«

»Es ist unmöglich, daß Sie im Schloß bleiben können. Es würde auffallen – man würde es bemerken –«

» Pardioux! ich beabsichtige auch nicht zu bleiben, sondern zurückzukehren. Wollen Sie um Mitternacht eine Schnur von der Balustrade des Balkons am rechten Pfeiler herunterlassen?«

»Zu welchem Zweck?«

»Nur um eine stärkere daran zu befestigen. Ich bin Seemann, und gewohnt, mein Leben oft dem dünnsten Tau zu vertrauen.«

»Das ist alles Thorheit, so verwegen und verführerisch es klingt. Wie wollen Sie in den Park gelangen, wenn Sie das Schloß verlassen haben? An allen Zugängen stehen des Nachts Posten.«

»Auch dort?« Er wies hinab auf die an der Marmorwand sich brechende Brandung.

»Das wäre überflüssig. Die letzte Schildwach steht an den Stufen des Gartenkanals bei den Barken. Hier hindert die Brandung jede Annäherung.«

»Das ist wahr,« sagte er ruhig, während er das Gesicht abwandte, um das Lächeln, das um seinen Mund zuckte, zu verbergen. »Aber sorgen Sie nicht darum, ich warte der Schnur und dann – –«

Seine Augen sprühten Feuer – die Herzogin hatte ganz wieder ihre kalte stolze Haltung gewonnen.

»Lassen Sie uns zum Salon – dort kommt die Kaiserin zurück. Finden Sie nicht auch, daß die junge Dynastie sich ein trefflich aristokratisches Air zu geben versteht?«

Der Wind hatte sich aufs neue erhoben und trieb jetzt in ziemlich heftigen Stößen dunkle Wolken vor sich her, die rasch den Mond verfinsterten und einen leichten Regen niedersprühen ließen. Alles flüchtete eilig in die Salons; – der Kaiser war sehr besorgt, daß seine Gemahlin üble Folgen des abendlichen Spazierganges verspüren möchte.

Während die Lakaien eine Kollation präsentierten, war der junge Ordonnanzoffizier wieder zu dem Spanier getreten.

»Ich muß gestehen, Mylord, Sie haben Glück. Ich glaube, seit den acht Tagen, daß wir hier sind, hat jene kalte Schönheit mit uns allen zusammen noch nicht so viel Worte gesprochen, als sie Ihnen bei dem Spaziergang gönnte. Ich bin wirklich neugierig, zu erfahren, was dieses rötliche Marmorbild dazu bewogen?«

»Sie hatte die Güte, den kleinen Dienst zu erwähnen, den ich ihrer Verwandten geleistet. – Ist die Frau Herzogin Witwe?«

»Fragen Sie lieber, ob der Herzog von Rochambeau Witwer ist! Parbleu – hätte er nicht sein petite maison in Auteuil, ich glaube, der arme Herzog würde trotz der fünf Jahre, die er verheiratet ist, noch nicht einmal wissen, daß es zweierlei Geschlechter gibt!«

»Sie scherzen!«

»Auf Ehre nicht. Er hat sich noch vor zwei Monaten bitter beklagt bei mir, als wir im Boudoir von Mademoiselle Finette plauderten und der Champagner ihm die Zunge gelöst hatte. Madame la Duchesse führt den Spottnamen l'inapprochable! Sehen Sie dort Madame von Valence – sie wechselt in Paris trotz ihrer vierzig Jahre jeden Monat ihre Liebhaber, und man sagt, es soll ihren Papa ein Heidengeld kosten, um all die kleinen Skandale wieder zu vertuschen und den Ehemann mit dieser Hörnerfabrik en gros zu versöhnen.«

»Sie haben eine schlimme Zunge!«

»Nicht mehr, als um mich meiner Haut zu wehren. Ich weiß, daß man alles mögliche Schlimme von mir sagt, warum sollte ich mich nicht revanchieren? Die Coulissen der großen Oper sind eine ganz vortreffliche Lästerschule. Diese Damen vom Trikot haben einen wahren Fanatismus, über ihre offiziellen Revalinnen herzuziehen, und ich kann Sie versichern, daß diese ihnen nichts schuldig bleiben. Aber natürlich, Sie kennen Paris?«

»Seltsamerweise, nein. Lord Heresford, mein Oheim, hatte die unglückliche Marotte, mich lieber an allen Ecken der Welt bei Türken und Heiden umherzuschicken, als mir zu erlauben, meine Bildung in Paris zu vollenden. Deshalb, Herr Marquis, müssen Sie Nachsicht mit einem unbeholfenen Seemann haben.«

»Nun, parbleu – was das anbetrifft, da geben Sie uns mehr als eine Pferdelänge vor. Aber im Ernst, wenn Sie wirklich noch nicht in Paris waren, soll es mir großes Vergnügen machen, Sie in die Geheimnisse des Café anglais, des Maison d'Or, der Straße Breda und des Bois de Boulogne einzuweihen.«

»Ich werde Sie beim Wort nehmen, denn ich gedenke nächstens nach Paris zu kommen. Ich bin bereit, mich in St. James oder Madrid zu revanchieren, – ich würde hinzufügen: in Stambul, aber das kennen Sie ja.«

»Leider. Eine gewisse Nächt in Therapia liegt mir noch in den Gliedern. Aber das erinnert mich daran, daß Sie uns den Ausgang jener Tigerjagd des armen Cavendish erzählen wollten, den die Brahminenrache von Bombay bis an den Redan verfolgte. Wissen Sie, die Kaiserin wird gleich das Zeichen zum Aufbruch geben, eben beurlaubt sich dort der fromme Kardinal in spe von ihr, um nach Bayonne zurückzukehren, wo er sicher nach des Kaisers Wunsch besser geblieben wäre, als hier Lärm zu schlagen für den heiligen Vater; – ich lade Sie ein, mit de Caux, der ein vortrefflicher Gesellschafter ist, bei mir noch eine Zigarre zu rauchen und eine Flasche Beaune zu trinken, ehe Sie in Ihr Quartier fahren.«

»Ich nehme mit Vergnügen die Einladung an unter einer Bedingung.«

»Und die ist?«

»Daß man niemand meinetwegen inkommodiert und Herr de Caux mir erlaubt, den kurzen Weg bis zu meiner Wohnung zu Fuß zurückzulegen.«

»Zugestanden! de Caux hat ohnehin schon Gesichter geschnitten, daß seine faulen Mastgäule den Marschall nach der Station fahren mußten. Übrigens könnten Sie dessen Zimmer nehmen, wenn der Regen stärker werden sollte. – Aber still – da kommt der Kaiser. Er sucht Sie, Herr Graf!«

»Unser einfaches Badeleben, Mylord,« sagte der Kaiser, »wird allerdings für einen an Abwechslung so gewöhnten Mann spärlichen Reiz haben. Doch hoffe ich, daß Sie es sich einige Tage an unserer Felsenküste gefallen lassen werden.«

»Euer Majestät Erlaubnis ist mir Befehl.«

»Wenn es Zeit und Wetter gestatten, werde ich morgen mit der Kaiserin auf unserem Dampfer eine kleine Spazierfahrt machen und hoffe dabei, Ihre hübsche Jacht in der Nähe zu sehen.«

»Wenn ich es wagen dürfte, Ihre Majestäten zu bitten, an Bord meiner Jacht das Lunch einzunehmen, würde es mich sehr glücklich machen.«

»Wagen Sie es immerhin – die Kaiserin bedarf der Zerstreuung und unsere Damen brennen vor Neugier auf alles, was mit Ihrem romantischen Schiff in Beziehung steht. Schade, daß Blainville schon fort ist, ich hätte ihm dann gleich meine Befehle geben können. Ich hoffe, Mylord, bei der nächsten Saison in Compiègne mich für Ihre Einladung zu revanchieren, wenn Sie dann erreichbar und nicht an irgend einem entfernten Ende der Welt sein werden.«

»Wo es auch sei,« erwiderte der Graf mit einer tiefen Verbeugung – »Euer Majestät siegreicher Flagge würde ich jetzt überall begegnen.«

Der Kaiser, obschon sonst für Schmeicheleien äußerlich sehr gleichgültig, konnte sich eines beifälligen Lächelns nicht erwehren.

»Demnach – auf Wiedersehen, Herr Graf!«

Er reichte ihm freundlich die Hand. Auch die Kaiserin, obschon sie auffallend zerstreut schien, bezeigte ihm, ehe sie sich in ihre Gemächer zurückzog, ihr besonderes Wohlwollen.

Als die Damen der Kaiserin folgten, wendeten sich zwei zu gleicher Zeit wie zufällig um und ihre Augen suchten auf einen flüchtigen Moment den schönen Abenteurer.

Der Blick der jungen Bretagnerin war schüchtern, ängstlich und doch voll Seele, als wolle er noch einmal das Bild eines teuren Gegenstandes umfassen.

Der der Herzogin fest, zuversichtlich, verheißend.

Von dem Gegenstand dieses stummen Abschieds, der mit einer tiefen Verbeugung antwortete, wendeten sich die Blicke beider Damen aufeinander, gleichsam als hätte ein Instinkt, ein magnetischer Rapport die eine in der anderen die Rivalin erraten lassen.

Die junge Bretagnerin errötete tief und senkte wie demütig die Augen, – die Herzogin von Rachambeau rauschte heftig an ihr vorüber. Der Abenteurer wußte jetzt, daß die verhängnisvolle Schnur nicht fehlen werde.

Ehe er mit dem Marquis noch weitere Bemerkungen tauschen konnte, näherte sich ihm der Oberkammerherr.

»Mylord,« sagte er verbindlich, »ich habe das Vergnügen, Ihnen anzuzeigen, daß Se. Majestät der Kaiser Sie zum Ritter der Ehrenlegion ernannt hat. Erlauben Sie mir, Ihnen das Kreuz zu überreichen.«

Der Graf von Lerida verbeugte sich. »Ich hoffe, morgen Gelegenheit zu haben, Seiner Majestät für diese Auszeichnung zu danken. Ich denke, sie redressiert meinen schlimmen Ruf als Schmuggler bei den kaiserlichen Beamten!«

Graf Tascher lachte. »Richtig, ich hatte es schon ganz vergessen. Nun, für diese Nacht wenigstens sind unsere Douaniers sicher, da wir den König der Schmuggler in guter Verwahrung haben!«

Die Gesellschaft trennte sich in voller Heiterkeit, der Spanier folgte seinem neuen Bekannten nach dessen Quartier im oberen Stock.

Am Fuß der Treppe fand er seinen griechischen Diener, um dessen Regalierung und Unterhaltung die hübschen Zofen der Hofdamen sich unterdes großes Verdienst erworben hatten.

Der Graf sah ihn bedeutsam an.

»Ist etwas vorgefallen?« fragte er in neugriechischer Sprache.

»Nein, Excellenca!«

»Suche die Parole der Wache zu erlauschen, bemerke genau, wie viel Mann auf Posten, und wo diese stehen. Erforsche, wer von der Dienerschaft in der ersten Etage schläft.«

»Es soll geschehen, Herr!«

»Gut, du hast eine Stunde Zeit – dann gehen wir.«

Er folgte dem Ordonnanzoffizier die Treppe hinauf zum ersten Stock.

Es war halb elf Uhr; der Graf hatte versprochen, eine Stunde in der Gesellschaft zu bleiben, indem er sich damit entschuldigte, daß er für den nächsten Tag noch Vorbereitungen zu treffen und Briefe zu schreiben habe. Indem er mit seinem Wirt die Treppe hinaufstieg und nach dem Zimmer desselben ging, suchte er sich möglichst genau mit der Lokalität vertraut zu machen und durch gleichgültige Fragen oder das Lesen der angehefteten Adressen die Bewohner der Gemächer zu ermitteln.

Im Zimmer des Offiziers fanden sie bereits den Stallmeister und Monsieur Mounier, den Erzieher des Prinzen. Die Unterhaltung war bald lustig in Fluß und wechselte in der Erzählung von Abenteuern und der Chronik des Hofes, wobei selbst die höchstgestellten Damen übel wegkamen. Es ist bekanntlich keine Gesellschaft reicher an Klatsch- und Skandalgeschichten, als die sogenannte gute von Paris.

Endlich sah der Held der Gesellschaft nach der Uhr. »Es ist die höchste Zeit, daß ich aufbreche, Messieurs. Dieses letzte Glas auf alle schönen Damen von Paris! Wenn das Wetter es irgend erlaubt, hoffe ich mich morgen am Bord meiner Jacht zu revanchieren!«

Marquis de Caux war an das Fenster getreten und hatte es geöffnet.

»Es ist schlechte Aussicht dafür – der ganze Himmel ist umzogen und es regnet noch immer, wenn auch leicht. Ich werde auf jeden Fall für Sie anspannen lassen, Herr Graf!«

»Unter keinen Umständen – ich werde nicht einmal zugeben, daß Sie sich mit meiner Begleitung inkommodieren.«

»Aber ich muß Sie durch den Posten an der Parktür bringen, das verkürzt Ihren Weg.«

»Ich werde Sie dieser Unbequemlichkeit gewiß nicht aussetzen, Kapitän, und ihn allein finden, wenn Sie nur das Paßwort sagen. Ich bin ja so gut Soldat, wie Seemann.«

»Mit Vergnügen, Mylord, es heißt: Serrano!«

»Ah – der Exliebhaber der Königin! und nun besten Dank, meine Herren!«

»Eben fällt mir ein, ich komme wahrhaftig wieder um den Schluß der Tigergeschichte, den Sie uns im Salon versprochen.«

Der Graf hatte den Hut bereits in der Hand. »Oh von dem armen Cavendish! – Das ist leicht erzählt! Wie weit kennen Sie sein Abenteuer?«

»Bis zu dem Augenblick, wo sein tapferer Jagdgefährte Leutnant Staunton, infolge des gegen ihn gefallenen Loses sich für ihre Rettung opferte, und Cavendish den verwundeten Tiger, wenn auch leider zu spät, durch einen Revolverschuß in den Kopf tötete.«

» Goddam – Cavendish hatte an dem Tage Glück – er nahm zwei Felle aus den Ruinen von Bidjeapur mit sich. Hier haben Sie in einigen Worten den Schluß seines Abenteuers.

Sie erinnern sich, daß Cavendish auf den Rat seines sterbenden Kameraden die Dschungel in Brand gesteckt hatte, um den Tiger durch diesen Flammengürtel von der Rückkehr zu seinem Lager in den Ruinen abzuhalten, daß aber der Sterbende mit jener wunderbaren Schärfe der Sinne, welche zuweilen kurz vor der Agonie des Todes eintritt, noch das Herannahen des Tigers vernahm, als Cavendish im Licht der Morgendämmerung und der brennenden Dschungel die Bestie mit rauchendem Fell heranstürzen sah.

Es war, wie sich nachher ergab, einer der größten Tiger, die seit Menschengedenken im Dekan erlegt worden waren.

Cavendish war hilflos dem Untier preisgegeben, denn der Revolver konnte gegen eine solche Bestie unmöglich eine genügende Waffe genannt werden.

Obschon die Steinbarrikade, welche die Freunde vor der Öffnung des Gewölbes zusammengebaut, schon von dem Angriff der Tigerin auseinander gerissen und zerstört worden war und keine Zeit blieb, sie wieder herzustellen, flüchtete der Offizier doch hinter ihre Reste, und erwartete hier, allen Mut zusammen raffend, auf dem Leichnam seines Freundes und der Tigerin den neuen Feind, das heißt: den sichern, gräßlichen Tod.

Der Tiger sprang mit gewaltigem Satz aus der Glut der brennenden Sträucher und Gräser und ließ seine grünlichen Augen umherrollen.

Im nächsten Moment hatte er den unglücklichen Jäger erblickt.

Er schüttelte das rauchende, funkensprühende Fell, tat einen zweiten Sprung und fiel etwa sechs Schritt weit vor dem Eingange des Gewölbes nieder.

Der nächste Satz mußte ihn zu seinem Feinde bringen.

Die Augen des Mannes und des Tiers begegneten sich, – der junge Engländer befahl seine Seele Gott, und die Bestie kauerte sich auf die Hinterpranken zum letzten Sprung.

In diesem Augenblick flammte es zwischen dem Tier und dem Jäger mit Zischen wie eine Feuerwolke empor; – als sich der Dampf verzog, sah der erstaunte Jäger das vor Schmerz heulende Tier sich im Kreise fortwährend um sich selbst drehen.

Erstaunt betrachtete er dies seltsame unerwartete Schauspiel – der Gedanke überkam ihn, daß ein wunderbarer Zufall ihm zu Hilfe gekommen sein mußte.

Während er noch darüber nachdachte, sprang der Tiger mit entsetzlichem Geheul in kurzen Sätzen bald hierhin, bald dahin, wie zweck- und ziellos, und kauerte endlich, den Kopf mit den Vordertatzen zerkratzend, nieder.

Der britische Offizier machte eine Bewegung – die Bestie rührte sich nicht; – eine zweite Bewegung – dieselbe Nichtbeachtung! Er wagte es, vorsichtig über die Steine zu steigen und die Wölbung zu verlassen, um unter freiem Himmel den Todeskampf zu fechten – der Tiger heulte fort, schien ihn aber nicht der geringsten Beachtung zu würdigen, ihn nicht einmal zu sehen!

Zu sehen –

Wie ein Blitzstrahl durchleuchtete ein Gedanke seine Seele – der Tiger konnte nicht mehr sehen – der Tiger war blind!

Das Wunder seiner Rettung erklärte sich ihm. Die Bestie war bei dem letzten Sprung wahrscheinlich dicht vor der Stelle niedergefallen, wo der rachsüchtige Brahmine in der Hast die wohlgefüllten Pulverhörner ausgeschüttet hatte. Indem das wütende Tier sich schüttelte, waren Funken, welche noch von dem Durchbrechen der brennenden Dschungel an seinem Pelz hingen, wahrscheinlich auf das Pulver gefallen, das die beiden Engländer früher im Dunkel der Nacht nicht bemerkt hatten, und hatten dasselbe entzündet. Die Flamme hatte der Bestie Bart und Augen verbrannt und sie entweder für einige Zeit geblendet, oder vielleicht ganz erblindet.

Der Engländer hätte sich jetzt wahrscheinlich flüchten können, aber eine unbeschreibliche Wut erfaßte ihn, als sein Blick auf den zerstümmelten Leichnam seines Gefährten fiel. Er nahm das noch blutige Jagdmesser in die Rechte, schlich sich hinter die brüllende, sich hin und her wälzende Bestie, und hieb ihr, den Augenblick wahrnehmend, mit glücklichem Schlage die Knieflechse des rechten Hinterbeins durch.

Mit raschem Sprung war er aus dem Bereich des sinnlos umher wütenden Tiers, das durch die Flamme selbst die Witterung verloren zu haben schien. Der glückliche Erfolg des ersten Versuchs ermutigte ihn und es entspann sich jetzt ein verzweifelter Kampf. Der Engländer, jede Ruhe des blinden Tigers benutzend, griff ihn mit Messer und Revolver an, erhielt zwar einige leichte Verletzungen, brachte ihm aber, immer wieder zur Seite springend, so viele Stiche und Wunden bei, daß die Bestie immer kraftloser wurde und nur noch kriechend sich wehren und umherschleppen konnte, da ihr jetzt beide Hinterfüße gelähmt waren. Nach einer halben Stunde war der Tiger tot – sein Fell, das Cavendish noch in der Krim als Lagerdecke benutzte, zeigte nicht weniger als dreiundzwanzig Verletzungen. So vieler hatte es bedurft, das zähe Leben der Bestie zu enden!

Ich kann den Rest kurz fassen.

Leutnant Cavendish hatte kaum die letzte Revolverkugel auf den Tiger abgeschossen und sich überzeugt, daß er ihn getötet, als die fieberische Spannung seiner Nerven zum zweitenmal einer gänzlichen Apathie wich, und er neben seinem schrecklichen Gegner zu Boden sank, fast ebenso leblos wie dieser selbst. So fanden ihn im Laufe des Vormittags seine Kameraden, die endlich, erstaunt über das Verschwinden der beiden, sich aufgemacht hatten, sie zu suchen. Die Nachricht eines indischen Bauern, der sie zufällig auf dem Ritt gesehen hatte, führte sie auf die Richtung, und als sie am Rande der Dschungel die beiden Pferde mit durchschnittenen Halsadern tot, aber unberaubt gefunden hatten, war ihre Besorgnis aufs höchste gestiegen. Die Fußspuren der beiden Jäger hatten in die jetzt abgebrannte Dschungel gewiesen, und man verschaffte sich jetzt eiligst Führer und andere Hilfsmittel, um sobald es der Zustand des Boden gestattete, weiter zu dringen. Die Annahme, daß die beiden Offiziere das Lager des Tigers erfahren und aufgesucht hätten, lag nahe, und die Eingeborenen wiesen auf die Ruinen hin, als das wahrscheinliche Ziel der beiden Jäger. So gelang es endlich, die Stätte des furchtbaren Kampfes zu erreichen.

Als Cavendish aus langem schweren Gehirnfieber erwachte, wucherte bereits üppig das Gras auf dem Grabe seines Freundes. Aber das Leben in Indien war ihm vergällt, und auf den Rat seiner Freunde nahm er, sobald es irgend sein Zustand gestattete, Urlaub und ließ sich zu einem andern Regiment versetzen.

Daß der arme Bursche damit dennoch nicht der teuflischen Rache des Brahminen entging, wird Ihnen unser Freund hier bereits erzählt haben; und somit gute Nacht meine Herren, und träumen Sie von schönen Damen und Festen in ihrem reizenden Paris, statt von indischen Tigern und mordgierigen Thuggs. Au revoir Messieurs!«

Er schloß die Tür hinter sich und sprang die Treppe hinab.

Im Flur des Schlosses stand bereits Mauro mit den Dienern – die nur noch des Wegganges des Fremden harrten, um sich auch zur Ruhe zu begeben. Juan ließ ein reiches Trinkgeld in die Hand des kaiserlichen Lakaien gleiten, der ihm den Mantel umlegte und die Tür des Foyers öffnete.

»Werden Euer Gnaden auch den Weg finden?«

»Unbesorgt – ich will Sie nicht in diesem Wetter bemühen!«

Die Tür der Halle schloß sich, der Kapitän der Victory und sein Steward waren allein.

Es war ganz gegen das gewöhnlich wunderschöne Wetter der September- und Oktober-Tage und Nächte an dieser Küste, unangenehm. Die Luft schien nach dem warmen Tage mit Elektrizität gefüllt, aber der scharfe Wind ließ die Sammlung derselben nicht zu und jagte die tief hängenden Wolken vor sich her.

Der Regen rieselte mild und warm nieder und erhöhte die Dunkelheit. Der kühne Abenteurer überzeugte sich, daß man wenig über fünfzehn bis zwanzig Schritt weit sehen konnte.

»Kennst du die Parole?«

»Es ist ein Name: Serrano!«

»Ich sehe, du bist ein offener Kopf. Wie viele Ausgänge hat der Park?«

»Drei, Signor, einen im Norden nach dem Leuchtturm zu, im Osten den Fahrweg und nach Süden nach dem Ufer. An allen dreien stehen bei Nacht Posten, außerdem ein Posten am Boothaus.«

Der Graf blieb stehen und blickte sich sorgfältig um. Nichts war zu hören, als das Rieseln des Regens und das mächtige Rauschen der Brandung.

»Jetzt höre mich, Mauro, und präge dir jedes meiner Worte ein, denn es handelt sich um Tod und Leben.«

»Das ist man gewohnt in Ihrem Dienst, Excellenca.«

»Nimm meinen Mantel!«

»Excellenca – –«

»Gehorche! Er verdeckt deinen Anzug. – Gib mir die Strouka!«

Er hing die rauhe zottige Wolle um seine elegante Toilette.

»Die phrygische Mütze!«

Er reichte dem Griechen den Hut.

»Wo sind die Revolver, die ich dir mitzunehmen befahl?«

»Hier, Excellenca!«

Als der Graf sie in die innern Taschen seines Fracks steckte, atmete er tief auf wie im Gefühl der Sicherheit. » Caramba, sagte er – »das macht mit dem meinen fünfzehn Schüsse und das muß genügen.«

Er fühlte in seine Taschen, wie als wolle er sich überzeugen, daß alles, dessen er bedurfte, vorhanden sei. »Die Schnur,« murmelte er – »der Knebel – die Phiole und der Schwamm – so!« Er ließ seine Uhr repitieren. »Noch zehn Minuten bis Mitternacht! – Jetzt höre!«

»Befehlen Sie!«

»Du gehst aus dem Park durch die östliche Tür, den Fahrweg, hüllst dich in deinen Mantel, grüßest die Wache und gibst die Parole. Hast du verstanden?«

»Ich begreife. Excellenca wünschen, daß man glauben soll, Sie selbst hätten sich entfernt.«

»So ist es. – Sobald du außer Gesicht der Schildwach bist, verläßt du den Weg und ersteigst den nächsten Abhang zu deiner Rechten.«

»Ich werde ihn finden.«

»Auf der Höhe läuft ein Weg nach dem Hotel Gardères, und dem Ort, den du später zu nehmen hast. – Auf der Höhe wartest du, bis die Glocke der Kirche das erste Viertel schlägt. Du verstehst zu deinen vielen andern Künsten das Geschrei der Möwe nachzumachen?«

»Vortrefflich, Excellenca. Wie oft haben wir Knaben uns damit am Strand von Smyrna belustigt!«

»Sobald die Uhr geschlagen, ahmst du möglichst laut zweimal den Schrei der Möwe nach.«

»Ah – Diavolo! das Signal für den Elefanten Miguel. Aber werden Sie es in dieser Entfernung hören?«

»Sie werden es trotz des Windes – denn du stehst über der Küste, und das Wasser befördert den Schall. Im schlimmsten Fall bleibt mir immer noch dasselbe Zeichen. Ich will nur vermeiden, die Aufmerksamkeit der Posten zu erregen.«

»Was habe ich weiter zu tun?«

»Nichts – als deinen Weg dann fortzusetzen nach dem Hause, aus dem wir gekommen sind. Du steigst die Treppe hinauf in mein Zimmer. Marga – die Dame des Hauses wird uns erwarten.«

»Aber wenn ich allein komme …«

»Du sagst, daß man im Schloß mich noch zurückgehalten. Sie möge sofort die blaue Lampe anstecken.«

»Die blaue Lampe?«

»Ja – es ist das Signal für deine Kameraden. Dann heiße sie in meinem Namen dich nach der Meerkammer hinab zu lassen.«

»Nach der Meerkammer?«

»Ja – du hast sie noch nicht betreten. John hat dir doch den Eid abgenommen?«

»Ich habe geschworen, aber Ercellenca wissen, daß es dessen nicht bedurft hätte.«

»Du findest dort Rafael und den roten Portugiesen. Was auch geschehen möge, Ihr müßt Euch dort verborgen halten, bis Ihr Weisung von mir bekommt.«

»Und die Doña?«

»Welche Nachfrage auch geschieht, sie weiß weder von dir noch von mir und hat uns nicht gesehen, seit der kaiserliche Wagen uns abgeholt hat.«

»Wird sie auch schweigen können? Frauenzungen sind leicht beweglich.«

»Tor! Man könnte sie ihr mit glühenden Zangen aus dem Halse reißen, und sie würde nichts verraten. So – nun hast du deine Instruktion. Befolge sie pünktlich und geh!«

Mauro zögerte.

»Excellenca …«

»Was willst du noch?«

»Wenn Ihnen Gefahr droht – wollen Sie mich nicht lieber in Ihrer Nähe behalten? – Sie wissen, daß ich treu sein kann, obschon ich ein Grieche bin, und ich kann der Gefahr ins Auge schauen. Ich habe den Yatagan des türkischen Mörders über dem Haupte meines Oheims blitzen sehen und nicht gebebt, als ich ihm das verhängnisvolle Wort zurief. »Sebastopol«, II. Band: »Ein Getreuer«. Ich will auch treu zu Ihnen stehen!«

»Narr« – sagte der Graf – »ich hoffe, so weit soll es nicht kommen, obschon es möglich genug ist! Aber deine Anwesenheit würde nur die Gefahr vermehren. Du dienst mir besser, indem du meinen Auftrag ausführst. Und jetzt fort mit dir, denn die Minuten sind kostbar!«

Ohne weitere Widerrede entfernte sich der Steward.

Der Graf wartete, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Dann kehrte er um und ging mit leichtem vorsichtigen Tritt über den Rasen zurück nach der Villa.

Als er in ihre Nähe kam, beugte er sich fast bis zur Erde, indem er weiter schlich. Jede seiner Bewegungen war vorsichtig und berechnet wie die des Fuchses, wenn er seine Beute beschleicht. Als er sich der Stelle des Schloßflügels gegenüber befand, an welcher sich das Arbeits- und Schlafzimmer des Kaisers befinden mußte, hielt er, am Boden niederkauernd, inne.

Durch die Jalousien schimmerte ein schwacher Lichtstrahl.

»Ah – er arbeitet noch, vielleicht an den Kommentaren Cäsars!« murmelte er höhnisch. – » Caramba, er täte besser, sich in diesem Augenblick mit dem Britannicus zu beschäftigen! – Es ist unangenehm, daß er noch wach ist!«

Vorsichtig schlich er weiter und um die Ecke des Gebäudes. Hier konnte er sich freier bewegen, das Rauschen der nahen Brandung verbarg das Geräusch seiner Schritte und der dunkle Grund seine Gestalt.

Er ging am ersten Erker vorüber und näherte sich dem zweiten, als plötzlich durch die geschlossenen Jalousien des kleinen Salons ein Lichtstrahl fiel.

Sein Mund murmelte eine Verwünschung, während er einen Schritt näher trat, um sein Auge an die Öffnung der mächtigen Jalousie zu legen.

Das, was er sah, fesselte ihn so sehr, daß er eine Zeitlang regungslos stehen blieb, selbst nachdem der Lichtstrahl verschwunden oder vielmehr vorüber gezogen war nach dem großen Salon und dem Speisezimmer hin.

»Sie geht zu ihm,« murmelte er – »der Ausdruck ihres Gesichts war sehr erregt, das schwarze Auge drohte förmlich. Goddam – das ist eine unangenehme Verzögerung, es bedarf doppelter Vorsicht! – Doch – hier gibt es etwas, mich für das Warten zu entschädigen!«

Die Worte galten dem leisen Husten in der Höhe des Balkons.

Er antwortete mit dem gleichen Zeichen – im nächsten Augenblick hörte er das leichte Klappern eines Schlüssels, der an der Mauer niedersank und er fühlte den dünnen Faden, an welchem derselbe hing.

Mit unhörbarer Bewegung öffnete er sein Gilet und begann eine starke seidene Schnur abzuwickeln, die er unter diesem um seine Hüften gewickelt getragen hatte. Schon während der Arbeit knotete er einzelne Schlingen hinein.

Seine Geschicklichkeit als Seemann half ihm dabei. Die Schnur war von Seide, von der Dicke einer starken Gänsespule, aber ungemein fest gedreht. Die Schlingen, welche er mit großer Geschicklichkeit in der Entfernung von etwa 2 Fuß voneinander in die Schnur warf, waren groß genug, den Fuß eines Mannes aufzunehmen.

Es dauerte etwa 5 Minuten, bis er deren etwa ein Dutzend geknüpft hatte; dann band er das Ende der Schnur um den Schlüssel und gab ein zweites Zeichen. Sogleich wurde der Faden aufgezogen und die einfache, freilich nur für die Gewandtheit eines Seemanns gangbare Leiter, stieg in die Höhe.

Einige Augenblicke – – »Fest!« klang es leise vom Balkon her.

Die Hand des Abenteurers öffnete die erste Schlinge, der Fuß setzte ein – so die zweite, die dritte – in Zeit von drei Minuten schwang er sich über die steinerne Balustrade.

Eine Frauengestalt in einen weiten Bournous gehüllt, erwartete ihn – eine weiche warme Hand faßte die seine. »Kommen Sie?«

»Einen Augenblick!« Vorsichtig zog er den Seidenstrick empor und barg ihn im Schatten der Balustrade.

»Jetzt! schöne Königin der Liebe und Freude!«

Leise öffnete sie die Glastür des Salons und schloß sie wieder. Die weiche warme Hand zog ihn hinter sich drein – eine Seitentür öffnete sich, durch die Falten der Portiere drang heller Lichtglanz – ehe er noch recht wußte wie, war er im Boudoir der schönen Frau.

Eine kurze Zeit blendete ihn der Lichtglanz nach der tiefen Dunkelheit. Das Zimmer war – wie die ganze Ausstattung der Villa – einfach dekoriert, Möbel und Vorhänge von dunkelblauem Seidenstoff, die Fenster waren dicht verhangen, auf dem Tisch brannte ein schwerer silberner Armleuchter; dies und der silberne Kredenzteller mit Kristallflaschen, in denen das braune Gold und die rote Glut spanischer Weine funkelte, waren der einzige Luxus außer der prächtigen vergoldeten Spiegeltoilette vor einem der Fenster und der reichen Frauengarderobe, deren Stücke in Unordnung auf Stühlen und Sesseln lagen.

Dort an der Wand – der Tür gegenüber, durch die sie eingetreten, stand eine andere offen; der Schein der Kerzen fiel auf die seidenen Pfühle, das blendende weiße Linnen zwischen den geöffneten Vorhängen – –

Als der Graf den rauhen nassen Mantel fallen ließ und sich umwandte, bot sich ihm ein Anblick, der seine Sinne entflammte.

Die schöne Frau mit dem Marmorgesicht, die stolze Aristokratin, deren kalter schroffer Blick sonst jedes Gefühl zu ertöten schien, stand vor ihm mit glühenden Wangen, mit loderndem Feuer in den sonst so eisigen Augen. Der Bournous, der ihre ganze hohe Gestalt verhüllt hatte, war gesunken, nur ein leichtes weißes Nachtgewand verhüllte die schlanken und doch üppig geformten Glieder; der wogende Busen in seiner auf- und niederfliegenden Glut hatte bereits die lästige Hülle zurückgedrängt, ihre weißen nackten Arme streckten sich aus dem wallenden Gewand, umschlangen und zogen ihn an diese Genuß heischende Brust, ihre Lippen hefteten sich fest glühend auf die seinen.

»Freund meiner Seele, schönster der Männer!« grollte sie, als sie sich endlich von den seinen gelöst, – »meine Sehnsucht konnte den Augenblick kaum erwarten! O wie lange habe ich entbehrt – wie bin ich selig, daß ich dir begegnet, süßer, starker, unwiderstehlicher Mann!«

Und nieder zog sie ihn auf den breiten Diwan, ihre liebezitternde Hand schenkte klirrend die Gläser voll mit dem feurigen Wein, sie hob das Glas zu ihren Lippen, sog den entflammenden Trank und heftete ihren Mund dann auf den seinen, Wollust und Wein strömend in ihn.

Nur mit gewaltsamer Anstrengung riß er sich los von ihr, während ihre zitternde Hand sein Herz suchte.

Er gedachte seines Zwecks – der großen, welterschütternden Aufgabe, die er sich gestellt.

»Wissen Sie, Herzogin, wen ich gesehen?«

»Pfui des Namens – ich bin Claire – Claire für dich – die freie Seelenbraut! Was kümmert's mich, wen du gesehen, wenn ich dich hier halte, in meinen Armen!«

»Die Kaiserin – sie ging durch den Salon!«

»Was geht mich die Spanierin an mit ihrem kraftlosen Gatten! Du bist mein Ideal! – Es wird eine Szene geben voll Bitterkeit und Groll, während wir hier des Höchsten uns freuen!«

»Wissen Sie näheres, Claire? Sagen Sie es mir!« Er küßte ihre entgegendrängenden Lippen.

»Warum sollte ich es nicht wissen? Frauen wissen alles! Die Spanierin ist außer sich, weil man ihr die Nachricht verheimlicht hat!«

»Welche Nachricht?«

»Von Ancona glaub' ich – es ist gestern erobert oder hat kapituliert! Sie will fort, morgen schon – nach Schottland! aber ich gehe nicht mit ihr – bei dir ist Leben! – Sein!«

»Wie – Ancona ist gefallen?«

»Was kümmert das uns, süßer Liebling! Drängt es dich nicht zu mir? Fort mit allem, was uns hindert an der Vereinigung unserer Seelen!«

Er ermannte sich mit Gewalt – der Gedanke blitzte ihm durch die Seele, welchen großen gewaltigen Umschwung es geben mußte trotz aller Siege der Revolution, wenn –

Er mußte frei sein, Herr seines Willens – der günstigen Gelegenheit – –

Seine Hand faßte in die Brusttasche – die Finger suchten das Flakon, den mit Äther getränkten Schwamm –

Aber schon war sie fort von ihm – in dem halbdunklen Rahmen des Kabinetts stand sie – wie Wolken, vom Sturm verweht, flogen die Nachtgewänder von dem entzückend schönen Leib – sie hob die Arme, der weiße Leib bäumte sich in wilder Lust –: »die Seelenbraut ruft dich – die Seligkeit – zu mir – –«

Auf dem Lager wand sich ihr schwellender Leib – jeder Gedanke war Vergessenheit in ihm, jede Fiber eine Gier – jedes Empfinden ein Vulkan – Vernichtung im Erschaffen – –

Was kümmerte ihn jetzt der Bischof von Taragona – das Geschick der Bourbons – das Kind Frankreichs, und wenn ihrer hundert wären – –

Genuß – Seligkeit, das war alles, was er dachte, – das Feuer, das in seinem Hirn tobte! – nicht ein Atom seiner Gedanken dachte an das befohlene Signal des Griechen, an die Treuen, die im Sturm, jeden Augenblick bedroht mit dem Zerschellen des kleinen Nachens am Fels von San Martino lauerten – – – – – – – – –


Die Uhr im Zimmer schlug die erste Stunde nach Mitternacht, als er emporfuhr und sich gewaltsam aufraffte aus der Erschlaffung von Körper und Geist.

Die Kerzen waren zur Hälfte niedergebrannt – ihr matter Schein fiel auf das schöne Weib, das regungslos, gebrochen, zum Tode erschöpft, an seiner Seite ruhte.

Der weiße volle Arm war um das halb zurückgebogene Haupt mit den dunklen gelösten Haaren geschlungen – tiefe Schatten lagen über den gebrochenen Augen – nur der halb geöffnete Mund schien noch Verlangen zu atmen, nur der langsam, schwer auf- und niedersteigende Busen zeigte, daß noch warmes Leben war in diesem erschlafften Körper!

Der kühne Abenteurer war mit einem Sprung von dem Lager, und schlug sich wild vor die Stirn. »Verdammt diese Sirene und meine Torheit!« murmelte er – »sie haben recht, wenn sie sagen, daß die Weiber stets meine beste Kraft ertöten werden. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät!«

In weniger als fünf Minuten stand er in seinen Kleidern, die Strouka umgeworfen, den Fuß zum Fortschleichen erhoben. Noch einmal fiel sein Auge auf den Alkoven, auf die schöne Schläferin – er zögerte, er faßte aufs neue nach dem Flakon.

»Sie könnte aufwachen – aber nein, sie schläft zu fest, jede Fiber in ihr bedarf der Ruhe. Aber ich werde es brauchen, den Kammerdiener zu betäuben, der im Vorzimmer schläft, oder die Bonne. Der Schlaf des Alters ist selten fest!« Er öffnete das Flakon, hielt es auf Armeslänge von sich und goß einige Tropfen auf einen kleinen Schwamm, den er wieder in der Tasche barg. Dann löschte er die Lichter aus bis auf das eine tief herabgebrannte, das er in der hohlen Hand trug, schob die Portiere zurück und drehte vorsichtig den Schlüssel.

Er stand in dem Salon der Damen.

Das erste, was er tat, war an das Fenster zu treten und hinunter in den Park zu sehen.

Ein so scharfes Auge er auch hatte, mußte er sich doch erst an das Dunkel wieder gewöhnen. Die Nacht schien noch immer rauh, der Mond war von Wolken verhüllt und der Wind blies schärfer als vorhin.

»Sie werden sich an dem Felsen nicht haben halten können,« murmelte er – »sie werden sich entfernt haben.«

In dem Augenblick sah er eine dunkle Gestalt sich in dem Garten bewegen.

» Caracho! – wirklich – da sind sie noch – das muß Miguel sein! Vorwärts, Juan – die nächste Minute entscheidet über mehr als eine Krone!«

Er ging mit raschen unhörbaren Tritten durch die beiden Salons und näherte sich der Tür, welche aus dem zweiten in die Gemächer des kaiserlichen Prinzen führte.

Einen Moment noch blieb er hier stehen, überlegend, was er zu tun habe bei dem gefährlichen Werk, das er ausführen wollte.

Dann, den gelöschten Lichtstumpf unter dem Mantel verbergend, versuchte er mit der Rechten, leise die Tür zu öffnen.

Der Griff drehte sich geräuschlos – die Tür öffnete sich – er stand in dem Zimmer.

Hinter einem Schirm brannte matt eine Nachtlampe und verbreitete einen matten Schein über das ziemlich große Zimmer, in dem Spielsachen aller Art umherstanden und lagen. So gering auch das Dämmerlicht war, konnte er doch erkennen, daß auf einem Feldbett in einer Ecke ein alter halbangekleideter Mann lag. An der linken Wand stand eine Tür halb offen und ließ in ein dunkles Zimmer sehen, aus dem bei der herrschenden Stille zwischen dem eintönigen Geräusch der Brandung das tiefe regelmäßige Atmen eines Schlafenden hervordrang.

Dort war das Zimmer der englischen Bonne – dort schlief das Kind.

Entschlossen tat er einen Schritt nach dem Lager des alten Dieners, den äthergetränkten Schwamm aus der Tasche ziehend.

In dem Augenblick erklang deutlich von unten her ein heller schriller Schrei.

Gleich darauf hörte man heftig eine Tür schlagen. In dem Schlafzimmer regte es sich.

»Master Duroulin hörten Sie nichts?«

Der alte Kammerdiener drehte sich auf seinem Lager – er war nur halb wach geworden von der Frage der Bonne.

»Was gibt's, Madame?«

Mehr hörte der Graf nicht. Mit einem Schritt war er im Schutz des Halbdunkels zurück nach der Tür, mit einem zweiten hinaus – und drückte die Tür geräuschlos ins Schloß.

Aber unter ihm wurde es lebendig – er hörte deutlich in dem großen Salon eine Männerstimme, die nach den Frauen der Kaiserin rief –

Der Abenteurer begriff, daß das Spiel verloren war, – verloren durch seine eigene Torheit, welche die günstige Stunde versäumt in den Armen der Wollust, wenn er auch noch nicht die Ursache kannte.

Jetzt galt es nur noch, zu entkommen – er durfte hier nicht gefunden werden.

Im Nu war er an der Tür des Balkons und suchte nach dem Griff.

Er konnte ihn nicht finden – sein Tasten war vergeblich – schon hörte er die Tür zur Linken gehen und das Hüsteln des alten Kammerdieners.

Sollte er zurück zur Herzogin?

Aber sicher kam man dorthin – um keinen Preis durfte er sie kompromittieren.

Vielleicht ließ sich durch die untere Halle selbst entkommen. So schnell wie der Gedanke kam, hatte er die Tür des Salons nach dem Flur geöffnet und glitt hinaus auf den dunklen Flur. Noch war unten alles finster – er tappte nach der Treppe umher – aber eben als er sie gefunden, wurde es licht unten in dem breiten Treppenhause. Der Weg war versperrt.

Einige Augenblicke stand er ratlos – man kam die Treppe herauf – kaum hatte er Zeit, sich in eine der Fensternischen des Korridors zu drücken.

Es war eine Kammerfrau mit Licht in der Hand. Sie ging dicht an dem Versteckten vorbei nach der nächsten Tür und klopfte an.

»Mademoiselle de Kervague!«

»Wer ist da?« fragte eine zarte Stimme.

»Jeannetton! Die Kaiserin ist unwohl geworden – kommen Sie eilig herunter; ich muß den Doktor rufen. Wollen Sie Licht?«

Der Versteckte hörte die Tür öffnen, er sah eine zarte weiße Hand sich herausstrecken und mit der angezündeten Kerze wieder verschwinden. Die Kammerfrau kam dicht an ihm wieder vorüber, ohne ihn zu bemerken und ging eilig nach dem andern Flügel.

Überall wurde es jetzt lebendig – Türen gingen – man hörte Personen hastig hin- und herlaufen – in wenigen Minuten mußte er entdeckt werden.

Zurück zu dem einzigen Zufluchtsort, der ihm blieb, dem Zimmer der Herzogin, konnte er nicht mehr – denn in dem Salon war bereits der alte Kammerdiener des Prinzen zu hören und kam an die Tür, Madame Jeannetton zu fragen.

In dieser höchsten Not fuhr ihm ein Gedanke durch den Sinn und im nächsten Moment war er ausgeführt.

Vom Eingang des Salons aus, wo die beiden sprachen, konnte man eines großen Schranks wegen die Tür des Zimmers nicht sehen, an die vorhin die Kammerfrau geklopft hatte. Wie ein Schatten huschte er aus seinem Versteck über den Korridor, hinter den Schrank, an die Tür und öffnete sie.

Eingetreten, schob er den Nachtriegel vor.

Er befand sich in einer kleinen Antichambre, in die Licht aus dem anstoßenden Zimmer des jungen Mädchens fiel, die eben ein Negligé überwarf.

Sie hatte den Rücken nach der Wand gekehrt und schlang das gelöste Haar zum Knoten – offenbar glaubte sie, daß es die Kammerfrau wäre, die sie zur Eile treiben wollte.

»Gleich, liebe Jeannetton – ich bin im Augenblick fertig. Mein Gott – was ist denn geschehen?«

»Angelique …!«

Erstaunt wandte sie sich um – der Schreck fesselte den Schrei auf den geöffneten Lippen.

»Keinen Laut, Angelique – es gilt mein Leben!«

Das zitternde Mädchen war halb ohnmächtig in den Sessel gesunken, vor dem sie stand – unbewußt fuhren in erster Bewegung ihre Hände nach dem Nachtgewand, es schamhaft über dem jungfräulichen Busen zu schließen.

»Heilige Jungfrau, schütze mich!«

»Angelique – um Himmelswillen – fassen Sie Mut! erkennen Sie mich nicht?«

Sie starrte ihn mit weit geöffneten Augen an. »Der Graf – der Graf!« stammelte sie endlich. – »Was wollen Sie hier – fort! Rühren Sie mich nicht an!«

Er kniete zu ihren Füßen. »Fassen Sie sich, Angelique! Ich schieße mir eine Kugel durch den Kopf, hier, zu Ihren Füßen, wenn Sie mich nicht retten!«

»Retten –? Sie?«

»Die Augenblicke sind kostbar! hören Sie mich! Ich liebe Sie, Angelique – wie eine Sturmflut ist diese Liebe über mich gekommen, Sie wissen es! Ich klage mich selbst an, aber ich konnte nicht widerstehen! ich mußte in Ihrer Nähe sein – Sie noch einmal sehen! So schlich ich mich zurück in das Schloß – die Schwelle Ihrer Tür nur wollt' ich küssen, die Stelle, die Ihre Hand berührt! – Ein unglücklicher Zufall setzt das Schloß in Aufruhr – ich bin verloren, wenn man mich hier trifft!«

»Barmherziger Gott – und Sie dringen zu mir ein? was soll ich tun – ich bin entehrt!«

»Nicht, wenn Sie Ihre Fassung behalten. Niemand hat mich hier eintreten sehen. Können Sie mich auf eine Stunde, bis alles wieder ruhig – verbergen?«

»Nein! nein – fort! fort!«

»Wollen Sie meinen Tod?«

»Heilige Jungfrau, erbarme dich! was soll ich tun – ich – ich – –«

Sie rang verzweifelnd die Hände. Er hatte den Arm um ihren jungfräulichen Leib gelegt und zog ihn zu sich, mit seinen brennenden Blicken sie verzehrend.

»Angelique – werden Sie mich lieben?«

Kraftlos, willenlos sank das Haupt des unglücklichen Mädchens an seine Brust.

Er hob ihr Engelsangesicht zu sich empor, er küßte ihre geschlossenen Augen, ihren bleichen Mund. Ein wilder dämonischer Triumph funkelte in seinen Blicken.

Entsetzt über ihre Schwäche fuhr das unschuldige Mädchen empor aus seinen Armen. »Ich beschwöre Sie – fort! fort! man wird kommen, mich zu holen – ich sterbe, wenn man Sie findet!«

»Nein, Angelique nur einen Augenblick Ruhe! – Wohin führt dies Fenster?«

»Nach dem Garten – aber – es ist unmöglich – –«

Sie klammerte sich an ihn, während er rasch nach dem Fenster ging, nachdem er das Licht auf der Toilette ausgelöscht.

»Juan – Juan – Sie töten sich – und mich! – Juan – nicht dort hinab – Juan – ich will meine Ehre opfern – Juan – ich liebe Sie!«

»Mut! vertraue mir!« Er hatte das Fenster geöffnet und bog sich prüfend hinaus.

Es war hell genug, zu erkennen, daß etwa zwei Ellen unter der Brüstung ein breiter Sims um die Mauer lief.

»Mut – Geliebte! – Fassung! ich habe schon Schlimmeres gewagt. Auf Wiedersehen, Angelique!«

Er preßte einen heißen Kuß auf ihre Lippen und machte sich fast mit Gewalt los aus ihren umschlingenden Armen. Im Augenblick darauf war er schon aus dem Fenster und stand auf dem Sims.

»Dein Engel ist mit mir! Fassung, Angelique! daß du dich und mich nicht verrätst!«

Ein Sprung hinaus in die Nacht – ein schweres, aber elastisches Aufprallen auf den Rasen –

Die Bretagnerin lag weit hinaus über die Brüstung.

»Auf Wiedersehen – Angelique! schließe das Fenster – Vorsicht!«

Der kecke Sprung war dem gewandten Turner gelungen – er hatte sich wieder aufgerafft und glitt gebückt über den Rasen hin in der Richtung nach dem Meer – noch hörte er das leise Klingen des geschlossenen Fensters!

» Halte-là – qui vive?«

Es war der Anruf einer Schildwache – aber er wurde ziemlich leise getan.

Der Graf hatte den Griff eines Revolvers bereits in der Hand, aber er besann sich anders.

»Serrano!« sagte er, sich aufrichtend. »Kamerad – still, ich bitte Sie, machen Sie kein Lärmen. Ich bin ein Kavalier des Hofes, wie Sie aus dem Paßwort hören – ein Liebesabenteuer – ein Franzose verrät dergleichen nicht!«

»Ich dachte es mir fast,« sagte der Soldat. – »Es ist kein Unglück, Monsieur und nicht gegen die Instruktion. Aber es war ein verteufelter Sprung und Sie hätten Hals und Beine dabei brechen können.«

Er ging mit ihm einige Schritte über die Ecke des Schlosses hinaus.

»Können Sie mir vielleicht sagen, Monsieur, was das Schießen da drüben zu bedeuten hat? Ich hörte es schon mehrere Male trotz des Windes, und im Schloß scheint man es gleichfalls vernommen zu haben, da ich Lichter überall sehe. Deshalb kam ich auch von meinem Posten herüber.«

»Und es war die Ursach, Kamerad, daß ich mich Hals über Kopf aus dem Staube machen mußte. Aber es ist offenbar nichts anderes, als ein Gefecht der Douaniers mit den Schmugglern, wie sie deren alle Augenblicke an dieser Küste vorkommen. Und nun Kamerad – darf ich Ihres Schweigens sicher sein?«

Er reichte ihm seine Börse.

»Nein, Monsieur,« sagte die Schildwache – »ein französischer Soldat läßt sich nicht bestechen! ich werde schweigen auch ohne dies. Das ist eine Privatangelegenheit, und ich hoffe, daß mein Offizier mich nicht danach fragt. Aber hier muß ich umkehren – ich wünsche, Monsieur, daß Sie unentdeckt wieder ins Schloß gelangen, die kleine Dame wird sich genug ängstigen!«

»Dank, mein Braver!«

Der Graf drückte ihm die Hand. Er atmete tief auf, als der Soldat sich entfernte. Einige Schritte tat er noch, bis die Mauern ihn verbargen, dann schoß er mit eiligen Sprüngen tief gebückt über den Rasen nach der Balustrade am Strand; – in den Zimmern der Kaiserin war helles Licht, im großen Salon bewegten sich Personen eilig hin und her, wie er durch eine wahrscheinlich vom Winde aufgerissene Jalousie sehen konnte – auch in vielen oberen Fenstern war bereits Licht.

Der Graf lauschte einige Augenblicke vorsichtig, ob eine Schildwache in der Nähe sei, dann schwang er sich behend über das eiserne Gitter, das zur Nacht die Marmorstufen nach dem Strand hinunter abschließt.

Er ahmte den Schrei einer Möwe nach – als er es angstvoll horchend zum dritten Male tat, löste sich ein dunkler Körper von einem vorspringenden Pfeiler der Steinwand.

» Costà, Capitano!«

»Ah – Stephano – du bist's! – Wo ist das Boot?«

»Am Felsen dort – wir hielten es nicht für sicher, hier liegen zu bleiben. Aber sie haben Ihr Signal gehört, Seespinne hat das Ohr eines Fuchses! – da kommen sie. Soll Miguel Sie durch die Brandung tragen?«

Der Lastenträger war gleichfalls aus dem Versteck getreten.

»Es ist keine Zeit zu solchen Torheiten. Vorwärts. Wo ist der Strand passierbar?«

Der Schmuggler ging voran, der Kapitän folgte ihm, seine Waffen in die dicke Strouka bergend. Die heranströmenden Wogen schlugen ihm fast über den Kopf und hätten ihn umgeworfen, wenn die Riesengestalt des Schmugglers nicht wie ein Wellenbrecher vor ihm gestanden, bis sie das Gig erreicht hatten.

Miguel hielt es fest, bis der Kapitän und der Malteser eingestiegen, dann schwang er sich selbst hinein. Das kleine Fahrzeug schwankte von der gewaltigen Last und wurde von der Brandung aus und niedergeschleudert.

»An die Riemen, Bursche!«

Die vier Matrosen warfen sich auf die Ruder mit aller Kraft, Miguel hatte sich ohne weiteren Befehl wieder an das Steuer gesetzt und die Spitze des Boots gegen die heranbrausenden Wellen gerichtet. Aber es brauchte der ganzen Kraft der gewandten Seeleute, um dem furchtbaren Andrange zu widerstehen und sie zu durchschneiden. Nur die große Kenntnis des Lastträgers, der jeden Fußbreit, jeden Stein zu kennen schien, vermochte sie im Dunkel zwischen den Klippen hindurchzuführen, ohne daß das leichte Fahrzeug zerschmettert wurde.

Der Graf hatte von dem Augenblick an, als er die Abfahrt befohlen, nicht mehr gesprochen. Er saß, während das Spritzwasser sie bei jeder neuen Welle überschüttete, und Seespinne zu seinen Füßen mit einem blechernen Gefäß eifrig das übergeschlagene Wässer ausschöpfte, auf der Sternbank und schien in finsterm Nachdenken vertieft. Im bittern Groll Liber sich selbst nagte er mit den Zähnen an der Unterlippe.

Erst als sie die Brandung glücklich durchschnitten und in ein verhältnismäßig ruhigeres Wasser gekommen waren, brach er das Schweigen.

»Seespinne – junger Hund! merk' auf!«

Der mißgestaltete Knabe hielt sogleich mit seiner Arbeit inne.

»Hast du den Befehl ausgeführt, den ich dir gab?«

Der Kleine grinste höchst vergnügt, machte die Pantomime des Schwimmens und klatschte in die Hände.

»Er ist ein Teufel,« sagte der Malteser. »Wie ein Delphin schoß er davon mit dem Strick um seinen dürren Hals, und ich will kein Christ sein, wenn die hochmütigen Offiziere der Korvette diese Nacht sie auch nur fünf Faden weit bringen.«

»Gut – und dann?«

»Als die Satanskrabbe hier wieder zum Gig gekommen, machten wir uns nach Euer Excellenza Befehl hinter den Felsen, den Miguel San Martino nennt, obschon der Heilige sich hoffentlich im Himmel einen bessern Posten ausgesucht hat, als diesen Stein, an dem die Brandung Lobt, als wolle sie ihn aus dem Grunde reißen. Obschon wir im Lee des Felsens lagen, hatten wir doch nichts anderes zu tun, als fortwährend das Spritzwasser aus dem Kahn zu schöpfen, wenn wir nicht versinken wollten. So ging's, bis Euer Gnaden das Zeichen gaben.«

Der Kapitän murmelte etwas von Mißverständnis. »Weiter!« befahl er.

»Wir legten dann zum Ufer und Miguel zeigte die Stelle, wo wir Grund fanden. Wir warteten lange Zeit, aber da Euer Gnaden nichts hören ließen, wurde Miguel ungeduldig und wir stiegen in den Garten hinauf und schlichen nach dem Hause!«

»Schurken! so wart ihr die Ursach?«

»Ich bin kein Schurke,« murrte der Lastträger. »Sie haben kein Recht, mich zu schelten!«

»Das wollen wir sehen! Erzähle weiter – die Wahrheit, Mann, bei deinem Leben!«

» Diavolo – ich habe keinen Grund, sie zu verschweigen. Wir taten alles in der besten Absicht. Miguel kann nichts dafür, daß, als er neugierig durchs Fenster sah, eine Frau, die gerade mit dem Licht durch das große Zimmer ging, vor seiner Visage sich erschreckte und schreiend in Ohnmacht fiel.«

»Es war die Kaiserin!«

» Cospetto – Signore – Kaiserin oder Bettlerin, die Weibsleute sind alle schreckhafter Natur.«

»Ihr wißt nicht, was Ihr getan habt, Ihr Buben!« zürnte der Kapitän – »ich sollte Euch peitschen lassen für Eure Neugier und Euren Ungehorsam!«

»Peitschen – mich?« rief der Bearner. »Bei der heiligen Jungfrau, den möchte ich sehen, der Hand an mich zu legen wagte!«

»Ich!«

»Sie, Kapitän? – Sie wissen sehr gut, daß ich nicht zu Ihrer Mannschaft gehöre!«

Die Stirn des Spaniers zog sich in finstere Falten.

»Nimm dich in acht, Mann,« sagte er, »ich bin keiner, der Ungehorsam zu dulden gewohnt ist. Ich denke, du kennst mich!«

»Gewiß kenne ich Sie – mehr vielleicht, als Ihnen lieb ist!«

»Ha! – das erinnert mich, daß deine Zunge bei gewissen Gelegenheiten flinker ist, als dein Kopf zu sein scheint! Nochmals – hüte dich, Ungehorsam oder Verrat mich auch nur ahnen zu lassen! – Das Schießen wird stärker. Steuerbord, Mann – halte zwei Strich vom trou de Madame Ein Wirbel in der Nähe des alten Hafens. ab!«

Der Lastträger ließ die Ruderpinne fahren. »Wenn Sie mir nicht trauen, so steuern Sie selbst, ich bin es müde!«

»Gehorche, Bursche!«

»Nein!«

»Gehorche!«

»In drei Teufelsnamen, nein!« Die riesige Gestalt hatte sich erhoben trotz der Schwankungen des Kahns, es blieb zweifelhaft, ob der Mann nur mit einem der Ruderer den Platz tauschen, oder ob er sich zur Wehr setzen wollte.

»Zum drittenmal – gehorche!«

»Ich bin nicht Ihr Untergebener – ich will mir nicht befehlen lassen!«

Durch das Rauschen der Wogen knackte der Hahn eines Revolvers – aber der Lauf versagte.

»Sie wollen mich ermorden – eher …«

Der Riese, aufrechtstehend, hob die Faust.

»Nur den Fischen ihr Futter senden!« Diesmal krachte der Schuß.

Ob und wie die Kugel getroffen, konnte man nicht sehen, der Lastträger aber stürzte mit einem Fluch über den Rand des Boots, denn noch ehe der Spanier schoß, hatte der boshafte Zwerg, der auf dem Boden des Gig kauerte, die Füße des Schmugglers umklammert und sie ihm fortgezogen.

Erschrocken hielten die Ruderer bei dem Sturz ihres Gefährten inne und das Boot geriet in ein so heftiges Schwanken, daß nur die Geistesgegenwart des Kapitäns es vor dem Umschlagen rettete, der sich rasch auf die andere Seite warf und mit fester Hand alsdann die Steuerpinne ergriff.

»Eingesetzt, Männer! – Streicht aus!«

Der feste energische Befehl überwältigte die an den strengsten Gehorsam gewöhnte Mannschaft, die um so leichter über die Bluttat wegkam, da der Gefallene nicht ihr Schiffskamerad war. Ohne zu fragen, ob sie nicht versuchen sollten, ihm Hilfe zu leisten, setzten sie die Ruder wieder ein und ließen das leichte Boot über die Wogen fliegen, nur scheue Blicke nach der Stelle sendend, wo die athletische Gestalt verschwunden war.

Keine Spur derselben war mehr zu erblicken.

Wir haben schon früher bemerkt, daß die Küste des Plateaus, an der der berühmte Badeort liegt, eine vielfach gewundene ist und aus zwei tiefen Hauptbuchtungen besteht, während ein hoher und breiter Vorsprung, auf dessen nördlicher Höhe die Kirche, auf dessen südlicher Wendung der Telegraph steht, verhindert, von einer Bucht die andere zu sehen, so daß also, was in der südlichen Bucht an der Côte Basque vorgeht, unmöglich in der Gegend der kaiserlichen Villa beobachtet werden kann.

Die eben erzählte Tat war etwa auf der Höhe der Kirche geschehen, nicht allzu entfernt vom Ufer, und die feste Hand des Kapitäns hielt das Boot jetzt so weit von der felsigen Küste ab, als es die gefährlichen Stellen des Rocher de Cuirton und des Trou de Madame nötig machten, da er des Fahrwassers doch keineswegs so genau kundig war, wie der eingeborene Lotse, der eben verunglückt war.

Es gehörte übrigens alle Kraft, Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit geübter Seeleute dazu, dem gewaltigen Wogenschwall des unter den Schiffern aller Nationen so berüchtigten und gefürchteten biskaischen Meerbusens Trotz zu bieten. Die Mannschaft arbeitete für ihr Leben und glaubte nicht anders, als daß das Gig auf geradem Weg zur Jacht zurückkehren sollte. Uni so mehr war sie erstaunt, als sie endlich bemerkte, daß nach Passierung der gefährlichsten Stellen das Boot zurück nach der Küste lenkte.

Als das Gig um den Ufervorsprung kam, auf welchem die früher erwähnte Telegraphenstation sich befindet, hatte man die ganze Buchtung der baskischen Seite vor sich, welche im Süden die Küste von Biskaya und Asturien begrenzt.

An der Pinne des Ruders sich haltend, erhob sich der junge Kapitän der Jacht und beobachtete, wenn die Wogen das leichte Boot auf ihre Kämme hoben, die dunkle Fläche.

» Pardios! sie sind noch immer daran! Ich sehe deutlich das Feuern. Es kommt aus der Gegend der pierre gibeon – John hat sich sicher mit den Douaniers verbissen und will ihnen nicht weichen! Es ist seine Art! aber ich fürchte, sie werden diesmal zu stark für ihn sein und er täte besser, Fersengeld zu geben.«

»Werden wir ihnen nicht zu Hilfe kommen, Signor Capitano?« fragte der Malteser, der, als einer der ältesten, sich eine Freiheit herausnehmen durfte.

»Nein, Mann – ich denke, wir haben genug für diese Nacht!«

»Aber Euer Excellenca verfehlen die Richtung der Jacht. Die ›Victory‹ liegt dort hinaus!«

»Dummkopf! als ob ich das nicht so gut wüßte wie du! Siehst du dort das blaue Licht?«

»In der Casa? – Aber Excellenca werden doch nicht daran denken, bei diesem Wogenschwall den Höllenspalt zu passieren!«

»Hast du Angst?«

»Das nicht, Signor – aber ich dachte nur, daß außer Meister John mit seinem einen Auge nur noch Miguel ein Boot hineinzulotsen verstände, und Miguel …«

Er schüttelte sich.

» Carracho! dann sollst du die Erfahrung machen, daß ich es ebenso gut kann, wie die Einäugigen! Aber ich wette zehn gegen eins, daß einer von ihnen bereits den Fanghunden der Steuer entwischt und uns zuvorgekommen ist. Faßt die Ruder fest, Bursche, denn in wenig Minuten sind wir in der Brandung und ein falscher Schlag führt euch alle zur Hölle.«

Es herrschte eine tiefe Stille in dem kleinen Boot, als dasselbe jetzt auf den weitgedehnten Wogen gegen die hohe Felsenwand heranschoß, die sich wie eine ungeheure dunkle Masse vor ihnen aus dem Schaum und Gischt erhob.

Es erleichterte offenbar den vier Ruderern das Herz, daß sie mit dem Rücken gegen das furchtbare Ziel saßen, dem sie zueilten und höchstens ihre Blicke auf die Gestalt ihres mutigen jungen Kapitäns richten konnten, der mit fest gespreizten Füßen im Hinterteil des Bootes stand, so die Fläche vor sich übersehend, während er sich an der niedern Steuerpinne selbst festhielt, das Auge unverwandt auf das blaue Licht geheftet, das in einem Hause auf der Höhe leuchtete; – er hätte sehr genau selbst die Stelle des Zimmers angeben können.

Sie waren etwa noch hundert Faden weit von der Felsenwand entfernt. Das Feuern an dem Gibeon-Stein hatte merklich nachgelassen, nur hin und wieder noch, sich immer weiter nach der Höhe der Reede zu entfernend, klang ein Schuß.

Alle hatten nur Aufmerksamkeit für den furchtbaren Weg, der ihnen bevorstand.

Plötzlich kam von Süden her quer die Wellen durchschneidend, ein großes Boot auf sie zu und ein Anruf erscholl durch das Brausen der Wogen.

»Halt, Schurken! ergebt euch!«

Der Graf warf einen Blick zur Seite – dann wandte er wieder alle Aufmerksamkeit dem Steuer zu.

»Ihr fallt uns nicht länger narren! Legt bei, Schufte, oder wir feuern!« klang nochmals die Stimme.

Das Gig schoß jetzt mit den Wellen der äußeren Brandung dahin. »Nieder Männer – nieder auf eure Riemen!« befahl der Kapitän – »zwei Schläge Backbord – auf mit den Rudern!«

»Feuert auf sie!«

Vier Gewehre krachten hinter ihnen – die große Barke der Douaniers war in ihrem Fahrwasser, etwa fünf Faden entfernt.

Don Juan zuckte zusammen, als die Flintenkugeln um ihn her zischten – aber er drehte sich nicht um.

»Ich kenne die Stimme,« murmelte er – »es tut mir leid um ihn, aber wir oder sie!«

Brausender Gischt und Schaum flog rings an ihnen vorüber, war vor ihnen, hinter ihnen – das Brüllen der an zehn, zwanzig hervorragenden Felsen sich brechenden Wellen war jetzt so furchtbar, daß kein Befehl mehr hörbar gewesen wäre.

Der junge Seemann – denn ein solcher vom tüchtigsten Schlage mußte er unbedingt sein, da er in dieser Gefahr seine volle Kaltblütigkeit bewahrte, – hielt unverrückt sein Auge und die Spitze des Boots in gerader Linie auf das blaue Licht gerichtet.

Noch ein Schuß fiel von der verfolgenden Barke der Douaniers, dann wurde das Feuer eingestellt.

»Die Narren,« murmelte der Kapitän – »sie glauben, noch wenden zu können, aber sie haben sich zu weit vorgewagt – die Flut reißt sie fort. Kannst du etwas sehen von unsern Verfolgern, Stephano?«

So nah und kräftig die Frage getan wurde, das Tosen der Brandung war zu gewaltig, um sie verstehen zu können.

Aber es bedurfte der Antwort nicht, um ihn das Schicksal der Unglücklichen wissen zu lassen.

Die Matrosen hatten jetzt die Ruder eingezogen – der Malteser schlug ein Kreuz – die anderen klammerten sich an die Planken, einer oder zwei der wilden, kein menschliches Gesetz achtenden Gesellen murmelten ein Gebet. Der kleine bucklige Knabe war schon während der Fahrt auf des Kapitäns Befehl zwischen ihnen hindurch in die Spitze des Boots gekrochen, damit sein Herr geräumiger den Fuß stemmen konnte. Dort hockte er wie ein Affe, mit den Händen klatschend, wenn eine der an den Steinen sich brechenden Wellen ihn mit einer Flut von Spritzwasser begoß, die auszuschöpfen dann sein Geschäft war.

Das Boot schoß jetzt in einem förmlichen Gange von Felsen und Steinen vorwärts, die rechts und links aus dem Wasser ragten, und die nur der Gischt der brechenden Wogen bezeichnete, die sich mit furchtbarer Gewalt in diesen Weg stürzten. Don Juan wußte, daß jetzt der entscheidende Moment gekommen war.

Die Dunkelheit in der Nähe der gigantisch emporsteigenden Uferwand war tiefer und dichter als draußen auf dem Meer, nur der phosphorartige weiße Schein der brechenden Wellen war sichtbar.

Jetzt – –

Der kühne Steuermann hielt kniend mit beiden Händen die Pinne des Steuers gefaßt, den Kopf hinten übergebogen die Augen fest auf das blaue Licht in der Höhe gerichtet – –

In dem Augenblick, wo es verschwand, oder vielmehr von dem obern Rande der Felswand ihm verdeckt wurde, warf er mit aller Kraft das Steuer backbord.

Der Stoß erschütterte so gewaltig das kleine Boot, daß seine Planken auseinander zu gehen schienen und die Männer sich krampfhaft festhielten. Aber es war vortrefflich und sehr stark gebaut und das kleine Steuerruder so fest eingesetzt, daß im Augenblick das kleine Fahrzeug seine Schuldigkeit tat, die Spitze sich rechts wendete und das Gig in eine Seitenströmung hinein trieb.

Kaum zwanzig Schritte weiter befanden sich die kühnen Schiffer in einem niedern finstern Gewölbe, das ihnen fast auf den Köpfen zu ruhen schien. Aber bevor sie noch dahin gelangten, gellte ein entsetzlicher, furchtbarer Aufschrei – der Todesschrei von zehn Menschen durch das Donnern der Brandung in ihre Ohren.

Jeder wußte, was dieser Schrei zu bedeuten hatte, daß das Boot ihrer Verfolger – zu spät die Gefahr erkennend, und ohne Macht, sich ihr noch zu entziehen –, unbekannt mit dem Wege, der sie selbst dem Verderben entzogen, gegen den Felsen gerannt und in hundert Stücke zersplittert war.

Doch blieb jetzt keine Zeit, an fremdes Verderben oder an die eigene Rettung zu denken, wo es nur galt, alle Kraft und Aufmerksamkeit aufzubieten.

Der Strom, der sie forttrug, hatte sofort bei seinem Eintritt unter die Felswand an Heftigkeit verloren und bog in einer Windung zu einem zweiten Ausgang zurück. Der Kapitän tat einen grellen Pfiff auf dem Finger und sogleich blitzte im Hintergrund ein Licht auf, dem bald der Schein einer Fackel folgte. Nun konnte man eine Art kleinen Bassins mit fast ruhigem Wasser erkennen, in dem bereits zwei andere Boote lagen, und zwischen diese trieb der kühne und gewandte Steuermann das Gig, bis es auf dem knirschenden Sand des Bodens fest lag.

Es war eine ziemlich hohe und geräumige unterirdische Wölbung des Felsens, die wahrscheinlich der Andrang des Meeres seit Jahrtausenden ausgewaschen, und deren niederer Eingang selbst während der Ebbe von dem Wasser gesperrt blieb, so daß niemand, der nicht mit dem Geheimnis vertraut war, auf den Gedanken kommen konnte, hier etwas mehr zu suchen, als eines jener kurzen Felsenlöcher, wie deren sich hunderte, an der Küste entlang, von den Wellen ausgewaschen, befinden.

Auf dem Sand und Kiesboden, der das kleine Wasserbecken umgab, stand eine Gruppe von Männern, deren Aussehen in dieser unheimlichen Umgebung und im roten Schein der Fackel noch wilder und verwegener erschien, als es ohnehin schon war. Kühne, trotzige, wettergebräunte Gesichter – Augen, denen Verwegenheit und Schlauheit funkelten –, sehnige Gestalten in bunt zusammengewürfelter Tracht, bewaffnet mit Pistolen im Gürtel und den gefürchteten langen katalonischen Messern, sieben an der Zahl, darunter die beiden Männer von der Barkasse der »Victory«: der Rotkopf, ein wilder, verwegen ausschauender Irländer und Rafael, der Portugiese, begrüßten die Ankommenden.

» Per todos los Santos y Don Ramon!« Don Ramon Maria Narvaez, Herzog von Valencia! Es ist charakteristisch, daß die spanischen Schmuggler den berühmten Ministerpräsidenten, der die Karlisten besiegte und mehrfach das Schicksal Spaniens lenkte, als ihren Patron betrachten. sagte ein kräftiger Mann in breiter baskischer Mundart – »Sie können von Glück sagen, Caballeros, daß Sie bei solcher See glücklich durch den Höllenspalt gekommen sind. Es hätte nicht viel gefehlt, so wären wir samt und sonders zerschellt worden, als wäre unser Boot nicht besser gewesen, wie die Schale eines Möwen-Eis. Steigen Sie aus, Señor!«

Der Sprecher wollte dem Kapitän die Hand reichen, fuhr jedoch erschrocken zurück, als zuerst der bucklige Knabe, der im Bug wie ein Bündel Ware gekauert, empor und auf den Sand sprang, wie ein Irwisch hin- und herfuhr und mit Armen und Beinen fechtend das Seewasser von sich schüttelte. Obschon der Baske den verkrüppelten Burschen nicht zum erstenmal sah, betrachtete er ihn doch noch immer mit einer gewissen abergläubischen Scheu, die wenigstens eine Art von Kobold oder bösem Blick in ihm witterte und ihn seine Nähe meiden ließ.

»Die heilige Jungfrau steh uns bei vor der verdammten Teufelskrabbe,« murmelte er. »Wenn diese dabei war, wundert's mich nicht, daß wir schlimmes Wetter hatten! Ich begreife nicht, Señor, wie Ihr Euch mit dem Hexenbalg befassen mögt!«

»Bah! er ist ein guter Diener und kennt meine Bedürfnisse,« sagte der junge Kapitän, der unterdes den Kahn verlassen hatte. »Seid Ihr schon lange hier, Señor Don Rodriguez?«

»Noch keine Viertelstunde, Kapitän. Die Douanen hetzten uns und waren dicht hinter unserer Barke, als sie unsere Spur verloren.«

»Und das Gefecht?«

»Wir haben einen Mann verloren, dem eine Kugel durch den Kopf ging. Sie mußten Wind von unserer Absicht haben, denn ihre Boote kamen von allen Seiten herbei, wie die Haifische, wenn sie einen Köder wittern. Wir hatten Mühe, uns ihrer zu erwehren, und um die Expedition wenigstens nicht ganz vergeblich sein zu lassen, brachten wir eine Ladung Saffian und Seidenzeuge in die Höhle.«

»Und Kapitän Jones?«

»Er ist mit uns und bringt eben die Ballen aufs Lager. Ihr Stewart erwartete uns mit diesen beiden Burschen. Sie legen die Güter in die Gewölbe.«

»Gut, Leutnant Rodriguez. Aber Sie müssen in einer Stunde wieder in See, denn es ist nötig, daß Sie vor Sonnenaufgang unter Segel sind nach der baskischen Küste.«

»Kapitän Jones hat mich schon benachrichtigt. Es hat keine Schwierigkeit, durch den südlichen Ausgang zu entkommen, sobald nur erst die Boote der Douaniers das Feld geräumt. Haben Sie nichts von ihnen gesehen?«

»Gesehen und gehört – aber kein menschliches Auge wird viele von ihnen lebendig wiederschauen!«

» Quien sabe!«

»Was ich sage, ist Wahrheit. Das Boot des Offiziers – ich erkannte den armen Burschen an der Stimme, mit der er uns befahl, uns zu ergeben – folgte uns bis in die passage d'enfer und ist an den Felsen zugrunde gegangen. Aber was treibt dort dunkles auf dem Strom?«

Er unterbrach seine Rede und wies auf einen formlosen Gegenstand, der mit dem Strom durch das dunkle niedere Felsentor hereingetrieben schien, und – nur undeutlich in dem Licht der Fackel erkennbar – an der Buchtung vorüberschwamm.

» Caracho! es ist ein Mensch, ein Spion!«

Im Nu waren ein halbes Dutzend Pistolen und Flinten auf den Punkt gerichtet.

»Halt!« donnerte die mächtige Stimme des Anführers – »das Unglück ist heilig! – ins Wasser, Seespinne, und bring ihn hierher!«

Er hatte den Knaben mit beiden Händen an Arm und Bein gefaßt und warf ihn kopfüber in die dunkle Flut. Wie ein Delphin schoß der Bursche unter dem Wasserspiegel vorwärts.

Ehe die Zuschauer der seltsamen Szene noch ihre Meinung austauschen konnten, kam der Wasserkobold zurückgeschwommen und trieb vor sich her eine leichte Planke, um die krampfhaft der Arm eines menschlichen Wesens geklammert war. Als die Gruppe in den Bereich des Fackelscheins trat, tauchte ein totenbleiches Gesicht mit schwarzem Bart und Haar aus den dunklen Wellen, schwommen die Schöße der verhaßten Uniform der Douaniers auf dem Wasser.

Don Juan war teilnahmvoll näher getreten – er hatte aber kaum dies blasse Gesicht erblickt, als er erschrocken zurückprallte.

» A todos los demonios!« fluchte er, »es ist, wie ich fürchtete! – es ist der junge Offizier – und es scheint noch Leben in ihm! – bringt ihn aufs Trockne und seht, ob er verletzt ist!«

Mehrere der Schmuggler gehorchten und hoben den Körper aus dem Wasser und legten ihn auf den Boden, während Don Juan vorsichtig zurücktrat und sein Gesicht in die Strouka hüllte.

»Der Kerl hat den Arm gebrochen und ist am Kopf hart beschädigt,« sagte der Leutnant der Felucke. »Es ist ein Wunder, daß er noch so davongekommen ist aus dem Strudel, der ihn an die Felsen geworfen! Es ist wahrhaftig noch Leben in ihm. Caramba – ich meine, es wäre das beste, man hätte ihn gelassen, wo er war.«

»Dem ist leicht abzuhelfen, Señor Teniente,« sagte ein großer brauner Kerl mit wilder Miene, »wir brauchen ihn bloß wieder dahin zurückschwimmen zu lassen, woher ihn die Teufelskrabbe geholt hat. Sterben muß er doch, auch wenn es nicht an den Wunden da geschehen sollte; denn keiner, der den Schwur nicht geleistet und unser Geheimnis kennt, darf am Leben bleiben. Also ins Wasser mit ihm!«

»Aber Kapitän Waterford – –«

»Zum Henker mit ihm – er hat uns nichts zu sagen, wenn El Tuerto das Kommando führt!«

»Meinst du, Bursche?« fragte eine Stimme hinter ihm, bei deren Klang der wilde Schmuggler unwillkürlich erbebte. »El Tuerto, sag' ich dir, ist mit dem Kapitän der Victory stets einer Meinung, und ich wollte dir nicht raten, etwas gegen seinen Willen zu tun, denn seine Hand ist so rasch, wie die meine!«

Der Mann, der gesprochen, war während jener unzufriedenen Worte des Schmugglers hinzugetreten.

Alle kannten den Klang dieser Stimme – es war die des Mannes von der Victory, der zugleich Kapitän der Felucke San Martino war, wenn er oder andere es für gut fanden, daß er mit dieser segelte und ihre Geschäfte nicht, wie häufig geschah, seinem ersten Leutnant Rodriguez überließ.

Wir haben bereits bei dem ersten Auftreten dieses Mannes, als er mit der Barkasse der Victory am alten Hafen landete, gesagt, daß er einäugig war und daß dieser Umstand dem Kapitän des berüchtigten Schmugglerschiffs den Beinamen El Tuerto verschafft hatte.

Sein Verhältnis zu der Mannschaft der Felucke war übrigens ein ganz anderes, als das zu der Mannschaft der Victory, die gewohnt schien – wenn er an ihrem Bord war und dort das Amt eines ersten Steuermanns und Vertrauten des jungen Besitzers übernahm –, ihn mehr als einen vorgesetzten Kameraden zu betrachten, der ebenso gut wie sie einen Herrn über sich hatte, während die spanische Bemannung der Felucke ihm unbedingt als ihrem Kapitän zu gehorchen hatte.

Daß im ganzen das Verhältnis des Mannes zu dem Herrn der Jacht immer etwas Rätselhaftes, Ungewöhnliches behielt, ja mit einem gewissen Geheimnis umkleidet war, ließ sich nicht leugnen, hatte aber vielleicht gerade einen Reiz für diese wilden leidenschaftlichen Naturen, die das Geheimnisvolle lieben.

Das Äußere des Einäugigen hatte sich nur dadurch verändert, daß er jetzt über der Seemannsjacke einen kurzen wasserdichten Rock und im Gürtel offen ein paar Pistolen trug, während am Gelenk seiner rechten Hand mittels einer Lederschnur ein scharfer glänzender Tomahawk hing.

Ohne sich weiter um den gehörten Widerspruch zu bekümmern, wies er bloß auf den noch immer bewußtlosen Douanen-Offizier.

»Kapitän Waterford,« sagte er streng, »wünscht, daß dem Mann hier kein Leid zugefügt werde, nachdem die Wut des Meeres selbst sein Leben verschont hat. Bringt ihn in das zweite Gewölbe und reibt ihm die Schläfe. Du, José, Bartfolo und der Calvo, Kahlkopf. er versteht sich am besten auf Wunden und Verletzungen, und es ist besser für alle Fälle, daß der Mann hier nicht die Leute von der Victory sieht!«

Die vier Matrosen der Jacht, welche das Boot gerudert, hatten sich seit der Landung überhaupt ziemlich teilnahmlos verhalten. Obschon die furchtbare Gefahr, die sie eben bestanden hatten, ihre Gedanken von der blutigen Tat abgewendet, der sie beigewohnt, mochte die Erinnerung daran doch jetzt zurückkehren und sie von dem gewöhnlichen lärmenden Verkehr mit ihren Gefährten von dem Schmugglerschiff abhalten. Sie sahen mit ziemlich scheuen Blicken nach dem Platz, auf den sich ihr junger Kapitän zurückgezogen hatte, als der Körper des Douanenoffiziers aus dem Wasser gehoben wurde – aber die Stelle war längst leer und Don Juan verschwunden, noch bevor der Einäugige unter die Wölbung getreten war.

Dies schien sie etwas zu erleichtern, und sie begannen mit einander zu sprechen, als Mauro, der Stewart, aus dem Dunkel, in das sich das Gewölbe verlor, hastig hervorkam, zu ihnen trat und ihnen einen Befehl zuflüsterte. Dieser hatte offenbar auf den Gegenstand, von dem sie redeten, Bezug, denn sogleich endete ihr Gespräch und sie folgten ihm nach dem andern Ende der Höhle.

Der Einäugige befahl jetzt seiner Mannschaft, das Boot der Felucke instand zu setzen und zu beladen. Dies geschah in aller Ordnung mit französischen Fabrikaten, deren Einfuhr, seitdem auch in den baskischen Provinzen gewaltsam das Zollsystem eingeführt worden, mit hohen Steuern belegt ist.

Es zeigte sich jetzt, daß diese unterirdischen Wölbungen, anfänglich durch die Natur geformt und später durch die Arbeit von Menschenhänden erweitert und zugänglich gemacht, zu einem förmlichen Warenlager für den systematischen Betrieb des Schmuggels sowohl nach der französischen als spanischen Seite eingerichtet waren.

An die Höhle am Wasser, deren Eingang durch das Meer geschlossen war, stieß ein zweiter ähnlicher, nur größerer und höherer Raum, der mit mehreren Kammern in Verbindung stand, welche für die Aufbewahrung der verschiedenen Waren und Vorräte benutzt wurden. Der Boden der zweiten Höhle und der Kammern war so hoch über der Meeresfläche, daß selbst die höchsten Sturmfluten ihn nicht überschwemmen konnten, Waren und Menschen also vollkommen sicher waren. Verborgene Ritzen und Spalten in dem mächtigen Felsenbau gewährten eine hinreichende Ventilation, und so wurde es möglich, daß die Schmuggler, wenn sie in Gefahr waren, sich oft mehrere Tage lang in den Felsenhöhlen verbergen konnten.

Keiner der lebenden Mitglieder der Contrabandista, jener geheimen Gesellschaft, die noch in den fünfziger Jahren über ganz Spanien und die französischen Küsten verbreitet war, wußte genau zu sagen, wann jener geheime Stollen getrieben worden war, der die Verbindung zwischen den Räumen in der Tiefe der Felsen und dem oberen Plateau vermittelte.

Es ließ sich eben nur annehmen, daß wahrscheinlich schon in früheren Jahrhunderten die unterirdischen Höhlen von kühnen Fischern entdeckt und vielleicht schon in den Religionskriegen benutzt worden waren zum Versteck Verfolgter. Der Gedanke eines geheimen Zugangs von dem Plateau der Küste hatte dann sehr nahe gelegen und war zum Zweck der Umgehung der früher noch strengeren Zollgesetze gebaut worden.

Nach Verlauf von etwa einer Stunde war das Boot der Felucke unter der Aufsicht ihres Leutnants beladen, der genaue Kontrolle und Notiz über die eingeladenen Gegenstände führte.

Der Kapitän der Felucke war ab- und zugegangen, um zur Eile anzutreiben. Wenn er in die größere, von zwei oder drei mit Wachskerzen besetzten schönen Girandolen erhellte Halle trat, aus der die Waren herausgeholt wurden, wendete er sich stets zu einer der Seitennischen, die durch einen schweren Vorhang geschlossen war.

Diese war hell erleuchtet, und in ihr saß an einem mit verschiedenen Sachen bedeckten Tisch ein Mann und schrieb.

Dieser Mann war der Graf von Lerida, der Eigentümer der Jacht.

»Das Boot ist beladen, Mylord.«

»Gut, Jones, und hier sind die Briefe. Ich will sie nur noch siegeln. In anderthalb Stunden kannst du an Bord deines Schiffes sein, in einer weitern halben Stunde die Anker gelichtet haben. Der Wind ist günstig und morgen Mittag kreuzest du die Reede von San Sebastian.«

»Und der Montgomery!«

»Sobald du an Bord gekommen, läßt du drei blaue Raketen steigen – Kapitän Clinton kennt das Signal und weiß, wohin er sich zu wenden hat.«

»Und Sie, Mylord?«

»Ich bleibe hier und denke den Rest der Nacht in dem Arm Margarittas zu verschlafen!«

»Mylord Juan,« sagte sein Namensvetter, »das ist mehr als Tollkühnheit, das ist Übermut und Herausforderung der Gefahr. Ich weiß zwar im Grunde nicht, was eigentlich Ihre Absicht war, und begnüge mich, zu gehorchen. Aber so viel haben mir die getroffenen Anstalten doch gezeigt, daß es ein wichtiges Unternehmen war, das uns anscheinend mißglückt ist. In einem solchen Fall gibt es leicht schlimme Folgen, und bedenken Sie, wenn irgendein Zufall auf Ihre Spur führte.«

»Der Graf von Lerida bürgt für den Schmuggler! Aber nicht – –« der Einäugige hielt inne.

»Was meinst du? heraus damit!«

»Mylord – die Leute munkeln von einer schlimmen Tat! Ihre Hand war zu rasch!«

» Goddam! Du willst sagen, daß ich den Verräter Miguel niederschoß?«

»Sie sagen es. – Ich fürchte, die Tat kann schlimme Folgen haben – er ist aus dem Ort und man wird ihn vermissen!«

»Er war ein Verräter und wagte es, sich aufzulehnen!«

»Das alles ändert den Umstand nicht, daß sein Tod Nachfragen veranlassen kann. Die See kann seinen Leichnam ans Ufer spülen.«

»Dann heißt es, daß er bei dem Schmugglergefecht ertrunken oder erschossen ist. In Wahrheit, Jones, er war der einzige, den ich wegen des Mißlingens dieses Abends zu fürchten hatte. Aber genug davon. Du weißt, wo ihr die Waffenladung zu landen habt. Die Consignements sind bereits in den Händen der Besteller. Hier ist ein Beutel mit hundert Dublonen zur Löhnung der Mannschaft und zu den Schiffskosten für zwei Monate. So lange denke ich fortzubleiben.«

»Sie kehren nach England zurück?«

»Nein – ich gehe nach Madrid. Die Victory wird mich in Cadix erwarten, um mich nach Italien zu bringen! Von Cadix erhältst du Nachricht. Bis dahin habt ihr Erlaubnis, den Schmuggel auf eigene Rechnung zu treiben, und es wird gut sein, wenn man an diesen Küsten einiges von El Tuerto hört!«

Der Schmugglerkapitän lachte.

»Das Possenspiel dauert nun länger als zwei Jahr und selbst die Rotte Galgenstricke von San Martino schwört darauf; aber die Spanier haben ein Sprüchwort: tantas veces váel cántaro à la fuente usw., und ich fürchte, unser Krug wird auch einmal brechen!«

»Laß es – die Welt ist weit und drüben über dem Ozean bereiten sich Dinge vor, wo Männer wie du und ich immer Beschäftigung finden, selbst wenn das eilte Europa einschlafen sollte, wozu in diesem Augenblick wenig Aussicht ist, da es an allen Enden glimmt und brennt. Master Clinton wird nicht unzufrieden sein, wieder nach New-Orleans zu kommen, da man ihn dort sicher braucht. Ich hoffte, es würde sich alles anders wenden und ich hätte die Fäden in meiner Hand! Aber mein verdammter Leichtsinn – – bah! – was verfahren ist, läßt sich nicht ändern! – Diesen Brief an Seine Gnaden den Bischof von Tarragona übergib unserem Agenten in Irun, daß er ihn rasch besorgt. Hier ist die Vollmacht für Plymouth, um neue Ladung zu erhalten, und diese Zeilen gib im Vorbeifahren an der Jacht Master Kroxbridge, dessen Stelle du zuweilen einnimmst, zum Schaden seines ehrlichen Rufs und zu seinem bittern Ärger, und empfiehl ihm, kleine Heizung zu unterhalten, so daß der Dampf nicht auffällt und auf den Nebel oder die Schiffsküche geschrieben werden kann. Es wäre doch möglich, daß ich gezwungen wäre, Fersengeld zu geben, obschon eine dreiste Stirn viel vermag, wie ich erst gestern wieder gesehen habe.«

»Mylord,« sagte der Alte mit wirklicher Herzlichkeit, – »Sie sollten sich nicht mutwillig in all' diese Gefahren stürzen, und dies tolle Leben aufgeben!«

»Du hast ein schlechtes Gedächtnis für deine eigene Jugend und vergißt, daß ich sie aus mancher Erzählung meines Oheims kenne. Die spanischen Sierras wissen so gut davon zu erzählen, als der Epirus, die westindischen Inseln und die Küste von Guinea.«

»Verdammt, es ist wahr, daß ich in meiner Jugend ein wenig von allem war, Schmuggler, Soldat und, wenn Sie's so nennen wollen, Korsar. Aber ich habe mich wenigstens vor den Weibern gehütet und die werden Sie zugrunde richten! Die Juden, die Pfaffen und die Weibsleute, das sind die drei Plagen, die der Herrgott für alle ehrlichen Bursche auf die Welt gesetzt.«

Der Graf lachte. »Was wären wir ohne die drei – die einen liefern das Geld, die andern die Intrige und die dritten das Vergnügen! ohne das wäre alles Leben schal! Aber nun –« er sah nach der Uhr – »ist es Zeit, daß du dich fort machst, die Douaniers müssen längst das Feld geräumt haben! A propos – bei den Duanen fällt mir unser Schiffbrüchiger ein. Wie steht's mit ihm?«

»Mylord,« sagte der Schmuggler ernst – »ich glaube, Ihr guter Wille hat Ihnen da einmal wieder einen schlimmen Streich gespielt. Sie hätten den Mann lassen sollen, wo ihn die Hand Gottes in seinem Beruf getroffen. Ich machte mir in meiner Jugend auch nicht viel aus einem Menschenleben, weil ich eben bereit war, auch jeden Augenblick das meine einzusetzen. Indes – jetzt – gerade heraus, wäre es kaltblütiger Mord!«

»Wie meinst du das?«

»Der Douanenoffizier ist infolge der von Ihnen befohlenen Bemühungen wieder zum Leben, zum Bewußtsein gekommen. Es ist natürlich, daß der Ort, wo er sich sieht, seine höchste Aufmerksamkeit erregt, – unmöglich, daß er nicht Mitwisser unseres Geheimnisses wird, ja, er ist es schon, da er Zeuge geworden von dem Transport der Waren. Sie kennen unser Gesetz – nur wer den Eid des Schweigens geleistet, darf lebend Mitwisser des Geheimnisses dieser Höhlen sein. – Er muß sterben – und – Mylord – wenn er im Kampf gegen uns eine Kugel erhalten hätte, wäre er auf dem Schlachtfeld seines Berufs gefallen – jetzt –«

Der Graf sah ihn streng an. »Jetzt – was glaubst du, das geschehen wird?«

»Mylord – Sie sind jung – Ihre Hand ist rasch – der Tod des Miguel – –«

»Ich habe dir gesagt, daß der Schuft das beschworne Schweigen gebrochen, gleichgültig gegen wen! – daß er es wagte, mir zu drohen!«

Der Einäugige zuckte die Achseln. »Sie sind Herr Ihrer Handlungen, Mylord. Was ich sage, ist nichts als eine Warnung für spätere Stunden. Was kümmert im Grunde mich ein Douanier – der Teufel hole sie alle, die das Recht der Menschen auf Handel und Verkehr mit Füßen treten. Haben Sie noch einen Befehl zu geben, Mylord? Die Ebbe ist eingetreten!«

Der Graf stand an den Tisch gelehnt – er streckte ihm die Hand entgegen.

»Gehst du so von mir, John, mein alter Freund und Lehrmeister?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich's tue, Sir Juan! Ich habe so oft mit meinem Namen für Ihre Tollheiten herhalten müssen, daß es gleichgültig ist, ob eine schlimme Tat mehr oder weniger auf mein Konto kommt! Nur um Sie bin ich in Sorge, Mylord – den ich liebe wie meinen Sohn – und wenn Gefahr in der Luft ist, schicken Sie den wahren John Waterford nicht weg, ich bitte Sie darum!«

Ein sonniges Lächeln lag auf dem Gesicht des Abenteurers bei diesem Ausdruck treuer Anhänglichkeit. Er drückte dem alten rauhen Seemann herzlich die Hand.

»Geh unbesorgt, Alter, – Juan Lerida schwimmt auf den Wogen, nicht unter ihnen. Wenn wir uns wiedersehen, sollst du zufrieden mit mir, und wenn ich dich nötig habe, sollst du bei mir sein!«

Der alte Seewolf schüttelte die gereichte Hand, dann – wie, um sich selbst zu beruhigen, ließ er einen unter den Seefahrern des Südens üblichen Ruf des Alarms und der Aufmunterung ertönen, und verließ die Kammer.

Man hörte ihn draußen noch einige Befehle geben, und dann verklang seine rauhe Stimme in dem vorderen Raum.

Das wohl beladene und bemannte Boot des San Martino verließ das Gewölbe durch das zweite niedere Felsentor, durch welches das einströmende Wasser seinen Abfluß hatte.

Der Graf stand einige Minuten in tiefem Sinnen da – endlich, nachdem das Geräusch der Abfahrt längst verklungen, raffte er sich auf aus diesen Gedanken und schlug mit der Klinge eines Dolchs an eine Bronzeglocke, die auf dem Tisch stand.

Im nächsten Augenblick stand Mauro, der Stewart, der Neffe des smyrniotischen Banditenchefs Jan Katarchi, vor ihm.

»Sind die Leute des San Martino fort?«

»Ja, Excellenca!«

»Wer ist im Gewölbe?«

»Der Portugiese und der Malteser mit der Seespinne.«

»Und der Douanier?«

»Er ist verbunden, so gut als möglich, und besteht darauf, zu wissen, was sein Schicksal sei.«

»Der Tor! – als ob das einer von sich überhaupt wissen könnte! Aber wir müssen zu einem Ende kommen damit. – Er selbst soll über sein Schicksal entscheiden. Nimm die beiden mit zu den anderen in die vordere Höhle und laßt mich allein mit ihm!«

Der Grieche verschwand. Der Graf trat an einen kleinen Schrank, der an der Felswand angebracht war, und beschäftigte sich dort kurze Zeit.

Als er jetzt den Vorhang hob, war er ein verwandelter Mann! – – –

Der Douanenoffizier hatte sich auf der Matratze, auf welcher die Menschlichkeit der Schmuggler ihn gebettet, auf den gesunden Arm gestützt – es war das einzige Glied, das er ohne Schmerzen bewegen konnte, so zerschlagen und zerstoßen war der ganze Körper von dem furchtbaren Anprall an die Felsen.

»Leutnant Dalbond!«

»Was wollen Sie von mir?«

»Sie wissen, wo Sie sich befinden?«

»Es wäre töricht, es zu leugnen. Ich bin in dem Versteck der Contrabandisti, das wir so lange vergeblich gesucht!«

»Und wer denken Sie, das vor ihnen steht?«

»El Tuerto – der Schmugglerchef,« sagte mutig der junge Mann. »Aber glauben Sie nicht, daß ich den Tod fürchte, der mir bevorsteht. Ich sterbe in Ausübung meiner Pflicht, und meine Kameraden werden mich rächen!«

Er sah mutig zu dem Gefürchteten empor, bei dessen Anblick zehn anderen das Herz gebebt hätte.

Es war wirklich der Kapitän des berüchtigten Schmugglerschiffs, der vor ihm stand – derselbe Rock – das schwarze Pflaster über der leeren Augenhöhle, der dichte schwarze krause Bart um Mund und Kinn, während der niedere Schifferhut, tief in die Stirn gedrückt, die Züge beschattete.

Dennoch kam ihm das Gesicht des Schmuggler-Kapitäns gegen früher verändert, gleichsam jünger, frischer vor.

»Leutnant Dalbond,« sagte der Contrebandier – »wenn wir Ihren Tod beabsichtigten, so hätten wir Sie bloß Ihrem Schicksal zu überlassen brauchen, ohne daß wir unser Gewissen beschwerten. Kein Mann, der in Ihrem Boote atmete, als Sie uns so töricht verfolgten, ist noch am Leben!«

»Warum haben Sie dann das meine gerettet?«

»Weil ich Ihnen wohl will – weil ein Schmuggler in dem Douanier zwar den Feind seines Gewerbes sieht, aber auch seinen Mitmenschen. Weil Sie hilflos auf dem Wasser trieben, eine Beute der See, wenn ich nicht die Hand ausstreckte, und weil es feig und grausam von mir gewesen wäre, wenn ich diese Hand nicht ausgestreckt hätte!«

»Sie reden so ganz anders, als ich Sie mir gedacht habe, Señor,« sagte der unglückliche Offizier, »und als der Ruf Sie schildert. Sagen Sie mir offen als Mann, was soll mein Schicksal sein?«

»Sie fühlen, daß Sie widerstandslos in meiner Gewalt sind?«

»Mit einem gebrochenen Arm und halbzerschmetterten Gliedern bin ich hilflos wie ein Kind!«

»Und was – Leutnant Dalbond! auf Ihre Ehre! – was würden Sie tun, wenn man Sie noch diese Nacht frei an die Schwelle Ihrer Wohnung brächte?«

Der junge Offizier zögerte einige Augenblicke, er begriff, daß von dieser Antwort Tod und Leben abhängen könnte. Dennoch hatte er den Mut, zu sagen: »Ich müßte meinen Vorgesetzten sagen, wie ich dahin gekommen bin!«

»Und was Sie entdeckt hätten?«

»Und was ich entdeckt habe!« –

»Das ist gesprochen wie ein Mann, der den Mut hat, dem Tode ins Auge zu sehen. Nur glaube ich, daß Sie vielen Ihrer Vorgesetzten einen schlechten Dienst damit leisten würden. – Haben Sie von der Contrabandista gehört?«

»Es ist die geheime Gesellschaft, die den Schmuggel in Spanien und in einem Teile Frankreichs betreibt und weite Verbindungen haben soll.«

»Und von dem Viejo?« Der Alte.

»Es ist ihr Anführer, wie man mir sagte.«

»So ist es, Herr, und dieser Mann hat eine Macht, die der eines absoluten Königs gleicht. Ich bin zwar nicht der Viejo – aber meine Macht ist in vielen Stücken dieselbe. Im Namen des Viejo biete ich Ihnen an, in unsere Gesellschaft zu treten!«

»Niemals – das wäre ehrlos!«

»Hören Sie mich erst an, Monsieur Dalbond. Viele Ihrer Kameraden, Ihrer Vorgesetzten bis in die höchsten Spitzen hinauf, gehören der Contrabandista teils als Mitglieder, teils als Stillbeteiligte an, indem sie nicht sehen wollen, was sie nicht sehen müssen, und uns so ihren Schutz gewähren. Gold, Beförderung und Schutz ist dafür ihr Lohn, denn die Contrabandista läßt nie einen der Ihren im Stich. Leutnant Dalbond, ich verpfände Ihnen mein Wort, daß sie nicht der erste auf Ihrem Posten hier in Biarritz sind, der ein Freund der Contrabandista war!«

»Dann war der Beamte ein Schurke!«

»Sagen Sie das nicht – er hatte bloß eine freiere Ansicht über Handelspolitik, zu der die Regierung über kurz oder lang gleichfalls kommen und damit allem Schmuggel am besten ein Ende machen wird! Aber um zu einem Resultat zu gelangen – Sie wissen, daß Sie in unserer Gewalt sind, daß wir Ihr Schweigen über das Geheimnis haben müssen! – Leisten Sie den Eid der Contrabandista, und Ihr kärgliches Gehalt soll jährlich um zweitausend Franken vermehrt werden!«

»Dieses Anerbieten ist eine Schmach!«

»Bedenken Sie es wohl! ich biete Ihnen Leben – Wohlstand – Glück! wir wissen, daß Sie Margaritta Labeule, die Tochter des früheren Douanen-Inspekteurs, lieben – sie soll die Ihre sein!«

»Das versprechen Sie mir – Sie – von dem man sagt, daß er der Mörder ihres Vaters war!?«

»Herr Labeule fiel im ehrlichen Kampf der Contrebandiers! Wie wir unser Wort halten, ist unsre Sache, aber es wird geschehen! Entschließen Sie sich!«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Dann – so leid es mir tut – Leutnant Dalbond – müssen Sie sich zum Tode bereiten!«

»Wie – Sie wären grausam genug, einen unbewaffneten hilflosen Mann zu morden?!«

»Ich habe Ihr Leben gerettet – ich kann es wieder nehmen. Jeder ist sich selbst der Nächste! – Dennoch will ich nicht Hand an Sie legen – ich werde Sie zurückbringen lassen mit der nämlichen Planke, die Sie trug, – auf die Flut, der ich Sie entrissen! Will Sie Gott erretten – es sei! meine Schuld ist es nicht!«

»Das ist Frevel! Sie wissen sehr wohl, daß mich dem Meer preisgeben mich töten heißt!«

» Carracho! Sie sind der Schmied Ihres Schicksals!«

»Ich muß meine Pflicht erfüllen, wenn ich die Macht dazu habe. Aber handeln Sie als Mann, lassen Sie mich wenigstens wie den Soldat auf seinem Posten sterben – ersparen Sie mir die Qual des furchtbaren Todeskampfes – ein Zug an dem Drücker Ihrer Pistole – und ich bin nicht mehr!«

»Leutnant Dalbond – schwören Sie!«

»Nein!«

»Ich bitte Sie, ersparen Sie mir eine finstere Tat – schwören Sie!«

»Nein!«

»Dann komme Ihr Blut über Sie selbst – Sie müssen sterben!«

Seine Hand lag an dem Kolben des Pistols – seine Augen blickten finster auf das unglückliche Opfer.

Der junge Mann riß mit der gesunden Hand das Hemd auf. »Schieß zu, Mörder!«

Und »Verfluchter! stirb du selbst!« gellte es schrill neben den beiden. »Fahre zur Hölle, Mörder meines Vaters!«

Ein kräftiger Dolchstoß, obschon nur von Frauenhand geführt, traf mit solcher Gewalt seine Brust, daß er einen Schritt zurücktaumelte. »Margaritta – du hier?!«

»Heilige Jungfrau, diese Stimme – –«

Ehe der Schmugglerkapitän sich erheben konnte, langte eine Hand, über seine Schulter hinweg und riß mit einem Griff Hut und Bart und Pflaster von seinem Haupt.

»Sehen Sie hier – wer El Tuerto ist! Hier steht der Mörder Ihres Vaters!«

»Heilige Jungfrau, beschütze mich! Juan – Juan!?«

Wie ein Tiger, den die Meute der Hunde plötzlich überfällt, wandte der Graf sich gegen den fremden Feind.

Es war Miguel, der Lastträger, der vor ihm stand, das Gesicht blutleer, voll drohenden, entschlossenen Ausdrucks, die linke Schulter und den Arm in Bandagen, die rechte Hand noch gegen ihn ausgestreckt, in den Fingern die Zeugen seines Betrugs.

» El Tuerto – der Lord von Lerida, der Gast des Kaisers!« rief entsetzt der Duanenoffizier. Der Entlarvte sagte kein Wort, nur seine Augen schossen Blitze. Der Ausdruck seines Gesichts hatte etwas Furchtbares, Dämonisches.

Zwischen den Zähnen tat er einen scharfen gellenden Pfiff, und augenblicklich stürzten die Männer der Victory, die sich im vorderen Gewölbe befanden, herbei.

»Nehmt sie! bindet sie! – den Mann! das Weib!« Einen Augenblick standen die wilden Männer, zaudernd, bestürzt. Der Anblick des Lastträgers, den sie erschossen, in das Meer gestürzt wähnten, erfüllte sie anfänglich mit Grauen.

»Gehorcht!«

Mauro war der erste, der im blinden Gehorsam auf den Riesen lossprang und Hand an ihn legte. Ohne auch nur eine Bewegung zu seiner Verteidigung zu machen, ohne einen Laut des Schmerzes bei der Berührung der kranken Schulter auszustoßen, ließ Miguel von seinen bisherigen Gefährten sich fesseln.

Margarittas Hand hatte bei der furchtbaren Entdeckung, daß ihr Geliebter, der Vater ihres Kindes, der berüchtigte Schmugglerkapitän El Tuerto selbst, der Mörder ihres Vaters sei, kraftlos den Dolch fallen lassen, dessen Klinge sich noch soeben mit dem Blute dessen gefärbt hatte, der ihr das Teuerste auf Erden und in der Ewigkeit war.

»Juan! Juan!«

»Bindet sie!«

Der Duanenoffizier richtete sich mit Gewalt empor. »Erbärmliche Feiglinge! an einem Weibe euch zu vergreifen! O, daß ich nicht ein Krüppel wäre, daß ich eine Waffe hätte in meiner Hand!«

Der Graf tat einen Schritt auf ihn zu. »Leutnant Dalbond,« sagte er streng – »hier ist die Waffe, die Sie verlangen!« Er warf ihm das Pistol zu. »Zweimal ist an diesem Abend bereits mein Blut geflossen – das erstemal –« er warf den Rock auf und zeigte das mit Blut befleckte Gilet – »als Sie einen Mann, der Ihnen nie etwas zuleide getan, mit Ihren Kugeln verfolgten, – das zweitemal von einem Weibe, das ich liebte – bloß weil ich im ehrlichen Kampf einen Verräter an seinem Eid erschlagen! – Hier haben Sie die Waffe rächen Sie die nach meinem Leben dürstende Frau dort und nehmen Sie dem das Leben, der vor einer Stunde kaum das Ihre gerettet hat!«

»Juan! Juan! Mörder meines Vaters – erbarme dich mein! Laß mich sterben, weil ich dich ewig hassen und lieben muß!«

Die Hand des Duanenoffiziers zuckte nach der Waffe, als er das Weib, das er längst im Stillen geliebt, verloren für sich, vor seinem Feinde knien sah. Aber die Hand hatte die Waffe noch nicht berührt, als sie sich scheu zurückzog.

»Wer Sie auch sind – Lord oder Korsar – nein, ich irre mich nicht – jetzt erkenne ich Sie, worüber ich seit gestern gesonnen, Sie sind der garibaldinische Offizier, um den vor fünfzehn Monaten Theresa Logroni sich den Tod gab! – Verfluchter! Würgengel der Unschuld und der weiblichen Ehre – vollenden Sie Ihr Werk, das diese Dame unterbrochen! ich bin bereit zu sterben!«

Don Juan blickte finster auf ihn – ein dämonischer Hohn zuckte um seinen Mund, wie er das dunkle Antlitz der gefallenen Engel entstellen mag.

»Leutnant Dalbond,« sagte er endlich – »Sie sollen nicht sterben! – Das Leben wird Ihre härteste Strafe sein, wenn Sie wissen, daß die, welche Sie lieben, nicht die Fleckenlose ist, die Sie in ihr sahen! Nach zwei Tagen werden Sie frei sein und mögen Ihre Wunden heilen lassen, bis dahin soll Ihnen jeder Beistand werden und diese Dame hier – sie mag ihre Zärtlichkeit darin üben, daß sie Ihre Pflegerin ist. Ich schenke ihr das Leben und Sie müssen später wissen, ob Ihre sogenannte Pflicht sie zwingt, auch ihr Geheimnis zu denunzieren. Was dich betrifft« – er wandte sich zu dem Lastträger – »so weißt du sehr wohl, daß du den Tod verdient hast durch Ungehorsam und Verrat. Aber da ich niemals zweimal die Hand gegen einen Mann erhebe, bist du sicher. – Bringt die Gefangenen in die dritte Felsenkammer und stellt eine Wache davor, dann kommt hierher, denn diese Nacht muß noch vieles geschafft werden, da keiner von uns diese Felsen Wiedersehen wird.«

Während die drei Gefangenen an den bezeichneten Ort gebracht und dort bewacht wurden, ließ der Graf die beiden Streifwunden, die er erhalten, so gut es ging, verbinden. Der Schuß war zwischen Körper und Arm hindurchgegangen und hatte eine leichte Fleischwunde gerissen. Härter hatte der Dolchstich der Geliebten ihn getroffen, dessen tödliche Wirkung wohl nur durch das dicke Teertuch des Seemannsrocks und eine Bewegung zur Seite verhindert worden; doch beschränkte sich auch diese Wunde auf einen Fleischriß und hatte keine edleren Teile verletzt.

Schon während des kurzen Verbindens entwickelte der kühne Abenteurer eine fieberhafte Tätigkeit. Er schien seine bestimmten Entschlüsse gefaßt zu haben und erteilte demgemäß seine Befehle.

Das Gig der Victory und das zweite Schmugglerboot, das für besondere Fälle in der unterirdischen Bucht festlag, wurden mit den wertvollsten Sachen beladen, die sich noch in den Höhlen befanden. Außer der Mannschaft des Gig waren die beiden Matrosen in der Höhle, die im Hause zurückgeblieben waren. Der Graf befahl, daß die beiden letzteren das Boot rudern und Seespinne an das Steuer nehmen sollten, während die andere Mannschaft das Schmugglerboot führen müsse. Dem Maltheser wurde die Order gegeben, an der Victory anzulegen, die Sachen, im Fall der San Martino bereits unter Segel gegangen, auf der Jacht unterzubringen und dann mit neuer Mannschaft und dem Wundarzt des Schiffes das Gig auf offenem Wege zurückzusenden.

Wie gewöhnlich in dieser Gegend hatte sich das Wetter nach der Zerstreuung oder Entladung der elektrischen Stoffe rasch verzogen und die Bewegung der See war, wie das erfahrene Auge der Seeleute selbst in dem abgeschlossenen Raum bemerken konnte, um vieles ruhiger geworden.

Es war gegen 5 Uhr Morgens, als die Mannschaft der Jacht mit den befohlenen Arbeiten zu Ende war und Don Juan beide Boote die Höhle durch die Ausfahrt verlassen ließ. Sobald sie fort, rief er Mauro von seinem Posten ab.

»Was treiben die Gefangenen?«

»Die Frau brütet stumm vor sich hin, – sie weint nicht, sie spricht nicht ihre Augen sind starr auf einen Fleck gerichtet; es ist ein Jammer, sie anzusehen!«

»Und die anderen?«

»Miguel versucht sie zu trösten und zu ermutigen. Der große Kerl spricht mit ihr, wie die Amme mit einem Kinde. Aber er redet in den Patois seiner Berge, das ich nicht verstehen kann. Der Duane liegt im Fieber und redet irre.«

»Es wird bis zur Ankunft des Doktor Sommarina sich gelegt haben. Um 8 oder 9 Uhr kann das Gig zurück sein. Stelle Wasser in den Bereich der drei und dann komm zurück.«

Als dies geschehen, brachte der Graf eine kleine Quantität von Schießbaumwolle in einer Gummiblase vorsichtig in eine der Spalten des Gewölbes, das über der Einfahrt hing, eben so in das der Einfahrt. Die Contrebandiers schienen für die Stunde der Gefahr diese Vorsichtsmaßregel wohl und mit großer Kenntnis der Wirkung vorbereitet zu haben, denn es waren solche Stellen gewählt, welche trotz der großen Wirkungskraft dieses Sprengmaterials eben nur die Wirkung nach unten leiten und durch das Loslösen einiger Felsenblöcke den Eingang versperren mußten, ohne daß die kolossale Felsenwand, die sich über ihnen befand, eine Erschütterung erleiden konnte. An beiden Punkten befand sich über der Stelle, auf welche der Spanier das Sprengmaterial gelegt, ein schwerer Stein in der Schwebe, dessen Stütze durch einen an der Wand hinlaufenden Draht fortgezogen werden konnte.

Es ist eine Entdeckung der neuesten Zeit, die aber hiernach schon den geheimen Besitzern dieses Schlupfwinkels bekannt sein mußte, daß die Schießbaumwolle im freien Zustand durch einen Stoß oder Schlag auch nach unten eine zehnfach größere Wirkung als das Pulver ausübt.

Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, die der junge Grieche nicht ohne ein geheimes Grauen betrachtete, da er ihren Zweck nicht kannte, ging der Graf zu der Stelle im zweiten Gewölbe zurück, wo hinter einer gewaltigen Wand des Gesteins die Versenkung sich öffnete, durch welche die Schmuggler die Güter an das Tageslicht oder aus diesem herab schafften und mittels deren der geheime Verkehr mit dem Hause stattfand.

Die Platte der Versenkung war noch niedergelassen, wie Margaritta und der Lastträger ihr entstiegen waren, nachdem Miguel, ein gewandter Schwimmer und durch den Revolverschuß des Spaniers nur verwundet, sich ans Ufer gerettet und Margaritta durch seine Andeutungen zu der Fahrt in die unterirdischen Gewölbe bewogen hatte, die sie seit dem Tode ihres Vaters nicht wieder betreten.

Der Graf befahl dem Griechen, auf die Platte zu treten – dann drückte er auf die Feder in der Wand und die Maschine stieg langsam in die Höhe, den Herrn und seinen Diener mit sich führend, indem sie ihre drei Gefangenen erbarmungslos in Groll und Unruhe zurückließen. – – – – – – – – – – – – – – –


Wie der junge Kapitän vorausgesehen, war das Wetter am andern Morgen klar und prächtig. Der Horizont war fast wolkenfrei und nur eine frische Brise strich noch über den Golf, jedem Fischer eine willkommene Erscheinung.

Es war 9 Uhr, als der Graf von Lerida in dem Zimmer im Hause der Margaritta Labeule saß, das er am Nachmittag vorher eingenommen, und das in früheren Tagen so manche Stunde seines Glücks gesehen.

Der kühne Abenteurer war von allen jenen Gegenständen des Luxus und der Behaglichkeit umgeben, an die sein abwechselnd sybaritisches und wildes Leben ihn gewöhnt hatte, – duftender Kaffee und Liköre standen auf dem Tisch, die Hand hielt, während er in träumendem Sinnen da saß, den gold- und seidenumsponnenen Schlauch eines Nargileh zwischen den Fingern und führte von Zeit zu Zeit das mit Edelsteinen besetzte dicke Mundstück von weißem Bernstein an seine Lippen.

Ein tiefes finsteres Schweigen lag auf der Stirn des Mannes, zuweilen von einem spöttischen oder triumphierenden Aufleuchten der Erinnerung durchkreuzt. Welche Ereignisse, welche aufregenden Szenen waren seit kaum zwanzig Stunden an ihm vorübergegangen, nicht ohne Eindruck, obschon er an ein abenteuerliches Leben gewöhnt und die Aufregung dessen Odem war.

Mit Gewalt sich losreißend sprang er endlich von dem Diwan auf, warf die Pfeife von sich und trat an die offene Glastür der Veranda, von der hinaus sich der weite unermeßliche Horizont des Meeres bot.

Der »San Martino« war von der Rhede verschwunden, – selbst das Perspektiv des alten Cocles hätte die Spieren des geheimnisvollen amerikanischen Dampfers nicht mehr zu entdecken vermocht, – dagegen schaukelte sich lustig und munter die »Victory« auf ihrem Ankerplatz.

Das Boot der Victory war schon vor einer Stunde mit neuer Mannschaft zurückgekommen. Nur Seespinne hatte sich wieder einzuschmuggeln gewußt und war zu seinem Herrn zurückgekehrt.

Der Graf blickte einige Zeit hinaus auf das Meer. »Noch wäre es möglich, den Streich auszuführen,« sagte er sinnend, »wenn sie sich entschließen, die Jacht zu besuchen. Eine halbe Stunde Zeit, um die Kessel zum Sieden zu bringen und ich spotte ihrer Dampfkorvette. – Aber – sie wären meine Gäste, und es wäre ehrlos, ihr Vertrauen zu täuschen, und wenn ich alle sechs Bourbonen mit dem einen Schlage wieder auf ihre Throne setzen könnte, ich würde mich immer für gebrandmarkt halten! – Gestern – das war etwas anderes, da stürzte ich mich in die Gefahr und war der Angreifende! – Zum Henker mit dem Mitleid, das mich bewog, den hitzköpfigen Narren aufzufischen. Unser Spiel ist vorbei an diesem Ort – Margaritta würde den Tod ihres Vaters nie vergessen, auch wenn ihre Leidenschaft ihren Durst nach Rache besiegt! – Freilich, wenn sie dazu einen Beweis der Untreue hätte, sie ist eine Spanierin im schlimmsten Sinne des Worts! – Aber, zum Henker! was mache ich mir für Gedanken, dieser Bruch ist ein Glück für mich und sie. Sie mag Dalbond heiraten und mich vergessen! Für was strebe ich meinem großen Vorbild und Namensvetter nach, wenn eine so kleine Rücksicht mich binden sollte! – Und dennoch – wenn sie das Abenteuer mit der kleinen Savoyardin erfährt – nun meinetwegen! Wenn Herr Dalbond Lust hat, die Rolle Leporellos mit dem Register zu spielen zum Dank für die Rettung seines Lebens, mag er es tun. Ich wäre nicht Don Juan, wenn ich mir um diese Elvira eine Sorge machen wollte. Nur der Genuß ist Leben und die Welt ist reich an reizenden Weibern, von denen, beim Himmel! die kleine Kervague jetzt die Königin ist!«

Der frevle Übermut sollte eine Antwort finden.

An der Tür, die aus dem Innern des Hauses in den Salon führte, klopfte es zweimal.

»Ah – Mauro! Tritt ein! was willst du?«

»Excellença – eine kaiserliche Equipage hält auf der Straße. Ich soll diese Karte abgeben!«

»Ah – Monsieur le capitaine Marquis de la Houdinière, officier d'ordonnance de sa Majesté l'Empereur« las der Graf. »Natürlich – ich lasse bitten! Führe den Herrn die äußere Treppe herauf! – Der Vetter der schönen Angelique!« – Noch eins, Mauro!«

Der Stewart blieb stehen.

»Hat Doktor Sommarina den Duanier verbunden?«

»Der Bursche steckt in Schienen wie ein Huhn in einer Bretterkiste!«

»Und Margaritta?«

»Sie hat noch immer nicht nach dem Kinde gefragt. Ich habe, wie Euer Exzellenz befohlen, allen dreien die Bande abgenommen; der Doktor und der Indier bewachen sie.«

»Und das Mädchen hier im Hause?«

»Sie hat meinen Worten glauben müssen, daß ihre Herrin nach Bayonne ist und morgen zurückkehren wird. Im übrigen kann keine Katze aus dem Haus und wir halten scharfen Ausguck auf beiden Seiten der Straße.«

»Gut! führe den Offizier hierher!«

Der Graf benutzte die kurze Zeit bis zum Erscheinen des Besuchs, seine Toilette zu vervollständigen. Als er den Offizier auf dem Korridor der Veranda hörte, ging er ihm rasch entgegen.

»Willkommen, Marquis! eine angenehmere Überraschung hätte mir nicht werden können. Sie sehen, daß ich als Wetterprophet etwas mehr Erfahrung habe, als bei sonst unbestrittenen Verdiensten Kapitän Blainville von Ihrer Korvette, denn das Wetter ist prächtig, und ich hoffe, Sie bringen mir den Befehl Seiner Majestät, alles auf meiner bescheidenen Jacht zum Empfang der Herrschaften bereit zu halten.«

»Ich bedauere, Sie enttäuschen zu müssen,« sagte der junge Offizier höflich, aber mit einer sichtbaren Kälte. »Der Hof verläßt noch diesen Nachmittag Biarritz und geht zurück nach Paris.«

Der Besitzer der Jacht hatte sehr wohl gemerkt, daß der Ordonnanz-Offizier beim Empfang, Säbel und Hut in den Händen, vermieden hatte, ohne gegen die strengsten Formen der Höflichkeit anzustoßen, seine ihm entgegengestreckte Hand zu berühren.

Der Graf änderte geschickt die Bewegung, aber eine tiefe Falte zeigte sich für einige Augenblicke auf seiner Stirn und ein drohender Blick schoß auf seinen Besucher.

Dies dauerte jedoch nur einen Moment, im nächsten war er ganz wieder der zuvorkommende Hausherr, nur hätte ein scharfer Beobachter leicht bemerken können, daß seine Haltung unter den zuvorkommendsten Formen eine noch reserviertere wurde, als sie der kaiserliche Offizier gezeigt.

»Ei, das muß ganz plötzlich gekommen sein! Gewiß eine wichtige politische Nachricht mit dem Telegraphen! Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, Marquis, und eine echte Manilla – oder ziehen Sie Zigaretten vor? ich bitte, bedienen Sie sich, und erlauben Sie mir, nach Schokolade zu schellen!«

»Bemühen Sie sich nicht, Mylord – meine Zeit ist sehr beschränkt.« Er hatte Platz genommen und fuhr in steifer Haltung fort. »Zunächst läßt Seine Majestät der Kaiser sein und der Kaiserin Bedauern aussprechen, durch die Abreise verhindert zu sein, Ihr Schiff zu besuchen und die Einladung zum Besuch in Compiègne zu wiederholen. Zugleich läßt Seine Majestät Ihnen für die Nachricht danken, die Ihr Brief heute in aller Frühe gegeben.«

»Bah – eine kleine Neuigkeit, die ich in meinem Geschäft als Schmuggler erfahren!«

»Dann wissen Sie wahrscheinlich auch, daß diese Nacht ein Gefecht zwischen den spanischen Contrebandiers und unserer Douane hier an der Küste stattgefunden hat?«

»Ich müßte taub und blind sein, wenn ich es nicht bemerkt hätte, da es hier fast unter meinen Augen vorfiel!«

»Es wäre ja möglich gewesen,« bemerkte der Offizier, sein vis-a-vis scharf beobachtend, »daß Sie noch nicht hier in Ihrer Wohnung gewesen wären, von der man allerdings den Schauplatz vollständig übersehen kann. Wir haben einen wackeren Beamten und sechs seiner Leute verloren, die bei dem heftigen Wogenschwall in der Brandung an den Felsen verunglückt sein müssen.«

»Ich habe davon gehört!« Der Graf, der dem Fenster den Rücken zuwandte, sah ruhig den blauen Ringen seiner Strohzigarre nach.

»So waren Sie also so zeitig zu Hause, Mylord?«

»Früh genug, um noch die Schüsse Ihrer Douaniers blitzen zu sehen. Es scheint, daß die Contrebandiers sich aus dem Staube gemacht haben; denn als ich heute morgen aufwachte war jenes Ihren Beamten verdächtige Schiff auf und davon.«

»Es heißt,« fuhr der Offizier fort, ohne das Auge von dem Gesicht des Grafen zu verwenden, – »die Schmuggler hätten selbst die Dreistigkeit gehabt, die kaiserliche Villa nicht zu verschonen – vielleicht auf der Flucht oder aus andern Gründen. Man will während der Nacht fremde Personen im Park bemerkt haben. Die Kaiserin selbst ist von einer solchen Gestalt erschreckt worden und hat während mehrerer Stunden einen hysterischen Anfall davon gehabt!«

»Bah, Ihre Damen haben eine reiche Phantasie! – für was haben Sie denn Schildwachen?«

»Das sagte ich mir, infolge eines seltsamen Umstandes auch, – und demnach hielt ich es für Pflicht, ihnen etwas näher auf den Zahn zu fühlen, um mehr zu hören, als sie zur Rechtfertigung ihrer Fahrlässigkeit zu sagen für gut befunden.«

Der Graf hatte eine aufmerksamere Stellung angenommen, – er war im Zweifel, was kommen könne.

»Bitte, fahren Sie fort, Ihre Erzählung fängt an, mich zu interessieren. Sie revanchieren sich in der Tat für meine indische Geschichte.«

Der Ordonnanz-Offizier schien den leisen Spott nicht zu bemerken, der in dem Ton lag.

»Jener Umstand, Mylord, der mich zur nähern Nachfrage veranlaßte, war, daß ich in der Nacht, als die Unruhe durch die Erkrankung der Kaiserin uns alle weckte, zufällig auf den Balkon des oberen Stockwerks trat, und dort im Winkel eine Art seidener Strickleiter fand!«

»Die Sie sofort zum besten gaben?«

»Bewahre, Mylord – die ich sehr diskret an mich nahm und verwahrte. Nur gab sie mir die Überzeugung, daß man den armen Schmugglern unrecht getan und daß ein galantes Abenteuer die Ursache der Störung gewesen sein mußte!«

» By jove! Ihre Geschichte wird immer interessanter, Herr Marquis. Darf ich Ihre weiteren Entdeckungen erfahren?«

»Das sollen Sie, denn ich bedarf zum vollständigen Resultat Ihrer Hilfe!«

»Der meinen?«

»Ja, Mylord! – Zunächst also, wie ich schon die Ehre hatte, Ihnen zu sagen, kam ich auf den Gedanken, die Schildwache etwas näher ins Gebet zu nehmen, und da erfuhr ich denn von dem Posten am nördlichen Flügel der Villa, daß allerdings zwischen ein und zwei Uhr ein Fremder im Schloß gewesen war, denn –«

»Nun?«

»Denn er war bei dem entstandenen Lärmen aus einem Fenster und fast in die Arme der Schildwache gesprungen, eines im übrigen sehr diskreten Burschen, der ein Liebesabenteuer witterte und sich daher mit dem Paßwort und der Versicherung des kecken Springers begnügte, daß er zu den Kavalieren des Hofes gehöre!«

»Ihr Soldat, Herr Marquis,« sagte lächelnd der Spanier, »scheint nach diesen Details doch nicht sehr diskret gewesen zu sein für einen Franzosen.«

»Oh – parbleu! sicher, aber Sie werden selbst wissen, daß ein Soldat seinem Offizier den Rapport nicht verweigern darf. Der Offizier ist dann der Verwahrer seiner Ehre. Genug, ich überzeugte mich am Morgen, daß die Rabatte unter den Fenstern unserer Hofdamen eine arge Zerstörung erlitten, und hatte Mühe, sie einigermaßen zu vertuschen.«

»Sie verdienen, General-Indentant der kaiserlichen Gärten zu werden, Herr Marquis! Aber ich begreife in der Tat nicht, warum Sie sich so viel Mühe gaben bei einem Abenteuer, das sich vielleicht auf ein Rendezvous und eine angenehme Nacht mit einer der hübschen Kammerzofen beschränkt.«

»Warum ich mir diese gab, Mylord, will ich Ihnen sagen. Es geschah, weil die Eindrücke jenes Sprunges sich gerade unter dem Fenster des Fräulein Angelique von Kervague befanden, das mir außerdem der Posten ganz bestimmt als dasjenige bezeichnete, aus welchem die Dame den Herrn entwischen ließ!«

»Ah!«

»Und weil,« fuhr der Offizier mit tiefer drohender Stimme fort, »Fräulein Angelique von Kervague meine Cousine ist!«

Der Graf verbeugte sich kalt. »Ich erinnere mich, dies gestern abend von Ihnen gehört zu haben und muß gestehen, ich bin eben so erstaunt wie beschämt über das große Vertrauen, was Sie mir mit diesen Details schenken!«

»Mylord …!«

»Herr Marquis?«

Der Offizier faßte sich mit Gewalt. »Ich habe noch vergessen, mein Herr, Ihnen zu sagen, daß ich unter den Blumen der Rabatte, dicht neben den Fußspuren dieses elfenbeinerne Kartenetui fand!«

Er zog den Gegenstand aus der Tasche seiner Uniform und reichte ihn seinem Gegner hin, der ihn mit den Fingerspitzen geziert empfing.

»Tausend Dank, Herr Marquis, für diese Gefälligkeit. Es hätte mich in der Tat sehr geschmerzt, die hübsche Kleinigkeit verloren zu sehen. Es ist aus dem Elfenbein des ersten Elefanten gemacht, den ich aus Ceylon schoß.«

Die Stirn des Franzosen hatte sich dunkel gerötet, während seine Hand sich ballte bei der wegwerfenden Ruhe seines Gegners. »Spielen wir nicht länger Komödie, Herr,« sagte er gepreßt. »Ich habe weder die Lust noch das Recht, mich zum Sittenrichter unserer Hofdamen zu machen …«

»Es würde vielleicht ein allzu mühsames Amt sein!«

»Aber ich habe Ihnen bereits wiederholt, daß Fräulein von Kervague aus dem Blut meiner Mutter stammt, und ich frage Sie, wann Sie gedenken, bei der Kaiserin um ihre Hand anzuhalten?«

»Wie – ich – Fräulein von Kervague heiraten?«

»Was sonst?«

»Aber ich kenne sie ja viel zu wenig, zu kurze Zeit, um auf solches Glück auch nur hoffen zu dürfen!«

»Nun zum Teufel, wenn Sie das zu wenig kennen nennen!! aber – ich bin nicht hier, um mich narren zu lassen! wollen Sie Angelique heiraten oder nicht?«

»Nein!«

»Dann, Herr, sind Sie ein verfluchter Sch …!«

Der Graf kam ihm zuvor. Er legte die Hand fest auf seinen Arm und sah ihm finster in das sprühende Auge.

»Kein Schimpfwort, Monsieur – sprechen Sie wie ein Gentleman zu einem andern! ich liebe es nicht, mich beleidigen zu lassen!«

»Dann …«

»Still! jede Genugtuung soll Ihnen werden, obschon Sie kaum das Recht haben, sich in die Angelegenheit der Dame zu mischen. Nur habe ich eine Frage an Sie zu tun!«

»Welche?«

»Weiß Fräulein von Kervague um Ihren Schritt? Haben Sie dieselbe befragt?«

»Nein, – ich wollte ihr die Beschämung ersparen, und noch jetzt weiß ich kaum, wie es möglich ist, da sie stets als ein Muster von Sittsamkeit und Tugend mir erschien.«

Der Graf verzog keine Miene. » Monsieur le Marquis,« sagte er ruhig – »ein Mann wie Sie, wird wissen, daß Schwachheit der Name der Frauen ist! – Genug davon – gehen wir von dem Vergnügen zu dem Ernst des Lebens über! – Ich könnte Ihnen sagen, daß Fräulein von Kervague so rein wie ein Engel blieb und nur aus einem edlen Gefühl ihres Herzens den bösen Schein auf sich geladen! Was nutzt das – die Sache ist geschehen! Ich würde vielleicht ein sehr verständiger und glücklicher Mann sein als der Gatte des edlen und liebenswürdigen Fräuleins von Kervague, obschon ich Don Juan heiße; aber Sie selbst haben mir die Brücke zu diesen häuslichen Tugenden abgebrochen, denn – und bei meiner Ehre, ich habe nur das eine Wort! – ich bin nicht gewohnt, mich zwingen zu lassen, von keinem lebenden Wesen der Erde, verstehen Sie wohl, Herr Marquis, und der Ton, den Sie angeschlagen, erlaubt nur eine Lösung!«

»Diese ist mein Wunsch!«

»Also ein Duell!« – Der Offizier bejahte.

»Gut! Ich will Ihnen sagen, daß ich das Duell achte als einen Gottesgerichtskampf, wo zwei Gegner um ihre höchsten Interessen ringen, ich verachte es als die ultima ratio oft für lächerliche Beleidigungen zwischen zwei Personen. Sei dem aber, wie ihm wolle, der Kodex der modernen Ehre zwingt mich, ihm Gehorsam zu zollen. Also – ich stehe zu Ihren Diensten. Doch – erlauben Sie – –«

Er deutete nach dem zweiten Holzpfeiler der Veranda, indem er eine auf dem Tisch zwischen ihnen liegende kurze Pistole ergriff.

»Sehen Sie dort jenen braunen Knorren – das Astloch – la voilà!«

Er hatte im Augenblick das Pistol erhoben und schoß, ohne nur einen Moment zu zielen.

Ein dunkler Flecken, mitten im Ast, zeigte, wo die Kugel getroffen.

»Sie sehen, Herr Kapitän, daß ich meines Schusses unbedingt sicher bin. Es wäre also nur Mord von meiner Seite! Wollen Sie deshalb mir erlauben, die Bedingungen zu unserem allerdings nicht zu vermeidenden Renkontre festzusetzen?«

Der Offizier verbeugte sich, »Ich bin vollkommen mit allen Bedingungen einverstanden, schieße aber auch ziemlich sicher; nur habe ich die Ehre, Ihnen anzuzeigen, daß ich um 11 Uhr mit dem Zug nach Madrid mit Depeschen des Kaisers abzureisen habe, das Duell also in diesem Augenblick, oder nach meiner Rückkehr von Madrid stattfinden muß!«

Der Graf lächelte. » Vamos! ich glaube, ich weiß ziemlich genau, welche Nachricht Sie nach Madrid zu bringen haben; aber 2000 Gewehre für die Karlisten mehr oder weniger können hierbei nicht in Betracht kommen, nur der Umstand, daß Sie im Dienst sind. Aber Sie werden bald zurückkehren?«

»Sofort!«

»Schön! Sie sind also morgen in Madrid, haben übermorgen Audienz und können am Freitag wieder abreisen.«

Der Offizier bejahte.

»Dann bitte ich Sie, den Erpreßtrain iiber Sarragoza nach Pamplona zu wählen. Ich werde die Ehre haben, Sie am Sonnabend auf dem Bahnhof zu Pamplona zu erwarten.«

»Aber wozu alle diese Umstände?«

»Ich bin von einem alten Freunde am Maldabich, dem berühmtesten Bärenjäger Navarras, Romero Castillos, zu einer Bärenjagd geladen – es ist jetzt die Zeit, wo er ihnen vor dem Winterlager in den Schluchten der Pyrenäen nachzustellen pflegt. Sie nahmen so vielen Anteil an der Tigerjagd des armen Cavendish, daß ich mir erlaube, Ihnen vorzuschlagen, unser Duell mit Meister Braun auszufechten, statt wie ein paar Toren aufeinander Scheibe zu schießen! Überdies …«

»Nun?«

»Überdies sparen wir so die Sekundanten, die immer eine unangenehme Beigabe sind, wo es sich um den Ruf einer Dame handelt; niemand erfährt von unserem Streit, und Fräulein von Kervague kann ihre kleinen Füße auf eine weiche Bärenhaut setzen, ohne dabei sich stets erinnern zu müssen, daß ein Vetter oder ein Anbeter den andern getötet hat, – es müßte denn sein, daß Ihnen die Bärenjagd zu beschwerlich oder – gefährlich erscheint!«

Das letzte Wort bestimmte den Entschluß des Offiziers.

»Ich nehme den Vorschlag – so seltsam und abweichend er auch von allen Regeln der Gesellschaft ist, – an« – sagte er fest. »Ich werde am Sonnabend in Pamplona sein, nur von meinem Diener begleitet. Ich erwarte, Sie dort zu finden, Mylord!«

»Seien Sie dessen versichert!«

Der Kapitän verbeugte sich und verließ das Gemach, von seinem Gegner auf das Höflichste bis zur ersten Stufe der Treppe begleitet.

»Wahrhaftig,« sagte lachend der Graf, als er zurückkehrte, »ich glaube, der selige Don Quichotte ist ein Spießbürger gegen mich! – Aber ich durfte ihn nicht über den Haufen schießen, wenn ich nicht für immer auf die schöne Angelique verzichten und mir ein schlimmes Entree in Paris bereiten wollte. Der Herr Marquis, der so gut meinen sardinischen Namen behalten, mag in den Armen einer Bärenmutter seine Einmischung büßen, die wenigstens das Gute gehabt hat, meine Unvorsichtigkeit zu reparieren! – Die Abreise des Hofes nach Saint Cloud hat übrigens alle Fragen entschieden!«

Er ging nach der Seitentür, schob die Portiere zur Seite und ließ die Tür in ihren Falzen zurücklaufen. Der Anblick, der sich ihm bot, war eigentümlich genug.

Der kleine Knabe, der seit der vergangenen Nacht die Wartung der Mutter entbehrte, hatte sich in Schlaf geweint und lag schlummernd in der Hängematte, als sein Wächter und Wärter aber hockte neben ihm am Boden die seltsame koboldartige Gestalt von Seespinne, der die luftige Wiege in leise schaukelnder Bewegung hielt.

Die Augen des Krüppels waren mit dem Ausdruck der zärtlichsten Sorge auf das ihm anvertraute Kind gerichtet, und er bedeutete eifrig durch allerlei groteske Winke und Bewegungen seinen Herrn, ja kein Geräusch zu machen, um den kleinen Schläfer nicht zu wecken.

Es war ein eigentümliches Bild: der wilde, von Natur und Menschen mißhandelte, als Auswurf und Spielball betrachtete Knabe, verhöhnt und verabscheut, boshaft und heftig, von der Laune seines Herrn jeder Gefahr preisgegeben und seinerseits mit Tod und Gefahr spielend, – hier mit der Sorge eines hilflosen Wesens betraut, und in diesem Gefühl plötzlich zu Hingebung und fast zärtlicher Aufopferung sich erhebend! Eine Affenmutter kann für ihren Sprößling nicht mehr Sorgfalt zeigen, als der sonst so eigenwillig tückische Krüppel für das Kind bewies.

Dieser Gedanke erhob sich unwiderstehlich in der Seele des Abenteurers, als er die seltsame Szene vor sich sah, und blieb nicht ohne Einfluß auf seine eigene Stimmung. Er näherte sich mit vorsichtigem leisem Schritt der andern Seite der Hängematte und betrachtete das in seinem unschuldigen Schlummer reizend schöne Kind mit jener erwachenden Liebe, welche die Natur so heilig und tief in die Menschenbrust gepflanzt hat, und der sich selbst der Frevel und Leichtsinn nicht zu entziehen vermag: mit der Liebe des Vaters zu seinem Kinde!

Dieser Mann, jung, abenteuerlich, verwegen – mit allen göttlichen und menschlichen Gesetzen spielend und bisher nur dem Genuß als seinem Gott gehorchend, empfand ein Gefühl der Beschämung, als er das Geschöpf seiner Laune so zärtlich besorgt sah für das kleine Wesen, das so großen Anspruch auf seine eigene Zärtlichkeit hatte, und dem er sie bei seinem ersten Erblicken so wenig bewiesen, daß selbst die blinde Liebe der Mutter dies bemerken mußte. Er, von Jugend auf zum Egoisten erzogen, der nicht einmal seinen Wohltäter, dem er doch alles verdankte, aufrichtig geliebt, fühlte plötzlich das Bedürfnis des Herzens, sich ein Wesen zu erziehen, das ihm selbst Liebe und Dank schulden sollte für Last und Sorge, die er damit auf sich lud.

Wenn es vorher vielleicht schon seine Absicht gewesen war, die Mutter zu strafen, indem er ihr das Kind entzöge, wurde diese Absicht jetzt aus edleren Motiven zum festen Entschluß.

»Was denkst du dazu, Seespinne,« fragte er nach einer Pause, »würdest du dich wohl zu einer Kindermagd bei diesem kleinen Burschen hier eignen?«

Der Krüppel sah ihn verwundert an. Dann gab er durch Zeichen zu verstehen, daß er von seinem Herrn sich nicht trennen könne.

»Aber wenn ich dir nun erlaubte, diese Puppe mit auf die Victory zu nehmen?«

Seespinne machte einen Sprung und klatschte vergnügt in die Hände.

»Nun – es ist so! Die Victory geht heute abend unter Segel und ich will dieses Kind mit ihr schicken. Es ist alt genug, sich der Mutterbrust zu entwöhnen, und in San Sebastian oder Bilbao mögt ihr eine Ziege an Bord nehmen, um ihm Milch zu sichern. Stöbere hier umher und packe alles zusammen, was an Wäsche und Kleidern für den kleinen Kerl gehört, und binde es zusammen. Das Kind soll in meiner eigenen Kajütte von der Mulattin Juno, der Frau unseres schwarzen Kochs, verpflegt werden, bis ich weitere Befehle erteile. Du aber sollst über dasselbe wachen und dich seinem Dienst widmen, bis ich wieder mit der Victory zusammen treffe.«

Seespinne machte ein Zeichen, ob er ihn nicht begleiten solle?

»Nein – jetzt nicht! ich sage dir, daß du das Kind bewachen sollst. – Sieh – es ist aufgewacht. Jetzt, Seespinne, zeige deine Talente. Es wird Hunger haben und du mußt ihm Milch schaffen. – Sieh nach, wer klopft?«

Der Graf hob, während Seespinne zur Tür sprang, selbst den kleinen Knaben von seiner Matratze, setzte ihn auf seinen Schoß und begann mit ihn: zu spielen. Das Kind sah den fremden Mann mit großen Augen an und verzog das Gesicht. Als ihm aber sein Vater zusprach und die Berlocks der goldenen Uhrkette in die Händchen gab, wurde ein kindliches Lächeln aus dem Weinen und es griff nach dem Spielzeug.

Einige Minuten ergötzte sich der Abenteurer an der harmlosen Szene, indem er neckend dem Knaben die Kette zureichte und wegzog, – seit seiner Jugend vielleicht lag zum erstenmal wieder unschuldige Freude auf seiner Stirn.

»Er soll mich begleiten, wo immer es möglich,« sagte er leise, »ich fühle, daß ich das Kind lieben könnte, und vielleicht ist es bestimmt, mein guter Engel zu sein, wo so viel böse und verlockende um mich herstehen, und kann mich vor mancher Torheit zurückhalten! – Vielleicht, daß Angelique …«

Er sprach so sicher, als stände ihm nicht ein Kampf auf Leben und Tod bevor.

Seespinne hüpfte herein auf seinen dünnen Beinen, in der einen Hand ein Glas Milch, in der andern auf einem Teller einen Brief. Die Augen des kleinen Unholds waren sogleich auf das Kind gerichtet, das er mit lebhaftem Vergnügen betrachtete, und vor dem er zu dessen Vergnügen allerlei Kapriolen zu schneiden begann, um es zu belustigen, nachdem er die Milch auf einen Tisch gestellt und seinem Gebieter den Brief gereicht hatte.

» By Jove,« sagte dieser munter, »so früh schon ein Billetdoux nach Farbe und Form zu schließen!« Er nahm das Rosakuvert, das von Fleur d'Orange duftete und mit einer Herzogskrone geschlossen war und öffnete es.

Es enthielt nur wenige Worte:

 

» Merci à la discrétion du beau fugard! Au revoir à Paris!

Cl. de R.

 

»Claire de Rochambeau!« sagte er lachend. »Madame la Duchesse wird gewiß sehr neugierig sein, wie ich entkommen bin und hat am wenigsten eine Ahnung, daß es durch die Hilfe ihrer schönen Nebenbuhlerin geschehen ist. Ich würde auf den Bahnhof gehen, um das schamhafte Rot Angeliques zu bewundern und zu sehen, ob die Frau Herzogin auch Rouge aufgelegt hat, um eine gewisse Mattigkeit zu vertuschen, wenn es nicht gegen den Takt wäre nach dem kleinen Renkontre mit dem Herrn Marquis! So …« er war aufgestanden und reichte das schöne Kind dem mißgestalteten Knaben hin, als durch Festhalten der Berlocks sich das Hemdchen des strampelnden Kleinen verschob und das dunkelrote Mal sichtbar wurde, das am Tage vorher ihm die Mutter als eine göttliche Mahnung zur Rache gezeigt hatte.

Der Anblick zuckte wie ein elektrischer Schlag durch alle Fiebern des Mannes, und er hätte fast die unschuldige Ursache dieser Erregung fallen lassen, wenn Seespinne nicht den Kleinen aufgefangen hätte, der jetzt erschrocken über die hastige Bewegung zu weinen anfing. Während der Krüppel das Kind wieder zu beruhigen suchte, schleuderte der Graf ärgerlich das zusammengeballte Billett der schönen Herzogin in einen Winkel und ging mit hastigen Schritten im Salon auf und ab.

»Es kann nicht sein,« murmelte er – »es würde mich immer erinnern an die Tat! – Die Frau des Gärtners auf meinem Schloß zu Roccabruna ist eine würdige Matrone, ich muß ohnehin mit der Victory in Nizza anlaufen, und ihr will ich das Kind zur Pflege übergeben, dann ist es in guten Händen, – in bessern vielleicht, als bei seiner Mutter, deren Haß und Reue es nur nähren würde. Wer kann ein Weib ewig lieben! mag sie vergessen, wie ich!«


Im Laufe des Tages hatte der Hof Biarritz verlassen und der ganze Schwarm, den er dahin gezogen, beeilte sich, mit den nächsten Zügen ihm zu folgen.

Dies Ereignis des Tages diente dazu, das Ereignis der Nacht: das Gefecht der Contrebandiers mit den Douanen und das Verunglücken des Bootes in den Hintergrund treten zu lassen. Was frugen diese vornehmen Damen und Herren der Badewelt, die hohen Würdenträger und Beamten, die nur auf den Wink des allmächtigen Gebieters lauschten, ob zwei oder drei Witwen um ihre Gatten klagten, ob weinende Kinder am Meeresstrand die tückischen Wellen anflehten, ihnen den Vater und Ernährer zurückzugeben, der in der Erfüllung seiner Pflicht den Tod gefunden hatte!

Der Graf von Lerida hatte sich den Tag über mit einer ausgedehnten Korrespondenz beschäftigt, einen Boten nach Bayonne abgesandt und gegen Abend das Gig nach der Jacht zurückgeschickt.

Er selbst war bei der Abfahrt des Bootes zugegen, das die Koffer wieder zurück an Bord nahm, deren Ankunft am Tage vorher den Groll des alten Cocles erregt hatte. Der Alte humpelte eben wieder an der Stelle vorüber und sah mit grimmigen Blick auf das bunt und phantastisch gekleidete Schiffsvolk.

»Wollen Matrosen sein, Seeleute, und sehen aus, wie die Zigeuner und Hanswürste, die draußen in Indien sich rumtreiben, wo die Heiden und Menschenfresser wohnen,« brummte er. »Kielholen will ich mich lassen oder ein Spielvogel heißen, wenn das Pack diese Nacht nicht seine Hand dabei im Spiele gehabt und seinen Kameraden auf und davon geholfen hat!«

Der Kapitän der Victory war zu dem alten Seewolf getreten. »Nun Maat, wie geht's?« fragte er – »hat man noch keine Nachricht von Leutnant Dalbond und ob er wirklich verunglückt ist?«

Der Alte knurrte wie eine Bulldogge, die sich streicheln lassen muß und gern zuschnappen möchte.

»Werden's vielleicht besser wissen, wie ich! Die verfluchten Engländer sind doch an allem Unheil schuld!«

»Die Engländer? aber was zum Henker haben die mit dem Unglück dieser Nacht zu tun?«

»Was sie damit zu tun haben? Der Teufel soll mich holen, wenn's nicht wahr ist! Wenn sie den großen Kaiser nicht hätten auf Helena vergiftet, wären die drüben über den Pyrenäen eben so gut französisch wie wir, und wir hätten weder Schmuggler noch Douanen!«

Der Graf lachte über diese Logik.

»Und das große Schiff, das Ihr gestern am Horizont zu sehen glaubtet, Mann – ist es näher gekommen oder war es vielleicht der fliegende Holländer?«

»Sie sind kein echter Seemann, Herr,« brummte der Stelzfuß, »wenn Sie mit solchen Dingen Spott treiben können. Suchen Sie sich einen andern dazu, als den alten Cocles, der bei Navarin mit Ehren sein Bein verloren, Wenn es auch nur gegen die Türken war!«

» Damned, Alter, wer wird gleich so gallig sein! ich hoffe, Ihr werdet trotz alles Grolls einem Seemann nicht abschlagen, noch einmal für diesen Napoleon auf das Wohl des Lebenden zu trinken, um so weniger, als ich Euch noch diesen Abend verlasse.«

Der Stelzfuß ließ ohne Gewissensbisse das Goldstück in seine weite Hosentasche gleiten. »Nichts für ungut, Monsieur,« murmelte er – »Ihr mögt ein ganz guter Kapitän sein, aber ich sehe gern freie Flagge und klaren Strich. Was das Gold betrifft, nun, da hat sich noch niemals ein Franzose bedacht, dergleichen einem Goddam abzunehmen!«

Er lüftete den Hut und stelzte weiter. »Der alte Kerl hat ein scharfes Auge,« murmelte der Graf, »und es ist gut, daß wir ihm aus dem Gesicht kommen. Vorsichtig, Seespinne – komm her zu mir!«

Der Krüppel näherte sich seinem Herrn. Er trug sorgfältig in seinen Armen einen kleinen länglichen Korb, der wohl bedeckt war.

»Ist das Kind wohlverwahrt?« flüsterte der Graf.

Der Krüppel nickte.

»So hüte es wie deinen Augapfel! In zwölf Tagen treffe ich euch in Cadix! Ich schneide dir die Ohren von deinem Froschkopf, wenn dem Kleinen etwas passiert! Jetzt – vorsichtig, steig ein und passe auf deinen Dienst, und du sollst eine neue Jacke haben mit Silber gestickt, daß du den Großmogul selbst neidisch machen könntest. Fort mit dir!«

Der Krüppel stieß einen unartikulierten Laut aus, der sein Entzücken ausdrückte, und tat einen Freudensprung. Dann eilte er nach dem Kahn. Von dem Sprung schien es aber in dem Korbe lebendig zu werden, denn es ließ sich das Geschrei einer Kinderstimme hören.

»Hört, Nachbarin,« sagte einer der Zuschauer – »der Hexenbalg kräht wie ein wirkliches Kind!«

Die Matrosen hoben den Knaben mit seiner Last in das Boot. »Abgestoßen!« kommandierte der Graf, und dahin strich das Gig durch die Brandung, das letzte Glück der armen Mutter mit sich davon tragend.

Als Don Juan zu dem Hause zurückkehrte, fand er Mauro seiner warten.

»Sind die Maultiere bestellt?«

»Der Arriero wartet außerhalb des Orts auf der Straße von Bayonne.«

»Und Louison?«

»Das Mädchen fängt an, bange zu werden, weint und frägt fortwährend nach seiner Gebieterin.«

»Sperre sie in die hinterste Kammer, dort hört niemand ihr Gekreisch. Hole den Mantelsack aus dem Zimmer, die Pistolen und den katalonischen Dolch, der auf dem Brief liegt, den ich auf den Tisch gelegt, und bringe alles hierher.«

Nach wenigen Minuten war der Befehl erfüllt. Don Juan schloß die Tür der Küche, in der eine einsame Lampe brannte. Darin ging er zur Wand und drückte an dem Knopf, wie der Einäugige am Abend vorher getan.

Der Herd begann sich von der Stelle zu schieben, nach kurzer Zeit war der Raum über der Versenkung frei.

»Jetzt, Bursche, aufgepaßt! Siehst du hier in der Ecke am Boden diesen Knopf?«

»Ja, Excellenca!«

»Du bleibst hier auf Wache und rührst dich nicht von der Stelle, was du auch hören magst. Lösche die Lampe, laß niemand eintreten und weiche nicht von deinem Platz!«

Er hatte eine der Pistolen und den katalonischen Dolch in die Seidenschärpe um seine Hüften gesteckt und nahm eine kurze fackelartige Wachskerze in die Hand, die er an der Lampe anzündete.

Dann stellte er sich fest auf die Platte der Versenkung.

»Setze deinen Fuß auf den Knopf und drücke ihn nieder!«

Der Grieche tat, wie ihm befohlen; wie am Abend vorher senkte sich langsam die Platte und der Graf verschwand in dem gähnenden Schlund.

Nicht ohne ein gewisses Bangen, obschon sein Mut trotz seiner Jugend in mancher wilden und blutigen Szene gestählt war, harrte der Neffe des smyrniotischen Räubers, ohne sich zu rühren, am Rande des Abgrundes, – jetzt in tiefes Dunkel gehüllt.

Es vergingen fünf Minuten – nur das ferne Brausen des Meeres drang mit dem kalten, feuchten Luftzug aus der Öffnung zu ihm empor.

Wieder fünf Minuten – dann – plötzlich – schien die Erde unter seinen Füßen zu beben und ein dumpfer dröhnender Schlag, dem im Nu ein zweiter folgte, drang zu ihm empor.

Der wilde Sohn des Olymp war in die Knie gesunken an dem gähnenden Abgrund! – – – – – –


Als Don Juan mit seiner Leuchte den Boden der Gewölbe erreichte, hakte er vorsichtig die Maschinerie in ihr Schloß und trat in den nur spärlich von den Girandolen erhellten unheimlichen Raum. Er wußte, wo er seine Gefangenen zu suchen hatte, und einige Augenblicke darauf stand er vor ihnen.

Auf seinen Befehl hatte man allen dreien schon am Morgen die Bande abgenommen, die sie zuerst gefesselt hatten. Der Douanier war von dem Wundarzt der Jacht sorgfältig verbunden worden, sein gebrochener Arm hing jetzt in einer geschickt improvisierten Schienung, um den Kopf wanden sich weiße Tücher, die dem blassen Gesicht ein unheimliches Aussehen gaben. Er lag auf einem Teppich am Boden, den Kopf in die unverletzte Hand gestützt.

In geringer Entfernung auf Steinen saßen der Lastträger und die unglückliche Tochter Labeules.

Miguel war die gleiche Hilfe zuteil geworden, auch seine Wunde war sorgfältig verbunden. Er hatte sich erst geweigert, es tun zu lassen, aber ein Wort der jungen Frau hatte ihn willig wie ein Lamm gemacht. Dieses Wort war das erste Zeichen der wiederkehrenden Teilnahme an den äußeren Ereignissen um sie her seit der furchtbaren vernichtenden Entdeckung, die sie gemacht. Es hatte gelautet: »Ich will es! ich brauche dich!« und Miguel hatte gehorcht wie ein Sklave seinem Herrn.

Margaritta saß an der andern Seite des Beamten! – seit der Wundarzt in den unterirdischen Räumen gewesen war, hatte sie sorgsam ihren beiden Gefährten jeden Beistand geleistet, den am besten eine weibliche Hand zu üben vermag, auch an ihrem Gespräch teilgenommen, aber vermieden, die Fragen des Douaniers über die Schmuggler, ihre Verbindung mit diesen und die Art und Weise, wie auch sie in diese Gewölbe gekommen sei, zu beantworten. Sie hatte sich auf die Erwiderung beschränkt, daß ein Eid sie binde, das Geheimnis zu bewahren und daß sie ihn bitten müsse, nicht weiter in sie zu dringen. Das Geräusch der Tritte hatte sie jetzt aufgeschreckt – eine jähe Röte überflog ihr Gesicht, als sie ihren Verführer, ihren Geliebten und Feind erkannte, und wechselte mit tiefer Blässe. Hastig barg sie das Gesicht in den Händen.

»Margaritta,« sagte der Graf – »folge mir, ich habe mit dir zu sprechen!«

Die junge Frau kämpfte sichtlich einige Augenblicke mit sich selbst – endlich, die Stirn gebeugt, ohne ihn anzusehen, die Hand auf die Brust gepreßt, sagte sie fast tonlos:

»Was wir noch zu sprechen haben in diesem Leben, können diese Männer hören. Sie wissen bereits, daß ich dich geliebt habe, mehr als ich durfte, daß ich dich noch liebe – warum sollte ich es leugnen. Nur der Beweis, daß du mich betrogen, als du mir noch vor wenig Stunden schworst, daß du mich liebst, wie ich dich, könnte meine Liebe in Haß verkehren, nicht das Verbrechen, das du begangen hast. Aber es trennt uns auf Erden, bis mein ermordeter Vater dort oben uns beiden vergeben hat! Diese Hand traf nur den Mörder Henry Labeules, nicht deine Brust, Juan. Was kümmert es mich, ob du ein Schmuggler warst, oder ein vornehmer Herr ich liebte Juan! Aber Juan ist gestorben für mich, seit ich weiß, daß er El Tuerto heißt!«

»Ich fühle, was du sagst! – darum komme ich, dir Lebewohl zu sagen! Lebewohl auf immer!«

»Lebewohl?« sie sprang empor – sie streckte die Hände nach ihm – ein krampfhaftes Schluchzen durchbebte ihren ganzen Leib. Sie fiel in seine Arme, an seine Brust, sie barg die Tränenströme an seinem Halse – und der Mann des Augenblicks, des Genusses, fühlte mit ihr, er preßte die schöne junge Frau an sich, selbst eine Träne mischte sich mit den ihren.

»Juan, wirst du mich immer lieben?«

»Margaritta – ich gehöre dir, auch wenn ich fern von dir bin! ich werde dein gedenken in Liebe und Gott bitten, dich zu trösten!«

Er küßte sie heiß auf die Stirn und legte die Schluchzende in die Arme des finster dareinschauenden Lastträgers.

Dann, mit der Hand über das Gesicht fahrend, als müsse er diese Eindrücke abstreifen, denen seine eigene selbstsüchtige, flüchtige und doch leidenschaftliche Natur sich unzweifelhaft mit voller Aufrichtigkeit hingegeben, wandte er sich an den Douanier.

»Sind Sie imstande, mich zu begleiten, Herr?« fragte er.

»Wohin?«

»Das werden Sie sehen.«

Der Beamte raffte sich empor, wies jedoch seine Unterstützung dabei zurück. Don Juan nahm die Kerze und ging ihm voran, der andere folgte ihm mühsam, aber mit festem entschlossenen! Schritt nach der äußeren Höhle.

Der Graf steckte die Kerze in einen Spalt. »Herr Dalbond,« sagte er ernst – »rekapitulieren wir kurz die Tatsachen. Zunächst – Sie selbst werden kaum glauben, daß ich ein Schmuggler des Schlages bin, der für gewöhnlich Ihrer Aufsicht unterliegt.«

»Der Oberkammerherr der Kaiserin hat Sie mir selbst als den Gast Seiner Majestät bezeichnet. Von anderen habe ich gehört, daß Sie ein vornehmer englischer oder spanischer Herr sind. Aus eigener Wahrnehmung weiß ich, daß Sie der Kapitän von Roccabruna, El Tuerto und …«

»Sprechen Sie ungescheut!«

»Und ein böser Geist sind, der die Ehre und das Leben der Frauen vernichtet!«

»Sie lassen mich da die Rolle einer Art von Vampyr spielen, Herr Dalbond,« sagte der Graf lächelnd, »aber ich versichere Sie, daß ich wenig von einem Grabbewohner an mir habe und auch den Ruf eines Bluttrinkers nicht verdiene, es müßte denn sein mit demselben Recht, mit dem Seine Majestät der Großherr, der siebenhundert Frauen hat, noch den Namen des ›großen Bluttrinkers‹ führt! Aber die Naturen sind verschieden, Herr, der eine liebt wenig, der andere viel. Es bleibt sich gleich, wenn er nur, so lange er liebt und genießt, wirklich liebt! – Der Zufall hat uns zweimal zusammen geführt. Aus den Alpen von Piemont erinnern Sie sich wahrscheinlich meiner besser, als ich ihrer Person. Ich weiß nicht, ob Sie auch die arme Theresa liebten, aber ich weiß, daß Sie Margaritta Labeule lieben. Hier wie dort bin ich Ihnen zuvorgekommen – das ist nicht meine Schuld. Theresa Legroni ist tot – ich muß es Ihnen überlassen, ob Sie von Ihrer Kenntnis jenes Verhältnisses jetzt einen eifersüchtigen Gebrauch machen wollen – es kann hier nichts ändern! – Aber ich fordere zwei Dinge von Ihnen!«

»Sie haben bereits meine Antwort erhalten – ich tue nichts gegen meine Pflicht!«

»Die Sache steht nicht mehr so. Wollen Sie über das, was Sie durch meine Rettung Ihres Lebens entdeckt haben, Schweigen geloben, wenn ich es in Ihre Gewalt gebe, die fernere Benutzung dieses Geheimnisses durch andere zum Schaden Ihres Dienstes für immer zu verhindern?«

»Wie meinen Sie das, Herr?«

»Sie sehen jene Stelle, wenigstens können Sie erkennen, daß dort der Strom der Brandung herein flutet, und daß dies der Weg ist, auf dem in vergangener Nacht wir und Ihr lebloser Körper herein kamen.«

»Ich vermutete es.«

»Und Sie trafen das rechte. Es ist der geheime Eingang. Und dort – links strömt die Flut hinaus, die Boote des San Martino haben dort diese Höhlen verlassen. Ich leugne nicht, daß es in den Felsen selbst noch einen geheimen Zugang zu diesen Räumen gibt, aber dieser muß Ihnen Geheimnis bleiben und wird nutzlos für die Contrabandista, wenn der Zugang von der See her verschlossen ist. Nun wohl – ich gebe Ihnen das Mittel, diesen Zu- und Ausgang für immer zu verschließen und diese Höhlen können dann nie wieder von den Contrebandiers benutzt werden, – wenn Sie geloben wollen, von ihrer Existenz zu schweigen, – nicht um meinetwillen, denn ich werde schwerlich je wieder hierher zurückkehren, sondern um Margarittas, um Ihres eigenen Lebens willen!«

Der Beamte starrte unentschlossen in das Dunkel. »Es wäre allerdings ein so wichtiger Gewinn für das Interesse des Staats …«

»Entschließen Sie sich kurz, Herr Dalbond – die Augenblicke, die ich Ihnen noch widmen kann, sind gezählt!«

»Und wer bürgt mir dafür, daß uns Wort gehalten wird?«

»Sie selbst werden diese Zugänge verschließen, indem Sie die Steinmassen, die jetzt über ihnen hangen, durch eine Explosion sprengen. Die Batterie ist geladen, es bedarf nur der Bewegung eines Fingers – und die Mine explodiert.«

»Und wir selbst?«

»Kümmern Sie sich nicht um uns! Noch diese Nacht werden Sie sich unverletzt auf der Schwelle Ihrer eigenen Wohnung wiederfinden.«

»Aber was kann ich meiner vorgesetzten Behörde sagen, ohne die Unwahrheit zu sprechen?«

»Daß Sie mit dem Boot verunglückt, daß Sie in der Gefangenschaft der Contrebandiers gewesen sind. Daß man Sie zurückgebracht, Sie wüßten selbst nicht, wie.«

»Und Mademoiselle Labeule,« fragte der junge Mann zögernd – »ich würde ihr wirklich einen Dienst leisten durch mein Schweigen?«

»Sie wäre verloren ohne dasselbe! Schon deshalb dürfen Sie im Weigerungsfall nie mehr das Licht der Sonne erblicken.«

»Mylord,« – sagte der Beamte – »ich bin zwar nur ein geringer Diener des Staats und es kommt auf mein Leben wenig an. Aber ich hoffe, daß seine Erhaltung einigen Wert hat, wenn ich dem Staat damit einen wichtigeren Dienst leisten kann, als wenn ich es opfere. Ich nehme Ihre Bedingungen an, wenn sie ehrlich gemeint sind!«

»Sie schwören demnach, das Geheimnis dieser Höhlen zu bewahren?«

»Ich schwöre es!«

»Ich danke Ihnen! – Was das Geheimnis der Person El Tuertos betrifft, so mögen Sie darin handeln wie Sie wollen. Jetzt treten Sie einen Augenblick hinter jenen Vorsprung des Felsens!«

Der Douanier gehorchte. Als sich der Graf allein sah, zog er rasch das Flakon, das er schon in der Nacht vorher benutzt hatte, und tränkte nochmals den Schwamm. Dann trat er hinter den breiten gewaltigen Pfeiler und erhob das Licht.

»Sehen Sie diese beiden Drähte, die in einem Knopf zusammenlaufen?«

»Ja!«

»Wenn Sie daran kräftig ziehen, spielt der mechanische Apparat und die Explosion erfolgt.«

»Aber Mademoiselle Labeule – sollten wir sie nicht davon benachrichtigen? sie wird allzusehr erschrecken!«

»Ein tüchtiger Schreck wird sie vielleicht aus ihrer Agonie reißen. Vorwärts denn, Herr, – ich warte!«

Der Douanier legte – nicht ohne Herzklopfen, da er die Tragweite der Explosion nicht kannte, – die Hand an den Knopf.

»In Gottes Namen denn – es sei!«

Er zog mit aller Kraft – – im Nu erfolgte ein furchtbarer Schlag, ein zweiter – ein Rollen und Stürzen, als bräche die ganze mächtige Bergwand über ihnen zusammen.

Staub, Steinsplitter und spritzender Wasserschaum erfüllten wie eine dicke Wolke den ganzen Raum – die Erde schien unter ihnen zu wanken – der Luftdruck war so gewaltig, daß der Douanenoffizier, ohnehin noch geschwächt von seinen Verletzungen, dem Spanier in die Arme sank. Durch das rollende Echo der Explosion erklang ein heller Schreckensruf: »Heilige Jungfrau, erbarme dich mein! Juan – wo bist du? laß mich sterben mit dir!«

Der Graf hielt den halb bewußtlosen Beamten kräftig in seinem Arm. »Hab ich Wort gehalten?«

»Ja, Mylord, aber – – was tun Sie mit mir? ich …«

Der äthergetränkte Schwamm lag vor seinem Mund – noch ein – zwei tiefe Atemzüge in der stickenden Luft, dann verlor er vollständig das Bewußtsein, jede Lebenstätigkeit schien erlahmt, er hing schwer wie ein Leichnam in den Armen des Spaniers.

Der furchtbare Luftdruck hatte alle Lichter ausgelöscht, – die absolute Finsternis, die sie umgab, machte die Szene noch schrecklicher.

»Miguel!«

Die Stimme klang so fest und befehlend, daß der Lastträger, gleichfalls zum Tode erschrocken, trotz seines Grolls aus hoch aufatmender Brust selbst mit einer gewissen Freude sofort antwortete.

»Hier, Señor!«

»Ihr wißt, wo Ihr Feuerzeug findet – zündet sofort Licht an!«

»Juan, wo bist du? Um aller Heiligen willen, was ist geschehen?«

Jetzt blitzte ein Funken – dann ein dünner Lichtstrahl, kaum sichtbar noch in der dicken, stauberfüllten Luft.

Aus der Wolke von Dampf und Staub kam langsam, die schwere Last des Douaniers auf den Armen, der Graf, selbst bleich von dem furchtbaren Ereignis, denn noch konnte auch er nicht wissen, ob die Erschütterung nicht größer gewesen war, als man berechnet hatte. Miguel hatte mit schlotternden Gliedern ein zweites, drittes Licht angezündet, ihr Schein zeigte nur die schreckensbleichen Gesichter.

Margaritta lag mitten im Gewölbe auf den Knien, – die riesige Gestalt des Lastträgers trat wie zum Schutz alsbald neben sie.

»Er hat ihn dennoch ermordet, wie er mich töten wollte!« murmelte der Schmuggler, als er den leblosen Körper erblickte.

Der Graf schritt langsam, keuchend an ihnen vorüber der Stelle zu, wo hinter der Felsenwand sich die Auffahrt zum Hause befand.

»Kommt!«

Es war alles, was er sagte, mit heiserer Stimme, aber so drohend und befehlend, daß der Schmuggler nicht den geringsten Widerspruch wagte. Er hob die halbohnmächtige Frau empor und zog sie mit sich fort.

Ein Blick überzeugte Don Juan, daß die Wirkung der Explosion nicht bis hierher gedrungen war – die Versenkung hing fest in ihren Ketten und Seilen.

Hier, dicht neben dieselbe, legte er seine Last nieder.

»Der Augenblick des Scheidens ist da, Margaritta!« sagte er fest. »Sage ihr, Mann, wenn sie noch nicht imstande sein sollte, mich zu verstehen, daß ich um das Leben dieses Menschen zu retten und sein Schweigen über das Geheimnis dieser Gewölbe zu erkaufen, die Zugänge von der See her für lange Jahre hinaus, vielleicht für immer zerstört habe. Sage ihr, daß er von dem Geheimnis des Hauses nichts weiß und ahnt – an dir und ihr wird es sein, dasselbe zu wahren. Dieser Mann wird vor einer Stunde nicht zum Bewußtsein erwachen – bis dahin kannst du ihn leicht auf die Schwelle seines Hauses oder an einen anderen unverdächtigen Ort schaffen; – er liebt sie, und er wird schweigen von euch! – Und nun – lebe wohl, Margaritta, und Dank für manche süße Stunde!«

Er küßte sie auf die feuchte Stirn – sie hob die Hände empor –, die noch wirren Augen, sie wollte sich erheben und ihn erfassen, aber schon war er auf die Versenkung gesprungen und hatte die Kette gelöst. »In fünf Minuten dürft ihr folgen, nicht eher!«

Die schwere Eichenplatte stieg empor mit ihrer Last – die unglückliche Frau versuchte noch mit einem markdurchdringenden Schrei, sich an ihren Rand anzuklammern, doch der Lastträger riß sie mit Gewalt zurück.

»Juan! Juan! höre mich –«

Aber aus dem dunklen Schlund nur klang es dumpf herunter ferner und ferner: »Lebewohl auf Nimmerwiedersehen!«


Mauro kniete noch immer, bestürzt, betäubt von der Erschütterung der unterirdischen Explosion an der gähnenden Öffnung, als aus der Tiefe langsam ein Lichtfunke empor zu steigen schien, der größer und größer wurde.

Einige Augenblicke darauf erschien das blasse angegriffene, aber entschlossene Gesicht seines Gebieters über dem Rand der Öffnung, der Körper erhob sich zur vollen Höhe und der Graf sprang auf die Fliesen des Flurs, während die Öffnung sich wieder schloß.

» Cospetto!« rief er – »ich bin froh, daß ich wieder frische Luft atme. Nun ans Werk, Bursche!«

Der Grieche starrte ihn noch immer erschrocken an. »Bei der Panagia Die heilige Jungfrau. Excellenca – ich glaubte, es wäre ein Unglück geschehen und das ganze unterirdische Felsennest zusammengestürzt. Oh, Signore – es ist Ihnen doch nichts passiert?«

»Nichts, was dich bekümmern könnte! Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Wo ist der Mantelsack?«

»Hier, Signor!«

»Und mein Brief liegt oben im Salon?«

»Wo Sie ihn selbst hingelegt, Excellenca, bei dem andern an Madame, mit dem großen Siegel, den am Nachmittag der Postbote brachte als von Bayonne gekommen.«

»Irgendeine ihrer weitläufigen Gerichtsschreibereien, die uns nicht kümmert. Gib mir den Mantel her!«

Mauro legte ihm den leichten Halbmantel um die Schultern.

»So – nimm den Mantelsack auf – öffne die Tür und sieh an dem Gartentor, daß uns niemand belauscht!«

Der Stewart tat, wie ihm befohlen. Er hatte kaum die Küchenflur und das Haus verlassen, als der Graf kräftig auf den Knopf im Winkel trat und die Falltür sich sofort wieder zu senken begann.

Noch einen Blick warf der Abenteurer rings umher – einen zweiten in die Tiefe!

»Zum letztenmal – Adieu Margaritta,« sagte er halblaut, – »der jetzt scheidet, ist ein freier Mann!«

Er sprang über die Schwelle und warf die Tür hinter sich ins Schloß. – – – – – – – – – – – –

Der treulose Flüchtling konnte kaum die Straße erreicht und seinem Diener den Befehl gegeben haben, ihm zu folgen, als die Versenkung wieder emporstieg und die drei in der Tiefe zurückgelassenen Personen mit sich brachte.

Der Douanen-Offizier lag noch immer bewußtlos auf den Knien des Schmugglers. Neben ihm stand die Herrin des Hauses.

Sobald die Bretter der Versenkung sich in ihre Fugen geschoben, trat die junge Frau in den Flur und der Lastträger folgte ihr, mit seinem gesunden Arm so gut es ging den Körper des Douaniers mit sich schleppend, den er sanft auf den Boden gleiten ließ.

»Schiebe den Herd an seine Stelle, Miguel,« befahl das Mädchen, – »er könnte erwachen und mehr sehen als er darf.«

Der Lastträger tat, wie ihm befohlen. Dann sah er sie fragend an.

Margaritta schien zu zögern, die obern Räume des Hauses zu betreten. »Es ist seltsam, daß Louison sich nicht sehen läßt,« sagte sie. »Aber sollten wir nicht wirklich versuchen, diesen armen Mann fortzuschaffen?« fuhr sie fort. »Er darf in diesem Hause nicht erwachen.«

»Aber wohin mit ihm?«

»Du weißt, Miguel, daß Monsieur Dalbond noch keine tausend Schritt von hier wohnt. Getraust du dich, ihn dahin zu tragen, oder soll ich dir helfen?«

» Cordioux! Ihre Hilfe, Mademoiselle, würde mir wenig nützen. Ich bitte Sie bloß, mir beizustehen, ihn auf meine rechte Schulter zu laden. Dann wird es gehen.«

Indem er niederkniete, gelang dies, – Margaritta öffnete ihm die Tür, lauschte hinaus auf die Straße und da dieselbe leer war, weil die Explosion zu schwach gewesen, um auf die kolossale Bergwand selbst einen Einfluß zu üben oder in den entfernter liegenden Häusern verspürt zu werden, – trat Miguel mit seiner Last hinaus ins Dunkel, nachdem er der jungen Frau noch versprochen hatte, möglichst bald zurückzukehren.

Jetzt endlich sah sich Margaritta allein. Noch einige Augenblicke zögerte sie, dann ergriff sie eine Kerze und stieg langsam die Treppe hinauf, die in die Wohnung des geliebten und verabscheuten Mannes führte, halb mit Sehnsucht, halb von Furcht erfüllt, daß sie ihn dort antreffen möge. Wenigstens glaubte sie Louison bei dem Kinde.

Ein Luftzug wehte ihr entgegen – die Tür stand offen – als sie die Portiere zurückschlug und einen Schritt vorwärts tat, – fand sie das Gemach leer.

Tief atemholend, die Hand auf das so schwer getroffene Herz gepreßt, setzte sie die Kerze auf den Tisch. Hierbei fiel ihr Auge auf zwei Briefe, die auf demselben lagen – der obere trug in kecken freien Zügen die Aufschrift » Marguerite!«

Sie kannte diese Schrift zwar nicht – sie hatte nie Ursach und Gelegenheit gehabt, Briefe von ihm zu erhalten, aber sie wußte dennoch, welche Hand sie geschrieben. In den Sessel sinkend, der vor dem Tisch stand, ergriff sie den Brief, preßte ihn unter einem heißen Tränenstrom an ihre Lippen und öffnete das Blatt.

Sie hatte aber kaum die ersten Zeilen gelesen, als sie wie von einem elektrischen Funken berührt aufsprang und, einen heiseren Schrei ausstoßend, mit einem Sprung, gleich einer Wölfin, welcher der Jäger ihr Junges geraubt, an der Tür des Kabinetts war und den Teppich zur Seite riß.

Und wohl war sie beraubt, die Tür war in ihren Falz zurückgeschoben, in dem matten Schein, der aus dem Salon herein fiel, konnte sie erkennen, daß eine Menge Gegenstände unordentlich umhergestreut lagen – daß die Hängematte leer war.

»Mein Kind! mein Kind!«

Sie war mit dem grellen Aufschrei niedergesunken an der schwanken Seemannswiege, ihre fliegenden Hände warfen die kleine Matratze heraus, sie durchwühlten die Kissen des Bettes, – sie suchten in allen Winkeln des kleinen Gemaches – – leer! Alles leer!

»Mein Kind! mein Kind!« – die jammernde Mutter eilte zurück in den Salon, – sie stürzte hinunter in die Küche – sie eilte wie eine Furie durch alle Räume. – »Louison! wo bist du? – mein Kind! mein Kind!«

Ein Stöhnen – ein furchtsames Rufen antwortete ihr endlich – es kam aus einer Kammer an der hinteren, der See zugekehrten Mauer des Hauses.

»Louison – wo bist du?«

»Hier Madame, ach retten Sie mich! Die Welt geht unter!«

Ihre Hände tasteten im Finstern nach den vorgeschobenen Riegeln und rissen sie auf, – das Mädchen fiel halb leblos an ihre Brust.

»Der heiligen Jungfrau sei Dank, Madame, daß Sie da sind! Ach, ich habe mich so sehr gefürchtet, und sie drohten mir mit Schlägen, wenn ich weinte!«

Sie trug die kleine Dienerin mehr als sie dieselbe führte, hinaus in den Flur.

»Wo ist der Knabe – wo ist das Kind?«

»Das Kind?«

»Mein Kind, das ich dir anvertraute, bei dem ich dich zurückließ, Ungetreue!«

Sie hatte beide Arme des Mädchens gefaßt und schüttelte es so heftig, daß dieses aufs neue zu weinen anfing.

Endlich beruhigte es sich soweit, daß es erzählen konnte, der Kapitän – so nannte sie den Grafen – sei in der Nacht mit seinem Diener erschienen, habe sie am Morgen herunter geschickt und die Wartung des Kindes dem Hexenkobold übergeben, der mit den Matrosen gekommen. Man habe ihr gesagt, daß die Herrin des Hauses nach Bayonne gefahren sei und erst am andern Tage zurückkehren werde, aber sie habe den ganzen Tag nicht aus dem Hause gedurft. Am Abend – als sie immer unruhiger geworden, und nach ihrer Herrin oder dem Kinde verlangt, – habe man sie unter Drohungen in die finstere Kammer gesperrt und hier habe sie bei den Donnerschlägen, die den Boden unter ihr erzittern gemacht, geglaubt, mit dem ganzen Hause untergehen zu müssen.

Das war alles, was Margaritta von dem Mädchen erfahren konnte, es hatte nicht einmal gesehen, daß das Kind, an dem es selbst mit großer Liebe hing, fortgebracht worden war.

Die Verzweiflung der jungen Mutter war grenzenlos. Wohl zwanzigmal las sie den Brief des Mannes, der ihr auch das letzte noch genommen, aber er war kalt und herzlos – herzloser als das mündliche Wort des Abschieds! Er schrieb ihr kurz, daß nach der Entdeckung, zu der sie sich so gewaltsam gedrängt, ihre Trennung erfolgen müsse, daß aber das Kind sie immer an ihn erinnern werde und daß er deshalb vorzöge, es mit sich zu nehmen. Er hoffe, daß sie nach kurzem Schmerz vergessen lernen und in einer anderen Verbindung ein dauernderes und besseres Glück finden werde.

Der Schmerz brachte die unglückliche Mutter nach all den entsetzlichen Eindrücken der letzten vierundzwanzig Stunden fast zum Wahnsinn. In dieser schrecklichen Aufregung traf sie Miguel, als er von der Fortschaffung des Douanen-Offiziers zurückkehrte.

Margaritta sprang auf ihn ein. »Wo ist mein Kind? wo ist Juan, sein Vater? Ich beschwöre dich, Mann, du mußt es wissen! Ruf deine Kameraden, ich will nach der Victory, seinem Schiff! Dorthin hat er es sicher gebracht! – Schnell – schaff mir die Ruderer und ein Boot!«

»Welches Kind? was meinen Sie damit, Mademoiselle?«

»Welches Kind? mein Kind – Juans Kind! in Fluch geboren und gesäugt und dennoch das einzige, was mir von ihm geblieben war, das Zeichen seiner Liebe zu der unglücklichen Margaritta!«

»Ihr Kind, Mademoiselle?«

Es überflutete den Mann wie ein heißer Strom – es war ihm, als breitete sich über das Madonnenbild in der Kirche draußen am Platz, vor dem er zu beten pflegte, ein dunkler Schleier!

»Mein Kind, Miguel! hörst du nicht – mein Kind! mein süßer holder Knabe!«

Er beugte schmerzlich das Haupt. »Ich wußte es nicht, Madame! – und was ist mit dem Kinde?«

»Es ist geraubt, gestohlen! – Er hat es mit sich entführt. Ich will wissen, wo er ist! Noch kann er das Schiff nicht erreicht haben – ich werde ihn einholen – zu seinen Füßen werde ich um meinen Knaben betteln!«

»Madame,« sagte der Lastträger mit trauriger Miene, – »ich glaube nicht, daß der Kapitän zu der Jacht zurückgekehrt ist. Ich traf vor fünf Minuten den Fischer Jérome Pencado, und er hat mir erzählt, daß er dem Señor, dem Seine Majestät der Kaiser so große Gunst erwiesen, daß er selbst die Nacht in seinem Schlosse zubringen durfte, – auf dem Wege nach Bayonne begegnet sei. Und was die Jacht anbetrifft, die draußen auf der Reede ankert, so war Jérome Zeuge davon, daß das Boot des Schiffes vor zwei Stunden von hier abgefahren, und hat mit seinen eigenen Ohren von den Matrosen gehört, daß sie sogleich die Anker lichten sollten und daß der Kapitän erst wieder in vierzehn Tagen mit ihnen Zusammentreffen wolle!«

Sie legte den Kopf auf den Tisch und schluchzte laut, sie begriff, daß keine Hoffnung war, den Flüchtling zu verfolgen, selbst wenn sie die Mittel dazu gehabt hätte. Wußte sie doch nicht einmal, in welcher Richtung, ob mit dem Schiff, ob zu Lande das Kind entführt worden war.

Der rauhe schlichte Mann suchte sie vergeblich zu trösten; seine einfachen Worte verklangen unverstanden an ihrem Ohr.

Zufällig sah er dabei den Brief mit dem großen Siegel, der, am Nachmittag von Bayonne gekommen, an die junge Frau adressiert war und noch immer uneröffnet auf dem Tisch lag.

»Hier ist ein Brief, Madame, Sie haben ihn noch nicht erbrochen!«

Sie schob ihn gleichgültig zurück.

»Aber es ist ein Gerichtssiegel darauf – bei Sankt Martin, ich kenne das Zeug, seit sie mir damit meinen kleinen Weinberg abdisputiert und mich zum Schmuggler gemacht haben!«

»Was kümmert mich das Gericht! lies selbst, wenn du willst!«

»Das ist gerade nichts leichtes,« meinte der Lastträger, »Sie wissen recht gut, Mademoiselle, daß das Schreiben und Lesen nicht meine starke Seite ist.« Dennoch öffnete er den Brief, in der Hoffnung, vielleicht etwas zu finden, was sie von ihrem Schmerz ableiten könne, und begann das Schreiben zu studieren.

»Ei sehen Sie doch her, Mademoiselle, es ist von dem Gericht zu Bayonne, und darin liegt eine Schrift in spanischer Sprache, auf Stempelbogen geschrieben.«

Sie zuckte ungeduldig die Achseln – ihr Auge starrte finster vor sich hin in das leere Kabinett auf die leere Wiege.

» Parbleu, wissen Sie, daß dieser Brief eigentlich nicht an Sie ist? er lautet an Madame Maria Santarez, verehelichte Labeule.«

»Es ist der Name meiner Mutter!« antwortete sie, fast ohne zu wissen, was sie sprach.

Der Schmuggler studierte immer eifriger in dem Schreiben. »Sie müssen selbst lesen, Mademoiselle, es geht Sie an und ist wichtig. Hatte Ihre Mutter einen Bruder?«

»Ich glaube – aber er ist seit länger als zwanzig Jahren verschollen.«

»Und er hieß Antonio Santarez?«

»Möglich! – ich erinnere mich!«

»Sie haben nie von ihm gehört?«

»Er soll nach den Antillen gegangen sein! Er zürnte meiner Mutter, daß sie ihr spanisches Blut mit dem eines Franzosen vermischen wollte, und ging darüber zur See!«

»Heilige Jungfrau, deine Macht ist wunderbar. Ihr Oheim ist tot, Madame!«

»Gott schenke ihm im Grabe den ewigen Frieden, den wir im Leben hier vergeblich suchen.«

»Ihr Oheim, Mademoiselle, starb in der Havanna.«

»Was kümmert's mich! meine arme Mutter hat manche Träne um ihn geweint! Zum Glück starb sie, ehe sie die Schande ihres Kindes gesehen!«

Ihre Augen schienen an einem Gegenstand zu haften, – sie stand langsam auf.

»Mademoiselle, Mademoiselle – dieser Mann, Ihr Oheim, war einer der reichsten Plantagenbesitzer auf Kuba geworden durch seine Heirat und seinen Fleiß!«

Sie bückte sich und hob unter der Hängematte einen Gegenstand auf und trat damit zurück zum Licht –

»Mademoiselle – hier steht es – er hat Ihre Mutter auf dem Totenbett zu seiner Erbin eingesetzt – –«

Sie hatte den Gegenstand entfaltet, es war ein zusammengedrücktes Papier – von rosa Farbe, duftend nach fleur d'orange.

»Heilige Jungfrau – wissen Sie, wie reich Sie sind?«

Ihre dunklen Augen hafteten krampfhaft auf dem Papier, dessen Inhalt sie las, während ihre Hand so zitterte, daß sie nur langsam die Buchstaben unterscheiden konnte!

»Mademoiselle, um Gotteswillen, Sie hören mich nicht!«

Das Billett enthielt eine einzige Zeile – drei Buchstaben zur Unterschrift.

Der Schmuggler hatte ihren Arm gefaßt und schüttelte ihn.

»Fassen Sie sich, Mademoiselle, – ein solches Glück – hier steht's geschrieben …«

» Merci pour la discretion« …

»Zwei Millionen Piaster, – Mademoiselle, zwei Millionen.«

Ein gellender Aufschrei unterbrach ihn.

»Der Treulose! Der Verräter – Fluch! Fluch!«

»Margaritta –«

Sie streckte wild die Arme in die Höhe, sie ballte die Hände gegen den Himmel. »Verraten! Verraten! In den Armen einer anderen, während ich für ihn litt, während er wußte …«

Es war ein Stöhnen aus tiefem zerrissenem Herzen, ein so wildes Aufschluchzen heißer Leidenschaft, daß selbst der rauhe simple Mann sich erschüttert fühlte.

»Ich weiß nicht, was Sie so erschüttert, Mademoiselle,« sagte der Lastträger – »aber wenn Sie auf die Treue dieses Mannes gebaut haben …«

»Er ist treulos – er hat mich verraten – hier – hier –« sie hielt ihm den duftenden Brief entgegen. –

Er antwortete nur mit einem Achselzucken. »Sie hörten selbst oder hörten es nicht in Ihrem Schmerz, wie Leutnant Dalbond ihm vorwarf, daß er ihn in einem anderen Lande gekannt hätte, und daß ein armes Mädchen um ihn einen traurigen Tod gefunden hätte! –«

»Tod – was ist Tod? – Ich wäre hundert Tode für seine Liebe gestorben! – aber er hat mich verraten, betrogen, er liebt eine andere, während er noch gestern mir auf dieser Stelle Liebe und Treue schwur! – Aber ich muß Rache haben, Rache für den gemordeten Vater, für mein zertretenes Herz!« – Gleich einer Tigerin, die nach ihrer Beute verlangt, mit flammenden Augen, mit glühender Stirn wandte sie sich zu dem Schmuggler.

»Was sagtest du von Millionen, Miguel, von Millionen, die mein Eigentum wären?«

»Sie haben zwei Millionen Piaster geerbt, Mademoiselle, von Ihrem Oheim, das Gericht selbst meldet es Ihnen; das müssen mehr als zehn Millionen Franken sein, so viel ich rechnen kann!«

Sie fiel auf die Knie. »Heilige Jungfrau, habe Dank! ich bin reich! reich! Aber bei dem Grabe meines Vaters, bei der Seele meiner Mutter gelobe ich, jeden Sous dieses Reichtums will ich verwenden, ihn zu verfolgen, den Verräter, und sollte ich ihn über die weite Erde jagen! – Rache will ich haben, Rache für mein zertretenes Herz. – Wehe dir, Juan – ich bin eine Spanierin



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