John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 1
John Retcliffe

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Am Stilfser Joch!

Wenn man den prächtigen Paß der Finstermünz auf der Straße von Inspruck nach jener Oase des milden italienischen Himmels in Mitten der rauhen Winternatur der Alpen – nach Meran! – hinter sich gelassen und von jener Wegscheide des Inn und der Etsch dem schaumbedeckten Bett der letzteren in ihrem wilden Fall nach Süden folgt, nähert man sich bald den eisigen, mit ewigem Schnee bedeckten Wänden des mächtigen Ortler, dieser höchsten und gewaltigsten Berggruppe Tyrols.

Zwölftausend und zweiundsechszig Fuß erhebt sich in einer öden, das Ende der Welt genannten Alpenregion der Ortler in Gestalt einer dreispitzigen mit dem ewigen Eise bedeckten Pyramide, zum ersten Mal von dem passeier Gemsenjäger Johann Pichler bestiegen.

Er rivalisirt mit dem Groß-Glockner um den Ruf, der höchste Berg Deutschlands und Österreichs zu sein.

Ueber diese Alpenwand, die Deutschland von der Lombardei, den untern Vintschgau oder das obere Etschthal in Tyrol von der lombardischen Provinz Sondrio, dem Veltlin oder oberen Addathal, Jahrhunderte oder vielmehr Jahrtausende lang gleich einer Felsenmauer schied, die nur der kühne Fuß des Schmugglers oder des Jägers auf schwindelndem, tausend Gefahren ausgesetzten Fußweg überschritt, hat der Ingenieur Domigani unter Kaiser Franz I. von 1820–25 mit Ueberwindung ungeheurer Schwierigkeiten die höchste und schönste fahrbare Kunststraße der Alpen und ganz Europas angelegt.

Dominichini und Porro führten den kühn ersonnenen Plan aus. In hundert Windungen steigt die Straße an der gewaltigen Bergwand des Ortler empor, die Gletscher unter sich lassend, und windet sich durch riesige Galerieen und Felsenbauten bis zur höchsten Höhe des Stilfser oder Wormser Jochs, um dann in die Lombardischen Ausläufer der Alpen nach Bormio hinabzusteigen und nach Lecco am Comer-See – jener glühenden Verschmelzung von Idylle und Romantik, von Alpennatur und italienischem Himmel – zu führen, so Inspruck und Mailand, die äußersten Kaiserwarten Deutschlands und Italiens zu verbinden.

Der Reisende, der den trotz der prächtigen Kunststraße gefährlichen aber lohnenden Uebergang über das Stilfser Joch wagen will, wandert von dem romantischen Postflecken Mals, über dem die Schneewände des Ortler zu hängen scheinen, auf dem Weg nach Meran weiter, bis zwischen Glurns und Kyrs die Straße das Etschthal verläßt und sich rechts hinauf windet nach Trafoi und den Madatsch Gletschern, bis zu einer Höhe von 8662 Fuß.

Schon einmal, in einem verhängnißvollen Augenblick unserer ErzählungVillafranca, 2. Band. ist uns der Leser in die mächtige Alpenwelt des deutschen Gränzlandes Tyrol gefolgt.

Es war damals, als am Fuß des Laternenpfahls, an dem die Mörder den verstümmelten Leichnam des Grafen Latour aufgehenkt, der alte Kampfgenosse des Sandwirths seines ersten Zusammentreffens mit dem Gemordeten gedachte.

Wir können dem Leser auch diesmal das herrliche deutsche Land, nach dem der Welsche gierig die Hand streckt, nicht in seiner Pracht der sommerlichen Bergnatur, mit seinen grünen Almen und üppigen Thälern zeigen; – das ewige Eis der Ferner und Spitzen ist auch diesmal niedergestiegen ins Thal und hält noch immer Berg und Matte in seiner kalten Umarmung.

Aber auch der Winter hat in diesem von Gott dem Herrn bevorzugten Lande seine eigenthümliche Majestät.

Unter dem reinen blauen Himmel breitet sich das weiße Tuch mit den tausend Nuancen seines Schattens und Lichts, nur durchbrochen von dem Dunkel der unter der Schneelast sich beugenden Nadelholzwälder oder dem rothgrauen Gestein der Felswand, von dem der Sturm die weiße Decke ins Thal gefegt, über Tiefe und Höhe bis hinauf in den Aether.

Die im Sommer so munter rauschenden Bäche sind vereist, die Wasserfälle an der kalten Felswand in mächtige über einander gethürmten Säulen erstarrt, Millionen Crystalle leuchten und reflektiren blendend im Sonnenschein auf diesen glänzenden Stahlpanzer und auf den hohen Felsenfirsten und Kämmen fegt der Windzug den leichten Schneestaub. Die Höhen »rauchen«, wie der Landmann in seiner im Schnee begrabenen Hütte sagt, wenn ein Theil des aufgewirbelten Staubschnees in seinen diamantenen Wölkchen glitzernd und blitzend in die klare Luft aufqualmt, während die schwereren Massen, vom Winde gepeitscht, in hundert wirbelnden Cascaden an den Eiswänden der Bergkrone herumtanzen und wie flatternde Nebelstreifen in die Tiefe sinken.

Am Rande der schroffen Felswände wachsen gleich den phantastischen Zaubergestalten der Stalaktytenhöhlen Krusten, Zacken, ganze Bäume und Mauern von Eis, drohend über der Schlucht hängend, und stürzen beim Sonnenstrahl oder dem laueren Südwind mit lautem Gepolter in die Thäler und Pässe nieder und ihre Gewalt ist so groß, daß von hohen Felsen spitze Zacken oft mehre Zoll tief wie eiserne Keile in den Straßendamm dringen und kleine Eisklümpchen selbst durch Bretter schlagen und wie Kanonenkugeln ricochettiren.

Der Wegmann, der – bis an die Zähne vermummt, – das mühselige Geschäft übt, für den kleinen Postschlitten die Wege nothdürftig frei zu halten, legt dann die Schaufel aus der Hand und greift zum Stutzen, um mit der unfehlbaren Kugel jene »Eismauern« in unzugänglicher Höhe abzulösen.

Das niedere Thierleben ist größtentheils unter die Erde verschwunden und träumt in der sichern Höhle dem Boten und Bringer des Frühlings, dem Föhrn entgegen; – Mäuse, Schlangen, Murmelthiere, Bären, Dachse vertrauen der Wärme ihrer Erd- und Felsenhöhlen das von Frost und Hunger bedrohte Leben, der Steinbock und die Gemse steigen nieder aus der Felsregion zu den Waldgränzen und nur der weiße Hase, das Alphuhn, der Rabe, das Volk der Krähen und der Geier und Adler behaupten die Alpregion als die einzigen Zeugen des animalischen Lebens.

Während so im Hochgebirge der Winter fast alles Leben ertödtet, regt es sich lauter und emsiger im Waldgürtel der Berge. Mit der Axt und dem Schlitten ziehen die Bewohner der Bergthäler über die festgefrorne Schneedecke. Die Schneebahn ermöglicht im größten Theil des Gebirges das Ausbringen des Holzes. Dröhnend stürzen die gefällten Tannen und Buchen zusammen und die entästeten Stämme schießen pfeilschnell die Felsenwände hinunter. Starkknochige Pferde oder kräftige Ochsen galopiren sichern Fußes mit ihnen die Halden entlang und steile, eisstarrende Schluchten hinab den Dörfern zu. Im Dunkel der Nacht kläfft durch die öden Büsche der Fuchs – am Tage wirft die Felswand im Echo den Schuh des Jägers zurück und der plumpe Flug des aufgescheuchten Birkhahns rauscht durch die leeren Zweige; am Bach pfeift die Wasseramsel, im Vorholz des Hochwaldes der Schneefink oder Zaunkönig sein helles Lied.

Aber nicht immer ist es dieser tiefe Frieden, diese stille Einsamkeit oder diese ländliche Idylle mit den gewohnten Tönen, die auf der weiten Schneedecke liegt.

Wenn der Föhn, jener willkommene Gast des erwachenden Frühlings, den die Sonne Italiens als ihre Vedette sendet, um den Eispanzer der Thäler und Höhen zu sprengen, zu einer Zeit durch die Pässe und Schluchten fegt, in welchen der mächtige Wintergast noch unbedingter Herr ist, dann wird der sonst so wohlthätige Wind zum grimmigen Schneesturm, der die weite Fläche zu einem Wogenmeer emporpeitscht, das alles Lebendige, das ihm entgegentritt, verschlingt. Oder von den Felsenwänden und Bergspitzen herab naht mit furchtbarer Schnelle ein gewaltiger Donner. Die Berge und Wände scheinen sich zu lösen aus ihren alten Urvesten, die Felsen bewegen sich und die Wälder werden zu rollenden Strömen. Es ist die Lawine, die ein auffliegender Vogel, ein Luftzug, ein Sonnenstrahl in unbedeutendem Anfang droben über den Höhen der ewigen Schneegränze losgelöst und die sich – wachsend wie die Sturmfluth der Rebellion – niederwalzt, springt, tobt, Alles mit sich fortreißend, Alles vernichtend, hinab zum Thal – ein gewaltiges Grab der Natur, das erst der nächste Sommer öffnet!

Das, Leser, ist das Tyrol, wohin wir Dich mit jenem Recht aus den glänzenden Räumen des pariser Circus führen, das der Schnelle des Blitzes spottet und den elektrischen Strom des Drahtes als Schnecke hinter sich läßt – mit dem Recht der Phantasie!


Wenn man die prächtigen Brücken unterhalb Trafoi überschritten und das kleine Dorf hinter sich hat, steigt man zu jener Felsenwand, oder vielmehr zu jenen Felsenwänden empor, welche der Mund des Volkes »das Ende der Welt« genannt hat, weil hier jedes Weiterschreiten unmöglich scheint.

Aber der Mensch hat zwischen diesem Geschiebe von Fels und Wald und Eis mit hundert Umwegen sich dennoch einzudrängen gewußt, rastlos vorwärts strebend, hier seinen Weg gleich dem schmalen Gang der Gemse an eine Klippe hängend, dort in der Tiefe der Felsen selbst verschwindend, bis er jenseits derselben wieder zum reinen Licht der Sonne emporstrebt.

Zwischen Trafoi und der Höhe des Jochs, die in ewigem Schnee und Eis liegt, steht in einem kleinen Bergwinkel auf einsamer Matte ein kleines Haus, fern und geschieden von aller Welt; denn ein breiter Bergspalt, den nur der Schnee des Winters überbrückt, schneidet es von der Straße und wie ein Adlernest sieht es der Reisende auf seiner kleinen Halde an der Bergwand hängen.

Aber großartig und erhaben ist die Aussicht von dem Vorplatz des kleinen gegen Sturm und Lawine sich unter den Schutz der Wand schmiegenden Häuschens. Alle Herrlichkeiten und Schrecknisse des gewaltigen Tyrol, wie eine letzte Erinnerung, ehe man es scheidend verläßt, umfaßt hier der Blick.

So schien es auch der Eigenthümer der Hütte zu betrachten.

Wenn die scheidende Sonne im Sommer die Wände des Laaser vergoldete und auf die Spitzen des mächtigen Ortler ihre wunderbaren Rosenreflexe warf, dann sah der auf den Gallerien des Berges dahinziehende Reisende vor der Thür jenes Hauses drüben am Berghang einen alten, hochgewachsenen Mann in der Tyroler Landestracht sitzen, mit weißen Haaren und weißem Schnauzbart, die kurze Tyroler Pfeife rauchend und vor sich hinstarrend über das prächtige majestätische Bild.

Selten nur, sehr selten begegnete ein Wanderer, ein Vetturin mit seinen klingelnden Maulthieren oder der Bote, der mit seinem Kraxen die Bedürfnisse des Jochwirths und des kleinen Militairpostens aus den Thälern hinauf nach dem kleinen Wirthshaus im ewigen Schnee oder dem Mauthamt von San Maria trug, auf der Heerstraße der hohen Greisengestalt und wechselte mit ihr mit einer gewissen Ehrerbietung das »Grüß di Gott!« denn zu einem weitern Austausch eines traulichen Plausch, den der Tyroler doch sonst so sehr liebt, ließ es das ernste, ja fast finstere Wesen des Alten nicht kommen, – es müßte denn vielleicht ein Fremder ihn nach dem Namen dieser oder jener Spitze, eines Ferners oder sonst einer Auskunft des Weges gefragt haben. Willig aber kurz ertheilte er sie dann und ging eine kurze Strecke Weges mit dem Wanderer, als Gegendienst ihn fragend, wie es draußen jenseits der Berge aussähe im Lande Oesterreich und ob der Kaiser auch Herr aller seiner Feinde sei? Dann kurz – oft mitten im Gespräch abbrechend, namentlich wenn der Fremde eine neugierige Frage über seine Person wagte, – warf er den Stutzen, den er stets auf seinen Gängen trug, fester über die Schulter, wünschte eine »Glückliche Reis'« und bog von der Heerstraße ab, den steilen Abhang am Gestein hinauf oder hinab steigend mit der Kraft und Gewandtheit eines jungen Mannes. Mit Interesse, wenn auch gekränkt von dem kurzen Abschied, sah ihm gewiß Jeder nach.

Die hohe Greisengestalt schritt so fest und männlich, als hätte die Zeit keine Gewalt an ihr gehabt, und doch mußte der Mann über die Siebenzig hinaus sein, wie das weiße Haar und ein Blick auf das faltenreiche verwitterte Antlitz zeigte. Es war ein offenes, biederes, ehrliches Gesicht und das schwarze Auge, jenes welsche Erbtheil des ächten Tyrolers, blitzte zuweilen auf, so frisch und fest, als sähe es den Gemsbock oder den Feind seines Kaisers vor der Mündung seines Stutzens. Für gewöhnlich aber blickte es traurig und finster unter den buschigen weißen Brauen, als sei es bloß der Ausdruck eines tiefen gewaltigen Kummers, der in den schweren Falten der Stirn seine Herrschaft aufgeschlagen.

Der Greis trug die alte gute derbe Landestracht, ohne jegliche Zier oder Neuerung, und merkwürdig erschien dem Fremden, der sie näher betrachtete, nur der Umstand, daß auf seinem Brustlatz an starker Schnur zwei Medaillen hingen – deren Gold und Silber durch den schwarzen Flor hindurch schimmerte, der sie umhüllte. Jede Frage danach aber wies der Greis kurz und streng ab.

Solche Begegnungen aber waren, wie gesagt, nur selten, und selbst den wenigen Bewohnern der Gegend war er kaum mehr bekannt, als den über das Joch ziehenden Fremden. Für gewöhnlich waren seine Gänge nach den wildesten, einsamsten Stegen gerichtet, wo er sicher war, Niemandem zu begegnen.

Doch wohnte der alte Mann nicht etwa allein. Der Reisende, der ihn vor seinem kleinen, aber reinlichen und ordentlich gehegten Hause die Pfeife dampfend oder mit irgend einer ländlichen Verrichtung beschäftigt sitzen sah, bemerkte oft eine hübsche kräftige Frauengestalt im kurzen Tyroler Rock mit Mieder und Hut bei ihm auf dem Vorplatz des Hauses, das zu weit fast für den Ruf und die Verständigung der menschlichen Stimme seitab gelegen, doch noch immer nahe genug war, um ein scharfes Auge oder den neugierigen Gucker des Fremden erkennen zu lassen, daß die Frau noch jung – etwa vier- bis fünfundzwanzig Jahre – und von jener wunderbaren plastischen Schönheit und Reinheit der Linien und Formen war, die man nicht selten unter den Tyroler Frauen trifft, bis Wetter und Arbeit sie schwinden machen.

Die Schönheit der jungen Frau – denn daß sie eine solche war, bewies der kleine Bube, der häufig an ihrer Schürze hing und später sich in seinen Spielen um das Haus tummelte – trug übrigens die Natur und den Charakter des Greises; so emsig und rührig sie auch um diesen und in der Wirthschaft war, zu der eine nahe kleine Alm gehörte, hatte doch noch Keiner das helle silberne Lachen einer jungen Frau vernommen, und eine stille resignirende Trauer lag über dem ganzen Wesen des jungen Weibes.

Ein Knecht – schon bei Jahren – vervollständigte den kleinen Haushalt.

Die Bewohner von Trafoi wußten wenig von der Familie. Vor etwa 9 Jahren war der alte Mann, den die junge damals schwangere Frau ihren Großvater nannte, aus dem untern Tyrol, woher? wußte Niemand recht, in die Gegend gezogen und hatte das Grundstück erhandelt. Bei den Thalbewohnern hieß er der Soldaten-Nazi, denn man wußte nur, daß er in den Tyrolerkriegen gefochten und daß der Mann seiner Enkeltochter im italienischen Feldzug gefallen war. Im Grunde kümmerten sich auch die Dorfbewohner, die schon zu Welschtyrol sich zählten, wenig um den Deutschen, der stets that, als verstände er keine Sylbe von den melodischen Klängen der Sprache, die jenseits des Bergjochs geredet wird. Der alte Mann hatte bei seinem Anzug ein reichliches Geschenk dem Leutepriester zu Trafoi für sein Kirchlein gegeben und regelmäßig wiederholte sich die Gabe an einem bestimmten Tag im Jahre – am 9. November – und der Priester, ein würdiger alter Mann, der die Familie offenbar in seinen Schutz genommen und jede müßige Neugier von ihr abwandte, las dann in einer kleinen einsamen Hochkapelle eine Seelenmesse, der die Familie andächtig beiwohnte.

Alljährlich, zur Herbstzeit, entfernte sich der Knecht auf eine Woche und nahm – denn die Thalleute waren ihm dort begegnet, seinen Weg über Meran durchs Passeierthal. Wenn er zurückkehrte, trug er einen Katzen mit schwerem Geld. Der Soldaten-Nazi mußte also nicht arm sein, denn er bezahlte alle Bedürfnisse, die das kleine Anwesen nicht aufbrachte, in blanken Zwanzigern und Gulden und das genügte dem bekanntlich etwas geldgierigen Charakter der Welsch-Tyroler. Im Uebrigen war der Knecht noch unzugänglicher und mürrischer als sein Herr und hatte sich bei einer oder zwei Gelegenheiten als ein wackerer Raufer gezeigt, der stets zu einem Ringen den »Schneit« hatte. –

Als der Knabe älter wurde, brachte ihn die Mutter zu der kleinen Gebirgsschule, die der Vikar selber hielt. Doch hielten die Kinder der Gebirgsleute auch mit dem Knaben ziemlich wenig Umgang, denn der Bub hatte keineswegs den milden freundlichen Charakter seiner Mutter, sondern erwies sich zum Bedauern des frommen Lehrers bei gar manchen Gelegenheiten rachsüchtig und boshaft.

Das war Alles, was man von der einsamen Familie wußte, wenn ja ein Mal auf sie die Rede kam. –

Es ist ein trüber, nebliger Januartag, an dem wir den Leser an den Heerd der einsamen Hütte am Stilfser Joch führen.

Der Morgen und Mittag waren schön und sonnig gewesen, der Frost hatte überall die Wege fahrbar gemacht, und der Knabe, den der strenge Wille des Großvaters bei Zeiten an Anstrengung und Verachtung der Gefahren gewöhnt hatte, war mit dem Knecht hinaufgestiegen zum Jochwirth, um einen Brief dahin zu bringen, den die Mutter geschrieben.

Zum ersten Mal nämlich hatte am Morgen des Tages der Postreiter einen Brief für die Familie gebracht, der ihm vom Posthaus in Sanct Maria drüben über'm Joch mitgegeben worden.

Der Brief, den der Greis sich von seiner Enkeltochter hatte vorlesen lassen, und dessen schwarzes Siegel eine Todesbotschaft verkündete, hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Jetzt lag er auf dem breiten Tannentisch neben der Blechlampe vor dem Greise, der mit aufgestütztem Arm dabei saß und finster auf das Papier niederschaute, als könne er die Zeilen des Briefes lesen.

Der Poststempel, den derselbe trug, lautete »Salzburg«. Am Heerdfeuer saß die junge Frau, mit dem Stricken wollener Socken für den Knaben beschäftigt.

Aber ihr Geist schien wenig bei der Arbeit; denn oft ließ sie das Strickzeug in den Schoos sinken, wandte das Gesicht nach dem kleinen, von den außen an der Wand aufgespeicherten Holzstößen tief umrahmten Fenster und horchte ängstlich hinaus.

Dann wieder richtete sie ihr bekümmertes Auge auf den alten Mann und hing mit inniger Theilnahme an seinem durchfurchten Antlitz.

Es war bereits 8 Uhr Abends.

Mit dem Untergang der Sonne hatte sich das Wetter mit jener Schnelle geändert, die bekanntlich den Tyroler des, Thals nie ohne Regenschirm selbst beim heitersten Sonnenschein über Land gehen läßt.

Eine Wand von dichten Nebelwolken hatte sich von den Spitzen des Ortler niedergesenkt und bald die ganze Gegend in ihren naßkalten Schleier gehüllt, der sich von Zeit zu Zeit in ein dichtes Schneegestöber auflöste.

In einzelnen Stößen, die immer rascher und stärker einander folgten, begann der Föhn sich zu erheben.

Das Herz der Mutter ertrug die schweigende Sorge nicht länger. Die junge Frau legte das Strickzeug nieder, stand auf und ging zur Thür der Hütte, die sie öffnete, Der Wind fuhr mit gewaltigem Stoß herein und hätte ihr die Klinke beinah aus der kräftigen Hand gerissen, während er die eisigen Spitzen, des Schnees ihr in's Gesicht schlug.

Aber sie hielt sie fest und horchte hinaus durch Wind und Schnee.

Nichts ließ sich von der Straße her vernehmen, als das eigenthümliche Rauschen des Schneetreibens.

»Heilige Mutter Gott's,« sagte sie endlich, die Thür wieder schließend – »Nönl, lost Oes nit des rüche Wetter – und der Bros is draußen und kehrt noch immer nit. zurück!«

Der alte Mann achtete nicht auf die Worte. Er sah immer noch starr auf den Brief.

»E is hingeworden,« sagte er endlich, »wie a rechtschaffner Mann werden soll, geacht und bedauert vom ganzen Land und der Kaiser in seiner Hofburg hat sicher a Thrän' g'habt für den Joachim Haspinger, den Pater vom Iselberg.Der Pater Joachim Haspinger, der Gefährte Hofers und Speckbachers, starb zu Salzburg am 12. Januar 1858. I wollt, i wär an seiner Stell!«

»Nönl, Nönl, was plauscht Oes for Frevel da! Wenn Gott der Herr die Heimsuchung über uns g'schickt, so müssen wir's tragen mit der Heiligen Hilfe und dem feinen Gewissen. Es thut nit gut, deß Oes aufruhrt die bösen Gedanken in der schlimmen Nacht, wo das Schneeschild begraben kann jeden Augenblick mei Kind!«

»Unkrautl vergeht nit,«,sagte der Alte unwirsch. »Der Bu ist alt g'nug, um a Bissel Geschniebe nit zu fürchten und der Kölbl is bei em. Aber a Mann wie den Jochem krigt das Tyrolerland nit wieder und wenn die Ferner ewig stehen.«

»Der Großohm is zweiundachtzig Jahre gewest, Nönl,« klagte die junge Frau – »des is a saubres Alter und Gott der Herr hat jedem Menschenkind sa Gränz gesteckt. Aber der Franz'l is a Kind und 's hat das Lebe vor sich und es is nit fein, deß Oes so fuchtig von ihm red't, wo mi das Herze is zusammenschnürt vor Angst.«

Sie hatte sich wieder nieder gesetzt und die Hände im Schoos gefalten. Der alte Mann war aufgestanden, strich mit der Hand über die Stirn und ging einige Mal in dem kleinen Raum auf und nieder.

Dann trat er zu seiner Enkeltochter und streichelte ihr freundlich die thränenfeuchten Wangen.

»Sei ruhig, Nandl und rehr nit. Der Kölbl kennt das Gebirg, und wenn er schaut hat das Nebelwetter, wird er mit dem Bu im Wirthshaus am Joch geblieben sein bis morgen früh. Nehms nit bös, wann i wieder hab a mal mei alte Sekten, der Brief aus Salzburg, der uns gemeldt hat, wie der Ohm so seelig hingeworden im Herrn und in so großer Ehr vor aller Menschheit, hat mir's wieder ang'than und die alten Wunden im Herzen wieder aufrissen, des sie bluten auf's Neu. I kann halt nit vergessen, deß der Name Haspinger g'schändt is worden durch mei eigen Blut!«

Die junge Frau oder das Mädchen, schmiegte sich an die hohe Gestalt des Greises.

»Nönl,« sagte sie tröstend, »hat nit der Franz sei Schuld g'büßt mit dem Leben, und kann a Menschenkind mehr thun für seine Sünd, als daß es in Reu und Buß sei Leben giebt?«

Der Greis blickte finster vor sich hin.

»Des Haspingers Blut a Verräther an seinem Kaiser,« sagte er dumpf – »und seiner Tochter Kind ...«

Er brach ab, aber die junge Frau vollendete sein Wort.

»Sprecht's aus, Nönl, was meiner Mutter Kind is geworden! A geschwächte Dirn, auf die die ehrliche Leut mit Fingern zeigen und die nit sagen kann, wer ihres Bu sei Vater is! – Jesu Marie, was hab i than, deß i solch Schand derleben mußt!«

Der alte Mann hatte sich seiner Enkeltochter genähert, die – einen Augenblick die Besorgniß um das Kind der Schuld und des Grams vergessend – ihr Gesicht schluchzend in die Schürze barg.

»Rehr nit, Nandl, i waaß, deß Du ka Schuld nit hast an des Unglück und rein bist wie a jungfräuliche Dirn. Der Herrgott im Himmel hat's halt zulassen um uns zu strafen für unsern Stolz auf des Haspingers Namen. Hab i nit deshalb dort im Stubbayer Thal verkauft meines Vaters Haus, auf dem die Haspinger gesessen, wie die Urkund sagen, von der Margaretha Maultasch her, und bin fortzogen mit Dir an's fernste Gegränz vom Land Tyrol, wo uns Niemand kennt und Niemand von unsrer Schand nit weiß! I trag mei Kraxen voll Unglück, was der Herr mir g'schickt, und werd's Haupt niederlegen mit Jammer und Leid – so trag denn Du auch das Deine, und mög der Herr mit Denen zu Gericht gehn, die all den hantigen Jammer gehäuft auf unser Herz!«

Die junge Frau beugte sich weinend nieder auf seine Hand.

»Aber Fluch dem schiechen Wicht, der all das Leid gebracht auf ehrliche Lüt. Mög mir der Herrgott die Gnad geben, deß der Schurke, eh i hinwerd, kommt in mei Näh vor mei Stutzen, und i will nit seelig werden und die Herrlichkeiten der himmlischen Heerschaaren schauen, wenn i nit ...«

»Halt ein, Rönl – er is der Vater von mei Kind!«

Der Greis wollte eine zornige Verwünschung ausstoßen, als ein seltsamer schrecklicher Ton ihn unterbrach.

Er klang durch das Heulen des Sturmes wie ein entferntes gellendes schauriges Hohngelächter, wie jene tolle Freude des Wahnsinnigen, der seiner Fessel entsprungen.

»Ho ho – hi he! Juchhei! Der Teufel is da! der Teufel kommt! hoiho!«

Und ein kreischender gellender Jodler, wie ihn die Sennen an schönem Sommerabend von den Bergwänden im Echo zurückgellen lassen, klang näher durch den Wind.

Die junge Frau wurde todtenblaß und sank in die Knie. »Jesu Marie, des is der Teufels-Toni, des bedeut a Unglück! Mei Kind! mei Kind!«

Der Greis war nach dem Stutzen gesprungen und riß ihn von dem Pflöcken an der Wand.

»Is der z'nichte Dörcher wieder im Weg? – Dei Bub is sicher, dem thut er nix, 'sis einzige Wesen im Gebirg, mit dem der Unhold verkehrt, denn Gleich und Gleich kommt stets z'sammen – aber mit irgend a armen Wandrer auf der Straß richt er Unglück an, daß er en in die Tiefe lockt!«

Und mit der Kraft der Jugend sprang er zur Thür und riß sie auf. »Halt das Feuer auf, Randl, daß sies sehn, wenn sie in Noth sind! – Wo is der Halunk, daß i ihm an's auf den Pelz brenn!«

»Thus nit, Rön'l,« bat die junge Frau, die eifrig beschäftigt war, das Feuer und Licht gegen die hereinstürmende Windsbraut zu schützen. »S'es a von Gott geschlagener Mann und Oes wißt, 's giebt a Unglück, wer sich mit em einlaßt!«

»Ho hi ho!« klang es gellender als vorher durch den Schneewirbel – »der Teufel ist da! Ora pro nobis! ora pro nobis! in nomine domini – schießt! schießt! Hau, hau!«

Der alte Mann hob den Stutzen und sein Schuß krachte durch den Wind. Aber er hatte eben nur in die Luft gehalten, um den Unhold zu schrecken.

»Gebst Ruh, Teufels-Toni!« schrie der Alte hinaus in das Wetter, »oder so wahr mir die Heil'gen gnädig sein sollen in mei letzte Stund – die nächste Kugel is für Dich! – Hoiho! Is a Christenmensch drüben in Noth, so komm er hierher unter Dach!«

Er schritt rüstig hinaus in das Schneetreiben und wiederholte den Ruf.

Dieser mußte in der That von Menschen gehört, oder in den einzelnen Pausen des Schneewirbels der Feuerschein des Hauses gesehen worden sein, denn es antwortete von der Straße her ein schwacher Ruf.

»Um des Himmels Willen kommt einem armen Reisenden zu Hülfe in der Noth! Ich hab' die Straße verloren und versinke im Schnee!«

»Die Leiter her, Randl – das Pummerl und a Feuerbrand!« schrie der Alte mit mächtiger Stimme zurück nach dem Haus.

Die gleiche Noth mußte schon öfter gekommen sein, denn die junge Frau oder vielmehr das Mädchen eilte wenige Augenblicke nachher aus dem Hause, vor ihr her in muntern Sprüngen ein kräftiger Haushund, der einen Bündel Stricke im Maul schleppte, während sie selbst eine 12 Fuß lange leichte Leiter trug und mit der Linken einen großen brennenden Spahn von harzigem Holz mit Pech getränkt und in die Höhe hielt, dessen Flamme dem Schneetreiben widerstand.

Der alte Mann, auf den Instinkt des Hundes vertrauend, ließ diesen voran laufen. »Such, Tyras, such!«

Er selbst folgte ihm rasch auf dem Fuß – einige Schritte hinter ihm das muthige junge Weib.

Wir haben bereits erwähnt, daß zwischen dem Hause des Tyrolers und der Straße eine breite Kluft sich niedersenkte, welche für gewöhnlich jeden Zugang von daher versperrte und nur im Winter durch die Schneemassen gefüllt und überbrückt wurde.

Der Reisende, welcher so unglücklich in das Schneetreiben gerathen war, hatte wahrscheinlich in der Entfernung das Licht in dem einsamen Hause bemerkt und war darauf zugeschritten. Wie sich ergab, hatte ihn der Ruf des Unholds, der unter den Bergbewohnern vom Joch bis zu den Passeier- und Oetzthaler Gletschern seit Jahren mit dem Namen des Teufels-Toni bekannt war, verlockt und ihn von dem schmalen Pfade des gefrornen Schnees in die Wehen getrieben, wo er ganzlich zu versinken in der höchsten Gefahr war.

»Halt Oes a Augenblick fest, Mann – Gott der Herr schickt Enk sa Hilf. Gebt Antwort – deß i was, wo Oes seid!«

»Hie! hier! ich versinke!«

Der Hund sprang vor, ließ die Stricke fallen und schlug an.

»Bleib zurück, Nandl, so lieb Dir Dei Leben is!« schrie der Alte. »Er steckt in der Franzosenkluft! Gott der Herr erbarm sich seiner Seel, wenn er schon über den Fels gerutscht! – Die Leiter her!«

»Nön'l, Nön'l, nehmt Enk in Acht!«

Dem Mädchen war die Gefährlichkeit der auf dieser Seite in jähem Absturz wohl 150 Fuß abfallenden Bergspalte bekannt, in deren Tiefe zur Frühjahrszeit die Gerinne der Hochwasser rauschten und die von Alters her die Franzosenkluft genannt wurde, weil bei dem Ueberfall einer französischen Escorte durch die Tyroler Schützen vor länger als fünfzig Jahren die Leichen der Feinde da hinein geworfen worden waren.

Der alte Mann hatte die Leiter ergriffen und dem Instinkt des treuen und klugen Thieres folgend, nahte er sich rasch aber vorsichtig der Stelle, wo der Hund noch immer laut bellte.

»Wo seid Oes, Fremder?«

»Hier, hier – aber ich kann mich nicht mehr halten, – ich muß loslassen!«

»A Augenblick noch! haltet um's Leben fest, denn wenn Oes sinkt, is ka Rettung nit mehr! Unter Enk is Alles Tod und Finsterniß!«

Trotz des Schneegestöbers orientirte sich der Greis mit raschem sicherem Blick.

Er wußte aus Erfahrung, daß die verrätherische Schneedecke über der furchtbaren Kluft gleich dem Bogen eines Gewölbes hier etwa zehn Ellen dick war, und daß – wer durch sie hindurch brach, – rettungslos verloren sein mußte.

Die Kluft, oder vielmehr der Bogen, der sie überbrückte, war hier etwa zwölf Schritte breit, ein Hinüberreichen also nicht möglich. Der festgefrorne Weg, der aber am Ende der Spalte in schmalem Gang hinüberführte, war viel zu weit entfernt, als daß er den Umweg hätte machen und noch zu rechter Zeit dem Verunglückten zu Hülfe kommen können.

Trotz der Finsterniß konnte er mit dem daran gewöhnten Auge des alten Gemsenjägers zwischen dem Schneegestöber hindurch auf der andern Seite der Schlucht einen dunklen Körper erkennen, der aus dem weißen Grunde hervorragte. Es war ihm im Augenblick klar, daß der Fremde gleich am Rande der gefährlichen Brücke eingebrochen sein mußte, sich aber an den zähen Zweigen der hier wuchernden Laatschen, jener eigentümlichen Decke der Hochgebirge, festgehalten hatte. Was er aber anfangs nicht begreifen konnte, das war ein zweiter schwarzer Körper, der etwa 3 Fuß höher über dem Versinkenden hockte und sich hin und her bewegte.

Die Natur desselben sollte ihm jedoch sofort klar werden.

»Ho – ih – oh! ins Franzosenloch! ins Franzosenloch! Recommanda animam tuam in manus dei!«

»Herr Gott – der verrückte Unhold!«

»Helft – rettet! Er häuft den Schnee auf meinen Kopf!«

»Teufels-Toni – fort oder ich schieß Dich über'n Hauf!«

Der Irre lachte höhnisch auf. »Hast den Stutzen nit, Nazi – hast in die Luft geschossen! Hoho! ins Franzosenloch! ins Franzosenloch!«

Einen Moment nur stand der alte Mann rathlos, dann raffte er all die alte Energie des Kriegers zusammen und wie ein Blitz fuhr ihm der einzige Weg der Rettung durch die Gedanken.

»Festgehalten, Mann – a Minute noch und wenn der Teufels-Toni sei Schlimmstes thut!«

Im selben Moment hatte er auch das Ende der Leine in den Halsband des Hundes geknotet und die Leiter weit über die Schneebrücke geworfen.

»Faß ihn, Tyras! faß!« rief er und zeigte nach der dunklen Gestalt des Verrückten, der unter gellendem Hohngeschrei nach dem Verunglückten mit den Füßen stieß und versuchte, ihm die erstarrten Hände von den haltenden Wurzeln loszureißen.

Der Hund – ein großes, kräftiges, langhaariges Thier von der St. Bernhard Race, bellte mit jenem eigenthümlichen Instinkt, den alle Hofhunde gegen Bettler und Vagabonden zu besitzen scheinen, heftig wider den bezeichneten Gegner und sprang auf die Leiter hin und über die Schneedecke hinweg.

Die Decke, die das Gewicht eines Mannes nicht getragen hätte, trug den viel leichteren Hund.

Der Wahnwitzige, als er so plötzlich einen Feind auf sich gehetzt sah, mit dem er gewiß schon oft in den Häusern der Bauern unangenehme Bekanntschaft gemacht hatte, stieß ein Zetergeschrei aus, ließ sein Opfer los und floh eilig durch den Schnee davon.

»Steh, Pummerl!«

Der Hund, der bereits zwei oder drei Schritte über den jenseitigen Rand der Schlucht hinaus gesprungen war, blieb gehorsam stehen und begnügte sich, dem Flüchtigen nachzubellen.

»Jetzt Mann, schickt a Stoßgebet zu Eurem Schutzheil'gen,« sagte der Greis, »und faßt die Leine mit einer Hand und schlingt sie Enk um den Arm. Sie liegt grad über Eurem Kopf! – Habt Oes's gethan?«

»Gott lohn's Euch – aber es ist zu spät – ich versinke!«

»Kourasch, Kourasch, Fremder! – Hierher, Nandl! Helf mi ziehen! Seht, daß Oes die Leiter derwischt!«

Der Alte hatte in der Pause des Schneewirbels bemerkt, daß der Verunglückte richtig nach der Leine gegriffen und sie erfaßt hatte.

»Drauf, Tyras, drauf! faß den Dörcher!«

Der große starke Hund sprang wieder vorwärts und spannte den Strick. Je mehr die Last, die sich jetzt an diese gehangen, ihn zurückzog, desto kräftiger strebte er vorwärts.

»Jetzt Fremder dorst, seht zu, daß Oes am Strick Enk rüberhelft. Wenn Oes die Leiter habt, seid Oes sicher!«

Das Mädchen war herbeigekommen – noch glimmte und sprühte die Pechfackel und warf ihr schwankendes Licht über die Scene, da der Wirbelwind, der den Schnee durch die Luft fegte, wie um Athem zu schöpfen zu einem Stoß, gerade nachgelassen. Während der alte Mann fortwährend den Hund aufmunterte, vorwärts zu gehen und so die Leine festzuhalten, sahen die Beiden, wie der Fremde wirklich die Geistesgegenwart gehabt hatte, den Strick zu erfassen und sich an diesem über die Schneedecke fortzuziehen.

Wenn er auch wiederholt in demselben einsank, half doch der Strick die Last seines Körpers tragen, und es gelang ihm endlich, die Leiter zu erfassen.

Der alte Tyroler stieß einen hellen Triumphruf aus, überließ dem Mädchen jetzt, den Hund zu halten und warf sich platt auf den Boden, um hinübergreifend das diesseitige Ende der Leiter zu fassen.

Es gelang dem Verunglückten, mit Aufbringung aller Kräfte, nach Erfassen der Leiter, sich auf die letzten Sprossen zu werfen. Der Greis begann sie mit der sehnigen Kraft, die ihm trotz des Alters und Kummers noch immer geblieben, langsam zurückzuziehen.

»Jetzt Nandl, ruf den Tyras zurück, wir brauchen ihn nit mehr, und hilf mir den Schußbartl herüberzieh'n, der sich so unvorsichtig in die G'fahr gewagt!«

Das Mädchen gehorchte, doch hörte der Hund erst auf den Ruf des Alten selbst und kam dann rasch über die gefährliche Brücke zurückgesprungen. Unterdeß war es dem Tyroler und seiner Enkeltochter glücklich gelungen, die Leiter mit dem darauf lastenden Körper herüberzuziehen und ein Freudenruf des Mädchens verkündete, daß die Rettung geglückt. Während der alte Tyroler sich mühte, dem Erstarrten zu helfen, sprang der Hund munter bellend und wedelnd an ihm empor, als freue er sich des Antheils, den er an der Rettung gehabt.

»Auf, Mann, rückt Enk zurecht – der liebe Gott hat Gnad' g'habt und Enk das Leben gerettet. Jetzt g'schwind, daß Oes an's warme Feuer kommt!«

Der Fremde hatte sich mit seiner Hülfe emporgerafft, er versuchte zu sprechen, aber er brachte nur einen gurgelnden Ton hervor, hob die Arme in die Luft und stürzte wie ein Trunkener schwerfällig wieder in den Schnee.

»Er is halt damisch« – sagte der Alte. »Die Kält und die Angst haben ihn z'nicht gemacht und die Haxen wollen ihn halt nit tragen. Spann das Pummerl vor die Leiter, Nandl, wir wollen ihn bis zum Haus schleifen.«

Er legte den bewußtlosen Körper auf die Leiter, befestigte ihn darauf und spannte mit der Leine den Hund davor. Die junge Frau griff mit an und so wurde der Verunglückte nach dem Hause des Greises gezogen.

Es war, als habe das arge Wetter nur darauf gewartet, daß ihm seine Beute entrissen war, denn der Sturm legte sich, noch ehe sie das Haus erreicht, gänzlich, mit jener Plötzlichkeit, die im Hochgebirg die Witterungswechsel begleitet, und es trat eine vollständige Ruhe ein, ja durch die sich theilenden Wolken begann hell der Mond zu brechen.

Der alte Tyroler und das Mädchen schüttelten an der Thür die Schneelast ab, dann schleiften sie den bewußtlosen Mann auf der Leiter in den Küchenflur.

»Jetzt Nandl, blas 's Feuer an,« befahl der Alte, »indeß i versuch, was mit dem Mann zu machen is. Mach a Lager für ihn z'recht, denn wir werden ihn zu Bett bringen müssen.«

Während die junge Frau in die Kammer ging, um wollene Decken zu holen, hatte der Alte den Bewußtlosen von der Leiter losgemacht und ihn von Schnee und Eis möglichst gesäubert. Als das Mädchen zurückkehrte, fand sie ihn gedankenvoll neben dem Körper stehen, den er an's Heerdfeuer getragen.

»Dacht' mir's wohl, daß es irgend a Dörcher oder sonst so a Dalk sein mußt,« sagte der Tyroler, noch immer den Fremden beschauend, »denn a ehrlicher Mensch treibt sich nit bei Nacht im G'birg herum. S'ist a Laninger, Nandl, seiner Kleidung nach z' schließen – aber des is gleich, s'is a Christenmensch und wir müssen unsere Pflicht thun um der Mueter Gottes willen!«

Das Mädchen hatte sich der Gruppe genähert und betrachtete neugierig den fremden Mann.

Er war offenbar – wie der Alte sehr richtig erkannt – ein Landstreicher, einer jener wandernden Kesselflicker und Hechelkrämer, die ein Theil des österreichischen Kaiserstaats hinaussendet aus der Heimath, um im deutschen Reich, ja weit über dessen Grenzen hinaus jahrelang Noth und Ungemach zu ertragen und ihr Leben auf das Kümmerlichste zu fristen, blos um einige Dukaten zusammen zu sparen und dann mit dem unter Lumpen sorgsam verborgenen Schatz nach der Heimath zurückkehren und ein kleines Stück Land kaufen zu können, auf dem der Arme sich dann mit der seiner harrenden Liebsten, die unter der Zeit im Herrendienst gestanden und längst selbst die Blüthe der Jahre verloren hat, ansiedelt.

Der Slowake war noch immer ohnmächtig. Die nasse Halina um seine Schultern, der ärmliche aber doch nicht zerrissene Anzug, der jedem Kinde in Deutschland bekannt ist, und das Bund mit Drahthaken und Ringen an seinem Gürtel bewies sein elendes Gewerbe, wenn auch sonst dessen Zeichen und Vorräthe fehlten und wahrscheinlich – gleich wie sein Hut – draußen im Schnee liegen geblieben waren. Hals und Brust waren halb offen und zeigten seine Abhärtung gegen Wind und Wetter, oder seine große Armuth, die sich keinen besseren Schutz zu verschaffen vermocht, als ein dünnes wollenes Tuch.

Unter dem Tuch hervor blitzte und funkelte es wie ein Feuerstrahl bei den Bewegungen der Flamme auf dem Heerde.

Der Unglückliche schien noch nicht alt, vielleicht zwei oder dreiunddreißig Jahre, soviel sich an dem von Wind und Wetter gebräunten und von Noth abgehagerten Gesicht erkennen ließ, das trotz dieser Hagerkeit die Spuren großer männlicher Schönheit zeigte, wie sie nicht selten jenen armen Söhnen des armen Landes eigen sind. Lange von Eis und Schnee gesteifte Haare von glänzendem Schwarz fielen in wüsten Strängen um sein Antlitz, das von der Kälte und der überstandenen Todesangst ganz blutlos erschien.

Plötzlich kreischte das Mädchen laut auf!

»Nönl! Nönl! um des heiligen Antoni willen – seht Oes nit, wer dös is?«

»Wer soll er sein? a fremder Dörcher is, der im Wetter derfroren!«

Das Mädchen hatte sich bereits neben den Körper niedergeworfen, rieb die krampfhaft geballten Hände des Unglücklichen und benetzte sein Gesicht mit ihren Thränen.

»O Nönl,« klagte sie, »daß Oes den halt nit wieder erkennt! Der Herr Matthis is's, der Student aus Wien, der so treulich zu uns gestanden in unsrer Noth bis zu des Franzel sei Todesstund, a's mir geschieden sind am Strandl vom Donaufluß!«

Der alte Mann beugte sich nieder, um genauer den Ohnmächtigen anzusehen. »Straf mi Gott, Nandl, Du kannst halt Recht hab'n. Aber Gott im Himmel, wie schaut der Bu aus! Es muß ihm halt bitterlich schiech gegangen sein! Aber was is dös?«

Er hatte im Bemühen, den Kopf des Verunglückten empor zu heben und ihn in eine bessere Lage zu bringen, wieder das Blitzen und Funkeln unter dem nassen Hemd und Tuch bemerkt und, das letztere bei Seite schiebend, einen Ring in die Hand bekommen, der an einer Schnur von Pferdehaar um den Hals des Slowaken hing.

Der Ring war ein einfacher starker Goldreif, der à jour gefaßt, einen ziemlich großen kostbaren Stein trug.

Dieser Stein war ein strahlender Diamant.

Obschon der ehrliche Tyroler Nichts von dem wahren Werth des Steines verstand, sah er doch leicht so viel, daß der Ring sehr werthvoll sein mußte, und zusammen gehalten mit dem ärmlichen Aussehen des Mannes, der ihn besaß, mußte sich natürlich der Verdacht regen, daß er nicht auf ehrlichem Wege dazu gekommen.

»Schau Nandl',« sagte der alte Mann, ohne jedoch in seinen Bemühungen um den Erstarrten nachzulassen, »i glaub halt jetzt selber, daß es der wiener Student is! Aber was i hier seh, dös g'fallt mer nit von ihm und s'sollt mer leid thun, wenn er auf unrechte Weg in seiner Armuth g'kommen wär!«

»Schämt Enck, Nönl,« erwiederte unwillig das Mädchen. »I will a körperlichen Eid leisten, deß der Mathis a ehrlicher Bursch is und ka Dieb nit. S'is vielleicht von seiner Liebsten, denn deß er das Ring'l lieb und werth hält, das b'weißt, deß er's um seinen Hals trägt wi i noch immer das Gottesaug' vom Franz. Aber dös geht uns halt nit an, und unsre Pflicht i's, ihm zu helfen in seiner Noth, wie er uns g'holfen hat. – Heili Antoni – er kommt halt wieder zu sich und kriegt a Röth in's G'sicht!«

In der That begannen, von der Wärme des Feuers und den Bemühungen der beiden Tyroler angeregt, die Lebensgeister des Erstarrten sich wieder zu heben – eine leichte Röthe kehrte auf das hagere Gesicht statt der bleiernen Todtenfarbe des Frostes zurück – seine Brust hob sich, und endlich schlug er die Augen auf und setzte sich von selbst aufrecht.

Die unsicheren Blicke des Slowaken irrten einige Augenblicke in dem behaglich erwärmten Raume umher, und von der lustig flackernden Flamme auf das gefurchte Gesicht des alten Mannes, von diesem auf das noch thränenfeuchte Antlitz der jungen Frau, das trotz des schmerzlichen Eindrucks, den der Anblick des Ringes auf sie gemacht, doch von aufrichtiger Freude strahlte.

Mathias, denn es war wirklich der unglückliche Student, das Geschöpf und Opfer der brutalen Lüste der Gräfin Martha Törkyöny, der vor neun Jahren so muthig den Weg der Armuth und Buße betreten, führte wie träumend die Hand an die Stirn.

»Wie ist mir denn – bin ich denn nicht gestorben in Eis und Schnee, von der Hand des dräuenden Alpengeistes hinabgeschleudert in die Tiefen der Gletscher, um meine Sünde und Schmach zu büßen? Oder hat Gott der Allmächtige endlich Mitleid mit meiner Reue gehabt und mich versöhnt in sein Himmelreich aufgenommen, daß ich sie wiedersehe, die ich liebe – Nannette – den alten Mann – die arme Schwester, die der Wolf zerriß – und sie, die ich kenne ...«

Er schaute wirr umher, als suche er noch andere Gestalten, als die beiden vor ihm, dann drückten seine Augen plötzlich Schreck und Entsetzen aus, und er starrte nach einer Ecke des vom Heerdfeuer nur halb erhellten Raumes. »Da – da – da ist der Furchtbare wieder – der Fluch, der sich an meine Ferse geheftet, verfolgt mich – ich muß hinunter, hinunter – ohne sie wieder zu sehen im Leben! zu Hilfe! zu Hilfe!«

Er sank noch ein Mal halb ohnmächtig in die Arme des jungen Weibes, während der Greis, zugleich durch das Knurren des Hundes aufmerksam gemacht, in der Richtung sich umblickte, in der der Slowake eine Erscheinung zu sehen geglaubt.

»Ho ho! ha ha!« klang es aus der dunklen Ecke, »Ihr werdet doch den armen Toni nicht schlagen dun von den Hunden zerreißen lassen, wenn er zur Hochzeit kommt? Grüß Di Gott, Nazi, grüß Di Gott! 0ra pro nobis! ora pro nobis! Der jüngste Tag ist da und die Todten stehen auf! Der Sandwirth will nit mehr bleiben auf dem steinernen Grabe zu Spruck und schwenkt die Fahn am Passeyr! Hurrah – es lebe der Kaiser, nieder mit den Franzosen! sie sollen im Tyroler Winter erfrieren, der Lefèvre und der Vicekönig! Bald is der Tag, wo auf den Wällen von Mantua die Schüsse knallen! – Erbarmen mit dem armen Teufels-Toni, den so schrecklich friert! A Stück Brod dem armen Toni und keine Hunde nit! Hurrah! morgen hält das Nandl Hochzeit und den Bu bringts gleich mit!«

Der Alte griff wild nach einem Feuerbrand im Heerd und schleuderte ihn gegen die Ecke. »Kobold tückischer – wie kommst Du hier herein in mein Haus?«

Wimmernd und flehend kroch jetzt aus dem Winkel eine merkwürdige Gestalt, die eben so viel Grauen als Mitleid erregen mußte.

Es war eine vom Alter und Leiden verkümmerte und verkrümmte Gestalt, das Gesicht hohläugig und eingefallen, nur Haut und Knochen wie der ganze Körper. Ein langer weißer, von Schmutz und Eis starrender Bart hing ihr bis auf die Brust, eben solche wirre Haare, die wahrscheinlich seit einer Reihe von Jahren nie mehr Kamm oder Scheere gesehen, flogen um das verwelkte Gesicht, aus dem nur zwei große starre Augen mit jenem unheimlichen Ausdruck hervorleuchteten, der die Abwesenheit des Verstandes verkündet. Der Mann konnte siebenzig – achtzig Jahre alt sein, in dem elenden Zustand, in dem er sich befand, war es unmöglich, dies zu beurtheilen, – aber die Zähe seiner Lebenskraft mußte sehr groß sein, weil er all' die furchtbaren Leiden der Winter in den Hochgebirgen schon viele Jahre lang in diesem Zustand ertragen hatte.

Denn die Kleidung, die er trug, war keineswegs geeignet, ihn auch nur einigermaßen gegen die Unbilden der Witterung zu schützen. Sie bestand aus den dürftigsten Lumpen, durch Faden und Strickenden zusammen gehalten; um die Beine und Füße hatte er Ziegenfelle gewickelt und das einzige Stück, was einigermaßen ihm zum Schutz und zur Erwärmung dienen konnte, war ein großes Bärenfell, an dem noch Kopf und Klauen niederhingen, und das er wie einen Mantel um die Schultern trug.

Die Bewohner von Trafoi erzählten sich, der Wahnsinnige habe den Bären, von dem das Fell herrührte, selbst in einem furchtbaren Kampf mit dem großen Knotenstock, oder vielmehr der Keule, die er auf seinen Wanderungen trug, getödtet, in einem jener wilden Felsenthäler des Madasch, die sonst nie eines Menschen Fuß betritt, und deren Höhlen den Bären des Engadin zum sicheren Winterschlaf dienen.

Man wußte, daß der Teufels-Toni in jener unzugänglichen Einöde, aus der er die Bären vertrieben, sich eine Hütte von Felsstücken und Holz erbaut hatte – kühne Gemsen- und Adlerjäger hatten sie von der Höhe der Felsenmauern liegen gesehen, aber niemals hatte ein Mensch gewagt, den furchtbaren Abgrund hinunter zu steigen und die Behausung des Wahnwitzigen näher zu untersuchen. Obschon Niemand recht die Herkunft und Vergangenheit des Wahnwitzigen kannte, zeigte doch der Umstand, daß er eben so gut Italienisch wie Deutsch sprach, daß er aus Welsch-Tyrol herstammen mußte, und die vielen Floskeln lateinischer Gebete, die er in das tolle Zeug, das er sprach, hineinmischte, ließen allgemein glauben, daß er ein aus irgend einem Kloster entflohener und wegen seiner Sünden des Verstandes beraubter Mönch sei. Wir haben schon früher erwähnt, daß seine Bosheit und Wildheit der Art waren, daß trotz des letzteren Umstands nicht das Mitleid sich seiner erbarmte, sondern er überall gefürchtet und vertrieben wurde.

Das Haus des alten Haspinger, so finster und drohend ihm auch der Hausherr, der einen ganz besonderen Widerwillen gegen den Verrückten zeigte, gewöhnlich begegnete, – war eines der wenigen im Gebirge, in dem er zuweilen einsprach, wenn der Hunger ihn allzusehr trieb, ja für das er eine gewisse Vorliebe zu haben schien; denn er lauerte oft in den Felsen und hinter den Laatschen Gebüschen verborgen, bis er den alten Mann mit seinem Alpstock hatte seine einsamen Wanderungen in das Hochgebirge antreten sehen, und kam dann plötzlich zum Vorschein, um einen Topf Milch oder ein Stück Brot von der jungen Frau zu erbetteln. Namentlich auf den Knaben derselben schien er es abgesehen zu haben, und so sehr auch die junge Mutter diesen Umgang zu verhindern suchte, konnte sie es doch nicht ganz verhüten, daß der Bube, als er älter wurde und in die Berge lief, häufig mit dem umherschweifenden Verrückten zusammentraf. Ja, das Mutterherz schrieb gerade diesem Umstand es zu, daß das Kind einen so trotzigen boshaften Charakter zeigte. Durch diese Umstände war es auch erklärlich, daß der Verrückte, während Nazi und seine Enkeltochter eben so eifrig mit dem Verunglückten und seiner Wiedererkennung beschäftigt waren, sich in den Hausflur hatte schleichen können, ohne daß Tyras, der wachsame Haushund, sich mit mehr als einem unwilligen Knurren dem widersetzt hätte.

»Misericordia! misericordia ad Dei gloriam! Den armen Toni hungert, den armen Toni friert! Der Teufel is mächtig in ihm! Kyrie eleison! Kyrie eleison

Er winselte, wie ein Hund, ahmte dann dessen Bellen nach und pfiff dazwischen wie die Gemse oder das Murmelthier, wenn es auf den Hochalpen spielt und seinen Gefährten anzeigt, daß Gefahr im Anzug. Dann schnellte er plötzlich empor, schlug die Hände zusammen und sprang in tollen Sätzen umher.

»Teufels Unhold,« zürnte der Alte, »willst Ruh geben oder i hetz den Tyras im Ernst auf Dich. Schaust nit, daß der arme Mann, den Du hast in's Franzosenloch stürzen wollen, ganz z'nicht is? Wie kannst Du wagen in mei Haus z'kommen nach solcher Unthat?«

Der Verrückte schlich vorsichtig an den in drohender Haltung am Tisch stehenden Greis heran und hob sich auf den Zehen, als wollte er ihm Etwas in's Ohr wispern.

»S'is wegen des Fratz des Brosi,« sagte er laut – »er is droben im Posthaus blieben, bis die Schneeschilder und dös Geschniebe die Straß frei lassen! Der Bu hat den Teufels-Toni g'schickt, sei Mueter Nachricht zu geben!« Dann fügte er leiser hinzu: »Aber alter Nazi, der Teufels-Toni war selber g'kommen, denn der Teufel is los und sie reden frantsch auf den Bergen, Puff! puff! i hab's g'hört, wie sie geplauscht haben davon – zehn Jäger vor! Feuer! Paff – da liegt er! Hurrah der Andres is todt – er wird niemals mehr dös Josele schießen lassen.«

»Unhold! was soll die wahnwitzige Red?« – Der alte Tyroler hob drohend die Hand.

»S'isch der Zwanzigste bald,« fuhr der Irre fort – »i weiß es, wenn auch mei Kopf z'nicht is – für was zähl ich die Kieselsteine aus dem Bach alle Jahr in meiner Hütt im Gebirg? – Drum müssen Alle hinwerden zur Sühn, die den Andres derschossen, und i will sie All' in's Franzosenloch bringen mit sammt ihrem rothen Gold. Der Joachim Haspinger, der Kap'ziner Patter wird mir helfen dazu!«

»Narr! Der Haspinger is todt – laß ihn in Frieden in seinem Grab ruhn und verunglimpf sei Gedächtniß nit, daß Du sei Namen im Mund führst!«

Der Irre lachte höhnisch und legte die Finger auf die Brust des alten Mannes.

»Hoho! bugia! bugia! Der Teufels-Toni weiß es besser! Wenn auch der Rothbart todt is – sei Vetter, der Nazi lebt noch immer und wird mit dem Tyrolerland gegen die Franzosen ziehen! Nazi Haspinger, Haspinger, Nazi Haspinger, hurrah! die Franzosen kommen und sie haben den Sandwirth derschossen!«

»Schurke – wer hat Dir Unhold das Geheimniß geratscht? i schlag di z' Boden, wenn der Nam' noch a Mal über Dei Lippen kommt!«

Er hatte die Hand erhoben, aber seine Enkelin fiel ihm in den Arm. »Um der Heil'gen willen, Nön'l,« bat sie, »leg nit Hand an den Unglücklichen, deß 's Dir nit zum Fluch wird! Geh zu dem Herrn, er is zu sich g'kommen und will mit Dir sprechen! – I red unterdeß mit dem armen Z'nichten und will hören, ob er wahr plauscht, deß er den Brosi g'sehn und den Kölbl!«

Sie schob den Greis nach der Seite des Feuers, wo in der That jetzt der Slowak auf einem Schemmel saß, noch blaß und erschöpft, aber doch bei vollem Bewußtsein, und übernahm es, den Verrückten durch freundliche Fragen und die Gabe von Brod und Milch auszuforschen, ob er wirklich den Knaben gesehen.

Der Slowak streckte dem alten Mann die Hand entgegen. »Gott im Himmel in seiner Gnade,« sagte er noch zweifelnd, – »so wäre es denn wirklich – Ihr selbst hättet mich gerettet und ich hätte, grad im Augenblick, wo ich glaubte, daß Alles für den armen Wanderer zu Ende auf dieser Erde, eben Die gefunden, die noch ein Mal zu sehen ich mich sehnte!«

»Pfieti Gott, Herr Matthias,« meinte schnell umgestimmt der Alte und drückte dem Geretteten herzlich die Hand. »So seid Oes dös wirklich? Aber wo kommt Oes her in dem schiechen Wetter – und, nehmt's nit schlimm, in dem Aufzug da?«

»Es ist das Kleid meines Standes, seit jenem Tage her – das Kleid meiner Sühne und Buße! Schon vor Jahresfrist trieb es mich in das herrliche Tyrol, um Euch noch einmal wieder zu sehen, nachdem ich in Wien am Sterbelager des braven Döllinger gestanden und von ihm erfahren hatte, wo ich Euch zu suchen habe – aber vergeblich frug ich im Stubbayer Thal und durchwanderte das ganze Land, nirgends konnte ich erfahren, wo der brave Nazi Has ...«

»Still,« unterbrach ihn finster der Alte. »Nennt den Namen hier nit – er liegt begraben im Stubbai und i möcht nit, deß der Unhold dorst bestätigen hört, was der Teufel selber ihm verrathen haben muß; denn nur Wenige wissen hier, deß wir dem Namen so unschuldig Schande gemacht. Aber was plauscht Oes – is der Schwager Hans wirklich hin?«

»Er starb in meinen Armen am zehnten Mai des vergangenen Jahres und ich suchte Euch und die Mamsell Nannette, um in die Hände der rechtmäßigen Eigenthümer das zurückzulegen, was in seiner Gutmüthigkeit der Sterbende mir aufgedrungen. Gott sei Dank, der den armen Matthias wenigstens so lange erhalten, daß er Denen, die er liebt, beweisen kann, daß er ein ehrlicher Mann ist. In der Hallina dort...«

Der Alte unterbrach ihn nochmals mit einem Wink. »Plauscht nit weiter, Herr – laßt mich erst Den da fortschaffen! – Was thust mit dem Brief, Teufels-Toni? – laß liegen, was Di nit angeht!«

Es war der jungen Frau gelungen, von dem Verrückten durch allerlei Hin- und Herfragen herauszubringen, daß er wirklich den Knaben Ambrosi mit dem Knecht des Hauses droben in dem Wirthshaus auf dem Joch gesehen und von ihm gehört hatte, daß er die Nacht dort zubringen wolle und des drohenden Wetters halber erst am andern Morgen zurückkehren werde. Der Wahnwitzige schwatzte aber zugleich so wirres und tolles Zeug von Reisenden und Franzosen, von Verrath und Tod durcheinander, daß das Mädchen nicht klug daraus zu werden vermochte und sich begnügte, Wein, Brod und Käs auf den Tisch zu schaffen und mitleidig ihm reichlich davon vorzulegen.

Wahrend der Tolle mit der Gier des Heißhungers die Speisen verschlang und das große Glas Wein hinunterstürzte, waren seine Augen auf den Brief gefallen, den der greise Besitzer des Hauses vorhin gelesen, und er hatte ihn mit der Ungenirtheit seines Zustandes zu sich gezogen und wandte, selbst trotz des Zurufs des Alten, kein Auge davon. »Willst Du gepantscht sein, infamigter Dörcher?« zürnte der Greis, indem er unwillig den Brief ihm mit Gewalt wegriß und ihn in die Tasche seiner Jacke steckte. »Was schnüffelst in ander Leut Geheimniß und schreist's nachher dem wälschen Volk in den Bergen aus? Fort mit Di in den Stadl, wo ich aus Christenbarmherzigkeit Di für die Nacht a Lager gönnen will.«

»Er is ganz z'nicht und a fieriger Putz, fuhr der Alte gegen seinen lieberen Gast fort. »In sa Tück' und Bosheit treibt er's allen Leuten schlimm und hat auch Oes gesucht, ins Verderben zu stürzen, der Unhold. Aber die Mutter Gottes und der heili Antoni haben's zum Besten gewandt und er is doch nu einmal a Mensch und i kann ihn deshalb nit nausstoßen in Wind und Wetter!«

Der Mann sah ihn an – die Speise und der Wein, die er genossen, hatten dem zusammengeschrumpften elenden Körper sichtlich wohlgethan und eine leichte Röthe zeigte sich aus seinen hohlen Wangen. Seine Augen funkelten bedeutsam unter dem weißen wirren Haar, gleich als habe er ein wichtiges Geheimniß zu verkünden.

»Glaubs nit, Nazi,« sagte er flüsternd – »der Rothe is nit todt, wenn sie's auch tausendmal schreiben vom Amt! Die Tyroler stehen auf – sie werden ihn brauchen, bald, bald, denn i sag Dir, Nazi, die Franzosen kommen, und dann muß der Rothbart das Kreuz tragen vor dem Landsturm her, mit dem Gamsbart und der Capaun- und der Pfauenfeder auf dem Hut, wie am Berge Isel und an der Brixener Klaus bei Mittewald am Eisack! Denn i leids nit, deß der WassermannPaul Wassermann, der tapfere Chorherr von Neustift, der nach dem eigenen Geständniß des berühmten Kapuziner-Paters Joachim Haspinger bei dem großen Tyroler Aufstand im Jahre Neun, muthiger und aufopfernder als er, das Kruzifix den Tyrolern in den Kämpfen an der Eisack und bei Aischa voraustrug, und als ihn der Marschall Lefèvre frug, wo er das Kriegfühlen gelernt, begeistert dem Herzog das Kruzifix zeigte mit der Antwort: »Der hat's mich gelehrt!« es thut, und i selbst kann das Kreuz nit anrühren, oder der Teufel holt meine Seel! Dös is der Paktum, den i mit ihm macht, wenn er des Nachts zu mir kommt und mit mir spricht. Sirs! Le peuple tirolien confiant dans la bonté, la hagesse et la justice de votre Altesse Impériale remèt par nous, ses organs, sa sorte entre vos mains.«Der Anfang der berüchtigten Unterwerfungsadresse an den Vice-König von Italien.

»Was soll dös Geschnack, dös a Christenmensch nit versteht,« zürnte der Alte. »Wenn i nit wüßt, deß der teuflische Verräther sei verdienten Lohn gekriegt und beim Teufel in der Hölle schmort, könnt ma sich schieche Gedanken machen. Aber viel besser magst sicher selber nit wesen sein, und daher hast auch die unglückliche Wissenschaft. Fort mit Di in den Stadl, wenn D' die Nacht nit auf dem Schnee schlafen willst.«

Der Verrückte hatte, ohne auf die zürnende Rede zu achten, vor sich hin gemurmelt. »Le grand Napoléon et son digne fils seront désormais les protecteurs du peuple tirolien!« schloß er laut, »i sag Dir Nazi, die Franzosen sind da, i hab sie selbst g'hört droben auf dem Joch und sie werden kommen wie der Schneesturm. Sie haben den Andres dermordet, nit der Joseli – nit der Joseli, wie die Leut lügen! Wenn Du klug bist, hilfst sie mir, in's Franzosenloch werfen, sonst trinken sie Dir all' den Leitenwein aus, der doch an alten Körper so wohl thut!«

Er griff nach der Flasche und setzte sie an den Mund. Der Hausherr ließ ihn ruhig sie leeren, denn er hoffte, der Bergwein werde den Unhold betäuben und ihn in desto festeren Schlaf versenken. Dann aber drängte er ihn mit Ernst und Drohungen nach der Tenne und dem anschließenden Stadel, und verließ ihn nicht eher, als bis er in dem warmen hier aufgestapelten Heu lag.

Als er in den Küchenflur zurückkehrte, fand er das. Paar am Feuer sitzen, den Slowaken die Hand des Mädchens in der seinen. Ihr freundliches von dem Zug der stillen Trauer nicht entstelltes Gesicht, war von glühendem Roth bedeckt – ihr Busen wallte heftig. Es war, als kämpfe sie mit einem Geständniß, das doch nicht über ihre Lippen wollte.

»Nandl, Nandl,« sagte gutmüthig der Greis, »was bischt Du doch für a ranziges Assel, deß Du hier sitzst und planzederst und nit für den Gast sorgst, der's dechter so nöthig hat. Schlein Di Madel, und hol mei alten warmen Joppen herbei, deß der Herr Matthias ihn anziehen kann. Bring a Fleisch, wenn's im Haus hast und a guten Bodenwein a und a Gewürz, deß der Gast a warmen Wein in den Leib kriegt, dös wird ihm gut thun.«

Das Mädchen sprang hurtig auf und entzog sich mit dem raschen Schaffen und Walten der Verlegenheit, auf eine Frage zu antworten, die der ehemalige Student an sie gestellt hatte. Sie flog so rasch und behäbig umher, daß man hätte meinen sollen, die fixe Dirne von sechszehn Sommern vor sich zu schaun, als die sie vor zehn langen und traurigen Jahren nach Wien gekommen war,Villafranca. II. und man sah ihr an den freudigen, treuherzigen Augen an, die sich immer und immer wieder neugierig und nun herzlich nach dem Gast kehrten, wie weit anders und lieber sie für diesen sorgte, als vorher für den im ganzen Gebirg verrufenen Unhold.

Dem Gast aber schien gleichfalls durch die Worte des Alten eine Last von der Brust genommen, die ihn vielleicht schwerer gedrückt, als die Schneemassen, die vorhin der Verrückte draußen am Franzosenloch auf ihn gehäuft. Im Gespräch, während der Großvater den Wahnwitzigen zur Ruhe auf das Heu brachte, hatte er den Glauben zu verstehen gegeben, daß sie gewiß längst glücklich verheirathet sei.

Als der Greis nun von dem Dirndl sprach, war unwillkürlich die Röthe der Freude und Ueberraschung in sein Gesicht geschossen und die Bewegung von der, der sie galt, nicht unbeachtet geblieben.

Der Hauswirth lieh ihm nicht viel Zeit zu weiterem Nachdenken, sondern rief ihn zu dem Tische, den seine Enkelin unterdeß rasch mit kaltem Fleisch, Käse und einem Kruge heißen Bodenweins besetzt hatte.

»Die Joppe, Dirndl, die Joppe!«

Das Mädchen hatte aus der Kammer eine alte warme Joppe des Tyrolers geholt und brachte sie dem Slawonier.

»Werft dös Züg fort,« meinte der Alte – »es is Nix für Enk und paßt nit z'sammen. Der Mensch soll in seinem Stand bleiben und sich nit schlechter machen, als er is. S'is nur a Sekten von Enk, deß Oes wie a Dörcher und Laninger im Land herumlatscht, und i leid's nit weiter. Oes habt dem Nazi Haspinger beigestanden in seiner Noth, und Oes sollt bei ihm verbleiben und sei Brod theilen, so lange es währt, wenn Oes wollt!«

Der ehemalige Student griff verlegen nach der nassen zottigen Bunda, die Nandl ihm von der Schulter nahm.

»In dem schlechten Kleidungsstück,« sagte er nicht ohne Befangenheit, »ist Etwas für Sie, Herr Haspinger. Deshalb suchte ich Sie auch durch ganz Tyrol und ich danke Gott, der Sie mich finden ließ, um eine Pflicht zu erfüllen, ehe mein trauriges, doch Niemand nutzes Leben zu Ende geht.«

Er griff nach dem Messer, das vor ihm auf dem Tisch lag, um langsam die Nähte des groben Mantels von Halinawolle aufzutrennen.

Plötzlich fielen Goldstücke – blanke, schimmernde Dukaten auf das saubere Leinentuch des Tisches.

Der Alte und das Mädchen sahen staunend zu, wie sich der goldene Regen mit jedem Augenblicke vermehrte und zum blinkenden leuchtenden Haufen anschwoll.

Noch zwei andere Augen – von Keinem der Drei bemerkt – funkelten unheimlich nach dem Schatz.

Es war der Wahnsinnige, der sein Gesicht droben tief im dunklen Hintergrunde des Flurs, wo der Heustadel an diesen stieß, durch die Spalten zweier Bretter drängte.

»Gold,« murmelte er – »o rothes Gold! so schön und roth wie jenes, was der Herzog mi gab – als der Andres ...« Seine Worte verloren sich in dumpfes Geflüster, seine Finger krallten sich wie die Klauen des Lämmergeiers zwischen die Fugen, als könnten sie die Bretter auseinander reißen und ihm den Weg zu dem Schatze bahnen.

»Heili Antoni,« sagte endlich das Mädchen, die Hände zusammen schlagend. »Des is ja a Schatz, wie ihn die heili Mueter zu Einsiedl kaum hat!«

»Und mit all dem Gold,« frug wiederum mißtrauisch der Alte, »seid Oes gereist wie a Dörcher durch's Land? I will doch hoffen, deß Oes a rechtmäßiger Weis' zu dem vielen Gold gekommen seid?«

»Es ist nicht mein Eigenthum, es gehört ...«

»Wem?«

»Ihnen, Herr Haspinger, und dem Mamsell Nannette dort!«

»Plauscht nit französches Zeug, Mann,« sagte unwillig der Greis; »das Dirndl is ka Mamsell und heißt Nandl auf gut Tyrolerisch, Aber platzedert ka Zeug nit, was hab i mit dem Geld zu schaffen?«

»Es ist der Nachlaß Ihres Schwagers Döllinger,« sagte hastig der Slowak, – »es müssen zweihundert Dukaten sein, – und hier – hier ...«

Er riß eilig die Naht weiter auf und holte ein Päckchen, sorgfältig in Wachsleinwand geschlagen, hervor. »Nehmen Sie, Herr Haspinger, es sind zehntausend Gulden in Banknoten!«

Der Alte starrte ihn an. Die allen Tyrolern eigene Liebe zum Gelde kam unwillkührlich bei ihm in's Spiel. »Zehntausend Gulden? – i wüßt zwar, daß der Hans a Geld hatt', dochter hätt i mei Lebtag nit geglaubt, deß es so viel g'west.«

»Er ist immer ein sparsamer Mann gewesen, Herr Haspinger, und die Hausmeister in Wien stehen sich gut. Vielleicht hat er auch in der Zahlenlotterie gewonnen – ich weiß, daß er zuweilen setzte. Ich bitte, nehmen Sie – es ist bis auf den Kreuzer Alles, was vorhanden war!«

Es war eine gewisse Hast und Unsicherheit in dem Wesen des ehemaligen Studenten, als er das Geld so dringend dem alten Tyroler zuschob.

Plötzlich legte das Mädchen die Hand auf den Goldhaufen und die Banknoten.

»A Augenblick, Nön'l,« sagte sie mit bestimmtem Ton. »I denk, mer müssen doch annerst zuerst den Herrn Matth's frag'n, ob der Ohm Döllinger das ganze Gut a uns vermacht hat?«

»Es gehört Ihnen, Nandl, Ihnen und Ihrem Großvater!«

»Dann müßt doch sicherlich a Papierl drüber da sein, Nön'l, und dös müßt mer zuvor doch schaun!«

»Ich habe keine Papiere,« sagte verlegen der Slowak, »aber so wahr ich ein ehrlicher Mensch bin, es ist das Erbe des braven Döllinger und gehört Ihnen!«

Das Mädchen sah ihm scharf in's Gesicht.

»Gut, Herr Matth's, i wills glauben, deß es dös Geld vom Ohm is. Aberst schwört Oes bei der Mueder Gottes, daß der Ohm es af uns alleinigt vermacht hat!«

Der Slowak schlug hocherröthend die Augen zu Boden. »Ich versichere Sie – das Wenige, was ich brauche ...«

Der alte Mann stand auf und trat hochaufgerichtet vor ihn hin.

»Das Nandl hat Recht, Herr Matth's,« sagte er fest und ernst. »I will wissen, woran i bin. Antworte Oes, wie a ehrlicher Mann und nit wie a Patscher, der a Lüg macht. Hat der Hans sei Gut uns vor Gericht und durch Testament vermacht?«

»Das nicht, Herr Haspinger, aber ...«

»Bleiben's bei der Sach, Herr! – Hat er Enk anders den Auftrag gegeben, dös Geld mir und dem Nandl zu bringen?«

Matthias schwieg.

»Antwort, Mann, wenn i glauben soll, deß Oes a ehrlicher Bursch seid! Wie kommt Oes zu dem Geld?«

Der Bruder der unglücklichen Hanka zögerte immer verlegener und unruhiger, aber die Hand des alten Mannes lag schwer auf seiner Schulter.

»Gebt Antwort, Herr, deß mer nit Schieches von Enk denken müssen, deß Oes am Ende gar ...«

Der Slowak richtete plötzlich den Kopf empor.

»Halt, Herr Haspinger – denken Sie nichts Schlimmes von mir. Das Geld ist ehrlich empfangenes Gut, – aber« –

»Nun?«

»Ich kann es unmöglich behalten!«

»Nit behalten? – so gehört Enk das viele Geld?«

Der Mann hatte aus der Brieftasche, die er in seiner Ledertasche trug, ein zusammengefaltenes Papier genommen und hielt es dem Tyroler hin.

»Wenn es denn einmal sein muß – lesen Sie!«

»Les Du, Nandl! Du weißt, i bin nit sehr gelehrt!«

Das Mädchen hatte rasch das Papier entfaltet und überflogen. Sie stieß einen Ruf der Freude aus. »Schaut Nönl, i wußt es ja, deß Oes den Matth's unrecht verschörgt habt! Dös is halt a richtig Testament vom Ohm Döllinger und aus Dankbarkeit für sei treue Pfleg in der Krankheit hatt er dem Matth's all sei Geld und Gut geschenkt in aller Form Rechts!«

»Es war so wenig, was ich für ihn gethan, – die gewöhnlichste Schuld der Dankbarkeit. Er hat mich gegen meinen Willen und meine Bitte zum Erben eingesetzt, aber ich gelobte mir sofort mit einem heiligen Eid, daß das Gut an die rechten Erben kommen solle. Und so hab ich die sonstige Habe des würdigen Mannes verkauft und Sie seit dreiviertel Jahren unabläßlich gesucht. Gott sei Dank, der Sie mich endlich finden ließ! Und hier nehmen Sie das Gold – denn es brennt in meiner Hand, bis es in die seiner rechtmäßigen Eigenthümer kommt!«

»Da sei der Herrgott vor,« sagte der Greis, »deß i Di mei Sohn um a Vierer bring von dem was Dir rechtmäßig g'hört! Der Hans hat wohl gethan, deß er sei Erb Dir vermacht, denn i und das Nandl brauchen sei Gut nit. I selber aber bin in Dei' großen Schuld – von damals her, als Oes mi so treu gepflegt in der wüsten Kaiserstadt, as mir so verhutzelt im Kopp war – so bleibt bei uns Herr, und Lieb und Treu sollen Enk nimmer fehlen!«

»Wie – Vater Haspinger, Sie wollten mich wirklich aufnehmen, den armen mit dem Fluch seiner Geburt beladenen Slowaken, mißbraucht und ausgestoßen von aller Welt, mit dessen Leben und Seele das schändlichste Spiel getrieben worden – und der Nichts hat als seine Buße und Reue?«

»Der Herrgott im Himmel weiß halt am Besten, wie Er's leiten thut,« sagte feierlich der Alte. »Es is Kaner in der Welt, der sich rühmen mag, deß er ohne Schuld sei und der allein es gewest, den haben sie an's Kreuz g'nagelt. Schlag ein mei Sohn, wenn Du bei uns bleiben willst, Du sollst mei wahrer Sohn sein und der Franz mit seiner Reu im Himmel wird sich freuen, wenn er's sieht. Und was halt die da betrifft, sie wird Dir a wahre Schwester sein, und mehr, wenn Du willst!«

Der Alte hielt ihm die breite offene Hand hin, das Mädchen lehnte unter Thränen der Freude, – den ersten seit vielen langen Jahren! ihren freundlichen bittenden Blick auf den Mann ihrer stillen Liebe gerichtet, das Haupt an die Schulter des Greises.

»Schaust, Nönl, i Hab Dir's gleich g'sagt – deß der Matthis a braver Bu g'blieben, as Du dös blitzende Ringl af seinem Brustlatz g'sehen!«

Der junge Mann hatte seelig und gern die Hand erhoben, um sie in die des Tyrolers zu legen und damit eine feste und glückliche Heimath sich zu gewinnen, als ihn dies Wort traf.

»Den Ring?« – er zog die Hand zurück und faßte danach. »Gott im Himmel – ich hatte den Ring vergessen! – Nein, Vater Haspinger – Nanette, Sie die ich tausend Mal mehr liebe, als mein Leben – lassen Sie mich! ich bin nicht würdig, in Ihrem Kreise zu leben und glücklich zu sein! Mein Schicksal ist allein die Reue und Buße. Mein Werk ist hier gethan, ich beschwöre Sie auf meinen Knieen, nehmen Sie das Geld und lassen Sie mich fort, noch in dieser Nacht, sogleich – fort in die weite Welt, die meinen Kummer und meine Reue in ihrem weiten Raum allein verbergen kann!«

Das Mädchen sah ihn bestürzt an, und über das bisher so helle glückliche Gesicht flog ein dunkler Blutschein.

»'Sisch Alles wahr, was der Herr Matthis plauscht,« sagte sie betrübt. »Wer halt a Schuld af si hat und a Unglück, der muß sie halt tragen sei Leblang und wenn er noch so gering davor kann!«

Sie zog den Zipfel ihrer Schürze zu den Augen und weinte. Das einfache gute Wesen dachte nicht an eine Schuld des Mannes, den sie seit zehn Jahren liebte, sondern an das Unglück, das sie ihre eigene Schuld nannte. Weder sie noch der alte Mann hatten je die demüthigende verächtliche Stellung begriffen, die der junge Student einst bei seiner sogenannten Wohlthäterin hatte einnehmen müssen.

Der Greis sah finster vor sich hin. »Wer Dir's ang'than Dirndl, der wird's verantworten müssen, wenn der Herr droben im Himmel zu Gericht sitzt! Wenn er aber af Erden dem Nazi Haspinger vor's G'sicht tritt, dann soll er erfahren, daß es noch a Straf giebt hier unten! – Von Enk, Herr Matthis, aber hätt i nit g'dacht, deß Oes dem armen Ding da sei Unglück so schlimm anrechnen würdet, denn Niemand weiß so gut, als Oes, deß sie nit davor kann!«

Der Slawonier sah ihn erstaunt an. »Ich verstehe Sie nicht, Herr Haspinger. Gott im Himmel weiß es, wie gern ich mir hier, bei Denen, die ich so innig liebe, eine Stätte baute, und wie oft ich davon geträumt, an der Brust der großen Natur, in der Mitte guter und aufrichtiger Menschen die Flecken zu vergessen, die meiner Jugend aufgedrückt sind. Aber der Fluch, der mich belastet, treibt mich fort; denn selbst mit dem Bild dieser Reinen im Herzen und trotz der Buße, die mich selbst wieder rein und ihrer würdig machen sollte, konnte ich mich nicht frei halten von dem Fehl und der Sünde – und ich kann der Erinnerung daran nicht einmal zu fluchen!«

Der Tyroler schüttelte den Kopf, während Nandl noch immer am Tisch sitzend still fortweinte.

»Nehmt's nit übel, Herr Matthis,« sagte er, »aber dös is gar aus, dös versteh i nit, was Oes da plauscht von Eurer Schuld und von der Sünd. Oes seid a g'studirter Mann, aber mer sind nur einfache Leut. Das Nandl hat sich nit wegg'worfen und wird sich nit wegwerfen, und wenn dös Unglück ihr passtrt is mit dem Ambros, so is es Gott's Wille gewesen, wie mit dem Franz, weil i alter Mann zu stolz g'tragen hab mei Haupt auf mei Namen im Land Tyrol. Der Ambros ...«

Seine Worte, die dem Studenten so unverständlich waren, als dessen eigene Anklage dem Greise, wurden durch den langgedehnten melancholischen Ton eines Posthorns unterbrochen, der von der Straße herüber klang. Zugleich donnerte es oben an der Stadelwand, wo der Verrückte zur Ruhe gebracht worden, heftig gegen die Bretter.

»Nazi! Nazi! lad da Stutz'n Mann, der Franzos is da! Hurrah auf sie! es lebe der Kaiser und das Land Tyrol! In's Franzosenloch mit ihnen! in's Franzosenloch!«

»Is der Unhold schon wieder auf dem Gang?« sagte unwillig der Alte, indem er sich erhob. »Aberst er erinnert mi in der That an Ein's, dös i ganz vergessen in der Freud, Oes wiederzusehn, und dös a ächter Tyroler niemals vergessen soll!«

Er ergriff das Gewehr, das er vorhin, den Wahnwitzigen zu schrecken, in die Nacht hinaus abgeschossen hatte und begann es ruhig zu laden.

Die kleine Unterbrechung schien Allen wohlzuthun in dem schmerzlichen und seltsamen Gespräch, das sich zwischen ihnen entsponnen hatte. Nur der Verrückte gab keine Ruh, sondern klopfte fortwährend an die Bretterwand und schrie: »Die Franzosen kommen, die Franzosen kommen, Nazi! Der Teufels-Toni hat sie hierher g'führt! Nehm Di in Acht, Nazi, oder sie derschießen Di wie den Andres in Mantua!«

Unterdeß hatten sich die Signale des Posthorns wiederholt, immer lauter und wie es schien, von derselben Stelle kommend.

»Was brauchen die Tschoggl in solcher Nacht da zu fahren den schlimmen Weg,« sagte endlich ärgerlich der Greis. »Sie müssens schleini haben, döß sie noch nach Trafoi wollen in dem Schnee! Willst Ruh halten Du verhutzelter Dörcher da oben, oder i komm mit dem Stecken raufer und werd Dir's Maul stopfen!«

Die junge Frau sah schüchtern empor. »Vielleicht is gar der Bros mit vom Posthaus,« sagte sie halb bittend halb fragend. »I will hinausgehn, Nönl und schau'n, was der Praxer des Postmeisters will, deß er so viel bläst!«

»Bleib Du hier,« meinte der Alte – »es wäre allerdings möglich, denn der Bu ändert leicht sei Sinn. Aber i will selber nachschau'n, was los is.«

Er nahm den Hut vom Pflock, öffnete die Thür und trat hinaus. Auch der Slawonier hatte sich erhoben und wollte ihm folgen, aber die Hand des Mädchens legte sich schüchtern auf seinen Arm.

»Laßt den Nönl allein gehn, Herr Matthis,« sagte sie bittend, »er is stark und ihm thut das Wetter nix. Aber Oes seid noch so schwach von der Noth und ...«

Sie hielt zögernd inne, während sie Beide unter dem Vordach der Thür standen, dann sagte sie leise:

»Und i möcht halt a paar Wort mit Enck reden, während der Nönl fort is. Aber laßt uns hinaustreten unter Gottes freien Himmel, da wird mer die Brust leichter werden, und i werd' vom Herzen wegplauschen können.«

Sie traten Beide hinaus in die Nacht, die mit dem raschen Wechsel der Gebirgswitterung wunderbar klar geworden war.

Der Mondschein lag hell über der wild romantischen Gegend und zeichnete auf den weißen Flächen mit seinem dunklen Schatten die Contouren der Berghänge und Schluchten ab. Hin und wieder traten aus der Schneedecke die mächtigen Felswürfel schwarz hervor und drüben dehnten sich wie erstarrte Massen zwischen den riesigen Berghörnern die ewigen Gletscher. Ein leichter Frost war dem Schneegestöber gefolgt und in dem Strahl des Mondes blitzten Myriaden von Sternen auf den Schneewänden.

Es war eine jener Scenen erhabener Einsamkeit, wie sie so unendlich wohlthuend auf die menschliche Seele wirken und die stürmischen Wellen der Leidenschaften und der Schmerzen sänftigen. Ueberall hehre, majestätische Stille – keine Regung in der ganzen Natur. Nur dort unten, wo die prächtige Alpenstraße ihren weiten Bogen in die Nähe des einsamen Bcrghauses schlug, sah man eine dunkele Gruppe, Pferde und Wagen oder Schlitten, auf welche der alte Tyroler rüstig losstieg den Berghang hinunter über die gefährliche Schlucht, während von Zeit zu Zeit noch das Signal des Postillons herüber scholl.

Der Slawonier stand eine Weile und schaute auf das großartige Bild um ihn her, das in der That seinen mächtigen Eindruck auch auf ihn nicht verfehlte. Seine so tief erregte Seele begann sich zu beruhigen, und die Hoffnung auf die endliche Gewinnung von Frieden und Glück, der ja das Menschenherz so schwer oder vielmehr nie entsagt, begann wieder ihren Lichtstrahl zu erheben. Er hatte in diesem mächtigen Bilde der Majestät des Winters um sich her fast vergessen, daß das Wesen an seiner Seite stand, von dem allein ihm Ruhe und Glück kommen konnte und von dem er doch durch eine so unendliche Kluft getrennt war.

»Darf i zu Enk reden, Herr, so wie mir's um's Herz'l is?« frug kaum hörbar das Mädchen.

Er faßte ihre Hand und drückte diese an seine Brust. »O wenn Sie wüßten, Nanette, wie gern ich den Ton Ihrer freundlichen Stimme höre, wie so oft ich mich in fremden Ländern, in Noth und Elend darnach gesehnt habe, Sie würden die Frage nicht erst thun. Es ist vielleicht der einzige Augenblick, den wir noch allein zusammen sind, so lassen Sie uns diesen nicht verlieren, sondern zu uns sprechen unter des Allmächtigen prächtigstem Dom, wie es uns um das Herz ist.«

Das Mädchen erwiederte leise den heftigen Druck seiner Hand. »Is es denn wirklich wahr. Herr, deß Oes uns wieder verlassen wollt?« frug sie.

Er sah einen Augenblick finster vor sich hin, »Es muß sein, Nanette,« sagte er endlich – »ich fühle, daß ich meine Buße leiden muß, daß ich Deines reinen Friedens nicht würdig bin.«

»I hab's wohl schaut und g'dacht,« sprach sie mit leiser Trauer, »wenn i's a dem Nöel nit hab' zugeben wollen, a's i das schöne Ringl g'sehn auf Eurer Brust, deß Oes a vornehmern und bessern Schatz habt, a's dös arme Nandl. Aber 's giebt halt viel Unglück in der Gottes Welt, i han's a derfahren, Herr Matthis, und vielleicht hat Enk dös Unglück a betroffen in Eurer Lieb, deß Oes sie nit heirathen könnt und in der Fremde Ruh suchen müßt. Da denk i halt, Oes wärt hier unter Freunden, die 's gut meinen und a'frichtig mit Enk, und wenn a Nichts draus werden kann mit dem, was der Nönl meint zwischen uns Beiden, weil Oes verlobt seid und i a unglücklich verachtet Ding bin, so will i doch Enk a gute treue Schwester sein und Enk pflegen und warten, so lange es Enk hier g'fallen thut!«

Sie holte tief Athem nach der langen Rede, gleich als freue sie sich, die Last vom Herzen los zu sein und stand, die Hände über die Brust gefaltet, mit treuherzig und bittend erhobenem Auge bangend vor ihm.

Der warme naive Ausdruck des Gefühls erschütterte tief den Mann. »Wie, Nanette,« sagte er fast heftig – »Sie könnten wirklich glauben, ich hätte eine Andere geliebt als Sie?«

»'S mag vielleicht gewesen sein,« sprach das Mädchen, »a's i a jung saubres Dirnl war da unten in Wien – aber da mi der Herrgott so gestraft und was dechter wieder mei Glück is, da is ka Red mehr davon und i hab' mer den Gedanken aus dem Sinn schlagen, wie Oes selber. Das Ringl –«

»Der Ring – ja er ist es, der uns trennt, aber anders als Du meinst!« und er faßte wild nach dem Kleinod und wollte es von seiner Brust reißen. »Das Zeichen meiner Schuld ist er und des Frevels an Dir, die ich vom ersten Augenblick an geliebt! Und weil es mich mahnt, daß ich Deiner nicht würdig werden konnte mit all meiner Liebe und Reue, weil mein unglückliches Geschick mich immer wieder zurückgeworfen in die Schmach und Sünde – deshalb ist meines Bleibens nicht hier bei Dir der Reinen, Unschuldigen, die niemals gefehlt!«

»O Herr,« schluchzte das Mädchen, »wie könnt Oes doch so hart mi verspotten und Oes wißt doch recht gut ...«

Sie verbarg in Schaam ihr Gesicht in die Schürze. Er sah sie erstaunt an.

»Was wollen Sie damit sagen, Nanette?«

»Wenn i den Bros' lieb – i kann doch nit anders und es is doch die Natur, die Gott jedem Menschen in's Herz pflanzt hat!«

Er preßte finster die Hand an seine Stirn. »Sehen Sie wohl,« sagte er mißverstehend – »ich dacht es wohl – ich kann nicht hier bleiben. Was sollte ich hier und täglich sehen, wie Sie einen Andern lieben! Möge er dessen würdiger bleiben, als ich! Möge er Sie recht glücklich machen, wie Sie es verdienen – und ich – ich will gehen, so bald der Morgen graut, aber vergessen Nandl werd ich Dich nie und Dein wird der elende Wanderer, der ärmste Sohn meines Volkes gedenken, wenn er bald einsam und elend an irgend einem Feldrain sich zum Sterben hinlegt!«

Er wandte sich von ihr, um in das Haus zurück zu treten. Sie hielt ihn zurück.

»Was plauscht Oes, Herr – habt Oes denn nit verstanden, – der Ambros ...«

»Nun eben! Du wirst ihn heirathen und glücklich sein!«

»Aber der Bros – der Bros ...»

»Nun?

»Der Ambros is ja ...«

Der Ruf des alten Haspinger unterbrach sie. »Hierher, Herr, wenn's g'fallt,« sagte er. »Sie werden halt wenigstens a Obdach haben für die gnädige Frau, bis der Postillon die Leut aus dem Dorf herauf geholt hat!«

»Wir sind zufrieden, lieber Mann,« fagte eine scharfe hochmüthige Frauenstimme, »wenn wir nur eine warme Stube und sichern Aufenthalt haben. Es soll Ihnen Alles reichlich bezahlt werden. Versprich dem Postillon doppeltes Trinkgeld für die Leute, Ferdinand, damit sie sich eilen – Du weißt, daß es nöthig ist!«

Der Ton der Stimme hatte wie ein elektrischer Schlag auf den ehemaligen Studenten gewirkt. Er starrte auf die ankommende Gruppe und trat dann hastig, von dem Mädchen sich losmachend, in das Haus zurück.

Hier hatte unterdeß während der Unterredung der Beiden ein anderes Drama gespielt.

Der alte Tyroler hatte kaum den Flur verlassen und seine Enkelin war ihm mit dem Slawonier nachgefolgt, als sich oben an der Bretterspalte des Stadels wieder das verzerrte Gesicht des Wahnsinnigen zeigte.

Seine Augen blitzten gierig nach dem Tisch, in dessen halboffene Schublade der Alte vor seinem Weggehen einfach das Geld gestrichen hatte; dann lugten die funkelnden Augen sorgsam in allen Winkeln umher.

Als der Verrückte sich überzeugt, daß Niemand mehr zugegen und selbst sein alter Feind, der große Hund, dem Hausherrn gefolgt war, faßten seine mit langen Nägeln klauenartig besetzten Hände in die Spalte der Bretter und rissen mit einer Kraft daran, die Niemand dem elenden greisen Gerippe zugetraut haben würde.

»Gold!« murmelte er – »rothes Gold – i hab es funkeln sehen – gerade wie damals, als der Herzog mich zu dem Tisch führte, auf dem es lag neben der Karte vom Gebirg mit dem rothen Strich im Passeyer Thal! Hu wie es blinkte und blitzte, und ein kurzes Wort – ein kurzer Weg! – der Geizhals hat es verschlossen, der Nazi Haspinger – er ist schiech auf mich, weil ich dem blanken Offizier den Rath gab mit seinem Kind und sie sein Weib getroffen haben statt seiner! Der Narr – warum konnt er nit reden! Der Franz Raffel hat's rascher gethan, als das Feuer an seine Fußsohlen brannte, und ich hatte mei rothes Gold und Mantua ...« Er hatte, während er die Worte murmelte, heftig weiter gearbeitet – nur zuweilen unterbrach er sich, um zu lauschen, ob das Geräusch der aufgebrochenen Bretter etwa einen der Hausbewohner herbeiführe.

Aber der Slowak und das Mädchen vor der Thür des Hauses waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf das zu achten, was im Innern des Hauses vorging.

Endlich hatte er wirklich ein Brett losgebrochen, das Blut floß von seinen hageren Händen, aber er achtete es nicht. Mit einem kindischen Lachen drängte er sich durch die Spalte.

»Ha ha – wie er mocken wird, der Nazi Haspinger, wenn er den Vogel ausgeflogen findet, obschon er seine Riegel vor die Thür geschoben. Und mit dem Vogel sein rothes Gold!«

Er hatte sich herabgeschwungen in den Flur, der durch das Feuer auf dem Heerd beleuchtet war und schritt, die blutigen Hände vorgestreckt, auf den Zehen, mit unheimlich funkelndem Auge nach dem Tisch.

»Gold – i muß es halt noch einmal sehen – es is lange her, daß i ka Gold mehr gefühlt habe! – es is mei Gold – was thut der Haspinger mit, der Spitzbub! es ist mein – i hab es erkauft mit meiner Seel! I bin der Teufels-Toni – ho ho!«

Er war an dem Tisch und hatte die Schublade aufgezogen, seine blutigen Finger wühlten krampfhaft in dem Golde.

»Es is mein, es is mein!« stöhnte er – »Franzosengold! i muß es dem Haspinger nehmen, denn der Nazi is a Verräther am Tyrolerland – er holt die Franzosen herein – jetzt, in diesem Augenblick! – Ins Franzosenloch mit dem schiechen Verräther!«

Er begann hastig das Gold in die Taschen seines zerrissenen Rocks zu stecken – durch die Löcher fiel es zum Theil wieder heraus. Als ihm das Packet mit den Banknoten in die Hände kam, riß er es auf, zuckte aber davor zurück und schleuderte es in die Heerdflamme. »Ka Papier nit, ka Papier nit!« sagte er hastig – »dös Papier is nit blank wie das Gold und das Blut is nit abzuwaschen von ihm! Gold! Gold!«

Er war mit dem Raube fertig, die rothe Flamme beleuchtete mit zuckenden Schatten sein widriges Gesicht, wie er hastig, ängstlich umherschaute.

Sein Auge fiel auf den Stutzen, den der Greis in den Winkel gelehnt, als er von dem Horn des Postillons zu Hilfe gerufen wurde. Ein Gedanke schien ihm durchs wirre Hirn zu zucken.

»I will die Adler schießen im Hochgebirg – den Franzosen – Adler! – wie damals der Nazi an der Stubhayer Wand – ad dei gloriam, ad dei gloriam

Er hatte den Stutzen erfaßt und sprang mit ihm davon, nach der Hinterpforte des Hauses zu, die er, kindisch vor sich hinlachend, leise wieder hinter sich schloß.

Es war kaum geschehen, als der Slavonier hastig eintrat. Sein braunes blasses Gesicht zeigte die Spuren großer Aufregung – er warf rasch einen Blick umher nach seiner Bunda und der kleinen Habe an Werkzeugen, die allein bei seinem Sturz in den Schnee gerettet worden. Dann schaute er sich um nach einem zweiten Ausgang, aber weniger vertraut mit der Bauart der Tyroler Häuser, als der Verrückte, konnte er sich nicht sogleich orientiren und schon war das Mädchen an seiner Seite.

»Jesu Maria, was is Enk, Herr Matthis? Oes könnt doch nimmermehr fort in der Nacht! i leid's nit, in ka Fall!«

Er drängte sie von sich, denn an der Thür hörte man bereits die Fremden. Der Slavonier trat in den finstersten Winkel des Flurs und sank dort, als wären seine Kräfte erschöpft, nieder auf eine Bank.

»Kein Wort, Nandl – was auch geschehen mag – was Sie auch hören mögen, – das Einzige glauben Sie, ich werde Sie lieben bis zum Tode!« –

Die Gruppe, die sich dem Hause von der Straße her über den schmalen Pfad der festen Schneebrücke genaht, bestand aus dem führend voranschreitenden alten Mann, beladen mit verschiedenen Reise-Effekten, und einem Herrn und einer Dame, beide in Pelze und Mäntel verhüllt. Trotzdem war im Mondlicht leicht zu erkennen, daß die Gestalt der Dame nur mittelgroß und voll war, kleiner als die ihres Begleiters, der die Reisemütze tief über Stirne und Ohren gezogen trug.

Der Postillon folgte mit einem Nachtsack und Reisekorb, die er unter der Veranda des Hauses niedersetzte.

Tyras der Hund war bewachend bei dem Gefähr geblieben.

Der Hergang war einfach folgender gewesen. Reisende, die aus irgend einem Grunde die größte Eile hatten, waren von der Poststation auf dem Joch abgefahren und hatten glücklich dem Schneesturm bis hierher getrotzt. Nur unweit des einsamen Hauses des alten Tyrolers war die Fahrt auf einen breiten Schneewall gestoßen, der die Windbahnen und die Schneeschilder in dieser Ecke so breit und hoch aufgethürmt, daß nur ein einzelner Mann oder ein einzelnes Pferd sich durchzuarbeiten vermochte, aber unmöglich ein schweres Gefähr, ohne daß durch Vieler Hände Arbeit der Weg wieder freigeschaufelt werden konnte.

Das hatte der Postillon auch den beiden Reisenden erklärt, die der bedeckte, aus einem auf Kufen gesetzten Kutschkasten bestehende Schlitten barg, und wie sehr auch der Mann schalt und wetterte, drohte und versprach, er mußte sich bald selbst von der Unmöglichkeit überzeugen und dem Vorschlag zustimmen, den der seiner Berge kundige Postillon machte.

Dieser bestand darin, daß die Herrschaften ein Unterkommen für ein Paar Stunden in dem einsamen Hause in der Nähe suchen sollten, während er die Pferde einzeln, so gut und gefährlich es ginge, durch die Schneewand oder den Abhang neben ihr vorbei zöge, dann hinunter nach Trafoi ritt und genügende Hilfe herbeiholte. Er gelobte, in längstens zwei Stunden mit zehn Männern zurück zu sein, die bald den Weg wieder freigemacht haben würden, und die Reisenden – ein Herr und eine Dame, – versprachen doppelte und dreifache Bezahlung für die möglichste Eile.

Darum hatte das Horn so dringend um Beistand gerufen, denn der Postillon getraute sich doch nicht, trotz der Mondhelle, allein den richtigen Weg über die Franzosenspalte zu dem Hause hinüber zu finden, aus dem man noch wohlthätig das Licht des Heerdfeuers leuchten sah. Als Haspinger hinüber gekommen zu den in Noth Befindlichen, hatte er sofort den Rath des Postillons für den einzigen Ausweg erklärt, und so unangenehm ihm die Sache und namentlich der hochmüthige herrische Ton der Reisenden auch sein mochte, sich mit der dem tyroler Volk eigenthümlichen Gutmüthigkeit bereit erklärt, das Paar unterdeß in seinem Hause aufzunehmen. Man hatte daher das nöthigste Gepäck aus dem Schlitten genommen und mit sich getragen, während der Alte seinen getreuen Hauspummerl in dem Schlitten selbst einquartirte, um ihn zu bewachen.

An der Thür des Hauses stellte der Postillon sein Gepäck nieder, um so rasch als möglich wieder zu seinen Pferden zurück zu kehren, und der Greis schaffte es in den Flur. Dies war der Augenblick, als er mit der in Pelz, Capuchon und Schleier verhüllten Dame in's Haus trat.

»Bleibe einen Augenblick zurück, Ferdinand,« sagte sie auf französisch, »um den Postillon auszuhorchen, ob der Mann hier auch sicher. Es ist zu nahe an der italienischen Grenze, um den Leuten zu trauen – Du weißt, welche Erfahrungen wir gemacht haben.«

Der Mann blieb, an dem Gepäck sich zu schaffen machend zurück, die Dame trat in den vom Feuer durchwärmten und erhellten Raum.

»Schleun Di, Nandl, schleun Di,« sagte der alte Mann – »ös sind halt noch mehr Gäst in der Nacht, aber mer konnten sie doch unmöglich draußen in der Noth lassen. Ruhr das Feuer an, und mach a Warmes, denn die gnädige Frau wird's halter sicher bedürfen.«

Nandl war eilig und willig zugesprungen und half der fremden Dame den Pelz abnehmen, den sie auf einer Bank am Feuer zum Trocknen ausbreitete.

Die Dame löste selbst die Bänder ihres warmen Hermelin-Capuchons, behielt ihn aber noch auf.

So viel man in der halben Beleuchtung sehen konnte, war sie nicht mehr jung, in dem Alter zwischen Vierzig und Fünfzig, den Letzteren näher als den Ersteren, und trotz aller Künste der Toilette nur mäßig conservirt. Das Gesicht, so weit es die verhüllende Kapuze zeigte, war früher wahrscheinlich fein und zart gewesen, trug aber jetzt jene rothe fleckige Farbe, die Frauen, welche übermäßig allen Genüssen gefröhnt, in spätern Jahren trotz aller Mühe erhalten, und auch die breit gewordenen Formen der eher kleinen Gestalt sprachen für diese Ursach. Dennoch lag in dem ganzen Wesen der Fremden etwas selbst für die ungewohnten Augen der Bergbewohner unverkennbar Distinguirtes, ein seltsames Gemisch von aristokratischen Geberden und herrischem ungenirtem dreisten Wesen.

Die Fremde trug, mit Ausnahme des Pelzes und der Kapuze, einen für die Reise, namentlich im Winter und über den rauhen Alpenpaß sehr wenig geeigneten Anzug – wäre der dicke indische Shawl, der ohne Rücksicht auf die Kostbarkeit um Hals und Hüfte geknotet war, nicht gewesen, die Kleidung der Dame hätte eher eine Toilette für elegante Gesellschaft genannt werden müssen, als ein Reiseanzug. Als sie den Shawl über der dicken, unschönen Brust lüftete, um das durch den Pelz etwa eingedrungene Schneewasser abzuschütteln, sah man, daß das hellseidene Kleid, dessen kostbare Garnirung achtlos zerdrückt und beschmutzt war, einen tiefen Ausschnitt trug. Am Halse funkelte ein werthvoller Schmuck – an dem Handgelenke zwei oder drei gleiche Armbänder – aber unter dem Shawl aus dem Gürtel des Kleides sah der zierliche Ebenholzgriff eines mailänder Stilets.

Sie hatte sich auf einen Schemel am Feuer geworfen und streckte sehr ungenirt ihre Füße dem Mädchen entgegen.

Sie waren mit groben wollenen Tyroler-Strümpfen, die bis über's Knie reichten und über die Schuhe gezogen waren, bekleidet.

»Da Kind – zieh mir das Zeugs da aus – sie sind ganz naß geworden und ich habe keine Lust nach noch mehr Schnupfen und Rheumatismus. Du kannst sie gleich behalten – ich habe sie von den Mägden auf der letzten Station gekauft und Du sollst mir andere geben, ich werde sie gut bezahlen. Tummle Dich, Kind – mach Grogk oder Glühwein, denn ich bin fast umgekommen in dem schändlichen Wetter und dieser Kälte! Dort in der Tasche steckt noch eine halbe Flasche Rum – es ist ziemlich das Einzige, was wir bei uns führen – aber Ihr werdet doch etwas Genießbares im Hause haben!«

Das Mädchen war vor ihr niedergekniet, um den geforderten Dienst zu verrichten – sie hatte die ungestüme abwehrende Bewegung nicht beachtet, die ihr Freund machte, um sie daran zu hindern. Er war unwillkürlich einen Schritt vor aus seinem dunklen Winkel getreten, als wolle er sich zwischen die Tyrolerin und die Fremde stellen, aber als er sah, daß es vergeblich war, kehrte er wieder in den Schatten zurück.

»Was mer im Haus haben, gnädige Frau, – steht zu Dienst – s'is leider freilich nit viel, aber s'is gern gegeben. Jesu Maria, was haben Sie für a nasse Haxen gekriegt, und sind's doch gar nit gewohnt, so wie unsereins. Gleich soll'ns a Paar dicke warme Schuh haben!«

Die Dame hatte die Bewegung des dritten Insassen des Zimmers bemerkt, der die Arme über die Brust gekreuzt, jetzt regungslos im Dunkel an der Wand lehnte. Sie zog ihr Lorgnon an goldener Kette aus dem Busen und sah hinüber.

»Fi donc mein Kind – was habt Ihr denn da? ich glaube gar, ein echtes Exemplar von slowakischem Kesselflicker! Habt Ihr denn kein anderes Gemach, wo man wenigstens nicht mit solchem Gesindel zusammen ist, das höchstens in den Stall gehört?«

Die Tyrolerin wurde blutroth bei dem ungenirten Schimpf, der dem Manne angethan wurde, den sie so sehr liebte. Eine Thräne stand in ihrem Auge, aber dennoch wagte sie nicht, der so hochmüthig auftretenden Fremden ein scharfes Wort zu entgegnen.

»Wir haben halt nur das Zimmer neb'an, wo der Nönl schlafen thut, aber es is wüst und kalt – doch wenn die gnädige Frau befehlen ...

»Laß nur – eine Cigarre thut dieselben Dienste und paralysirt die Atmosphäre. So – jetzt hol Deine Schuh und laß das Wasser kochen zum Grogk oder Punsch!«

Die junge Wirthin eilte durch den Flur, die warmen Filzschuhe zu holen und ging dicht an dem Manne vorbei. »Laßt's Enk nit anrühren, was die Vornehme plauscht,« flüsterte sie innig – »sie weiß halt nit, wer Oes seid und deß Oes blos nit anders wollt!«

Während sie zurückkam und der Dame, die – wie sie mit Verwunderung sah, – eine Cigarre qualmte, die warmen Filzschuhe anzog, war der alte Tyroler wieder mit dem Begleiter der Dame.in den Flur getreten, worauf der erstere die Thür schloß.

»So Herr, nu is Alles in Ordnung – und Oes könnt hier in Ruh die Rückkehr vom Simeln abwarten. Macht's Enk bequem und legt den schweren Mantel ab. Da neben der Frau is a schöner Platz, Enk am Feuer zu derwärmen.«

Der Alte verrichtete seinem Gast dieselben Dienste wie vorhin das Nandl der Dame. Der Fremde warf den triefenden Mantel ab und die große, sein Gesicht verhüllende Mütze und trat, ohne die Wirthsleute zu beachten, die Hände auf dem Rücken, an's Feuer, so daß er zu dem Tyroler gegen das Licht stand.

»Es ist sehr unangenehm, Martha,« sagte er französisch zu seiner Begleiterin – »dieser Aufenthalt hier! – wenn wir verfolgt würden, noch ist nicht alle Gefahr vorüber!«

»Bah – bist Du ein Mann? wir haben die italienische Grenze hinter uns und sind hier in Tyrol so sicher wie in der Statthalterei zu Innspruck oder im Staatsministerium zu Wien. Wer sollte auf diesem Wege an unsere Verfolgung denken. – Jeder wird glauben, wir wären längst in Verona oder Venedig unter dem Schutz guter Bayonnette, statt in dem Winter der Hochalpen – wenn sie überhaupt schon die Papiere vermißt haben. Apropos, Du hast doch die Brieftasche?«

»Sie stecken sicher in meiner Brusttasche. Aber haben denn die Leute hier Nichts, um uns ein Wenig zu erfrischen und zu erwärmen? Es scheint miserabel armes Volk zu sein und ich bin durchfroren bis auf das Mark meiner Knochen.«

»Der Grogk wird sogleich fertig sein, dann kannst Du Dich wärmen,«

»Mir will der Gedanke an den Offizier immer noch nicht aus dem Sinn, der den Grenzposten kommandirte. Ich glaube, der Bursche witterte den Grund unserer Eile und hätte uns am Liebsten festgehalten.«

»Bah – ein österreichischer Offizier – wenn es noch ein Italiener gewesen wäre! Wie hieß er doch gleich – der Korporal nannte Dir ja den Namen.«

»Hauptmann Hartmann,« sagte der Reisende, »Ich sollte meinen, Du könntest doch wissen, daß unter den deutschen Regimentern eben so gut Verräther sind, wie unter den italienischen und ungarischen. Die turiner Propaganda hat ihre Anhänger überall, durch das ganze Land. Ich wünschte, wir wären mit den Dokumenten erst sicher in Wien! Dies unerwartete Hinderniß erschreckt mich! Du weißt, was auf dem Spiel steht – mit der Entdeckung eines solchen Geheimnisses sichere ich Dir die Herausgabe der Güter in Ungarn! Was war das?«

Der entfernte Knall eines Schusses hatte sie erschreckt.

»Was zum Henker, Alter,« fuhr der Fremde zu dem Tyroler fort, der mit dem Trocknen der Kleidungsstücke sich beschäftigte, – »geht man denn in der Nacht bei Euch auf die Gemsenjagd?«

Der Alte schüttelte den Kopf, »Ma sieht, deß Oes ka Gamsjäger seid, Herr. Wer würd' a Gams schießen zu a Zeit, wo sie ka Loch Fett auf'n Rippen ha'n. Aber i waß nit, wer der Dalk is, der zu annerst in dem Gebirg schießt, wo die Schneeschilder und die Windbahn an allen Spitzen hangen! – Na Nandl tummle Di und mach den Herrschaften was Warmes. Maria Josef, was stehst da, als wär'st d' im Kopf z'nicht, Dirn, und starrst auf den Herrn?«

Das Mädchen, das erst einen Augenblick vorher das Auge zufällig auf den Fremden gerichtet, der jetzt ohne Mütze und Hülle am Feuer stand und in demselben störte, stand in der That wie ein Bild aus Stein. Ihre Augen starrten auf den Mann, Furcht und Entsetzen spiegelnd, ihre sonst so freundlichen ruhigen Züge drückten den höchsten Schrecken aus – sie war unfähig, eine Bewegung zu machen.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Gestalt der Fremden von mittlerer Größe war. Er mochte früher schlank gewesen sein, begann sich aber in dem reiferen Alter in dem er stand – über die Mitte der Dreißiger – zu runden. Seine Gesichtsbildung war, obschon der jüdische Ursprung unverkennbar blieb, von eigentümlichem Schnitt, die Mitte zwischen Raubvogel und Schafbock haltend, die thierische Lüsternheit mit Grausamkeit und Indolenz vereinigend. Mit der Eigenthümlichkeit der Gesichtsbildung harmonirte die fahle unreine Blässe, der harte, hochmüthige Blick des großen hellgrauen Auges und das negerartige wirre wollige Haar.

Der Fremde, den die Dame mit dem vertraulichen Namen Ferdinand genannt und der demnach ihr Mann oder naher Verwandter zu sein schien, hatte sich eben niedergebückt und zog aus der Asche einige halbverbrannte Fetzen Papier, die er erstaunt betrachtete.

»Was zum Henker, Mann,« sagte er sich zu dem Greise wendend, – »seid Ihr Rothschild oder Sina, oder gar ein Stück von einem italienischen Briganten, daß Euch das Geld so leicht in die Tasche fällt, um mit Hundert-Gulden-Noten Euren Kaffee zu kochen,?«

»I versteh den Herrn nit!« meinte der Greis.

»Die Dame streckte die Hand aus nach dem Papier. »Was ist's? – zeig her!«

Der Blasse reichte ihr eins der Papiere, das andere hielt er dem Tyroler hin.

»Da seht – Ihr könnt's nicht leugnen – es ist eine Hundert-Gulden-Note, halb verbrannt, aber noch deutlich erkennbar.«

Der alte Mann starrte einige Augenblicke auf den Rest des kostbaren Papiers, dann schlug er die Hände zusammen. »Heilige Müeter Gottes, dös is des Schwager Hansel sei Geld!«

Er sprang zu dem Tisch und riß die Schublade auf, in die er vorhin so unvorsichtig den Reichthum geworfen. »O heili Antoni – mer sein bestohlen – das Gold is fort und die Banknoten a! Zehntausend Gulden! – Wo is der Dieb? wo is der Dieb?«

»Wenn Ihr solches Gesindel im Hause beherbergt,« sagte die Dame, unverschämt nach dem Slowaken deutend, – »so könnt Ihr Euch nicht wundern darüber! – Da ist der Beweis, daß der Diebstahl kurz vor unserer Ankunft geschehen und der Dieb gestört worden ist. – Dort auf dem Boden liegen zwei – drei Goldstücke, die er in der Hast verloren hat! Nehmt ihn sofort fest!«

»Wen?« »Den da – ich wette, wenn Ihr ihn durchsucht, werdet Ihr wenigstens Euer Gold noch bei ihm finden!«

»Dös is unmöglich, Frau, der Hoisal is der Dieb nit – er kann es nit sein! Das hat der Teufels-Toni gethan – der nichtswürdige Dörcher – und richtig, da oben – da is er durchbrochen! Aber der Teufel soll den boossigen Dieb holen, der das Geld gestohlen hat, und i will verdammt sein, wenn i ihn nit...«

Der Slowake war langsam aus seiner dunkelen Ecke bis zu dem Tisch vorgeschritten und legte seine Hand auf den Arm des zornigen Greises.

»Vater Nazi« – sagte er ernst, fast feierlich – »ein schlimmerer Dieb als der arme Tolle ist unter Eurem Dach. Der Teufels-Toni hat Euch nur das elende Geld genommen und ist sicher entflohen. Aber die Euch Euer besser Theil gestohlen, Euren Namen und den Sohn Eures Herzens, den Stolz Eures Alters, um ihn zum Verräther an seinem Eide zu machen, die sitzen ruhig an Eurem Heerd!«

»Was wollt Oes sagen damit?«

»Schaut Eure Enkelin an, Nazi Haspinger und dann diese Frau. Haben zehn Jahre Euch das Gedächtnis geraubt, daß Ihr Die nicht wieder erkennen, die Ihren Enkel zum Verräther am Kaiser gemacht?«

Die Dame hatte sich in ihrem Sessel emporgerichtet, – der Slowak stand jetzt im vollen Licht des Feuers und sie zuckte unwillkürlich zusammen, als sie ihn erkannte.

»Matthias! – Schaamloser Knecht! Du hier – und Du wagst es, mir in den Weg zu treten? Ist das der Lohn für meine Wohlthaten an den elenden Bettler?«

»Fluch ihnen! Hätt' ich zehn Leben, ich wollte sie alle hingeben, wenn ich ihr schmähliches Gedächtniß damit verwischen könnte! Aber selbst der Bettler, der ausgestoßene verachtete Slowak, den Ihr stolzen Magnaten so gern nicht einmal für einen Menschen halten möchtet – er würde sich scheuen, am Heerde des Mannes zu sitzen, dessen Sohn er kaltblütig gemordet. Diese Frau, Nazi Haspinger, hat schlimmere Thaten auf ihrer Seele, als der Mörder, der dem Strang des Henkers verfallen, – diese Frau ist...«

»Still, Unglückseliger!«

»Diese Frau, die Ihr nicht, wieder erkennt, ist die Gräfin Törkyenyi, der Ihr an jenem Abend in Wien die Beweise des Verraths entrissen habt, die mit ihm ...«

Der alte Tyroler hatte schon beim Beginn der heftigen Anklage beide Hände an die Schläfe gedrückt, als wolle er all' seine Erinnerungen zusammen fassen, und starrte bald von dem Einen zum Andern – seine braune furchenreiche Stirn begann sich zu röthen – die Augen schossen unter den buschigen weißen Brauen hervor einen drohenden Blitz. – Erst jetzt eigentlich hatte er die Fremden näher angeschaut und die Erinnerung überkam ihn mit Gedankenschnelle.

»Die ungarische Gräfin?« stöhnte er laut auf – »dann is Der – Der da...«

»Ihr Helfershelfer in jeder Schande, der Doktor Lazare, selbst Rebell und dann verrathend seine Opfer, der Mann, der Ihren Franz in den Tod schicken half, der Ihre Enkelin gefangen hielt!«

»Der Teufel selbst! – Sackra – dann muß er sterben von mei Hand!« Mit einem Satz sprang der Greis nach dem Winkel, in den er den Stutzen gestellt – aber die ausgestreckte Hand faßte vergeblich, die tödtliche Waffe war verschwunden. Einen schlimmen Fluch stieß der alte Mann aus, dann fuhren seine Augen suchend in dem Flur umher.

Diesen Moment hatte der Doktor benutzt, um einen kurzen Revolver aus der Tasche zu reihen und ihn auf den Tyroler zu richten.

»Zurück! wagt es nicht, mich anzurühren oder Ihr seid des Todes!«

Das Mädchen hatte sich zwischen sie geworfen, sie streckte flehend beide Arme empor. »Nönl, um der gebenedeiten Jungfrau willen, begeh ka Mord! Bedenk, so schlecht er is, er is doch halt der Vater meines Kindes!«

»Ihres Kindes?« Der überraschte, schmerzliche Ton der Frage hallte vibrirend wieder in ihrer Seele. Einen Augenblick sah sie zu dem Slowaken empor, der bleicher als der Bedrohte, zurücktaumelte, dann barg sie schluchzend ihr Antlitz in den Händen.

»Schändlicher Bösewicht! deshalb eben sollst Du sterben!« Die Hand des alten Tyrolers schwang die schwere Holzart, die sie ergriffen, wie ein leichtes Rohr um das Haupt. »Werd hin in Deinen Sünden.«

In den entsetzten Ruf der Grafin nach Hilfe mischte sich der Knall des Revolverschusses, im selben Augenblick ein halb unterdrückter Schmerzensruf – dann – – – »Allmächtiger Gott, was ist das?«

Um das Haus krachte und brach es wie tausend Donner, die Mauern, die Balken schienen in ihren Grundvesten zu beben, der Boden unter ihnen zu schwanken und zu weichen und zu zittern – ein Schlag, als lösten sich tausend Kanonen zur selben Zeit – ein unwiderstehlicher Luftdruck, der alles Lebendige zu Boden warf – dann tiefe hermetische Dunkelheit und eine entsetzliche Stille, nur von dem Knacken des Gebälks unterbrochen, als böge es sich unter einer entsetzlichen Last. – – –

»Jesu Maria! die Lawine! die Lawine!«

Die Lawine, von dem Schuß des Teufels-Toni durch die Lufterschütterung droben an den Hörnern und Hochwänden gelöst – ursprünglich ein Schneeball – im Rollen zum Berge wachsend, – hatte sie Alle lebendig begraben!


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