Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es fiel Doktor Walding auf, während sie im Galopp durch das Thal der Felsenburg zu ritten, daß nur Frauen und Kinder auf den Feldern und vor den Hütten zu erblicken waren, die Frauen nach der Sitte der Mahratten tief verschleiert, so daß nur die Augen zu sehen waren, während im Pendschab unter Hindus und Mohammedanern ein freier Gebrauch herrscht und Frauen und Mädchen gewöhnlich ihr Antlitz ohne die entstellende Hülle zeigen.
Die Bewohnerinnen des Thales waren, so weit es die verhüllenden, weißen und blauen Gewänder zu sehen gestatteten, schlanke, schöne Figuren, und blieben, als der Zug vorüberbrauste, in bescheidener Entfernung, die Arme über der Brust gekreuzt, stehen.
Schon von der Höhe der Felswand hatte der Serdar einen der Reiter vorausgeschickt, ihre Ankunft zu melden, und als sie jetzt der Burg näher kamen, konnten sie leicht bemerken, daß der Bote bereits eingetroffen war und man sie erwartete.
Walding hatte nun volle Gelegenheit, das Äußere der Mahrattenveste zu betrachten. Wir haben bereits bemerkt, daß sie auf einem von der Hauptwand der Berge vorspringenden Felsgrat gebaut war. Der Aufgang zu ihr war steil und breit und selbst für die Elefanten passierbar. Er wand sich im Zickzack empor, so daß er leicht von den Mauern des Schlosses bestrichen werden konnte und endete in dem gewölbten Portal eines breiten, viereckigen Turmes, von dessen Plateau drei große metallene Kanonen drohend ihre Mündungen niederstreckten. Eine starke, aus dem schwarzen Gestein des Felsens meist in senkrechter Linie mit den Abgründen aufgeführte Mauer umschloß die inneren Gebäude der Veste, die terrassenförmig übereinander emporstiegen, so daß von der Höhe des letzten, das mit einer mächtigen, in der spitzen orientalischen Kugelform geschweiften Kuppel geziert war, das ganze Innere der Festung übersehen werden konnte. Die Mauern hatten, wie bei den orientalischen Bauten üblich, nur wenige Öffnungen nach außen und wurden an vier Ecken durch hohe schlanke Minarets überragt, die gleich Wächtern hinaus in das Thal lugten. Einen eigentümlichen Gegensatz zu dem schwarzen Aussehen des Ganzen bildete die Kuppel des höchsten Gebäudes, die ganz vergoldet war und in den Strahlen der Sonne funkelte. Dicht hinter diesem eigentümlichen Bau erhob sich die Bergwand, die ohne Ausgang hier das reizende Thal abzuschließen schien. Kurz vor der Wölbung des Eingangsturmes, deren riesige Thorflügel von Erz und mit Hieroglyphen bedeckt waren, jetzt aber weit geöffnet standen, durchbrach eine tiefe Felsspalte quer den Weg und wurde von einer in Ketten hängenden Zugbrücke überdeckt. Männer standen auf den Mauern und unter dem Thor in verschiedenartigen reichen und ärmlichen Gewändern, alle bewaffnet und in ihrer Mitte eine Frau, über die erste Blüte der Jahre hinaus, aber mit wohlerhaltenem, stolzem und kühnem Gesicht und mit prächtigen Kleidern und Juwelen geschmückt.
Ein rotes, mit Goldblumen durchwirktes Oberkleid war unter der Brust mit einer Agraffe von Türkisen aufgenommen und ließ ein auf die Goldpantoffeln herabfallendes Unterkleid von zarter blaßgrüner Seide schauen.
Neben dieser königlich ausschauenden Frau – und in der That war sie die Königin einer mächtigen und kriegerischen Nation gewesen – standen ein junges Mädchen und zwei Männer, die gleiche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Das Mädchen war gleich prächtig gekleidet wie ihre Mutter, denn obschon ihr Gesicht von einem Schleier bedeckt war, hinderte dieser doch nicht das Erkennen der Züge, denn er war von jenem kostbaren indischen Gewebe, das auf den Rasen gebreitet, nur wie Tau aussieht. Der eine Mann trug die hohe persische Mütze von schwarzem Schaffell und den langen blauen Talar dieses Volkes. Der wilde Ausdruck des Gesichts und die schwere Bewaffnung deuteten jedoch darauf hin, daß er einem der kriegerischen Nachbarstämme, und zwar dem Afghanenvolk, angehöre, diesen erbitterten und glücklichen Gegnern der Engländer. Der andere war ein Greis von ernstem, strengem Ansehen, und obwohl seine Haut von der Sonne des Ostens so mahagonibraun gefärbt war, wie die der Eingeborenen, bewiesen doch die Züge dieses Gesichts und der Orden der französischen Ehrenlegion, den er auf seinem Kaftan trug, daß er ein geborener Europäer war.
Sobald Murad-Khan der hohen Dame ansichtig wurde, sprang er von seinem Rosse, nahte ihr mit Ehrerbietung und beugte seine Kniee vor ihr, indem er den Saum ihres Oberkleides an seine Lippen führte.
»Möge Wischnu, der Erhalter, der hohen Rani ein langes Leben und den Sieg über ihre Feinde verleihen, daß diese Augen sie Wiedersehen auf dem goldenen Thron von Lahore,« sagte der junge Sikhkrieger, eben der Khan. »Dein Sklave ist zurückgekehrt, früher, als er gehofft, nach dem Willen unseres Gastfreundes, der einen Freund gefunden aus dem Lande der Faringi, obschon er nicht von dem Volk unserer Tyrannen ist.«
Die Augen der Rani, der letzten Königin des Sikhstaates, wandten sich auf den Deutschen, der mit der ganzen Gesellschaft jetzt abgestiegen war, die Rosse den herbeieilenden Seyces überlassend, und dann auf den Serdar.
»Tukallah ist ein so weiser und treuer Mann,« entgegnete sie, »daß er keinen Verräter in unsere Nähe bringen wird. Sein Gast ist der Rani willkommen, auch wenn sie ihn nicht kennt.«
»Der Dir naht,« sprach der Mahratte, »kann die Hoffnung Deines Hauses werden. Wir haben in ihm gefunden, was wir suchten, und der junge Maharadschah der Sikhs soll frei sein, ehe der Mond sich aufs neue füllt!«
Auf diese Versicherung reichte die entthronte Fürstin dem Deutschen die mit kostbaren Juwelen bedeckte Hand nach europäischer Sitte.
»Möge Dein Wort zur Wahrheit werden, weiser Serdar der Mahratten, unserer Brüder!«
Damit verließ sie den Eingang und schritt in Begleitung ihrer Tochter der Gesellschaft voran durch das Thor in das Innere der Burg. Der Mahrattenfürst ging an ihrer andern Seite und redete heimlich und eifrig mit ihr.
Der Khan legte die Hand auf den Arm seines neuen Freundes. »Was sagt der weise Arzt der Franken zu der Rose von Lahore? Ihr Duft ist lieblich, und der Glanz ihrer Augen überstrahlt das Feuer des Koh-ih-noor!« Der berühmte Diamant, jetzt Eigentum der englischen Krone.
Walding sah ihn erstaunt an, denn er glaubte, der junge Krieger spräche von der Rani.
»Sie muß in ihrer Jugend schön gewesen sein,« entgegnete er, »und ihr Auge ist noch feurig und voll Hoheit; wenn Murad-Khan die Dame aber mit einer Rose vergleichen will, so möchte ich sie doch nicht mehr eine in ihrer ersten Blüte nennen.«
Der Greis mit dem europäischen Gesichtsausdruck, der an ihrer Seite ging, lachte über das Mißverständnis.
»Der tapfere Murad,« sagte er in französischer Sprache, »glaubt, daß wenn er von einer Dame spricht, jedermann wissen muß, daß es nur von seiner Verlobten, der Prinzessin Mahana, der Tochter der Rani, geschehen kann. Es war das junge Mädchen an der Seite ihrer Mutter. Doch erlauben Sie, mein Herr, da unser junger Freund uns bereits benachrichtigt hat, daß Sie kein Engländer von Geburt sind, Sie zu fragen, welcher Nation Sie angehören?«
»Ich bin ein Deutscher, ein Preuße!«
Die Stirn des Greises verfinsterte sich einen Augenblick – dann aber reichte er dem Arzt zum Willkommen die Hand. »Die Preußen waren die Feinde meines großen Kaisers,« sagte er in Erinnerung verloren, »aber sie sind eine brave Nation und begnügen sich, den Löwen zu besiegen, sie morden ihn nicht. – In meiner Jugend war ich unter den französischen Adlern in Ihrem Vaterland und zog in die Thore Ihrer Hauptstadt ein. Verzeihen Sie einem alten Mann die glorreichen Erinnerungen seiner jüngeren Jahre.«
»So sind Sie einer der alten napoleonischen Offiziere in den Heeren der indischen Fürsten?«
»Ich bin der General Ventura,« sagte der Greis mit Stolz, »früher Kapitän der französischen Armee, seit 1822 in Diensten des berühmten Rundschit Sing und seiner Nachfolger, jetzt mit ihnen ein flüchtiger Verfolgter. Da Sie bereits bei Ihrem Eintritt das wichtigere Geheimnis von der Anwesenheit der Maharani erfahren haben, nehme ich keinen Anstand, meinen Namen Ihrer Ehre anzuvertrauen.«
Der Preuße verbeugte sich. »Der Name des berühmten Organisators der Sikh-Armee ist keinem Gebildeten unbekannt. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß das, was ich hier sehe und höre, in meiner Brust verschlossen bleibt. Überdies bin ich gewissermaßen selbst ein Flüchtling, wenigstens würden mich englische Augen als solchen betrachten.« –
Der Vorhof, den die Gesellschaft nun zuerst betrat, enthielt zu beiden Seiten unter großen kolonadenartigen Bogen die Ställe der Pferde und die Wohnungen der Krieger und Diener, welche die Besatzung der Burg bildeten. Zahlreiche Männer, bewaffnet oder in Pilgerkleidern, standen und saßen umher, besonders um den Rand des steinernen Brunnens, der sich in der Mitte des Hofes öffnete. Sie alle erhoben sich und machten ehrerbietig ihren Salem oder Gruß, als der Serdar mit seinen Begleitern vorüberschritt nach dem Gitterthor, das sich in der zweiten Gebäudereihe öffnete. Zwei Krieger, in altertümlicher Weise mit Stahlhauben und Kettenpanzern gerüstet, hielten an dem Thore Wache, von dem aus eine breite Treppe von schwarzem Marmor emporführte zum nächsten Hof, der nur zwei oder drei Fuß tiefer lag als das flache Dach der zweiten Reihe, mit demselben durch Zugänge und Stufen verbunden. Rechts und links bildeten prächtige Holzpavillons mit reicher Vergoldung und chinesischen Malereien die Verbindung mit dem letzten oder Hauptgebäude, in dessen Mitte sich die große Pagode mit der vergoldeten Kuppel erhob, um die zu beiden Seiten her eine prächtige Marmortreppe hinauf zu dem Dach des Rückflügels der Burg lief. So einfach finster und kriegerisch auch die vordere Hälfte des Mahrattenschlosses erschien, so verschwenderisch reich und dem Charakter des lieblichen Thales angemessen war dieser Teil ausgestattet. Der Hof bildete einen mit prächtigen Blumen und duftenden Büschen bedeckten Garten, aus dessen offenbar mit großer Mühe auf diesen Felsengrund hinaufgeschaffter Erde sich hundertjährige Orangenbäume in langer Reihe erhoben, in ihrem dunklen Laub neben den goldglänzenden Früchten die weißen Blütenbüsche tragend, die rings umher ihren schweren Wohlgeruch verbreiteten. Zwei Fontainen ließen ihren Wasserstrahl in Bassins von weißem Marmor zurückfallen, in denen eine Schar der Gold- und Silberfische Indiens munter umherschwammen. Die Mauern des gegenüberliegenden Gebäudes waren mit Pfirsich- und Rosenspalieren bedeckt, und die Rosenbäume hatten in der treibenden Glut der tropischen Sonne und in der Feuchtigkeit, welche die Springbrunnen ihnen zuführten, eine Höhe von zwei Geschossen und eine herrliche Üppigkeit der Blumenentfaltung erreicht.
Die Pagode oder der Tempel, der die Mitte des Gebäudes einnahm, mochte, wie die ganze Burg, mehr als ein halbes Jahrtausend zählen. Er war in seinen zahllosen Ecken und Vorsprüngen mit Säulchen, Pilastern, Stuckaturen und kostbaren Mosaiken bedeckt, von seinen Spitzen hingen glänzende Metallplatten herab, die im Luftzug harmonisch aneinanderschlugen, und wenn auch der Zahn der Zeit überall gerade an diesem prächtigen Bauwerk genagt hatte, beschäftigten doch die tausend Einzelheiten der Arabesken, der metallenen Verzierungen und Vergoldungen den Blick noch allzusehr, um den Verfall näher zu verfolgen. Die beiden Marmortreppen, die sich um die Pagode zur Höhe des Gebäudes wanden, zeigten rechts und links Seiteneingänge in dasselbe; das Dach selbst war mit einem vergoldeten Gitterwerk eingefaßt, über das Blumen und Grün hinausschaute, und zwei riesige Mohrensklaven, die mit blanken Säbeln an dem Fuß der Doppeltreppe Wache hielten, bestärkten noch mehr die Vermutung des Arztes, daß ein Teil dieses Gebäudes und die oberste Terrasse die Zenana oder den Aufenthaltsort der Frauen bildeten.
Diese Vermutung bestätigte sich auch, indem die Maharani mit ihrer Tochter alsbald sich auf einer Seite der Treppen entfernte und in das Innere des Gebäudes hinabstieg, während der Serdar sich dem Arzt näherte und zwei der Diener herbeiwinkte, die ihnen aus dem Vorhof gefolgt waren.
»Mein Freund und Gast,« sagte der Mahratte, »wird müde sein nach dem anstrengenden Ritt. Diese beiden werden zu Deinem Dienst bereit sein, bis ich Dir einen eigenen Diener geben kann. Jener Pavillon soll Deine Wohnung sein, und wenn Du geruht und die Beschwerden der Nacht vergessen hast, wollen wir von dem sprechen, was uns beiden wichtig ist.«
Es war dem Arzt nicht unlieb, auf diese Weise Ruhe genießen zu können, denn die überstandene Gefahr, die wechselnden Eindrücke und der anstrengende Ritt hatten in der That seine Kräfte erschöpft. So folgte er denn den Dienern, die ihn zunächst in eine Grotte führten, die vom Garten aus unter den Rosenspalieren in das massive Mauerwerk des Gebäudes sich öffnete, und aus dieser eine Treppe hinab nach einem gewölbten Baderaum, der sein Licht von oben her empfing. Hier genoß der ermüdete Reisende mit all jenem Luxus und wollüstigem Komfort, der die orientalischen Bäder begleitet, ein solches, wurde von den Dienern mit warmen Wolldecken abgerieben und allen jenen eigentümlichen Manipulationen geknetet, die den Gliedern und Muskeln neue Spannkraft zu geben scheinen, und dann in eine weiten Überwurf von indischer Wolle gehüllt, nach dem Kiosk geführt, den der Serdar ihm zur Wohnung angewiesen. Hier fand er köstliche Früchte, Sherbet und Kaffee zu seiner Erfrischung bereit, und nachdem er von ihnen genossen, warf er sich auf das Lager aus Kissen und Teppichen, das an der Seitenwand des Gemachs entlanglief und sank sogleich in einen tiefen und festen Schlaf.
Die Mittagshitze war vorüber und die Sonne senkte sich zum Untergang, als er neu gekräftigt die Augen öffnete und sich emporrichtete, erstaunt, sich in so fremder, prächtiger Umgebung zu sehen, bis die Erinnerung an das Vergangene ihm zurückkehrte.
An der Thür des Gemachs kauerte ein Diener, nicht einer der beiden, die ihn am Morgen im Bade bedient, sondern ein anderer Mann, dessen Antlitz er schon gesehen zu haben vermeinte.
Der Diener, in einen blauen Rock gehüllt, ein gelbes Seidentuch um den Kopf geschlungen, erhob sich sogleich, als er das Erwachen des Arztes bemerkte und trat an sein Lager.
»Was befiehlst Du, Sahib? Sahib – Herr! Die indische Anrede. Dein Diener ist bereit. Deine Befehle zu vollziehen!«
»Der Serdar sagte mir, daß er einen eigenen Diener mir bestimmt hat. Bist Du der Mann?«
»Ich habe einen Eid geleistet auf das, was mir das Heiligste ist, jedem Deiner Winke zu gehorchen, und mit meinem Leben das Deine zu schützen, bis die Zeit gekommen, wo ich wieder frei sein kann. Ich bin Dein Sklave, ein Hauch in Deinem Munde, ein Nichts vor Deinen Augen, so lange ich Dir diene. Dein Wort ist mein Gesetz und Dein Gebot mein Leben. Die Dunkeläugige hat es befohlen!«
Obschon Walding die überschwengliche Redeweise der Orientalen kannte, waren ihm diese Versicherungen seines Dieners doch auffallend, und er fragte daher:
»Wie kommt es, daß Du mir, der ich Dir ein Fremder bin, Dein Leben und Dein Sein weihen willst, während ich doch höchstens die Ergebenheit und die Dienste von Dir fordern kann, die jeder Herr von seinem Diener zu verlangen berechtigt ist? – Zunächst, wie nennst Du Dich?«
»Dann beantworte mir meine Frage, Kassim.«
»Sahib, ich bin nicht Dein Diener, ich bin Dein Mayadar!«
»Was ist das – ich verstehe den Ausdruck nicht. Erkläre ihn mir!«
»Meine Worte haben es bereits gethan. Ich bin der Schatten Deines Schattens. Wenn ein Mann sich einem andern durch einen heiligen Eidschwur verlobt hat, so ist er von der Stunde an sein Mayadar, bis Mahadeoh, der Gott des Todes, einen oder den andern von diesem Leben befreit. Sein Leben, sein Wissen, das Mark seiner Gebeine und Gedanken in seinem Hirn müssen dem gehören, dem er sich zum Mayadar gegeben. Kassim war ein freier Mann, aber der Wille eines Mächtigeren hat ihn zum Hunde eines Faringi gemacht.«
»Und wenn ich mich weigere, Deine Dienste anzunehmen?«
Der Hindu lächelte verächtlich. »Kannst Du dem Ganges gebieten, rückwärts zu fließen, dem Monsoon Ein Wind an den indischen Küsten, der in gewissen Strichen und zu gewissen Jahreszeiten weht. seinen Weg anweisen? Mein Schicksal ist an das Deine geknüpft durch geheimnisvolle Mächte, über die wir beide nichts vermögen. Nur Dein Tod oder der meine kann mich erlösen und so lange habe ich mein Blut für Deinen Willen zu geben.«
»Und wer ist es, der Dir diesen Eid auferlegen konnte?«
»Wer anders, als Tukallah, der Gebieter dieser Burg und des Thales!«
»So hat also der Tukallah große Macht unter seinem Volk, und Du gehörst zu seinem Stamm?«
»Er ist ein Serdar der Mahratten und der Stamm seiner Familie so alt, wie Hindostan. Frage mich nicht weiter, Sahib, er selbst wird Dir sagen, was Dir zu wissen gut ist, denn er hat mir befohlen, Dich zu ihm zu führen, sobald Du erwacht seist.«
Walding fühlte, daß es Unrecht wäre, den Mann weiter auszuforschen, und erhob sich. Er fand einen vollständigen indischen Anzug vor dem Diwan, dessen er sich nach Kassims Erklärung bedienen sollte und den er mit dessen Hilfe anlegte. Bald war er in den weißen Kaftan, den Turban und die weiten wollenen Beinkleider eines Parsen, deren Sekte die meisten Kaufleute Indiens angehören, gekleidet, steckte den zu dem Anzug gehörenden Yatagan in seinen Gürtel und folgte seinem neuen Diener, der ihn durch den Garten nach der Treppe begleitete, die zur höchsten Terrasse des Schlosses und den Räumen der Zenana führte. Die schwarzen Wächter am Eingang, die sonst kein männliches Wesen diese Schwelle überschreiten ließen, schienen bereits benachrichtigt, denn sie ließen die beiden ohne weiteres passieren.
Auf der Höhe der Terrasse angekommen, fanden sie auf der einen Seite unter einem Sonnenzelt Tukallah mit einem seiner schwarzen und stummen Leibdiener, auf Kissen sitzend und die Hukah rauchend. An dem anderen Ende der Terrasse war ein ähnliches Zelt aufgeschlagen und Walding glaubte dort Frauengewänder schimmern zu sehen, doch verhinderte eine Wand blühender Gesträuche jedes nähere Erkennen.
Auf einen Wink nahm der Deutsche neben dem Serdar Platz, und wurde mit Kaffee und einer kostbaren Pfeife bedient, während Kassim wieder die Terrasse verließ.
»Wir sind allein,« sagte Tukallah, »denn der Mund dieses Sklaven ist auf immer verschlossen und seine Seele ist mir ergeben. Es wird den weisen Arzt der Faringi manches in Erstaunen gesetzt haben. Er möge fragen und Tukallah wird ihm antworten.«
»Zunächst,« entgegnete der Deutsche, »glaube ich, daß Du mich aus einer schweren Lebensgefahr, ja vom Tode gerettet hast, obschon mir die Umstände dieser Gefahr und Rettung noch immer dunkel sind. Nimm meinen Dank dafür, denn wenn an meinem Leben auch wenig gelegen, so kann seine Erhaltung doch Deinem Volke selbst nützlich sein.«
»Du hast weise gethan, von der Gefahr nicht zu sprechen, in die ein unbesonnener Reisenden in dieser Wüste leicht verfällt. Wie kommt es, daß ich den Freund des Somroo, den ich in England verließ, am Rande der Thur wiederfand?«
»Du erinnerst Dich, daß ich zwei Monate nach dem Tode des Sir Dyce und jenem schrecklichen Morgen, an dem Kapitän Ochterlony verhaftet wurde, noch in London blieb, um dem Kapitän jede mögliche Hilfe zu leisten, seine Angelegenheiten zu ordnen und Nachforschungen nach dem verlorenen Testament anzustellen.«
Der Indier bejahte.
»Es war vergebene Mühe! Der Prozeß, den wir auf Grund des früheren Testamentes anstellten, hatte nicht den geringsten Erfolg ohne die legalisierten Dokumente, und selbst wenn diese herbeizuschaffen gewesen wären, war der Erfolg, wie mir Duncombe, der Notar, versicherte, mehr als zweifelhaft. Dazu fehlten die Mittel zur Betreibung eines Prozesses, welcher bei dem Gange der englischen Civilrechtspflege über ein Menschenalter dauern mußte. Unsere Feinde waren mächtig und hatten einen Hinterhalt an der Regierung und der Kompagnie – der Mann, der allein noch vermocht hätte, ihnen Trotz zu bieten, lag unter einer falschen aber furchtbaren Kriminalanklage im Kerker, und der Sieg seiner Feinde war gewiß. Du selbst weißt, daß er mir durch Duncombe anempfehlen, ja gebieten ließ, ihn seinem Schicksal zu überlassen und vor den Verfolgungen unserer Gegner nach dem Kontinent zu flüchten, um von dort mich nach Indien einzuschiffen und dem von dem toten Freunde ernannten Erben, dem Srinath Bahadur, jenes Schreiben auszuliefern, das wir glücklich gerettet. Ich wußte jeden meiner Schritte beobachtet von unseren Gegnern, und so ging ich, wie ich hoffte, heimlich noch Plymouth, um mich dort nach Frankreich einzuschiffen. Aber das Auge der Verfolgung war hinter mir, ich wurde überfallen, zu Boden geschlagen und in bewußtlosem Zustande geplündert. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich am Bord eines Kriegsschiffes, ich war zum gemeinen Matrosen gepreßt und wurde als solcher behandelt.«
Die Augen des Serdar funkelten unter den grauen, buschigen Brauen. »So hat man Dich jenes Schreibens an Nena Sahib beraubt, das Dyce Sombre Euch beiden anvertraut hatte?«
»Es ist hier; ein glücklicher Zufall hat es gerettet, und ich habe es bewahrt nach dem Willen des Kapitäns. Höre mich weiter an, Tukallah. Obschon ich mich auf dem Schiff weigerte, Handgeld zu nehmen, und meine Freiheit forderte, hielt man mich doch zurück. Mehrere Monate nachher, als wir an der afrikanischen Küste kreuzten und ich empörende Mißhandlungen erduldet, traf ich durch ein seltsames Geschick an dem Grabe des Mannes, der einst Englands größter Feind gewesen, mit Männern zusammen, die dort ihren Racheschwur gegen die britische Tyrannei vereinten. Unter diesen Männern befand sich Kapitän Ochterlony, jetzt ein Deportierter, auf dem Weg nach Botany Bai, und Baber-Dutt, der Bruder Nena Sahibs. – Nach dem Willen des Kapitäns blieb ich auf dem Schiff, das nach den indischen Meeren bestimmt war, und von dem ich ohnehin nicht hätte entfliehen können, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Erfüllung unserer Absichten zeigen würde. Fünf Jahre waren der Zeitraum, innerhalb dessen wir uns in Indien in der Nähe Nena Sahibs wiederfinden sollten, denn auch er hoffte in dieser Zeit von Australien Gelegenheit zur Flucht zu finden. Das Schiff, dem ich angehörte, wurde vom Admiral nach Oceanien gesandt und erst vor etwa Jahresfrist in das arabische Meer beordert. Mein Leben am Bord hatte sich zwar gebessert, denn als bei der auf dem Schiff ausgebrochenen Cholera der Arzt und sein erster Gehilfe gestorben waren, übernahm ich aus Menschenpflicht des erstern Funktion, und habe sie vier Jahre lang gewissenhaft geübt. Ich bezog das Gehalt, ich mußte leben, aber ich weigerte mich, trotz der Freundlichkeit, die ich bei der Bemannung fand, definitiv in die englischen Dienste zu treten. So wurde mir die Gelegenheit erschwert, das Schiff zu verlassen, wenn es sich in Bombay befand, und erst auf einer Expedition in das Sindh, den Indus hinauf, gelang es mir bei einer Jagdpartie, mich von meinen Begleitern zu entfernen und, jeder Gefahr trotzend, den Weg in das Innere Indiens einzuschlagen. Da ich des Hindostani jetzt vollkommen mächtig war, hoffte ich, glücklich nach Audh zu gelangen und vielleicht am Hofe des Bahadur Nachricht von Kapitän Ochterlony zu erlangen. Ich wanderte nach dem Kompaß mehrere Tage, indem ich die bewohnten Gegenden vermied, mich erst genügend vom Ufer des Sudletsch zu entfernen, ehe ich mich unter irgend einem Vorwand, der meine Kleidung und mein Alleinsein erklärte, einer Reisegesellschaft nach dem Osten anschloß. Dies ist meine Geschichte, würdiger Serdar, und ich hoffe, durch Deinen so glücklich und unerwartet aufgefundenen Beistand jetzt die Mittel zu erhalten, nach Audh und unter den Schutz des Srinath Bahadur zu gelangen.«
Der Alte wiegte einige Augenblicke sinnend das Haupt.
»Du sprachst von einem Eid, den die Männer gegen die Faringi geleistet. Hast Du daran teilgenommen?«
»Ich schwor ihn mit, obschon es mir, aufrichtig gestanden, leid thut, daß ich mich von der Erbitterung über einzelne tyrannische Handlungen zur Verdammung einer ganzen Nation hinreißen ließ, die viele Edle und Gute in ihrer Mitte zählt!«
Der Mahratte lächelte verächtlich. »Dein Eid kettet Dich an die Feinde Englands, wenn auch Dein Herz schwankendes Rohr ist, wie das Herz dessen war, der in dem Nebellande schläft. Du willst zu Nena Sahib?«
»Es ist meine Pflicht!«
»Er ist ein schwankendes Rohr, wie Du bist und Dyce Sombre war, halb Hindu, halb Faringi, zum Weib geworden an dem Busen eines Weibes. Ehe das Weltall um 24 Stunden älter ist, wird es sich entscheiden, ob er zu unseren Freunden oder Feinden zählt.«
»Wie meinst Du das?«
»Ehe die Sonne zum zweitenmal sinkt, wird Nena Sahib in den Mauern dieser Burg sein.«
»Er kommt hierher?«
»Seine Läufer haben mir die Kunde vor drei Tagen gebracht. Er ist auf dem Rückweg nach Delhi von Bombay, wohin er sich vor Mondenfrist zu den Wettrennen der Faringi begeben hat, denen der Thor nachläuft. Ein Scheich der Anazee hatte ein seltenes Pferd aus Arabien dorthin gebracht, und lockte ihn mehr, als alle Thränen, die Hindostan über seine Erniedrigung weint.«
»Das ist ein seltener und glücklicher Zufall,« sagte der Arzt, »und ich bin Dir um so mehr Dank schuldig. Doch Tukallah, wenn es Dich nicht beleidigt, möchte ich wohl hören, wie Du nach Indien zurück und zu dieser Macht kamst, während ich Dich nur für einen Diener unseres verstorbenen Freundes hielt?«
Der Serdar schaute nachdenkend, als habe er die Frage nicht gehört, auf den Arzt.
»Ich habe Dein Leben gerettet, in einem Augenblick, da Mahadeoh bereits seine schwarze Hand auf Deine Stirn gelegt hatte.«
»Ich ahnte es, und ich wiederhole Dir meinen Dank!«
»Hast Du den Mut, ihn mit einer That zu bewähren?«
»Ich bin bereit, mit meinem Blut die Aufrichtigkeit meiner Gefühle zu bekräftigen.«
»So gieb einer Mutter ihren Sohn, einer Schwester den Bruder, einem Lande seinen rechtmäßigen Gebieter zurück!«
»Ich verstehe Dich nicht! Was vermag ich, ein Fremdling in diesem Lande?«
»Höre mich an! Was Du auf Malangher, meiner Burg, auch sehen und hören mögest, gelobe mir Schweigen, auch wenn Du die Bitte, die ich im Namen einer trauernden Mutter Dir ans Herz lege, zurückweisen solltest.«
»Ich gelobe es Dir! Die Ehre schon verpflichtet mich dazu.«
»Du fragtest mich soeben, wie ich in den Besitz dieses Schlosses gekommen, da ich doch im Lande der Faringi der Diener eines anderen Mannes gewesen sei?«
»Der Wechsel erschien mir seltsam, obschon in diesem Lande der Wunder eigentlich nichts in Verwunderung setzen sollte.«
»Ich war nicht der Diener, sondern der Mayadar Dyce Sombres. Verstehst Du, was das Wort zu bedeuten hat?«
»Eine Art von Blutbrüderschaft zwischen Diener und Herrn. Ich habe diese Bedeutung von dem Manne erfahren, den Du zu meinem Diener bestimmt hast, und hörte mit Erstaunen, daß er mein Mayadar geworden.«
»Nimm ihn als ein Geschenk, das ich Dir mache. Was die Aya, die Amme dem Kinde ist, wie sie in Not und Tod dem ergeben bleibt, der ihre Mich getrunken, so ist der Mayadar durch heiligen Eid an seinen Herrn gebunden, und in dem Augenblick, in dem ich Dir dies sage, hängt Kassims Blick an Dir und bewacht Dich mit der Sorgfalt einer Mutter. Mein Vater war ein Mahrattenfürst; er zählte drei Söhne, ich war der jüngste. In einem Kampf gegen die Faringi rettete Oberst David Ochterlony, ein Oheim des Kapitäns und ein Freund der Begum von Somroo und der Pate ihres Enkels David Dyce Ochterlony Sombre, meinen Vater vom Tode am Galgen und gelobte dafür Friede mit den Faringis und gab mich, seinen jüngsten Sohn, den Gehaßten zur Geisel, indem er mir den Eid eines Mayadar für den Paten seines Retters auferlegte. Ich zählte damals zwanzig Jahre und der Knabe zwölf. Seitdem blieb ich am Hof der Begum, bis sie starb, und Dyce über das Meer zog. Ich habe den Eid gehalten, bis er gestorben war; sein Tod machte mich frei und gab mich meiner Kaste wieder. Als die Gerichte der Faringi den Kapitän wegen eines Verbrechens verurteilten, das er nicht begangen, kehrte ich mit dem nächsten Schiffe nach Indien zurück. Ich fand meinen Vater und meine Brüder tot, gefallen im Kampf gegen die Engländer, ihre Habe in den Klauen jener Kompagnie. Nur in den Einöden der Thur, wo die Familie meiner Mutter ihre Besitzungen gehabt, war Gerechtigkeit zu finden und sie, die das Erbe Tukallahs dreißig Jahre bewahrt, sie gaben es ihm zurück, als er den Namen seiner Väter nannte. Dem Winke Tukallahs gehorchen tausend tapfere Beludschen und eine Macht, vor der der mächtigste Faringi in seinem Palast erzittern mag! Sein Wink jagt tapfere Männer in den Tod, und der Hauch seines Mundes kann Verderben bringen über die Stolzesten!«
Der Arzt achtete nicht, was er orientalischer Prahlerei beimaß.
»Du hast mir noch immer nicht angedeutet, edler Serdar,« sagte er, »wie ich einer Mutter ihren Sohn zurückzugeben vermag.«
Der Mahrattenfürst klatschte dreimal in die Hände, worauf sich die Blumenwand von der anderen Seite des Daches öffnete und die Rani, von ihrer Tochter begleitet, hervorkam. Tukallah ging ihr ehrerbietig entgegen und führte die Frauen zu dem Sitz, den sie einnahmen, während der schwarze Diener sich entfernte.
»Was Du zu wissen begehrst,« hob der Serdar wieder am »sollst Du alsogleich erfahren. Du wirst wissen, daß Rundschit Sing, der große und berühmte Maharadschah des Volkes der Sikhs, im Jahre 1839 in Lahore starb. Der Löwe des Pendschab hinterließ sein Reich Khuruk Sing, seinem ältesten Sohne, dessen Wesiere Dheian Sing und Gholab Sing von der edlen Familie des Dschummu waren, der letztere der Vater des jungen Kriegers, der an Deiner Seite durch die Wüste ritt.
»Dheian und Gholab aber riefen den verbannten Sohn des neuen Maharadschah, Nau Nehal, von der Grenze Afghanistans, und setzten die Krone seines schwachen Vaters auf sein Haupt, aber Schiwa zürnte ihm, und als er auf seinem Elefanten aus dem Thore von Lahore ritt, fiel ein Balken herunter und erschlug ihn. Den Thron von Lahore nahm Sher Sing, der zweite Sohn Rundschits ein, von den Khalsas Reguläre Soldaten. zum Maharadschah ausgerufen. Die Dschummus hatten mächtige Feinde, die Familie der Sindawalla, die von den Faringis unterstützt, schon früher den Sohn Rundschits vom Throne ausschließen und diesen der Gattin Khuruks geben wollten, damit die Fremden herrschen möchten im Lande der Sikhs. Wenn der Zorn des Maharadschah und seiner Getreuen gegen sie war, flohen sie auf das Gebiet der Faringi und hielten sich dort auf, bis deren Gesandten mit den gespaltenen Zungen ihnen die Erlaubnis zur Wiederkehr erwirkt hatten. Aufs neue schmiedeten sie Verrat, mordeten hinterrücks den Maharadschah und seinen ersten Wesier und wollten das Land den Engländern übergeben. Da erhob sich wiederum das Heer der Sikhs unter General Ventura, den Du gesehen, erschlug die Sindawalla-Häuptlinge, setzte Dhulip Sing, einen Knaben von sieben Jahren, den jüngsten Sohn des verstorbenen Rundschits und seine Mutter, die Mahe Tschund, auf den Thron von Lahore. Dies geschah in der That 1843. Aber die Faringis, lüstern nach dem Besitz des Pendschab, spannen fortwährend gegen die Rani und ihren Sohn Intriguen und erregten Aufruhr im Lande. Offen rüsteten sie zum Kriege und zur Eroberung des Pendschab, wie die Zeitungen Englands dreist verkündeten. Sie weigerten sich, den Schatz herauszugeben, den der Bruder der Rani in einer ihrer Festungen niedergelegt, verweigerten den Sikhshäuptlingen ihr Erbe auf der linken Seite des Sudletsch und sperrten die Wege, so durch tausend Ungerechtigkeiten den Kampf herausfordernd, bis endlich erbittert die Khalsas mit ihren Serdars im nächsten Jahr über den Sudletsch zogen, 60 000 Mann und 200 Kanonen, ihr Eigentum zu schützen und die Faringis zu züchtigen. Das Schicksal der Schlachten war gegen sie, sie wurden geschlagen in den Schlachten von Ferodschah und Sobraon trotz ihrer Tapferkeit. Die Engländer verlockten die Hindus, die unter den Sikhs dienten, zum Abfall, drangen über den Sudletsch, erklärten das Land an beiden Ufern für ihr Eigentum und zogen in Lahore ein. Obschon der junge Maharadschah nichts für den Kriegszug seiner wilden Krieger konnte, nahmen die Faringi ihm die Hälfte seines Landes, vernichteten die Armee seines großen Vaters und stellten die Regierung des unabhängigen Landes unter die Aufsicht eines englischen Residenten.«
Der Arzt sah, wie das Antlitz der Frau, welche man mit dem Titel Rani bezeichnete, bei der Erzählung dieser Schmach erglühte. Von diesem Augenblick an konnte er sein Auge nicht wieder von ihrem Antlitz abwenden.
»Drei Jahre,« erzählte der Serdar weiter, »waren unter diesem Druck vergangen, der so gewaltig auf dem tapferen Volke lastete, daß die Sikhs selbst ihren Haß gegen die Anhänger Muhameds des Propheten vergaßen und sich mit Mohammed, dem Emir von Kabul, im Lande der Afghanen, verbanden um ihre Freiheit wiederzugewinnen. Mulradsch Khan erschlug die Faringi-Offiziere, die zu ihm nach Multan gekommen, ihn seines Erbes zu berauben, und noch einmal sammelten sich die tapferen Krieger Rundschits und schlugen die Engländer am Tschenab und bei Tschillianwallah in die Flucht. 1848-1849. Da zogen auf ihren Schiffen von allen Seiten die Heere der Faringi heran, Verrat schlich sich zwischen die Sikhs und Afghanen, die Agenten der Europäer streuten Zwietracht zwischen die Führer, und einzeln wurden die Tapferen geschlagen. Sechzigtausend edle Krieger fielen kämpfend für die Freiheit ihres Landes, und die Faringi stürzten den Thron Rundschits und machten das Reich tapferer Soldaten zum Eigentum ihrer Kaufleute. Dhulip Sing, den Knaben, den sie seiner Krone beraubt, dessen Kindesalter, er zählte kaum dreizehn Jahre, ihnen nie ein Leid gethan, schleppten die Räuber nach einer ihrer Festungen und hielten ihn dort gefangen, damit sein Name nicht dazu diene, daß noch einmal das Volk der Sikhs sich um ihn schare.«
»Und die Maharani, seine Mutter?«
»Man hatte sie gleichfalls eingesperrt in eine ihrer Festungen, aber sie entfloh mit Hilfe ihrer Getreuen und begab sich nach Nepal, klagend um den Sohn und Hilfe suchend gegen die Räuber ihres Thrones. Und jetzt – –«
Was der Arzt bereits geahnt, zeigte sich gegründet. Die hohe Frau vor ihm erfaßte seine Hand.
»Sie, die beraubte Mutter, die beraubte Königin, sitzt vor Dir! Ich bin die Maharani Mahe Tschund, die Flüchtige, die Mutter Dschulips, die Dich anfleht, weiser Fremdling, ihr den Sohn, diesem Mädchen seinen Bruder zurückzugeben.«
Der Arzt war ergriffen von dem Schmerz der Mutter; denn wenn es auch der Ehrgeiz war, der diese Frau zu den rastlosen Intriguen und Anstrengungen für die Befreiung ihres Sohnes und die Wiedergewinnung des Thrones antrieb, so war doch auch das Muttergefühl ein zu natürliches, um nicht bei der Heftigkeit des orientalischen Charakters jede Schranke zu durchbrechen.
»Hoheit,« sagte der Deutsche – »wenn meine schwache Kraft etwas vermag in Eurem Dienst, so soll sie Euch gewidmet sein, aber ich fürchte …«
»Du bist der Mann, der uns fehlte zu dem Werk der Befreiung,« unterbrach ihn der Serdar. »Einem Europäer allein kann es gelingen, zu Dhulip Sing zu dringen und seine Flucht unbeargwohnt vorzubereiten. Murad Khan wird Dein Gefährte sein auf dem Wege nach Firozpur, wo der Prinz gefangen ist. Alles ist vorbereitet, nur das Haupt fehlt, das den Plan ausführen kann. Wenn Du einwilligst, so ist der Prinz frei, ehe der Mond zweimal gewechselt.«
Die Augen der entthronten Königin, die sanften Blicke des jungen Mädchens ruhten so flehend auf Walding, daß er nicht widerstehen konnte.
»Wie es auch kommen möge,« sagte er entschlossen, »Du hast mein Leben gerettet und es gehört der That, die Du ihm bestimmst. Aber wie soll ich dorthin gelangen und in die Festung?«
»Du wirst mit Srinath Bahadur Dich nach Audh begeben und dort die Mittel erfahren, Deinen Zweck zu erreichen. Murad Khan findet dort einen Mann, der Eure Wege leiten wird. Jetzt, wo das Herz dieser Frauen beruhigt, laßt uns aufbrechen und zu dem Feste gehen, das ich Euch bereitet.«
Er wollte sich erheben, als ein leiser Schrei der Rani ihn fesselte und des Europäers Auge auf sie wandte. Das ihre starrte mit Entsetzen nach dem Mädchen hin, das sich während der letzten Worte entfernt hatte und an die Brustwehr getreten war, die den oberen Rand des flachen Daches umgab, und hinunterschaute in den Gartenhof, wo die nahende Kühle des Abends bereits die Gäste des Serdars und die Bewohner des Schlosses zu versammeln begann.
Waldings Blick folgte dem der Rani, und einen Augenblick lang fesselte auch seine Besonnenheit, seinen Mut das starre Entsetzen.
Das Mädchen hatte die Geranienbüsche auseinandergebogen und schaute hinab in den Raum, wo ihr Geliebter eben beschäftigt war, im Wettkampf gegen den Afghanen seine Geschicklichkeit im Schleudern des oben beschriebenen Wurfeisens gegen das Dolchwerfen des anderen zu versuchen.
Sie hatten in der Entfernung von etwa zwanzig Schritt Orangen auf Stäbe gesteckt und prüften an diesen ihre Kunst, in der jedoch der Afghane seinen Gegner besiegte; denn indem er seinen Dolch mit dem Griff auf der flachen Hand wiegte, die Spitze des Zeigefingers leicht an den Kopf gelegt, schleuderte er mit einer unmerklichen Bewegung des Gelenks die Klinge mit einer Kraft und Sicherheit, daß sie jedesmal mitten in die Goldfrucht flog und zitternd darin stecken blieb.
Die Brust, nach der eine solche Waffe geschleudert wurde, mußte durchbohrt, die Fuge des Panzers von solcher Sicherheit getroffen werden!
Eben war Murad Khan ein glücklicher Wurf gelungen und der scharfe Stahlring hatte eine der Orangen mitten durchgeschnitten. Mahana klatschte jubelnd in die Hände, während das Verderben in scheußlicher Gestalt über ihrem Haupte schwebte.
Eine riesige Schlange, eine der größten ihrer Art, hatte sich aus dem Buschwerk der Blumen und Pflanzen hervorgewunden, sich auf der Spitze ihres muskelkräftigen Schwanzes zu voller Manneshöhe erhoben und hielt ihren geöffneten Rachen kaum zwei Fuß entfernt über dem Haupt des Mädchens.
Die Schlange war, wie der Arzt an den schwarzen Ringen um ihre großen, in grünlichem Feuer funkelnden Augen und an der gelben Farbe ihres Körpers erkannte, die furchtbare Brillenschlange, die giftigste der Reptilien Indiens nach der Klapperschlange und Hornschlange, und gefährlicher als diese, da sie mit ihrem tödlichen Gift zugleich Kraft und Wildheit verbindet.
Der kragenartige Lappen an ihrem Halse blähte sich wie der Kamm eines Truthahns, die Wut des Tieres zeigend; aus dem weit geöffneten Rachen züngelte die gespaltene dünne Zunge nach dem Opfer und giftiger Brodem schien ihm zu entquellen.
Das junge Mädchen hatte keine Ahnung von der Gefahr, aber die geringste Bewegung konnte den tödlichen Biß der Schlange beschleunigen.
Die Rani, vor Entsetzen starr, vermochte keine Bewegung zu machen, keinen Laut auszustoßen aus Furcht, dadurch die Gefahr zu vergrößern. Die gleiche Besorgnis lähmte auch den Serdar, der überdies am weitesten von der Gefährdeten entfernt saß und durch die anderen von ihr getrennt wurde. Walding hörte die leise gemurmelten Worte: »Eine der heiligen Schlangen! Fluch über den Schurken, der sie hat entwischen lassen!«
Der Arzt war der nächste an dem Mädchen; wie ein Blitz zuckte es durch seine Seele, was das einzige Verteidigungsmittel war. Rasch hatte er eines der seidenen Kissen des Diwans ergriffen und schleuderte es nach dem Kopfe der Schlange. Mit einem zweiten bewehrt, sprang er im selben Momente empor und stürzte zu dem Mädchen. Zugleich vernahm er hinter sich, gemischt mit dem Aufschrei der Rani, deren Erstarrung mit seiner Bewegung sich löste, einen weithin gellenden Pfiff.
Das Kissen war so kräftig und geschickt geschleudert worden, daß es den Kopf der aufgerichteten und nur auf ihren Schwanz gestützten Schlange traf und zur Seite warf. In grimmiger, blinder Wut wendete sich das Ungeheuer und biß heftig in das Kissen.
In diesem Augenblick war auch der Deutsche bei der jungen Indierin, und umschlang sie mit der einen Hand, während die andere zum Schutz gegen das Ungetüm das zweite Kissen vorhielt.
Jetzt erst, durch den Schrei ihrer Mutter und das Herbeispringen des Arztes erschreckt, hatte die Prinzessin sich umgewendet und mit erbleichenden Wangen die gräßliche Gefahr entdeckt, die sie bedroht hatte und noch bedrohte. Halb ohnmächtig hing sie in den Armen Waldings.
Die Schlange schien bemerkt zu haben, daß sie ihre Wut und ihr Gift an einen toten Gegenstand verschwendete und ihren wahren Feind wo anders zu suchen habe; denn sie verließ alsbald ihre Beute, richtete sich aufs neue empor, wendete ihre funkelnden Augen auf den Arzt und das Mädchen, und das große Kissen, das der Arzt hielt, bildete jetzt die einzige Schutzwehr der Bedrohten.
Seltsamer Weise stand der Serdar, der unterdes herbeigeeilt war und einen langen Stab ergriffen hatte, dabei, ohne einen Schlag auf das Ungeheuer zu thun zur Rettung des Paares.
In diesem entsetzlichen Moment, wo der Arzt bereits den giftigen Hauch des Reptils zu fühlen glaubte, kam ihnen unerwartet eine seltsame Hilfe.
Ein Teppich, der in einem Winkel der Terrasse auf dem Boden lag, wurde zur Seite geschoben und aus der fallthürartigen Öffnung, die sich darunter zeigte, hob sich ein Kopf, zwar einem Menschen gehörig, aber doch kaum weniger scheußlich, als der der Schlange.
Es war ein unförmig dickes, einem Kürbis ähnliches Haupt von gelbbrauner Farbe, das zum Vorschein kam, gänzlich haarlos, bis auf einen, mitten auf dem Wirbel emporsteigenden, dünnen Büschel, der mit Goldplättchen, Perlen und Korallen wunderlich verziert war. Das Gesicht, das zu diesem, den Verhältnissen eines Riesen entsprechend dicken Kopf mit zwei unförmlichen großen, durch eingehangene schwere Goldbleche bis auf die Schulter heruntergezogenen Ohren gehörte, war auffallend klein und bildete widriges Gewirr von Runzeln und Falten, aus dem die merkwürdig kleinen, schief stehenden und langgeschnitzten Augen grünlich hervorschielten. Die kleine Nase war zwischen dem Wulst von schmutziggelben Runzeln nur durch die großen Nüstern erkennbar, dafür aber der Mund mit dicken, roten Lippen so breit und groß, daß er das Gesicht in zwei Teile zu spalten schien.
Dieses scheußliche Haupt spähte umher, und sie hatten kaum die gefährdete Gruppe erblickt, als ein gurgelndes, widriges Lachen aus seiner Kehle ertönte und den breiten Mund verzerrte. Dann wurde von seinen noch unsichtbaren Händen eine kleine schalmeiartige Pfeife an diesen Mund gesetzt, und der mißgestaltete Zwerg begann, indem er langsam weiter emporstieg, eine eigentümliche, aus drei Tönen bestehende Melodie zu blasen.
Erst jetzt, indem er aus seiner Höhle hervorkam, zeigte sich die entsetzliche Mißgestalt dieses Körpers. Der Mann war etwa drei Fuß hoch, wovon der Leib und Hals, vom Kopf bis zu den Beinen, noch nicht den dritten Teil einnahm. So unverhältnismäßig kurz und dünn nun Leib und Arme waren, so groß und plump waren außer dem Kopf auch die Beine und Füße. Die Mißgeburt trug ein schreiend rotes sackartiges Gewand, das vom Hals bis über die Kniee reichte, die dürren Arme und unförmlichen Füße, beide an den Gelenken mit Goldringen verziert, entblößt ließ, und statt des Gürtels um die Mitte des Leibes von den Ringen einer eben solchen gefährlichen Schlange zusammengehalten wurde, wie sie in diesen Augenblick noch den Arzt und die Prinzessin bedrohte. Diese Schlange war keineswegs tot, vielmehr bewegte sich ihr Kopf, der nach der Umschlingung des Körpers des Zwerges auf seiner Schulter neben seinem kurzen Halse lag, taktmäßig hin und her, wobei jedoch die Augen des giftigen Tieres einen bleigrauen, matten Ausdruck behielten und seine Zunge schlaff aus dem geschlossenen Rachen hing.
Die Mißgeburt stieg, wie gesagt, langsam die Treppe oder Leiter aus ihrer unterirdischen Höhle empor und schritt, die Melodie fortblasend, auf die Gruppe der edler gestalteten Wesen zu.
Sobald sie in den Bereich des alten Serdar gekommen, herrschte dieser ihr einige Worte in einer dem Arzt unbekannten Sprache zu und versetzte dem Zwerg mit dem Stabe, den er in der Hand trug, einen so gewaltigen Schlag über den Schädel, daß sofort eine dicke blaurote Schwiele über die ganze Breite hin sichtbar wurde. Der Zwerg schien jedoch unter dem schrecklichen Schlage nicht einmal zu erwanken, er begnügte sich, seinem Herrn und Gebieter einen giftigen, rachsüchtigen Blick zuzuwerfen und fuhr fort, sich der grimmigen Gefährtin seines lebendigen Gürtels zu nähern.
Das Aussehen der Schlange hatte sich, schon vom ersten Ton der seltsamen Musik an merkwürdig verändert.
Zunächst kehrten sich ihre großen, grünen Augen von dem bedrohten Paar ab, und wandten sich dem Zwerge zu, indem sie ihr Feuer und ihre Farbe zu verlieren begannen, und ihr Kopf fing an, sich nach dem Takt jener Melodie hin und her zu bewegen.
Doktor Walding hatte bereits häufig von dein seltsamen Schlangenzauber gehört, den die indischen Gaukler und Beschwörer über die furchtbaren Reptilien ausüben sollen, aber es war das erste Mal, daß er ein so merkwürdiges und außerordentliches Beispiel mit eigenen Augen sah.
In dem Moment, als die Schlange ihre Augen von ihm abwandte, schien es dem Arzt, als wälze sich eine Last von ihm ab, so entnervend war der Zauber, den der basiliskenartige Blick auf seine Manneskraft geübt. Der Zwerg hatte sich jetzt ihnen vollends genähert, und immer seine Schalmei blasend, stellte er sich zwischen die Schlange und den Deutschen, wie dieser bisher mutig zwischen ihr und dem Mädchen gestanden hatte. Dann streckte er seinen entblößten linken Arm nach ihr aus und schwenkte ihn dicht vor ihrem Rachen. Die Cobra packte ihn sogleich, und während sie ihre spitzen, rückwärts gebogenen Zähne hineinsenkte, schlang ihr Leib sich gleich der ihrer Gefährtin in schrecklichen Ringen um den Körper des Unholds, der ruhig dies mit sich geschehen ließ, und nur die Bewegungen der Schlange benutzte, um mit ihr langsam von dem Ort, wo sie die Prinzessin bedroht hatte, zurückzutreten und sich dem Eingang, aus dem er emporgestiegen, zu nähern.
Die Rani war jetzt hinzugeflogen und hatte die noch immer ohnmächtige Tochter in ihre Arme genommen, während sie Wischnu, dem Erhalter, in lauten Gebeten dankte und ihm Wallfahrten und Opfer gelobte. Der Serdar aber drohte dem ungestalten Männchen mit der Faust. »Was hält mich ab, elende Mißgeburt, daß meine Dschambea Dein scheußliches Haupt vom Rumpfe trennt!« zürnte er in hindostanischer Sprache. »Hinunter mit Dir, falscher Wächter, in die tiefste Deiner Höhlen und mögst Du an ihrem Gift ersticken. Läßt Du noch einmal eine Deiner Schlangen entschlüpfen, so sollen die Füße der Elefanten Deinen erbärmlichen Leichnam zerstampfen!«
Der Zwerg war jetzt bis an den Rand der Fallthür gelangt, und indem er vorsichtig den Fuß auf die oberste Stufe der Treppe setzte, gurgelte und tönte wieder das unheimliche Lachen aus seiner Kehle.
»Kommt!« kreischte er mit widerlicher Fistelstimme. »Meine Goldlämmchen, meine schönen Ringelpüppchen, hinunter mit mir in Euer Schloß! Was wollt ihr an dem Licht der falschen Surya? Die Sonne und der Gott der Sonne. Nur wenn Soma Der Mond. seine Augen aufgethan, oder da drunten, wo die glühende Agni Der Gott des Feuers. Eure funkelnden Smaragden wiederspiegelt, ist Euer Thron, und Rostogana, Euer Wächter, kann Euch hüten, wie den Apfel seines Auges. Valu, die Liebliche, war ihrem Lager entwischt, Herr, sie hat Hunger und kann die blutige Nacht nicht erwarten! Mögen die Stunden verrinnen schnell wie Gedanken, um ihr die erwählten Opfer zu bringen! Denn Du weißt, o Herr, die sich die Göttliche erwählt, müssen ihr werden, ob früh oder spät; so will es die Blutige!«
Der Serdar schwang drohend den Stab und der mißgestalte Unglücksprophet verschwand mit seinen entsetzlichen Gesellschaftern.
»Um Gotteswillen, der Mann ist von der Schlange in den Arm gestochen,« rief der Arzt, »laßt mich eilig versuchen, was meine Kunst vermag, oder er ist verloren!«
Der Serdar lächelte verächtlich. »Wenn Rostogana jedesmal gestorben wäre, wenn ihn die Schlangen gebissen haben, so hätte er tausend Leben haben müssen! Er ist ein Zauberer und fest gegen ihr Gift. Mein junger Freund möge seine Kunst lieber dem Mädchen zuwenden, sie scheint krank von dem Schrecken, den sie erlitten!«
In der That lag Mahana noch immer ohnmächtig in den Armen ihrer Mütter, auf deren Ruf jetzt einige ihrer Dienerinnen aus der Zenana herbeieilten und sie nach dem anderen Teil der Terrasse trugen, wohin der Arzt auf die Bitte der Rani ihnen folgte. Die Ausbrüche des Dankes der Mutter für die Rettung ihrer Tochter waren ebenso leidenschaftlich, wie vorhin die ihrer Angst, sie riß sich den kostbaren Schmuck, den sie trug, von Hals und Armen und wollte ihn dem Arzt aufdrängen. Nachdem er sich ernstlich geweigert, zwang sie ihn, einen kostbaren Ring mit einem herrlichen schwarzen Diamanten von bedeutender Größe an den Finger zu stecken.
»Wäre es der Koh-i-noor,« rief sie, »den die falschen Faringi dem Thron von Lahore geraubt, – ich würde ihn Dir geben! Aber nimm diesen Stein, er mag Dir wichtiger und nützlicher werden, als jener Berg des Lichtes. Uralter Zauber hängt an ihm. Wenn Du Dich Fremden näherst, achte wohl auf das Aussehen des Steines, denn erbleicht sein Glanz, so siehst Du einen Feind! Welchem Sikh Du den Ring auch zeigen magst, er wird thun nach Deinem Befehl, und wenn es ihm sein Leben kosten sollte!«
Doktor Walding, ohne auf die abergläubischen Anpreisungen der Hindufürstin zu achten, vermochte doch zu beurteilen, daß der Ring ein äußerst wertvolles Geschenk sei, und war jetzt vor allen Dingen bemüht, die junge Prinzessin vor den üblen Folgen des Schreckes zu bewahren. Nachdem er sie durch geeignete Mittel wieder ins Bewußtsein gebracht, befahl er, sie nach ihren Gemächern zu führen und durch beruhigende Tränke und Stille ihre erschütterten Nerven wieder herzustellen.
Die Nachricht von der Gefahr, die die Jungfrau bedroht hatte, und von der schnellen und entschlossenen Hilfe des Fremden hatte sich unterdes auch im zweiten Hof unter den Gästen und Bewohnern des Schlosses verbreitet, und obschon niemand ohne die besondere Erlaubnis des Serdars oder die Einladung der Maharani sich erlauben durfte, die obere Terrasse der Burg zu betreten, herrschte doch eine Art von Aufregung unter den Versammelten, da allen das schöne, ihres Erbes beraubte Mädchen Teilnahme eingeflößt, und als Doktor Walding jetzt nach dem Garten zurückkehrte, wurde er mit Segenssprüchen überschüttet und Murad Khan schloß ihn in seine Arme.
»Mögen Deine Tage lang und glücklich sein!« sagte der junge enthusiastische Krieger. »Fattih Murad Khan wird Dein Bruder sein, so lange Wischnu den Odem in seiner Brust erhält. Du hast die Lilie des Pendschab vor böser Gefahr gerettet, und mein Leben ist das Deine. Von Tukallah weiß ich bereits, daß Du eingewilligt, mit mir Dhulipp Sing aus der Festung der Faringi zu erretten. Du bist ein Glücklicher, denn Du wirst einer Mutter und einer Königin beide Kinder zurückgegeben haben!«
Der Khan hatte sich neben ihn auf die Kissen gesetzt, die auf prächtige Teppiche um die Springbrunnen zur Aufnahme der Gäste gelegt waren, und Walding glaubte Gelegenheit zu finden, von dem jungen Mann Näheres über das ihnen gemeinsam bevorstehende Abenteuer erfahren zu können, als ihre Unterredung aufs neue gestört wurde.
Die vorhergegangene Scene hatte wahrscheinlich die Aufmerksamkeit des Serdars von der Beobachtung des Thales abgewendet, so daß er die Annäherung des an der Grenze der Thur zurückgelassenen Reisezuges nicht beachtet hatte, denn allen unerwartet verkündeten jetzt die drei Hornstöße die Ankunft von Fremden und forderten Einlaß in die Burg.
Auf das Zeichen erschien der Herr derselben und begab sich, während von den Dienern eine große Anzahl von Fackeln angezündet wurde, da der Abend sich über das Thal lagerte, von seinen Gästen gefolgt, an den äußeren Turm. Die ankommende Schar bestand in der That aus den Kriegern, Dienern und Jägern, welche der Mahratten-Fürst in den Dschungeln zur Aufsuchung und Nachführung erwarteter Personen zurückgelassen hatte. Diese waren zwei Männer in mittlerem Alter und einfacher europäischer Kleidung mit zwei orientalischen Dienern. Die Fremden, obschon sie Civil trugen, hatten ein unverkennbar militärisches Äußere und bekundeten in ihrem Benehmen die Männer von vornehmer Geburt und Erziehung, was, in Verbindung mit einem gewissen zuvorkommenden und einschmeichelnden Wesen und dem sarmatischen Schnitt ihrer Gesichtszüge, den Arzt in seiner Vermutung bestärkte, daß sie nicht einfache Reisende, sondern Agenten jenes gewaltigen Reiches seien, dessen Zusammenstoß mit den Engländern in Asien über kurz oder lang erfolgen muß.
Die Ankommenden schienen gemächlicher gereist, als der Zug des Serdars in der Nacht vorher, denn sie waren keineswegs ermüdet, und nachdem sie die notwendige Erfrischung der heißen Länder, ein Bad, genommen, fanden sie sich bei der Gesellschaft ein, die nun wieder im Garten zusammengekommen.
Dieser war jetzt zauberisch erleuchtet und gewährte zum erstenmal dem Arzt das Bild eines der indischen Feste, von deren Wunderpracht die Reisenden so viel erzählen.
Festons bunter Papierlaternen hingen von Baum zu Baum, die Luft schien mit bunten Sterngebilden und Blumen erfüllt zu sein und Feuerbecken von wohlriechendem Harz und Sandelholz brannten um die Fontainen.
Für die Maharani war unter den Boskets von Rosen, Jasmin und Oleander eine Art von Thron errichtet, auf dem sie Platz nahm. Der Serdar führte ihr hierauf die beiden Fremden zu und stellte sie ihr vor; da dies aber in persischer Sprache geschah, verstand der Arzt nichts und blieb auf seine Vermutungen beschränkt. Die Rani sprach lange und eifrig mit ihnen, dann ließ sie dieselbe an ihrer linken Seite Platz nehmen und winkte dem Arzt zu dem Ehrensitz an ihrer rechten. General Ventura, der Afghanen-Häuptling, Murad Khan und mehrere Mahrattenkrieger bildeten außerdem die Gesellschaft. Von der Rani hörte Doktor Walding, daß die Prinzessin sich wieder beruhigt und in einen stärkenden Schlaf gefallen sei.
Das Fest begann mit der in Indien üblichen Besprengung der Gäste mit Rosenöl. Ein prächtig gekleideter Diener, eine Krystallphiole zwischen den Fingerspitzen, schritt auf den Zehen heran, öffnete die Phiole, aus der sich ein köstlicher Duft entwickelte und warf mit einer geschickten Bewegung jedem einen oder zwei Tropfen der kostbaren Essenz zu, deren Wohlgeruch Wochen lang an den Kleidern und dem Körper haften bleibt. Dann brachten andere Diener auf goldenen Tellern die in Blätter des Betelbaumes eingehüllten Arekanüsse und überreichten sie jedem der Gäste.
Es wäre eine schwere Beleidigung des Wirtes, diese Frucht zurückzuweisen, selbst wenn man davon nicht jenen Gebrauch machen kann, den die Indier, Männer und Frauen, mit so leidenschaftlicher Vorliebe pflegen. Walding sah, wie alsbald auch die Maharani die Betelnuß in ihren Mund steckte und mit Behagen zu kauen begann.
Zugleich trat auf jeden Gast ein besonderer Diener zu und stellte eine krystallene, mit Rosenwasser gefüllte Hukah Wasserpfeife – bei den Türken: Nargileh. vor ihn, zündete den Tabak an und reichte dem Gaste das Mundstück.
Der Serdar klatschte in die Hände, und alsbald erschien ein Spaßmacher und Märchenerzähler, hockte vor der Gesellschaft auf seinen Fersen nieder und begann mit leiser, singender Stimme die im Pendschab einheimische und durch ganz Indien beliebte Erzählung von dem Liebespaar Hir und Ranjhan.
Als der Sänger die einfache, den romantischen Ideengang der Hindus charakterisierende Erzählung geendet, erntete er großes Lob, und jeder warf eine Münze in des Mannes Kappe, ehe dieser sich zurückzog.
Ein neues Zeichen des Serdars, und eine Gesellschaft Gaukler und Zauberer erschien auf dem Platz.
Sie bestand aus vier Personen: einem großen robusten Schwarzen, einem kleinen Chinesen mit langem Zopf, einer Frau, und einem Knaben. Die Männer waren sämtlich nur mit einer kurzen bis an die Kniee reichenden Hose, einem baumwollenen Hemd, und dem Turban oder chinesischen Basthut bekleidet, während die Frau, neben ihrem einfachen weißen Gewande und bloßen Füßen, das Haar lang und frei um den Kopf hängend trug. Sie führten nur einen Korb, eine große Bastmatte und eine wollene Decke, einige Waffen, Stäbe, Messer und Kugeln bei sich, Geräte, die sie jedermann zur Prüfung anboten.
Der Arzt, der bereits vieles von diesen Künsten gehört, wünschte sich gegen jede Täuschung zu sichern und prüfte die Gewänder und Geräte auf das Genaueste. Was hier erzählt wird, beruht nicht auf Erfindung, ist vielmehr von Europäern gesehen und von ersten Autoritäten verbürgt worden, obwohl es auch ihnen unerklärlich war.
Die Künste begannen damit, daß der Chinese eine wohl zehn Ellen hohe und oben scharf zugespitzte Bambusstange aufrecht und ohne weitern Halt frei auf die Matte stellte, an ihr mit der Gewandtheit eines Affen emporstieg, sich mit dem Nabel auf deren Spitze warf und den Leib in horizontaler Linie gleich einer Scheibe so schnell herumzuwirbeln begann, daß die Augen der Zuschauer seinen Bewegungen kaum zu folgen vermochten.
Zu seinem Erstaunen, ja Schrecken, bemerkte der Arzt plötzlich, oder glaubte wenigstens zu sehen, daß der Leib des Mannes gleich einer Schraube sich an der Spitze des Stabes hinunter und hinauf drehte, und die Spitze zuweilen wohl einen Fuß lang aus seinem Körper hervorragte, gleich als habe er sie durch seinen Leib hindurch gedreht.
Den Anwesenden schien dieses Kunststück jedoch ein sehr gewöhnliches, oft gesehenes, denn als er entsetzt und fragend auf sie schaute, blickten sie sehr gleichgültig auf die Anstrengungen des kleinen Jongleurs, der sich jetzt wieder bis auf die äußerste Spitze hinauf gewirbelt hatte, mit Blitzesschnelle an der Stange herunterglitt, die der Knabe auffing, dann eines der am Boden liegenden langen Messer ergriff und es mehreremal durch das Hemd bis ans Heft sich in die Brust stieß, so daß das Blut sofort seine ärmliche Kleidung übergoß und bis zu den Füßen der Gesellschaft spritzte.
Walding sprang mit einem Ruf des Entsetzens auf und eilte zu dem Unglücklichen, aber der Chinese machte ihm eine tiefe Verbeugung, überreichte ihm das Messer und öffnete das Hemd auf seiner Brust – keine Spur einer Verletzung war auf dieser zu sehen, und den Getäuschten begrüßte das Gelächter des alten französischen Offiziers und des jungen Khans.
Der Knabe trat nun auf die Matte und begann das bekannte Kugelspiel mit einer Anzahl von glänzenden Kugeln und Messern, das er mit großer Geschicklichkeit und Gewandtheit ausführte, ohne daß Walding anfangs darin etwas Besonderes finden konnte. Dann aber begann der Bursche die seltsamsten Gliederverrenkungen und Wendungen, warf sich auf den Boden und die Füße in die Höhe und während dessen wirbelten die Messer und Kugeln ihren ununterbrochenen Kreis, bis er endlich emporsprang und einen Gegenstand nach dem anderen hoch in die Luft zu werfen begann, daß er sich über dem Lichtkreis der Laternen und Feuerbecken im Dunkel verlor.
Wunderbarer Weise aber fiel keiner wieder zurück, einer nach dem anderen verschwand gleichsam in der Nacht, und als er die letzte Kugel geworfen, setzte sich der Knabe mit gekreuzten Beinen ruhig auf den Teppich nieder und blickte in den Äther.
Die Pause mochte zum Erstaunen des Arztes länger als fünf Minuten gedauert haben, als der Bursche, der während dessen eine eigentümliche Melodie gesungen, emporsprang, die Arme in die Luft streckte und einen der emporgeworfenen Gegenstände nach dem anderen wieder auffing, wie sie aus der Luft in kurzen Intervallen herabkamen.
Zum zweitenmal begann er das seltsame Spiel, und wie scharf auch der Deutsche aufpaßte, er sah deutlich die Messer und Kugeln in der Luft verschwinden, ohne sie wieder nach dem Gesetz der Schwere niederfallen zu sehen. Als der Knabe sich diesmal nach einer noch längeren Zwischenpause von der Matte erhob, deckte er diese selbst auf und Kugeln und Messer lagen unter derselben.
Keiner seiner Gehilfen hatte sich der Matte genähert, diese selbst zeigte sich ganz und ohne Öffnung.
General Ventura erzählte dem Arzt, daß er am Hofe von Lahore einen Mann gesehen, der eiserne Kugeln in der Luft habe verschwinden und sie nach Verlauf einer ganzen Stunde wieder habe herunterfallen lassen.
Das merkwürdigste und zugleich grauenhafteste Stück, welches die Jongleure nach vielen anderen seltsamen Künsten produzierten, war folgendes:
Der Mohr, wie bereits erwähnt, ein großer und kräftiger Mensch, setzte sich auf die Matte und bog seinen Körper derart zusammen, daß er einer unförmlichen Kugel glich, worauf seine Gefährten ihn mit dem Korbe zudeckten, über den sie die zweite Decke breiteten. Darauf ergriffen alle drei Spieße und Messer und stachen mehrere Minuten lang in den Korb, so daß das Blut stromweis darunter hervorfloß, worauf Decke und Korb aufgehoben wurden und zum Erstaunen der Zuschauer statt des zerfetzten Leichnams des Unglücklichen nichts zu erblicken war, als einer der Pfauen, die während des Tages im Garten umherstolzierten.
Wiederum wurde der Korb darüber gedeckt und als man ihm zum zweitenmale aufhob, befand sich statt des Pfaues ein junges, anscheinend kaum wenige Tage altes Kind darunter.
Auch diese Erscheinung verschwand auf gleiche rätselhafte Weise, und als Decke und Korb wieder darüber gedeckt waren, kroch der Knabe mit darunter.
Eine kurze Weile blieb die Hülle in wellenförmiger Bewegung, dann entfernte der Chinese zum drittenmale die Decke und den Korb und darunter saß jetzt unverwundet der Neger, der Knabe aber war verschwunden und als die Fremden erstaunt und verwundert nach ihm umherschauten, glaubten sie plötzlich seine Stimme hoch aus der Luft ihnen einen Salem zurufen zu hören und sahen den Burschen auf der mittleren Galerie der Pagode sitzen.
Die Geschenke, die dem sammelnden Weibe gereicht wurden, zeugten von dem Beifall, den die Kunststücke der Gesellschaft gefunden, worauf diese sich wieder entfernte und einer neuen und dem Arzt nicht minder interessanten Unterhaltung Platz machten.
Während der Zeit wurden unaufhörlich von den Dienern des Serdar auf silbernen Platten Kaffee, Orangenwasser, Scherbet, Früchte und Backwerk umhergereicht.
Die neue Schauspielergesellschaft, die erschien, angekündigt durch die Töne eines Tambourins, einer Trommel und Pfeife, bestand aus Bayaderen.
Die Bayaderen Indiens sind die Almen der türkischen Harems, die öffentlichen Tänzerinnen Arabiens, die teils gleich einer Leibwache oder einer Kapelle in den Diensten der Reichen und Mächtigen des Landes stehen, die über sie verfügen, wie über Sklaven, teils den Tempeldienst gewisser Gottheiten versehen und die großen religiösen und überaus zahlreichen Feste der Hindus mit ihren Tänzen verherrlichen helfen, teils auch im Lande frei umherziehen und vor der Hütte des Landmannes wie im Palast des Reichen ihre Künste zeigen.
Im allgemeinen ist ihre Liebe zwar für Geld und Geschenke feil, doch ist dies nicht durchgängig der Fall und gehört keineswegs zu ihrem Stand und Gewerbe.
Man findet unter ihnen Mädchen von lieblicher, feiner Gestalt und reizender Schönheit, aber noch öfter widrige, schlappe, oder, der eigentümlichen Anschauung des Orientalen von Weiberschönheit entsprechend, unförmlich dicke Gestalten und Häßlichkeit der Formen und des Gesichts, die Zähne durch das fortwährende Betelkauen glänzend schwarz gefärbt.
Rundschit Sing besaß sogar eine organisierte Amazonenleibwache aus lauter Bayaderen, die trefflich in den Waffen geübt waren, aber nach seinem Tode sich zerstreuten.
Die Tänzerinnen, die der Serdar zur Unterhaltung seiner Gäste beschieden, gehörten, wie der Arzt von dem ehemaligen General Rundschits hörten zu einer wandernden Horde, indem augenblicklich eine große Anzahl von Pilgern und Reisenden sich in dem Thal und dem Schloß aufhielt.
Zwei Männer, mit Trommel und Pfeife, begleiteten die Tänzerinnen, deren Anführerin ein mit Silberblechen verziertes Tambourin in ihrer Hand trug.
Diese Anführerin war von großer Schönheit, doch hakte dieses milde, reizende Antlitz schon zu den abscheulichsten Zwecken und Verirrungen des menschlichen Geistes gedient.
Das Gesicht, von lieblicher, ovaler Form, hatte einen durchsichtigen klaren Teint von goldartigem lichten Braun. Die schwarzen Augen blickten sanft und zärtlich, aber die hochgeschweiften und ausgeschnittenen Nüstern verrieten daneben Energie und Leidenschaft. Der Mund war von feiner Form, und seine Zahnreihen glichen Perlen.
Überaus zart war die Gliederung dieses Körpers, Fuß und Hand von besonderer Kleinheit und Schönheit.
Anarkalli die Granatblüte – so hieß die Tänzerin, war in faltenreiche blaue Gewänder gekleidet, die von den Hüften ab übereinander, bis auf die Knöchel herab fielen und in Goldfranzen endeten, ohne den nackten, an den Knöcheln mit Goldringen geschmückten Fuß zu verhüllen. Ein rosafarbener Shawl vom feinsten Schleiergewebe bedeckte Brust und Nacken, ohne ihre süßen Formen und ihre schwellenden Linien zu verhüllen. Das schwarze Haar war in breite, mit Korallen, goldenen Mohurs und kostbaren Juwelen durchflochtene Flechten gebunden und hing in solchen ihr rings um das Haupt bis zu den Hüften nieder. Der prächtige Schweif eines Paradiesvogels war aus ihrem Hinterhaupt befestigt und senkte sich in hochgeschwungenem Bogen auf die linke Seite, während in ihren Ohren, statt der Juwelen und Edelsteine, das glänzendere Gefieder einer der kleinsten in Gold und Smaragdgrün schimmernden Kolibriarten hing.
Während mehrere ihrer, wenn auch zierlichen, doch weniger lieblichen Gefährtinnen durch schwere Goldringe in Ohren und Nasenwand und durch Punktierungen mit Antimonium ihr Gesicht nach indischer Sitte entstellt hatten, hatte sie das letztere allein zur Schwärzung ihrer Augenlider angewandt, was ihrem Auge einen erhöhten zauberischen Glanz verlieh.
Diese Augen wandten sich mit einem Ausdruck ängstlichen Forschens auf die Reihe der Gäste, schienen einige Augenblicke prüfend auf jedem zu haften und blieben dann an den freundlichem Vertrauen erweckenden Zügen des Arztes hangen.
Erst der Ton der Trommel und der Flöte schien sie aus ihrer Träumerei zu wecken, sie trat rasch einige Schritte vor, ließ das Tambourin über ihrem Haupte erklingen und begann nach dem einfachen Takt jener Musik und dem leisen Singen ihrer Gefährtinnen ihren Tanz.
Zuerst waren die Bewegungen der Bayadere langsam, indem sie nach dem Takt der Musik die Arme über den Kopf erhob, den Oberkörper vor- und rückwärts oder zur Seite bog, allmählich aber begann sich ihr Gesicht zu röten, der Takt wurde rascher und die Linien, die ihr Körper beschrieb, glichen den wollüstigen Windungen einer Schlange. Ohne daß man ein Vorschreiten oder Rückwärtsgehen zu bemerken vermochte, glitte sie doch bis dicht an die Zuschauer hin, schien sich über sie herzuneigen und zog sich eben so eigentümlich zurück. Zweimal, als sie sich ihm nahte, glaubte Walding eine flüsternde Stimme an seinem Ohr zu hören, die in gebrochenem Englisch ihm zuraunte: »Lobe mich, Fremdling, lobe mich!« aber die seltsame Schöne hatte sich bereits immer wieder zurückgezogen, ehe der Deutsche darüber aufgeklärt war, ob die Worte, die er übrigens für eine eitle Forderung der Tänzerin hielt, wirklich aus ihrem Munde gekommen.
Immer lauter und wilder rauschte die Musik und der Gesang, immer heftiger und üppiger wurden die Bewegungen der Bayadere, ihr schlanker Leib schien bald sinnlich vorgeworfen, bald weichend und kokettierend in lustglühenden Wendungen zurückgezogen; dann wieder schmachtend die Arme vorstreckend schien sie nach einem Gegenstand in der Luft zu haschen, ihre schwellenden Lippen öffneten sich, ihren Augen schien glühendes Feuer zu entstrahlen, und seltsam glaubte Walding sie wiederholt dabei auf sich gerichtet zu sehen mit einem ängstlichen, flehenden Ausdruck, bis in der höchsten Extase des Tanzes, wirbelnd gleich einem rasenden Derwisch um sich selbst, mit einem leisen Aufschrei die Bayadere zu den Füßen der Rani sank.
»Lobe mich! Bei dem Christengott, lobe mich, Fremdling!« tönte es in demselben Augenblick wieder leise an das Ohr des Arztes; aber es bedurfte diesmal der Mahnung nicht, denn der eigentümliche Reiz dieses bei aller Wildheit und Üppigkeit nicht ungraziösen Tanzes hatte ihn so ergriffen, daß er in lauten Beifall ausbrach und der Tänzerin nach indischem Brauch ein Goldstück zuwarf, das sie geschickt mit ihrem Tambourin auffing, ihn dabei mit einem dankenden Blick anschauend.
Im nächsten Moment war sie mit Lobeserhebungen und Geschenken überschüttet, selbst die Maharani zog aus ihrem Kopfschmuck eine prächtige Nadel und warf sie der Bayadere zu.
»Dein Auge hat wohlgefällig auf das Mädchen geblickt,« sagte der alte Serdar höflich zu dem Arzt, dessen entschlossene Rettung der Prinzessin ihn heute zum Helden des Tages gemacht hatte – »sie ist Dein Eigentum, so lange Du ein Gast in diesen Mauern bist!«
Der Arzt fuhr errötend zurück, diese in Indien so gewöhnliche Höflichkeit, einem Gast die Tänzerin, die ihm gefällt, zum Geschenk zu machen, war ihm unbekannt, und er fing an, zu begreifen, was die Bitte der Bayadere an ihn bezweckt hatte.
Aber es war das erste Mal gewesen, daß sie ihn im Leben erblickt, er konnte sich in körperlicher Beziehung durchaus nicht mit den schönen und feurigen jungen Männern messen, die sich in der Gesellschaft befanden, und er war zu arm und einfach, um durch die Aussicht auf Geschenke die Spekulation der Tänzerin auf sich gezogen zu haben.
Was also war es, wodurch das seltsame Verlangen der schönen Hindu, gerade von ihm gewählt zu werden, gerechtfertigt wurde?
Während er noch darüber nachsann und an den besten Weg dachte, die nach modernen europäischen Begriffen etwas zu weitgehende Höflichkeit seines finsteren Wirtes abzulehnen, hatten die anderen Bayaderen teils allein, teils zu zweien und dreien, in ähnlichem Tanz sich abgelöst, zum Teil noch wilder und bacchantischer, und hatten die Lobsprüche und Geschenke der Anwesenden entgegengenommen.
Zwei der jüngsten und schönsten wurden in ähnlicher Weise von dem Herrn der Burg den beiden erst am Abend eingetroffenen geheimnisvollen Fremder: angeboten, ohne daß diese eine ähnliche Befangenheit darüber an den Tag legten, wie der mit den indischen Gebräuchen weniger vertraute Deutsche.
Nachdem sich die Bayaderen und zugleich auch die Maharani mit ihren Dienerinnen zurückgezogen hatten, wurde für die Gesellschaft der Männer noch ein kompakteres Mahl auf Silberschüsseln aufgetragen, bestehend aus Reis mit Ghy, Abgeklärte Butter. gebratenem Lammfleisch und Geflügel und dem berauschenden Jagory, entern Getränk aus Palmensaft, während für die Europäer verschiedene Flaschen mit feurigen Weinen aufgestellt wurden.
Es mochte gegen 11 Uhr sein, als der Serdar, der schon seit einiger Zeit eine eigentümliche Unruhe gezeigt, das Zeichen zum Aufbruch und zur Beendigung des Festes gab, indem er sich erhob und von seinen Gästen beurlaubte. Die Diener ergriffen die Fackeln und Laternen und waren bereit, jeden nach der ihm angewiesenen Wohnung zu geleiten, Kassim harrte in gleicher Weise des Arztes.
»Möge mein Bruder sanft ruhen, und Freude auf seinem Lager sein,« sagte der Khan, indem er Walding umarmte, »denn eine gute That ist ein süß duftendes Kissen, sagen die Dichter. Morgen mit dem Sonnenaufgang werde ich bei ihm sein, um ihn zu dem Ritt in die Wüste abzuholen.«
Der Mayadar leuchtete demütig seinem Herrn voran, der kaum mehr an die schöne Bayadere dachte. An der Thür des Kiosk oder Pavillons, der ihm zur Wohnung diente, reichte ihm Kassim die mit wohlriechendem Öl gefüllte Lampe, indem er ihm sagte, daß es ihm verboten sei, die Schwelle des inneren Gemachs zu überschreiten, und daß er seines Winks gewärtig die Nacht auf derselben zubringen werde, und Walding betrat arglos das Zimmer, in dem er den Morgen zugebracht und von den Strapazen des anstrengenden Rittes ausgeruht hatte.
Er setzte die Lampe auf einen von Perlmutt und Schildpatt zierlich ausgelegten Koffer, als ein schweres und heißes Atmen ihn aufmerksam machte.
Erschrocken wandte er sich um.
Auf dem breiten Diwan, der zu seinem Lager dienen sollte, lag, frei jetzt von der herabgeworfenen Seidendecke, Anarkalli, die Bayadere, im weißen, leichten Nachtgewand.
Er trat befangen zurück – die Bitte der Tänzerin, das Geschenk des Serdar war ihm jetzt erst verständlich.
Walding war ein verständiger, ruhiger Mann, fern von aller Prüderie, die durch Sitten und Gebräuche der Völker beleidigt werden könnte. Aber er hätte kein Blut in den Adern haben müssen, wenn das in seinem leichten Gewand doppelt reizende Mädchen nicht seine Sinne in Wallung gebracht hätte. »Wenn Du Deiner eigenen Wahl gefolgt bist, Anarkalli,« sagte er, »so sei mir willkommen. Es versteht sich von selbst, daß nicht das Wort Tukallahs mir eine verächtliche Macht über ein so schönes Geschöpf gegeben haben soll, sondern daß Dein Besuch und das Glück, das Du mir bereiten willst, Dein freier Wille sein muß!«
Er hatte die Tschoga, das männliche Oberkleid, von sich geworfen und sich dem breiten Diwan genähert. Jetzt erst bemerkte er, daß das Mädchen, das auf den Kissen kauerte, zitterte und ihre Augen in seltsamem Feuer leuchteten.
»Lösche das Licht der Lampe,« flüsterte die Tänzerin, »und komm' an meine Seite, Christ, daß mein Mund sich an Dein Ohr legen mag, ich habe Dir Wichtiges zu sagen!«
Der Arzt begriff im Augenblick, daß hier von mehr oder von anderem, als einem Liebesabenteuer die Rede war, er löschte die Lampe und kniete neben dem Diwan nieder.
»Näher! näher! Jedes Wort, das andere Ohren vernehmen, würde Dir und mir den Tod bringen!« Ihre weichen Arme zogen ihn näher herbei, auf den Diwan, und er fühlte die warmen Glieder sich an ihn schmiegen. »Sage mir Liebesworte, Fremdling,« flüsterte die seltsame Sirene, »laut, damit der Lauscher getäuscht wird! Cama Der Gott der Liebe. wird es uns vergeben!«
Unwillkürlich gehorchte der ernste Deutsche dem Einfluß, den das geheimnisvolle Wesen der Bayadere mit jedem Augenblick mehr über ihn gewann, und er sagte ihr laut in der Hindusprache zärtliche Worte.
Trotz der seltsamen Lage und der Ahnung einer großen Gefahr begann sich in der Nähe der schönen Tänzerin sein Blut zu erwärmen und er zog sie sanft an sich. Die Bayadere duldete seine Liebkosungen, ohne sie zu erwidern.
»Du bist der Mann, der heute die Mahana, die Tochter der Rani, vor den heiligen Schlangen beschützt hat?« fragte das Mädchen leise.
»Ich war so glücklich, die Prinzessin vor dem Gewürm zu retten, bis andere Hilfe kam, die wunderlich genug …«
»Still! – Du hast bewiesen, daß Du ein mutiger Mann bist, der für den Fremden sein Leben wagt. Du bist ein Faringi?«
»Nein, aber ich bin ein Europäer und Christ, und jeder Mensch hat Anspruch auf meine Hilfe. Was trägst Du um Deinen Leib gewunden, Mädchen?«
»Seidene Schnüre, die uns dienen müssen! Höre mich an, Fremdling mit dem weisen und guten Antlitz. Ich bin im Begriff, einen heiligen Eid zu brechen, geschworen der mächtigsten Göttin; aber ich muß die Gewißheit haben, daß die Worte, die ich sprechen werde, nur eines Erschaffenen Ohr vernehmen, die Geheimnisse, die ich enthüllen muß, nur eines Menschen Auge erblicken soll, daß nie sein Mund zum Verräter an mir und den Meinen werde, so lange die Sonne Indiens ihn bescheint. Schwöre mir bei dem Gott der Christen, bei den neun Wandlungen der Mutter, die Dich geboren, daß Du niemals verraten willst, was Du durch Auge und Ohr diese Nacht erfahren wirst.«
»Ehe ich einen Eid leisten kann, muß ich vorher den Zweck wissen – muß prüfen …«
Sie warf sich auf ihn und erstickte mit ihren Lippen seine lauter gewordenen Worte.
»Still! – es gilt das Leben eines Deiner Brüder, eines Christen zu retten. Bei dem Gotte, den Ihr verehrt, schwöre mir Schweigen, und Du sollst alles erfahren! – Schwöre, und ich will die Sklavin sein Deines Odems, die Lust Deines Leibes, der Hauch Deines Willens! Schwöre, oder Anarkalli stirbt mit ihm, den sie verraten, und den allein Du retten kannst; denn Wischnu, der Erhalter, hat zu diesem Zweck Dich mir gesandt.«
Ihre Liebkosungen wurden heiß und glühend und umstrickten seine Sinne, zwangen seinen Willen. Unter ihren Küssen flüsterte der sonst so besonnene Mann: »Ich will, ich schwöre!«
Kaum hatte er das Wort gesprochen, so drängte sie ihn von sich. »Weißt Du, Fremdling, wen Du in Deinem Arm hältst, wen Du an Dein Herz drückst?«
»Anarkalli, die Tänzerin! Die schönste Bayadere Hindostans!«
»Thörichter Christ! Die Du umfängst, ist Anarkalli, die Sutha! Das Lager, auf dem Du der Liebe pflegst, kann jeden Augenblick sich in Dein Totenbett verwandeln. Du bist in der heiligen Burg der Thugs!«
Er fuhr entsetzt zurück, denn er hatte genug von der furchtbaren Sekte gehört, um zu wissen, in welcher Gefahr er sich befand. »Aber Tukallah?«
»Er ist einer der unseren, ein Guru, Oberhaupt. der uns gebietet – sein Wort ist Tod oder Leben.«
Im Augenblick stand vor dem Geist des Arztes die Erklärung seiner Gefahr vom Tage vorher, seiner Rettung aus den Händen der Mörder.
»Kassim, mein Diener?«
»Er ist ein Thug, wie ich, einer der geschicktesten Lughas, aber Du bist sicher vor ihm, da er jenen Eid auf die heilige Spitzaxt als Mayadar Dir geschworen, den die weiblichen Glieder des Bundes zu leisten nicht würdig sind. Er soll das Werkzeug sein in Deiner Hand.«
Dem Deutschen waren längst alle Liebesgedanken vergangen bei der furchtbaren Eröffnung. Kalter Schweiß brach aus allen seinen Poren und er überlegte still, wie es ihm gelingen könne, sich aus der Mörderhöhle zu retten.
Die »Granatblüte« schien die Gedanken, die ihn bestürmten, zu begreifen, denn sie suchte zuvörderst ihn über seine eigene Sicherheit zu beruhigen.
»Ich weiß nicht, wer Du bist,« sagte sie, »noch welches Band Dich an den Guru bindet. Aber es ist gewiß, daß er Dich in seinen Schutz genommen und Dein Leben nicht der Kali zum Opfer bringen will. Darum hat er Kassim Dir gegeben. Ich fühle, daß, was ich Dir gesagt, Dir Abscheu gegen mich erregt, doch höre meine Geschichte, und Du wirst Mitleid mit Anarkalli haben, die nur den Lehren ihres Volkes gefolgt ist! Wenn Du dem Schwur einer Abtrünnigen von dem blutigen Glauben der Bhawani glauben willst: Dein Leben ist sicher in meiner Nähe!«
Der Arzt empfand, daß sie die Wahrheit sprach, und um weiter in das unheimliche Geheimnis einzudringen, sagte er dem Mädchen, daß er ihr vertraue und forderte sie auf, ihm ihre Geschichte mitzuteilen.
»Mein Vater,« berichtete sie, indem sie sorgfältig fortfuhr, mit leiser Stimme zu reden, »ist ein Fakir aus der Kaste der Brahminen. Er war ein frommer Mann und bewohnte eine Höhle an den Ufern des Sudletsch. Er hatte keine Ahnung davon, daß sein Weib die Tochter eines Thugs und selbst Mitglied des großen Bundes war, für den sie auch mich schon in meiner Jugend bestimmte, da mein Vater, versunken in seine heiligen Betrachtungen, sich wenig um uns kümmerte. Ich wurde Tänzerin und tanzte in den Tempeln zu Ehren der Götter und bald auch auf den Märkten, und mein Name ward gefeiert von den stolzen Palästen Lahores bis zu den heiligen Städten am Ganges. Als ich vierzehn Jahre zählte, weihte man mich zum erstenmal in die Geheimnisse der Anbeter der blutigen Kali ein, und ich erfuhr, daß der Brahmine nicht mein wahrer Vater sei, sondern Tukallah, der Mahratte. Man lehrte mich alle Künste der Suthas, mit denen sie zu Ehren der blutigen Göttin ihre Opfer umgarnen und den Würgern in die Hände liefern müssen. Zuerst empörte sich mein Innerstes dagegen, aber die Grundsätze, die ich von der Mutter eingesogen, und die Gewohnheit verbannten bald das Mitleid und machten mich gleichgültig gegen den Mord.
»Heute, diese Nacht, wird das Fest der Devy Kali, Bhawani, Durga – alles Namen der Göttin. in den unterirdischen Gewölben dieser Burg gefeiert, heiliger noch wie das im Tempel der Göttin in Calcutta, und die Glieder des Bundes sind aus allen Himmelsgegenden dazu in die Wüste gekommen, den furchtbaren Dienst im geheimen zu verrichten. Viele von ihnen haben ihre Opfer mitgebracht, denn wisse, o Fremdling, das Blut in der goldenen Schale, die vor dem Bilde der Göttin steht, darf nimmer vertrocknen und muß das Jahr lang rot und feucht erhalten werden, oder schweres Unheil fällt auf die Thugs. Die Männer, mit denen ich von Buhawalpur kam, begegneten einer Gesellschaft von reisenden Faringis. Ich erhielt den Befehl, mich ihnen anzuschließen und einen der Sahibs, den jüngsten von ihnen, zu verlocken, daß sie ihm den Rumal Das Seidentuch. überwerfen und ihn gebunden heimlich zur Burg der Göttin mit sich schleppen möchten. Der Mann, den sie mir bezeichneten, war jung und schön wie Krischna Der beliebteste Heros der indischen Götterlehre. selber. Ich tanzte vor ihm und seinen Freunden, während die Thugs sich verborgen hielten vor ihren Augen. Meine Blicke sandten Feuer in seine Seele, und er drang in mich, seine Geliebte zu werden. Ich versprach es ihm, wenn er in der Nacht sein Zelt verlassen und zu mir kommen wolle. Der Faringi ging in die böse Falle, die ich ihm gestellt. In der zweiten Nacht, nachdem ich seine Gesellschaft getroffen hatte und also kein Argwohn auf mich und meine Begleiter mehr fallen konnte, verließ er das Lager seiner Gefährten und suchte mich auf an den Trümmern des Grabmals, das ich ihm als Ort unserer Zusammenkunft bezeichnet hatte. O, wie innig hatte ich gehofft, daß er nicht kommen, daß die blutige Bhawani ein anderes Opfer wählen werde! Aber er liebte mich und kam, er lag an meiner Brust und schwur, daß er sich nicht mehr von mir trennen werde, als die wilden Buthotes herbeistürzten, ihn aus meinen Armen rissen, seine Glieder mit Stricken banden und seinen Mund verstopften. Nur seine Augen vermochten noch zu sprechen und sie lagen mit Abscheu und Vorwurf auf der Verräterin!
»Da flüchtete ich wehklagend in die dichteste Wildnis, mich vor mir selber zu verbergen; ich verfluchte mich und den Dienst der Göttin, die kein Erbarmen kennt mit den Gefühlen der Menschen, denn jetzt erst erkannte ich, daß Cama wahre Liebe zu dem Verratenen in mein Herz gesäet. Aber ich wußte, daß Bitten und Flehen ein vergebliches Ding sei und abprallen würde an der Brust derer, die morden zur Ehre der Göttin. Entschlossen, mit ihm zu sterben, den ich verraten, begleitete ich die Bande der Thugs, meine Hand war es, die dem Unglücklichen Labung und Speise auf dem Wege hierher reichte, und es durchschnitt mir das Herz, wenn ich sehen mußte, wie er sich von mir wandte; denn es war mir verboten, zu ihm zu reden, und die Aufmerksamkeit seiner Wächter machte es mir unmöglich, ihm ein Wort des Trostes zuzuflüstern. Vor zwei Tagen trafen wir in Malangher, der Burg Tukallahs, ein, und seitdem schmachtet er in den furchtbaren Höhlen des bösen Zauberers!«
»Aber wie soll ich, der Fremde, Machtlose, das unglückliche Opfer eines teuflischen Wahnes retten?«
»Höre mich an! Wischnu, der Erhalter, hat Dich uns gesandt, und ich, die mit dem Faringi sterben wollte, fühlte, daß Deine Ankunft ihn zu retten vermöchte. Die Feier der blutigen Göttin dauert drei Nächte lang. Ich weiß, daß der Faringi erst in der zweiten zu sterben bestimmt ist; wenn sie kommt, muß er fern sein von der blutigen Stätte.«
»Aber wie wird es möglich sein, in jene Höhle des Verbrechens zu dringen und den Gefangenen zu befreien?«
»Hast Du Mut genug, für die Erreichung dieses Zweckes den Schrei des Todes zu hören, ohne daß Dein Herz erkaltet, die Opfer sterben zu sehen, ohne daß Du mit einem Laute Dich und mich verraten wirst?«
»Aber es wäre meine Pflicht …«
»Thor! Nicht die ganze Macht der Faringi in diesem Lande vermöchte ein einziges der Opfer seinem Verderben zu entreißen, die in den Gewölben dieser Burg der blutigen Göttin bestimmt sind; ich schwöre es Dir bei der Bhawani selbst, der ich bisher gedient!«
Walding überlegte, daß in der That das Einschreiten des Einzelnen hier so wenig helfen und retten konnte, wie bei der Sitte der Witwenverbrennungen, und daß nur durch die Unterdrückung seines Gefühls es ihm möglich werden dürfte, das eine oder andere Leben mit List dem drohenden Tode zu entziehen. Er glaubte daher seine Einwilligung geben und sich auf die Stärke seiner Nerven verlassen zu müssen.
Die Bayadere hatte sich leise von seiner Seite gestohlen und war geräuschlos nach der Thür des Gemaches geglitten, wo sie lauschte.
Dann öffnete sie diese Thür! es war, wie sie vermutet; Kassim, der Thug, hatte bereits das Lager vor der Thür seines Herrn verlassen, ihn in den Armen der Tänzerin bis zum nächsten Morgen in Sicherheit wähnend. Sie huschte blitzschnell hinaus, kehrte aber nach wenigen Augenblicken zurück, ein Bündel tragend, das sie draußen verborgen gehabt.
»Kassim,« berichtete sie hastig, »ist bereits hinabgestiegen zu den Tiefen der Burg und die Zeit des Handelns ist da. Jetzt, Fremder, merke auf meine Worte, denn das geringste Vergessen würde uns beiden das Leben kosten und eines verderben, das kostbarer ist, als das unsere. Hast Du je von der Ramasyana gehört?«
»Nein.«
»Es ist die geheime Sprache der Thugs, die alle ihre Glieder und Sekten, welchem Land und welchem Glauben sie auch angehören, untereinander verbindet. Denn wisse, Fremdling, nicht die Anbeter Schiwas allein sind die Diener der Göttin, sondern auch Mohammedaner und Christen. Letzteres ein in Indien unter den Thugs durch ihre eigenen Priester verbreiteter Irrtum, weil häufig Europäer dem Fest der Devy in der Pagode bei Calcutta beigewohnt hatten. Darauf baue ich unsern Plan. Dies« – sie machte die eigentümliche Bewegung der Hand, durch welche Tukallah sich den Mördern zu erkennen gegeben – »ist das Zeichen. Nur wenige der Thugs, die heute hier versammelt sind, kennen einander, denn sie kommen von Süd und Nord, vom Aufgang und Untergang, und Kassim, Deinem Mayadar, der zum erstenmal die Burg Malangher betritt, ist es unbekannt, daß die Sklavin, die er Dein Lager teilen wähnt, eine Eingeweihte ist. Dieses Gewand mit der Verhüllung des Hauptes wird uns beide unkenntlich machen, wie die Mitglieder des Bundes einander unbekannt bleiben bei dem Opfer. Obschon ich als Weib ausgeschlossen bin von dem Fest der Göttin, sind mir die Geheimnisse dieser Burg wohl bekannt, so daß ich selbst in der dichtesten Finsternis durch ihre Gänge und Schluchten Dich leiten könnte. Jetzt entkleide Dich rasch, birg Deine Waffen in Deinen Gürtel und hülle Dich in dies Gewand, damit ich Deinen Leib dem der braunen Männer ähnlich mache!«
Bei dem Licht des Mondes, der durch die geöffnete Jalousie hell in das Gemach strahlte, ging sie rasch dem Deutschen mit ihrem Beispiel voran, indem sie ihre Frauengewänder von sich streifte und sich in einen weiten, dunklen Überwurf hüllte, der am Hals eine Art von Wachskapuze hatte, die über den Kopf gezogen werden konnte und Öffnungen für Augen und Mund enthielt. Dann beugte sie sich nieder und begann ihm die Beine bis zum Knie aufwärts mit einem Pflanzensaft zu reiben, der die europäische Weiße alsbald in das Mahagonibraun der Eingeborenen verwandelte, da sie mit nackten Füßen ihre Wanderung antreten mußten.
Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren, und beide die Kapuze über das Gesicht gezogen hatten, hieß die Tänzerin den Gefährten folgen und verließ den Pavillon, dessen Thür sie wieder anlehnte.
Sie standen auf der Gartenterrasse, die jetzt leer und öde war, und nur das Rauschen der Springbrunnen unterbrach die Stille.
Auf den weißen Marmorstufen an beiden Seiten der Pagode lehnten die schwarzen Wächter der Zenana.
Anarkalli flüsterte dem Deutschen zu, sich wie sie selbst einige Schritte im Schatten zu halten, damit die Mohren nicht erkennen möchten, aus welchem der Kiosks sie gekommen, dann schritten sie dreist hinaus in das Mondlicht, und quer durch den Garten, nach dem Eingang der Pagode.
Die ehernen, mit seltsamen und grotesken Figuren gezierten Flügel der großen Thür standen geöffnet; sie traten in das Innere, das von einer einzigen, hoch von der Decke der Wölbung hängenden Lampe mit einem bläulichen Schein erleuchtet war. Die Wände bestanden aus Mosaiken von dunkelfarbigem, weißgeäderten Marmor, von dem sich gespenstisch steinerne und hölzerne, mit den schreiendsten Farben und Vergoldungen bedeckte Figuren und Fratzenbilder abhoben. Riesige getrocknete oder ausgestopfte Schlangenkörper und Gerippe von Tieren und Menschen hingen von Decke und Wänden und rasselten von einem Luftzug, der auf eine Walding noch verborgene Weise durch den Raum zog, bewegt, während kleine Glocken und in gleicher Weise aufgehängte Metallplatten dazwischen klangen.
In der Mitte des Raumes stand einer der kolossalen Sarkophage, die man häufig in den gigantischen Ruinen Indiens findet, und die der Asche eines mächtigen Herrschers, eines heiligen Mannes oder berühmten Kriegers zur Ruhestätte dienen. Der aus weißem Marmor gefertigte Sarg ruhte auf vier riesigen, plumpgearbeiteten Krokodilleibern aus grün-schwarzem Stein, deren Augen aus großen Smaragden bestanden, die unheimlich im Schein der Lampe funkelten, während die weitgeöffneten Rachen jeden Nahenden zu bedrohen schienen.
Zu Häupten des Sarkophags stand eine kleine metallene Schale, aus der eine weiße Flamme emporzüngelte. Dieser näherte sich die Bayadere und zündete daran den Docht einer Lampe an, die sie aus ihrem Gewande hervorholte. Dann schritt sie auf die dem Eingang der Pagode gegenüberliegende Wand zu.
Ein plötzlicher Schrecken hemmte den Fuß des ihr folgenden Arztes, als er näherkam. Aus dem dunklen, unheimlichen Dämmerschein schienen sich plötzlich zwei riesige Elefantengestalten mit hochgeschwungenem Rüssel vor ihm aufzurichten, während das langgekrümmte Elfenbein der Zähne drohend hervorleuchtete.
Es bedurfte einiger Augenblicke, ehe der Arzt begriff, daß die beiden riesigen Tiere nur Steingestalten waren, die in halbem Körper aus dem Bau wie zum Schutz der höhlenartigen Tiefe, die zwischen ihnen gähnte, hervortraten.
Auf diese Höhle, aus der der scharfe Luftzug hervordrang, schritt die »Granatblüte« zu und begann sofort eine Reihe von Stufen hinabzusteigen, die in die unergründliche Tiefe führten.
Anfangs schräg, dann immer steiler, stiegen sie weit über hundert Stufen in die Tiefe, wonach der Arzt berechnen konnte, daß sie längst über die Grundfläche der Burg hinuntergekommen sein und sich im Innern des mächtigen Felsenvorsprunges befinden mußten, auf dem sie erbaut war.
Sie gelangten jetzt, so weit der schwache Lampenschein es erkennen ließ, in ein Rondell, aus dem wieder verschiedene Gänge nach allen Seiten hin liefen, in stärkerer oder geringerer Senkung in die Tiefe führend, und Walding vermochte jetzt bereits zu erkennen, daß dieses großartige, unterirdische Labyrinth nicht allein der Arbeit der Menschen, sondern auch den Naturkräften selbst seine Entstehung verdankte.
In den Tiefen der Gänge und Wölbungen schwanden zuweilen schwache Lichtstreifen vorüber, oder glühten einzelne Lampen, wie die, welche seine Begleiterin trug, gleich Funken sich nähernd oder entfernend. Hastig und ohne in der Wahl der Gänge zu zaudern, schritt die Bayadere vorwärts, und sie stiegen aufs neue abwärts in die Tiefen der Erde.
Aber nicht mehr allein waren sie jetzt in der unterirdischen Einöde. Je tiefer sie kamen, desto höher und weiter schienen sich die Gänge zu dehnen, so daß der schwache Schein der Lampe nur selten noch die Decke der Gewölbe erkennen ließ; dunkle Gestalten, in Kapuzen gehüllt, wie sie selber, am Gürtel oder um den Kopf gewunden den Rumal oder die Phansi, die Schlinge, und oft mit schweren Bündeln beladen. Sie machten stumm einander das Bundeszeichen und schritten vorwärts. Zweimal erbebte der Deutsche in dieser furchtbaren Gesellschaft: das erste Mal, als zwei der Thugs an ihnen aus einem Seitengang vorüberschritten, auf einer Art von Hängematte einen langen, ballenartigen Packen tragend, der im Licht der Lampen sich zu bewegen, von dem ein dumpfer Seufzer an das Ohr des Arztes zu tönen schien; das zweite Mal, als ein hochgewachsener, fremdartig gekleideter Hindu an ihnen vorbeikam, dem auf den Fersen ein gezähmter, ziemlich großer Tiger nachschlich. Die Bestie, den Kopf tief auf den Boden gebückt, blinzelte mit den gelbgrünen Augen auf die Vorübergehenden und knurrte so wohlgefällig wie die Katze, wenn sie sich putzt oder einen fetten Schmaus wittert.
»Fürchte Dich nicht!« flüsterte die Bayadere, »es ist ein Phansigar aus dem Cernatic; sie nennen sich die Tiger und halten diese Tiere heilig. Die Göttin Kali gebietet über sie.«
Immer weiter kamen sie, und immer größer wurde die Zahl derjenigen, die dem gleichen Ziele, wie sie, zuschritten. Walding glaubte ein dumpfes Geräusch, ein Murmeln und Grollen in weiter Ferne zu hören, wie das Brausen des Meeres an langgestreckter Küste, und er sah in einiger Entfernung einen matten Lichtschimmer, gleich der rötenden Glut einer mächtigen Feuersbrunst zu der Decke des Gewölbes empordämmern.
»Mut, Fremdling und Vorsicht!« flüsterte noch einmal die Stimme des Mädchens dicht an seinem Ohr, – »wir nahen dem Kreis der Gurus und Chams bei dem Bild der Göttin, und müssen vorsichtig die gegenüberliegende Seite des Gewölbes zu erreichen suchen. Sprich nicht, als den Gruß der Thugs, und thue alles, was Du mich thun siehst.«
Sie waren kaum hundert Schritt gegangen, als sich vor ihnen ein ebenso eigentümliches, wie schreckliches Schauspiel eröffnete.
Sie standen am Rande eines etwa fünfzig Fuß tiefen Abgrundes, der sich zu einem riesigen Kesselgewölbe bildete, dessen Enden in der Dunkelheit verschwanden, obschon das Licht von wenigstens zweihundert Fackeln und ein großes, in der Mitte dieses riesigen Felsensaales unterhaltenes Feuer auf einen ziemlich weiten Umkreis volle Tagshelle verbreitete.
Wohl tausend Menschen, alle in jene entsetzliche Vermummung gekleidet, die Füße entblößt, bewegten sich in diesem Raume.
Ihnen gerade gegenüber, nahe dem Feuer, stand auf einer Erderhöhung auf einer breiten, etwa drei Fuß hohen Stufe von schwarzem Marmor ein gleicher Würfel und auf diesem die mindestens zehn Fuß große Gestalt der Bhawani von massivem Silber. Sie hatte die Gestalt einer Furie, reitend auf einem Tiger, in wilder, drohender Stellung. Das Antlitz war scheußlich anzuschauen, halb Wolf, halb Mensch, in den Augenhöhlen funkelten zwei kolossale Rubinen, deren Feuer seine Blitze bis zu der entfernten Stelle warf, an der die Eingedrungenen lauschten. In den offenen Mund oder vielmehr Rachen dieses entsetzlichen Kopfes waren weiße und spitze Wolfszähne eingesetzt, ihre Füße liefen in Adlerkrallen aus, und der Leib war mit Blut beschmiert und von zwei großen ausgestopften Schlangen umwunden. Der Schmuck, den dieses scheußliche Bild um Hals, Arme und Beine trug, waren Kränze von menschlichen Köpfen und Schädeln. Schlangen und Eidechsen bildeten ihr Haar und während der linke Krallenarm sich auf das Haupt des Tigers stützte, schwang der rechte die gewaltige Kassy, die eiserne Spitzaxt. Ein Eid bei diesem heiligsten Symbol der schrecklichen Verbrüderung bindet den Thug für alle Ewigkeit fester, als der Schwur auf den Koran oder das heilige Gangeswasser.
Der Fuß der Bildsäule war mit Blumen bestreut, dazwischen lag ein ehernes Bild der Schlange und der Eidechse, eine Schlinge und das Seidentuch, ein Messer und die heilige Spitzaxt, das Abbild des Werkzeuges in den Händen des Götzenbildes, das bei den Wanderzügen der Thugs von dem reinlichsten, mäßigsten und vorsichtigsten Mann der Bande getragen wird, denn sie gilt als ein Orakel für die Entschließungen der Mörder und zeigt die Richtung an, nach welcher die Reise zu unternehmen ist.
Um das Bildnis der Göttin hatte, an dem Rande der untersten Stufe, ein Kreis vermummter Männer Platz genommen, die jedoch statt der schwarzen Verhüllung eine solche von weißer Wolle trugen, der die ausgeschnittenen Augen- und Mundöffnungen ein noch gespenstischeres Aussehen verliehen. Es waren die Chams und Gurus der Sekten, in ihrer Mitte der Ober-Guru, kenntlich an dem weißen Turban mit blitzenden Goldbändern, den er trug; nicht weit von ihm bemerkte Walding den Phansigar mit dem Tiger.
Ein Zwischenraum, in dem zierlich geflochtene Körbe mit Früchten, Backwerk und geistigen Getränken standen, trennte den Kreis der Häupter von der Masse der rings umher auf den Fersen hockenden oder an dem Feuer beschäftigten gewöhnlichen Mitglieder des Bundes. Von Zeit zu Zeit wurden in dies Feuer wohlriechende Essenzen gegossen, deren lieblicher und berauschender Duft das ganze Gewölbe erfüllte.
Von dem Ausgang des Gewölbes, durch das der Deutsche und die Bayadere gekommen waren, führten terrassenartige Stufen hinunter zu dem Mittelraum. Es war ihnen gelungen unfern der Masse einen etwas erhöhten Standpunkt hinter einem Felsenvorsprung zu gewinnen, von dem aus sie, ohne aufzufallen, den Mittelgrund und die sich auf demselben ereignenden Scenen übersehen konnten, während sie zugleich, ohne Furcht, gehört zu werden, mit leiser Stimme sich zu unterhalten vermochten, da das dumpfe Gemurmel dieser Masse von Menschen jenes rollende Getöse verursachte, das der Arzt auf dem Wege gehört.
»Siehst Du die goldene Schale, die vor dem Bilde der Göttin steht?« fragte das Mädchen. »Es ist das ewige Opfer des Rakkat-Byj!«
»Was willst Du damit sagen?«
»Rakkat-Byj Der Blutsamen. war der mächtigste Dämon, so groß, daß der tiefste Ocean seine Brust nicht erreichte, der Geist, der die Welt beunruhigte und alle Geborenen verschlang, bis die Bhawani ihn tötete. Aber aus jedem seiner Blutstropfen entstand ein neuer Dämon. Da schuf die Göttin zwei Männer aus dem Schweiß ihrer Arme, das waren die Urväter aller Thugs, und gab jedem ein Tuch, die Rumals, damit sie die Dämonen erdrosselten, ohne daß aufs neue Blut vergossen werde. Die indische Sage von der Entstehung der Thugs, die bis ins fernste Altertum hinaufreicht. Schon Herodot erwähnt im Heere des Xerxes einer Rotte dieser Mörder. Seitdem ist das Blut der süßeste Wohlgeruch, den die Göttin empfängt, und darf nimmer trocken werden zu ihren Füßen. Im Tempel der Feueräugigen zu Calcutta und Bindabaschni werden jeden Monat tausend Ziegen und andere Tiere geopfert, damit das heilige Blut fließend bleibe, aber hier …« sie schauderte und schwieg.
»Rede weiter – jene Schale …?«
»Sie wird nie leer und trocken von dem Blut aus den Adern des Menschen.«
»Entsetzlich! Aber wie ist es möglich, daß diese Unzahl von Morden alljährlich ungestraft verübt werden kann, bloß um einem Aberglauben zu frönen?«
»Blick hin und Du wirst schauen, wie groß die Zahl der Opfer sein muß, denen man solche Reichtümer abnehmen konnte.«
Auf ein Zeichen des Ober-Guru stand einer der Chams nach dem andern auf, winkte hinein in die dunkle Menge, und jedesmal trat ein oder mehrere Männer mit Packen beladen heran, schritten in den heiligen Kreis und leerten ihre Säcke oder Körbe auf der untersten Stufe des Bildes.
Im Schein der Fackeln und Flammen blitzte es seltsam und herrlich von dort herüber in die Augen des Lauschers. Berge goldener Mohurs Indische Goldstücke. und glänzender Silbermünzen, kostbare Geschmeide, Perlen und Diamanten, Rubinen, Smaragden und Topase mit ihrem Goldfeuer, die kostbaren Amethyste Sibiriens neben den Saphiren Ceylons und den Türkisen der persischen Minen, das geheimnisvolle Feuer der Opale und Almandinen zwischen Ringen, Ketten, Arm- und Halsbändern, dazwischen prächtige Cashmirshawls und zahllose andere Kostbarkeiten.
»Da sind die Jumaldehythugs aus Audh und von östlich des Ganges,« berichtete das Mädchen. »Sie haben die reichen Länder des Duab zu ihrem Gebiet und bringen den dritten Teil ihrer geraubten Schätze. Jene dort, die jetzt ihre Körbe leeren, sind die Muthaneas, Mohammedaner aus dem Norden, die ihre Reisen als Ochsenführer machen und als Kaufleute ihr Schlachtopfer verlocken. Jetzt folgt die große Schar der Susyas, Männer der niedersten Kasten aus Jeypure, Malwa und der Radjputana, die als Handelsleute, Geldträger und Sepoys Eingeborne, auf Sold dienende Soldaten der Ostindischen Kompanie. das Land durchstreifen. – Dort kommt der Guru der mächtigen Phansigars von Myhore, dem Carnatic und Chittar« – sie wies auf den Mann mit dem Tiger, der sich eben erhoben und seine Begleiter heranwinkte. »Es sind die Tiger der Wüste und kein Tiger greift den Phansigar an. Sie haben ihre besondere Sprache und ihre Zeichen, aber ich kenne sie und jenen Mann, der der blutigste ist von allen. Leicht ist es ihnen, jene Schätze zu bringen, denn sie lauern auf den Wegen den Diamanten- und Perlenträgern aus dem Westen auf und morden um einer Rupie willen. Jetzt nahen die Flußthugs von Burdwan an den Ufern des Hughly, die den Ganges auf- und niederschiffen, die Pilger nach den heiligen Orten einladen, mit ihnen zu fahren und sie auf dem Fluß erdrosseln.«
Die Niederlegung der Schätze war jetzt beendet, der Ober-Guru bestieg die Stufe des Altars und berührte mit Hand und Stirn dreimal die Füße der Göttin. Eine tiefe lautlose Stille verbreitete sich unter der unheimlichen Menge, und der Ober-Guru erhob seine Stimme, die dem Ohr des Arztes nicht unbekannt zu sein schien, und rief: »O Kaley! Kankaly! Bhudkaly! Deine Knechte sind bereit und haben zu Deinen Füßen niedergelegt das Dritteil Deines Segens. Wenn es Dir gut deucht, mächtige Göttin, daß das Opfer beginne, damit das vor Dir vergossene Blut erneuert werde, so gieb uns den Thibau!« Zeichen, Omen.
Auf seinen Wink wurde ein schwarzes Schaf herbeigeführt und auf die Höhe des Piedestals gelegt, wo ihm der Ober-Guru den Hals abschnitt, während seine Gehilfen den rechten Vorderfuß in das Maul des Tieres steckten.
Der Körper des Opfers zuckte hin und her und warf sich zuletzt auf die rechte Seite, worauf der Ober-Guru der Versammlung verkündete, daß die Göttin ihnen gnädig sei und die Feier beginnen könne.
Ein Geheul brach bei diesen Worten aus, so wütend, gellend, und entsetzlich, daß Walding glaubte, eine Legion von Teufeln sei entfesselt.
Ein wildes Delirium, ein Wahnsinn schien zugleich die düstere Menge erfaßt zu haben, wie Besessene sprangen und tobten alle die menschlichen Dämonen umher, einzeln, in Kreisen und Reihen drehten sie sich wirbelnd. Hier rissen sich einige die Verhüllung vom Haupt, durchbohrten ihre Wangen mit Messerstichen und schlitzten sich Lippen und Zunge, oder stießen die Klingen in das Fleisch ihrer Arme und Schenkel, daß das Blut weit umherspritzte; andere warfen die Gewänder ab, tanzten nackt mit wilden phantastischen Gebärden um das Feuer und stürzten sich durch dieses hin, daß die Flammen an ihrem Haar und Bart emporloderten, wenn sie auf der entgegengesetzten Seite heraustaumelten. Entsetzlich anzuschauen war ein grimmig aussehender alter Brahmine, dem seine Freunde einen eisernen Haken in die Seite drückten, worauf sie ihn an einer an der hohen Decke des Gewölbes befestigten Kette in die Höhe zogen und in der Entfernung von etwa sieben Metern über dem Feuer hin und her schwenkten.
Walding sah betäubt diesem entsetzlichen Schauspiel zu, bis plötzlich der laute, die ganze Wölbung wie Posaunenstoß durchzitternde Ton eines Tamtam dem Toben und Rasen ein Ende machte. Ein zweiter Schlag und eine so lautlose Stille trat ein, daß man das Knistern des Feuers hören konnte.
Vor dem Altar der Göttin standen der Ober-Guru und drei der Priester des schrecklichen Kultus, die anderen waren während des Tobens und Rasens verschwunden.
Die Hand der Bayadere legte sich schwer auf den Arm des Arztes. Er fühlte das Zittern ihrer Hand.
»Was giebt es?«
»Fasse Deine Kraft zusammen und verbanne das Gefühl aus Deinem Herzen; der Augenblick der Prüfung ist erschienen.«
Ein eintöniger Gesang schien aus den Tiefen der Wölbung wie aus dem Grabe emporzusteigen und schwoll mächtiger und mächtiger an, wie die, von denen er ausging, aus der Finsternis dem Lichtkreis näher und näher kamen.
Die Menge der Thugs um das Bild der Göttin Öffnete sich, dem Zuge Platz zu machen.
Voraus schritten sechs in weiße Gewänder gehüllte Chams, von denen jener Gesang ertönte. Dazu trugen sie in den Händen metallene Becken, auf die sie von Zeit zu Zeit im Takt zugleich schlugen, so daß der dröhnende Klang eigentümlich durch ihren Gesang schnitt.
Hinter ihnen kamen dunkel verhüllte Gestalten, die große Bahren trugen, auf denen lange, mit Tüchern bedeckte unerkennbare Gegenstände ruhten.
Es waren ihrer fünf solche Bahren – auf jeder zwei verhüllte Packen; langsam, unter dem Gesang der Vortretenden, schritten die Träger mit den Bahren in die Mitte des Kreises und setzten sie dann rings um den Fuß des entsetzlichen Götzenbildes nieder.
Hinter den Bahren kam in groteskem buntem Aufputz, mit goldenen und silbernen Flittern und den schreiendsten Farben geschmückt, mit getrockneten Schlangenhäuten, Eidechsen und Gebeinen behangen, tanzend und springend eine koboldartige Figur von gräßlichem Ansehen daher.
Zwei große Brillenschlangen waren um Leib und Arme gewunden und streckten züngelnd die Köpfe an ihrem Halse in die Höhe.
Walding erkannte die Erscheinung im Augenblick wieder; es war Rostagana, der Zwerg, dessen Musik am Mittag die schöne Hindu-Prinzessin und ihn selbst von dem tödlichen Biß der Cobra gerettet hatte.
Die Thugs warfen sich mit dem Antlitz zu Boden, als der Zauberzwerg mit seinen giftgeschwollenen Reptilien an ihnen vorübertanzte.
Hinter ihm her kamen wiederum, singend und die Becken schlagend, sechs Chams und schlossen den Zug, der sich um das Bild der Bhawani auf der erhöhten Stufe gruppierte, so daß alles, was vorging, den Augen der ganzen Versammlung sichtbar war.
Der Zwerg war hinter dem Fuß der Bildsäule verschwunden.
Ein gewaltiger dröhnender Schlag auf das Tamtam, und ringsum herrschte wiederum feierliche Stille.
Ein weiterer Schlag, und wie von unsichtbaren Händen hinweggerissen, flogen die Decken zur Seite, welche die fünf Bahren verhüllten.
Auf jeder derselben lagen zwei menschliche Körper, lebend; ihre Bewegungen zeigten dies, wenn auch ihre Füße und Hände durch unzerreißbare Schnüre von Kokusfäden fest zusammengefesselt waren und die Lippe stumm blieb, denn ein teuflisches Werkzeug, ähnlich jenen unter der Form der Stahlbirnen bekannten Knebel der Marterkammer des Mittelalters, füllte und schloß ihren Mund.
Kein Brahmine, kein Armer, keine Bayadere und kein Barde dürfen die ersten Opfer sein, die der Thug tötet – die Menschen, die hier eines furchtbaren Schicksals harrten, waren zwei reiche Kaufleute aus Bombay, ein Juwelenschleifer, ein Landmann, zwei Sepoys, ein Schreiber aus den Bureaux der Kompagnieverwaltung, ein Parsi, ein europäischer Seemann und eine prächtig geschmückte Frau, die Begum oder Witwe eines indischen Fürsten.
Einer der Chams ergriff die goldene Schale, von der die Tänzerin dem Arzt erzählte, daß sie das ewig feuchte Menschenblut enthalte, und folgte damit dem Ober-Guru, der von Bahre zu Bahre schritt, an jeder den Finger in die Schale tauchte, und mit einem blutigen Streifen die Stirn jedes einzelnen Opfers bezeichnete.
Dann trat der Ober-Guru zurück zu dem Altar – ein anderer Cham reichte ihm ein Messer von oben breiter und unten schmaler Form, und zwei der Priester hoben auf seinen Wink den Körper des Parsi auf.
Ein Augenblick, und der Unglückliche war aller seiner Kleider beraubt und der nackte Körper wurde auf den schwarzen Steinwürfel gehoben, der das Piedestal des scheußlichen Götzenbildes ausmachte, und zu dessen Füßen ausgestreckt. Einer der Chams nahm den Knebel aus seinem Mund.
Der Gefangene war ein bejahrter Mann mit schönem Bart und sorgfältig geschornem Kopf, aus der über ganz Indien, Arabien, das mittlere Asien und die asiatischen Inseln verbreiteten Sekte der Parsis oder Sonnen- und Feueranbeter, der thätigsten und verständigsten Orientalen, in deren Händen sich der größte Teil des Handels und Reichtums befindet.
Der alte Kaufmann hatte das Schicksal, das ihm bevorstand, längst erkannt, und den Thugs, die ihn gefangen genommen, neben den Schätzen, die sie ihm bereits geraubt, eine kolossale Summe für seine Freilassung geboten, aber seine Vorschlag war von den blutigen Fanatikern verächtlich zurückgewiesen worden. Jetzt, dem Tode so nahe, schaute er mit der Entschlossenheit und Gleichgültigkeit, welche diese Leute und die Hindus im allgemeinen gegen den Tod erfüllt, diesem trotzig ins Angesicht. Kein Schrei der Furcht, keine Bitte um Gnade, ja nicht einmal ein Zucken der so natürlichen Angst und Qual entstellte sein ernstes, schönes Antlitz, als der Ober-Guru mit dem Messer ihm nahte, nur Haß und Drohung sprühten aus dem kühnen Auge des alten Mannes.
Im Schein der Flammen blitzte die dreieckige Klinge, dann senkte sie sich nieder und tauchte die Spitze mit anatomischer Genauigkeit in die Kehlader des Opfers.
Ein Strom dunklen Blutes spritzte empor. Zwei der kräftigsten Chams warfen sich auf den Körper, Beine und Kopf fest zu halten, während der dritte in der goldenen Schale das Blut auffing, das den Adern entströmte.
Den unwillkürlichen Schrei, den der Arzt bei dem kaltblütigen Morde ausstieß, übertönte der Gesang der Priester.
Entsetzlich anzuschauen war es, wie der kräftigste der bei dem Morde thätigen Chams, als das Blut langsamer und weniger zu fließen begann, auf den Körper des Parsi sprang und diesen gleichsam zu kneten begann, um jeden Tropfen des kostbaren Blutes für den scheußlichen Dienst der Göttin auszupressen.
Schwächer und schwächer wurden die Zuckungen des Opfers, bis die Glieder im letzten Kampf erstarrten und sich streckten.
Dann erhob der Ober-Guru seine Hände zum Bilde der Bhawani und bespritzte sie siebenmal mit dem frischen Blut.
Mit einer Schnelligkeit, die es kaum bemerken ließ, war der Leichnam des Parsi von bereit stehenden Priestern aufgehoben und fortgebracht worden zu den Gräbern, die vorher zur Aufnahme von je zwei Körpern, die mit den Füßen stets gegeneinander gelegt werden, vorbereitet waren.
Wieder tauchte der Ober-Guru seine Finger in das Blut, bezeichnete erst seine eigene Stirn mit einem Tropfen desselben und dann die der Chams, welche bei dem Morde thätig gewesen waren, worauf andere deren Stelle einnahmen und die ersten mit der Blutschüssel zu der sich herandrängenden Menge traten, um jeden einzelnen auf gleich abscheuliche Weise zu salben.
Unterdessen war das zweite Opfer herbeigebracht worden, es war die Begum, eine noch junge, schöne Frau von den anmutigsten Formen. Schonungslos wurde ihr die reiche Kleidung vom Leibe gerissen, und der sich in Furcht und Entsetzen windende herrliche Leib auf den schrecklichen Stein gehoben. Als der Ober-Guru ihr den Knebel aus den Zähnen zog, gelang es der Unglücklichen, die wahrscheinlich zu lose Fessel ihrer Fußgelenke abzustreifen. Sie stürzte sich herunter, versuchte den Kreis zu durchbrechen und sich zu flüchten, ward aber im Augenblick wieder ergriffen und zu Boden geworfen. Ihr Flehen, ihr Jammern, ihr Geschrei waren herzzerreißend und übergellten den bei dieser schrecklichen Scene lauter anschwellenden Gesang der Priester, der ihre Stimme zu ersticken suchte.
Im Nu waren die Füße der jungen Frau wieder gefesselt und sie hinaufgehoben auf den noch bluttriefenden Stein.
Hinter dem Vorsprung der Felsen rang der Arzt gegen seine Begleiterin, die seine Hand festhielt, welche nach dem verborgenen Pistol faßte, um den bedrohenden Mörder niederzuschießen.
»Wahnsinniger«! vergißt Du so Deinen Eid? Es ist eine Verächtliche, Ausgestoßene, die Dein Mitleid nimmer verdient, denn sie hat sich der Sotti Die Witwenverbrennung. entzogen, die ihre Seele in den Schoß Gamas befördert hätte!«
Ein gellender entsetzlicher Schrei belehrte besser als ihre Bitten und Abmahnungen den Widerstrebenden, daß jede menschliche Hilfe zu spät käme. Ein Blick in das dunkle Gewühl zeigte ihm die lange blutige Furche, die das Opfermesser des Guru über den Leib der unglücklichen Frau gezogen hatte, und daß ihr Körper bereits in den letzten Todeswindungen sich unter den Händen der entmenschten Priester bäumte.
Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper, seine Glieder zitterten, sein Herz schlug hörbar, als er sich willenlos von der Tänzerin fortziehen ließ.
»Es ist Zeit, daß wir selbst in das Gewühl uns mengen, um die andere Seite der Höhle zu erreichen,« flüsterte das Mädchen. »Fasse mein Gewand, schließe die Augen und folge mir!«
Ein Teil der Chams war fortwährend beschäftigt, den Thugs die entsetzliche Salbung zu erteilen und bewegte sich durch die andrängende Menge, während das Geschäft des Mordens und Blutaufsaugens in große Becken unaufhaltsam seinen schaurigen Gang ging. Der Strom der hin und her flutenden Masse, die sich zu der blutigen Zeichnung herandrängte, war so gewaltig, daß Walding und seine Begleiterin, die fest seine linke Hand umfaßt hielt, wiederholt von ihrem Wege abgedrängt und gegen den Mittelpunkt des Kreises zugeschoben wurden. Vergeblich bemühte sich der Deutsche, dem Rat des Mädchens zu folgen und die Augen zu schließen, ihr sich willenlos überlassend; eine geheimnisvolle Macht schien ihn zu zwingen, sie offen und unverrückt nach dem schrecklichen Guru gerichtet zu halten, dessen blutiges Messer wieder und wieder hoch geschwungen im Licht erglänzte.
Plötzlich hörte er zwischen dem Gesang der Priester, in den nach und nach die Menge der Blutgeweihten einzufallen begann, ein dumpfes Murmeln fremdartiger Worte dicht vor sich, und fühlte sich mit Gewalt niedergerissen von der Hand seiner Begleiterin. Umblickend erkannte er schaudernd vor sich das weiße Obergewand zweier Chams und in den Händen des einen das entsetzliche Becken – sah eine Hand erhoben, die leicht seine Kapuze lüftete, und fühlte im selben Augenblick einen warmen feuchten Tropfen auf seiner Stirn.
Er wußte, es war Menschenblut, das warme frische Blut des unglücklichen Parsie oder der schönen Witwe.
Wie oft hatte er als Arzt seine Hände in das warme Blut seiner Mitmenschen getaucht, wie oft selbst mit seinem scharfen Messer den edelsten und geheimnisvollen Tempel Gottes, den menschlichen Leib, zerfleischt, aber es geschah im Dienst der Menschheit, zu helfen und zu retten, statt zu töten.
Jetzt brannte dieser einzelne Blutstropfen gleich glühendem Erz auf seiner Stirn; das Blut eines Gemordeten, ohne daß seine Hand sich erhoben, sein Mitgeschöpf zu retten!
Er war einer Ohnmacht nahe und begriff noch kaum die entsetzliche Gefahr, der er so eben entgangen, während die Woge der Andrängenden ihn fortschob, als ein wilder zorniger Anruf in englischer Sprache ihn gleichsam festbannte und allen Anstrengungen seiner Begleiterin energischen Widerstand leisten ließ.
Ein Blick nach der Mitte belehrte ihn, daß in diesem Augenblick der englische Matrose sich unter den Händen der Chams befand, die ihm seine Kleider vom Leibe rissen und schnitten.
Auf irgend eine Weise war es der ehrlichen Teerjacke gelungen, sich des Knebels zwischen seinen Zähnen zu entledigen, und eine Strom von Verwünschungen folgte dem Ausspeien des Hindernisses.
Der Mann war ein Irländer, in seiner besten Kraft und athletisch gebaut. Es ist selten, daß die Thugs ihre Opfer unter den Europäern suchen, teils weil sie dieselben als zu arm für ihre Raubgier halten, teils weil sie wissen, daß sie gewöhnlich gut bewaffnet sind, und daß ihr Verschwinden strengere Nachforschungen der Behörden veranlaßt, als das spurlose Abhandenkommen eines Eingeborenen. Wenn aber ihre Habsucht besonders unvorsichtig gereizt wird oder der Zufall einen Weißen der Art in ihre Hände liefert, daß sie Nachforschung und Entdeckung nicht zu besorgen brauchen, so nehmen sie keineswegs Anstand, auch das Leben von Europäern ihrer Göttin zum Opfer zu bringen. Nie aber wird dabei das Blut weißer Menschen vergossen, da der Aberglaube herrscht, daß das Blut der Weißen der Bhawani nicht wohl dufte.
Der unglückliche Seemann war höchst wahrscheinlich bei einer Kreuzfahrt in den Höhlen des Lasters im Hafen außer Sicht und Hilfe seiner Gefährten gekommen, hatte die Habgier einiger Würger durch die prahlerische Vergeudung seiner Guineen rege gemacht und war von ihnen weiter nach einem Schlupfwinkel gelockt worden, wo sie sich seiner im Schlafe bemächtigten. Gerade des mühseligen Werkes willen, das sie sich als Verdienst anrechneten, hatte der Trupp, der ihn gefangen genommen, dies Opfer bis in die Einöden der Thur und zu den unterirdischen Kerkern der Felsenburg mit sich geschleppt.
» Stop! halt! Ihr verfluchtes, braunhäutiges, nacktbeiniges Lumpengesindel!« brüllte der unglückliche Pad. »Schämt Ihr Euch nicht, einem Mann seine Hose von den Beinen zu hissen, daß sein Wetterbug den Leuten vor die Augen kommt? – Heiliger Patrik, was wollen die schwarzen Teufel noch von 'nem ehrlichen Kerl, dem sie all sein Geld gestohlen haben? So, Du Halunke,« er versetzte dem Mörder, der seine Beine aufhob, einen so kräftigen Tritt vor den Leib, daß dieser, wie von einer Kanonenkugel getroffen, bewußtlos zu Boden stürzte – »das wird Dich lehren, einem braven Matrosen an den Bug zu kommen.
»Ich will ein Jahr lang meine Grog-Ration von jedem Schiffsjungen trinken lassen, wenn die satanischen Teufelskinder meiner Mutter Sohn nicht am Ende abschlachten wollen, wie ein Huhn auf dem Mist. Zum Teufel mit Euren Stricken – wenn ein rechter Kerl unter Euch Gesindel ist, so mög' er sie auf einen Augenblick losbinden, und bei der Liebe Gottes – wir wollen eine ehrliche Schlägerei halten. Feigherziges Lumpengesindel! nicht 'mal einen Faustschlag wollen sie 'nem Mann gestatten, bevor sie ihm den Leck zwischen die Rippen geben!«
Unter diesen Verwünschungen hatte der kräftige Matrose so rüstig, als es ihm seine Bande erlaubten, mit Armen und Beinen um sich geschlagen, bis es seinen Gegnern gelungen war, ihm die ersteren auf dem Rücken zusammenzuschnüren. Plötzlich brach er – trotz der furchtbaren Umgebung und obschon ihm selbst über seinen Tod kein Zweifel mehr sein konnte – in ein schallendes Gelächter aus. Es war ihm gelungen, dem Häuptling der Phansigars, der nahe hinzugetreten, einen so gewaltigen Stoß zu versetzen, daß dieser über den Tiger, der hinter ihm stand, hinwegstürzte, die Bestie mit sich zu Boden riß und mit dieser sich auf der blutgetränkten Steinschwelle zwischen den angehäuften Schätzen umherwälzte.
»Gott verdamm' Deine blutigen Augen und Deine greuliche Katze dazu, Du weißverhüllter Schlingel!« schrie Pad, »Vater O'Toole, der gewiß gern eine hübsche Anzahl Messen für meiner armen Seele Seligkeit lesen würde, wenn er wüßte, wie sein Beichtkind hier umgekommen, hat immer gesagt, ich hätte meine Stärke in den Beinen und nicht im Kopf. Ich wollte nur, es machte ein Christenmensch mir die rechte Vorderflosse frei, ich wollt' Euch die fünf Finger in die Zähne setzen, daß Ihr 'nen Jibbaum für den Besanmast ansehen solltet!«
Der Phansigar hatte sich wütend aufgerafft und, das goldene Halsband, das den Nacken seines gefährlichen Begleiters umgab, erfassend, wollte er, wütend über den erlittenen Schimpf, den laut brüllenden Tiger auf den Unglücklichen werfen, von dem bei dieser drohenden Bewegung die ihn festhaltenden Priester eilig zurückflohen, als der Ober-Guru sich zwischen sie stürzte.
»Zurück, Sohn der Bhawani,« hörte der Deutsche die ihm nicht unbekannte Stimme befehlen; »nur das Blut der Kinder des Ostens darf fließen zu Ehren der Göttin, und dieses Mannes Schicksal ist bestimmt! Wo bist Du, grimmiger Rostagana, damit Du Dein Opfer empfangest aus den Händen des Guru?«
Ein kicherndes, heiseres Lachen erscholl, und hinter den Krallenfüßen des Götzenbildes hervor kroch der teuflische Zwerg, hockte nieder vor dem unglücklichen Seemann und begann seine Ungeheuer unter dämonischen Ceremonieen hin und her zu schwingen.
Der arme Bursche, der dem Tode so mutig bisher getrotzt, zitterte am ganzen Leibe bei diesem scheußlichen Anblick; alle Kraft des Widerstandes war gebrochen und er lag still, ohne auch nur den Versuch einer Flucht zu machen. Seine Augen schienen aus den Höhlen hervorzuquellen, so entsetzt starrten sie auf den Zwerg und die züngelnden Cobras.
»Jäsus – Gott mein Harre,« stammelte der Unglückliche, dessen Verstand sich zu verwirren begann – »so bin ich wahrhaftig nicht unter einer Bande blutiger Schufte, sondern geradezu in der Hölle angekommen, wie Pater O'Toole mir oft genug prophezeit hat! – O meine Seele, das ist wahrhaftig der leibhaftige Teufel, wie ich ihn vor mir sehe, und das sind seine Gesellen! – Heilige Mutter Gottes, sei mir erbärmlichen Sünder gnädig!« Und sein Gebet verlor sich in unverständliches Lallen.
Der Zwerg schien mit teuflischem Vergnügen den Seelenqualen und dem Entsetzen des Ärmsten zu lauschen, denn er wiegte sich noch immer wollüstig hin und her, schnitt ihm scheußliche Fratzen, näherte und entfernte die Köpfe seiner Ungeheuer dem Gefolterten, daß ihre Zungen immer heißhungriger umher fuhren und ihr giftiger Brodem jenem den letzten Nest von Bewußtsein raubte. Dann –
Ein entsetzlicher, gellender, furchtbarer Schrei erfüllte den kolossalen Raum – so furchtbar, so entsetzlich, daß selbst das mordgewohnte Herz der Thugs einen Augenblick erkaltete, und ihr unheimlicher, jetzt wie die Wogen des Meers mächtig anschwellender Gesang einen Moment lang schwieg.
Und dann ein zweiter, eben so entsetzlicher, so gellender, so furchtbarer Schrei – die zweite der Schlangen hatte, von der tückischen Hand des Unholdes geleitet, ihre spitze Zunge in das andere Auge des unglücklichen Mannes gebohrt!
»Valu, du Liebliche, und du Heikate, mein Goldlämmchen,« jubelte der Zwerg, »saugt, saugt an dem Hirn des weißen Mannes! Lustig, ihr Lämmchen, gebt ihm den Tod! den Tod! den Tod!«
Walding hörte längst das Entsetzliche nicht mehr – der erste Schrei des Unglücklichen traf ihn schon unter den Wölbungen eines düsteren Ganges. Mit Gewalt hatte er sich anfangs hindurchdrängen und dem unglücklichen Europäer zu Hilfe eilen wollen, aber sein Ruf war in dem Brausen der Menge verschollen, eine dichte Mauer von Leibern keilte sich zwischen ihn und den Unglücklichen und vergeblich war all sein Ringen, während die Bayadere ihren Arm um seinen Leib schlang und ihn mit der Gewalt der eigenen Todesangst jetzt weiterriß.
Zum Glück für sie war die Menge zu sehr mit dem entsetzlichen Schauspiel in ihrer Mitte, mit der blutigen Salbung der Chams und mit ihren eigenen dämonenartigen Sprüngen und Bewegungen beschäftigt, um auf das Paar und sein Ringen zu achten. Erst in der Tiefe eines Seitengewölbes, wohin der Flammenschein der großen Höhle nur dämmernd drang, und das teuflische Lärmen wie summendes Getön klang, hielt die Bayadere inne.
»Wahnwitziger Christ – was hätte das Opfer Deines Lebens genützt unter diesen Hunderten? – Herrscher wollt Ihr sein und ein Herz von Stahl haben, das eine Welt erobert und regiert, und Eure Nerven sind so schwach, daß ein Tropfen Blut sie entsetzt! das Blut derer, die Ihr doch täglich und stündlich grausamer mordet, als der Thug mit seinem Messer oder Tuche es thut! – Fort mit dem thörichten Mitleid – die Kraft des Mannes besteht nicht allein in dem Mut, zu handeln und sich zu opfern, sondern auch, das Unvermeidliche geschehen zu lassen! – Das Entsetzliche für Deine Augen ist überwunden, jetzt gilt es zu retten, ehe es zu spät ist!«
Sie zog aus ihrem Gewand eine Rolle fester Schnur, knüpfte das Ende an einen der hervorspringenden Felszacken und gab den Faden in die Hand des Arztes.
»Die Gänge und Windungen dieser Höhlen,« sagte sie, »sind so verschlungen, daß keiner, der sie nicht genau kennt, sich in ihnen zurechtfinden könnte. Ein Zufall vermöchte uns zu trennen; in diesem Falle wird die Schnur in Deiner Hand das Mittel sein, Dich zurückzuführen zur Opferstätte, von der Du unbesorgt den zum Tageslicht Emporsteigenden folgen kannst. Die Augenblicke sind kostbar für unser Wagnis; lege die Hand auf Deine Waffen, fasse mein Gewand und folge mir!«
Ohne Gegenrede that der Deutsche, wie ihm geboten, und eilte hinter der Flüchtigen her, in der Linken den Faden, den er sorgfältig sich abwickeln ließ.
So rannten sie durch mehrere sich kreuzende Gänge, die von Strecke zu Strecke in einer bestimmten Richtung durch einzelne Fackeln erhellt waren.
Schon seit einigen Augenblicken glaubte Walding ein Rauschen und Brausen zu vernehmen, das ihn vermuten ließ, sie näherten sich wiederum dem furchtbaren Opferplatz. Aber das immer mächtiger anschwellende Getön erwies sich bald als ein anderes – und als sie eine Anzahl von etwa sechzig Stufen am Ende eines Ganges herabgestiegen waren, erscholl das Brausen mit furchtbarer Gewalt über ihren Häuptern, Wasserstaub sprühte umher und drohte ihre Lampen zu verlöschen, und als Walding die seine geschützt emporhob, sah er sich am Fuße eines furchtbaren Abgrundes, in den über sie hin aus der Felswand ein mächtiger Wasserkatarakt sich stürzte.
Das Getöse war so gewaltig, daß die Bayadere ihren Mund an sein Ohr legen mußte, um ihm zu erklären, daß hier der unterirdische Ausfluß der Gewässer sei, welche von den Gebirgswänden des schönen Thales von Malangher in den kleinen See in dessen Mitte strömten, dessen Wasser in unerklärter Weise dort wieder verschwand.
Zur Seite der stürzenden Flut, auf dem Plateau, auf dem die Eilenden sich befanden, bemerkte Walding seltsame, wie große Tonnen geformte Gegenstände; doch unaufhaltsam zog Anarkalli ihn weiter und bald lag der Wasserfall hinter ihnen.
»Jetzt,« sagte sie, und die Hand, die den Gefährten hielt, krampfte sich fester, »gilt es zu zeigen, daß Du ein Mann bist. Wir sind im Augenblick zur Stelle, aber unser Nahen deckt das Rauschen des Wassers. Der Ort, wo die Gefangenen aufbewahrt werden, liegt hinter jener Windung des Ganges; zwei Wächter stehen an ihrem Eingang und müssen ihrer Göttin zum Opfer fallen, ehe wir zu jenen gelangen können. Brauche Deine Waffen ohne Besorgnis, gehört zu werden, wenn Du siehst, daß ich mich auf den einen von ihnen stürze!«
»Ein Überfall – ein Mord hinterrücks!? …« erwiderte der Arzt entsetzt.
»Zehnfacher Thor, morden sie nicht Deine Brüder heimlich? Ist es Schande, wenn der Jäger den auf Beute schleichenden Tiger aus seinem Versteck niederschießt?«
Der Arzt fühlte die Thorheit ritterlicher Gesinnung solchen Gegnern gegenüber und versprach zu gehorchen. Die »Granatblüte« löschte die Lampe, nachdem sie einen malayischen Dolch aus ihrem Gewand gezogen und Walding seinen Revolver gespannt hatte – dann schlichen oder krochen sie in der Dunkelheit vorwärts.
Sie mochten etwa fünfzig Schritte zurückgelegt haben, als ein neues Bild sich ihnen bei einer Biegung des Felsenganges entrollte.
Vor ihnen, in der Entfernung von kaum zwanzig Schritten, öffnete dieser sich zu einer geräumigen und durch Wachsfackeln und Harzbecken hell erleuchteten Grotte.
Die sorgfältig behauene Decke des Gewölbes zeigte die prachtvollste Erzbildung, die Walding noch je gesehen. Reiche Gold- und Kupferadern zogen überall durch das Gestein und Myriaden kleiner Metallschiefer blitzten und spiegelten im Feuerschein, daß man Aladins Zauberhöhle zu sehen vermeinte.
Dieser Pracht gleichsam zum Hohn lagen am Boden dieses Gewölbes etwa fünfzig menschliche Wesen im bittersten Jammer der Gefangenschaft, jeder einzelne gebunden an Händen und Füßen, wie die Opfer zum scheußlichen Altar geschleppt worden.
Obschon der Knebel ihren Mund noch nicht verschloß, lagen die meisten von ihnen doch stumm auf der Erde – nur einzelne Jammerlaute wurden von Zeit zu Zeit von den Jüngeren und Schwächeren vernommen, denn Menschen von jedem Alter und jeder Kraft, selbst einige Frauen befanden sich in dieser Vorratskammer des schrecklichen Opfertodes.
Die Tänzerin berührte mit ihrer kalten zitternden Hand die ihres Gefährten und wies nach einer Seite des Kerkers hin.
Deutlich konnte Walding dort die Kleidung eines Europäers erkennen – ja er glaubte ein europäisches Frauengewand nahe derselben Stelle zu bemerken.
An dem thorartigen Eingang lehnten gleich Schatten auf hellem Grund zwei bewaffnete Thugs, Bildsäulen gleich.
Walding hob leise die Kapuze, um bei dem bevorstehenden Kampfe besser sehen zu können, und hielt das gespannte Pistol in der Hand.
Plötzlich wandte sich der eine der Thugs um, er glaubte ein Geräusch in dem Gang gehört zu haben. Im selben Augenblick war das Mädchen, am Boden fortkriechend, an die Seite des anderen gelangt, hob sich mit Blitzesschnelle in die Höhe und stieß ihm den Malayendolch bis ans Heft in die Seite. Dann, ohne sich um den Erfolg zu kümmern, stürzte sie in das Gewölbe.
»Bei der Devy! ich bin ein Toter! Feinde! Feinde!« schrie der getroffene Mahratte, indem er taumelnd nach seinen Waffen griff, aber in dem Bemühen zu Boden stürzte. »Das Seil! das Seil!«
Vor diesem, das aus einer in der Mitte der Decke gähnenden Öffnung herabhing, und zu einer mächtigen Glocke in einer der oberen Felsenetagen führte, deren Klang sofort Hilfe herbeigerufen hätte, stand Anarkalli mit geschwungenem Dolch, entschlossen, mit ihrem Leben jede Annäherung daran abzuwehren.
In dem Augenblick, wo Walding den Wächter getroffen sah und seinen Ruf hörte, war er gleichfalls vorwärts gesprungen und im Licht der Felsenspalte erschienen.
Einen Moment lang zögerte bei dieser Überraschung der zweite Thug, dann wandte er sich mit dem gellenden Kampfruf der Thugs: »Bajid! Dea!« ihm entgegen und hob die schwere Dschambea zum tödlichen Schlage.
Der Schuß des Deutschen dröhnte durch die Wölbung – die Kugel hatte ihr Ziel getroffen und die Brust des Mörders durchbohrt, der in die Kniee sank. Bei diesem Anblick flog die Bayadere herbei, und ehe Walding sie daran zu hindern vermochte, fuhr ihr Stahl über die Kehle des Wächters und vollendete sein Werk.
»Sie oder wir,« sagte das Mädchen, »keine Lippe darf verkünden können, was hier geschehen! Aber bei Ganesa, dem Gott der Wahrheit, lege das Tuch um Dein Haupt, ehe Du einen Schritt weiter gehst, denn niemand soll wissen, daß Du in dieser Höhle des Todes gewesen, oder das Verderben würde sich an Deine Fersen heften. Unser Werk ist nur zur Hälfte gethan – komm!«
Mit zwei Sprüngen war sie an der Seitenwand des Kerkers, kniete neben einer der dort liegenden Gestalten nieder, und der Dolch, der soeben noch in das Blut ihrer bisherigen Gefährten sich getaucht gehabt, durchschnitt die Fesseln der Glieder.
»Stehe auf, Sahib,« sagte sie, »die Dich in das Verderben geführt, wird auch Dein Leben wieder retten!« Sie schlug die Kapuze von ihrem Antlitz zurück.
Der Befreite war ein junger Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren in einfachem Jägerrock.
Das erste was er that, war, der Tänzerin, ohne sie eines Blickes zu würdigen, den Dolch aus der Hand zu reißen und die Fesseln eines einige Schritt seitwärts ruhenden schönen jungen Mädchens zu durchschneiden und es emporzurichten.
Mühsam nur erhielt, an den linken Arm ihres Befreiers sich anklammernd, die zitternde Gestalt sich aufrecht. Ihr reiches blondes Haar fiel ungeordnet und wirr auf ihre Schultern, ihre einfache, aber vornehme Kleidung war zerrissen, aber ein eigentümlicher Zauber von Sanftmut und Jungfräulichkeit lag über dem ganzen Äußeren des kaum siebzehnjährigen Mädchens.
»Kommt heran, Mörder,« rief der junge Soldat. »Nicht lebendig sollt Ihr mich und dieses Wesen weiter schleppen! Nur einmal können wir sterben.«
Die Bayadere warf, ohne Rücksicht auf die Folgen, die Hülle zurück, die ihr Haupt deckte. Ihr Auge sprühte, als es sich auf das bleiche Mädchen richtete, das der Mann, den sie liebte, so eifervoll verteidigte.
»Erkennst Du mich?«
»Falsche! Schändliche! Du bist es, die mich in die Hände der Unholde lieferte! Du kommst hierher, um Dich an den Leiden Deines Opfers zu laben – fort von mir!«
»Weißt Du, was mit Deinen zehn Gefährten in diesem Augenblick geschieht, welche die Finsteren, denen das Schicksal mich beigesellt, gestern von dieser Stelle entfernt haben?«
»Was kann ihr Schicksal in den Händen solcher Menschen anders sein, als der Tod – wir sind auf das Schlimmste gefaßt!«
»Thor! nicht auf die Wirklichkeit, die schrecklicher ist, als Dein Geist sie zu malen imstande. Gräßliche Marter wird Dein Herz verzehren und jedes Deiner Glieder tausendfache Pein erleiden. Ich, die Dich liebte, die Dir Verderben gebracht, ich kann Dich erretten. Überlaß jene dort dem Schicksal, das Schiwa ihr bestimmt, und folge uns!«
»Wer birgt mir für Deine Aufrichtigkeit nach dem schändlichen Verrat, den Du an mir begangen?«
»Ein Landsmann, ein Europäer,« sagte der Arzt. »Ich bin Zeuge, daß Anarkalli ihren Verrat bitter bereut, daß sie unter hundert Gefahren diesen Versuch unternommen, Sie zu befreien. Und der Tod Ihrer Wächter muß Ihnen beweisen, daß wir Ihre Freunde sind, daß es uns ernst ist mit unserer Hilfe!«
Der junge Offizier sah erstaunt auf den Verhüllten, dessen Sprache und Worte ihn so unerwartet als einen Europäer erwiesen.
»Großer Gott,« rief der junge Mann, den der Leser übrigens schon von der tapferen Verteidigung der einsamen Posada in den Apenninen gegen die Banditen kennt, »wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Engländer sind, so dürfen Sie uns in dieser schrecklichen Not nicht verlassen. Mein Name ist Stuart Sanders, Leutnant im 84. Regiment. Ich bin auf einer Reise nach dem Pendschab von meinen Gefährten ab- und in die Hände von Menschen gelockt worden, deren Zwecke nur verbrecherisch sein können!«
»Sie sind in die Gewalt des Thugs, Sir!«
»Ich ahnte es. Aber Sie, mein Herr – wer sind Sie, und welche Macht haben Sie über diese Mörder, die uns retten könnte?«
»Leider keine – ich selbst bin eine Art Gefangener und kann Ihnen nur die Hilfe bieten, die Mut und Kraft eines einzelnen Mannes gewähren können. Ihre Befreiung sowohl, als meine Rückkehr aus diesen entsetzlichen Höhlen hängt von dem Willen und der Umsicht dieses Mädchens ab, das mich hierher gebracht hat, Sie retten zu helfen!«
Der junge Offizier betrachtete Anarkalli von der Seite; ihre Augen waren noch immer trotzig und finster auf ihn und die junge Dame gerichtet.
»Wohl,« sagte er endlich, »ich will es glauben, daß Sie beide es ehrlich meinen. Aber ich bin Mann und Soldat und weiß der Gefahr und dem Tode ins Auge zu sehen. Wenn Sie nicht uns alle zu retten vermögen, so retten Sie diese unglückliche Dame, die Nichte des Generals Wheeler, die, von den Mördern geraubt, ich in diesem Kerker gefunden habe. Retten Sie diese und seien Sie, auch wenn ich sterbe, meines Dankes gewiß!«
Die Tänzerin faßte leidenschaftlich seinen Arm.
»Die Minuten sind gezählt, jede Versäumnis kann uns allen den Tod bringen. Was geht das bleiche Weib mich an? Dich will ich retten, Dich allein! Anarkallis Brust ist bereit, den Todesstreich für Dich zu empfangen, oder Dich zu neuem Leben zu erwärmen! Folge mir schnell!«
»Bei der blutigen Göttin,« rief die Bayadere wild, »Du liebst dieses Weib, Faringi?«
»Was würde es Dich kümmern?«
»Bei der Devy sei es geschworen – nimmer sollst Du sie besitzen! Eher möge der blutige Altar Euch beide empfangen! An diesem Herzen hast Du geruht, dieser Leib war der Deine, Liebe hast Du mir geschworen und keiner anderen sollst Du gehören, falscher Faringi! Komm!«
Sie wollte stürmisch den Arzt mit sich davonziehen.
Waldings Blicke ruhten mit inniger Teilnahme auf dem lieblichen blassen Gesicht der Halbohnmächtigen, die einem so scheußlichen Tode verfallen sein sollte.
»Wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Mann sind,« flehte der Mann, »so verlassen Sie uns nicht in dieser Not! Retten Sie die Lady!«
Der Deutsche machte sich gewaltsam los von der Hand der Eifersüchtigen.
»Du bist ein Weib, Anarkalli, und hast die Gefühle eines Weibes,« sagte er. »Kannst Du eine Deines Geschlechts, eine Unschuldige, Hilflose einem so gräßlichen Schicksal überlassen?«
»War die Begum, die auf dem Altar im Todeskampfe sich wand, nicht gleichfalls ein Weib und schuldlos? was kann ich dafür?« zürnte die Tänzerin.
»Habe Erbarmen! Auch ich kann diese Unglückliche nicht verlassen, wenn ich auch unser Verderben vor Augen sehe!«
»Er liebt sie – der Faringi liebt sie!«
Ihr Ton war heiser und zischend, man fühlte, daß das bessere Gefühl in ihrem Busen mit der Leidenschaft rang.
»Ich habe die Lady hier in diesem scheußlichen Kerker zum erstenmal gesehen!« sagte Sanders.
»Sprichst Du die Wahrheit, Christ?«
»Bei meiner Ehre – bei der Hoffnung meines Glaubens!«
»Komm hierher, überlaß das Weib diesem da –« sie wies auf ihren Begleiter, »er wird für sie Sorge tragen.«
Mit Gewalt zerrte sie den jungen Offizier von dem Mädchen hinweg, dem Walding seinen Arm bot, sich darauf zu stützen. Ein Gefühl innigen Mitleids und fast zärtlicher Teilnahme überkam sein Herz, als er auf die zitternde Gestalt, in das mit Furcht und Flehen auf seine Verkleidung blickende blaue Auge schaute.
»O Herr,« flüsterte sie, »wer Sie auch sein mögen, verlassen Sie uns nicht in dieser entsetzlichen Stunde!«
»Nie, so lange Leben in mir ist, ich gelobe es Ihnen!« Er schwor es sich zu.
Während dieser kurzen Momente waren rasche, heiße Worte gewechselt worden zwischen der Bayadere und dem englischen Offizier.
»Höre mich an, Faringi,« flüsterte das Mädchen, das ihn zu den Leichen der beiden Wächter gezogen hatte, »die Frauen dieses Landes lieben nicht wie die Deinen, in deren Adern eisiges Blut rinnt. Mein bist Du, denn ich habe Dich erkauft mit dem Bruch heiligen Eides, mit der Strafe Jahrtausende langer Wandlungen nach diesem Leben! Niemals, niemals kann meine Liebe von Dir lassen, aber Tod und Verderben würde sie jedem bringen, der Dich mir entreißen wollte! Schwöre mir, mich zu lieben, immer, unverändert, keine andere, und ich werde Dich retten und jeden, den Dein Gebot mir bezeichnet!«
Der Offizier zauderte einen Augenblick, sein Blick schweifte unwillkürlich hinüber nach der jungen Engländerin.
»Du willst nicht? Fluch und Verderben über Dich und sie – und über alles, was atmet!«
»Ich schwöre!«
Eine wilde Freude loderte in ihren Augen. Leidenschaftlich warf sie sich in den Staub vor ihn und umfaßte und küßte seine Füße.
»Ich bin Deine Sklavin, Sahib, von diesem Worte an, der Hauch Deines Mundes, der Schatten Deines Leibes! Komm! denn die Zeit ist da!«
In triumphierender, hochaufgerichteter Haltung sprang sie empor und zog ihn hin zu dem Arzt und der Engländerin. »Ich werde Euch beide retten, aber es ist nötig, daß Ihr blind jedem meiner Wort folgt, so seltsam meine Weisung auch klingen möge. Jetzt fort von hier, denn die Minuten sind kostbar. Nehmt die Waffen der Erschlagenen und folgt mir!«
»Anarkalli,« sagte der Offizier, sie noch einmal zurückhaltend, »sollen wir alle diese Unglücklichen einem schrecklichen Schicksal überlassen – können wir nichts thun, sie zu retten?«
Sie stand einen Augenblick sinnend, dann schien ein Gedanke sie zu durchzucken.
»Retten? das ist unmöglich – aber ihnen die Mittel geben, um ihr Leben zu kämpfen und sich zu rächen – ja, bei Yana, dem Richter der Toten! das ist ein glücklicher Gedanke und wird uns helfen!«
Sie sprang zum nächsten der Gefangenen und durchschnitt rasch die Bande seiner Hände und Füße, der Leutnant und der Arzt folgten ihrem Beispiel und selbst die junge Miß suchte zu helfen. Ehe fünf Minuten vergangen, waren alle ihrer Fesseln entledigt und drängten sich jetzt um die Befreier, denn die apathische Ruhe, mit der sie ihrem Schicksal sich unterworfen hatten, machte einer wilden Thätigkeit Platz, als so plötzlich ihnen die Gelegenheit wurde, ihre Lebenskraft zu entwickeln.
Ein Wink Anarkallis, deren Haupt wieder mit der Kapuze verhüllt war, versammelte alle um sie her.
»Brüder,« sagte sie, »die meisten von Euch werden wissen, daß sie in den Händen der Thugs, der unerbittlichen Mörder, sind. Nur eines bleibt Euch übrig: zu kämpfen um Euer Leben und Euch zu rächen. Ich habe Euch befreit, aber ich vermag nur wenig mehr für Euch zu thun. Seht diese Schnur, nehme einer sie in seine Hand; wenn Ihr derselben folgt, wird sie Euch zu dem Versammlungsort Eurer Mörder führen. In der ersten Höhle zur linken Hand auf dem Weg, den Ihr verfolgt, findet Ihr Waffen, aber eines versprecht mir zum Dank, daß ich Euch das Mittel zu Kampf und Flucht gegeben: verlaßt diesen Kerker erst, wenn die Fackel, die ich in diese Felsenspalte stecke, völlig niedergebrannt ist!«
»Und Du schwörst uns, daß die Schnur uns zu unseren Feinden führen wird?« fragte ein mohammedanischer Kaufmann aus Kashmir.
»Bei den neun Wandlungen Wischnus! Lebt wohl und möge er Euch gnädig sein!«
Sie legte die Schnur in die Hand des Kaufmanns und zog die drei Europäer mit sich fort.
Sie schritten, von Anarkalli geführt, eilig den Weg zurück, den diese mit dem Deutschen gekommen war.
Bald vernahmen sie aufs neue das Brausen des Wasserfalls, als die Tänzerin in einer Erweiterung des Gewölbes stehen blieb und ihre Gefährten dicht zu sich zog.
»Der Augenblick naht,« sagte sie ernst, »wo es gilt, Euren Mut und Euren Gehorsam zu zeigen. Nur das unbedingteste Befolgen jedes meiner Worte kann uns retten. Wenige Schritte – und wir müssen uns trennen; zwei von uns müssen einen abgesonderten, furchtbaren Ausweg aus diesen Höhlen einschlagen, bei dem nur Besonnenheit und Glück ihnen helfen kann. Der Pfad, den wir beide gehen,« sagte sie zu dem Offizier, »ist der Kampf um jeden Atemzug, der Tod in dem Abgrund der Unterwelt, wohin nie das Licht, der belebende Hauch der Gottesluft dringt – hörst Du das Rauschen in Deinem Ohr?«
»Ein unterirdischer Wasserfall?«
»Wohl; seine Fluten sind unser Weg. Was sind die Gefahren menschlicher Wut gegen die unsichtbaren Schrecken der Tiefe. Oder fürchtest Du mit Anarkalli zu sterben, wenn der Augenblick des Todes gekommen?«
Sanders schauderte und beugte einwilligend sein Haupt. Editha aber reichte der Hindu die Hand.
»Ich vertraue Dir,« sagte sie, »was Du über mich bestimmst, möge geschehen. – Was sollte das Verderben eines armen Mädchens Dir nützen, das Dich nie beleidigt.«
Mehr als alle Worte der Männer wirkte die einfache Rede der Jungfrau auf die Bayadere. Sie preßte die dargebotene Hand an Brust und Stirn. »Möge Dein Schatten lange dauern, Jungfrau,« sagte sie. »Cama, der Gott der Liebe wird Deine Wege leiten und uns in wenig Stunden den goldenen Sonnenschein wieder teilen lassen. Folge mir hinter diesen Felsen, damit wir eilig die Gewänder wechseln und die Augen der Männer uns nicht beleidigen.«
Als sie nach wenigen Augenblicken hinter dem Vorsprung wieder hervortraten, hatten die beiden Mädchen so vollständig als möglich ihre Kleider getauscht, und die Lady erschien in der Verhüllung der Teilnehmer des blutigen Opferfestes.
Die Bayadere trat zu dem Arzt. »Kröne das Werk Deines Mutes, Hakim Arzt. der Franken,« sagte sie, »indem Du Vorsicht und Entschlossenheit die Begleiter Deines Weges sein läßt. Diese Schnur führt Dich, wie Du weißt, zu der Opferhöhle der Thugs. Das Opfer wird beendet sein und Du findest ihre Jünger in wildem Rasen, in dem man Deiner und Deiner Begleiterin nicht achten wird. Merke die Richtung wohl und dringe durch die Menge zu der gegenüberliegenden Seite der Höhle, von der wir gekommen. Dort mußt Du der Dinge harren, die sich ereignen werden; bald wird der Kampf jener Männer beendet sein, denen wir die Freiheit gegeben; ihr Entkommen ist unmöglich, ihr Tod wird Euch retten. Sind sie besiegt, so werden die Thugs sich zerstreuen, denn nicht darf der junge Tag sie in diesen unterirdischen Gewölben finden. Folge schweigend den ersten, die den Gang betreten, aus dem wir gekommen; sie werden Dich bis zum Grabmal Nurheddins in der Pagode geleiten, von wo aus Du leicht den Kiosk, Deine Wohnung, erreichen kannst. Viele Fremde befinden sich auf der Burg Malangher; wenn Gefahr oder Zweifel Dir aufstößt, so mache dem ersten Begegnenden das Zeichen des Bundes, das ich Dich gelehrt und sprich: ›O Kaley! Ombra Nurheddin!‹ und sie werden Euch für fremde Brüder halten und den Weg zeigend vor Euch herschreiten. Habt Ihr glücklich den Kiosk gewonnen, so hülle diese Jungfrau in die Gewänder, die ich zurückgelassen, färbe ihre Füße mit dem Hannah und verbirg ihr Angesicht in dichte Schleier. So wird sie für Anarkalli, die Abtrünnige, gelten, die ihr Erzeuger Dir zum Eigentum gegeben. Nach Sonnenaufgang wird Kassim Dich wecken, um die Reiter zu begleiten, die dem Srinath Bahadur entgegenziehen. Befiehl dem Mayadar streng, darüber zu wachen, daß niemand Dein Gemach betritt und der falschen Anarkalli naht. Er wird gehorchen und den Weg zu ihr mit seinem letzten Blutstropfen verteidigen. Murad-Khan wird mit Euch zu Rosse ausziehen. Er ist Dein Freund und wird alles thun, was Du von ihm verlangst. Wenn Ihr das Felsenthor des Thales überschritten, dann bleibe unter einem Vorwand mit ihm zurück und fordere ihn auf, Dich an das Ufer des schwarzen Flusses zu führen, zu der Stelle, wo die sieben Dattelpalmen zwischen dem Felsgestein ihre Federkronen über die Flut erheben; ist Wischnu der Erhalter uns gnädig gewesen, so wirst Du dort das weitere von mir hören. Hat Schiwa sein Opfer gefordert, o Fremdling, so bete für Anarkalli und ihren Geliebten!«
»Aber wie wird es mir möglich sein, diese Schuldlose aus den Mauern dieses entsetzlichen Schlosses zu befreien?«
»Ich vergaß, Dir das Mittel zu sagen,« entgegnete hastig die Bayadere. »Wenn Srinath Bahadur, den man Nena Sahib nennt, nach Malangher gekommen ist, so erkläre Deine Absicht, mit ihm zu ziehen, begieb Dich in seinen Schutz und gieb ihm dies Schreiben, ohne ihm zu sagen, von welcher Hand Du es erhalten. Es sollte jenem seinen Schutz sichern, denn der Maharadschah ist ein Freund der Engländer, jetzt möge es Dir und der Jungfrau helfen. Wenn der Bahadur es gelesen, wird er noch am selben Abend mit seinem Gefolge aufbrechen und weiterziehen; denn das Papier sagt, daß einer, die er liebt, mehr als das Licht seiner Augen, Gefahr drohe. Unter seinem Schutz wird es Dir leicht werden, die Faringi-Jungfrau aus der Veste Tukallahs zu führen, ohne daß dieser den Betrug merkt, denn was kümmert ihn das Schicksal der Tänzerin, deren Leib er zur Lust dem Fremden geschenkt hat. Lebe wohl, Hakim! Halte den Eid des Schweigens und Cama lasse unser Werk gelingen!«
Eilig schritt sie dem Ort zu, wo der unterirdische Strom aus der Öffnung der Felsen hervorstürzte.
Worte zu wechseln war hier nicht mehr möglich, das Brausen des Wasserfalles verschlang jeden Ton.
Anarkalli sprang zu den dunklen Gegenständen, die der Arzt auf dem Wege hierher bemerkt hatte und schleppte den größten derselben herbei.
Jetzt, im Lichte der Lampen, konnte Walding die Form näher erkennen, er hatte sich in der That nicht getäuscht: es war ein ziemlich großes, tonnenartiges Gestell von starken Stahlreifen, das sehr sorgfältig gearbeitet, durch den Druck der Federn sich zusammenknicken ließ und über das ein dunkler, zäher Stoff gespannt war.
Auf den Wink des Mädchens legten die Männer Hand an das ihnen noch immer unverständliche Werk – in einem Augenblick waren die Stahlreifen vollends gerichtet und befestigt und die nachgebende dehnbare Masse darüber gezogen. Walding überzeugte sich, daß es eine feste, zähe Gummischicht sei.
Die Hindu riß ihr Oberkleid ab, bedeutete Sanders dasselbe zu thun, sprang an den Rand der Felsplatte und tauchte die Kleider in die herabstürzende Flut.
Dann legte sie ihre Lippe an das Ohr des Offiziers und schrie ihm, den anderen unverständlich, einige Worte zu.
Walding sah den jungen Mann zum erstenmal in diesen schrecklichen Gefahren erbleichen. Sein Auge starrte entsetzt bald auf die seltsame Tonne, bald auf die Tänzerin.
Diese hatte den Arzt durch Zeichen bedeutet und hielt mit seiner Hilfe die über die Länge des Fasses gehende Öffnung der Gummidecke gewaltsam auseinander.
Einen Blick warf der junge, mutige Mann umher, es schien, als könne er selbst von dieser schrecklichen Umgebung nur mit Bedauern Abschied nehmen, dann stieg er in die Öffnung und Anarkalli bedeutete ihn, sich an zwei Ringen der Stahlreifen im Innern festzuklammern.
Das Faß oder der tonnenartige Ballon, war im Innern groß genug, um Raum sogar für drei bis vier Menschen zu gewähren und mit Klammern und Ringen zum Festschnüren von Gegenständen versehen.
Anarkalli hatte jetzt ein Holz zwischen: die Öffnung gestemmt, sie überzeugte sich, daß der Malayendolch in ihrem Gürtel fest steckte, brachte ihren Mund an das Ohr des Arztes und gab ihm eine Weisung. Dann holte sie tief Atem, als wolle sie die frische, vom Wasser gekühlte Luft, des Gewölbes in ihre Lungen pressen und schlüpfte mit großer Gewandtheit in den Ballon.
Der Deutsche zauderte – seine Kraft schien nicht auszureichen zur Erfüllung des furchtbaren Befehls, der ihm geworden.
Da hob sich das Antlitz des Hindumädchens nochmals über den Rand des seltsamen Fahrzeuges, ihre Lippen bewegten sich, als wollten sie ihn erinnern an seinen Schwur. Das Haupt verschwand und entschlossen stieß die Hand von innen das die Öffnung auseinander sperrende Holz nach außen.
Die Gummihülle sprang zum luftdichten Verschluß zusammen!
Walding begriff, daß jeder Moment ein Leben wert sei, und sein Fußstoß traf in den Ballon.
Leicht rollte derselbe mit seiner lebendigen Last über den Felsengrund – im nächsten Augenblick war er in dem Schaum der Wasserkaskaden verschwunden.
Wäre es möglich gewesen, den Schrei des Entsetzens zu hören, den die Lady bei diesem Anblick ausstieß, er hätte des Deutschen Angst und Schmerz noch vermehrt.
Einige Augenblicke stand er bewegungslos, starr dem furchtbaren Fahrzeug nachschauend, das zwei Leben bereits wer weiß in welche unergründliche Tiefe geführt hatte. Der Sturz der Flut war so rasch, daß seine Augen ihm nicht einmal zu folgen vermochten in dem kleinen Lichtkreis der Lampe – was darüber hinaus war, blieb ewige Finsternis. Der rastlose, flimmernde Sturz des Wassers begann seine Sinne zu verwirren, alles umher sich mit ihm zu drehen.
Er wandte sich nach seiner Gefährtin, sie war an der kalten Steinwand niedergesunken, ein gänzlich hilfloses Wesen, seiner Kraft, seinem Mut allein anvertraut.
Verzweiflung war seiner Seele nahe, als der Gedanke an die erhabene Hand, welche die Geschicke der Welten, wie jedes ihrer Geschöpfe lenkt, ihm Trost und neue Kraft brachte – er betete, er, der Skeptiker, aus der Tiefe seiner Seele.
Kurz war sein Gebet – wenige Worte oder Gedanken nur – aber als er sich erhob, war Glauben und Vertrauen in seiner Seele, und ohne falsche Scham, die so oft selbständige und kräftige Geister entehrt, sah er, daß die Britin neben ihm gekniet und Zeuge seiner Anrufung des Allmächtigen gewesen war.
Die wenigen Augenblicke schienen auch das schwache zaghafte Mädchen neu gekräftigt, das Gebet des ihr unbekannten Mannes, dessen Antlitz sie nicht einmal gesehen, ihr Vertrauen zu diesem eingeflößt zu haben. Sie reichte ihm stillschweigend die Hand, und ohne ein Wort zu sprechen, zog er sie von der Stätte des Schreckens und folgte eilig mit ihr der leitenden Schnur.
Sie mochten etwa zehn Minuten mit verstärkter Eile ihren Weg fortgesetzt haben, als plötzlich ein furchtbarer Ton ihren Schritt hemmte.
Ein metallener Donnerklang, gleich dem schrecklichen Posaunenton des Weltgerichts, dröhnte durch die Windungen der Gänge und erschütterte in gewaltigem Echo die Gehörnerven. Im ersten Augenblick glaubte Walding den Ton des gewaltigen Tamtam zu hören, das vorhin das Signal zu der blutigen Feier der Thugs gab, bald jedoch unterschied er die regelmäßigen Schwingungen einer Glocke, deren Geläut in so mächtigen Tönen durch die Gewölbe dröhnte.
»Die Wahnsinnigen, sie haben den Glockenstrang gezogen, der das Zeichen der Gefahr giebt und Hilfe für die Wächter des Kerkers herbeiruft!«
Das Läuten schwieg, aber ein fernes, wildes Geschrei schlug von zwei entgegengesetzten Seiten an ihre Ohren.
»Ewiger Gott, wir geraten zwischen sie und die Mörder selbst!«
So war es in der That! – Als die der Stricke entledigten Opfer der Thugs sich mit den aufgefundenen Waffen versehen hatten und die Fackel niedergebrannt war, begannen die Entschlossenen den Versuch ihrer Rettung auf dem Weg, den die Schnur ihnen angab. Thörichter Weise jedoch hatte einer von ihnen das Seil ergriffen, das von der Decke herniederhing, und daran gezogen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß er mit seiner Hilfe einen Ausweg aus dem Gewölbe finden möge. Der Ton der Glocke entsetzte sie, und in dem Gefühl unbekannter vergrößerter Gefahr, mit der todesverachtenden Kühnheit der Verzweiflung stürzten sie in den Gang und eilten vorwärts.
Walding erkannte, daß sie, trotz ihrer Verkleidung, verloren seien, wenn die herbeistürmenden Thugs ihnen begegneten, da fühlte er zur Seite kühlen Luftzug, die umhergreifende Hand fühlte leeren Raum an der Felsenwand; es war einer der sich öffnenden Seitengänge dieses Felsenlabyrinths, und eilig, die Schnur, ihren einzigen Leiter in diesen Gefahren, loslassend, zog er seine Schutzbefohlene hier hinein und, an den Wänden forttappend, so eilig als möglich mit sich fort
Wenige Augenblicke danach sahen sie noch am Eingange der Wölbung Fackeln und Waffen schwingende Gestalten vorüberstürzen, dann entzog die Biegung des Ganges ihnen die Aussicht, aber gleich darauf schlugen schwache Pistolenschüsse und Waffengeklirr an ihre Ohren.
Der Arzt griff unwillkürlich nach seinem Revolver – er war fort; er erinnerte sich, daß die Bayadere ihm denselben aus dem Gürtel gezogen und einem der befreiten Sepoys zugeworfen, ihm selbst aber nur den Yatagan des erschlagenen Wächters zu seiner Verteidigung gelassen hatte, aus Vorsicht, damit eine Unvorsichtigkeit sie nicht verraten möge.
Das geängstete Paar wagte nicht, umzukehren und den verlassenen Weg wieder zu suchen, Walding beschloß vielmehr, auf gut Glück in der entsetzlichen Finsternis, die sie umgab, vorzudringen, obschon jeder Schritt vorwärts sie in einen Abgrund stürzen konnte und nach wenigen Minuten sahen sie Lichtschein vor sich; anfangs fürchtete Walding, er künde das Nahen neuer Verfolger, aber bald überzeugte er sich, daß sie auf einem Umweg der großen Felsenhöhle sich nahten, in welcher das blutgetränkte Bild der furchtbaren Göttin stand.
Eine entsetzliche Orgie schien hier nach Beendigung des Opfers begonnen zu haben. In wilder Raserei tanzten Hunderte der dunklen Gestalten noch immer um den blutigen Altar, unbekümmert um den Kampf, der in der Masse wogte.
Denn wenig Augenblicke vor ihrem Eintritt in die riesige Katakombe war die Schar der Befreiten, die auf den Klang der Glocke zu dem Kerker geeilten Chams zurücktreibend, in die Höhle gedrungen, Dolch und Säbel in der Faust, denn Feuergewehre hatten sie nicht gefunden, und der Revolver des Arztes war beim Kampf in den, Gang entladen worden, entschlossen, ihr Leben teuer zu verkaufen, doch als sie die Menge ihrer Gegner erblickt, fühlte jeder von ihnen sogleich, daß an Rettung nicht zu denken war.
Gleich einer Wasserflut schloß sich der Kreis der entsetzlichen Fanatiker in wildem Geheul um die Eingedrungenen, als ihnen das Geschrei der fliehenden Chams verkündete, daß es den Gefangenen gelungen sei, sich zu befreien.
Der alte, aber kühne Kaufmann aus Kashmir hatte die Führung der kleinen verzweifelten Schar übernommen, und sie ermahnt, sich dicht aneinander zu halten.
Die Thugs waren sämtlich unbewaffnet, nur mit ihren schrecklichen Phansis Schlingen. oder Rumals Die zur Erdrosselung dienenden seidenen Tücher. versehen, aber von dem Fanatismus ihrer Lehre gleichgültig gegen Wunden und Tod gemacht.
So stürzten sie in die Dolche und Speere der Gefangenen.
Jeder Stoß, jeder Hieb machte eine Lücke in dem heulenden Menschenwall, aber die Flut schloß sich im Augenblick wieder, und die Gefallene starben unter den Füßen ihrer Genossen, die blutige Göttin anrufend.
Auf der Schwelle ihres Altars stand der Ober-Guru, in seiner Faust hoch die heilige Spitzaxt geschwungen, umgeben von den Chams und Häuptern des Bundes.
»Tötet! – Tötet! Glücklich sind, die für die Bhawani sterben!«
Sein dröhnender Ruf, seine mächtige Stimme überklang das Geheul und Getümmel des Kampfes, das Jauchzen der rasenden Tänzer.
Mit Todesverachtung stürzten sich die Thugs und Phansigars auf die Phalanx ihrer Feinde, rissen den einzelnen heraus, ihn gleichsam erkaufend mit Leben und tödlichen Wunden, die Schlingen fuhren durch die Luft von kunstgeübter Hand geworfen, und wo eines der unglücklichen Opfer heraus gezerrt war, da deckte im Nu das furchtbare Tuch sein Haupt und der Körper zuckte im Todeskampf des Erstickenden am Boden.
Man sah nur den drängenden Knäuel der Menschenwoge, nur das Blitzen der Waffen – kleiner und kleiner wurde die verzweifelte Schar, aber noch immer hielt sie tapfer und fest zusammen und drängte nach dem Götzenbilde, dem sie so oder so zum Opfer fallen sollte.
»Bhartoty! Bhartoty!« Erdrosselt. heulte der Ruf des Ober-Guru.
Da öffnete sich plötzlich die Menschenwoge – an der hohen Gestalt, der weißen Kapuze erkannte Walding den grimmigen Häuptling der Phansigars, und in seinen Armen die Tigerkatze.
Ein gellender Ruf, dann schleuderte seine gewaltige Kraft die Bestie hoch durch die Luft in die Mitte der tapferen Schar.
Einen Moment, dann stob der Menschenknäuel auseinander, vom Rasen des grimmen Tiers war der kleine Haufen gesprengt und über die einzelnen verzweifelt Kämpfenden warfen sich erdrückend, vernichtend die Wogen der Mörder.
Es war das letzte, was Walding von dem schrecklichen Schauspiel sah. Erkennend, daß er keinen Augenblick zu verlieren habe, um die Verwirrung und das Gewühl zu benutzen, stürzte er sich selbst hinein, die zitternde Lady mit sich fortreißend, sie mehr tragend als führend, fest im Auge den Punkt, den er als die Stelle zu erkennen geglaubt, an welcher er mit der Bayadere den Ort so vieler Schrecken betreten.
Mit muskelkräftigem Arm teilte er die drängende Masse, von der sich keiner um sie kümmerte, und erreichte nach gewaltiger Anstrengung die gegenüber liegende Seite der Höhle, wo er sich ohne Zögern in den nächsten, die offene Mündung bietenden Felsengang warf und in diesem rasch weiter eilte.
Einzelne Flambeaux erhellten auch diesen unterirdischen Weg, aber an keinem Zeichen vermochte der Arzt zu erkennen, ob er sich auf dem richtigen befände.
Der Lärm der Opferhöhle lag längst hinter ihnen, als ihm selbst die Befürchtung sich aufdrang, er möge sich verirrt haben.
»Baumherziger Himmel,« betete das Mädchen, »ich kann nicht mehr; meine Kräfte sind erschöpft! Edelmütiger Helfer, Gott wird Sie segnen für das, was Sie gethan, aber lassen Sie mich hier sterben und retten Sie sich selbst – es ist vorbei mit mir!«
Sie hing schwer an seinem Arm. »Mut, Mut,« flehte er, »nehmen Sie Ihre Kraft zusammen, und lassen Sie uns jene Stelle erreichen, wo die Fackel brennt; dort wollen wir ruhen, bis Sie sich wieder gestärkt!«
Er faßte sie in seine Arme und trug sie weiter. Schon hatten sie den sich erweiternden Raum erreicht, wo die Fackel brannte und er wollte seine schöne Bürde auf einen rauhen Steinsitz niederlassen, als sich plötzlich eine scheußliche Gestalt vor ihnen erhob, wie aus der Erde gestiegen.
Ein Schrei wilden Entsetzens entfuhr dem Munde der Jungfrau, ein Hilferuf in englischer Sprache, mit welchem sie zu Boden sank.
»Hei! die entflohenen Täubchen! Bhartoty! Bhartoty!« jubelte das Scheusal, »herbei, Ihr Männer der Thug, das sind Opfer der Devy, die der Blutigen entfliehen!«
Ein Blick hatte dem Deutschen gezeigt, daß der scheußliche Zwerg es war, der vor ihnen aufgetaucht – zwar seiner züngelnden Ungeheuer entledigt, aber darum nicht minder gefährlich.
»Kommt! kommt! Herbei, Ihr Getreuen der Blutigen –«
Ein Gurgeln erstickte seinen Ruf, der Stoß des Yatagans, von der kräftigen Faust des deutschen Mannes geführt, fuhr in den breitgeöffneten Schlund und durchschnitt Kehle und Luftröhre; ein Strom schwarzen Blutes sprudelte auf den Entschlossenen und zuckend im Todeskampf stürzte das Ungeheuer zu Boden.
Aber im Augenblick des Sieges, der überwundenen Gefahr, fühlte sich Walding von rückwärts zur Erde geworfen, den Yatagan seiner Hand entrissen, auf seiner Brust lag das Knie eines Thugs, und im Schein der Fackel glänzte über ihm zum Todesstoß der Dolch einer dunkeln Mördergestalt.
Ryot, etwa unserem Bauern gleich, war erblicher Besitzer eines Landstückes unter dem Obersitz des Großmoguls, der durch die Zemindars oder Großgrundbesitzer die Steuern einziehen ließ. Der Zemindar erhielt davon 10%. Solange der Ryot seine bestimmte Steuer zahlte, konnte er von seinem Land nicht vertrieben werden. Der englische Gouverneur Lord Lormoallis hob Ende des VXIII. Jahrhunderts dies Eigentumsrecht des Ryots auf und erkannte den Großgrundbesitzern das Recht zu, die Ryots wie kleine Pächter zu behandeln, denen sie außer der Steuer für die Regierung nach Belieben und zu ihrem Vorteil ihr Eigentum abpressen, und die sie willkürlich von ihrem Grund und Boden vertreiben konnten. So wurde dem breiten Volk das Grundeigentum entzogen. Dennoch waren in der Stunde der Gefahr die meisten Zemindars nicht auf der Seite der wegen ihrer zahlreichen Ungerechtigkeiten und als Begründerin der britischen Herrschaft bitter gehaßten »Ostindischen Compagnie«. Diese großartige kaufmännische Unternehmung hatte sich aus einer kleinen um 1600 auf 15 Jahre von der Königin Elisabeth privilegierten Handelsgesellschaft entwickelt und durch schlaue Benutzung von Zwistigkeiten unter den Eingeborenen in Indien sich festzusetzen verstanden, indem sie mit Erlaubnis der indischen Fürsten in Surate, am Hagly in Bengalen und zu Madras Handelsfaktoreien gründete. Im Laufe der Zeiten gewann sie durch immerwährende Treubrüche, durch Anwendung auch der verwerflichsten Mittel, der schändlichsten Grausamkeiten mit Unterstützung der britischen Regierung, die die zahlreichen Befreiungsversuche der indischen Fürsten ersticken half, eine ungeheure Macht. Die Britisch-ostindische Compagnie ward schließlich die eigentliche Herrscherin des weitaus größten Teiles Norderindiens, eines Gebietes von etwa 63 000 deutschen Quadratmeilen mit 172 Millionen Einwohnern, bis im Lauf des XIX. Jahrhunderts, besonders in den fünfziger Jahren, ihre Macht, d. h. ihre Herrschaft von Seiten der englischen Regierung allmählich mehr und mehr eingeschränkt und 1858 völlig aufgehoben wurde und auf die Krone Englands überging. Zur Zeit unserer Erzählung hatte die Compagnie immerhin noch bedeutende Machtbefugnisse.
Ein einsames aber reizendes Thal des Carnatic, der großen weitgestreckten Landschaft am östlichen Ufer der Südspitze Vorder-Indiens, die einen Teil der Präsidentschaft Madras bildet, lag vor den Blicken des Reisenden, der eben von einer der Höhen der Ausläufer des Nella Mella-Gebirges nach der Meeresküste herabzog.
Ein kleiner Fluß, der Gandlagama, durchströmte das Thal, doch war seine Wassermenge nicht bedeutend, da die heiße und trockene Jahreszeit bereits begonnen hatte, die in Indien vom April bis zu Ende August dauert.
Auf den Feldern waren die Bauern und Landleute daher auch beschäftigt, mittels des Umschwunges eines großen Rades, das Wasser aus der Tiefe des Bettes, welches der Fluß sich gewühlt, emporzuschöpfen und in die Rinnen zu ergießen, die das belebende Element durch die angebauten Felder, die Reisanlagen und Kaffeeplantagen leiteten.
Überhaupt erschien das ganze weite Thal wohl angebaut: in den sumpfigen Teilen die Reisfelder, an den Hügelabhängen Mais- und Zuckerrohrpflanzungen, dazwischen Indigo- und Kaffeeplantagen, roter Pfeffer und duftige Gewürzstauden. Gräm und Jawarry Zwei indische Getreidearten. standen in üppigem Wuchs und die ganze reiche Tropennatur überzog Berg und Ebene mit der herrlichsten Vegetation.
Wo der Fluß sich aus den höher aufsteigenden Berggeländen hervorwand, war er von wohl sechzehn Fuß hohem Schilfgras und einem Bambus-Dickicht umgeben, dessen armstarke Stangen bis zur Höhe von etwa 10 Metern emporschossen.
Prächtige Kokospalmen erhoben sich auf den Gipfeln der Hügel, der Pisang wiegte seine breiten riesigen Blätter und der wohlthätige Bananenbaum wechselte mit den reizend gefiederten Tamarinden und ließ seine saftig angenehme Frucht rotgelb durch die Blätter leuchten. Stachliche Ananashecken umsäumten die Felder, während ein ausgedehnter Dattelwald am nördlichen Abhang den Übergang zur wirklichen Wildnis vermittelte, die in den dunklen üppig belaubten Zweigen der indischen Fichte auf den Höhen des Gebirgszuges lagerte.
Ein Paradies des Friedens und des Glücks schien diese köstliche Flur. Das war auch der Gedanke des Reiters, der den Weg am Bergabhang herabstieg und mit seinem Blick das Thal, das Dorf und das Schloß des Zemindars auf den jenseitigen Höhen umfaßte, über welche hinaus das Auge in weiter Ferne das Meer erschaute.
Es war ein seltsamer Gesell, der einsame Reiter, wie er auf dem alten abgetriebenen Dromedar hockte. Er schien vielleicht fünfzig oder sechzig Jahre, denn das struppige Haar und der wirre Bart waren grau, und dennoch leuchtete manchmal etwas aus dem Auge und zuckte um den Mund, was eine jüngere ungebeugte Kraft verriet.
Der Fremde trug die Lumpen eines Fakiers, die kegelförmige Wollmütze, den Strick mit der Kürbisflasche und der Geisel um den Leib, dessen nackte Teile zwar nicht die schwärzliche Bronzefarbe der Bewohner des Dekan zeigten, aber doch so gebräunt waren, wie in den nördlicheren oder gebirgigen Teilen Indiens die Sonne die Menschenhaut färbt.
Nur seine hohe Gestalt und der kräftige Gliederbau paßte nicht zu den schmächtigen, schlanken und schwachen Formen, welche die meisten indischen Rassen zeigen, ebensowenig die Form seines Gesichts. Es mußte offenbar einer der Fanatiker aus dem Himalaya oder von den Grenzen Afghanistans sein, den sein Wandertrieb so weit nach dem Süden verschlagen.
Der Bettler näherte sich jetzt auf dem harttrabenden Dromedar der Mitte des Thales, wo er von der Höhe des Weges zwischen dem dunklen Grün der Pigalias und Bananenpalmen unter dem Schutz großblättriger Teakbäume die bescheidenen Hütten eines indischen Dorfes bemerkt hatte.
Noch bevor er es erreicht, sah er eine kleine Schar von Reitern und Fußgängern von der anderen Seite des Thales auf dem Weg von der einfachen und kaum unseren Bauerngehöften ähnlichen Burg des Zemindars gleichfalls ihren Weg nach dem Dorfe richten und vernahm den gellenden Ton eines Muschelhorns in drei lang gezogenen Noten.
Bei diesem Laut hielten die auf den Feldern zerstreuten Arbeiter mit ihrer Beschäftigung inne, sie nahmen ihre einfachen Geräte, holten die weidenden Ochsen zusammen und nahmen ihren Weg nach dem Dorf.
Viele der Leute, Männer, Frauen, Mädchen und Knaben kamen an dem Fakir vorüber.
Seine früher so hohe aufgerichtete Gestalt schien jetzt alle Kraft und Elastizität verloren zu haben; sie hockte zusammengekrümmt zwischen den Höckern des Tieres, die Augen des Reiters hatten einen eigentümlichen Starrblick angenommen, der nichts zu bemerken schien, was um ihn her vorging. Eben so wenig erwiderte der Bettler den Gruß der vorbei eilenden Thalbewohner.
Dieser fanatischen Maske ungeachtet, bemerkte er sehr wohl das auffallende Benehmen und Äußere dieser Leute, als sie in seine Nähe kamen. Ihre Züge drückten sämtlich, trotz des sie umgebenden Reichtums der Natur, große Not und bitteres Leiden aus. Ihre Kleidung war fast noch zerlumpter, als die des privilegierten Bettlers auf seinem Tier, Schrecken und Furcht malte sich in den Augen der Frauen, Trotz und Verzweiflung in dem Gesicht der Männer.
Fast zugleich mit einem Haufen dieser Landleute erreichte der Fakir den Eingang des Dorfes, das aus etwa hundert Hütten bestand, die ohne Ordnung im Kreise zerstreut um eine kleine Moschee in der Mitte des Platzes lagen, über welche drei Palmen ihre mächtigen Blätterkronen in die blaue Luft reckten.
Der reisende Bettler schien jetzt zu wissen, woran er sich zu halten hatte, er erkannte aus der Form des Gebäudes sogleich, daß die Bewohner des Dorfes Mohammedaner waren.
Bisher hatte noch kein Zeichen an ihm verraten, ob er Hindu oder Moslem; denn beide Religionen haben ihre umherwandernden Bettelmönche, die Fakirs und Derwische, die in allen Äußerlichkeiten einander so gleich sind, daß eine Unterscheidung ohne nähere und längere Beobachtung fast unmöglich ist.
Jetzt, am Eingang des Dorfes, erhob der Dromedarreiter seine Stimme zu dem gellenden Ruf: »Allah il Allah, Mahomed illah!« und verkündete damit, daß er gleichfalls zum Glauben des Propheten gehöre.
Doch selbst die Religionsgenossenschaft schien in diesem Augenblick ihm wenig Sympathieen zu erwecken und jeder der Begegnenden mit den Sorgen des Augenblicks zu viel zu thun zu haben, um auf den gewohnten Anblick eines Bettlers zu achten, der sich von seinen Genossen höchstens dadurch unterschied, daß er noch im Besitz eines, wenn auch noch so schlechten Reittieres war.
Aber der Fakir, diesen Namen führen im allgenreinen in Indien auch die Derwische, kümmerte sich gleichfalls wenig um die Teilnahmlosigkeit und wußte, was er zu thun hatte.
Die Hütten des Dorfes waren ärmlich. Sie bestanden aus Bambusrohr, dessen Ritzen und Spalten mit Moos und trockenen Farnkräutern verstopft waren, und erhoben sich auf Pfählen, etwa zwei Ellen hoch, über dem Boden, teils um gegen die in der nassen Jahreszeit häufigen Überschwemmungen des Flusses, teils um gegen das in diesem Klima so zahlreiche und gefährliche Gewürm besser geschützt zu sein. Zu jeder mit einer Bastmatte verhangenen Thür führte eine kleine Rohrtreppe. Breite, sechs bis acht Fuß lange Pisangblätter bildeten die Bedachung und in der Nähe jeder Hütte stand im Freien der kleine Herd von Lehm, der den Bewohnern zur Bereitung ihrer Nahrung dient.
Nur eine der Hütten zeichnete sich durch größere Räumlichkeiten und einen zierlicheren Bau, sowie mehrere ähnliche Nebengebäude vor den anderen aus. Eine ziemlich breite Galerie oder Veranda von Bambus lief um das ganze Quadrat des luftigen Gebäudes, gleichfalls auf Pfählen erhöht, und war sowohl durch das vorspringende, aus Rohrbalken gebildete und mit Matten belegte Dach, als durch die wohl dreißig Schritt vom Hauptstamm hinaus in die Luft sich breitenden dichtbelaubten Zweige eines riesigen Tamarindenbaumes beschattet, der seine Äste und Wipfel hoch über das Dach dieses einfach zierlichen Bungalow erhob.
Auf der offenen Veranda, nahe der emporführenden Treppe, saß ein Indier von kräftigem, ernstem Aussehen, mit langem, dunklem Bart, seine Hukah rauchend. Zu diesem Gebäude richtete der Fakir, nachdem er mit fachkundigem, raschem Blick die Umgebung geprüft, den Lauf seines Tieres, hielt unter dem Schatten des Baumes an und sagte mit singender Stimme den gewöhnlichen Gruß: »Salem aleikum!« indem er den Vers des Dichters Hafiz hinzufügte: »Die Pforten des Paradieses sind vor allen den Barmherzigen geöffnet. Wer da hat, der möge geben, denn er säet für die Ewigkeit. Die Armen und die Wanderer sind das Erbe Allahs an die Reichen!«
Der einfach aber reinlich in Weiß gekleidete Mann neigte ernst sein Haupt, indem er die Spitze der Hukah von seinen Lippen entfernte.
»Mein frommer Bruder ist willkommen im Hause Caulathy Mudalys, obschon er im Irrtum ist, wenn er ihn für reich hält.«
Der Derwisch gab seinem Tier ein Zeichen, worauf es sogleich in die Kniee sank. Der Reiter stieg von seinem Rücken und begann den Sattel zu lösen.
»Caulathy Mudaly,« sagte der Bettler, »behauptet ein armer Mann zu sein, und doch besitzt er das schönste Haus in diesem Dorfe. Er ist ein Zemindar!«
Der Moslem schüttelte verneinend das Haupt. »Allah bewahre mich. Ich bin ein Ryot, wie meine Nachbarn und sitze nur durch die Gnade Allahs frei auf dem Erbe meiner Väter.«
»Aber ich sehe große Speicher und Ställe. Warum verleugnet der Wirt vor einem frommen Mann seine Habe?«
»Jene Speicher,« sagte finster der Landmann, »sind leer bis zur nächsten Ernte. Es ist wahr, der Prophet hat mir mehr gegeben, als ich brauche, aber ich gab, wie es der Koran befiehlt, meinen Überfluß hin, um meine Brüder vor den Peons Indische Polizeisoldaten. zu retten. Leider reichte es nicht, denn die Affen hatten die Maisfelder zerstört, und der Zemindar ist ein harter Mann!«
Der Derwisch wies nach den Bananen und den vielfachen Früchten, welche die üppige Vegetation umher bot.
»Gott ist groß,« sagte er, »Allah läßt keinen verhungern, der sein Vertrauen auf ihn setzt.«
Hohn lag auf dem ernsten Gesicht des indischen Landmannes, als er gleichfalls seine Hand nach den Kronen der Bäume ausstreckte.
»Sind die Kokosnüsse in diesem Lande Rupien, und wachsen auf den Bananen die goldenen Mohurs? Was will der Faringi anders, als Silber und Gold! Jene Früchte, die Allah auf den Sträuchern und Bäumen wachsen läßt, müssen unser Leben fristen, damit wir für die Fremden arbeiten können!«
»So habt Ihr einen harten Grundherrn?«
»Dies Land, Fremder,« sagte der Bauer, »gehörte unseren Vätern und dem Peischwa. Ich sagte Dir bereits, daß ich ein freier Mann bin und auf dem Meinen sitze. Aber bis auf das Feld, wo der Fluß sich an den Hügel windet, ist jetzt alles Eigentum des Zemindars, und der Zemindar ist einer der Faringis von Madras! – Doch führe Dein Dromedar zu jenem Mangobaum, süßes Gras wächst in seiner Nähe und es wird der Kraft bedürfen, Dich aus den Scenen des Schreckens zu tragen, die hier Dich erwarten.«
Der Derwisch führte das Dromedar nach dem angewiesenen Baum, wo ein Knabe ihm Beistand leistete, es aus einer hölzernen Rinne, die das Wasser des Flusses durch das kleine Gehöft führte, zu tränken. Dann nahm er den alten Sattel mit dem Kissen und trug ihn zu der Veranda. Eine fein geflochtene Binsenmatte war hier bereits neben dem Hausherrn ausgebreitet und ein junges, nach der Sitte der Moslems verschleiertes Mädchen kniete dort, ein hölzernes Gefäß mit Wasser in der Hand, um dem heiligen Mann Füße und Hände zu waschen.
Der Derwisch verrichtete die Ceremonie, während das junge Mädchen seine dunklen Augen züchtig niedergeschlagen hielt, und setzte sich dann auf den Teppich, mit orientalischer Ruhe den Wiederbeginn des Gesprächs oder eine kleine Erfrischung erwartend.
Unterdes hatte sich der Platz vor der Hütte und um die kleine Moschee mit Dorfbewohnern gefüllt. Allgemeine Aufregung und Angst schien unter ihnen zu herrschen. Die Frauen rangen die Hände und gebärdeten sich wie wahnsinnig, die Männer standen in geduldiger Hingebung und Ruhe, oder unterredeten sich leise mit einander und umstanden einen Mann von ehrwürdigem, greisem Aussehen, dem sie, obschon er eben so ärmlich, wie sie selbst gekleidet war, doch offenbar einen gewissen Respekt bewiesen.
Dabei vermieden sie scheu, einer Gruppe zu nahe zu kommen, die der Fakir schon bei seinem Erscheinen bemerkt hatte.
Es waren dies vier oder fünf in seltsamen Stellungen auf der Erde kauernde, dem, wenn auch durch den nahenden Abend gemilderten, doch noch immer brennenden Strahl der Sonne ausgesetzte Menschen, die gleich Kugeln zusammengeballt dort hockten und eine schwere Steinlast auf Kopf und Rücken zu tragen schienen.
Nahe dabei, aber im Schatten der Moschee, saßen zwei Peons an der weißen Kleidung, den gleichen Turbans und den langen Stäben erkennbar, die neben ihnen an der Wand lehnten.
Sie schienen sich wenig um das Treiben um sie her zu kümmern, und nur zuweilen warf der eine oder der andere einen Blick auf die unglücklichen Gefangenen neben ihnen, um sich zu überzeugen, daß auch keiner von der ihm aufgebürdeten Last sich befreit habe.
Währenddessen war der alte Mann mit einer Anzahl Landleute näher zu der Veranda gekommen. Sie hoben wie flehend die Hände empor, während ihre Blicke sich von Zeit zu Zeit ängstlich nach der anderen Seite des Dorfes wendeten.
Dort – einen Hügel herab – kamen jetzt die Reiter und Fußgänger, die der Fakir vorher vom Bungalow des Zemindar heran ziehen gesehen.
»O Caulathy Mudaly,« sagte der alte Mann, »bei dem Propheten und der heiligen Kaaba von Mekka, hilf uns, wenn Du kannst, die böse Stunde ist gekommen!«
Und Männer und Weiber stimmten wehklagend in den Ruf ein: »Hilf uns, hilf uns!«
Der Ryot hatte sich erhoben. Er stand auf den Stufen der Bambustreppe, die zu seiner Wohnung führte.
»Wann habt Ihr je um Hilfe gerufen und Caulathy Mudaly hätte nicht seine Hand aufgethan?« fragte er mit klangvoller Stimme. »Ist einer unter Euch, der sagen kann, ich hätte nicht mit ihm geteilt, so lange ich noch hatte? Bin ich nicht selbst arm jetzt, wie Ihr, und habe kaum die Salz- und Kopfsteuer für mich und die Meinen bezahlen können, und mehr als eine Hand voll Reis, um uns zu ernähren bis zur Ernte? Da sind meine Speicher! Geht hin und seht, ob sie gefüllt sind! Dort sind meine Ställe, seht zu, ob Ihr mehr als das Joch Ochsen darin findet, das zur Bestellung meines Feldes notwendig ist. Allah hat unseren Peinigern Macht gegeben – wir müssen das Schicksal tragen. Vielleicht rührt der Prophet ihr Herz.«
»Sie haben keins; es ist ein Stein in ihrem Busen!« schrie eines der Weiber. »Sie tragen die weiße Leber der Faringis! Sie haben kein Mitleid mit mir gehabt – warum sollten sie es mit Euch haben?«
Die Sprecherin riß das Gewand von Hals und Brust und ein schauerliches, Ekel erregendes Bild bot sich den Blicken dar. Die linke Brust zeigte die furchtbaren Verwüstungen jener schrecklichen Krankheit, welche man Krebs nennt.
Aber der Derwisch war der einzige, der vor diesem schrecklichen Anblick zurückschauderte – allen anderen war es ein bekannter, gewohnter; denn die Zahl der unglücklichen Frauen, die langsam an der schrecklichen Krankheit dahinstarben, welche die unmenschliche Marter der Steuereinnehmer der Compagnie ihnen auferlegt, war nicht gering in den indischen Provinzen! Man beschuldige uns bei den nachfolgenden Scenen nicht etwa der Übertreibung. Eine nach langem Widerstreben der englischen Regierung angestellte Untersuchung hat ergeben, daß unter dem Ministerium Palmerston die »Tortur« bei der Steuererhebung in Indien auf das Furchtbarste ausgeübt wurde. Ein dem Parlament vorgelegtes und im Auszug in vielen Londoner Zeitungen veröffentlichtes Aktenstück: »Bericht der Untersuchungs-Kommissarien über illegale (!) Fälle von Tortur in der Präsidentschaft Madras,« bringt, obschon es die Sache im mildesten Lichte darzustellen sucht, die grausamsten Fälle unterdrückt und von anderen Teilen Indiens gar nicht spricht, Beschreibungen, welche die Schrecken der nachstehenden noch überbieten.
Der freie Ryot wandte sich ab von seinen unglücklichen Brüdern. »Ein heiliger Pilger ist bei mir eingekehrt als Gast,« sagte er traurig. »Geht und beleidigt sein Ohr und sein Auge nicht mit dem Anblick Eurer Schmerzen!«
»Möge sein Schatten lang und sein Segen bei uns sein,« murmelten die Unglücklichen, indem sie sich entfernten. »Er wird für uns beten.«
Der Wirt winkte seinen Gastfreund nach dem Innern des Hauses. »Die Weiber haben zu Deinem Mahl bereitet, was wir zu bieten vermögen, Pilger,« sagte er. »Es ist wenig, aber es wird hinreichen, Dich zu sättigen. Wenn ich Dir raten darf, so besteige alsdann Dein Tier, so müde Du auch bist und setze Deinen Weg fort, denn Dein Schlaf würde von dem Jammer des Unglücks gestört werden.«
Der Fremde hatte seine gebeugte Gestalt aufgerichtet, seine Züge waren ehern, sein Auge brannte fest und finster.
»Was befürchtest Du?«
»Die Leute des Deputy-Collektors Untereinnehmer. sind im Anzug. Sie kommen um die Steuern zu erpressen für den Zemindar und die Regierung. Es ist der letzte Termin, den sie den Bewohnern des Dorfes gesetzt und die Marter wird bald in vollem Gange sein.«
»Ich habe gehört von den Leiden, die die Armen erdulden müssen, aber man hat mir Dinge erzählt, die meine Seele nicht glauben mag. Ich komme aus fernen Ländern, wie ich Dir gesagt – laß mich selbst sehen, was Wahrheit ist an der Klage dieser Leute!«
Der Ryot antwortete nichts als das Wort »Owh!« (Komm.) – Dann schritt er vor seinem Gastfreunde her und verließ seine Hütte.
Der Derwisch folgte ihm auf den Platz vor der Moschee.
Hier war die Schar, die das Dorf vom andern Ende her betreten, jetzt eingetroffen und hatte sich um ihre Führer aufgestellt.
Diese waren der Verwalter des Zemindars oder Grundherrn, ein noch ziemlich junger Europäer von frechem Aussehen, mit hochmütig auf die Dorfbewohner herabblitzenden Augen im sonnverbrannten Gesicht, und der Deputy-Collektor, ein alter, finsterer Muselmann, tyrannischen Amtsdünkel und Habsucht in den harten Zügen. Beide waren zu Pferde und von mehreren berittenen Dienern begleitet, während etwa zehn Peons und eben so viel bewaffnete Seapoys ihr anderes Gefolge bildeten.
Auf ein Zeichen des Steuereinsammlers hatte einer seiner Untergebenen nochmals ein Signal mit dem Muschelhorn gegeben, auf das die sämtlichen Bewohner des Dorfes herbeikamen, wobei der alte Munsiff, oder Ortsrichter, mit Hilfe seines Untergebenen, des Tschaukidars, die Säumigen zur Eile antrieb.
Unter den Gruppen befand sich auch Caulathy Mudaly und der Derwisch, der mit großer Aufmerksamkeit den Verwalter des Grundherrn betrachtete.
»Hört, Ihr Hunde, Ihr Gesindel!« redete dieser sie an, als Stille eingetreten war, »die Ihr nur durch die Gnade Eures Gebieters und meine Nachsicht noch dies Thal durch Eure Gegenwart beschmutzt – ich hoffe, Ihr habt Euch an den Burschen da, die wir gestern ins Annundal gesteckt, ein Beispiel genommen und Eure Rupien aus den Winkeln zusammengescharrt, wo Ihr sie versteckt. Seiner Ehren Sir Lytton Mallingham, Euer gütiger Grundherr, trifft morgen früh mit seiner Jagdgesellschaft hier ein, und das Geld muß für ihn bereit liegen, oder ich lasse Euch samt und sonders das Fell über die Ohren ziehen! Verstanden?«
Seine Sprache war ein Kauderwelsch von Englisch und Hindostanisch, schien aber den Bedrohten sehr wohl verständlich, denn viele von ihnen fielen auf die Kniee, streckten jammernd die Hände nach ihm aus, und alle schrieen kläglich durcheinander, daß sie kein Geld hätten, und um Nachsicht bis nach der neuen Ernte bäten.
»Ihr Narren,« sagte der Verwalter, »das ist für die neuen Steuern. Das honorable Mitglied des Präsidentschaftsrates, Euer Herr, ist nebenbei ein prompter Geschäftsmann und duldet keine Reste. Aber ich kenne Euer Gewinsel und weiß, was dahinter steckt. Würdiger Aly Karam, beginne Dein Geschäft und schenke keinem der greinenden Schurken ein Annah!« Eine Münze im Werte von 16 Pfennigen.
Der Steuereinnehmer befahl dem Munsiff, die Rolle herbeizubringen, die das Verzeichnis der Bewohner des Dorfes enthielt, und nachdem sie der alte Mann ihm dargereicht, übergab er sie einem seiner Leute, um die einzelnen Namen aufzurufen, während er selbst ein gleiches Verzeichnis mit den Steuerbeträgen nachlas.
Der nicht ohne Geschmack, aber ziemlich geckenhaft in europäische Pflanzertracht gekleidete Verwalter, dem sein Pfeifenträger alsbald eine angezündete Cigarre in feinem Bernsteinmundstück reichte, während ein anderer Diener einen riesigen Sonnenschirm am langen Bambusstabe über seinem Kopf drehte, um Kühlung und Schatten ihm zu verschaffen, musterte unterdes durch ein großes, unförmliches Lorgnon die Gruppen und Gesichter.
» Parasuma Granny, der Munsiff des Dorfes,« las der Steuerbeamte.
»Zwei Rupien und drei Annahs Rest von der Salzsteuer für die Regierung,« fügte der Einnehmer grimmig hinzu. »Hund von einem Vorsteher. Ich speie in Deinen Bart, wenn Du Dein Amt so schlecht verwaltest, daß Du selbst mit Schulden ein böses Beispiel giebst. Wo ist das Geld?«
»Effendi,« sagte der alte Mann, »ich verwalte seit dreißig Jahren diesen Posten, der mir im Jahre kaum dreißig Rupien einbringt, die Hälfte von den Steuern, die ich zahlen muß. Noch niemals bin ich im Rückstande gewesen, aber ich kann das Feld nicht mehr selbst bebauen und die Hilfe, die mein Sohn, der bei der Bengal-Armee steht, zu schicken pflegte, ist ausgeblieben. Ich wartete vergeblich auf seine Ankunft.«
»Bosch! Unsinn! – ich werde der Regierung berichten, daß sie Dich Deines Amtes entsetzt, und der Zemindar wird Dich fortjagen!«
Der alte Mann erbebte. Bei allem Elend sind die Ärmsten ehrgeizig und würden eher ihr Leben opfern, als sich von einem ihnen überwiesenen Posten, sei er so unbedeutend wie er wolle, schimpflich verjagen lassen.
»Mein Vater und Großvater waren bereits Richter im Dorfe,« sagte der Alte, indem er in den Taschen seines Kaftans kramte. »Ich habe kein Geld, aber mein Sohn schenkte mir, als er das letzte Mal bei mir war, diesen Ring, den er in Kabul im Afghanenkrieg erbeutet. Ich bitte Dich, ihn für die Schuld anzunehmen und mir den Rest des Wertes herauszugeben.«
Er übergab dem Kollektor einen Ring, der einen einzigen Blick darauf that und ihn dann einzustecken suchte. Aber der würdige Verwalter des englischen Grundherrn war nicht weniger rasch, hatte sein Pferd dicht herbeigedrängt und hielt die Hand mit dem Ringe fest.
»Bah – purer Tombak mit einem wertlosen Glasstein,« sagte er mit einem verständigenden Blick auf den Kollektor. »Aber weil der Alte sonst eine ehrliche Haut ist und wenigstens den guten Willen hat, zu bezahlen, bitte ich Dich, Nachsicht mit ihm zu haben, Freund Aly.«
»Ich will es verantworten um Deinetwillen,« sagte der Steuereinnehmer großmütig, indem er den Ring in seinen Leibbund steckte, »daß die Schuld bis zum nächsten Termin unberichtigt bleibt. Aber ich rate Dir, Munsiff, daß Du dann das Geld bereit hältst, denn die Schatzkammer der Kompagnie ist nicht gewillt, mit sich spielen zu lassen.«
Der arme Dorfrichter sah ihn verblüfft an. »Maschallah! ich dachte – ich meinte – –«
»Deine Meinung ist die Meinung eines Esels, Dein Vater und Dein Großvater waren Esel! Nimm Dich in Acht, daß ich meine Güte nicht bereue. – Wer ist der Nächste auf der Liste?«
Der Verwalter grinste spöttisch, wählend der alte Mann, der anfangs beabsichtigt hatte, ein gutes Wort für die Dorfbewohner einzulegen, verdutzt zurücktrat. »Halb Part, Aly,« flüsterte jener in englischer Sprache, »der Smaragd ist unter Brüdern fünfhundert Rupien 100 Rupien = 66? Thaler oder 200 Mark. wert!«
Das scharfe Ohr des Pilgers vernahm sehr wohl die Worte – sein Auge hatte den schändlichen Handel genau beobachtet.
» Caulaty Mudaly,« las der Unteraufseher von seiner Liste.
»Es ist ein freier Ryot und hat die Steuern bezahlt – bis auf …«
»Verzeih,« unterbrach ihn der Mann, »ich habe Salztaxe und Kopfgeld bis auf den letzten Preis Die geringste Münze, etwa 1½ Pfennig. berichtigt.«
»Willst Du mich lehren, was in meiner Liste steht, Sohn einer Jüdin?« brüllte der Kollektor. Du schuldest die Opiumsteuer mit zehn Rupien und sechs Annahs.«
»Aber ich baue kein Opium und habe nie damit Handel getrieben. Fluch dem Gift, das unser Volk entnervt.«
»Du wirst zahlen oder wir pfänden Deine Habe und sperren Dich ein! Verstehst Du? Wallah! ich werde mir doch von einem Schurken, wie Du bist, nicht in den Bart lachen lassen!«
Der Ryot ballte die Faust, seine Zähne knirschten und seine Stirn färbte sich dunkelrot. Dennoch besiegte er mit gewaltsamer Kraftanstrengung die aufsteigende Erbitterung und sagte mit verbissenem Grimm: »Ich werde zahlen, aber ich bitte Dich, bemerke in Deiner Liste, daß ich kein Opium bereite.«
»Ich werde thun, was mir beliebt,« entgegnete mürrisch der Beamte. »Jetzt mach' und hole das Geld.«
»Ich habe nachher noch ein Wort mit Dir zu reden, Caulathy Mudaly,« sagte der Verwalter. »Also bleib nicht etwa aus. Wer ist der Kerl an Deiner Seite? ich kenne ihn nicht, obschon seine Fratze mir irgendwo aufgestoßen sein muß!«
»Es ist ein Pilger, Sahib, der weit her kommt und an die heiligen Orte auf den Inseln will.«
»Möge er verdammt sein!« war die freundliche Gegenbemerkung. »Es zieht des Gesindels mehr im Lande umher, als es Schmeißfliegen giebt. Ihr seid Narren, daß Ihr solche Müßiggänger noch füttert! Aber vielleicht ist der Bursche ein Gaukler und kann allerlei Kunststücke, mit denen er morgen die Herrschaft ergötzen mag. He, Kerl, bist Du ein Zauberer, machst Du Künste?«
»Ich verstehe nur eine Kunst,« sagte der Derwisch, vor dem Anmaßenden sich beugend und den Salem machend, »aber sie würde nicht passen für Dich, edler Sahib.«
»Warum nicht? was ist's?
»Ich verstehe die Kunst des Tättowierens, ich mache Zeichen auf Schultern und Arme, die unvergänglich bleiben.«
Der Ton, in dem der Bettler diese Bemerkung machte, war gleichgültig und bedeutungslos, dennoch schienen die Worte eine gewisse eigentümliche Wirkung auf den Verwalter zu machen, denn er wandte sich, ohne weiter zu antworten, rasch ab.
Der Mann, der zunächst aufgefordert worden, war einer der wenigen Hindus, die in dem sonst mohammedanischen Dorfe friedlich und einträchtig mit ihren Nachbarn wohnten. Der Collektor forderte von ihm fünfzehn Rupien als Rest des Zehnten oder vielmehr Dritten, denn der indische Landmann muß außer den staatlichen Steuern den dritten Teil all seiner Erträge und Habe an den Gutsherrn zahlen, für den Zemindar vom vergangenen Jahr. Vergebens beteuerte der Arme, daß der Zehnte, die Steuern für die Regierung, und die Verwüstung seines Reisfeldes durch eine Herde wilder Elefanten ihm kaum das Korn zur neuen Aussaat gelassen, und daß er seit dieser nur von wilden Früchten mit den Seinen sich genährt habe; der Collektor schalt ihn einen Lügner und einen geizigen Betrüger, der sein Geld beiseite gebracht habe, um sich der Leistung der Abgaben zu entziehen.
»Laß ihm die Kittie geben, Freund Aly,« sagte der Verwalter, bemüht, den Eindruck der zufälligen Antwort des Derwisches in seinem Geist zu verwischen. »Im vorigen Jahre hat man bei seinem Weibe die Stäbe angewandt, und ich erinnere mich, daß das Mittel geholfen. Was meinst Du, wenn wir die Brüste aller dieser Weiber, wenigstens der jungen, in der Kittie preßten, es würde uns das Geschäft ungemein erleichtern.«
Der Kollektor schien die Tortur en gros noch nicht für anwendbar zu halten.
Sie ist jedoch in dieser Weise an anderen Stellen von den Steuererhebern der Kompagnie angewendet worden; der offizielle Bericht der oben erwähnten Kommission erzählt, daß in einem Dorfe die Busen aller Weiber in die Kittie gebracht, das heißt, zwischen zwei Holzstäbe zusammengequetscht wurden, so daß mehrere der Unglücklichen davon am Brustkrebs starben. Andere wurden mit glühendem Eisen gebrannt.
Der Kollektor winkte den Peons, die Kittie bereit zu machen. Zwei derselben erfaßten den Hindu und zwangen ihn, niederzuknieen. Der Ärmste fügte sich, obschon Thränen auf Thränen über seine hageren Wangen liefen. Sein Weib, jene Unglückliche mit der brandigen Brust, warf sich vor den Peons, und ihrem Gebieter auf die Kniee und flehte vergeblich in herzzerreißenden Tönen um Erbarmen für ihren Mann. Der Verwalter befahl die Wehklagende zu entfernen.
Die Häscher hatten unterdes einen breiten, flachen Stein herbeigebracht und zwangen den Verurteilten, die linke Hand flach auf denselben zu legen.
Dann nahm einer der Peons die Kittie, einen etwa 18 Zoll langen Stab, an dem einen Ende breit und dick, an dem andern mit stumpfer Spitze, stellte letztere auf die Handfläche des Hindu und setzte sich auf das dicke Ende des Stockes. Zwei andere Diener der Gerechtigkeit hielten den Hindu fest.
»Willst Du zahlen, Kifna Pillay?«
»Möge der Allgütige mir helfen! – Ihr wißt es, ich kann es nicht!«
Das Blut quoll zwischen den gequetschten Adern und Muskeln hervor.
Dem folgenden Schuldner begnügte man sich, die große Zehe des linken Fußes mittelst eines angebundenen Strickes möglichst dicht an den Hals zu schnüren und ihn so zu zwingen, auf einem Bein zu stehen. Sobald er sich zu rühren wagte, schlugen ihn die Peons mit ihren Stäben in die Weichen.
Da bis jetzt noch kein Geständnis, kein Herausrücken von verstecktem Gelde erfolgt war, ergrimmte der habsüchtige Kollektor immer mehr und befahl, Feuer anzuzünden und die Eisen glühend zu machen.
» Nana Baulambal!«
Eine junge Frau trat zagend aus dem Haufen.
»Du bist eine Hindu – wie kannst Du Dich unterstehen, mit einem Schleier vor uns zu erscheinen? Fort mit dem Lappen!«
Der rohe Griff des Steuerdieners riß das verhüllende Tuch von ihrem Haupte und Hals, so daß Antlitz und Brust allen Blicken bloßgestellt waren.
Ein Murren der Entrüstung erhob sich unter dem muselmanischen Teil der Bevölkerung, aber eine drohende Bewegung des Kollektors scheuchte auch den Dreistesten zurück.
Der Verwalter betrachtete das Weib, die verschämt die Arme über die enthüllte Brust kreuzte, mit lüsternen Blicken, denn sie war eine weiche, üppige Schönheit.
»Dein Mann ist gestorben?«
»Du sagst es, Sahib, das Unglück ist über meinem Hause. Er starb vor vier Monden.«.
»Du bist seine Erbin und mußt seine Schulden bezahlen. Er ist die Landpacht für das letzte halbe Jahr mit 120 Rupien schuldig geblieben. Hast Du das Geld zur Stelle?«
»Wichnu erbarme sich, ich weiß, daß mein Mann die Landpacht für das ganze Jahr entrichtet hat, als er bei Dir auf dem Amt in Winnkonda war. Er nahm das Geld mit sich, zehn Tage vor seinem Tode.«
»Was weiß ich, wo der Hund das Geld verpraßt hat. Hast Du eine Quittung?«
»O Herr, Du weißt, daß wir nie eine erhalten!«
»So willst Du mich mit Lügen füttern! Ich kenne Dich von früher, Du bist der Widerspenstigkeit voll. Zahle oder fürchte meine Rache!«
Das Weib warf sich vor ihm in die Kniee. »Habe Mitleid mit mir; ich konnte Deinen Willen nicht thun. Das Gesetz Brahmas verdammt die Ehebrecherin auf ewig zur Wanderung!«
Der Verwalter schlug ein lautes Gelächter auf, und den Kollektor spöttisch auf die Schulter klopfend, sagte er: »Alter Fuchs – da kommt es heraus, weshalb Du immer um die Hütte der schönen Baulambal schlichst, als Du uns das vorige Mal heimsuchtest!«
»Verflucht sei die Lügnerin und die Hündin, die sie geboren!« schäumte der Steuererheber, indem er sein Pferd an die Knieende herantrieb, sie bei den Haaren in die Höhe riß und sie seinen Untergebenen zuschleuderte. »Schnürt ihr die Arme auf den Rücken, hängt sie mit den Händen an der Decke ihrer Hütte auf! Die Kittie an die Brüste!«
Das Jammergeschrei der Unglücklichen ward durch ein Tuch erstickt, das man in ihren Mund preßte. Zwei Peons hatten sie ergriffen und ihr die Arme auf den Rücken geschnürt. Dann schleppte man sie nach ihrer nahegelegenen Hütte.
Der Derwisch machte eine Bewegung, als wollte er der vergeblich Ringenden zu Hilfe eilen, aber er bezwang sich mit gewaltiger Anstrengung, kreuzte die Arme über die Brust und warf einen scharfen Blick zur Seite.
Allen diesen entsetzlichen Grausamkeiten, durch die die Beamten der englisch-ostindischen Kompagnie von deren Unterthanen die »Steuer« zu erpressen pflegten, hatten die zehn Sepoys mit dem europäischen Unteroffizier, welche die militärische Bedeckung des Kollektors auf feiner Rundreise bildeten, unbewegt zugesehen. Keine Spur von Mitleid mit ihren Landsleuten zeigte sich in diesen ehernen Gesichtern. Der Drillstock des Korporals hatte sie zu militärischen Maschinen gemacht, und Hindu wie Mohammedaner kannten nur das Kommando ihres Führers und hätten eben so gehorsam auf seinen Befehl selbst die Unglücklichen auf ihre Bajonette gespießt.
»Es ist vergeblich,« murmelte der Derwisch nach jenem Blick auf die gleichgültigen Gesichter der Soldaten »das Elend ihrer Brüder findet kein Echo in ihrem Herzen. Es müssen gewaltigere Leidenschaften sein, die ihr Blut entflammen sollen.« Er versank in düsteres Nachsinnen, Während seine Lippen Gebete zu murmeln schienen, und die Hände in rastloser Beweglichkeit nach der Eigentümlichkeit der Orientalen die Kugeln seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließen.
Der Kollektor und sein Freund, der Gutsverwalter, waren unterdes von den Pferden gestiegen, um sich den Fortgang ihres Geschäfts bequemer zu machen; die Diener hatten Teppiche für sie auf den Boden gebreitet und der Huckabedar ihnen die Schibuks gereicht, während ein Babatschy oder Koch an demselben Feuer, in dem die Eisen zur Tortur glühten, den Kaffee für sie bereitete.
Die schreckliche Manipulation nahm alsdann ihren Fortgang und selbst die Eisen kamen wiederholt in Gebrauch. Bei den meisten war, weil sie in der That nichts besaßen, die Marter vergeblich, in einigen Fällen aber wurde der Zweck der Blutsauger erreicht und das Versteck der letzten Habe eingestanden. Selbst goldene Mohurs und Guineen kommen zum Vorschein. Es ist seltsam, mit welchem Geiz oder vielmehr mit welcher hartnäckigen Energie der Indier zusammenspart und seinen kleineren oder größeren Schatz selbst mit Aufopferung seines Blutes verteidigt. Dieser Zug von Habsucht und Geiz ist es auch, der einen großen Teil des Volkes zu Knechten der europäischen Gebieter macht, während es zu deren gänzlicher Vernichtung ausreichen würde, daß z. B. bei einem Kriegs- oder Reisezug die Schar der indischen Diener auf einmal ihre weißen Herren im Stiche ließe, die dann hilflos in diesem Klima verschmachten müßten.
Die Sonne war unterdes untergegangen und die Nacht mit dem raschen Übergang eingetreten, der den Tropengegenden eigen ist. Fackeln von dem Holz der indischen Fichte und ein großes Feuer, die Moskitos aus den nahen, schilfigen Ufern des Gandlagama abzuhalten, waren angezündet worden, und das Geschäft der Steuererpressung, das bereits drei volle Stunden gedauert hatte, nahte seinem Ende. Das Stöhnen und Jammern der Gemißhandelten tönte ringsum.
Zuletzt erinnerte sich der Kollektor noch des freien Ryots, dessen Stellung im Dorf, so gering sie war, schon oft seinen Ärger erregt hatte, und rief ihn vor sich.
»Hast Du das Geld herbeigeschafft?« Der Gastherr des Derwisches trat hervor und zählte mit verbissenem Zorn die Geldstücke vor dem Förderer auf. »Ich habe es von der kleinen Mitgift meines einzigen Kindes genommen,« sagte er, »möge das unrecht Erworbene Feuer werden in Deiner Hand!«
Der Kollektor lachte. »Sei froh, daß Du so fort kommst. Deine Tochter ist sicher hübsch genug, daß sie keiner Mitgift bedarf.«
Der Ryot wollte sich mürrisch zurückziehen, als ihm der Verwalter zu bleiben winkte. »Ich habe noch mit Dir zu reden, Caulathy Mudaly. Wie ist es, hast Du Dich besonnen, das Feld am Fluß uns zu verkaufen? Seine Ehren haben die Anlegung der Mühle streng befohlen und werden sehr ungehalten sein, wenn die Angelegenheit bei ihrer Ankunft nicht in Ordnung wäre!«
»Verzeih', Sahib, es ist mein bestes Land; dem Zemindar gehört ja ohnehin das ganze Ufer und er wird nicht ungerecht sein gegen den armen Mann. Er kann leicht seine Mühle an einer anderen Stelle bauen.«
»Narr! das wissen wir so gut wie Du! Aber der Herr will Dein Land nun einmal nicht länger mitten zwischen seinem Grundbesitz haben. Nimm die dreihundert Rupien, die meine Nachsicht Dir geboten und sperre Dich nicht weiter. Hier ist der Kollektor und sein Gehilfe als Zeuge, dort der Dorfrichter – also der Handel ist abgemacht!«
»Entschuldige mich, Sahib,« entgegnete demütig der Bauer, »das, was Du mir bietest, ist nicht die Hälfte dessen, was mein Vater für das Land an den vorigen Zemindar gezahlt hat, und nicht der vierte Teil seines wahren Wertes. Ich kann das Recht am Strom nicht missen, von dem allein ich meine Felder bewässern muß. Sie sind nichts wert, wenn ich es verliere.«
In der That war das Recht auf das Wasser des Flusses, das sich der Zemindar oder sein Gutsverwalter angemaßt, eines der wichtigsten, und die Felder der Dorfbewohner hingen dadurch von seiner Willkür ab. Der Besitz des Ryot am Ufer war daher ein Dorn in den Augen des Bevollmächtigten des Zemindars.
»Du weigerst Dich also? Bedenke wohl, was Du thust, Hund von einem Bauer!«
»Es ist mein freies Eigentum, Sahib. Der Zemindar ist so reich – was bedarf er des Erbes eines armen Mannes!«
Der Verwalter hatte sich zu dem Steuereinsammler gebeugt und heimlich mit ihm gesprochen. Dieser blätterte in seinen Listen.
»Höre,« sagte er endlich, »Thumbin Mudaly, der achtzehnjährige Bursche, den ich vorhin peitschen ließ, ist ja wohl Dein Verwandter?«
»Er ist der Sohn meines verstorbenen Bruders.«
»So hat er ein Anrecht auf Deine Felder?«
»Nein, Effendi. Mein Vater teilte das Seine zwischen uns, aber mein Bruder verkaufte sein Erbe an den Zemindar und geriet in Armut. Eben darum möchte ich das Meine behalten.«
»Dann wäre es Deine Sache gewesen, dafür zu sorgen, daß er der Kompagnie und dem Gutsherrn nicht zu kurz thue. Du mußt für die Steuerschuld des Burschen und seiner Mutter einstehen. Für was hat man Verwandte, wenn man dafür nicht zahlen müßte, Ahi! Du wirst die neunzig Rupien vorstrecken, die sie schuldig sind.«
»Du beliebst Scherz mit Deinem Diener zu treiben, Effendi, ich kann kaum die eigenen Steuern zahlen und habe kein Geld zu verleihen.«
Der Kollektor strich sich den Bart. »Willst Du die Summe geben?«
»Ich schulde Dir nichts – ich habe schon mehr bezahlt, als das Gesetz vorschreibt. Ich kann es nicht.«
»In das Annundal Das Annundal wurde verschieden angewendet. Gewöhnlich wurde der Kopf des Schuldigen zwischen die Kniee geschnürt und sein Rücken mit einem centnerschweren Stein belastet. mit dem aufsäßigen Schurken! Werft ihn nieder, Ihr Schufte, fürchtet Ihr Euch vor einem elenden Bauer?«
Der letzte Befehl war an die Peons gerichtet gewesen, die sich Caulathys hatten bemächtigen wollen, von ihm aber mit kräftigem Widerstand empfangen und zurückgeworfen waren.«
Der Ryot stand, die Hände geballt vorgestreckt, das Auge blitzend, das Bild eines kräftigem zum äußersten gereizten Mannes.
»Bin ich ein Hund oder Sklave, daß man es wagt, mich so zu behandeln? Nieder mit der verfluchten Herrschaft der Faringis! Auf, Männer, rafft Euch auf aus Eurem Dulden und Leiden. Denkt an den alten Glanz unseres Landes und setzt Euch zur Wehr gegen die Tyrannen, wie ich es thue!«
Einige Stimmen erhoben sich und schrieen über die Ungerechtigkeit.
Der Verwalter und der Kollektor waren aufgesprungen. »Will der Hund Rebellion predigen? Unteroffizier, thut Eure Pflicht!«
»Gewehr zum Fuß! fertig zum Feuern!« Die Ladestocke der Sepoys rasselten in die Läufe.
»Gewehr auf! – Schlagt an!«
Aber keiner der Dorfbewohner rührte sich mehr – Schrecken lag auf allen Gesichtern; nur eine Frau und ein junges Mädchen waren aus der Menge herbeigeflogen und hatten schützend und bangend den Gatten und Vater umschlungen.
»Jetzt bindet den Sohn einer Hündin!«
Die Peons warfen sich auf den Ryot. Noch wollte er sich im Gefühle seines guten Rechts unerschrocken zur Wehr setzen, aber Frau und Tochter selbst hinderten ihn daran. In wenig Augenblicken war er zu Boden geworfen und geknebelt.
Den Weibern war bei dem Ringen der verhüllende Schleier vom Haupt gerissen worden, die langen schwarzen Flechten wallten um das braune, edel geformte Gesicht des jungen Mädchens, dessen schöne, große Augen Furcht und edlen Zorn ausdrückten. Wenig achteten in diesem Augenblick Mutter und Tochter auf die züchtige Sitte.
Der Verwalter schaute mit lüsternem, boshaftem Auge auf die jugendliche Schönheit des etwa dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchens, ein Alter, das unter diesem Himmelsstrich bereits die Jungfrau zur Reife bringt und in dem viele schon verheiratet sind.
»Jetzt, hochmütiges Ding, will ich Dich kirre machen,« flüsterte er vor sich hin und zu dem Kollektor gewendet: »Hundert Rupien sind für Dich, Freund Aly, wenn Du mir beistehst, den störrischen Kerl und seine Tochter jetzt zu unserem Willen zu zwingen.«
Der Steuereinnehmer lächelte grimmig. »Spannt den Schurken ins Annundal, bis seine Knochen sich strecken, als wären sie vom Harz des Gummibaums.«
Die Peons knebelten die Zehen des Mannes, der nach seiner Überwältigung keinen Laut mehr von sich gab, um seinen Hals und schnürten die lebendige Kugel mit den vorhin erwähnten Baststricken zusammen. Dann warfen sie ihn wieder auf den Boden und der Kollektor selbst setzte sich mit der vollen Last seines Körpers auf den Rücken des Gemarterten, statt ihn mit einem Stein zu beladen.
»Willst Du Dich jetzt fügen, das Geld zahlen und dem Zemindar Dein Feld verkaufen?«
»Niemals! Niemals!«
»Der Bursche ist ein verstockter Sünder! feuchtet die Stricke an, Die angefeuchteten Stricke aus Pflanzenfasern ziehen sich beim Trocknen so sehr zusammen, daß sie das Fleisch bis auf die Knochen durchschneiden. Auch dies war eine beliebte Tortur bei den Steuerbeamten. und bindet das heulende Weib an den Bananenbaum! Wir können ihr Gejammer hier nicht brauchen!« Er stieß die zu seinen Knieen flehende Frau mit einem Fußstoß von sich. Es geschah mit ihr, wie er gesagt.
»Nun, braunes Täubchen,« sagte der Verwalter, indem er sich dem zitternden, mit wogendem Busen in der Mitte des Kreises stehenden Mädchen näherte. »Du erinnerst Dich, wie trotzig Du mich noch gestern zurückgewiesen, als ich Dir den Vorschlag machte, meine Geliebte zu werden, weil ich Dich beim Baden im Fluß belauscht und wußte, daß Du ein nettes Stückchen Fleisch geworden. Damned! ich habe meiner Zeit weißen Ladys genug die Köpfe verdreht und brauche mich nicht von einer braunen Wetterhexe abweisen zu lassen! Du schläfst diese Nacht bei mir im Bungalow und Dein Vater willigt ein, sein Feld zu verkaufen, dann soll ihm die Steuer für den Lungerbund von Neffen erlassen sein und er morgen früh aus dem Annundal kommen. Also sträube Dich nicht weiter, hübsche Zelima!« Er faßte ihren Arm und wollte sie fortziehen, aber die junge Indierin riß sich los und versetzte ihm einen so kräftigen Schlag ins Gesicht, daß er zurücktaumelte und sich die Backe hielt.
»Gott verdamme Dich – verfluchte Kreatur! das sollst Du büßen!« Er machte Miene, auf sie loszustürzen, und seine Kraft zu brutaler Mißhandlung zu brauchen, aber der Anblick des Mädchens und ein leises Spottlachen, das trotz der furchtbaren Umstände durch die Reihen der Dorfbewohner ging und lautes Echo bei den Sepoys fand, hielten ihn zurück. Sein Gesicht glühte in Zorn und Rachsucht. »Du hast Dich an dem Grundherrn vergriffen, Dirne, dessen Person ich vorstelle! Das soll Dir zur Stelle vergolten werden. Bindet ihr die Hände auf den Rücken!«
Er stürzte zu seinem würdigen Genossen. »Die Käfer, Aly, gieb mir die Büchse mit den Käfern! ich bin zu nachsichtig gegen die gelbe Brut gewesen, aber ich will sie züchtigen, daß sie an diese Nacht denken sollen!«
Der Kollektor reichte ihm gleichgültig eine kleine hölzerne Büchse.
Unterdes war das Mädchen von den rohen Polizeischergen gefesselt worden. Sie ertrug es ohne Widerstand, die Lippen fest aufeinandergepreßt.
Der Engländer stand jetzt vor ihr. Er hatte die Hände sorgfältig umwickelt, ehe er die Büchse geöffnet. Dann hatte er aus dieser ein etwa einen Zoll langes, schwarzes Insekt herausgenommen und zeigte es der Jungfrau.
Es war einer der entsetzlichen, berüchtigten Zimmermannskäfer.
»Willst Du mich jetzt fußfällig um Verzeihung bitten, willig thun, was ich Dich geheißen und den alten Schurken, Deinen Vater, zu dem Verkauf bestimmen?«
»Nie! ich hasse, ich verachte Dich, schändlicher Faringi!«
»Zu Boden mit ihr!«.
Die Peons warfen das sich sträubende Mädchen nieder. »Bindet ihre Füße an die Enden dieses Stocks.«
Der schändliche Befehl wurde erfüllt.
Der Ryot heulte vor Wut, schleuderte durch seine Bewegungen den Kollektor von sich und versuchte, gleich einer lebendigen Kugel, sich in die Nähe seiner unglücklichen Tochter zu wälzen.
»Barmherzigkeit, Sahib! wage es nicht, mein Kind anzurühren. Nimm mein Feld und alles, was mein ist, aber lasse sie frei!«
»Es ist ohnehin verfallen, Narr, für Deine Rebellion. Ihren Trotz will ich brechen.«
Der flehende, entsetzliche Blick des Gefesselten traf in diesem Moment das Auge des Derwisch.
Vorwurf, Bitte, Verzweiflung lag darin.
»Willst Du um Verzeihung flehen und meinen Willen thun?« drohte der Verwalter des Zemindars dem unglücklichen Mädchen.
»Niemals!« Sie spie ihm in das Gesicht. Zur Wut entflammt, riß er ihr die einfache Kleidung vom Leibe. Der keusche Körper der Jungfrau wand sich hüllenlos vor den Blicken der Männer.
Der Schrei des Ryots glich dem Gebrüll eines Raubtiers. Mit verzweifelter Anstrengung hatte er sich in die Nähe des Grausamen gerollt und preßte seine Zähne in den Fuß des Peinigers.
Der Gebissene schrie vor Schmerz und Grimm auf, wandte sich nach dem Angreifer und stieß ihn von sich. »Hund – das sollst Du mir entgelten! Fort mit ihm – haltet die Bestie mir vom Leibe!«
Diese augenblickliche Unterbrechung hatte der Derwisch benutzt, sich zu dem unglücklichen Mädchen zu beugen, und während ihr mißhandelter Vater von den Peons zurückgeschleift und gestoßen wurde, flüsterte er ihr zu: »Rufe: Pfui über Jack Slingsby! wer hätte geglaubt, daß der schöne Jack ein Weib martern würde!«
Das Mädchen sah ihn staunend an, die Worten waren ihr ohne Sinn. Bereits wandte sich ihr Henker wieder zu ihr und stieß den Derwisch brutal zur Seite.
Seine lüsternen Augen weideten sich an dem schönen Körper der unglücklichen Hindu-Jungfrau, den seine freche Hand betastete.
»Nun, Dirne – nun siehst Du, wohin Dein Trotz führt! Statt mein Liebchen bist Du das Schauspiel aller. Willst Du um Gnade bitten, Rebellin?«
Nur ihr Auge sprühte Haß und bittere Verachtung, während er das häßliche, zuckende Insekt in die hohle Hälfte einer Nußschale legte, die ihm der Gehilfe des Steuereinnehmers reichte.
Der Blick machte seine Bosheit, seinen Grimm vollends zügellos. Das Entsetzlichste, Abscheulichste geschah vor den Augen so vieler Männer, die viehisch grinsend dem schändlichen Schauspiel zusahen.
An jene Teile, welche die Sitte der rohesten Völker durch ein ewiges Mysterium geheiligt hält, und die nur die Bestialität zu mißhandeln wagt, legte die freche Hand die Nuß mit dem giftigen Insekt.
In den Zuckungen jungfräulicher Angst und Scham traf das Auge des armen Mädchens auf die mahnend erhobene Hand des Fakirs – sie erinnerte sich seiner Worte und rief mit lauter Stimme:
»Pfui über Jack Slingsby! Schmach über den schönen Jack, der ein Weib martert!«
Die wenigen von keinem der Umstehenden verstandenen Worte übten eine Zauberkraft auf den Verwalter. Er prallte, wie vom Blitz getroffen, zurück, seine Farbe änderte sich, und seine Augen starrten erschrocken auf das Mädchen und dann auf seine Umgebung, als suche er da den Eindruck, den sie gemacht. Die Nuß und die Schale mit den Käfern war seiner Hand entfallen und der Derwisch benutzte rasch die Gelegenheit, indem er das Mädchen aufrichtete und ihr ein Kleidungsstück überwarf, den Fuß auf das schändliche Marterwerkzeug zu setzen und das giftige Gewürm zu zertreten, wobei er spöttisch den erschrockenen Engländer betrachtete.
Endlich hatte sich dieser gefaßt. Er stieß den Helfer zornig zurück und faßte wild den Arm des Mädchens. »Welcher Teufel hat Dir den Namen verraten?« flüsterte er. »Noch einen Laut, und ich erwürge Dich und die Deinen. Aber ich will Dich schon zum Geständnis bringen! Stopft ihr einen Knebel in den Mund und fort mit ihr nach dem Bungalow der Herrschaft. Daß keiner mit ihr zu sprechen wagt, bis ich selbst dort bin.«
Aber ehe der neue, grausame Befehl vollzogen werden konnte, änderte sich plötzlich die Scene.
Die schmachvolle Beschäftigung und die erregten Leidenschaften hatten alle verhindert, auf den Weg acht zu haben, der von den Höhen im Süden in das Thal führte, sonst hätten sie dort schon lange Fackeln glänzen sehen und das Schnauben von Pferden und Elefanten hören können. Jetzt sprangen, ihre Fackeln hoch schwingend, zwei indische Chiprassys im vollen Rennen auf den Platz, schlugen mit den langen Stäben den im Wege Stehenden auf die Köpfe, und ihr lauter Ruf verkündete: »Platz! Platz! für Seine Ehren den Sahib-Sahib! – Begrüßt Euren Gebieter, Ihr Männer und Frauen!«
Hinter den Läufern kamen mehrere Männer zu Pferde, Europäer in Jagdkleidern oder in der schimmernden roten Uniform der britischen Offiziere, jeder begleitet von seinem Pferdehalter, und darauf zwei Palankins, von der doppelten Wache der Träger an langen Stangen in gleichmäßigem Lauf auf den Schultern getragen. Zwei mächtige Elefanten folgten, die Haudah des einen zur Aufnahme der ermüdeten Reiter bestimmt, in der des anderen eine Dame mit einer Dienerin und einem Kinde.
Die Schar der Dienstboten, beiderlei Geschlechts, folgte teils zu Fuß, teils auf Esel oder Pferden oder Ochsenkarren mit dem zahlreichen Gepäck, so daß bald die ganze Breite des Platzes von dem Zuge erfüllt war. Die Zahl der Diener ist, wie erwähnt, selbst bei den geringeren Europäern sehr groß und steigt mit ihrem Ansehen und Reichtum.
Da ist zuerst der Chiprassy oder Schobedar, der Platzmacher; der Serdar, der Oberaufseher oder Schatzmeister; der Huckabedar oder Pfeifenbesorger; der Tsauri-Bedar oder Wedler mit dem Fächer; die Schar der Babatschys oder Köche, der Vebischtys oder Wasserträger und der Dobys, der Wäscher. Dann der Abdar, der für Kühlung der Getränke sorgt; der Claschy oder Zeltschläger; der Seyce oder Pferdehalter, mit seinen zwei Unterdienern; die Schar der Kornaks, der Elefanten- und Kameelführer, und der Mäther, die niedersten Diener, die den Staub wegfegen. Kurz, jede Verrichtung hat ihren eigenen Mann und bei den vornehmen Damen geht es so weit, daß selbst für das Aufheben des der trägen Hand etwa entfallenden Taschentuchs eine besondere Dienerin angestellt ist.
Dies Gesindel also erfüllte mit den Reit- und Lasttieren alsbald den Platz in der Mitte des Dorfes, während die Reiter vor den Landleuten hielten.
Es befanden sich unter jenen mehrere ältere und jüngere englische Offiziere, von dem gewöhnlichen, insolenten Aussehen der Sieger und Herren in den unterjochten Kolonieen, die sich um den Mann gruppiert hatten, dessen Anhalten zuerst den Zug ins Stocken gebracht.
Er war von hoher aristokratischer Haltung und Gestalt, der die Tracht des hirschledernen, mit Seidenstickerei geschmückten, braunen Reise- und Jagdhemds, mit dem breitrandigen, grauen Filzhut nebst den hohen, weichen Reiterstiefeln, etwas Ritterliches verlieh. Dem entsprach auch das Gesicht, gebräunt von der Sonne und den Strapazen eines bewegten Leben, aber von edlen Zügen, die den griechischen Typus zeigten. Der Reiter war offenbar noch ein Mann in seinen besten Jahren und konnte nur wenig die Mitte der Dreißiger überschritten haben.
»Halten Sie an, Gentlemen,« sagte er mit der weichen Aussprache des Englischen, welche den Südländer verriet, »da vor uns liegen Menschen am Boden und unsere Reittiere möchten sie verletzen.«
Der Vorhang eines der Palankine wurde zurückgeschlagen und eine hüstelnde Männerstimme ließ sich hören mit der Frage, ob man Bereits vor dem Landhause angelangt sei? Jetzt hatte sich auch der Verwalter von seinem Schreck über die Worte des Mädchens und die plötzliche Dazwischenkunft des Reisezugs gefaßt und nachdem er den nahestehenden Munsiff mit einem Rippenstoß zugeherrscht, die Herrschaft durch ein Freudengeschrei der Bauern begrüßen zu lassen, eilte er mit dem Hute in der Hand zu dem Palankin des Gebieters.
»Mylord, erlauben Sie mir, mit Ihren getreuen Unterthanen Sie in Ihrem Dorfe zu begrüßen. Die Freude, Sie heute schon hier zu sehen, kann uns allein darüber trösten, daß wir mit den Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfang noch nicht zu Ende sind.«
Die Diener hatten auf einen Wink des Gebieters den Palankin niedergelassen und der Schein des Feuers fiel hell und grell auf die Gestalt des darin Sitzenden.
Sir Lytton Malligham, eines der einflußreichsten Mitglieder des geheimen Rates von Indien und Kanzler der Präsidentschaft Madras, war ein Mann von einigen fünfzig Jahren, der den größten Teil seines Lebens in Indien zugebracht und sich ein kolossales Vermögen erworben hatte. Er war bekannt wegen seines habsüchtigen harten Charakters, dem Mitleid und Großmut fremde Gefühle waren. Da er aber einer der Mächtigsten in der Kompagnie und sein Palast in Madras und Kalkutta berühmt, seine Tafel mit den feinsten Leckerbissen aller Weltteile besetzt, sein Keller der vorzüglichste in den drei Präsidentschaften und sein Stall stets mit dem edelsten Vollblut Arabiens und Englands gefüllt war, so machte natürlich alle Welt ihm den Hof und wen sein Reichtum und sein Einfluß nicht anzog, den fesselte die wirkliche Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin.
Der Rat hatte erst in seinem späteren Mannesalter vor sechs oder sieben Jahren, bei einem Aufenthalt in England, die jüngste Tochter eines freilich sehr verschuldeten Lords mit einem der stolzesten Namen Englands geheiratet, und war bei dieser Gelegenheit von der Königin zum Baronet erhoben worden. Lady Helene ward das Opfer der Spekulation ihres Vaters. Man sagte, daß sie sich mit gebrochenem Herzen in ihr Schicksal gefügt, da sie eine unglückliche Liebe zu einem jungen Kavallerie-Offizier gehegt.
In den letzten Jahren hatte Lady Helene Mallingham sich jedoch auffallend verändert. Ihr Auge strahlte zuweilen von einem ungewohnten Feuer und Glück, ihre Wange bedurfte nicht mehr des zarten Hauchs der Schminke, um frisch und rosig zu erscheinen, und sie gab sich mit sichtlicher Neigung den rauschenden Freuden und Vergnügungen der glänzenden Kreise von Madras hin, während ihr Gemahl, der hier zugleich, wie die meisten Regierungsmitglieder, stiller Besitzer eines der größten Bank- und Handelshäuser war, mit seinen kaufmännischen Geschäften, der Ausbeutung seines großen Grundbesitzes oder den Gouvernements-Angelegenheiten beschäftigt war.
Nur in einem Gefühl begegneten sich fortdauernd die ungleichen Gatten. Das war die Sorge für ihren jetzt dreijährigen Knaben, ihr einiges Kind, an dem der Baronet mit jener übergroßen Zärtlichkeit hing, die sehr häufig ältere Männer für die Frucht einer späten Ehe zeigen.
Das Kind war sehr schön, doch durch die Eltern überaus verzärtelt. Der Stolz und der Reichtum Sir Mallinghams hatte ihm schon in seiner frühen Kindheit eine französische Erzieherin gegeben. Diese war es, welche mit der Aya oder Amme des Knaben in der Haudah des einen Elefanten saß.
Es war auffallend, welchen Einfluß diese Person in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit in der Familie des Baronets gewonnen hatte. Sie hatte es sofort verstanden, jeden Anschein einer dienenden Stellung von sich zu werfen und nahm durch ihre große Weltbildung und die Andeutungen, die sie geschickt über ihre vornehme Geburt fallen ließ, den Platz einer Freundin und Gesellschafterin der Lady ein. Sie nannte sich Marquise Deprevaille und behauptete, aus einer der ältesten, aber verarmten Familien der Auvergne zu stammen.
Sie war um einige Jahre älter als die Lady, schien aber jene Grenze des Alters schöner Frauen, das verhängnisvolle dritte Jahrzehnt noch nicht überschritten zu haben, so ausgezeichnet war wenigstens ihr Aussehen und die Kunst ihrer Toilette.
Sie war überhaupt ein höchst verführerisches Weib; der Ausdruck ihres pikanten Gesichts fein und beweglich, und ihr großes, dunkles Auge feurig. Eine rastlose Unruhe und Beweglichkeit schien in diesem kleinen, zierlichen Körper zu wohnen. Sie besaß bald das Vertrauen der Lady, die volle Herrschaft über das verzärtelte Kind und einen auffallenden Einfluß bei dem Herrn des Hauses, den sie in einer ernsten Krankheit mit unermüdlicher Sorgfalt gepflegt, und dem sie sich dadurch und indem sie allen seinen Launen und eigensüchtigen Gewohnheiten schmeichelte, unentbehrlich gemacht hatte, so daß sie selbst das Recht des freien Eintritts in sein Arbeitskabinett genoß, was nicht einmal der Lady zustand.
Kurz, die Marquise regierte bereits den ganzen Haushalt, und ein großer Teil der Huldigungen der zahlreichen Schmarotzer und Freunde des Nabob fiel ihr zu.
Die Gestalt des Baronet, die der Schein des Feuers und der Fackeln auf den Kissen des Palankin zeigte, war lang und hager, von den Fiebern Indiens aufgezehrt, seine gelbe Lederfarbe bekundete jene Leberleiden, denen so viele Europäer in dem heißen Lande anheimfallen. Dennoch war sein Aussehen weder unangenehm, noch ohne Würde. Der Zug um den Mund prägte einen festen Charakter aus, die hohe, schmale Stirn zeigte Hochmut, und das scharfe Auge Verstand.
»Ah, Master Burton,« sagte der Baronet, »erfreut, Euch zu sehen; ich hoffe, Ihr habt meine Befehle empfangen und alles zu unsrer Aufnahme bereit gemacht. Meine Gesundheit macht den Aufenthalt von einigen Wochen in der frischen Luft der Berge notwendig, und diesen Herren da habe ich eine reiche Jagd versprochen für ihre Begleitung.«
Während der Verwalter, den der Baronet mit dem Namen Burton angeredet, wiederholt seine Freude aussprach, den Grundherrn und seine Familie auf der Zemindarei zu sehen, stimmte die Dorfbevölkerung, von den Peons verstärkt, ein mißtönendes Freudengeschrei an, wozu die Sepoys eine Ehrensalve abfeuerten.
»Laßt gut sein,« befahl der Baronet. »Mylady und Eduard vertragen den Lärm nicht. Ich glaubte, ich würde Euch durch unsre frühe Ankunft überraschen, aber ich sehe, Burton, ich habe mich nicht getäuscht in Euch, Ihr seid auf Eurem Posten. Nur die Landpacht ist in letzter Zeit saumselig beigetrieben worden; wir werden ein ernstes Wort bei den Rechnungen zu reden haben. Sieh dort, da ist ja auch Aly Karam, der Kollektor. Es freut mich, Dich eifrig in Deinem Dienst zu sehen, Mann. Komm morgen zu mir und statte mir Bericht ab aus dem Bezirk.«
Das Zeichen, das er geben wollte zur Fortsetzung des Zuges, wurde durch ein gellendes Jammergeschrei unterbrochen. Der Witwe Baulambal war es gelungen, den Knebel aus ihrem Munde zu stoßen und ihr Schmerzensgeheul erfüllte die Luft.
Zugleich hatte sich Zelima, die Tochter des Ryots, durch die Peons gedrängt und warf sich vor den Palankin auf die Kniee. Das schöne Kind in der dürftigen Hülle, die ihr die mitleidige Hand des Derwisch gereicht, war eine Erscheinung, welche die Augen der Europäer auf sich zog. »Erbarmen, Sahib,« schrie in flehenden Tönen das Mädchen, »Erbarmen bei dem Glauben Deines weißen Gottes und der heiligen Mariam für mich und meinen unglücklichen Vater!«
Die Vorhänge des zweiten Palankins wurden aufgerissen und zwischen den Fakten erschien das bleiche, schöne Gesicht der Lady. »Was geht hier vor, Sir Lytton, was ist geschehen? Um Gotteswillen, meine Herren, befreien Sie mein Ohr von diesem entsetzlichen Geschrei!«
Der Baronet, welcher aus der Gegenwart des Steuereinnehmers ahnen mochte, was geschehen, befahl vorwärts zu reiten, aber das Hindumädchen, jetzt durch ihre Mutter unterstützt, lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und schrie, daß die Pferde und Elefanten über ihre Leiber weggehen sollten, wenn man sie nicht erhöre.
»Was ist mit den tollen Weibern,« herrschte unwillig der Baronet zu dem Verwalter, »was wollen sie und was bedeutet das Geschrei?«
Dies war bereits in ein dumpfes Wimmern verstummt. Der hohe Mann im Jagdhemd war mit einem der jüngeren Offiziere sofort vom Pferde gesprungen und nach der Hütte geeilt, woher es erklungen. Sie trugen jetzt auf ihren Armen die unglückliche Frau herbei.
Ihre Arme hingen schlotternd herab, sie waren Aktenmäßige Thatsache aus den Gelenken gerissen und gebrochen, die Brüste auf das Entsetzlichste zerquetscht.
»Gerechtigkeit, Sahib, Rache an diesem Bösewicht!« schrie die Frau, als ihre Befreier sie dicht vor dem Palankin niedergelassen, indem ihre Augen Feuer zu sprühen schienen auf den Kollektor. »Möge die Devy mit tausend Martern seine blutige Seele peinigen; Gerechtigkeit gegen ihn, wenn Du ein Richter bist in diesem Lande, ich klage ihn an auf Raub und Gewaltthat!«
»Fort mit Dir, Weib,« zürnte unwillig der Zemindar, »kein Richter wird solche unsinnige Klage annehmen, die gegen eine respektable Person im Amt gerichtet ist. Diese Antwort auf die gerichtliche Klage der Mißhandelten ist gleichfalls Thatsache. Schafft das Weib beiseite!«
Der Fremde griff zornbleich nach dem Jagdmesser an seiner Seite, als auf einen Wink des hohnlächelnden Kollektors die Peons die unglückliche Frau beiseite stießen, aber ein leiser, warnender Ruf in italienischer Sprache, der aus der Haudah des Elefanten hinter ihnen kam, ließ ihn sich fassen, und mit ingrimmig zusammengepreßten Lippen warf er der Armen seine Börse in den Schoß und wandte sich ab von dem traurigen Anblick.
»Nun rasch; was ist hier vorgefallen?« befahl der Grundherr.
»Möge Dein Schatten lang sein, Herr,« berichtete der Deputy-Collector. »Die Bewohner dieses Dorfes sind schlimme Zahler und die Steuern vom letzten Termin schuldig, obschon die Ernte gesegnet war. Die Schurken weigerten sich, ihre Schuld zu zahlen, und jenes Weib hatte freche Reden im Munde.«
»Aber mein Vater ist keine Steuern schuldig – er ist ein freier Ryot und sitzt auf seinem Erbe,« schrie Zelima dazwischen. »Man wollte ihn zwingen für einen andern zu zahlen, und weil er sich weigerte, spannte man ihn ins Annundal. Habe Erbarmen mit uns, Herr!« Ihre zitternde Hand wies nach dem lebenden Klumpen, der eine Menschengestalt barg.
Die Lady schauderte. »O Sir, üben Sie Mitleid mit den Unglücklichen,« bat ihre liebliche Stimme.
»Es ist der störrische Bauer, der sich weigert, sein Land für schweres Geld zu verkaufen, das mitten zwischen Ihren Feldern am Ufer des Flusses liegt,« berichtete der Verwalter. »Wir straften ihn, weil er lästerliche Reden führte, und das Volk zum Aufruhr gegen den Steuererheber aufrief, so daß nur die Flinten der Sepoys größeres Unheil verhüteten.«
»Steht es so?« sagte der Rat finster; »dann muß ein strenges Beispiel gegeben werden. Laßt den Kerl im Block, und morgen soll er den Gerichten übergeben werden. Das Gesindel wird zu übermütig.«
Die Frau des Verunglückten, die nur grimmige, feurige Blicke auf seine Feinde schoß, schrie auf im Jammer, da sie Englisch genug verstand, um den Inhalt des Befehls zu begreifen. »Allah erbarme sich unser! Was soll aus mir und diesem unglücklichen Mädchen werden, die man schon mit dem Schlimmsten bedroht hat, da ihr der Schutz des Vaters fehlte!«
Die Lady hatte die Klagen der Frau teils verstanden, teils erraten, da sie in schlechtem Englisch vorgebracht worden, um das Mitleid ihres Gebieters zu erregen.
»Das Mädchen gefällt mir,« sagte Lady Mallingham. »Sie soll uns zur Cottage begleiten und die Stelle der Dienerin einnehmen, die unterwegs erkrankt und zurückgeblieben ist. Sorgen Sie dafür, Sir – und nun lassen Sie uns weiter, denn diese traurigen Scenen greifen meine Nerven allzusehr an, und Eduard wird gleichfalls der Ruhe bedürfen.«
Ihre feine, behandschuhte Hand ließ den Vorhang los, ihr schönes Gesicht verschwand hinter der Gardine, während sie noch einen flüchtigen, aber ausdrucksvollen Blick nach der Gruppe der Reiter geworfen.
Der jüngste der Offiziere, ein schlanker, junger Mann, mit krausen Blondhaar und unternehmendem Aussehen, in der Uniform der leichten Dragoner, hatte diesen Blick aufgefangen und erwidert.
»Laßt diese Dirne sich der Dienerschaft anschließen, Burton,« befahl mißlaunig der Nabob. »Da Mylady es einmal will, mag es geschehen, obgleich wir des faullenzenden Gesindels wahrhaft genug haben; und nun vorwärts, meine Herren, damit wir an Ort und Stelle kommen!«
Der Zug setzte sich in Bewegung und schritt über den Platz weiter, die Schobedars voran. Burton, der Verwalter, war, ehe er zu der Cottage oder dem Landhause des Herrn vorauseilte, einen Augenblick zur Seite getreten und hatte seinem würdigen Genossen, dem Kollektor, seine Instruktionen gegeben. Die Blicke der beiden, auf Zelima gerichtet, bekundeten genugsam, daß von ihr die Rede sei.
Das zeigte sich auch bald, denn während der Troß der Dienerschaft im langen Zug den Elefanten und Dromedaren folgte, trat der Kollektor zu dem Mädchen und ihrer Mutter.
»Die Zunge der Weiber bringt sie ins Verderben,« sprach er rauh, »aber das Glück hält seine Hand über ihnen. Komm denn, Du Närrin, die Du des Segens nicht wert bist, den Allah über Dich ergießt. Ich werde Dich zu den Bungalows begleiten und Dich den Personen übergeben, die für Dich sorgen wollen.«
Das Mädchen sah ihn zornig und verächtlich an, indem sie sich in die Fetzen ihres zerrissenen Schleiers zu hüllen suchte.
»Zurück!« sagte sie, »ich gehe nicht mit Dir!«
»Maschallah! Du willst doch nicht die Gnade von Dir stoßen, die Dir geworden, Thörin? Wenn das Ohr der Gebieterin Dir offen steht, so ist es der einzige Weg, den Rebellen, Deinen Vater, zu retten! Vorwärts! Dirne, oder ich will Dir beweisen, was es heißt, Ali Karam, dem Kollektor der Regierung, in den Bart zu lachen!«
Er faßte sie rauh am Arm und wollte sie, trotz ihres Widerstrebens, mit sich fortziehen, als der Schlag einer starken Hand ihn zurückstieß, und ein Reiter sich zwischen ihn und die Jungfrau drängte.
»Fort mit Dir, Spitzbube,« sagte eine drohende Stimme, »fort oder ich schlage Dir den kahlen Schädel ein. Dieser Mann hier,« der Reiter – es war der stattliche Mann in dem braunen Jagdhemd – wies auf den Derwisch, »hat mich zu Deinem Beistand gerufen, Mädchen, indem er mir erzählte, wie schändlich man mit Dir umgegangen. Ich werde Dich schirmen gegen die Buben, bis ich Dich einem geeigneten Schutze übergeben kann, aber ich halte es für das Beste, daß Du den, wenn auch schlimm gemeinten Worten des Schurken dort folgst; die Fürsprache der Lady mag in der That Deinem Vater Hilfe bringen.«
Das Mädchen sah mit den großen braunen Augen zu ihm auf: »Du bist ein Fremdling, aber ich vertraue Dir. Du und jener fromme Mann sind die einzigen Freunde, die wir in unserer Not gefunden. Aber ich möchte meinen Vater nicht in seinem Unglück und in den Händen seiner Feinde lassen!«
»Ich werde bei Deiner Mutter bleiben, Kind,« sagte der Derwisch, »und mit Allahs Hilfe Mittel finden, die Bande Deines Vaters zu erleichtern. Geh' getrost mit jenem Mann, wenn er auch ein Christ ist und zu den Faringis gehört. Er wird Deine Unschuld schützen, so gewiß er auf den Stein von Sanct Helena geschworen!«
Der Reiter fuhr zusammen bei den Worten, wie vorhin der Verwalter bei der Nennung des Namens Slingsby. Aber als er hastig sein Pferd wandte und den Fakir befragen wollte, war dieser bereits im dunkeln Schatten der Moschee verschwunden.
Wenige Augenblicke noch hielt der Reiter im forschenden Umherschauen auf dem Platz, da aber alles Suchen vergeblich war, wandte er sich wieder zu dem Mädchen, empfahl ihr, die Hand an seinen Steigbügel zu legen und folgte nachdenkend mit ihr dem schon in der Ferne verhallenden Geräusch des Zuges.
Zwei Tage waren vergangen.
Auf den Wunsch der Lady, der ihr Gemahl nur selten widersprach, war die Anklage gegen Caulathy Mudaly unterdrückt und er selbst am Morgen nach der Ankunft des Zemindars von seinen entsetzlichen Fesseln befreit worden. Dagegen hatte ihm der Verwalter angekündigt, daß zur Strafe das Feld am Ufer konfisziert worden sei, und ohne Rücksicht hatten Arbeiter die noch in der Reife begriffene Ernte zerstört, um dort die beabsichtigte Mühle zu bauen.
Der Beraubte hielt sich finster zu Hause, er kümmerte sich nicht mehr um die kleine Wirtschaft, die er sonst mit großem Fleiß besorgt, und seine einzige Gesellschaft war der Derwisch, der bei ihm geblieben, und mit dem er stundenlang eifrige Gespräche führte.
Der Fremde, der sich seiner Tochter angenommen, war, wie man im Dorfe bald vernahm, ein Verwandter der Marquise, der Gesellschafterin der Lady, und der Agent einer großen Turiner Seidenmanufaktur, Namens Maldrigi. Früher Offizier in sardinischen Diensten, war er von den Engländern von vornherein mit etwas geringerem Hochmut aufgenommen und geduldet worden, als sie ihn sonst gegen Civilisten und Fremde zu zeigen pflegen, und sehr bald hatte der Sarde es durch seine Persönlichkeit erreicht, von ihnen mit unbedingter Hochachtung und Gleichstellung behandelt zu werden.
Dieser Major Maldrigi hatte den Derwisch schon am andern Tage aufgesucht aber geschickt hatte dieser verstanden, dem Besuch auszuweichen, und war, so oft der Major erschien, nicht zu finden.
Die Cottage, welche die Gesellschaft des Baronets bewohnte, bestand aus einer Reihe von Gebäuden. Auf der Höhe des Hügels, zunächst dem Dorf, erhoben sich die Wirtschaftsgebäude und Bungalows, lange, einstöckige und niedere Steingebäude mit Rohr gedeckt, die zur Wohnung der Beamten und der Dienerschaft dienten und durch einen ziemlich weiten Raum und hohe Hecken von schönen Akazien von den Pavillons der Herrschaft getrennt waren. Diese lagen nach der Seeseite, am Abhang desselben Hügelrückens, umgeben von prächtigen Mangowäldchen, und bestanden aus einer Reihe teils verbundener, teils einzeln stehender Kiosks von der zierlichen Bauart des Orients aus Holz und Rohr, im Innern mit allem Luxus europäischer Civilisation und indischer Üppigkeit geschmückt. Hier genoß man eine reizende Aussicht und köstliche, in diesem Klima höchst erfrischende Luft. Weiter hin ragten von der Spitze eines von Tamarinden verdeckten Hügels die Kronen majestätischer Palmen und glänzte der vergoldete Knopf eines chinesischen Sommerhauses, dessen Einsamkeit die Lady zu ihrem Lieblingsaufenthalt erkoren hatte.
Der erste Schimmer der dritten Morgenröte dämmerte, als sich auf dem mit tausend Blumen übersäten Platz vor der Cottage des Nabob die Gesellschaft seiner Gäste zu einem Jagdzuge ins Innere des Landes versammelte.
Die Elefanten mit ihren Haudahs, darin die Büchsen und Flinten der Jäger, standen bereit, die Pferde stampften ungeduldig den Boden und eine Unzahl Treiber und Diener beschäftigte sich mit den Anstalten zum Aufbruch, dem Aufladen von Jagdzelten auf Packochsen und hundert anderen Dingen, wie sie zur Bequemlichkeit eines englischen Jagdzuges nötig sind.
Der Nissam, der Fürst von Heiderabad, hatte den Baronet zu einer Elefantenjagd in den Wäldern und Teichen an der Grenze seines Gebiets eingeladen, und Hunderte von Bauern und Jägern waren bereits an jener Stelle versammelt, um das Wild aufzusuchen und das Jagdlager zu errichten. Das Jagdrendezvous war lange vorher bestimmt, und Sir Mallingham hatte die Einladung schon in Madras angenommen, war aber jetzt durch Unwohlsein verhindert, sogleich mit aufzubrechen, wollte vielmehr erst in einigen Tagen die Cottage verlassen und nachkommen, während sich seine Gesellschaft einstweilen auf der Jagd an dem zahlreichen Wild der Dschungeln ergötzen sollte, denn solche Jagdpartieen dauern oft mehrere Wochen.
Jetzt stand er vor der Thür des Pavillons, den er bewohnte, von seinen Gästen Abschied nehmend und ihnen noch einige Aufträge an den Nissam erteilend. Die matte, erschlaffte Miene zeigte, daß sich der reiche und mächtige Mann nur ungern so früh von seinem Lager getrennt und den Abschied so sehr als möglich zu beschleunigen wünschte.
»Es ist fatal,« sagte er, »daß der Mensch, welcher als der beste Jäger und geschickteste Spürer gilt, dieser Caulathy Mulady, selbst durch eine Belohnung nicht zu bewegen war, Sie zu begleiten. Er behauptet, durch das Bißchen Züchtigung, die ihm verdientermaßen geworden, so krank zu sein, daß er die Glieder nicht rühren kann. Nun, ich werde den Burschen selbst mitbringen, wenn ich nächsten Donnerstag aufbreche, verlassen Sie sich darauf. Ich hoffe, Sie werden uns einiges Wild übrig lassen. Leutnant Eglinton, es ist doch etwas gewagt, daß Sie solchen Strapazen Ihren prächtigen Renner aussetzen wollen. Man sagte mir, daß ›Rookeby‹ Ihnen beim letzten Rennen in Madras tausend Pfund in Wetten und Preisen eingebracht habe.«
Der junge Dragoneroffizier, den er anredete, und der derselbe war, der mit dem Major die unglückliche Witwe von ihrer Marter befreit hatte, antwortete: »Ich muß das Pferd an die Strapazen des Feldlagers gewöhnen, Sir. Ich glaube nicht, daß Rookeby länger imstande ist, mit Glück das Feld zu behaupten und habe ihn daher zum Campagnepferd bestimmt.«
»Nun, wie Sie wollen, Sir, ich biete Ihnen nochmals zweitausend Pfund dafür, aber ich werde mich hüten, das Gebot zu wiederholen, wenn wir von dem Jagdzug zurückkommen. Aber nun, meine Herren, in die Haudahs oder die Sättel – es streicht ein scharfer Wind durch die Berge, und wir Männer von der Feder und vom grünen Tisch sind nicht abgehärtet dagegen, wie Sie. Also – gute Reise und glückliche Jagd. Erinnern Sie sich bei dem Aufbruch aber gefälligst, daß Mylady noch in ihrem Morgenschlummer liegt, und ich ihre Migräne den Tag über allein zu tragen haben werde, wenn sie gestört wird.«
Er verbeugte sich höflich und kehrte in seine Gemächer zurück, während die Jäger sich auf die Pferde schwangen oder die Elefanten bestiegen und der älteste Schobedar das Zeichen zum Abmarsch gab.
Der Schlaf der Lady schien aber dennoch gestört; denn als zufällig Major Maldrigi hinübersah nach dem Pavillon, wo, wie er wußte, das Schlafgemach der Dame lag, sah er den Vorhang sich leicht bewegen, und glaubte zwischen den Spalten der Jalousieen einen Augenblick lang eine feine weiße Hand, gleichsam zum Abschied, sich bewegen zu sehen. Als er schärfer hinsah, war sie verschwunden, auf dem Antlitz des jungen Dragonerleutnants aber bemerkte er eine flammende Röte, und verlegen beugte dieser sich nieder auf die Mähne seines Pferdes, als sein Auge dem ernsten Blick des Sardiniers begegnete.
Nach und nach verklang das Geräusch des Zuges und Stille und feierliche Ruhe herrschte wieder ringsumher.
Es war um die Mittagszeit – die Hitze entsetzlich. Der Monsoon, der heiße Seewind aus dem Süden hatte während des ganzen Vormittags geweht, und die Natur selbst schien ermattet, lechzend nach einem kühlen Hauch.
Kein Europäer ließ sich blicken, und auch die Indier hatten jede Arbeit im Freien eingestellt und hielten sich innerhalb ihrer Hütten – selbst das Gekreisch der Papageien, das Geschrei der Affen war verstummt in dieser jede Bewegung lähmenden feurigen Atmosphäre.
Aber nein, nicht alles Lebendige ruhte: zwei Wesen trotzten der furchtbaren Sonnenglut und der verzehnfachten Anstrengung, und merkwürdiger Weise war das eine derselben ein Europäer, ein Engländer, das andere sein Pferd.
Im Galopp kam der kühne Reiter von den Bergen im Westen her, sorgfältig bemüht, zwischen sich und der Cottage den verdeckenden Zug der Hügel zu halten, oder wenigstens den Schutz der Bäume und Hecken zu haben.
Es war einer der Jäger, die vor Sonnenaufgang ausgezogen waren; es war der junge Dragoner-Offizier, Leutnant Eglinton, auf seinem Renner »Rookeby«, den er dem Nabob nicht für zweitausend Pfund verkaufen wollte, obschon das Pferd in der That sein einziges Besitztum von Wert war.
Aber wie sahen Roß und Reiter aus!
Weißer Schaum bedeckte die Flanken des Tieres, die heftig auf und niederwogten, dazwischen zeigten sich breite Streifen von Blut, die Spuren der scharfen Sporen des Reiters der das Tier zu dem Laufe gezwungen; die Nüstern waren weit geöffnet, die Augen schienen von blutigen Adern durchzogen.
Wenn der Reiter einen Augenblick im Galopp anhielt, um sich zu orientieren, und eine möglichst verborgene Richtung zu nehmen, dann schien das edle Tier zu schwanken wie ein Betrunkener.
Man sah, daß es bald am Ende seiner Kräfte war.
Aber wiederum stachelte es das Eisen des Reiters und trieb es weiter.
Diesen selbst schien nur ein unbezwinglicher Wille, ein alles überwältigender Gedanke aufrecht zu erhalten. Er hatte die zusammengebrochenen Stücke eines Pisangblattes gleich einem großen Schirm und Hut über seinen Kopf gebunden, und das weite weiße Leinentuch, das den Nacken schützte, flatterte im Luftzuge. Ebenso vermummt waren seine Hände. Trotz dieser Vorsicht mußte er entsetzlich gelitten haben. Sein sonst ziemlich weißes feines Gesicht war dunkelrot und in Schweiß gebadet, sein Atem, gleich dem seines Pferdes, ein Keuchen.
Er hatte sich fortgestohlen von dem ersten Lagerplatz der Jagd-Gesellschaft, unter irgend einem Vorwand, vielleicht, um die Ruinen einer alten Mahrattenburg näher zu beschauen. Die meisten seiner Gefährten schliefen ja während der heißen Stunden und kümmerten sich nicht einer um den anderen. Und wer hätte ein so wahnsinniges Unternehmen für möglich gehalten.
Nur der Sardinier hatte den jungen Mann beobachtet, seine Unruhe bemerkt, gesehen, wie genau er auf die Richtung des Weges achtete und wie er sie häufig mit dem Miniatur-Kompaß verglich, der an seiner Uhrkette hing.
Aber er hatte seinen Willen durchgesetzt, und jetzt schien er am Ziel angekommen zu sein. Er war am Rande des Tamarindenhains, der den Palmenhügel umgab, auf der entgegengesetzten Seite der Cottage. Hier hielt er sein Pferd im Schatten der weitgestreckten Äste an und stieg ermattet ab.
Das Pferd, sobald es von seiner Last befreit war, stürzte in die Kniee und warf sich auf die Seite.
»Armer Rookeby, braves Tier,« sagte der junge Offizier, indem er den Sattelgurt lockerte und das Kopfzeug ihm abnahm, »o, wenn Du das überstehst, bist Du das beste Pferd in ganz Indien. Was ich thun kann, Dich zu erfrischen, soll geschehen.«
Er hatte die Stelle nicht ohne Absicht gewählt. Etwa fünfzig Schritt entfernt, im Schutz der Mangrovebüsche, sprudelte eine kleine Quelle aus der Hügelwand. Der junge Offizier hatte sich seiner seltsamen Umhüllung entledigt, er nahm seinen schönen Panamahut von jenem Geflecht, das so fein ist, daß kein Wasser durchzudringen vermag, in die Hand, um sich seiner als Gefäß zu bedienen und schritt zur Quelle.
Plötzlich schreckte er zurück und fuhr mit der Hand nach seiner Brusttasche.
An der Quelle ruhte unter den Büschen ein Mann, halb erhoben, den Kopf in die Hand gestützt, und seine dunklen Augen beobachteten das Thun des Faringi.
Der junge Offizier hatte sich jedoch bald wieder beruhigt, er ließ den Griff seines Revolvers los, den er gefaßt, er sah, daß der Mann zu den Eingeborenen gehörte, und er begriff nach seinen Erfahrungen, daß ihm keine Gefahr von jenem drohe, ja daß es leicht sein werde, seine Hilfe und sein Schweigen zu erkaufen.
Überdies schien ihm das Gesicht des Mannes nicht ganz unbekannt.
»Höre, Freund,« sagte der junge Dragoner in schlechtem und gebrochenem Hindostanisch zu dem Fremden, der bisher unbeweglich geblieben. »Du kannst mir einen Dienst leisten und sollst gut belohnt werden. Mein Pferd ist unter mir zusammengebrochen, erschöpft von der entsetzlichen Hitze. Hilf mir, einiges Wasser zu ihm tragen und es abreiben, sonst fürchte ich, verendet das Tier.«
Der Derwisch, denn es war der Gast Caulathy Mudalys, den Eglinton hier getroffen, erhob sich schweigend, füllte seine Kürbisflasche an dem Brunnen mit frischem Wasser und schritt dem Offizier voran zu der Stelle, wo das Pferd lag.
»Nur ein Narr oder ein Verliebter kann so reiten,« sagte er mit hindostanischem Accent auf Englisch. »Das Tier ist dem Tode verfallen, wenn keine Luft in seine Lungen kommt.«
Ohne sich um den erstaunten Besitzer zu kümmern, kniete er nieder, zog ein kleines Messer aus der Tasche von Schakalsfell, die er an seiner Seite trug, befühlte mit sachkundiger Hand den Hals des Pferdes und stieß dann die Spitze des Messers in die Stelle, die er zwischen seinen Fingern hielt.
Das Blut sprang in einem roten Bogen. Das edle Tier schnaubte, fühlte sich aber offenbar bald erleichtert, hörte auf zu zucken und blieb ganz ruhig liegen.
»Nimm ihm den Sattel vollends ab, oder Du wirst es nie wieder besteigen,« sagte der Derwisch in rauhem, befehlendem Ton. Dann, ohne sich darum, ob seine Weisung befolgt werde, oder um den Fluß der geöffneten Ader zu bekümmern, faßte er mit beiden Händen das Gebiß des Pferdes, drückte es fest zusammen, legte den Mund an seine Nüstern und blies lange und wiederholt hinein.
Die Brust des Tieres schien aufzuschwellen, ein Gurgeln ließ sich in seiner Kehle hören, endlich entriß es mit kräftigem Ruck seinen Vorderkopf den Händen des Fakirs und ein langes, kräftiges Schnauben verkündete, daß die Cirkulation des Atems durch die Bluterleichterung wieder vollkommen hergestellt war.
»Jetzt,« sagte der Derwisch, »geh' Deinen Geschäften nach, wegen deren Du dies edle Roß fast dem Tode überliefert. Wenn Du zurückkehrst, wirst Du es frisch und kräftig an den Stamm jener Tamarinde gebunden finden. Ein anderesmal aber, eigensüchtiger Christ, bedenke, daß Allah das Leben allen Geschöpfen gegeben hat, und daß die Vorsicht, die Du zur Wahrung Deines Hauptes vor dem glühenden Strahl seiner Sonne gebraucht hast, auch dem Leben Deines stummen Dieners gebührt hätte.«
»Es ist wahr,« sagte beschämt der junge Mann, »ich dachte nicht daran. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, Mann, und wirst mir noch einen größeren erweisen, wenn Du keinem Menschen sagen willst, daß Du mich hier gesehen. Ich erinnere mich Deiner aus der Nacht unserer Ankunft, Du bist einer der Bewohner des Dorfes. Nimm diese Guinee und Du sollst eine zweite erhalten, wenn Du mein Pferd mir hier sicher verwahren willst, bis ich zurückkehre, und es nötigenfalls vor fremden Augen verbirgst. Ich habe etwas in der Cottage vergessen und möchte niemand durch meine Rückkehr stören.«
»Behalte Dein Geld,« entgegnete rauh der andere, indem er die geschlagene Ader des Tieres kunstgerecht schloß, » Sofi verachtet alles Geld der Faringi. – Nimm Dich vor den Augen Deiner Brüder in acht; mich kümmert nicht, was Du in dem Hause des geizigen Zemindars zu thun hast.«
Ohne weiter auf den Engländer zu achten, begann er das Pferd mit Blättern und Gras abzureiben, kühlte seine Schläfe und seine Brust mit Wasser und wusch ihm Nüstern und Mund aus.
Leutnant Eglinton, ohnehin von dem Wunsch gedrängt, fortzukommen, sah ein, daß er dem seltsamen Helfer ohne weiteres Versprechen vertrauen müsse; so wandte er sich zu der Quelle, wusch dort Hände und Gesicht, ordnete seine Kleider und verschwand dann in den Gebüschen, quer durch Gehölz und Buschwerk emporsteigend nach der Spitze des Hügels.
Der Derwisch sah ihm spöttisch nach, dann setzte er eine kleine Schilfpfeife an die Lippen und entlockte ihr einen hellen Ton, der wie der Schlag einer Wachtel klang.
Einige Augenblicke darauf wurden die Zweige der Mangroven auf der entgegengesetzten Seite zurückgebogen und das braune Gesicht Caulathy Mudalys erschien zwischen ihnen.
»Hast Du den Faringi gesehen?«
»Hat Caulathy die Augen eines Jägers oder ist er ein Maulwurf?« war die Gegenfrage.
»Wohl! so folge ihm und berichte mir, wohin er geht!«
Der Ryot machte das Zeichen der Bejahung und verschwand wie der Engländer in den Büschen, während der Derwisch fortfuhr, sich mit dem Pferde zu beschäftigen und es vorsichtig tränkte.
Eine halbe Stunde mochte verflossen sein, als die Zweige aufs neue heftig auseinandergerissen wurden, und die Gestalt des Indiers auf den freien Platz sprang.
Seine gelbe Bronzefarbe hatte sich in schmutziges Grau verwandelt, die Augäpfel standen weit hervor, der Mund war geöffnet, ein tödlicher, entsetzlicher Schrecken drückte sich in allen Mienen und Gebärden aus.
Noch vermochte er nicht zu sprechen, als der Derwisch ihn am Arm schüttelte.
»Inshallah! Mensch, rede! sprich! was ist geschehen?«
Der Hindu deutete entsetzt nach oben, seine Lippen bewegten sich endlich mit Mühe und stammelten ein einziges Wort.
In dem Gemach, in dem der Nabob seine Siesta hielt und die heißen Stunden des Tages verbrachte, herrschte ein mildes Halblicht, durch die geschlossenen Jalousieen und niedergelassenen Gardinen hervorgebracht.
Der reiche Mann hatte seine gewöhnliche Kleidung mit einer weiten, leichten Tracht von weißem Zeug vertauscht, in der er auf den Roßhaarkissen des Diwans ruhte, die Hukah zwischen den schmalen Lippen, während ein in gelben indischen Musselin gekleideter Negerknabe die Kohlen auf dem persischen Tabak glühend erhielt und ein anderer Diener, der Tschauri-Bedar, die Panka, den über dem Ruhebett von der Decke frei schwebenden großen Baumwollenschirm, mit einem Bambusstabe in drehende Bewegung setzte, so daß ein fortwährender Luftzug im Zimmer entstand. Zur Abwechselung ergriff der Diener auch den in goldenem Stiel gefaßten Wedel mit dem Schwanz der langhaarigen Kühe von Nepal, und verscheuchte die unglückliche Fliege, die es gewagt hatte, dem Gebieter zu nahe zu kommen.
Dessen Hand hielt ein Blatt der Times und hob es zuweilen zur Höhe der Augen, um diese einige Momente auf den Zeilen ruhen zu lassen, sank aber bald wieder nieder, ja selbst die Lippen waren oft zu träge, das Mundstück des Wasserrohrs zu halten und ließen es entschlüpfen.
Auf den Fußspitzen, gleich als dürfe er die Ruhe des Gebieters nicht stören, schlich der Knabe dann herbei, hob das Rohr auf, tauchte die Spitze in eine Schale mit Rosenwasser und steckte sie wieder zwischen die Lippen des Herrn.
»Goddam!« stöhnte dieser, »es ist eine Hitze heute zum Ersticken und will gar nicht enden. Wie viel Grad, sieh' nach Kuleini?«
Die Worte kamen langsam, wie abgebrochene Laute aus dem Mund; der reiche, mächtige Mann scheute selbst die Anstrengung des Sprechens.
»Ich werde den Serdar fragen,« sagte der Diener. »Es ist sein Amt.« Die indischen Diener wachen sorgfältig darüber, daß keiner das Geschäft des anderen versieht.
»Schurke! – das Thermometer hängt dicht hinter Dir an der Jalousie. Den Augenblick sieh nach oder ich lasse Dir die Bastonade geben.«
Der Diener ging zögernd nach der Stelle, wo das Thermometer hing. Er besah ihn von oben bis unten und kam dann zurück.
»Verzeih', Sahib, aber ich könnte die Zeichen falsch deuten!«
»Dummkopf!« murmelte der Rat, indem er sich auf die andere Seite warf. »Das hättest Du gleich sagen sollen! Frage den Serdar. Wer ist im Vorzimmer?«
»Aly Karam, der Deputy-Collector, Sahib. Er will den Staub zu Deinen Füßen küssen, ehe er weiter reist.«
»Laß ihn herein kommen.«
Der Tschauri klopfte mit einem Silberstäbchen an eine Glasglocke, worauf ein anderer Diener durch die Thür eintrat. Diesem sagte der erste den Befehl des Herrn, worauf derselbe die Thür nochmals öffnete und dem harrenden Kollektor winkte, einzutreten.
Der Tschauri hatte unterdes das Thermometer abgenommen und trug es hinaus, um von seinem Vorgesetzten nachsehen zu lassen, wie hoch das Quecksilber stand.
Als er zurückkam, meldete er 103 Grad. Fahrenheit (fast 32° Reaumur). In England und Amerika ist die Fahrenheit Skala noch heute die gebräuchliche.
Der Steuereinnehmer nahte unterdes mit tiefen Verbeugungen.
»Möge Dein Schatten niemals geringer werden, o Sahib-Sahib,« sagte er demütig. »Ich komme, um mich bei Dir zu beurlauben, ehe ich mit den Sepoys herunterziehe zu den Dörfern am Ufer des Gandlagama. Ich bitte Dich, mir Deine Huld zu erhalten und an Deinen Knecht zu denken.«
»Hast Du die rückständigen Steuern sämtlich einbekommen?«
»Ich habe mit Deinem Verwalter Abrechnung gehalten,« berichtete der Kollektor, »es fehlen noch fünfzehn Rupien an der Landpacht und den Salzgeldern, aber, Deine Zehnten sind bis auf wenige Anahs in Ordnung. Wir haben vier der Hartnäckigsten die Zugochsen verkaufen müssen, obschon sie sagten, sie könnten ohne deren Hilfe die Ernte nicht einbringen.«
»Die Kerle werden sich schon irgendwo andere stehlen. Es muß auf Ordnung gehalten werden. Ich fürchte, Aly Karam, Du bist zu nachsichtig in Deinem Geschäft; man darf mit dieser Brut kein Mitleid haben.«
»O Sahib-Sahib,« rief der Steuerempfänger, »lasse die schlimme Wolke Deines Mißtrauens nicht über dem Haupte Deines Dieners. Ich habe seit acht Tagen vierundzwanzig Männer und Weiber ins Annundal sperren und wohl dreißig die Kittie geben lassen müssen, so verstockt sind diese Bursche. Ich brauche Deine Gunst, wie die Pflanze den Tau! Warum sollte ich lässig sein? – Ich habe gehört, daß die Stelle des Kollektors im Bezirk nächstens erledigt werden soll. Wenn der Strahl Deines Wohlwollens auf mich fiele – ich wäre ein glücklicher Mensch und würde gern tausend Rupien zu Deinen Füßen legen!«
»Ich fürchte, es wird nicht gehen; die Kollektorstellen werden gewöhnlich nur mit Europäern besetzt!«
»Ich weiß, was ich bin, nichts, ein Hauch, ein Ding ohne Wert, aber ich bin ein ergebener Mann und kenne den Dienst! Ich glaube, daß ich dreitausend Rupien beschaffen kann und bitte Dich, einstweilen diesen Ring anzunehmen für das Fehlende an den Steuern des Dorfs.«
Er legte den kostbaren Smaragd, den er dem armen Munsiff genommen, auf einen Tisch, der zu den Füßen des Ruhebettes stand.
Der Ring war nicht 500 Rupien, wie der darin unerfahrene Verwalter ihn geschätzt, sondern mindestens das Fünffache wert.
In diesem Augenblick klopfte es leise an eine Seitenthür zu Füßen des Diwans. Sie wurde halb geöffnet und die feine Gestalt der Marquise von Deprevaille erschien auf der Schwelle.
»Verzeihung, Sir, ich hoffte, nicht zu stören; und ich ziehe mich zurück.«
Der Nabob machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben. »Madame, ich bitte, bleiben Sie; Sie wissen, daß Sie mir stets willkommen sind. Wir werden über die Angelegenheit weiter sprechen, Aly Karam, wenn ich nach Madras zurückgekehrt bin. Einstweilen bemühe Dich, Deinen Dienst gut zu versehen und hüte Dich vor jeder thörichten Nachsicht. Das Gesindel verdient sie nicht und die Kassen der Kompagnie brauchen ihr Geld.«!
Der Steuereinnehmer entfernte sich rückwärts schreitend unter demütigen Verbeugungen.
Die junge Witwe, denn eine solche war die Marquise nach ihrer Angabe, war näher getreten, und als der Baronet die Bewegung wiederholte, sich höflich zu erheben, eilte sie an seine Seite und ihre reizende kleine Hand drückte ihn selbst auf das Lager zurück.
»Ich bitte, Sir, wenn meine Gesellschaft nicht zudringlich erscheinen soll, keine Störung in Ihrer Ruhe und Bequemlichkeit! Da ich unsern lieben Eduard nicht bei mir haben konnte und mich heute weniger angegriffen von der Hitze fühle, kam ich auf den Gedanken, Ihnen meinen Besuch zu machen und Sie zu fragen, ob ich Ihnen die Zeitungen vorlesen soll.«
Der Rat lächelte halb freundlich, halb schmerzlich. Die Aufmerksamkeit that ihm wohl und zugleich erinnerte er sich, daß seine Frau, die vornehme Dame, nie daran gedacht hatte, ihm eine ähnliche Freundlichkeit zu erweisen.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Madame,« sagte er höflich. »Ihre Güte bleibt sich immer gleich, aber ich kann Sie bei dieser Atmosphäre unmöglich ermüden mit den Debatten des Parlaments. Lassen Sie uns plaudern, Madame, ich vergesse meine Leiden und meine Sorgen stets in Ihrer Gesellschaft. Einen Sessel für die Frau Marquise!«
Die Marquise spielte mit den Zeitungsblättern, die dem Baronet entfallen waren, gleich als erwarte sie eine Frage, die auch nicht ausblieb.
»Sie sagten, Madame,« wandte der Nabob sich zu ihr, »daß Eduard nicht bei Ihnen sei. Darf ich fragen, warum nicht, und wo er sich befindet? Sie wissen, wie ruhig ich bin, wenn ich ihn unter Ihrer Obhut weiß.«
»O, ohne Besorgnis, Sir! Mylady hat den Knaben zu sich in den Kiosk auf dem Palmenhügel holen lassen, wo sie ihre Siesta zu halten pflegt. Mylady will gewiß des Knaben Gegenwart mit mütterlicher Zärtlichkeit genießen, darum hat sie ihre Dienerinnen entfernt.«
Der Baronet sah aus seiner Lethargie auf. Es lag etwas in dem süßen, entschuldigenden Ton der Marquise, das ihm nicht gefiel.
»Die Dienerinnen fortgeschickt? Was ist das für eine neue Laune von Mylady? – Es könnte ihr und dem Kinde irgend etwas passieren.«
»O bewahre, Sir, der Pavillon ist ja so nahe, Sie können von hier aus die Kuppel über den Bäumen sehen. Überdies ist ja unser lieber Eduard nicht mehr so jung. Er ist im nächsten Monat drei Jahre. Richtig, ich erinnere mich, er wurde genau ein Jahr, nachdem das achte leichte Dragoner-Regiment, bei dem Leutnant Eglinton steht, aus England nach Madras kam, geboren.«
Die Marquise hatte unterdes ein Blatt der Morning-Post ergriffen und las einige Hofnachrichten mit gleichgültigem Tone vor, hin und wieder dazwischen plaudernd und den Baronet beschäftigend.
»Ah, Lord Vere ist bei Hofe empfangen worden. Sein Sohn, der Colonel, hat den Bath-Orden erhalten für die Bravour beim Sturm auf den Redan. Schade, daß eine russische Kugel ihn nicht getroffen. Eglinton hätte dann eine Aussicht mehr auf die Pairie!«
»Wie so – auf welche?«
Die Französin überhörte die Frage. » A propos! was hatte doch unser hübscher Leutnant wohl vergessen, daß er sich von dem Zuge trennte und bei der brennenden Sonnenhitze noch einmal zurückkehrte?«
»Wie, Leutnant Eglinton wäre zurückgekehrt?«
»Ei, wissen Sie das nicht? Gewiß hat er Sie nicht stören wollen. Vor kaum einer Stunde sah ich durch das Glas ganz deutlich ihn auf seinem ›Rookeby‹ die Hügel herunter galoppieren. Er ritt an der Seite des Thales entlang. Wenn er nur nicht den Sonnenstich bekommt!«
Der Baronet trocknete mit dem Foulard den Schweiß von seiner Stirn. »Der Geck,« murmelte er – »um das bißchen Hirn was der Bursche hat, wäre es nicht schade.«
» Fi donc, Sir – wer wird so boshaft sein. Sie haben unrecht. Leutnant Eglinton-Waterford ist nicht bloß ein hübscher, sondern auch ein gescheiter Mann. Wir Frauen verstehen das zu beurteilen. Aber – mon Dieu, was ist Ihnen, Sir?«
Der Baronet war bei der Nennung des Namens wie eine Stahlfeder in die Höhe geschnellt; sein Gesicht war totenbleich.
»Was? Wen nannten Sie soeben, Madame?«
»Ei, wen anders als Leutnant Eglinton-Waterford, unsern Eglinton, Ihren Gast, Sir.«
Der Baronet stand aufrecht vor ihr. Seine Hände zitterten, doch suchte er sich gewaltsam zu fassen.
»Wie kommen Sie dazu, Frau Marquise, dem Leutnant Eglinton den Namen Waterford zu geben?«
»Er ist ja der seine. Wissen Sie das nicht? Die Familie heißt Eglinton-Waterford, wenigstens führte er den letzteren Namen bis zum Tode seines zweiten Bruders, als er noch beim Stabe des Vice-Königs in Dublin stand. Als Waterford ist er gerade mit den de Veres verwandt. Mein Gott, wie schlecht Sie Ihren Adels-Kalender im Kopf haben, Sir!«
Die Totenblässe des Baronet war in eine dunkle Röte übergegangen; der hartherzige, egoistische, verlebte Mann schien wirklich schön und erhaben in diesem Ausbruch der Leidenschaft.
»Die Beweise, Madame, die Beweise!«
» Mon Dieu! ich wiederhole Ihnen, es ist ja eine ganz bekannte Sache. Überdies – ich glaube gar – ich habe zufällig das Stück eines Brief-Couverts an ihn in der Tasche, das heute Morgen der Wind unter meine Veranda jagte. Die Herren Jäger gehen fahrlässig mit ihren Patronenpfropfen um. Es war so zierliches, duftiges Papier, darum hob ich es auf und steckte es zu mir, um Lionel bei der Heimkehr zu necken.«
Sie warf den Vornamen so leicht hin, suchte einige Augenblicke in der Tasche ihrer Robe und brachte dann das zerknitterte Papier zum Vorschein.
»Geben Sie!«
Er nahm ihr fast unhöflich das Papier aus der Hand.
Es war die Hälfte eines mitten durchgerissenen zierlichen Couverts, auf dem die Schrift, trotz der Schwärzung durch Pulver und trotz der Risse noch deutlich erkennbar, und hatte wahrscheinlich zur Patrone gedient, war aber beim Herausziehen der Kugel auf den Boden gefallen.
Die Schrift war von einer Damenhand.
Der Baronet lachte höhnisch auf, der Ton war fast schauerlich.
»Und diesen Leutnant Eglinton-Waterford haben Sie vor einer Stunde nach der Cottage zurückkehren sehen?«
»Ganz gewiß. Aber sagen Sie mir, was ist an alledem so Ungewöhnliches? was soll das bedeuten? ich habe doch nicht unrecht gethan, Ihnen das zufällig zu erzählen?«
»O nein, Madame, nein? im Gegenteil, ich bin Ihnen zum höchsten Dank verpflichtet, ich und Lady Mallingham, meine – Gemahlin!«
Er stand bereits an einem zierlichen Bureau von Acajouholz, mit Silber- und Elfenbein-Mosaiken ausgelegt, und suchte ein Behältnis aufzuschließen. Aber seine Hände zitterten so stark, daß er den Schlüssel nicht in das Schloß zu bringen vermochte, und ungeduldig brach er den Deckel auf.
Dann nahm er zwei schön gearbeitete, kurze Pistolen von Lepage heraus, überzeugte sich, daß sie geladen, und ließ das Schloß spielen.
»Um Gotteswillen, Sir Mallingham! was wollen Sie thun? was soll das alles bedeuten?«
»Nichts, in der Welt nichts, Madame!«
Er öffnete die Fenster und stieß die Jalousieen auf.
Die Marquise versuchte ihn festzuhalten, wenigstens machte sie eine solche Bewegung.
»Wohin wollen Sie, Sir?«
»Wohin? ich will Mylady fragen, ob sie weiß, daß Leutnant Eglinton auch Waterford heißt!«
Er sprang, die Pistolen in der Hand, aus dem Fenster.
Die Marquise atmete tief auf, während sie die kleine, zierliche Hand an die Brust preßte.
Ihr Auge funkelte einen Moment lang mit boshafter Schadenfreude.
»Endlich! – wohl bekomm' die Überraschung, Mylady! Ich hoffe, diesmal sind meine Aktien im Steigen!«
Sie folgte ihm rasch durch die Thür. Bestürzt, erstaunt sahen die Diener sich an, so hatten sie ihren gleichmütigen, starren Gebieter noch niemals gesehen. – –
Als die Französin die offene Veranda erreichte, sah sie den Baronet, hoch aufgerichtet, mit hastigen Schritten quer über den Grund dem etwa achthundert bis tausend Schritt entfernten Palmenhügel zueilen.
Plötzlich stockte sein Fuß; er blieb stehen und schien zu horchen.
Im nächsten Augenblick entdeckte sie auch die Ursache dieser Zögerung.
Es war ein näher und näher kommendes Angstgeschrei – aus den Geranium- und Oleanderbüschen, die den Fuß des Hügels bedeckten, stürzte eine Gestalt hervor und schien mehr zu fliegen als zu laufen. Ihre Hände fuhren wild durch die Luft, von Zeit zu Zeit schaute sie, wie eine Verfolgung fürchtend, zurück.
Es war Zelima, die Tochter des Ryot, die die Lady nach seiner Rettung aus den Händen des Verwalters zu ihrer Leibdienerin gemacht.
Das Mädchen hatte jetzt den Baronet erreicht, an dessen Seite bereits die Marquise stand. Die Augen der Indierin starrten Schreck und Entsetzen, aus der keuchenden Brust rang sich nur ein Wort – ein Name – – ihre Hand wies zitternd nach den Palmen am Kiosk.
Seltsam! Kein Lüftchen rührte sich in der noch immer schwülen Atmosphäre, und dennoch, als die Französin ihre Augen zur Spitze des Hügels erhob, kam es ihr vor, als ob einer der gigantischen Bäume hin und her schwankte und seine Blätterkrone tief zu dem Dickicht der Tamarindenbäume neige. – – – – – – – – – – – – –
Das Innere des Pavillons auf der Spitze des Palmenhügels war mit allem Komfort eines englischen Boudoirs und dem Luxus eines indischen Frauengemachs ausgestattet.
In Stelle der Panka war der obere gewölbte Teil der Decke von einem vergoldeten, durch ein breites, chinesisches Oberdach beschatteten Gitter gebildet, das einen fortwährenden, leichten Luftzug unterhielt.
Die Wände des runden Gemachs waren mit Rosenholz getäfelt. Einige schöne Aquarelle, englische Gegenden darstellend, hingen an den Wänden; eine Staffelei bewies, welche kunstfertige Hand diese Erinnerung an die Heimat geschaffen.
Ein Bücherschrank, einige weibliche Handarbeiten und eine schöne englische Harfe zeigten die Beschäftigungen der reizenden Bewohnerin dieses indischen Tuskulums.
Ein köstlicher Duft erfüllte die Luft; er kam von einer einzigen Blume, der Champa, die in einem chinesischen Porzellangefäß mit Wasser stand und von der eine einzige Blüte genügt, ein Zimmer mit Wohlgeruch zu erfüllen.
Auf einem Tisch von dunklem Marmor waren in Körbchen köstliche Früchte Indiens aufgehäuft.
Das Zimmer hatte nur wenige, aber kostbare Möbel: einen großen Marmortisch, und einige chinesische Rohrsessel. An einer Wand, der Thür gegenüber, stand dagegen ein überaus schönes, niederes und breites Ruhebett, aus kühlen, weichen Matten und seidenen, mit bunten chinesischen Bildern gestickten Kissen gebildet, und von einem großen Gazeschleier, der an vergoldeter Agraffe von der Decke hing, ganz umgeben.
Auf diesem Ruhebett lag, den Kopf in die Hand gestützt, die Lady. Ein weites, luftiges Gewand von weißem indischen Musselin umschloß, von einer grünen Schnur zusammengehalten, die schönen Formen des Körpers; eine jener prachtvollen, großen Lotosblumen von rosenroter Farbe war ihrer Hand entfallen und ruhte auf der feingeflochtenen Rohrdecke des Bodens wo der dort liegende Knabe halb schlafend halb wachend mit ihr spielte.
Die Jalousieen waren geschlossen, ließen aber im Verein mit dem vergoldeten Eisengitter der Decke genügendes Licht ein.
Trotz der schwülen, drückenden Atmosphäre schien die Lady wenig das Bedürfnis nach Ruhe zu empfinden, ihr Geist schien vielmehr aufgeregt und unruhig. Von Zeit zu Zeit erhob sie sich sogar von dem Lager, ging nach den Jalousieen, die rings das Zimmer umgaben, öffnete eine oder die andere und schaute hinaus auf den Platz um den Kiosk und nach dem Grün des Wäldchens. Dann richteten ihre schönen Augen sich wieder auf eine kleine Uhr von Pariser Bronze, und ein Seufzer entfuhr den halbgeöffneten Lippen.
Die Lady zählte jetzt etwa sechsundzwanzig Jahre und das Klima Indiens hatte wenig Einfluß auf ihre zarte Schönheit geübt, die noch ganz jenen durchsichtigen Teint bewahrte, welcher die Frauen der angelsächsischen Rasse auszeichnet. Mit dieser paarte sich jedoch das normannische Blut der mütterlichen Vorfahren in ihren Adern; denn während das blonde Haar, das Auge und die Farbe des Gesichts jener Abstammung gehörte, verriet die feste Bildung von Kinn, Nase und Stirn die Kraft ihrer Gefühle, ja selbst Leidenschaft, wenn sie erregt werden sollte.
»Ob er kommen wird – ob es ihm möglich gewesen, sich von der Gesellschaft zu trennen? Aber die Hitze ist entsetzlich, er kann nicht so wahnsinnig gewesen sein, den Ritt zu unternehmen.«
Und dennoch sprang sie von neuem auf und eilte an die Jalousieen.
Ein leichter Schrei entfuhr ihren Lippen, sie preßte die Hand auf das Herz, ihr Gesicht verklärte sich.
»Er ist wirklich da! Lionel! hier! hier!«
Sie riß die Jalousie auf. Obschon ihr Ruf leise und gedämpft war, drang er doch zu dem Ohr des Glücklichen.
Der Offizier, der quer durch das Wäldchen und die verschlungenen Lianengebüsche sich Bahn gebrochen, legte die Hand auf die Brüstung des Fensters und sprang in das Zimmer.
Seine erste Bewegung war, sich zu ihren Füßen niederzuwerfen und ihr Kleid und ihre Hände mit glühenden Küssen zu bedecken.
»Helene!«
»Lionel!«
Die Hand der jungen Frau wies nach dem schlaftrunkenen Kinde. »Hast Du denn Eduard vergessen?«
»O, wie sollte ich, Helene,« sagte der junge Mann, indem er das Kind in seine Arme nahm und an seine Brust drückte. »Erinnert mich nicht jeder seiner Züge an seine Mutter, und jeder der ihren an sein teures Antlitz? Geliebte, ewig Geliebte, Eure beiden Bilder sind zu einem verschmolzen in meinem Herzen!«
Sie hing in seinen Armen, an seinen Lippen, während er sie sanft auf das Ruhebett niederließ.
»Es ist unmöglich,« flüsterte sie, »ich kann es nicht länger ertragen! Täglich wird mir diese Lage verhaßter, unnatürlicher. Dazu die Furcht, die Angst, daß ein Zufall uns entdecken und verraten mag. Zwar hat Mallingham nie mit einer Silbe nur gezeigt, daß er weiß, wir hätten uns früher gekannt, geliebt, aber dennoch könnte eine zufällige Begegnung es zur Sprache bringen. Darum darfst Du nur selten unser Haus besuchen, darum sind die Augenblicke so vereinzelt, so kurz, die ich Dir weihen kann.«
»Aber es wird nicht gefährlich sein, daß Du mich hierher beschiedest?«
»Nicht mehr, als jede andere Zusammenkunft. Der Baronet bringt die Zeit bis zur Abendkühle stets in seinem Zimmer zu und weiß, daß ich es nicht liebe, belästigt zu werden. Nein, nein, mein Geliebter, zwei volle, schöne Stunden sind noch unser unbeschränktes Eigentum, und Zelima, das Hindumädchen, hält auf dem Weg zur Cottage Wache und wird von jeder Störung bei Zeiten mich benachrichtigen. Aber Du, Lionel, wie hast Du es angestellt, Dich von Deinen Begleitern loszumachen und in der Nähe des Dorfes zurückzubleiben?«
Der Offizier lächelte. »Ich bin in dem Dorf nicht zurückgeblieben, es war unmöglich. Ich verdanke es Rookeby, meinem braven Pferde, daß ich Dich in meinen Armen halte. Ich habe erst vor zwei Stunden die Jagd-Gesellschaft, achtundzwanzig Meilen von hier, in ihrem Mittagslager verlassen.«
»Wie? Du hast den weiten Weg durch die Berge allein, in dieser entsetzlichen Hitze zurückgelegt?«
»Im Galopp, Helene, und wäre es durch ein Meer von Feuer gegangen, ich hätte den Ritt gewagt. Freilich ist Rookeby arg mitgenommen und nur der Hilfe eines Fakirs verdanke ich seine Erhaltung. Aber was thut das, Du rufst – und hier ist Dein Ritter und hält Dich und den Knaben im Arm.«
Sie trocknete und küßte seine heiße Stirn, holte ihm von den süßesten, erfrischendsten Früchten herbei und zwang ihn, sie zu genießen.
»Mein Lionel! O, wie ich Dich liebe für diese Opfer, die Du mir bringst! Wie mein ganzes Leben allein noch in der Liebe zu Dir vegetiert, in dem Hoffen und Sehnen, Dich wieder in meiner Nähe zu wissen, von Zeit zu Zeit in Dein treues Auge blicken, aus Deinem Munde die Beteuerung Deiner Liebe vernehmen zu können. Aber ich rief Dich nicht, um Dir zu sagen, was Du längst weißt, ich rief Dich, um Dir zu sagen: es soll nicht länger so bleiben, die Zeit ist da, wo wir alles wagen müssen, um alles zu gewinnen.«
»Was meinst Du?«
Das Kind war wieder eingeschlafen und ruhte unter seinen Spielsachen auf der Matte. Sie zog den Geliebten zu sich auf das Ruhebett und warf mit einer Bewegung der Hand die verhüllende Gardine darum her.
»Höre mich an, mein Geliebter,« sagte sie schmeichelnd. »Wie oft in den kurzen, süßen Stunden, die uns geworden, haben wir hundert Pläne entworfen, uns aus dieser traurigen Lage zu reißen, um ganz und ungeteilt einander angehören zu können. An tausend Hindernissen scheiterte die Erfüllung unserer Wünsche. Das Glück und der Zufall haben diese Hindernisse hinweggeräumt. Zunächst: ich bin reich; ich bin keine Bettlerin mehr, die von dem Willen und der Gnade eines verhaßten Mannes abhängt, der mit seinem Gelde einst mich von meiner Familie gekauft hat. Du hast von dem Grafen Francis Murray, einem Verwandten unserer Familie, sprechen hören?«
»Dem reichen Sonderling, der auf seinen Gütern im schottischen Hochlande, abgeschieden von aller Welt lebte?«
»Demselben. Das letzte Dampfboot von Suez brachte die Nachricht von seinem Tode, und daß er mir hunderttausend Pfund in seinem Testament ausgesetzt hat, weil – es ist kindisch zu sagen – ich als Kind ihm das Gesicht zerkratzte, als er mich bei einem einzigen Besuch, den er meinen Eltern machte, küssen wollte, während meine Schwestern fein artig stille hielten.«
Beide lachten unter den süßesten Liebkosungen, als hinge das Damokles-Schwert des Verderbens nicht über ihrem Haupte.
»Die hunderttausend Pfund sind in Anweisungen auf die Bank von Kalkutta und in Schatzscheinen in meinen Händen. Hier sind sie.«
Sie übergab dem Geliebten das kleine, gestickte Portefeuille, das bisher in ihrem Busen geruht.
»Acht Tage nach unserer Rückkehr nach Madras wird Sir Mallingham zur Versammlung des großen Rates sich nach Kalkutta begeben und in einer Mission später nach Lucknow gehen. Wir werden ihn begleiten. Kennst Du den Maharadschah von Bithoor, Nena Sahib?«
»Nein.«
»Er ist ein angesehener, eingeborener Fürst in jener Gegend, ein Anhänger der Engländer, obschon er sich schwer über die Kompagnie zu beklagen haben soll. Er war im vorigen Jahre in Kalkutta, und ich lernte seine erste Gemahlin oder Geliebte – ich weiß nicht, was von beiden sie ist – kennen und fand unerwartet in ihr eine Spielgefährtin meiner Kindheit wieder, die Tochter eines kleinen Grundbesitzers in der Nähe des Schlosses meines Vaters in Irland, die nebst ihrem Bruder durch seltsame Schicksale nach Indien verschlagen wurde. Sir Mallingham führte damals einige Unterhandlungen mit dem Radschah und mußte es daher dulden, daß ich die alte Freundschaft mit Margarete O'Sullivan erneute, die wie zu einem Halbgott zu ihrem Indier emporblickt, der ihrem Bruder einst das Leben rettete. Sie weiß mein Geheimnis, sie hat mir ihren und Nenas Beistand versprochen, wenn die Stunde gekommen. Sie – aber still! Was ist das für ein Rauschen in den Wipfeln der Palmen – hörtest Du nichts, Lionel?«
»Die Sonne beginnt sich zu neigen, es ist der Wind, der von der Küste her durch das Land streicht. Bald werde ich aufbrechen müssen.«
»O nicht so, mein Geliebter – noch ist das Ende der Siesta fern. Laß uns weiter reden! Sobald wir Madras verlassen haben, suche Dir Urlaub zu verschaffen. Da alles im Frieden ist, wird es Dir leicht werden, diesen zu erhalten. Du folgst uns sogleich nach Kalkutta und Lucknow, ohne Dich jedoch Sir Mallingham bemerklich zu machen. In Bithoor, der Residenz des Nena, findest Du Nachricht von mir. Ich werde es möglich machen, in Lucknow oder Cawnpur zurückzubleiben, wenn der Baronet nach Delhi weiter geht. Dann bin ich frei und Dein, wir entfliehen mit Margarethens Hilfe …«
»Aber wohin …«
»O, sollte die Erde nicht Raum haben für drei Wesen, die nichts anderes wollen, als nur einander gehören? Laß uns nach einem der glücklichen Thäler Kaschmirs, nach Isle de France gehen, nach Amerika, wohin Englands Macht nicht reicht! Gold öffnet alle Wege, und mit Gold werden wir selbst in Europa ein freies und sicheres Asyl finden. Das Wie und Wohin ist Deine Sache, die Sache des Mannes!«
»Helene, hast Du auch alle Opfer wohl überlegt, die Du mir bringen willst?«
»Böser Mann, Du liebst mich nicht. Was weiß eine Frau von Opfern, wenn sie liebt! Soll Eduard noch länger den Namen des Verhaßten tragen? Meinst Du, Du allein könntest allen Gefahren, der glühenden Sonne dieses Himmels, dem Wahnsinn und dem Tode Trotz bieten, um in meinen Armen zu sein?«
Er bedeckte sie mit seinen Küssen. »Es sei! Alles für alles, Weib meiner Liebe!« – – –
Plötzlich störte das Weinen des erwachten Kindes ihren nicht endenden Abschied.
»Maman! Maman! das häßliche Tier – o Maman – ich fürchte mich!«
Die junge Frau riß die Vorhänge des Ruhebettes von einander – die Strafe ihres Verbrechens stand in der furchtbarsten Gestalt, gleich einem der Hölle entstiegenen Dämon, vor ihren Blicken.
Der kleine Knabe, in seinem leichten Röckchen, hatte sich bis in die Mitte des Gemachs gewälzt und kniete dort auf der Matte, die Arme furchtsam und abwehrend gegen das gegenüberliegende Fenster gerichtet, dessen Markise die Lady vorhin geöffnet hatte, um nach dem Geliebten auszuschauen.
In dem Rahmen bewegte sich eine widerliche Ungestalt, zwei rollende, stechende Augen schossen grünliche Blitze auf das arme Kind, ein weit geöffneter Rachen mit zwei Reihen kleiner, spitzer Zähne, eine züngelnde, gespaltene Spitze – an dieses entsetzliche Haupt ein langer, hochgebäumter, in bunten Farben, Gold, Grün und Purpur schimmernder Körper bis hin zum Stamm der nächsten Palme gedehnt und mit dem spitzen Ende um diesen geschlungen – – –
Ein gräßlicher Aufschrei – die Mutter warf sich von dem Lager herab in einer einzigen rasenden Bewegung bis in die Mitte des Gemachs, bis hin zu ihrem Kinde. Indem sie es umfaßte, fiel sie ohnmächtig mit ihm zu Boden.
» Goddam! – die Anakondah!«
Derselbe Ruf, den der Ryot schreckensbleich dem Derwisch gestammelt – –
Derselbe Ruf, den Zelima entsetzt zu den Füßen des eifersüchtigen, rachedürstenden Gatten ausgestoßen – –
Dann ein Pulverblitz – ein schwacher Knall – ein häßliches, widriges Zischen, und darauf – – – – –
Im Jahre 1856 bestand die Armee der Krone und der Kompagnie aus 264 000 Mann, Es sei vorweg bemerkt, daß alle Angaben der folgenden Art sich auf die Zeit unserer Erzählung beziehen. In dem halben Jahrhundert, das seitdem verflossen ist, hat sich natürlich manches geändert. D. H. von denen etwa 36 000 Mann Europäer waren. England sandte alljährlich 10 000 Mann nach Indien, von denen regelmäßig mindestens die Hälfte dem Klima und den Strapazen erlag.
Diese europäischen Truppen bilden den Kern der indischen Armee. Sie liefern die Offiziere und die Unteroffiziere für die von der Kompagnie durch Anwerbung gebildeten eingeborenen Regimenter, die berüchtigten Sepoys. Gewöhnlich sind diese Sepoys aus fernen, durch die kriegerischen Eigenschaften ihrer Bewohner bekannten Landesteilen geworben, oder die Kinder von Sepoys und für den Kriegsdienst erzogen. Im ganzen kümmern sich die Hindus darunter wenig um die Art und Weise der Regierung; ein kompakteres Ganze, eine festere, religiöse Nationalität bildet dagegen der mohammedanische Teil der Armee.
Da nun jeder dieser Männer dabei streng seine eigenen Sitten, Gebräuche und religiösen Vorschriften bewahrt, deren Verletzung und Nichtachtung ihn tiefer kränkt, als wirklicher, politischer Druck und tyrannische, militärische Behandlung, so besteht ein Konglomerat von Rücksichten und Anforderungen in der Behandlung und Stellung dieser Truppen, das sich bei keinem andern Heere der Welt findet.
Der eintretende Sepoy darf nicht unter 16 Jahren sein. Gewöhnlich dient er, so lange es seine Körperkräfte erlauben, Verwundung, Krankheit und fünfzehnjährige Dienstzeit geben ihm ein Anrecht auf eine kleine Pension oder ähnliche Versorgung. Wenn er sich hervorthut, so kann er zum Offizier befördert werden, von denen bei jeder Kompagnie zwei eingeborene Offiziere, ein Subadar (Hauptmann) und ein Jemedar (Leutnant) stehen, außerdem ist bei jedem Regiment ein Subadar-Major (Stabs-Offizier) angestellt.
Weiter aber können es die Eingeborenen nicht bringen.
Noch widersinniger und das Ehrgefühl verletzender aber ist die Einrichtung, daß der geringste europäische Offizier im Regiment, jeder britische Fähnrich im Range über dem höchsten eingeborenen Offizier steht und diesem befiehlt.
Von einer kameradschaftlichen Stellung der europäischen und eingeborenen Offiziere ist daher gar nicht die Rede. Beide Klassen leben abgesondert.
Der Sepoy ist ebenso wie der englische Soldat gekleidet und bewaffnet, das heißt, ganz unpraktisch für das Klima, nur daß sein Czakot keinen Schirm hat.
Die höchste, entehrendste und gefürchtetste Strafe war bei diesen Leuten bisher die Ausstoßung aus der Armee!
Der europäische Soldat der Königlichen Armee sieht im ganzen mit tiefer Verachtung auf den Sepoy nieder. Mit jenem Bulldoggenmut, der ihn jede Gefahr verachten läßt, mit jener Kaltblütigkeit, mit der er ihr zu widerstehen weiß, wenn sie da ist, und dem zähen Widerstand gegen Strapazen aller Art verbindet sich der übermütige Glaube unbedingten Sieges. Darum überläßt er sich aber auch allen schlechteren Eigenschaften seiner europäischen Natur. Mäßigkeit ist ihm ein fremdes Wort, und Völlerei und Trunksucht richten furchtbare Verheerungen an.
Nur wenige machen ihre zwanzigjährige Dienstzeit durch. Die meisten europäischen Regimenter verlieren an Krankheiten jährlich mindestens fünfzehn Prozent ihrer Mannschaft; häufig kommt der Fall vor, daß mehr als die Hälfte des Regiments nicht dienstfähig ist. Das 78. (Hochländer) Regiment verlor z. B. im Sind vom 6. September 1844 bis zum 31. Januar 1845, also in noch nicht 6 Monaten, 588 Menschen.
Der Troß, den ein solches europäisches Regiment mit sich führt, ist kolossal. Jede Zeltmannschaft, bestehend aus 1 Sergeant, 1 Korporal und 14 Mann, hat ihren eigenen Claschy (Zeltschläger), Behischty (Wasserträger) und Doby (Wäscher) und vier Kameele mit ihrem Führer. Bei der Kavallerie hat sogar jeder Reiter seinen besonderen Seyce (Pferdehalter), 2 Soldaten haben ihre Wasserträger und immer 2 Pferde einen Grasschneider. Zu jedem Geschütz gehören 4 Wasserträger, 4 Grasschneider, 4 Seyces und Dobys und ein Claschy. Eine Armee von etwa 30 000 Mann und 100 Geschützen bedarf zu ihrem Fortkommen mindestens 400 Elefanten, 20 000 Kameele, 5000 Zugochsen und gegen 100 000 Diener aller Art.
Zu dieser Last kommt die Gewohnheit der Engländer, bei jedem Regiment eine bedeutende Anzahl Frauen und Kinder mitzuschleppen.
Dem entsprechend sind die Bedürfnisse der Offiziere. Jeder Leutnant braucht und hat 10 Diener, der Kapitän 14, der General mindestens 20 zu seiner persönlichen Aufwartung. Hiernach eingerichtet sind freilich auch die Besoldungen, da nach unserem Gelde der Fähnrich monatlich 133 Thlr., ein Leutnant 169 Thlr., ein Kapitän der Infanterie und Kavallerie 274 und 373 Thlr., ein Oberst 850 und 978 Thlr., der General-Leutnant viertausend Thaler bezieht, außerdem jeder Regiments-Chef noch eine jährliche Zulage von etwa 3 bis 4000 Thaler. Die Unterhaltung der Armee kostet der Kompagnie fast sechzig Millionen Thaler, während England für seine Armee nur 42 Millionen ausgiebt. Zur Zeit, von der hier die Rede ist! D. H.
Die Offiziere haben sich fast ganz das indische Leben und seine Bedürfnisse zu eigen gemacht. Das Leben eines solchen ist sehr einförmig und träge. Morgens, noch ehe die Sonne aufgeht, finden Truppenübungen statt, oder es wird ein Spazierritt unternommen, aber bevor der Strahl der Sonne mächtig wird, muß dies beendigt sein. Ein Bad ist nötig, um ihn zu erfrischen. Um 9 Uhr vereinigt ihn das Frühstück mit seinen Kameraden; nach demselben wird die Zeit mit Billardspielen, Lesen oder der Hukah bis 2 Uhr verbracht, zu welcher Stunde das gemeinschaftliche warme Frühstück im Meßlokal eingenommen wird. Nach diesem wieder Siesta bis zum Untergehen der Sonne, wo nochmals der Dienst ihn fordert oder körperliche Bewegungen vorgenommen werden; Reiten, Rocketspiel oder Cricket. Um 8 Uhr abends findet das Mittagsmahl statt, das selten vor 10 bis 11 Uhr endet.
Daß diese Lebensweise ohnehin nicht besonders geeignet ist, die Gesundheit zu erhalten, sieht jeder ein. Dazu kommt, daß die Tafel schwelgerisch besetzt ist, selten unter zehn Gerichten, mit den Delikatessen aller Weltteile, und daß die Flasche rasch ihren Kreislauf macht.
Die Panka war in voller Bewegung, denn die Glut, die sie zu kühlen hatte, war doppelter Natur – von der im Westen versunkenen Sonne Indiens und den Portwein- und Claretflaschen auf der langen, reich mit Silber und chinesischem Porzellan besetzten Tafel.
Eine Anzahl von Offizieren verschiedener Truppengattungen und einige Civilisten saßen um diese. Es war heute Dienstag, der Tag, an welchem die Messe der Offiziere des 71. Eingeborenen-Regiments, das zur Garnison von Cawnpur gehörte, ihre Kameraden und Bekannten einzuladen pflegte.
Die Einladungen waren an diesem Tage ziemlich zahlreich gewesen. Gäste von Bithoor und Lucknow, der 45 englische Meilen entfernten Residenz von Audh, waren anwesend und man hatte bereits zwei volle Stunden bei der Tafel zugebracht.
An ihrem oberen Ende saß Oberst-Leutnant Robert Stuart, der Kommandeur des 71. Eingeborenen-Regiments, in Stelle des abwesenden Chefs. Selten ist ein solcher, gewöhnlich ein General, bei seinem Regiment zu finden, er genießt nur die Vorteile dieser Stellung.
Sir Robert Stuart hatte eine rasche Carriere gemacht, und war noch ziemlich jung. Der Sturm auf den Redan Während der Belagerung von Sebastopol im Krimkrieg 1854/55 führte ein großes russisches Verteidigungswerk den Namen Redan. Vergl. John Retcliffes Roman Sebastopol, wo Sir Robert Stuart, ebenso wie der Sergeantmajor Mickey eine Rolle spielen. hatte dem tapferen Kapitän die Majors-Epauletten und den Verlust eines Auges gebracht. Bei der Einschiffung der Truppen ging der Major nach Indien und trat als Oberst-Leutnant in ein Sepoy-Regiment. Der Oberst-Leutnant war noch immer ein hübscher Mann, aber eine gewisse dunkle Röte, die sein Gesicht zu überziehen begann, bewies, daß er sich einer in diesem Klima nur allzugefährlichen Leidenschaft ergeben.
Hinter seinem Stuhl stand Mickey, wohlbestallter Sergeantmajor und Proviantmeister im Regiment. Der Bursche war ein Liebling des Oberst-Leutnants, das Faktotum aller anderen Offiziere und nicht wenig eingebildet auf seine Stellung. Der Hochmut, mit dem er auf seine indischen Kameraden herabschaute, gab eben so oft zu ärgerlichen wie höchst komischen Scenen Veranlassung, seine Gutmütigkeit und seine unerschöpfliche Laune aber hatten »Sahib Micko« – so hieß er im Regiment – doch zum Liebling aller Soldaten gemacht.
Bei Tafel hatte der Sergeantmajor zugleich das Amt eines Haushofmeisters, eine Beschäftigung, die er sich bei seiner Liebhaberei für Proviantierung, und zwar möglichst gute Proviantierung, durchaus nicht nehmen lassen wollte. Er hielt die Köche und die braune Dienerschaft ganz vortrefflich in Ordnung und ließ nichts verschwinden, außer was er selbst beiseite brachte.
Der Gentleman, welcher zu des Oberstleutnants Rechten saß, war ein Mann von fünf- bis sechsunddreißig Jahren,, Major Rivers, der britische Resident von Cawnpur. Der hochmütige, stolze und falsche Ausdruck, den das Gesicht. des kommandierenden Offiziers in der Missionsstation am; Somo, des falschen Tochtgängers im Kaffern-Kraal gezeigt, war noch immer derselbe.
Nur tiefere Falten der Leidenschaften und des zügellosen Genusses lagen auf diesem unheimlichen Gesicht und um die starren Augen.
Mit seinem Regiment vor drei Jahren vom Cap nach Indien gekommen, hatte es der Major für vorteilhafter gehalten, aus dem königlichen Dienst zu scheiden und in die Dienste der Kompagnie zu treten, die ihn zum Residenten in Cawnpur und Jhansi ernannte.
Hier war Major Rivers in seinem Element.
Sein hochmütiger, grausamer Charakter fand in der knechtischen Unterwerfung der Bevölkerung, in der Mißhandlung und Demütigung der eingeborenen Fürsten volle Befriedigung.
Alle seine niederen Eigenschaften, Wollust, Habsucht, Ehrgeiz, vermochte die tyrannische Macht, welche die Residenturen in Indien ihren Inhabern gewähren, in vollem Maße zu befriedigen.
Ihm gegenüber, an der anderen Seite des Oberstleutnants, saß ein junger Mann im Anzuge eines Gentleman-Reiters, soweit diese Kleidung mit den Ansprüchen des Klimas zu vereinigen ist.
Es war Eduard O'Sullivan, der Bruder Margarethens, der Schwager des Nena.
Sein sommerfleckiges, offenes Gesicht war noch ebenso blaß und hager, wie vor fünf Jahren im Spielzelt an der plazza major von San Francisco, ja eine gewisse Abspannung darin verriet, daß sein Leichtsinn auch in Indien der alte geblieben war. Mit einer gewissen Eitelkeit trug er den reichen Schmuck von Ringen, Gold und Edelsteinen, den er, wo es irgend anging, angebracht, zur Schau. Er schien mit Rivers sehr bekannt, und dieser behandelte ihn mit einer kordialen Vertraulichkeit, die jeden, der größere Menschenkenntnis besessen hätte, besorgt gemacht haben würde.
Der Brevet-Kapitän Eduard Delafosse, der weiter unten an der Tafel, zwischen den Offizieren des Regiments und einigen jüngeren Beamten der Civilverwaltung saß, war jetzt Adjutant des Gouverneurs von Lucknow, Sir Thomas Lawrence, und für einige Tage nach Cawnpur herübergekommen, um bekannte Kameraden zu besuchen.
Das Verhältnis zwischen ihm und dem Residenten war kalt und gemessen.
Seine linke Wange zeigte eine breite, tiefe Narbe, welche eine streifende Pistolenkugel hinein gerissen. Es war das Andenken an die Verteidigung der jungen Kaffern gegen die niedere Bosheit seiner Waffengefährten bei ihrem Versuch, Gulma und die sanfte Luise aus den Fluten des Stromes zu retten.
Die Unterhaltung war sehr lebhaft und wurde über die verschiedensten Gegenstände geführt. Pferde, Jagd, die angekommenen Posten, der Krimfeldzug, Regimentsanekdoten, alte Liebschaften und neue Eroberungen, Cholera und Regierungsmaßregeln.
»Es waren mitunter komische Gesellen, unsere Alliierten in der Krim,« erzählte der Oberstleutnant. »Das Theater der Zuaven entschädigte sie für die schwerste Kartätschenbegrüßung der Russen. Man sah manch schnurrigen Zug. So z. B. als am 7. Juni die Zuaven nach der Einnahme des ersten weißen Werkes auf das zweite losgingen, gelang es dem ersten Komiker, der sich wie ein Held geschlagen, sich auf die Brustwehr zu schwingen. Er stürzt sich auf einen russischen Offizier, wirft ihn zu Boden und zieht ihm dann gemütlich den Rock aus mitten zwischen den Kämpfenden mit den Worten: ›Ich will Dir nichts thun, aber gieb mir Deinen Rock, ich brauche ihn morgen fürs Theater‹!«
»Haben Sie gehört, Sir,« rief von dem Ende der Tafel herüber der Quartiermeister, »daß am 14. der ›Mogador‹ in Kalkutta eingetroffen ist? – Er hat im Monsoon Schaden genommen an der Maschine und mußte in Madras anlegen.«
»Wissen Sie, wer mitgekommen ist? Heraus mit der Liste, Follington!«
Der Doktor, ein schlauer, kleiner Walliser, blinzelte mit listigem Auge neben dem Glase Claret, das er eben zum Munde führte, hinüber. »Um wie viel Stück frisches Fleisch hat sich Ihre Liste vermehrt, mein Junge?«
»Zwei alte Jungfern, die billiger Weise für Tanten gelten könnten und höchstens auf einen wie Sie, Doktor, Anspruch machen. Aber Lady Overston soll ihre vier Töchter mitgeschickt haben, da sie kein Geld hat, um noch eine Londoner Saison mit ihnen durchzumachen. Der Schatzmeister Warlett hat die jüngste zwei Tage nach der Landung geheiratet; sie ist nach dem Taufzeugnis wirklich erst zwanzig Jahre!«
»Hurra für den Markt von Kalkutta! Alle Gänschen Alt-Englands finden ihre Käufer; ich fürchte schon, die Connoissements wären in der letzten Zeit zu stark gewesen.«
»O, wir können auch hier in Audh noch Zufuhr brauchen. Nicht alle sind so wählerisch, wie Miß Wheeler!«
»Armer Toby, mein Junge,« sagte bedauernd der Doktor zu dem langen, hageren Fähnrich, von dem die Sage ging, er lege alle Nacht ein Zugpflaster auf die Wangen, um einen Bart hervorzuziehen – »Sanders, der brave Bursche, hat Ihnen das Feld geräumt, und Sie haben nun wieder Hoffnung.«
»Was ist mit Sanders?« fragte Kapitän Delafosse. »Wann kehrt er zurück von der Expedition am Sedletsch?«
»Wenn die Toten auferstehen, Sir!«
»Wie meinen Sie das? ist er tot?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach – er ist verschwunden, ohne daß man seine Leiche aufgefunden hat. – Seine Ehrwürden, Dekan Hunter, schrieb uns gestern von Delhi, daß er Nachricht erhalten, unser Freund sei von einer Jagdstreiferei nicht wieder zurückgekehrt und die Expedition habe ohne ihn den Weg fortsetzen müssen. Er war ein schmucker Bursche und hatte verteufeltes Glück bei den Frauenzimmern, wie Malwinkle Ihnen hier bezeugen kann. Entweder hat ihn ein Tiger gefressen, oder die Thugs haben ihn verscharrt.«
Der Doktor stieß einen tiefen Seufzer aus und leerte sein großes Glas auf einen Zug. Das war die Leichenrede des jungen Braven – denn die Nachricht war ja schon drei Tage alt.
»Ihre Schönen schenk' ich Ihnen, Follington,« meinte der Vorsitzende. »Ich will wissen, ob niemand von Bedeutung mitgekommen?«
»Sir Lytton Mallingham hat von Madras die Überfahrt mitgemacht. Er geht nach Lucknow und Delhi.«
»Hoffentlich ist Mylady dabei, die reizendste Frau Indiens. Ihre Gesellschaften in Kalkutta sind die gentilsten.«
»Mein Korrespondent schreibt mir, der Rat wäre allerdings mit einer Dame eingetroffen, aber es sei ein dunkles Gerücht von einem furchtbaren Unglück verbreitet, das ihn betroffen. Unter den Passagieren befindet sich auch Jung Bahadur, der von England zurückkehrt.«
»Wer ist Jung Bahadur?« fragte der Fähnrich.
»Wie, Kamerad, Sie kennen Jung Bahadur nicht, den größten Schurken diesseits und jenseits des Ganges?«
»Sie wissen, ich bin erst seit sechs Monaten in Indien und kann mich noch nicht an diese fatalen Namen auf Pur, Kur und Dur gewöhnen, die einer wie der andere klingen.«
»Ei, Jung Bahadur ist der echte Typus eines indischen Abenteurers. Gegenwärtig ist er Premier-Minister des Königs von Nepal, und wenn Sie von London gekommen wären, statt von Halifax, würden Sie wissen, daß er dort der Löwe der letzten Saison war, und seine Diamanten allen Damen die Köpfe verrückten und die fashionablen Diebe von Smithfield zu den verwegensten Plänen begeisterten.«
»Pah! der Ko-hi-noor hat noch mehr Bewunderung erregt. Auf Ehre, ich sehe da nichts Interessantes.«
»Jedenfalls ist Bahadur zu seinen Diamanten gekommen, wie die englische Krone zum Ko-hi-noor!«
»O, Doktor, er ist ehrlich gekauft.«
» Very well!« mit zehn Prozent von einem Diebe, der ihn gestohlen hat, Oberst; die Sache ist bekannt genug.«
»Aber mit dem Ko-hi-noor komme ich nicht zu meiner Geschichte vom Bahadur,« meinte der Fähnrich, den der genossene Port und Claret zu den Ansichten allgemeiner Gleichheit erhoben hatten.
»Bitte – erzählen Sie die Geschichte dieses Mannes,« bat der Kapitän, »ich habe selbst nur Fragmente davon gehört.«
»Jung Bahadur,« berichtete der Quartiermeister, »begann seine Laufbahn als Jemedar oder Fähnrich im Dienst des Königs von Nepal und war ein Sohn des Bruders des Großveziers in jenem entfernten Reich. Der Bursche war im Karten- und Würfelspiel verteufelt erfahren und fleißig bemüht, aus seiner Wissenschaft Vorteil zu ziehen. Nachdem er Ober-Indien durchwandert und die Schatzkammer eingeborener Fürsten und reicher Babus Bankiers. bedeutend geplündert hatte, kehrte er an den Hof von Nepal zurück und erhielt eine Sendung nach Indien, um unter den eingeborenen Fürsten einen Aufstand zu organisieren. Ein erbitterter Streit mit Tantia-Topi ließ die Sache scheitern.«
»Um Vergebung,« unterbrach Delafosse den Erzähler, »ist Tantia-Topi nicht einer der unabhängigen Mahrattenfürsten in der Thur oder großen Wüste?«
»So ist es. Seine Burg Malangher hat selten noch ein Europäer betreten. Man sagt, daß er früher viele Jahre in England als Diener und Gefährte des Enkels der Begum von Somroo lebte und uns mancherlei ablernte, was er jetzt für seine Zwecke braucht. Sein Einfluß am Hofe von Audh war besonders groß und man schreibt ihm den zähen Widerstand zu, den der ohnmächtige König Mohammed Wadschid Ali Schah den Abdankungsforderungen der Kompagnie entgegenstellte.«
» Damned! es ließe sich mancherlei sagen über die Geschichte!«
»Bah – wir haben das Audh und damit gut. Also um wieder auf Jung Bahadur zu kommen, so wurde der Bursche bei seinen Agitationen entdeckt, erhielt aus besonderer Gnade die Bastonade, statt des längst verdienten Strickes, und wurde mit Schub auf verteufelt wenig ehrenvolle Weise über die Grenze gebracht, worauf er in seinem Vaterlande bei Hofe gerade noch zu rechter Zeit ankam, um an einem Streit zwischen seinem würdigen Oheim und des Königs erster Gemahlin teilzunehmen. Ihre nepalesische Majestät schlug dem Neffen vor, zur Beilegung des Zwistes den Oheim tot zu schießen und Ehren-Bahadur fand den Ausweg vortrefflich. Der Oheim wurde in den Palast gelockt und als er in den Empfangssaal trat, von seinem Neffen durch den Kopf geschossen.«
»Der Kerl ist ja ein verdammter Mörder,« sagte schaudernd der Fähnrich.
»O – das Beste kommt noch. Die Königin ernannte Jung Bahadur für jene Gefälligkeit zum Oberanführer der nepalesischen Armee. Seine nächste Heldenthat war noch glänzender. Er befand sich in einer Versammlung der Edlen von Nepal und wünschte einen von seinen Kollegen zu fassen und einzukerkern. Es zeigte sich einiger Widerstand im Ministerrat, aber eine rechtzeitig von Jung Bahadurs Hand abgesandte Kugel streckte den mißliebigen Kollegen tot nieder. Bahadur hatte seine getreue Leibwache, und sie war mit Purdays Büchsen bewaffnet, die ihm für 200 Pfund die Kompagnie verschafft hatte. Der erschossene Fattih-Jung hatte vierzehn Freunde unter den anwesenden Adligen! Jung Bahadur nahm dem nächststehenden Mann die Büchse aus der Hand und legte auf den Vordersten der kleinen Schar an. Vierzehnmal ertönte der tödliche Knall durch die Halle, wie die Büchsen, eine nach der anderen, dem Manne gereicht wurden, der nur dem eigenen Schützenblick trauen wollte, und nach jedem Schuß lag ein anderer Adliger auf dem Boden. Ehe der Morgen graute, war Jung Bahadur zum Premier des Landes ausgerufen. Nach dieser energischen Operation besuchte er England, um sich und seine Diamanten unseren Damen zu zeigen.«
» Damned! ich hoffe, der Bursche, hat Witz genug gehabt, dort zu lernen, daß mit England nicht zu spaßen ist!«
»Wir wollen hoffen,« sagte Kapitän Lowe vom 32. Regiment der Königin, das zum Teil in Cawnpur, zum Teil in Lucknow stand. »Man sagt, die Rani von Lahore befinde sich noch immer in Nepal und intriguiere von dort.«
»Was können die Weiber thun! Ihr Sohn ist in Firozpur, und Montague wird ihn schon zu bewachen wissen. Man hätte ihn nach England schicken sollen, da wären alle Intriguen mit einemmal zu Ende gewesen. Apropos, Sullivan, haben Sie nichts von dem Nena gehört?«
»Er wird zu Lande am Sedletsch über Delhi zurückkehren, wir erwarten ihn erst in 14 Tagen.«
»Wissen Sie, Moore, daß Miß Soldie morgen von Kalkutta kommt?«
»Gott segne Ihre Augen, mein Bursche, die Nachricht ist ein Lichtblick in unserm langweiligen Leben. Nur –« er flüsterte über den Tisch hinüber – »möge Gott sie davor bewahren, daß jener Schurke seine unreine Hand nach ihr ausstreckt.« Die Augen des Kapitän Forbes von den Audher Irregulären warfen einen leichten Blitz nach dem Platz hinauf, wo Rivers noch immer im eifrigen Gespräch mit dem jungen Irländer war.
»Ich haue sie ihm vom Leibe, wenn er es wagt,« sagte der Offizier. »Es ist ohnehin eine Schmach, daß sein Treiben geduldet wird. Die Residentur ist schlimmer als ein Bordell, denn in ein solches führt wenigstens nur der eigene Wille die Verworfenen ihres Geschlechts. Nur die lange Abwesenheit und die Gleichgültigkeit des Generals trägt die Schuld.«
»Zum Henker, Sie wissen, welche traurige Zwitterstellung das Militär in diesem verwünschten Lande einnimmt, die Civil-Administration hat alle Gewalt in Händen.«
»Keine Anekdoten aus England, Follington?« fragte wieder der Oberstleutnant vom obern Ende der Tafel herunter.
Der Quartiermeister suchte seinen Rang und Ruf als Allerweltswisser und Neuigkeitsschatz der Garnison zu behaupten.
»Haben Sie die famose Geschichte von Lady Seadgrove in Kalkutta gehört?«
»Der Frau des General-Kollektors?«
»Ja! Sie hat neulich einen öffentlichen Affront veranlaßt. Der Herr Gemahl überraschte sie bei einem Rendezvous in der Haudah ihres Elefanten und Madame war so erbittert darüber, daß sie ihn von dem Tier zertreten lassen wollte. Zum Glück weigerte sich der Mahoud, Der Kornack oder Wärter des Elephanten. seiner Bestie das Kommando dazu zu geben und der General-Kollektor hatte Zeit, sich aus dem Staube zu machen.«
Aus dem Dampf der Cigarren tauchte ein bronzefarbenes, bärtiges Gesicht vor dem Adjutanten heraus, ein Subahdar, eingezwängt in die steife, britische Uniform mit der unnatürlichen Halsbinde, die der Zopf des freien England zum Besten der Schlagflüsse in dem sengenden Klima bewahrt.
Der alte Mann legte die Hand salutierend an den Tschako. »Sahib, die Leute sind in ihre Linien Die eingebornen Regimenter liegen nicht in Kasernen, sondern in Linien, d. h zehn Reihen von Hütten mit Strohdächern, von denen jede Kompanie eine zugeteilt erhält. Vor einer jeden solchen Reihe liegt ein kleines rundes Gebäude zur Aufbewahrung der Waffen und Montierungsstücke, wozu der Schlüssel sich in den Händen des wachthabenden Havildar (Sergeanten) befindet. geführt und die Waffen in den Hütten.«
»Ah, Du bist es, Nirgut-Singh,« sagte der Oberstleutnant. »Wie ging es heute Abend beim Exerzieren? Ich hatte keine Zeit hinüberzukommen.«
»Gut, Sahib, nur …«
Der Alte zögerte und sein Blick schweifte verlegen an dem Tische hinab.
»Nun, was meinst Du? – Hier, trink ein Glas Wein, das wird Dir die Zunge lösen.«
Der Subahdar wandte sich mit Abscheu von dem Dargebotenen. »Allah hat den Gläubigen verboten, sich den Tieren gleich zu machen, indem sie ihren Verstand ersäufen,« sagte er finster. »Ich trinke keinen Wein!«
»Richtig – Du bist ja ein Muselmann, ich hatte es vergessen. Nun, so sprich auch ohne Anfeuchtung Deiner Zunge, was es gegeben hat.«
»Dort der Zemindar, Sahib,« flüsterte halblaut der alte Moslem, indem er mit einer Bewegung seines Kopfes den betreffenden Offizier bezeichnete, »hat Beni-Mahib, den Haik, Korporal. seiner Kaste beraubt, er hat ihm den Tilluk genommen. Es ist ein großes Unglück und die Brahminen aller Kompagnieen sitzen um das heilige Feuer und beraten den Fall. Böse Reden sind gesprochen worden.«
Der Oberstleutnant runzelte die Stirn – die Gesellschaft begann die allgemeine Unterhaltung einzustellen und zuzuhören.
»Leutnant Halliday!« befahl der Kommandierende, »was ist geschehen bei dem Exerzieren? Ich höre. Sie haben Haik Beni-Mahib gemißhandelt?«
Der Offizier, der eben mit seinem vis-à-vis ein Glas Champagner trank, wandte sich gleichgültig um. »Nichts von Bedeutung, Oberst. Der Schurke hielt seine Sektion nicht in Ordnung und wagte zu widersprechen, indem er aus der Linie trat. Ich schlug ihm den Tschako vom Kopf.«
»Seine Hand berührte den Tilluk, er hat den Mann entehrt, nach der Sitte der Hindus,« murmelte der Subahdar.
»Teufel!« sagte der Artillerie-Kapitän, der Halliday gegenüber saß, »nehmen Sie sich in acht, Kamerad, es ist kein Spaß, einen dieser braungesichtigen Söhne der heiligen Kuh seiner Kaste zu berauben! Die Kerls sind rachsüchtig wie der Satan, und Sie können bei erster Gelegenheit eine Kugel im Leibe haben.«
»Bah! ich fürchte das Gesindel nicht!«
»Drei der Kompagnieen bestehen allein aus den Männern, die Brahma anbeten,« warnte der Subahdar. »Inshallah! es könnte leicht kommen, daß wir eines Morgens aufstehen und wir finden – nichts!«
»Der Fall ist unangenehm! Ich fürchte, ich werde Sie in Arrest schicken müssen, Halliday, um die Leute zu beruhigen,« meinte der Oberstleutnant.
»Zum Henker! Sie werden doch nicht!« rief der Resident. »Die ganze Partie wäre uns verdorben. Halliday ist der beste Schütze und es ist ausgemacht, daß er uns nach Jhansi begleitet.«
»Das ist wahr! Nun, es wird nicht so viel auf sich haben. Gehe zu den Linien, Nirgut-Singh, und jage die Bursche in ihre Hütten. Wenn sie eine Beschwerde haben, können sie dieselbe anbringen, wenn ich von Jhansi zurückkomme, oder sich einstweilen an den Major Konelly wenden.«
Der Subahdar wollte noch eine Einwendung machen, aber der ungeduldige Ruf: »Laß mich ungeschoren jetzt und geh' zum Teufel!« unterdrückte jede Äußerung, und er verließ das Bungalow.
»Wie steht es mit dem Tiger?« fragte der Oberstleutnant – »es ist doch sicher, daß wir keinen vergeblichen Ritt machen, Rivers?«
»Unbesorgt, Oberst – die Späher haben sichere Kunde von seinem Lager in den alten Ruinen gebracht und den Weg durch die Dschungeln erkundet. Eins nach dem andern. Am Abend die Sotti – am andern Morgen den Tiger.«
» Goddam!« schwor der Kapitän Lowe – »ich will lieber der Bestie allein entgegengehen, als das traurige Schauspiel des Opfertodes eines Weibes sehen. Ist es gewiß, daß die Sotti Die Witwenverbrennung. stattfinden wird?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn der Scindia sie nicht hindert. Er ist der Lehnsherr von Jhansi und hat allein das Recht, einzuschreiten. Indes fürchte ich nicht, daß er uns das Schauspiel verdirbt.«
»Wie Sir, Sie fürchten es nicht?« Es war das erste Wort, das Kapitän Delafosse an seinen ehemaligen Gefährten richtete.
»Nein, Kapitän. Der Scindia wird kein Narr sein. Der Ruf sagt allerdings, daß die Rani ein verteufelt schönes Weib sein soll, indes, wenn sie am Leben bleibt, ist sie die Erbin ihres Mannes, während seine Schätze und sein Gebiet sonst ihrem Oberherrn, dem Scindia von Gwalior, zufallen.«
»Abscheulich – diese Sitte sollte durch ganz Indien nirgends mehr geduldet werden.«
»Bah! was können wir thun,« meinte der Resident, indem er sich behaglich in seinem Rohrsessel zurücklegte und die Zähne stocherte, »die Schutzstaaten müssen doch wenigstens ein Vergnügen behalten. Es ist Unrecht genug, daß man die Leute in Bengalen an ihrem Willen hindert, im Pendschab wird man's ohnehin nicht durchsetzen. Teufel! es ist doch ein ganz eigener Reiz, so ein hübsches Weib mit den begeisterten Augen wie einen Hammel in die Flamme geführt zu sehen. Sie sind ganz toll darauf und freuen sich wie die Kinder, all ihre Reize dabei zum Besten geben zu können.«
»Diese Braunen haben kein Gefühl,« meinte Halliday. »Ich sah, wie sich zwanzig unter die Räder ihres Götzenwagens warfen und mit entzückten Gesichtern zum Himmel jauchzten, während ihre Glieder zu Mus zerquetscht wurden!«
»Jedenfalls ist es Schade um ein hübsches Weib, das besser zu brauchen ist,« entschied der Oberstleutnant.
»O, davon giebt es Vorrat! Rivers weiß das am besten!«
»Es ist wahr, Major – Sie sollen in letzter Zeit wieder etwas stark gewirtschaftet haben, und die Zenanah der Residentur stark besetzt sein.«
»Überzeugen Sie sich selbst, Oberst,« lachte der Wüstling, »Sie wissen, ich bin nicht eifersüchtig auf meine Freunde.«
»Der Gedanke, unter dem Vorwand, daß die Weiber unter ihren Busentüchern verbotene Waren im Lande umhertragen könnten, die Tücher zu verbieten und die Busen aller Frauen und Mädchen zu enthüllen, Wirklich in einigen Residenturen befohlen. ist eines Casanova würdig! Nur die Alten hätten Sie ausnehmen sollen, Rivers.«
» Goddam! auf diese sieht ohnehin niemand. Eine alte indische Hexe ist ein Scheusal!«
Delafosse wandte sich mit unverhohlenem Abscheu von der Unterhaltung.
»Die Hauptsache bleibt mir die Jagd,« sagte der Oberstleutnant. »Wann wollen wir den Tiger stellen?«
»Der Scindia hat mir Botschaft gesandt,« berichtete der Resident, »er wird alles bereit halten. Übermorgen, wenn die Sonne sich neigt, findet die Sotti statt, der Scindia trifft an dem Tage gleichfalls in Jhansi ein. Beim nächsten Sonnenaufgang suchen wir das Lager des Tigers auf.«
»Und wer ist alles von der Partie? wir können die Stadt nicht ganz allein lassen!«
»Nun, ich glaube, Kapitän Lowe und Kapitän Delafosse haben die Einladung angenommen. Sie, Oberst, Follington, Halliday und ich, das sind unserer sechs. Den Doktor halten seine Kranken zurück.«
»Das ich nicht wüßte! Es liegen vom Regiment bloß fünfzehn Leute an der Cholera und zwei am Sonnenstich; der Wundarzt wird bequem mit ihnen fertig. Aber geht denn Master O'Sullivan, Ihr Pythias, nicht mit uns?«
Der junge Mann errötete leicht, als viele Blicke sich auf ihn richteten. Er hatte die Augen gesenkt und bemerkte nicht den lauernden, boshaften Ausdruck, der einen Moment lang auf dem Gesicht des Residenten lag.
»Ich hab' dem Nena versprochen,« sagte er endlich verlegen, »während seiner Abwesenheit nicht weiter als nach Cawnpur mich zu entfernen.«
»Ei, Unsinn, Mann,« lachte der Oberst, »wir sind nicht länger als sieben oder acht Tage abwesend, und die Entfernung ist ein Pappenstiel. Ihre schöne Schwester bedarf Ihres Schutzes nicht, und überdies ist der alte Murrkopf, der Schotte, da, der wie ein Cerberus vor dem Schatze liegt.«
»Freund O'Sullivan,« sagte der Major mit wohlberechneter Nachlässigkeit, »hat vielleicht noch einen andern Grund. Ich glaube, er hat eine Aversion gegen die Tigerjagden.«
Eine fahle Blässe überzog das vom Trinken erhitzte Gesicht des jungen Irländers. Seine Hand, die mit dem Tischmesser spielte, krampfte sich unwillkürlich um dieses zusammen, während die meisten Mitglieder der Gesellschaft in Gelächter ausbrachen.
»Wie meinen Sie das, Sir?«
»O, nichts Schlimmes, Ned! – es ist mir nur, als habe ich einmal gehört, Sie hätten, so wie manche Menschen gegen die Katzen, eine natürliche Antipathie gegen die Tiger. Es würde Ihnen schwach beim Anblick eines solchen – oder so etwas! Haben Sie nicht schon einmal ein solches Abenteuer irgendwo gehabt?«
Die Farbe des jungen Mannes wechselte zwischen tödlicher Blässe und dunkler Röte, die Aufregung raubte ihm jede Besonnenheit und verhinderte ihn, das Absichtliche, Lauernde in den Worten seines älteren Freundes zu bemerken.
»Nun, es ist kein Wunder,« lachte übermütig Halliday, »ich verdenke es Ihnen nicht, O'Sullivan, ein hübsches Mädchen einem borstigen Tiger vorzuziehen! Nicht jeder hat die doppelte Liebhaberei des Nena und seinen Mut.«
»Zweifeln Sie an dem meinen, Sir?« fragte heftig der Irländer. »Bei Sankt Patrik, er steht Ihnen jeden Augenblick zur Erprobung zu Diensten!«
»Thorheit, Ned,« fiel der Major ein, »niemand zweifelt daran, daß Sie wie eine Mauer vor der Mündung eines Pistols stehen. Halliday meint nur, es sei etwas anderes auf der Tigerjagd.«
»Das ist es! Es gehören eiserne Nerven dazu, und es ist nicht gerade eine Schande für einen Mann, einem Tiger aus dem Wege zu gehen. Ich wette hundert Pfund, daß sich unter uns allen keiner findet, der einer solchen Bestie anders zu begegnen wagt, als auf dem Rücken seines Elefanten und die Büchse an der Wange!«
Der Irländer hatte sich erhoben und mit beiden Händen auf den Tisch gestützt. »Meinen Sie, Sir? Die Wette gilt!«
»Zum Henker, Sir, würden Sie etwa die Courage haben, den Tiger zu Fuß in seinem Lager aufzusuchen?« fragte der Leutnant roh.
Die Farbe des Verhöhnten war fahl, seine Glieder zitterten, aber die Zähne fest aufeinander gepreßt, antwortete er zischend durch diese:
»Ich werde es, mit nichts als diesem Messer bewaffnet, so wahr ich O'Sullivan heiße!«
Alle waren aufgestanden und drängten sich herbei. »Unsinn, O'Sullivan! Thorheit! Das ist kein Gegenstand für eine Wette, es hieße, sein Leben mutwillig opfern.«
Der Resident war der Eifrigste unter den Abmahnenden, aber jedes seiner Worte war so eingerichtet, daß es ein neuer Stachel wurde.
Eduard war von dem genossenen Wein und der Erinnerung an die bei jenem Stiergefecht in der Arena von San Francisco bewiesene Schwäche taub gegen Vernunft – nur der Gedanke, das Gedächtnis jener schwachen Stunde, das ihn jahrelang gepeinigt, um jeden Preis auszulöschen, erfüllte ihn.
»Ich habe die Wette angenommen,« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Sie alle sind Zeugen und ich werde nächsten Freitag bei Sonnenaufgang den Tiger, den Sie zu jagen beabsichtigen, in seinem Lager aufsuchen. Kein Wort weiter darüber, Gentlemen, wenn Ihnen an meiner Freundschaft gelegen ist. Das Messer, Stewart, werdet Ihr mir einstweilen leihen müssen.«
Er steckte das Messer in seine Brusttasche. Alle fühlten, daß in diesem Augenblicke nichts zu machen wäre. Doch war bei den meisten die Mißstimmung über das Ereignis sichtbar und viele brachen auf.
Erst nach längerer Zeit und nach manchen vergeblichen Versuchen Rivers' gelang es dem Doktor, durch eine lustige Fopperei des hageren Fähnrichs, die Stimmung der Gesellschaft zu ändern und die Gedanken von der leidigen Wette abzuziehen. Unter Scherz und Gelächter trennte man sich und jeder ging, begleitet von seinem harrenden Chiprassy, den Weg nach seinem Bungalow.
Major Rivers hatte den Arm des Irländers gefaßt und einem Lancier-Kapitän einen Wink gegeben. »Kommen Sie mit Mowbray – ich habe etwas ganz neues, was besser ist, als alle weißgesichtigen Ladys der Dampfer aus England. Wir trinken noch ein Glas Sangarih und rauchen eine Manila!«
Der Offizier warf ihm einen fragenden Blick zu – Rivers nickte bedeutsam und schickte seinen Palankin voran, um den Weg zu Fuß zurückzulegen.
»Ich kann Sie nicht begleiten, Rivers,« sagte O'Sullivan, »ich werde kaum Zeit haben, nach Bithoor zu reiten und wieder zurück zu sein, wenn der Zug aufbricht.«
»Unsinn, Ned! Sie bleiben bei mir. Sie wissen, daß Sie alles, was Sie brauchen, bei mir finden und um nichts zu sorgen haben.«
»Aber ich muß von meiner Schwester, von Margarethe, Abschied nehmen. Als ich sie heute verließ, konnte ich nicht ahnen, daß ich mehrere Tage ausbleiben würde.«
»Thorheit, Mann! Sie sind ja kein Pantoffelheld. Schreiben Sie einige Zeilen, das ist ebenso gut, oder vielmehr noch besser! Jhansi ist ja keine zwei Tagereisen weit.« Er neigte sich zu dem Zaudernden und flüsterte ihm zu: »Narika erwartet Sie – wir werden uns den Kavalleristen bald vom Halse schaffen und dann an warmen Busen und süßen Lippen uns für den verlorenen Abend entschädigen.«
Der junge Thor folgte ihm ohne eine weitere Einwendung.
Die Zeit der heißen Winde nahte ihrem Ende und einzelne Regengüsse erfrischten bereits von Zeit zu Zeit die Luft, doch hatte man noch volle Zeit zu dem beabsichtigten Ausflug nach Scindia, ehe die unaufhaltsam strömenden Regengüsse eintraten, welche das Reisen fast unmöglich oder doch wenigstens äußerst beschwerlich machen.
Plaudernd gingen sie an der Reihe der von reizenden Gärten umgebenen Bungalows der Offiziere, Beamten und Kaufleute entlang, die um die West- und Südseite von Cawnpur einen Gürtel von fast fünf englischen Meilen im Umfange bilden und sich bis zum Ufer des Ganges hinziehen.
Die Nacht war prachtvoll. Myriaden grüner und roter Feuerfliegen funkelten durch die dunklen Blätter der Mangroven und Geraniums und zwischen den langen Stachelspitzen der Ananas und Aloës, gleich als wetteiferten sie mit dem Glanz des gestirnten Himmels. Ein scharfer, gewürzreicher Wohlgeruch erfüllte die Luft. Aus dem dichten Geröhr der Wasserfurten ließ der Ochsenfrosch seinen Ruf ertönen, zuweilen klang dazwischen das heisere Geschrei des Krokodils oder ein umherstreifender Schakal ließ aus der Ferne sein Bellen hören.
Von den Wällen klirrte der Schritt der auf und nieder wandernden Schildwachen, von den Bazars im Innern und vor den Thoren der Stadt flammte der Glanz bunter Laternen durch das Laubwerk her, tönte Jubel und der Lärm der Menge, welcher die Nacht die Zeit der Lust und Erholung ist.
Die Umgegend Cawnpurs, das, obschon die Stadt selbst klein und schmutzig, doch eine Hauptstation der Briten ist und eine Garnison von 8000 Mann verschiedener Truppengattungen hat, ist eine der reichsten und lieblichsten Gegenden Indiens, wiewohl das Klima in der Zeit der heißen Winde und in der Regenzeit sehr ungesund wird. Üppige Felder, auf denen Weizen und Gerste, Mais, Reis, Zuckerrohr, Baumwolle, Gräm, Jowary und Indigo gezogen werden, umgeben es abwechselnd mit prächtigen Tamarinden-, Mango-, Bananen-, Akazien- und Pipala-Hainen. Der köstlichste Blumenteppich entfaltet dazwischen seine reichen Farben.
Das Bungalow des Residenten befand sich in malerischer Lage unfern der großen Militär-Straße auf dem hier wohl hundert Fuß sich erhebenden rechten Ufer des Flusses, und eine prächtige Aussicht bot sich von seinen Verandas aus rings über die Stadt, den Strom und die Gegend. Ein großer, mit Üppigkeit eingerichteter Garten, durch hohes Gitterwerk abgesperrt, umgab das Haus, an das sich eine Reihe von Pavillons anschloß, die Zenanah oder der Harem des Besitzers, wie der schlimme Ruf behauptete.
Die kleine Gesellschaft hatte bereits die riesigen Ruinen der Akhbar-Moschee passiert, die vor dem Dschumna-Thor mitten zwischen den prächtigen Gärten der Bungalows sich erheben. Der Diener mit den Fackeln und Stäben ging etwa zwanzig Schritt voran, und da weder der Resident, noch seine beiden Gäste zurücksahen, bemerkten sie nicht, wie sich hinter den Säulentrümmern am Wege eine weiße Gestalt erhob und mit flüchtigem, unhörbarem Schritt ihnen folgte, und dicht hinter ihnen, gleich als gehöre sie zu den Europäern den Garten betrat.
Die vom Bungalow vorausgeschickten Palankinträger harrten mit zahlreichen anderen Dienern am Säulenaufgang der Veranda, wo große Kohlenbecken mit wohlriechendem Harz die Myriaden der Mosquitos und Stechfliegen zurückhielten, die den Genuß der indischen Nächte so sehr verbittern. Die Fackelträger gesellten sich zu ihnen und stellten sich zu beiden Seiten der Marmorstufen auf, während der Schobedar mit seinem Stabe Platz zwischen den Peons und der niederen Dienerschaft machte. Der Major hatte eben mit seinen Freunden den Fuß auf die Treppe gesetzt, als plötzlich eine Bewegung unter den Hindu-Dienern entstand, und die Gestalt, welche ihnen von den Ruinen her gefolgt war, sich hindurchdrängte und vor dem Residenten niederwarf.
Es war ein alter Man von ehrwürdigem Aussehen, in weißer Kleidung, mit dem Abzeichen der Kaste der Wechsler oder Babus. Seine Hand faßte den Rockzipfel des Residenten und drückte ihn zum Zeichen der Ehrerbietung an die Stirn.
»O Sahib, übe Gnade und Gerechtigkeit,« flehte der alte Mann, »damit Lakschmi das Horn des Überflusses über Deine Schultern gieße, und der Engel der Gerechtigkeit nicht die Thränen eines Greises in seiner Schale sammeln möge.«
Der Resident trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er den Bittenden erkannte. Er warf einen verdrießlichen, häßlichen Blick auf den Alten.
»Was willst Du, Tippo-Singh,« sagte er rauh, »daß Du mich überfällst bei Nacht wie ein Räuber? Weißt Du noch nicht, was sich schickt gegen den Residenten der Regierung? Die Gartenwächter sollen fünfzig Bambusschläge auf die Fußsohlen haben, daß sie es gewagt, einen Fremden gegen das Gebot einzulassen.«
»Sie sind unschuldig, Sahib,« entschuldigte der Babu, »ich folgte Dir auf dem Fuß und sie mußten glauben, ich käme mit Deiner Bewilligung.«
»Nun, so komme morgen wieder und bringe Dein Anliegen an, die Geschäftsstunden sind längst vorüber.«
»Der Gerechte soll sein Ohr stets offen halten für die Klage des Unglücks. Dem Betrübten wird die Stunde zum Jahr, die er harren muß zum Trost. – Ich weiß, Du wirst morgen früh Cawnpur für viele Tage verlassen.«
Der Resident stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Zum Teufel, so rede, was willst Du?«
»Meine Tochter, Sahib, Nurjesan, mein einziges Kind, ist diesen Morgen geraubt worden, als sie sich aus den unteren Gangesbädern in ihrem Palankin nach Hause tragen ließ, während ich in Lucknow war.«
»So wende Dich an den Darogah, den Chef der Polizei. Es ist seine Sache, nicht die meine,« sagte Rivers höhnisch.
»Der Darogah, Sahib, kann mir nicht helfen. Was ist ein feiler Darogah gegen die Hand des Mächtigen?«
»Schone Dein Gold nicht, würdiger Babu,« spottete der Resident. »Du mußt bei der Gelegenheit von Deiner Sparsamkeit lassen, die ich zu kennen das Vergnügen habe. Gold ist ein mächtiges Metall und der Schlüssel zu allem. Hast Du schon einen Verdacht, wer Deine Tochter geraubt haben könnte? Die Phansigars sollen wieder sehr ihr Wesen treiben.«
»Kein Phansigar hat mein Kind geraubt. Jedermann weiß, daß Tippo-Singh bereit wäre, das Gewicht seines Kindes in Gold für ihre unbefleckte Freiheit zu geben. Die Diebe, die sie gestohlen, gehören nicht meinem Volk.«
»Nun zum Teufel! soll ich etwa wissen, wer sie sind? Warum hütest Du die Dirne nicht besser.«
Der Babu näherte sich dem Vertreter der Regierung. »Laß diese Männer einige Schritte sich entfernen,« sagte er leise, »ich habe Dir etwas zu sagen, Sahib, das nicht für fremde Ohren geeignet ist.«
Der Resident schien einige Augenblicke zu schwanken, dann faßte er einen Entschluß und winkte seinen Begleitern, zurückzutreten. Als er so mit dem alten Indier allein stand, den er scharf im Auge behielt, sagte er:
»Jetzt rede! Was willst Du?«
»Man hat die Fußstapfen der Diebe verfolgt, Sahib. Wischnu hat heute morgen das Wasser des Himmels gesandt und die Erde war feucht.«
»Was kümmert mich der Regen!«
»Die Spuren gehen bis zur hinteren Thür deines Gartens, Sahib.«
»Schurke – Du erdreistest Dich doch nicht, zu behaupten …«
»Ich klage niemand an, Sahib, verstehe mich wohl. Aber ich muß mein Kind wiederhaben. Der Sahib-General ist leider nicht in Cawnpur, und Du allein hast die Macht dazu. Wenn sich mein Kind in dieser Stunde wiederfindet, will ich dem, der sie mir bringt, ein Lack 100 000 Rupien oder 10 000 Pfund Sterling. geben.«
Auf dem Gesicht des Residenten spiegelte sich der Kampf der Habsucht mit anderen schlechten Eigenschaften. »Du schlugst mir vor kurzem noch eine geringere Summe zu leihen ab,« sagte er endlich. »Jetzt kommst Du, um meine Hilfe zu erkaufen. Ich will mir die Sache überlegen; komm morgen wieder und frage bei meinem Serdar nach.«
»Nein, Sahib – was geschehen soll, muß jetzt geschehen. Nurjesan darf keine Nacht unter jenem Dache bleiben. Die Rose darf nicht entblättert werden von dem Hauche des giftigen Monsoon!«
»Nun, so sieh selbst zu, wo Du die Dirne bekommst und laß mich ungeschoren,« fuhr der Major ihn an. »Ich habe keine Zeit, mich mit Dir länger einzulassen. Pack Dich von meiner Schwelle!«
Er wandte sich, hinaufzusteigen, aber der alte Mann hielt ihn nochmals zurück. »Ist dies Dein letztes Wort, Sahib? Bedenke wohl, was Du thust, und wessen graues Haar Du mit Kot bewirfst.«
»Will der alte Schurke noch drohen? Fort mit Dir oder ich rufe die Diener!«
Ein rascher Griff in die Falten der Tschoga, in den Händen des Babu blitzte ein Dolch, aber die Faust des Engländers erfaßte gewandt das Handgelenk des alten Mannes und preßte es so gewaltig zusammen, daß die Waffe seiner Hand entfiel. Herbei, Leute!« befahl er kaltblütig. »Schnürt dem grauen Mörder die Hände auf den Rücken und sperrt ihn in die Hundehütten. Morgen früh bevor ich aufbreche, werde ich über ihn entscheiden. Sorgt dafür, daß die Elefanten und Pferde zur rechten Zeit bereit sind und das Gepäck aufgeladen ist. Kommen Sie, meine Herren!« Er winkte seinen über den Mordversuch ziemlich erschrockenen Begleitern und stieg mit ihnen die Stufen des Gebäudes vollends hinauf.
Der Schobedar öffnete weit den Seidenvorhang, der den Eingang zu der Reihe luftiger Gemächer verschloß, welche die Wohnung des Residenten bildeten.
»Treten Sie in meine Garderobe, O'Sullivan, und machen Sie sich's einstweilen bequem,« sagte der Major, indem er mit einem Wink seines Auges den Lancier-Offizier zurückhielt. »Ich habe nur noch einige Befehle für die Abreise zu erteilen und folge Ihnen sogleich.«
Eduard ging mit der Sicherheit eines mit allen Einrichtungen des Hauses vollkommen Vertrauten voran. Eine Thür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als sich der Resident zu seinem Begleiter wandte:
»Sie haben Ihre Anstalten getroffen, Mowbray?«
»Zuverlässig, Sir!«
»Die Zeit, wann Sie mit Ihrer Eskadron aufbrechen wollen, mögen Sie selbst bestimmen. Was ich von Ihnen verlange, ist, daß Sie übermorgen vor Sonnenuntergang vor den Thoren von Jhansi stehen. Sie werden die Zugänge des Forts unbewacht und geöffnet finden, alles wird mit der Sotti beschäftigt sein. Am Thor nach Cawnpur wird Sie einer meiner Diener erwarten und mir sofort die Nachricht Ihrer Ankunft bringen. Wer sie befragt, dem sagen Sie, daß Sie meine Eskorte bilden. Leistet die Thorwache Widerstand, so wird sie entwaffnet. Der Schobedar wird Sie an den Ort führen, wo ich bin. Ich hoffe, Ihre Gegenwart wird genügen, um jeden Widerstand zu verhindern.«
»Sie werden mich pünktlich auf meinem Posten finden, Major.«
»Ich rechne darauf, Kapitän, wir möchten sonst in eine schlimme Lage geraten. Sind die Anstalten zur Reise getroffen?«
Der Serdar oder Ober-Aufseher verneigte sich. »Deine Befehle sind erfüllt, Sahib.«
»Du hältst Doppelbüchsen für sämtliche Begleiter bereit?«
»Sie befinden sich bereits in den Haudas der Elefanten und an den Sätteln der Pferde.«
»Meine Revolver?«
»Vier Paar liegen auf dem Tisch des Kabinetts des Sahib.«
»Du hast zu den indischen Dienern der Begleitung zuverlässige Männer Deines Glaubens ausgesucht?«
»Wallah! sie lachen über die Kühe! Die Kuh wird von den Hindus heilig gehalten. Es sind Männer aus den Bergen, die ihren Säbel zu führen verstehen.«
»Wie viel sind ihrer?«
»Mit den Seyces und Dobys fünfunddreißig, Sahib.«
»Das genügt. Die Bewaffnung darf nicht auffällig sein und muß anscheinend nur für die Jagd gelten. Du bürgst mir übrigens dafür, daß nichts anderes verbreitet wird.«
»Sahib, sie wissen nur, was Du ihnen befiehlst. Ihr Mund ist verschlossen.«
»Gut, Hassan, ich hoffe, ich werde mit Dir zufrieden sein.« Er winkte den Vertrauten zur Seite.
»Hat das Mädchen sich zufrieden gegeben?«
»Sie hat den ganzen Nachmittag geweint und nach ihrem Vater gerufen, Sahib. Erst gegen Abend gelang es der Aya, sie zur Ruhe zu bringen.«
»Sorge, daß wir nicht gestört werden. Wenn es Zeit ist zum Aufbruch, wirst Du uns wecken.«
Er winkte dem Kapitän und ging mit ihm in die inneren Gemächer.
Hier trafen sie den jungen Irländer bereits damit beschäftigt, mit Hilfe eines Dieners die lästige europäische Kleidung abzulegen, und sich in die weiten und wallenden Gewänder der reichen Eingeborenen zu hüllen.
» Goddam! Ned kann es kaum erwarten, in Narikas Arme zu fliegen. Hollah, mein Bursche, Sie wissen, ich führe den Schlüssel zu unserm irdischen Paradiese, und ohne meinen Willen kann es niemand betreten. Geschwind, Mowbray, herunter mit der leidigen Uniform und nehmen Sie diese Tschoga, die einem indischen Fürsten gehört hat und deren Perlenstickerei sich kein König Europas zu schämen brauchte.«
Er warf ihm ein kostbares Obergewand zu, während er sich selbst mit weiten türkischen Beinkleidern von gelber Seide und einem meergrünen Rock versah, um den er einen kostbaren Kaschmir-Shawl schlang. Ein ähnlicher umhüllte turbanartig den Kopf, und der knieende Diener zog reich mit Gold und Juwelen gestickte Pantoffeln auf seine Füße.
In wenig Minuten standen die drei Wüstlinge in den prächtigen orientalischen Gewändern gleich sybaritischen Fürsten des Morgenlandes.
»Und jetzt – vorwärts, Ihr Herren, die Freude ruft!«
Er sprang mit der Behendigkeit eines Jünglings und der Gier eines alten Lüstlings den Genossen voran und führte sie durch einen langen, mit Blumen verzierten Korridor, der das Hauptgebäude des Bungalows mit der Reihe von Pavillons und Kiosks verband, die sich in den dunkelsten Hainen des Gartens versteckten.
Wie vor dem Harem eines Sultans hielt an dem Eingang ein stummer, schwarzer Verschnittener Wache. Neben ihm befand sich ein altes, indisches Weib, die Aya, auf der Lauer.
»Alles bereit, Zulma, Du alte Hexe, die Du das Himmelreich bewachst?«
»O Sahib, möge Deine Hand offen und Dein Schatten ewig sein! Die Houris des Paradieses harren, ihren Gebieter zu bedienen!«
Er winkte sie zur Seite. »Hast Du das neue Täubchen gezähmt?«
»Sie hat das Opium im Kaffee genommen, Sahib,« sagte die Alte mit teuflischem Blick. »Der Trank, den ich ihr bereitet, hat Feuer gegossen in die Adern ihres jungen Leibes, Du wirst ein glücklicher Mann sein.«
»Wohl! aber wenn Du mir dienen willst, so denke, daß die nächsten Tage die wahre Gelegenheit dazu bringen. Wenn es jetzt nicht geschieht, ist es unmöglich, denn der Nena kehrt zurück, ehe der Mond wechselt.«
»Ehe drei Tage vergehen, wird das stolze Weib mit den goldenen Haaren in Deiner Zenanah sein, vielleicht getroffen, aber die Gefahr ist groß!«
»Der Lohn nicht weniger, nimm!« Er reichte ihr morgen schon. Hassan und ich, wir haben unsere Anstalten einen Beutel mit Rupien. »Fünfzig Mohurs, wenn Ihr die Dame mir in das Haus schafft. Nur Vorsicht und sicheren Gewahrsam.«
»Aber wenn der Faringi, ihr Bruder Verdacht schöpfen sollte? Es ist kaum möglich, daß Narika nicht etwas von dem, was geschieht, bemerken wird, und sie liebt ihn.«
Ein höllisches Lächeln zuckte um den falschen Mund des Hausherrn. »Für den ist gesorgt – beunruhige Dich nicht! Er wird nicht stören!«
»Und der Nena? – seine Rache wird furchtbar sein.«
»Mein Fuß wird ihn zertreten, wenn er gefährlich ist. Wir haben vierzehn Tage Zeit und das ist länger, als man bedarf, um hundert Weibern den Mund zu schließen. Es giebt Geheimnisse, die keine Frau erzählt. Genug der Worte! Du hast Deine Instruktion und meine Freunde werden ungeduldig. Öffne!«
Er faßte Eduard am Arm. »Nun, Ned – lassen Sie uns die Stunden bis zum Aufbruch in unserer Weise verträumen.«
Eine feste Thür von Eichenholz flog vor dem Schlüssel der alten Kupplerin auf, ein kurzer Weg durch ein halbdunkles Vorgemach, heiteres Lachen, der Ton eines Tambourins scholl gedämpft herüber, dann rauschte der Teppich des Eingangs zur Seite und die Männer traten über die Schwelle der Zenanah.
Ein weites Gemach von ovaler Form, während des Tages nur von oben durch die Öffnung der Decke beleuchtet, jetzt durch große Lampen mit rosafarbenen Gläsern erhellt, öffnete sich vor ihnen. In der Mitte plätscherte eine köstliche, kleine Fontaine. Um ihre Marmorschale zog sich ein Diwan mit Kissen von dunkelblauer Seide. Ähnliche breite, zum Ruhebett wie zum Lager dienende Diwans liefen an den Wänden entlang, nur durch vier Thüren unterbrochen, deren halbgeöffnete, schwere, goldgestickte Vorhänge von gleicher Farbe das Auge in das geheimnisvolle Halbdunkel der in köstlichen Farben gehaltenen Kabinetts blicken ließ. Ein dunkler, persischer Teppich, in den der Fuß bei jedem Schritt einzusinken schien, bedeckte den Boden; die Farbe der Wände, ein mattes, marmorartiges Weißgelb, gewann durch den sanften Schimmer der rötlichen Lampenglocken etwas Zauberhaftes.
Zwischen zwei der Thüren befand sich ein großes, mit kostbarem Gold- und Silbergeschirr bedecktes Büffet, auf dem in silbernen, mit Eis gefüllten Becken Krystall-Karaffen standen, gefüllt mit dem kühlen Scherbet oder mit Sangarihpunsch. Früchte aller Art, und die mannigfaltigen Konfituren von Rosenblättern, Limonen und Mastix, nebst den Zuckerwerken, welche die orientalischen Frauen so sehr lieben, füllten die Zwischenräume.
Zehn reizende Gestalten von wunderbarer Schönheit lagen und saßen in zeittötenden Unterhaltungen auf den Diwans und dem Teppich.
Die Rassen Asiens schienen in ihnen vertreten, ja selbst das Kind Nubiens, die hohe, schlanke Gestalt der Mohrin mit dem kräftigen, aber wohlgerundeten Gliederbau und der mit dem Karmoisin der Jugend und Gesundheit gefärbten Sammetschwärze der Wange fehlte nicht.
Neben der Nubierin, die mit dem Ausdruck naiver Neugier ihren Gefährtinnen zusah, auf den Händen und Knieen hockend, lag, in aller Behaglichkeit ihrer angeborenen Trägheit, eine junge Chinesin, den Körper von den Knieen aufwärts durch die unnatürliche Einzwängung der Füße zu jener üppigen Fülle in der Entwickelung gepreßt, die das seltsame Volk des himmlischen Reiches so sehr schätzt. Die feine, weiße, vollkommen europäische Haut des Gesichts und des Körpers erschien neben der Ebenholzschwärze ihrer Nachbarin doppelt blendend. Die Züge des Gesichts waren, wie bei den meisten Chinesinnen, pikant und scharfsinnig durch den eigentümlichen Winkel der Augen und schmalen Brauen, während der kleine Mund reizend erschien, indem er sich, wie der Kelch einer Blume, um den äußersten Rand der Bernsteinspitze einer kleinen Pfeife von rotem Ton schloß und zuweilen die leichten Wolken des Rauchs hervorstieß. Die Chinesin saß mit untergeschlagenen Füßen auf dem Diwan am Springbrunnen und entfernte die Pfeifenspitze nur aus den Lippen, um ein heiteres, kindisches Lachen vernehmen zu lassen, das die Freude über den Tanz zweier ihrer Gefährtinnen ausdrückte.
Diese waren zwei braune Malayenmädchen von der Küste von Malacca, die Augen flammend, der Ausdruck des Gesichts kühn und feurig. Ihre Sprünge und Bewegungen zeigten die Leidenschaftlichkeit und das Feuer ihres Volkes. Zwei reizende Hindufrauen, eine Mestize von den Antillen, eine Jüdin und eine jener schönen Frauengestalten aus den Thälern Kashmirs bildeten die anderen Mitglieder dieser Vereinigung weiblicher Reize. Sie lagerten umher in den ungezwungensten Stellungen auf den Kissen und dem Teppich.
Keine dieser Frauen hatte bereits das zwanzigste Jahr überschritten, einigen sah man es trotz der raschen Entwickelung des Orients an, daß sie kaum das Kindesalter verlassen hatten.
Ihre Kleidung war weit entfernt, frech und unzureichend zu sein, aber sie war leicht und ganz dazu angethan, die Reize in jenes Erratenlassen zu verhüllen, das die Schönheit tausendmal schöner macht, als die dreiste Nudität. Je nach der Laune, der Nationalität und der Schönheit der Trägerin wechselte diese Pracht in bunten, hellen Farben mit Seide, Stickerei und Gaze in wallenden graziösen Formen ab. Reicher Schmuck zierte die Haare und bedeckte Füße, Arme und Busen.
Das Auge des Gebieters flog hastig und gleichgültig über alle diese Reize und suchte neue, um seine erschlafften Sinne zu beleben, während sein jüngerer Begleiter sich eilig auf das Kissen zu den Füßen der schönen Kashmirerin niederwarf.
Gegenüber der Thür, durch welche die drei Europäer eingetreten waren, saß auf einem Haufen loser Kissen, die kleinen, zierlichen Füße unter das faltige Gewand gezogen, den Oberkörper zurück an die Wand gelehnt, die Arme wie sehnsüchtig nach dem dunklen Blättergrün, das eine Laube um sie bildete, die von Rivers Gesuchte.
Es war eine junge Hindu, voll Zartheit und Reinheit der Formen. Die dunkle Elfenbeinfarbe ihrer Haut glich einem durchsichtigen Sammetschleier, unter dem man das frische, jugendliche Blut pulsieren zu sehen glaubte. Hände, Arme und der Fuß, dessen Spitze unter dem Gewand sich zur Seite hervorstahl, waren zierlich und wohlgeformt. Das reizende Oval ihres Gesichts zeigte eben so liebliche als reine Züge, und dennoch bewies der leichte, wie ein Reif um die feingeschnittenen Mundwinkel sich lagernde Flaum, daß unter dieser reinen Hülle glühendes Feuer geschlummert und nur nötig gehabt hatte, geweckt zu werden.
Und es war geweckt, geweckt auf das Schändlichste und Empörendste durch Verrat und Verbrechen. Die großen Augen unter den feingezogenen Brauen funkelten in wildem, unnatürlichem Feuer, während doch unendliche Angst ihnen Thränen entlockte. Die Wangen waren von unnatürlicher, fieberhafter Glut gerötet.
Auch ihre Kleidung unterschied sich von der der Phrynen, die ihre Gesellschaft bildeten. Sie war ganz in weite, züchtige, aber jetzt in Unordnung geratene und selbst zerrissene Gewänder gehüllt, die Schultern und Arme entblößt ließen, über die das prachtvolle Haar gelöst herabfloß.
Es war Nurjesan, die unglückliche Tochter des Babu, den der Resident in die Hundeställe hatte sperren lassen.
Dachte die Tochter an den grauen, der Habsucht und der Rache seines Feindes verfallenen Vater?
O, welche Thränen der Angst hatte sie nach ihm geweint, wie oft seinen Namen nach Hilfe gerufen – aber jetzt –
Der Resident klatschte in die Hände. »Auf, Mädchen, tanzt, singt, strengt all Eure Kräfte an, daß die Stunden der Nacht uns zu Minuten werden! Den Sangarih her, wir wollen lustig sein!«
Die Frauen waren emporgesprungen beim Eintritt des Gebieters, bis auf Nurjesan und die bequeme Chinesin, und begrüßten ihn mit lärmender Fröhlichkeit. Das Auge der jungen Hindu ruhte glühend und dann zornig auf dem jungen Irländer, der sich zu den Füßen des schönen Mädchens aus Kashmir geworfen. Sie bemerkte kaum, daß der Major ihr nahte und sich neben sie auf die Kissen setzte. Erst als sein Arm sie umschlang, blickte sie halb erschrocken auf ihn.
»Was willst Du? ich liebe Dich nicht! Jener dort ist es, den Camah, die Göttin der Herzen, mir beschieden hat.«
»Thörin! Er hat sein Teil, und hier bin ich der Herr!« Seine frechen Lippen verschlossen ihren Mund.
Das Fürstentum Dschansi oder Jhansi, wie es in der späteren Geschichte des Aufruhrs gewöhnlich genannt wird, gehörte damals noch zu den unabhängigen Staaten, war allerdings dem Scindia von Gwalior, dem Bundesgenossen der Kompagnie tributpflichtig.
Der letzte Ranee von Jhansi war gestorben und es handelte sich um die Frage der Erbschaft.
Nach indischen Sitten erbt die Rani, die erste Gattin des Verstorbenen, die Regierung, wenn kein majorenner, wirklicher oder Adoptivsohn vorhanden ist. Die Adoption verleiht in Indien die unbeschränkten Kindesrechte.
Der verstorbene Ranee war ein alter Mann gewesen, das Gerücht aber erzählte viel von den Reizen seiner Frauen, besonders von der Schönheit seiner Lieblingsfrau.
Wir haben bereits vernommen, daß diese, statt die Erbschaft anzutreten, den Opfertod der Sotti vorgezogen hatte.
Ob die Überredung der Verwandten, deren Habsucht davon sich Nutzen versprach, ob der fanatische Aberglaube und die Intriguen der Brahminen oder was sonst der Grund war, der sie zu einem so furchtbaren Entschluß getrieben, niemand wußte es. Die Liebe zu dem Greise konnte ihn nicht veranlaßt haben. Die Unterrichteten behaupten, daß der Rat der Brahminen unter dem Einfluß des Scindia von Gwalior gegeben worden, des einzigen, der als Lehnsherr das Recht hatte, der Witwe die Sotti zu verweigern.
Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang, als der Zug des Scindia mit seinen am Nachmittag in seinem Lager eingetroffenen englischen Gästen an den Thoren von Jhansi anlangte.
Der Anblick war prachtvoll.
Die Verwandten des verstorbenen Ranee und Vornehmsten des Landes waren zwei Meilen weit dem Oberherrn entgegen gegangen und geleiteten ihn mit all dem Gepränge, welches die indischen Aufzüge begleitet, in die Stadt.
Kein Zeichen verriet unter dieser Pracht und diesem Glanz den traurigen, entsetzlichen Zweck des Besuchs.
Fünfhundert Reiter, die Hälfte der Leibwache des verstorbenen Ranee, in weißen Tschodas und rotbesprenkelten Turbans eröffnete den Zug; ihnen folgte ein Heer von Musikanten, die auf Tambourins, Trommeln, Pfeifen, Hörnern und Metallbecken einen wahrhaft höllischen Lärm, ohne eine Spur der Harmonie, vollführten.
Fünfzig Kameltreiber des Scindia folgten.
Dann kamen in langer Reihe die Elefanten des Scindia und der Vornehmen von Jhansi, von zahllosen glänzenden Reitern umschwärmt. Auf dem größten der hundert riesigen Tiere, dessen Rücken mit Goldstoffen behangen war und dessen Zähne und Schwanz vergoldet waren, saß in einer mit Goldblech beschlagenen und reich mit Edelsteinen verzierten Haudah der Scindia, zu seiner Rechten der Resident von Cawnpur, Major Rivers. Ein hinter der Haudah auf dem Sattel des Elefanten kauernder Negerknabe hielt am langen Bambusstabe einen großen Sonnenschirm über ihren Häuptern.
Der Major trug die goldgestickte, rote Uniform und den befiederten Hut, der Scindia strahlte von kostbaren Juwelen. Die britischen Offiziere, welche die Begleiter des Residenten bildeten, und Eduard O'Sullivan saßen auf zwei anderen Elefanten, ihre Diener folgten zu Pferde.
Eine kleine Abteilung der Fußleibwache des Scindia, nach dem Vorbild der britischen Sepoys uniformiert und gebildet, kam hinter den Elefanten und an sie reihte sich der Rest der Reiter von Jhansi und ein unabsehbarer Zug von Dienern aller Art. Fünfzehn- bis zwanzigtausend Menschen mindestens bedeckten die Umgebungen des Thores, schlossen sich dem Zuge an und drängten sich mit ihm durch die engen und schmutzigen Straßen nach dem Platz vor der Burg, auf welchem das traurige Schauspiel vor sich gehen sollte.
Das ganze Aussehen der Stadt trug ein festliches, heiteres Gepräge. Überall waren hohe Gerüste aus Bambusrohr errichtet, die entweder das Aussehen von Minarets, Türmen und Triumphbögen nachahmten, mit Blumen und Stoffen geschmückt, oder Schaubühnen darstellten, auf denen Scharen von Musikanten ihren Lärm vollführten, oder Bayaderen fortwährend tanzten und Possenreißer ihre Streiche machten.
Der Platz bildete ein großes Halbrund vor dem Thor der auf einer ziemlich steilen Anhöhe liegenden Citadelle, deren größter Raum von dem Palast des Ranee eingenommen wurde. Dem Thor gegenüber waren zwei große Prachtzelte aufgeschlagen, aus baumwollenen Stoffen gefertigt und mit kostbaren Teppichen behangen.
Zwischen diesen beiden Zelten, die zur Aufnahme des Scindia und des Residenten der Kompagnie bestimmt waren, befand sich eine Estrade, auf welchem zur Linken, dem Ehrenplatz, ein Thron von vergoldetem Holz, überragt von einem großen Spiegel von Pfauenfedern, stand, den Zeichen der Macht und des Reichtums. Ein Tigerfell, mit großen Edelsteinen statt der Augen, bedeckte den Fußschemel. Auf diesem Thron sollte der Scindia während der Ceremonie Platz nehmen, indes ein gleichfalls vergoldeter Armsessel, jedoch ohne den Feder- und Tigerschmuck, für den Vertreter der Kompagnie bestimmt war.
Diesen Zelten und dieser Estrade gegenüber, in der Mitte zwischen ihnen und dem verschlossenen Festungsthor, erhob sich ein anderer Thron von künstlichem Schnitzwerk und reichen Vergoldungen. Auf diesem Thron, dessen Sitz noch Raum hatte für eine zweite Person, saß eine menschliche Gestalt, in kostbare Gewänder gehüllt, mit Gold und Edelsteinen geschmückt. Aber in dem starren, gläsernen Auge fehlte das Leben, diese Glieder waren kalt und unbeweglich und das verschrumpfte, eingefallene Antlitz zeigte die Totenfarbe.
Es war der einbalsamierte Leichnam des verstorbenen Radschah auf seinem Thron in der Mitte des riesigen Scheiterhaufens von Bambusstäben, der wie ein Wall um ihn her aufgetürmt, nur einen schmalen, leicht verschließbaren Eingang zu dem Toten ließ. Dieser erwartete den warmen lebendigen Schoß, in dem ruhend die sterbliche Hülle durch das feurige Element zerstört werden sollte.
Zwei schwarze Sklaven mit blanken Säbeln bewachten den Zugang zum Scheiterhaufen, während eine Anzahl von Brahminen, in weiße Gewänder gehüllt, um den äußeren Rand desselben kauerten und Gebete murmelten.
Eine große Volksmenge, deren Wogen sich, fortwährend durch Zuströmende wachsend, hoben und senkten, umgab den Scheiterhaufen und füllte den Platz. Aber sie wurde in angemessene Entfernung zurückgedrängt, als die Reiter der Leibwache des Verstorbenen und die Sowars oder Kameltreiber jetzt auf dem Platz erschienen und eine weite Schranke um den Scheiterhaufen bildeten.
Auf ein Zeichen seines Mahoud beugte der gelehrige Elefant, welcher den Scindia und seinen Gast trug, die Kniee und eine vergoldete kleine Leiter wurde an die Haudah gesetzt, auf welcher der Oberherr herabstieg, während die Soldaten mit ihren Waffen zusammenschlugen, die Musiker den Lärm ihrer Instrumente noch erhöhten und das Volk sich auf den Boden niederwarf.
Der Scindia setzte sich auf seinen Thron, der Resident nahm mit einem Lächeln hochmütigen Spottes, nachdem er seinen Schobedar zu sich gewinkt und ihm einige Worte zugeflüstert, auf dem Sessel Platz und um ihn her gruppierten sich seine europäischen Begleiter.
Es waren dies übrigens nicht die einzigen Europäer. Verschiedene andere schien das Gerücht von der Sotti gleichfalls herbeigelockt zu haben und sie waren unter dieser Menge verteilt, die mit dem Respekt und der Demut, welche die Indier stets ihren weißen Gebietern beweisen, ihnen Raum ließ in dem Gedränge und sie dadurch kenntlich machte.
Einer dieser Europäer, ein Reisender oder Kaufmann, lehnte nicht weit von der Estrade mit einem Mann in der Tracht eines arabischen Seefahrers an einem Haufen von Bambusstäben, welche die Vorsorge des Fanatismus aufgehäuft hatte, um der Glut zu Hilfe zu kommen.
Der Fremde war eine stattliche Gestalt mit stolzem Gesicht. Er trug ein hirschledernes, mit Seidenstickerei geschmücktes braunes Reise- und Jagdhemd und einen breitrandigen, grauen Filzhut mit Geierfeder.
Der Seemann an seiner Seite trug die kurzen, weiten Beinkleider der Lascaren, mit Pantoffeln an den Füßen, eine griechische Weste, im Gürtel Dolch und Pistolen, und einen weißen, arabischen Mantel um seine kräftigen Schultern. Sein krauses, schwarzes Haupthaar war von einer Turbanbinde bedeckt, die sich um eine rote, phrygische Mütze schlang und sein Arm stützte sich auf eine lange Flinte von albanesischer Form.
»Sieh, Kapitän,« sagte der Seemann in neugriechischer Sprache, »mit welcher Behaglichkeit dieser Wehrwolf von einem Engländer sich vorbereitet, der Verbrennung von Weibern zuzuschauen, und mit welcher hündischen Demut dieses erbärmliche Gesindel sich vor ihm zur Erde beugt. Ich hätte Lust, ihm eine Kugel durch den Schädel zu jagen. Vielleicht ist es einer seiner Verwandten gewesen, der meine arme Tartane an der italienischen Küste verbrannte!«
»Thorheit, Danilos,« sagte Grimaldi, oder, wie er sich ja an den Ufern des Gandlagama und überhaupt hier zu Lande jetzt nannte, Maldigri, der angebliche ›Sardinier‹, »wir sind Feinde der Nation, aber nicht Mörder des einzelnen. Deine Freundschaft hat Dich in den Strudel von Unglück mit hineingerissen, der mich verschlungen. Suchtest Du mich damals nicht in den Schluchten der Apenninen auf, so strichst Du wohl noch heute auf dem Deck der ›Schwalbe‹ durch die blauen Wellen des adriatischen Meeres und lebtest mit Weib und Kind zufrieden in Deiner rauhen, teuren Heimat.«
Der Uskoke, der kühne Führer der Schmuggler-Tartane, Danilos, der Milchbruder des Kapitäns, warf, nach der Sitte seiner Heimat, die Finger der linken Hand in die Luft, während er mit der Fläche der rechten auf den Ellenbogen schlug – das Zeichen der höchsten Verachtung. »Bah,« sagte er unwillig, »als ob ihr Schicksal nicht bestimmt gewesen wäre, wie das meine. Die Inglesi würden sie zwei oder drei Jahr später verbrannt haben, denn die ›Schwalbe‹ würde nicht unthätig gewesen sein bei dem Kampfe unserer Brüder im Epirus. So focht ich, statt auf den Planken meiner Tartane, auf festem Boden bei Arta und Mezzowo gegen die Moslems, während ich jetzt selbst ein halber Muselmann bin und meine Praua Praua oder Proa: malaiisches Schiff von schlanker Form mit geschweiftem Bug und großem Lateinsegel; doch auch mit Rudern fortzubewegen. A. d. H. von den Anhängern des Propheten bemannt ist, die mir den Kopf abschneiden würden, wenn sie wüßten, daß ich ein Christ bin. Aber was kann ich thun? Die Anwesenheit des russischen Offiziers auf der ›Schwalbe‹ und sein Zeugnis, daß ich ihn nur auf einer Fahrt an der Küste nach dem Golf von Tarent begleitet, rettete mich zwar von dem Galgen auf Korfu, aber die Tartane war zu bekannt als das flüchtigste Schmugglerfahrzeug zwischen Venedig und dem Kap Matapan, als daß sie es wieder los gelassen hätten. Es mußte büßen für seinen Herrn und wahrlich, nicht der Gedanke, ein Bettler zu sein, zerriß mein Herz am meisten, als ich die Flamme der Schurken an Mast und Segeln emporschlagen sah. Ich habe Dir bereits erzählt, daß ich bei dem Aufruf des Tzavellas und der Caraiskakis unter den ersten stand, welche die blaue Fahne mit dem weißen Kreuz schwangen und mit ihrem Blute verteidigten. Von meiner Hand war ein Paschah getötet worden, das war bekannt, und als König Otto, von den Kanonen der Inglesi und Franken bedroht, seine Getreuen nicht zu schützen vermochte, und die rauchenden Schiffe der Engländer die Feluken der freien Griechen, weil sie ein bißchen auf eigene Hand zwischen den Inseln gekapert, in allen Verstecken des Ägäischen Meeres aufsuchten, ging ich nach Kandia und an die Ufer des Roten Meeres. So kam ich nach Mascat, kaufte von der Beute, die ich gemacht, die Praua eines Arabers und durchstreifte seitdem das Indische Meer, meinem Glück und meiner Faust vertrauend, bis die Erinnerungen in der Heimat sich verblutet. Das Kismet hat es gewollt, daß es so kommen sollte, damit ich Dir, Capitano, noch einen Dienst in diesem entfernten Lande leisten konnte.«
»Es ist wahr, ich hätte eher des Himmels Einfall erwartet, als Dich an der Mündung des Kistna zu treffen, als ich mit dem Engländer Überfahrt suchte.«
»Es ist das Kismet, Capitano,« wiederholte der Uskoke.
»Jedenfalls bin ich ihm dankbar, daß es uns zusammengeführt.«
»Ich denke mich auch nicht wieder von Dir zu trennen, Markos,« sagte der Seemann. »Meine Praua kann eben so gut die Wasser des Ganges befahren, wie die Indischen und Arabischen Meere, und ich werde bei der Hand sein, Deine Pläne und Absichten zu unterstützen.«
»Du siehst, daß eine meiner sichersten Hoffnungen vereitelt ist,« sagte der Ionier, indem er nach der Leiche des Radschah wies. »Dieser Mann war ein Tapferer, wenn auch ein Greis, und ein Feind unserer Feinde. Der Nena, dem unsere Reise galt, ist noch nicht zurück,«
»Nun, der Nachfolger dieses Toten wird eben so gut ein Feind der Engländer sein. Die Zeit vergeht, und der Nena wird zurückkehren. Einstweilen werden wir ein merkwürdiges Schauspiel sehen. Ich habe zwar Männer, Weiber und Kinder in den Flammen brennender Häuser zur Genüge umkommen sehen, aber nie ein Weib, das sich freiwillig in das Feuer stürzte.«
»Schmach über die, welche die Macht haben, es zu hindern, und eine solche Grausamkeit dulden.«
»Still, Capitano, da kommen sie.«
Der Scindia hatte auf seinem Throne Platz genommen und durch eine Bewegung der Hand das Zeichen gegeben, daß das schreckliche Schauspiel beginnen könne. Sogleich sprangen die Flügel des gegenüberliegenden Thores auf, und die Prozession, welche die Witwen zu dem furchtbaren Sterbelager begleiten sollte, betrat den Platz.
Voran schritten eine Anzahl Musiker, wie bei einem Hochzeitszug, denen Träger und Springer, ihre Kunststücke produzierend, folgten. Dann kamen, die Häupter mit einem Kranz von Blättern geschmückt, in weißen, wallenden Gewändern, die Brahminen, die vier ersten brennende Fackeln tragend, die vier letzten mit großen Bambusstäben bewaffnet, um die Glut damit zu schüren oder die vor den Todesschrecken etwa flüchtenden Opfer zurück in das Flammengrab zu stoßen.
In der Mitte der Brahminenschar schritten die drei Frauen, deren Glauben und Mut groß genug gewesen war, vor dem Feuertode nicht zurückzubeben. Sie wurden an langen goldenen Bändern von den ältesten Brahminen geführt und waren von ihren Verwandten und den anderen Frauen des Haushalts des verstorbenen Radschah umgeben, die Blumen auf ihren Weg streuten und in begeisterten Worten den Mut und die Aufopferung priesen, die jenen die Freuden der Seligen verschaffen sollten.
Die drei Opfer waren sämtlich jung und schön und in ihre kostbarsten Gewänder gekleidet. Juwelen und Goldspangen bedeckten ihre Finger, ihre bis zur Achsel entblößten Arme wie die Knöchel ihrer fein geformten Beine, und kostbare Perlenschnüre wanden sich durch ihre Haare und hingen vom Hals auf den zum erstenmal in ihrem Leben den Blicken der Menge preisgegebenen Busen.
Die beiden ersten Frauen, die neben einander gingen, waren fast noch Kinder, und während die eine, bleich und verstört, sichtlich mit der Todesangst rang, schien die andere keinen Gedanken zu haben, als die Lust befriedigter Eitelkeit, die ihre Schönheit zum erstenmal vor dieser Menge von Männern unverhüllt zeigen und bewundern lassen durfte. Ihre großen Augen strahlten vor Vergnügen und mit lachendem Munde ging sie dem schrecklichen Tode entgegen, als gelte es einen neuen Triumph.
Hinter ihnen kam die Lieblingsfrau des Verstorbenen, die Rani selbst. Älter als ihre Gefährtinnen, mochte sie vielleicht zwei- bis vierundzwanzig Jahre zählen und war in vollkommen entwickelter Blüte ihrer Schönheit. Rabenschwarzes Haar umgab in langen Flechten das prächtige Oval ihres Gesichts.
Die Rani war in weiße Gewänder und Schleier gehüllt, die nur das eigenartig schöne Gesicht, den Hals und den Unterarm bloß ließen. Sie verachtete es offenbar, mit ihrer Schönheit vor der Menge zu prahlen.
Nur als ihr erhobenes Auge auf die Gruppe der Europäer fiel, zeigte sich Bewegung und Interesse, eine leichte Röte färbte ihr Gesicht, ein Strahl des Hasses und stolzer Verachtung brach aus ihren großen Augen, und sie wickelte sich fester in ihre Schleier.
Brahminen, Eunuchen und Musikanten mit Cymbeln und Kesseltrommeln beschlossen den Zug, der sich in feierlichem Schritt siebenmal um den Kreis bewegte. Jedesmal, wenn die Opfer an dem improvisierten Thron des Scindia vorüberkamen, verneigten sie sich mit gekreuzten Armen vor ihm, wobei die kokettierende, dem Feuertode gewidmete Schöne den Engländern herausfordernde Blicke zuwarf.
Die Rani allein schien mit Widerwillen und Zwang ihre stolze Stirn vor dem Lehnsherrn und Gebieter zu neigen.
Das Lorgnon in das Auge geklemmt, betrachtete der Resident mit Kennerblick die unglücklichen Frauen. » Damned!« sagte er halblaut zu O'Sullivan, der neben ihm stand, »der alte Lutfullah hat keinen schlechten Geschmack gehabt. Die beiden jungen Frauen sind hübsch genug, und jenes Weib dort wäre wohl der Mühe wert, es zu unterjochen.«
Die Blicke des Kapitän Delafosse hatten zuerst mit großer Teilnahme und Bedauern auf den Opfern eines rohen aber heroischen Fanatismus verweilt, nach und nach aber begann diese Teilnahme immer wärmer zu werden; seine Augen blieben an der eigentümlichen Schönheit der Rani haften, und ein warmes, inniges Interesse, wie es ihn seit dem Tode des schönen Kaffernmädchens für keine Frau mehr erwärmt, regte sich in ihm.
Als der Zug zum drittenmal an dem Thron vorüberkam, veranlaßte eine zufällige Bewegung die Rani, ihre Blicke zu erheben – sie begegneten den unverwandt auf sie gerichteten Augen des Offiziers.
Anfangs wollten sie sie rasch wieder zu Boden senken, aber ein unerklärliches Etwas, der Ausdruck aufrichtiger Teilnahme schien sie zu fesseln. Ihr strenger Blick wurde sanfter und milder, er schien gleichsam zu danken für das unerwartete Gefühl, das er in dem Herzen eines Fremdlings, eines Tyrannen und Unterdrückers ihrer Nation gefunden, und er verweilte einige Momente mit Wohlgefallen auf dem männlich schönen Gesicht des jungen Offiziers.
Von diesem Blick an schien sich in die wenigen Minuten, die zwischen ihm und dem schrecklichen Drama lagen, ein ganzer Lebensroman von Gedanken und Empfindungen zu drängen.
Jedesmal, wenn die dem Tode Geweihten von da ab vor der Gruppe des Scindia und der Europäer vorüberkamen, erhob diese Frau die ausdrucksvollen Augen zu dem Europäer.
Jedesmal flammte eine leichte Röte über die Stirn des Offiziers, seine Blicke steigerten sich von dem Mitleid, drückten nicht mehr Teilnahme, nein, Bewunderung und Schmerz aus, und seine Lippen öffneten sich unwillkürlich, gleich als wollten sie warnen, abmahnen, Hilfe bringen.
Immer mehr schien die Angst, die ihn erfaßt, zu wachsen. Seine Hand faßte den Arm des Oberstleutnants, der zwischen ihm und dem Residenten saß. »Dürfen wir es zugeben, Oberst, daß ein solches Verbrechen, ein so empörender Mord in Gegenwart britischer Offiziere verübt wird?«
Auch der wackere Kommandeur, obschon das schwelgerische, üppige Leben Hindostans seine frühere Denkungsart abgestumpft und gegen jede Teilnahme für die Eingeborenen unempfindlicher gemacht hatte, erinnerte sich der einst so ritterlichen Gefühle und hielt es für seine Pflicht, wenigstens einen Versuch zu machen. »Sie haben recht, Kapitän, es ist eines Mannes und Offiziers nicht würdig, diesen hilflosen, von den heuchlerischen Schurken bethörten Geschöpfen nicht wenigstens zu Hilfe zu kommen. Wir müssen den Versuch machen, Major Rivers, ihnen das Thörichte ihres Schrittes vorzustellen, und wenn sie es wünschen, sie in unsern Schutz zu nehmen.«
Der Resident lächelte spöttisch. Vertrauter mit den Sitten und der Denkungsart der Eingeborenen, als seine Begleiter, wußte er, wie wenig ein solches Zureden fruchten würde. Da jedoch sämtliche Offiziere darauf bestanden, und er außerdem eigene Pläne hegte, deren Verzögerung ihn schon einige Male mit Besorgnis hatte umherschauen und nach der Gegend des Thores von Cawnpur hin hatten horchen lassen, wünschte er selbst, die Ceremonieen aufzuhalten und wandte sich deshalb an den Scindia.
»Meine Freunde, Hoheit,« sagte er in der ihm geläufigen Mahrathi-Sprache, »wünschen dringend, sich zu überzeugen, daß diese Frauen zu dem Opfertod, den sie erleiden wollen, nicht durch Drohungen gezwungen sind, und daß sie freiwillig ihn wählen. Sie wünschen den Versuch zu machen, sie von diesem Schritt abzubringen, und Du wirst nichts dagegen haben, daß ich die Frauen befrage und ihnen einige Worte sage.«
Der Scindia erwiderte gleichgültig, daß seine Gastfreunde thun möchten nach ihrem Belieben; er selbst habe der Rani angeboten, sie zu heiraten und in seine Zenanah aufzunehmen, aber sie habe es ausgeschlagen.
Auf seinen Wink hielt der Zug, als er vorüber kam – es war das siebente Mal – an.
Begierig auf das, was geschehen sollte, und besorgt, daß ihre Beute ihnen entschlüpfen möge, umgaben die Brahminen im engen Kreis die drei Frauen, die vor der Estrade standen, und hinter ihnen drängte, von gleichen Gefühlen beseelt, die ungeheure Masse des Volkes heran, so daß die Soldaten und Verschnittenen Mühe hatten, Ordnung zu halten.
»Dame,« sagte der Resident mit schmeichelnder Stimme, indem er sie höflich grüßte, zu der Rani, »wir haben erfahren, daß die Brahminen Dich und diese Frauen bewogen haben, den Schmerz um den Tod Eures Gatten durch die schlimme Sitte der Sotti zu bezeugen. Die Faringi bedauern gleich Euch den Tod ihres Freundes und Bundesgenossen, und sie sind hierher gekommen, um seine Witwe vor Zwang und vor dem Einfluß der Priester zu schützen und sie zu bitten, nicht selbst ein so kostbares Leben zu opfern, das dem Toten nichts nützen kann, und dessen Vernichtung er sicher nicht billigen würde.«
Ein leichter Spott zuckte um den Mund der Rani, als der Resident von der Freundschaft des verstorbenen Radschah für die Engländer sprach, und sie sah ihm fest und kalt ins Auge.
»Brahma hat dem Menschen eine Seele gegeben, damit er weiß, was er thut,« sagte sie ruhig. »Der Sahib möge diese Mädchen fragen, warum sie den Scheiterhaufen besteigen, und wer sie gezwungen hat!«
Sie schlug den Schleier um sich, und richtete den Blick starr in die Luft, gleich als kümmere sie die weitere Verhandlung um das eigene Leben nicht.
Der Resident wandte sich nun an die beiden jungen Frauen, die Hindu-Odalisken, und suchte sie zu bereden, von ihrem Vorhaben zurückzutreten. In der That schien die eine zu schwanken, und ihre Blicke richteten sich mit flehendem Ausdruck auf die Gebieterin, gleich als wolle sie diese auffordern, das Beispiel zu geben.
»Der Schmerz des Feuertodes ist furchtbar,« fuhr der Major fort, »Ihr wißt nicht, was Ihr thut und werdet es zu spät bereuen. Haltet ein einziges Mal den Finger an das Licht und seht, wie schmerzhaft schon die geringe Wunde ist.«
Ohne ein Wort zu sprechen, riß die Rani ein Stück von ihrem Schleier, tauchte es in das Öl der heiligen Lampe, welche einer der Brahminen trug und wickelte es um den Zeigefinger ihrer linken Hand. Dann, noch ehe man es verhindern konnte, näherte sie den Finger der Flamme der Lampe, brannte die Leinewand an und hielt ihn hoch in die Luft.
Das Zeug brannte lichterloh, und bald verbreitete sich ein schwälender Geruch wie von versengendem Fleisch.
Kapitän Delafosse sprang auf, um die unsinnige That zu verhindern, aber der Resident hielt ihn zurück
»Lassen Sie die Närrin,« sagte er französisch, »sie wird mit dem Komödienstreich schon selbst enden, wenn's ihr wehe thut. Bemerken Sie denn nicht, daß die Schurken von Brahminen diese Frauenzimmer mit Kampher unempfindlich gegen körperliche Schmerzen gemacht haben?«
In der That ist es Gebrauch, daß die Brahminen den Witwen, die sie zur Sotti überredet haben, schon mehrere Tage vorher starke Portionen Kampher geben, wodurch die Nerven abgestumpft werden.
Die Rani ertrug das Verbrennen des Gliedes, ohne eine Muskel ihres Gesichtes zu verziehen, ohne mit den Wimpern zu zucken. Nur das Blut drang in das Gesicht und auf ihrer Stirn zeigte sich starker Schweiß.
Dann, als die Leinewand verkohlt war, wickelte sie die letzten Reste gleichgültig ab und bot den schrecklichen Anblick des verstümmelten Gliedes den Augen der Faringi.
Unter den versammelten Tausenden erhob sich ein Gemurmel des Beifalls über die heroische Handlung, das zu einem wilden Jauchzen stolzen Triumphes anschwoll.
»Sie werden jetzt glauben, Sahib,« sprach sie stolz, »daß der Schmerz mich nicht hindern kann, meine Pflicht zu thun. Es war im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich sein Weib sein sollte, und ich will ihm eine treue Gattin bleiben auch im Tode. Geben Sie sich keine Mühe mehr in dieser Sache und lassen Sie mich meinem Schicksal folgen.«
»Aber das ist Selbstmord!« rief Delafosse, der genug von der Marathisprache verstand, um den Worten der Witwe folgen und sich darin ausdrücken zu können.
Die Rani wandte sich zu dem jungen Offizier. »Ich danke Ihnen, Sahib, für Ihre Teilnahme, die aufrichtig sein und nicht aus jener Quelle kommen mag, die diesen Herrn bewegt!« sagte sie freundlich aber fest. »Kein Hindu wird seinen Glauben so schänden, daß er sich selbst das Leben nimmt, das Brahma ihm gegeben. Aber die Sotti der Witwe ist erhaben über den Vorwurf des feigen Selbstmordes, und indem ich mich ihr übergebe, erfülle ich eine Pflicht nicht allein gegen den Toten, sondern auch gegen jene dort« – sie wies auf die Menge – »gegen die Lebendigen, wie dieser Mann hier sagen kann, wenn Sie es nicht wissen sollten!«
Und trotzig sich in ihren Schleier hüllend, gab sie das Zeichen zur Fortsetzung des Zuges.
Die Kesseltrommeln, die Cymbeln und Pfeifen erhoben ihren höllischen Lärm, und der Zug setzte sich in Bewegung, die Menge wich zurück, und die Brahminen führten ihre geschmückten Opfer nach dem Scheiterhaufen.
Am Eingang der schrecklichen Rundung nahmen diese den letzten Abschied von ihren Freunden und Verwandten, indem sie alle ihre Schmucksachen an sie als Andenken verteilten. Darauf konnte man sehen, wie die drei Frauen den Holzstoß in der Mitte bestiegen, auf welchen der Leichnam des Radschah an einen Pfahl gelehnt lag, und der mit den flüchtigsten Zündstoffen ganz umgeben war.
Kapitän Delafosse hatte das Gesicht in die Hände verborgen, um der langsamen Marter dieses Anblicks zu entgehen. Er bemerkte nicht, wie der Resident, aufrecht stehend, eifrige, sehnende Blicke nach der Gegend des Thors warf und dann wieder besorgt auf diese wogende, fanatisierte Menge und das kleine Häuflein der Europäer schaute, gleich als fürchte er, einen notwendigen Entschluß zu fassen.
Eben so wenig kümmerte ihn die befriedigte Miene des Scindia.
Man hatte die jüngste der Frauen auf den Holzstoß heben müssen, die Todesfurcht schien in ihr zu siegen und sie bereits ganz bewußtlos zu sein, während der Schritt der Rani, als sie die Stufen emporstieg, ruhig und fest, wie vorhin, blieb.
»Es ist eine Schande,« rief der Oberstleutnant, »daß so etwas geduldet wird. Wenn ich etwas zu sagen hätte, sollte die Sache nicht geschehen!«
Während dessen hatte die Rani ihren erhöhten Platz auf dem Scheiterhaufen eingenommen und das Haupt ihres toten Gatten in ihren Schoß gelegt. Die beiden jüngeren Frauen waren auf einen niederen Sitz zu beiden Seiten gebracht worden, und ein scharfes Auge hätte bemerken können, daß die Brahminen, welche den Henkerdienst verrichteten, ihren Leib an dem Holzstoß befestigten.
Dann nahte der Priester und begann, unter den gleich dem Rauschen des Meeres anschwellenden Gebeten der Menge, die Leiche und die drei Frauen mit dem heiligen Wasser des Ganges zu besprengen.
In diesem Augenblick sah Major Rivers über den Köpfen der Menge ein weißes Tuch wehen und erkannte seinen Schobedar hinter den Reihen der Soldaten.
Jetzt schien er plötzlich zu einem Entschluß gekommen, und indem er das Zeichen des Dieners erwiderte und sah, wie dieser sich eilig entfernte, beugte er sich zurück zu den Offizieren und flüsterte diesen etwas zu.
Erstaunen, Überraschung, zum Teil Besorgnis bei einem Blick auf die zahllose Volksmenge zeigte sich auf den gespannten Gesichtern.
Dennoch machte sich der militärische Geist sogleich geltend, und es blitzte Entschlossenheit in aller Augen.
Zugleich sah man den Brahminen, welcher die heilige Lampe trug, dem Zugang des Scheiterhaufens sich nähern.
Plötzlich erscholl ein mächtiges, gebietendes »Halt!« über den weiten Platz und über das Summen und Brausen der Menge.
Alle Augen wandten sich nach der Estrade des Scindia und der Europäer, von woher die Stimme erklungen war.
Der Resident stand am Rande des Gerüsts, ein Papier in der Hand, seine Rechte winkte Schweigen.
»Im Namen Seiner Herrlichkeit, des Lord-General-Gouverneurs von Indien, gebiete ich Einhalt der Sotti. Die Verbrennung darf nicht stattfinden, und ich mache jeden, der die Hand dazu leiht, für die Folgen verantwortlich!«
»Verrat! das Feuer! das heilige Feuer!« gellte die Stimme der Witwe über den Platz.
Der Scindia war emporgesprungen, in seinem sonst so trägen Gesicht malte sich Erstaunen und Zorn. Die Brahminen, erbittert, ihre Ceremonie unterbrochen zu sehen, umdrängten die Estrade. »Fluch den Faringi! Was haben sie zu gebieten im Lande der Hindu? Schlagt sie nieder, die Söhne unreiner Tiere!«
Der Scindia hatte die Hand an den Griff seines Säbels gelegt. »Wischnu, der Erhalter, möge den Lord-Sahib beschirmen,« sagte er erregt, »aber diese Leute haben recht, Jhansi gehört nicht zum Gebiete der Kompagnie. Nur der Fürst von Gwalior hat hier zu befehlen.«
»Du irrst, Hoheit,« unterbrach ihn mit lauter Stimme der Resident. »Das Fürstentum Jhansie gehört mit dem Tode des verstorbenen Radschah Lutfullah zu den Schutzstaaten der Kompagnie. Lies und überzeuge Dich.«
»Lüge! Lüge!« kreischte die Rani, »herbei mit dem Feuer, wenn Euch Eure Freiheit lieb ist!«
»Daß sich keiner zu rühren wage! Diese Frau weiß, daß ich die Wahrheit spreche. Lutfullah hat seit zehn Jahren die Kompagnie zum Vormund seiner Erben bestimmt, und die Rani hat nicht das Recht, sich zu töten und unserm Schutz zu entziehen.«
Man sah, wie die stolze und kühne Frau, die, mit der begangenen Schwäche ihres Gatten bekannt, das eigene Leben opfern wollte, um damit die Bedingung des erschlichenen geheimen Vertrages zu nichte und das Gebiet an Gwalior zurückfallen zu machen, verzweifelnd ihr Haupt beugte. Aber ein Brüllen fanatischer Erbitterung und wütenden Hasses erhob sich in der Menge lauter und lauter, die Brahminen schürten den entfesselten Grimm, Waffen blitzten in der Luft und einer der Priester entzündete die Lunte an der heiligen Lampe und stürzte damit durch die sich öffnende Menge nach dem Holzstoß.
Im nächsten Augenblick war er an dem Scheiterhaufen und steckte die Lunte zwischen die große und zweite Zehe des nackten Fußes der Rani, da ihre Hände um den Pfahl im Rücken zusammengebunden waren und der heilige Gebrauch fordert, daß das Opfer der Sotti selbst den Holzstoß entzündet. Dann sprang er zurück und sogleich waren zwanzig Hände geschäftig, den Zugang des Scheiterhaufens zu schließen.
Zweimal hatte Kapitän Delafosse den Revolver, den er aus der Brusttasche gerissen, erhoben, um den Grausamen niederzuschießen, aber das wogende Gedränge und die Furcht, die Rani selbst zu treffen, ließ ihn die Waffe wieder senken, bis es zu spät war. Ein letzter Blick der Rani schien ihn zu treffen, als sie den Fuß erhob und die Lunte in den Haufen von ölgetränktem Hanf fallen ließ, der vor dem Holzstoß aufgehäuft lag.
Im Nu schlug eine Flamme und eine dichte Dampfwolke in die Höhe und Jauchzen und Heulen der Volksmenge, mit der betäubenden Fanfare aller Instrumente vermischt, antwortete diesem Signal der gelungenen Grausamkeit und erstickte den gellenden Schrei der Todesangst, der von den Lippen des jüngsten der drei Opfer brach.
Aber ein anderer Ton, kräftiger als der Hilferuf eines armen Weibes, schmetterte in den scheußlichen Jubel der Menge. Trompeten-Fanfaren klangen vom Cawnpur-Thore her und im gestreckten Galopp, alles vor sich niederwerfend, jagte eine Abteilung britischer Lanziers herbei, Kapitän Mowbray an ihrer Spitze.
Dennoch wäre diese Hilfe zu spät gekommen, wenn nicht von einer anderen Seite her eine That tollkühnen Mutes die Rettung gewagt hätte.
Kapitän Delafosse hatte sich von der Estrade herabgeworfen und den Degen in der Faust, versuchte er, sich einen Weg durch die bei dem Klang der britischen Signale verwirrte und auf allen Seiten davonstürzende Menge nach dem Scheiterhaufen zu bahnen, von dem die Glut bereits hoch emporwirbelte. Das entsetzliche Bewußtsein, daß auch er zu spät kommen müsse durch die schändliche Zögerung des Residenten, durchzuckte sein Herz wie schneidender Stahl.
Plötzlich, dicht vor dem halbverbauten Zugang der flammenden Hölle, sah er eine fremdartige Gestalt mit Riesenkräften bemüht, das Holz und die Bambusstücke zur Seite zu schleudern. In diesem Augenblick erschien in dem Zugang zwischen dem Qualm und den züngelnden Flammen, aus dem Innern dieses Feuerberges kommend, ein anderer Mann, eine Last, eine Gestalt auf seinen Schultern, die in einen großen, arabischen Mantel gehüllt war.
Ein Freudenschrei des Ersten begrüßte diese Erscheinung, aber zugleich schien er zur Seite eine neue Gefahr entdeckt zu haben, und wie der Wolf auf seine Beute, stürzte er mit einem Sprunge dahin.
Aber auch der Kapitän hatte diese neue Gefahr erblickt, die unfehlbar den unbekannten Retter vernichten mußte, ehe er die aufgehäuften Balken übersteigen konnte, und rascher entschlossen, als vorhin, fuhr sein Revolver in die Höhe und knallte sein Schuß.
Die Kugel hatte den Brahminen getroffen, der fanatisch beschäftigt war, die Stütze des Scheiterhaufens auf dieser Seite fortzuhauen, um die Last des brennenden Holzes fallen zu machen und die unglücklichen Frauen zu begraben. Die Kugel traf ihn, noch ehe Danilos, der Korsar ihn erreichen gekonnt.
Über die Trümmer und Balken sprang Maldrigi, der angeblich sardinische Offizier, ins Freie, und hinter ihm her stürzten von der andern Seite die Holzwände des feurigen Berges zusammen, alles in ihrer Glut begrabend.
Der kühne Retter warf mehr, als daß er sie legte, seine Last in die Arme der herbeieilenden britischen Offiziere, dann erst versuchte er mit Hilfe der Nächststehenden die Flammen zu ersticken, die an seinem eigenen Leibe emporloderten.
Zum Glück hatte sein Jagdhemd von Hirschleder den Flammen Widerstand geleistet, aber Bart, Haar und Hände waren verbrannt, selbst die Brauen und Wimpern von seinen Augen gesengt und das Gesicht war von dem Rauch geschwärzt und entstellt. Erschöpft, betäubt, sank der Retter neben der Geretteten in die Kniee.
Wer diese war – Delafosse zitterte, es zu erfahren, als er den halbverbrannten Mantel des Seemanns auseinanderschlug.
Triumph! Es war die Rani, die vom Rauch betäubt, bewußtlos, aber außer dem verstümmelten Gliede nur von wenigen leichten Brandwunden entstellt, vor ihnen lag!
Augenblicklich war Doktor Brice neben der Ohnmächtigen und bemüht, sie ins Leben zu rufen. Schon nach den ersten Bemühungen schlug sie die Augen auf, schaute wild umher und dann zürnend auf Delafosse, der an ihrer Seite kniete, unbekümmert um die Vorgänge, die unterdes auf dem Platz umher sich bereiteten.
»Grausamer Christ,« sagte die Fürstin, »warum hinderst Du mich, für meinen Glauben und mein Volk zu sterben? Tragt mich zurück in die Flammen, damit nicht Schmach falle auf Xarias Namen.«
»Du irrst, Fürstin,« entgegnete der junge Offizier, »nicht ich hatte das Glück, Dein Retter zu sein, obschon ich es versuchte, der Fremde dort trug Dich mit Gefahr seines Lebens aus den Flammen.«
»Schlagen Sie Ihre That nicht geringer an, als sie war, Herr,« sprach Maldrigi. »Nur der Zufall, daß ich den Luftzug beobachtet und von der flammenfreien Seite den Holzstoß erstieg, ließ mich die Fürstin befreien. Sie aber haben durch Ihren raschen Schuß unser beider Leben gerettet, das sonst die stürzenden Balken vernichtet hätten.«
Die Rani schaute finster auf den Mann und dann auf die glühende Lohe des in sich selbst zusammengestürzten Scheiterhaufens, der ihre beiden Gefährtinnen begraben, während ihr höherer Sitz auf dem Holzstoß sie einige Augenblicke länger vor den Flammen geschützt und dadurch ihre Rettung möglich gemacht hatte. Doch bevor sie noch einen Entschluß ausführen konnte, trat der Resident in Begleitung des Scindia zu der Gruppe.
Die britischen Reiter, die trotz der fünfzigfachen Zahl der Überraschten nur wenig Widerstand gefunden, hatten sich schnell des Zugangs der Citadelle oder Burg bemächtigt, Piketts auf dem Platz aufgestellt, und hielten mit dem gespannten Pistol in der Hand die Wogen des erbitterten, aber eingeschüchterten Volkes im Zaum, während die Soldaten des Scindia und des verstorbenen Radschah ohne einen Befehl ihrer Gebieter nichts zu unternehmen wagten.
Aber es schien auch gar nicht der Entfaltung militärischer Gewalt zu bedürfen, um den Frieden zu sichern oder wieder herzustellen. Der intriguante Geist des britischen Residenten schien im voraus andere Mittel bereit gehalten zu haben, um allen Widerstand zu beugen. Indem er nach Instruktionen der Präsidentur von Agra handelte, um den einst in einer Stunde der Not oder einem unbewachten Augenblicke von dem verstorbenen Radschah erschlichenen vielleicht noch gefälschten Vertrag zur Ausführung zu bringen, hatte er wohlberechneterweise mit dem Einspruch gegen die Verbrennung der erbberechtigten Witwe Lutfullahs bis zum letzten Augenblick gewartet. Selbst wenn die Witwe dann gegen ihren Willen nicht gerettet wurde, hatte die Kompagnie Veranlassung, wegen Mißachtung ihrer sogenannten Vormundschafts-Ansprüche einzuschreiten und sich des Gebietes zu bemächtigen, das ein neuer vorgeschobener Posten in das Land der nur tributpflichtigen Fürsten von Scindia und Bundelcund werden sollte. Zur Unterdrückung jedes Widerstandes war die Abteilung britischer Reiter heimlich nach Jhansi beordert und zugleich hatte das wohlbewahrte Geheimnis des Planes jede zeitige Gegenmaßregel des ursprünglichen Schutzherrn der Scindia verhindert. Wäre der Opfertod der Witwe beschleunigt worden und erfolgt, ehe der Resident der Kompagnie Einspruch dagegen erhoben, so wäre allerdings kein Erbe mehr vorhanden gewesen, dessen Vormundschaft oder Schutzrecht die Kompagnie hätte in Anspruch nehmen können und das Fürstentum wäre nicht ohne offene und jedes Scheines von Recht entbehrende Gewalt dem Scindia streitig zu machen gewesen. Dieser selbst war aber nur durch die Gunst der Engländer eingesetzt worden und zu sehr davon abhängig, um so überrascht Widerstand zu leisten. Durch die geschickten Anordnungen des kommandierenden Offiziers wäre ohnehin bei der Ankunft der Truppen seine Person in der Gewalt der Engländer gewesen, und die Versprechungen von Entschädigung, die ihm der Resident machte, waren vollends geeignet, jeden Gedanken an Opposition zu beseitigen.
Mit der heuchlerischen Verstellung, welche die orientalische Diplomatie charakterisiert, verlor daher der Scindia keinen Augenblick länger die zuvorkommende Höflichkeit des Wirtes, die er bisher bewiesen, und auf alle Wünsche des Residenten eingehend, gab er Befehl, daß die Vornehmsten und Würdenträger von Jhansi sich um ihn und die aus den Flammen gerettete Fürstin zu versammeln hätten.
»Krone der Frauen, ein Meer von Tugend und ein Schatz an Treue,« redete er die Rani an, »Wischnu, der göttliche Erhalter, will nicht, daß Du die Erde verläßt, ehe Du noch viele und lange Jahre Dein Volk glücklich gemacht hast. Edle Maharani, Du hast die Probe des Mutes bestanden, Schiwa ist versöhnt und Dein Gatte wird nicht allein sein in den Gefilden der Seligen, denn zwei seiner Frauen sind ihm gefolgt. Dir aber, der ersten und schönsten, der Perle seines Herzens und dem Schmuck seines Thrones, befehle ich als Dein oberster Sultan, abzulassen von dem Opfer der Sotti und kröne Dich als die Rani und Herrscherin dieses Landes!«
Dann nahm er den Turban mit der weißen und grünen Binde von seinem Haupt, setzte ihn auf das der Rani, und heftete dann den Fleck von rotem Tuch, den er selbst auf der linken Seite der Brust trug, das Zeichen der fürstlichen Gewalt, auf die ihre.
Auf seinen Wink warfen sich die Vornehmsten des Landes und die Hauptleute der Leibwache vor ihr nieder und brachten unter dem Schall der Cymbeln und Trommeln der neuen Fürstin ihren ersten Salem, worauf der Scindia sie zu seinem Sitze führte, sie darauf sich niedersetzen ließ, und die Ausrufer dem Volke die Thronbesteigung der neuen Rani verkündeten.
Die junge Frau hatte alles starr und teilnahmslos geschehen lassen, aber ihr Auge blickte finstern Trotz, ihr Mund war fest geschlossen. Erst als die Ceremonie zu Ende war, und dies allen Eindrücken so leicht zugängliche Volk, das noch soeben im wilden Fanatismus sich an dem Feuertode der Rani erfreuen gewollt, jetzt derselben Frau mit Begeisterung als Herrin über Leben und Tod entgegen jubelte, als ferner der Resident mit den britischen Offizieren sich nahte, um ihr seinen Glückwunsch darzubringen, schien sie aus ihrem finstern Starren zu erwachen und richtete ihren strengen Blick auf den Scindia.
»Du bist der Sultan, mein Gebieter,« sagte sie ernst, »und ich werde Dir gehorchen und leben. Aber sage mir bei dem Schatten dessen, der nicht mehr ist, soll die Rani von Jhansi künftig wirklich die Sklavin der Faringi sein?«
»Die hohe Kompagnie,« beruhigte schmeichelnd der Scindia, »wird Deine Beschützerin sein, wie sie die Freundin aller wahren Hindus ist. Ihr Arm ist lang und ihre Weisheit ist groß. Sie wird die Stelle deines Freundes einnehmen und Dir Rat und Hilfe gewähren, wo Du ihrer bedarfst.«
»Kapitän Mowbray, Hoheit,« erklärte der Resident, »wird zu Deinem Schutz mit seiner Schwadron in Jhansi bleiben. Ich selbst werde in jedem Monat einige Tage hier verweilen und mit Deinen Räten den Tribut und das Verhältnis zum General-Gouvernement ordnen.«
Finsterer Hohn zog über das Gesicht der Fürstin.
»Merken Sie wohl, Sahib,« sagte sie, »die Faringi waren es, die mich zum Leben gezwungen und auf diesen Thron gesetzt haben gegen meinen Willen. Sie täuschen sich, wenn sie auf Dankbarkeit von mir rechnen.«
Der Resident lächelte. »Ich hoffe, wir werden noch recht gute Freunde werden!« sagte er spöttisch.
Die Fürstin wandte sich von ihm ab zu dem Kapitän Delafosse. »Wo ist der Faringi, der mich aus den Flammen geholt? Führen Sie ihn zu mir, Sahib, damit er nicht sagen möge, Xaria habe ihn ohne Belohnung gelassen.«
Der angebliche Sardinier hatte unterdes von der Hilfe des Arztes Gebrauch gemacht und seine Brandwunden verbinden lassen, als ihn die Botschaft der Fürstin traf und Delafosse ihn zu ihr führte.
Er verneigte sich mit Anstand vor der Fürstin und erwartete ruhig ihre Anrede, während der arabische Seemann, sein Begleiter, neben ihm stand.
»Sie sind es, der mich von dem Scheiterhaufen getragen?« fragte die Rani, nicht ohne Interesse das Äußere ihres Retters betrachtend.
»Wenn Sie sich dessen erinnern wollen, Hoheit, so mag es sein!«
»Sie sind ein Faringi, ein Engländer?«
»Nein, Dame, ich stamme aus einem andern Lande als England!«
Bei dieser Mitteilung wurde der Resident aufmerksam und betrachtete genauer und ziemlich mißtrauisch den Fremden, den er wenig beachtet, worauf er für gut fand, sich selbst ins Gespräch zu mischen und die Rolle des Fragenden zu übernehmen.
»Wer sind Sie, Sir?«
»Ein Fremder, wie Sie sehen, ein Reisender!«
»Das genügt uns nicht; wir wollen wissen, wer und was Sie sind und wie Sie hierher kommen!«
Der Befragte verneigte sich spöttisch. »Ich habe nicht gewußt,« sagte er im gleichen, leichten Ton, »daß Oberstleutnant Rivers auch die Polizei-Kontrolle führt! Indessen bin ich glücklicherweise imstande, seine Neugier zu befriedigen. Hier ist mein sardinischer Patz, aus dem Sie das Nötige ersehen mögen, Sir!«
Er nahm das Papier aus seiner Brieftasche und übergab es ihm. Ehe der Resident den Paß auseinanderschlug, setzte er hochmütig seine Fragen fort:
»Der Zweck Ihrer Anwesenheit, Sir?«
»Ich hatte Handelsgeschäfte mit dem verstorbenen Radschah und überdies die Absicht, in seinen Dienst zu treten. Als ich heute eintraf, empfing ich die Nachricht von seinem Tode.«
Major Rivers hatte unterdes den Paß entfaltet. »Wie? Sie sind Militär, Offizier von der sardinischen Armee?«
»Ich war es, Sir, ich habe bereits vor sechs Jahren den Dienst verlassen und betreibe seit etwa vier Jahren eine Handels-Agentur in Indien.«
Der Resident lächelte mißtrauisch. »Der Tod des Radschah überhebt mich der Verlegenheit, Herr Major, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ohne besondere Erlaubnis des General-Gouverneurs keiner der indischen Fürsten europäische Offiziere in seine Dienste nehmen darf, selbst wenn sie aus einem England verbündeten Lande kommen.«
»Ich kann Ihre Besorgnis beruhigen, Sir,« beharrte der Sardinier, indem er ein zweites Papier aus dem Portefeuille nahm. »Diese Bescheinigung Sir Lytton Mallinghams, des Mitglieds des geheimen Rates von Indien und Kanzlers der Präsidentschaft Madras, bürgt für meine Unverdächtigkeit und gestattet mir, mit den indischen Fürsten jeden Verkehr zu treiben oder beliebig in ihre Dienste zu treten.«
Rivers gab die Papiere mit einer kalten Verbeugung zurück; die feste und selbständige Haltung des Fremden schien ihm nicht besonders zu behagen. »Ich bedauere, daß Sie zu spät gekommen, aber ich werde nicht ermangeln, dem Gouvernement über den Dienst zu berichten, den Sie der Kompagnie durch die mutige Errettung der Rani geleistet haben.«
»Was ich gethan, war nur Mannespflicht. Der Tod des Radschah ist ein ungünstiges Geschick, das mich trifft. Ich kann nichts thun dagegen und will nur, wie es der höfliche Brauch des Landes von dem Fremden heischt, die Tschotschakana, die dem Toten bestimmt war, zu den Füßen seiner Witwe niederlegen.«
Auf seinen Wink wickelte sein Begleiter aus einem Tuch ein Paar schöne, mit Silberbeschlag verzierte Pistolen und eine kleine Zahl der Chupattie oder heilige Kuchen, die später als geheimes Kennzeichen der Verschworenen eine so bedeutende Rolle in dem indischen Aufstand gespielt haben, zu den Füßen der Fürstin.
Dieses Geschenk konnte selbst dem Mißtrauen des Residenten nicht auffallen, da die Sitte der Tschotschakana, oder des Geschenkebringens und Gebens eine in ganz Indien übliche und bei keiner Gelegenheit zu umgehende ist.
Die Rani hatte während des Gesprächs lange und aufmerksam den Fremden betrachtet. Die stolze und energische Art, mit welcher er dem hochmütigen Wesen des Residenten entgegentrat, schien ihr gefallen zu haben, denn plötzlich, als sie den heiligen Kuchen erblickt, erhob sie sich und sagte mit einem gewissen entschlossenen Ausdruck zu dem Sardinier: »Du bist willkommen in dem Haus des Verstorbenen und wenn Du es zu Deiner Heimat wünschest, soll es Dir eine solche werden. Die Rani von Jhansi, Sahibs, betrachtet Euch von diesem Augenblick an als ihre Gäste, und bittet Euch nur, den heutigen Tag ihrer Trauer zu gönnen. Von morgen ab wird sie alle Pflichten der Wirtin erfüllen.«
Der Resident trat ihr galant entgegen. »Deine Hoheit möge uns gestatten, uns bei Dir zu beurlauben, wir werden uns vor Aufgang der Sonne in den Wildnissen von Kurreira befinden, um Tiger zu jagen.«
»Ich werde bei Ihnen sein, Sahib, ich fürchte weder die Tiger der Städte noch die der Wälder,« antwortete die Rani.
Eine leichte Bewegung der Hand lehnte es ab, sich auf den Arm zu stützen, den der Resident ihr bot, und majestätisch, wie eine Königin, die sie war, verließ sie die Estrade und schritt, von ihren Würdenträgern umgeben, dem Thore der Festung zu, indem sie that, als bemerke sie die militärischen Honneurs nicht, welche der Posten der britischen Reiter am Thor der Burg ihr brachte.
Major Rivers sah ihr sinnend nach. »Ich fange an zu glauben,« murmelte er, »ich hätte der Kompagnie einen größeren Dienst erwiesen, wenn jene Brahminen dort mit der Asche des Radschah und seiner Odalisken auch die ihre gesammelt hätten. Indes – sie ist in meiner Gewalt, und Widerstand hat auch seinen Reiz. Ihre Zeit wird kommen, für jetzt gilt es einer anderen Beute.«
Er wandte sich zu dem Scindia und den Offizieren, die mit Maldigri ein Gespräch angeknüpft hatten.
Die Beamten und Jäger des Sultans hatten ihre Aufgabe sorgsam ausgeführt. Nachdem sie die Ryots eines ganzen Bezirks aufgeboten, war es ihnen gelungen, die Dschungel, in welcher ein kolossales Königstigerpaar, der Schrecken der Gegend, hauste, zu umstellen, und der oberste Jäger konnte dem Scindia bei der Ankunft der Jagd-Gesellschaft melden, daß sich das Wild dort befände.
Die Rani hatte noch im Lauf des Abends die Jagd-Equipage ihres verstorbenen Gatten nach dem Ort des Rendezvous voraussenden und neben den bereits von den Leuten des Scindia aufgeschlagenen Zelten drei neue errichten lassen, indem ihre Beamten die Erklärung wiederholten, daß von diesem Augenblick an der Sultan selbst und die englischen Offiziere die Gäste ihrer Gebieterin wären.
Die Fürstin, die noch am Abend Major Maldigri hatte zu sich bescheiden lassen, war mit zwanzig Elefanten und einem großen Troß im Laufe der Nacht und noch vor den Europäern aufgebrochen, so daß bei deren Ankunft in der Gegend von Kurreira sie selbst die Gäste empfing.
An ihrer Seite war der Sardinier, in der zierlichen Tracht der berittenen Leibwache des verstorbenen Radschah, zu deren Führer und Instrukteur die Fürstin ihn ernannt hatte.
Die Sache schien keineswegs den Beifall des Residenten zu haben, der immer mehr einzusehen begann, daß die Kompagnie, welche eine Frau leicht zu lenken und zu unterjochen geglaubt hatte, hier auf einen entschlossenen und selbständigen Charakter gestoßen war.
Bei den Empfehlungen, welche der Sardinier besaß, war es jedoch unmöglich, Einspruch gegen seine Ernennung zu erheben, und der Engländer beschloß, sich vorläufig derselben zu unterwerfen, den Fremden sorgfältig beobachten zu lassen und nähere Erkundigungen beim Gouvernement in Kalkutta einzuziehen, da er sich erinnerte, daß Sir Lytton Mallingham daselbst angekommen war. Mit eben so großem Mißvergnügen bemerkte er, daß Kapitän Delafosse sich auf das Innigste an den Eindringling anschloß und auch die übrigen Offiziere gegen die britische Gewohnheit ihn besonderer Aufmerksamkeit würdigten.
Dies schlechte Herz, dieser intriguante Geist ahnte unwillkürlich in diesem Unbekannten, der seine Gunst verschmähte und sich nicht vor seiner Gewalt beugte, einen künftigen Feind, einen Gegner seiner schändlichen Pläne und Gewaltthaten.
Die Rani empfing die Ankommenden an der Spitze ihres Gefolges. Von dem Augenblick an, wo sie sich unverschleiert auf dem Gange zum Feuertod dem Volke gezeigt hatte, verschmähte diese Frau jede fernere Verhüllung ihrer Reize. Sie trug auf dem Haupte den silbernen, leichten, glockenartigen Helm der Sikhs, deren Stamm sie entsprossen war, von einem blauen Turban umwunden, unter dem die langen Flechten ihres schwarzen Haares niederfielen.
Ein Kettenpanzer, so weich und biegsam, daß er nur ein Gewand von Silberstoff zu sein schien, umschloß ihren Oberkörper, ohne die Brust zu verhüllen, die nur von einem leichten, durchsichtigen Tuch bedeckt war. Ihre Arme waren nackt, nur von kostbaren Ringen aus Gold und Perlen umschlossen.
Von ihren Hüften fiel ein kurzer orientalischer Rock von weißem Stoff, mit Gold gestickt, bis auf die Kniee. Weite Beinkleider von blauem Seidenzeug, an der Seite militärisch mit einer breiten goldenen Tresse geschmückt, waren mit goldener Schnur um die Knöchel zusammengereiht.
Ein kostbarer indischer Shawl, auf der linken Schulter in Knoten geschlungen, lag über der Brust und dem Rücken und war auf der anderen Schulter durch eine Agraffe zusammengehalten.
Die eingeborenen Krieger und Jäger, welche die Fürstin umgaben, begannen mit einer abgöttischen Verehrung zu ihr emporzublicken. Der Todesmut, den sie auf dem Scheiterhaufen bewiesen, hatte die Verwunderung dieser wilden Söhne der Dschungeln erregt, diese Schönheit unterjochte ihre orientalische Phantasie.
In ihrem Gürtel trug die Rani einen gekrümmten Dolch mit Diamanten und in ihrer linken Hand eine alte indische Flinte mit langem Lauf und einfacher aber zierlicher Form, die zwar mit einem Schloß von neuerer Konstruktion versehen war, aber durch kostbare eingelegte Arbeit in Gold und Silber und durch wundervolle Ciselierungen auf dem Metall sich als eines jener Gewehre auswies, die in Herat oder Kabul schon zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts mit unerreichter Kunst gefertigt wurden.
Die Rani wußte beim Empfang ihrer Gäste die Etiquette und Würde einer indischen Herrscherin mit der leichten Grazie und Gewandtheit einer europäischen Dame zu vereinigen. Die vornehmen Hindufrauen unterscheiden sich wesentlich von den nur für die Genüsse des Harems erzogenen trägen, geistlosen Türkinnen. Der Hindu ist an und für sich intelligenter, es ist ihm die Erinnerung und der Rest jener hohen Intelligenz geblieben, die einst aus den Tempeln von Ingernaut und Flagsanta ihr Licht über die Welt verbreitete, und noch heute ist eine der liebsten Beschäftigungen der Männer und Frauen, Briefe zu schreiben und Schriften zu verfassen.
Die Fürstin lud die Gesellschaft nach kurzer Rast in den Zelten zur Tafel ein, die mit Erfrischungen der mannigfachsten Art bedeckt, unter dem Schatten eines riesigen Pingalabaumes aufgeschlagen war, und an der sie mit der Würde einer geborenen Königin Platz nahm.
Trotz der Anstrengungen, die diese Art der Jagd verursachen mußte, hatte der erfahrene Oberjäger des Scindia, in Verbindung mit seinen Kollegen aus dem Gefolge der Fürstin von Jhansi, zum Angriff gegen die Tiger die Zeit des Vormittags gewählt, zu welcher der bereits hohe Stand und die glühenden Strahlen der Sonne die Raubtiere träge in ihrem Lager zurückhalten, denn der Ruf verkündete die Bestien als zwei der stärksten und gefährlichsten ihrer Art, und es würde den Erfolg der Jagd bedeutend gefährdet haben, wenn man versucht hätte, in der Stille des Abends oder der Frühe des Morgens ihnen auf ihrem Weg nach Beute oder auf der Rückkehr von ihrem Raubzug zu begegnen.
Man mußte sie demnach in ihrem Lager aufsuchen, und das konnte nur während der Hitze des Tages geschehen.
Diese günstige Zeit war jetzt gekommen, und der Oberjäger bat, das Zeichen zum Aufbruch geben zu dürfen.
Hierauf wurden die Jagdelefanten und die Pferde vorgeführt, und die Gesellschaft traf rasch ihre letzten Vorbereitungen zur Jagd.
Seit der Tafel im Meß-Bungalow zu Cawnpur war von der tollen Wette des jungen Irländers mit keiner Silbe mehr die Rede gewesen.
Eduard O'Sullivan schien sie vergessen zu haben oder vergessen zu wollen, und keiner der Offiziere, selbst sein Gegner nicht, war herzlos genug, ihn daran zu erinnern.
Jeder wußte, daß die Erfüllung der Wette das unausbleibliche Verderben war.
Aber nicht ohne Besorgnis bemerkte Kapitän Delafosse, als er seine bisher an die Rani gefesselten Blicke auf ihn wandte, daß der junge Irländer seltsamerweise durchaus nicht zur Jagd gerüstet erschien, sondern im Gesellschaftsanzug geblieben war, wie er ihn an jener Offizierstafel gesehen, und daß er keine Waffe bei sich führte, auch die Büchse zurückwies, die Mickey, das Faktotum des Obersten, der stets eine besondere Vorliebe für seinen jungen Landsmann gezeigt hatte, ihm reichte.
Außer Delafosse hatte noch ein anderer die Bewegung beobachtet, ein tückisches Lächeln spielte um seinen Mund.
Die Rani bestieg ihren Elefanten, der Scindia lud den Residenten ein, die Haudah des seinen mit ihm zu teilen.
Einige von den Offizieren, darunter Kapitän Delafosse, stiegen zu Pferde, die anderen, und auch Eduard O'Sullivan, nahmen auf den Elefanten Platz.
Es waren im ganzen fünfzehn Jagd-Elefanten mit etwa doppelt so vielen Jägern und ebenso viele Reiter.
»Es ist schade, Ned,« sagte der Resident, als er an O'Sullivan vorüberkam, »daß der hagere Schotte – Mac Scott heißt er ja wohl – der Leibjägermeister des Nena, nicht hier ist; er würde Ihnen guten Rat geben können für Ihr Unternehmen.«
Der junge Mann antwortete nicht.
Die Rani gab jetzt das Zeichen zum Aufbruch, und der ganze Zug setzte sich in Bewegung.
Die Mahouds, hinter den Ohren ihrer Elefanten sitzend, lenkten dieselben mit ihrem Zuruf oder dem spitzen Eisenstachel, während der hinter der Haudah kauernde Diener den an derselben befestigten Sonnenschirm nach der Richtung der Sonne wendete und später als Büchsenspanner diente. Mehrere der indischen Reiter jagten voraus, um den Treibern das Zeichen zum Beginn des Kesseltreibens zu geben.
Zuerst rasch, dann immer langsamer und vorsichtiger rückte der Zug vorwärts. Der Weg führte zuerst durch einen großen Wald von indischen Fichten, der sich nach einer halben Stunde lichtete und zu einem mächtigen Dschungelgestrüpp wurde, in dessen Mitte sich ein niederer Hügel erhob, gekrönt mit den Ruinen eines uralten Tempels.
Diese Trümmer sollten das Lager der Tiger sein.
Am Ende des Waldes machte der Zug Halt und begann sich in langer Reihe auszudehnen. Vor ihnen lag die Dschungel, ein wohl zwei bis drei englische Meilen breites und langes Dickicht von häuserhohem Bambus, Böre und Kamelkraut, mit dem langen, scharfen Schilfgras vermischt, das selbst einen Reiter überragt.
Man fand hin und wieder gebleichte Knochen von Tieren, auch ein Menschenschädel grinste aus den hohlen Augenhöhlen furchterregend die Jäger an.
Alles horchte und machte sich fertig. Kein Laut außer dem Schnauben der Tiere, welche die Nähe ihrer grimmigen Feinde zu wittern schienen, und das Knacken der Hähne beim Spannen der Büchsen und Flinten.
Jetzt begann in der Ferne das Geschrei der Treiber, das Schlagen der Metallbecken, das Läuten ihrer Glocken, mit dem sie die Tiger aus ihrem Versteck scheuchen sollten.
Die Rani gab das Zeichen zum Vorrücken, und die Mahouds stachelten ihre Tiere.
Die fünfzehn Elefanten begannen in einer Reihe von etwa 1500 Schritt in die Dschungel langsam einzudringen.
Hinter den Elefanten, in den Zwischenräumen, als zweites Treffen, kamen die Reiter, teils mit Lanzen, teils mit Gewehren bewaffnet.
Das dritte Treffen, die letzte Reihe, bildete die große Zahl der Fußgänger, der Jäger, Diener und Soldaten, sämtlich mit langen und starken Speeren bewaffnet.
Es war ein Heer, das gegen die beiden Könige der Wildnis anrückte, und das in seiner dreifachen Reihe ihnen den Durchweg sperrte.
Dennoch sah man, je weiter man kam, manches Gesicht bleich werden, in manchem Auge die Furcht der Erwartung.
Immer deutlicher vernahm man den Lärm der Treiber von der anderen Seite der Dschungel. Der Befehl des Scindia hatte nicht weniger als tausend Bauern dort zusammengeführt.
Schritt vor Schritt drang man im brennenden Strahl der Sonne in das Dickicht. Die Elefanten traten mit ihren plumpen Füßen das Geröhr zusammen und rissen mit ihren Rüsseln die Büsche aus dem weichen, feuchten Boden. Aber sie begannen immer unruhiger zu werden und stießen trompetenartige Töne aus.
Die Pferde schnaubten mit wild in die Luft geworfenen Nüstern und mußten durch Spornstöße von ihren Reitern vorwärts getrieben werden.
Plötzlich hörte man in einer kurzen Pause des Geschreies der Treiber ein dumpfes Knurren und gleich darauf erscholl ein wildes Zischen, ein heiseres Fauchen.
Ein anderes, nur noch wilder, kräftiger, wütender als das erste, antwortete diesem.
Die Tiger schienen, nach den Tönen zu urteilen, die selbst die mutigsten Herzen rascher schlagen machten, sich nur in geringer Entfernung von einander, wenn nicht dicht beisammen, zu befinden.
Der Ruf des ersten Jägers: »Aufgepaßt! – Haltet fest zusammen, Sahibs, und zielt gut!« ermahnte zur Vorsicht.
Ein Fauchen, näher als das erste, von zwei Kehlen zugleich ausgestoßen, ward hörbar.
Zwei der Elefanten, noch junge, an den Kampf nicht gewöhnte oder in einem solchen verwundete Tiere, vermochten diese gefährliche Nähe, diese furchtbaren Töne nicht mehr zu ertragen. Sie wandten um und rannten, trotz aller Anstrengungen ihrer Mahouds, die Linien der Reiter und Fußgänger durchbrechend, davon.
Auf dem einen der flüchtigen Tiere befanden sich Kapitän Lowe und Doktor Brice, auf dem anderen ein indischer Häuptling aus der Begleitung des Scindia. Das letztere Tier hatte noch keine hundert Schritt gemacht, als man einen Schuß hörte, es war die Büchse des über die Schmach der Flucht erbitterten Serdars, die seinem schuldlosen Mahoud den Kopf zerschmetterte.
Aber die Zurückbleibenden hatten keine Zeit, auf das Schicksal der Flüchtigen zu achten, vor ihnen in der Dschungel brach und knackte es von zerbrochenem Rohr und Geäst – im nächsten Moment sprangen mit gewaltigem Satz, fast Leib an Leib, zwei mächtige Tiger ins Freie.
Der Ruf der Rani: »Ram! Ram!« Indischer Kampfruf. mit dem sie ihren Mahoud befeuerte, die Salve von zwanzig, dreißig Schüssen, die meisten aufs Geratewohl gethan, vermischten sich mit dem Geschrei der Jäger, dem Wiehern der Pferde und dem Schmettern der Elefanten.
Eine Scene unbeschreiblicher Verwirrung, wütenden Kampfes erfolgte.
Der Elefant der Rani war der nächste und vorderste. Der weibliche Tiger warf sich mit mächtigem Sprung auf ihn, aber von dem Schlage des Rüssels getroffen, flog er hoch in die Luft und sich überschlagend zurück in das Röhricht. Diesen Augenblick schien der Königstiger wahrgenommen zu haben, denn statt an einer anderen Seite seinen Durchbruch zu versuchen, sprang er von der Seite dem Elefanten an den Kopf, schlug seine Pranken tief in das Fleisch des edlen Tieres, das linke Auge damit zerreißend, und begrub sein fürchterliches Gebiß in den Rüssel des Elefanten, wo dieser am Kopf aufsitzt.
Der Mahoud, schwer verwundet, stürzte auf der anderen Seite hinab.
Die Rani ließ in dieser entsetzlichen Lage keinen Laut vernehmen. Sie hatte sich aufgerichtet in der Haudah, deren Wand sie allein von dem grimmigen Raubtier schied, und indem sie kaltblütig ihr Gewehr erhob, dessen Mündung fast den Kopf des Tigers berührte, entlud sie es.
Der Schuß hätte in dieser Nähe tödlich sein müssen, aber leider verrückte eine Bewegung des vor Schmerzen hin und herspringenden und ausschlagenden Elefanten das Ziel und die Kugel streifte nur den Pelz der Bestie.
Deren Zähne hatten die Muskeln des Rüssels zerrissen; der Elefant war wehrlos und der Tiger, festgeklammert auf seinem blutigen Sitz, richtete sich nun gegen die Fürstin, seine gefährlichere Gegnerin.
Vergeblich hatte diese die Hand rückwärts gestreckt, ohne die Augen von der Bestie zu lassen, um ein zweites Gewehr von ihrem Büchsenspanner in Empfang zu nehmen – der Mann war bei den entsetzlichen Bewegungen des leidenden Tieres längst herabgeschleudert und lag zertreten unter seinen Füßen.
Die Verwirrung umher war groß. Keiner der Jäger wagte einen Schuß zu thun, um die unglückliche Frau zu retten, denn wie leicht konnte er sie selbst treffen! Vergebens versuchte der Mahoud des Elefanten zur Linken des Tiers der Rani, sein Tier heranzutreiben. Man sah die Fürstin in ihrer Haudah aufrecht stehen, weit über den hinteren Rand derselben zurückgelegt, mit der Linken sich festklammernd, während die Rechte dem Tiger den Dolch entgegenhielt.
Major Maldigri hatte an dem Jagdzug, in der Haudah des Elefanten zur Linken mit dem Oberstleutnant Stuart sitzend, als bloßer Zuschauer teil genommen, da die Verletzungen seiner noch mit Bandagen umwickelten Hände ihm nicht gestatteten, sich einer Büchse zu bedienen, oder zu Pferde sich den Kämpfenden anzuschließen.
Trotzdem hatte er sich in diesem Augenblick der Gefahr, ohne an sich selbst zu denken, über den Rand der Haudah geschwungen, war an der Seite seines störrigen, den Angriff verweigernden Tieres heruntergeglitten und eilte seiner neuen Gebieterin zu Hilfe.
Von der anderen Seite sprengte Kapitän Delafosse heran, indem er mit rasenden Sporenstößen sein Pferd näher trieb.
Das arme, zerrissene Tier, das die Rani getragen, warf sich im wütenden Schmerz zur Erde, um den grausamen Feind zu erdrücken, und Elefant, Tiger und Fürstin wälzten sich auf dem Boden.
Die Rani war etwas weiter geschleudert worden und zwischen ihr und den kämpfenden Tieren einige Schritte Zwischenraum. Zum Glück hatte das hohe weiche Gras die Gewalt ihres Falles gebrochen, so daß sie nicht einmal die Besinnung verlor.
Bevor sie sich noch emporraffen konnte, war der neue Führer ihrer Leibwache, Major Maldigri, schon an ihrer Seite und warf sich zwischen sie und den Tiger.
Die Bestie hatte sich von dem besiegten Feinde losgemacht und stand nun der Rani und ihrem kühnen, aber waffenlosen Verteidiger gegenüber.
Er kauerte sich nieder und zog den Vorderkörper zurück zum gewaltigen Sprung. Sein Rachen war geöffnet; er stieß mit dumpfem Fauchen heißen Brodem aus.
Eine Bewegung – ein Sprung –
Aber noch ehe das Untier sich auf den kräftigen Muskeln seiner Hinterbeine emporschnellte, krachte ein Schuß.
Der Tiger rollte um sich selbst. Seine gewaltigen Glieder zuckten, die scharfen Pranken hieben im Todeskampf wild umher, dann streckten sie sich lang aus; der furchtbare Feind war verendet.
Alles stürzte herbei, an dem toten Körper noch Rache zu nehmen und die Geretteten zu begrüßen. Die Krieger und Jäger stießen ihre Speere in den Leichnam des Tigers, während sie den Siegesgesang nach glücklich beendigtem Kampf anstimmten und wie närrisch um den erlegten Feind tanzten.
Kapitän Delafosse war, da seine Sporenstöße es nicht so nahe heranzuzwingen vermochten, im letzten Augenblick mit Blitzesschnelle vom Pferde und hinter den Tiger gesprungen. Mit der Kaltblütigkeit und Sicherheit, die nur die höchste Gefahr zu geben pflegt, setzte er dem Untier den Lauf seiner Büchse an den Kopf, so daß die Kugel ins Gehirn drang.
»Die Hand eines Faringi hat sich in zwei Tagen zweimal für das Leben einer Hindufrau erhoben,« sagte langsam und ausdrucksvoll die Rani, auf ihn zutretend. »Wischnu hat es so gewollt und sein Wille ist heilig. Ich danke Dir und möchte Dich lieben dafür, wenn Du nicht der Feind meines Volkes wärest.«
Der junge Offizier erbebte vor diesen halblaut gesprochenen Worten. Jede Entgegnung wurde jedoch durch Maldigri abgeschnitten, der ihm freundlich die verbundene Hand bot.
»Es ist das zweite Mal, Sir,« sagte er herzlich, »daß Sie zwischen mich und den Tod treten. Wie gering ich auch das Leben selbst achte, ich schulde es Ihnen, und wenn Ihnen an dem Dank eines Fremden etwas gelegen ist, so nehmen Sie diesen und die Versicherung, daß, wenn das Schicksal es erlaubt, ich die Schuld abtragen werde.«
Es lag ein Etwas in dem Wesen des Sardiniers, das jedem edlen und hochherzigen Geist das geheime Gefühl der Seelenverwandtschaft aufdrängte. Kapitän Delafosse schüttelte ihm die Hand – sie waren fürs Leben Freunde oder mindestens einander achtende Feinde.
Die Rani wandte sich nach jener augenblicklichen Aufwallung des Gefühls, gleich als schäme sie sich seiner, zu den Offizieren und dem Gefolge zurück, das sich um sie versammelt hatte.
»Was soll das bedeuten, Sahibs, daß Sie Ihre Posten verlassen? Beunruhigen Sie sich nicht um mich; ein Unfall, wie er bei jeder Jagd vorkommt, nichts weiter, und Sie sehen, ich habe tapfere Ritter an meiner Seite. Wo ist der zweite Tiger? Hat er Ihre Reihen durchbrochen?«
Alles sah sich nach dem anderen Feinde um, dessen Nähe man ganz über dem gefährlichen Kampf vergessen hatte.
»Der Schelm hat Furcht,« sagte der Resident mit großer Ruhe von seiner Haudah herab, »ich sah ihn sich in das Dickicht zurückziehen.«
Als wolle sie ihre Anwesenheit bestätigen, hörte man aus der Dschungel die Tigerin mit mächtigem Heulen den Gefährten rufen.
Die Entfernung, in der sie sich danach jetzt befand, mochte etwa 2-300 Schritt betragen. Man konnte in dem Röhricht den Pfad bemerken, den sie sich gebrochen hatte.
Rivers klopfte die Asche von seiner Cigarre. »Ned, mein Junge, Sie werden leichteres Spiel mit der Bestie haben, als ich gefürchtet. Der Schlag mit dem Rüssel des Elefanten hat ihr vielleicht eine oder zwei Rippen zerbrochen und Hallidays Chancen sind um zwanzig Prozent gesunken.«
Diese boshafte, wohlüberlegte Anspielung traf alle wie ein kalter Schlag.
»Unsinn, Major,« rief der Oberst, »Sie werden doch nicht denken, daß Master O'Sullivan thöricht genug ist, den Narrenstreich zu wagen? Die Wette konnte von vorn herein keine Geltung haben.«
»Das ist eine Sache, die mein Freund Ned mit Halliday abzumachen hat,« sagte kalt der Resident. »Mich geht sie nichts an, ich hätte höchstens auf O'Sullivan gewettet.« Ein kaum bemerklicher Wink der Augen verständigte den Leutnant.
»Ich bin es zufrieden, daß die Wette rückgängig wird, wenn Master O'Sullivan eine Aversion gegen den Tiger empfindet,« bemerkte Halliday, indem er sein Wettbuch hervorzog und sich anschickte, die Wette zu streichen. »Wie viel waren es doch wohl? – richtig, lumpige hundert Pfund.«
»Lassen Sie uns aufbrechen! in die Sättel, meine Herren, und vorwärts auf den Tiger!« verlangte mit einer gewissen Angst und Hast, die einem großen Unglück vorbeugen will, Kapitän Delafosse.
Die Rani, der Scindia und Maldigri schauten verwundert von einem zum andern; sie begriffen nicht, warum der allgemeine Angriff gegen den Tiger verzögert wurde, obschon die beiden ersten gleichfalls genug Englisch kannten, um die gewechselten Worte zu verstehen.
Die Hauptperson, um deren Leben es sich handelte, Eduard O'Sullivan, war bei dem ersten Wort des Residenten von seinem Elefanten gestiegen.
Er stand in der Mitte dieser Männer, bleich, zitternd, aber mit funkelndem Auge und festem, unwiderruflichem Entschluß.
»Ich danke Ihnen für die Erinnerung, Herr Major,« sagte er fest, »und Sie, Halliday, bemühen Sie sich nicht – ich denke, meine Verpflichtung zu lösen und habe mich vorbereitet dazu.«
»Ah, bravo,« klatschte der Resident. »Ich wußte es im voraus, Ned hält sein Wort und läßt nie eine Schuld unbezahlt.«
»Um Gottes willen,« mahnte ernstlich besorgt der Oberstleutnant, »helfen Sie mir lieber, den jungen Thoren von seinem Entschluß abzubringen, statt ihn noch mehr durch solche Worte zu reizen.«
Delafosse hatte Maldigri auf seine Frage die Umstände der Wette mitgeteilt.
»Die Christen sind närrisch; sie wissen nicht, was sie thun!« sagte achselzuckend die Rani und winkte den Elefanten eines ihrer Serdars herbei, um den Sitz darauf einzunehmen.
»Auf keinen Fall werde ich solchen Selbstmord dulden,« erklärte energisch Delafosse, »er wäre ärger, wie das, was wir gestern angesehen haben.«
»Einen Augenblick, meine Herren,« sprach der junge Irländer. »Sie alle sehen diesen Revolver in meiner Hand, mit dem mich mein Freund, Major Rivers, vor unserem Auszug von Cawnpur, als Beweis seiner Zärtlichkeit, versorgt hat.«
»Gewiß, aber Sie glauben doch nicht, mit einlötigen Kugeln …«
»Nun, merken Sie wohl! Ich schwöre Ihnen, mir auf der Stelle eine Kugel damit durch den Kopf zu jagen, wenn Sie mich hindern wollen, meinem verpfändeten Wort Genüge zu thun!«
Alles schwieg, jeder fühlte, daß jetzt alle Einsprache vergeblich war.
Der junge Mann wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, der in großen Tropfen perlte. Dann zog er aus der Tasche seines Reitfracks das Tischmesser, das er an der Tafel der Offiziersmesse an sich genommen, und bat Kapitän Delafosse, es mit dem Tuch, mit dem er soeben die Stirn getrocknet, in seiner Hand festzubinden.
Der Kapitän that es. »Haben Sie irgend eine Bestimmung zu treffen, Herr O'Sullivan, für den Fall, daß …«
Er brach ab. Der junge Irländer drückte ihm die Hand.
»Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann, Kapitän, und werden meine Bitte erfüllen. In diesem Portefeuille –« er zog es aus der Brusttasche und legte es nieder auf das Gras, »befindet sich ein Brief an meine Schwester Margarethe, die Gattin – verstehen Sie wohl: die Gattin – des Maharadschah Srinath Bahadur. Sie werden ihr ihn, wenn ich nicht zurückkehre, persönlich überbringen und – es würde mich sehr glücklich machen, hätte ich Ihr Versprechen, der Freund meiner Schwester bleiben zu wollen.«
»Verlassen Sie sich darauf, Ned. Ich will alles, was Sie wünschen, aufs gewissenhafteste besorgen,« rief der Resident.
»Ich habe Kapitän Delafosse mit meinem Willen beauftragt, Sir,« entgegnete O'Sullivan kalt.
»Und seien Sie versichert, daß er erfüllt werden soll,« erklärte dieser mit einem festen Blick auf den Residenten.
Ein erneuertes Geheul aus der Dschungel schien gleichsam das Opfer zur Eile zu mahnen.
Alle sahen, wie der Irländer unwillkürlich zusammenschauderte. »Sie hören – man ruft mich …«
Auf ein Zeichen der Rani hatte der Mahoud ihren Elefanten näher getrieben. Die kühne Frau, die den Mut an anderen zu würdigen verstand, riß sich den kostbaren Shawl von der Schulter und warf ihn dem jungen Manne zu. »Nimm, Sahib,« sagte sie, »und wickle ihn fest um Deinen linken Arm; die Zähne des Tigers vermögen das Gewebe von Kaschmir nicht zu durchdringen.«
O'Sullivan befragte mit einem Blicke den Kapitän, gleichsam als Ehrenrichter, ob er die Hilfe annehmen dürfe. Delafosse nickte schweigend, und Mickey sprang herbei, ihm den Shawl um den Arm zu Wickeln.
»O Jesus, Herr,« sagte der ehrliche Bursche, der wie wir erwähnt, eine große Vorliebe für seinen Landsmann bei jeder Gelegenheit offenbarte, »ich hoffe, Sie werden die gesegnete grüne Insel nicht zu Schanden werden lassen! Acuschla, mein Liebling, wenn Sie sich schwach fühlen, will ich lieber selber gehen und den braunen Kerlen hier zeigen, was einer Mutter Sohn thun kann!«
O'Sullivan wehrte ihn freundlich ab. »Fassen Sie die Bestie fest ins Auge, Sir,« flüsterte Maldigri dicht neben ihm; »weichen Sie keine Linie breit von ihrem Blick, das Katzengeschlecht fürchtet die Macht des menschlichen Auges; die heilige Jungfrau nehme Sie in ihren Schutz!«
Eduard O'Sullivan schritt vorwärts, – die ersten Schritte waren wie die eines Trunkenen, man glaubte, ihn jeden Augenblick ohnmächtig niedersinken zu sehen, und Delafosse wollte ihm bereits, auf jede Gefahr hin, nacheilen.
Aber von Schritt zu Schritt wurde sein Gang sicherer, seine Haltung fester, eine Minute noch, dann verschwand seine Gestalt zwischen den Gräsern, welche von beiden Seiten die Tigerspur überwölbten.
Eine tiefe, beklommene Stille lag über der ganzen Jägerschar, keiner wagte zu sprechen. Alle hatten ihre Tiere bestiegen, als wären sie bereit, jeden Augenblick den neuen Kampf zu beginnen. Aber der Tiger hätte unbehindert fliehen können, denn die Linie war unbewacht, die Jäger hatten sich auf eine Stelle zusammengedrängt.
Es vergingen fünf Minuten, fünf Minuten der ängstlichsten, peinigendsten Erwartung. Diese war so beklommen, daß fast jeder gewünscht hätte, lieber selber in der Stelle des Irländers zu sein.
Mickey war der erste, der diese Stille zu unterbrechen wagte.
»So wahr Pater O'Donnaghun nimmer eine Haushälterin über acht Monate im Dienst gehabt hat – der Lord-General mag mich schinden lassen, wenn's nicht wahr ist! aber es ist nicht besser als Mord an dem jungen Blute; es wird kein Stück von ihm ganz bleiben, was ich dem Goldkind, seiner Schwester, bringen könnte!«
Ein lang anhaltendes, wütendes Heulen drang aus der Gegend der Ruinen.
»Jetzt sind sie aneinander,« sagte scharf hinhorchend der Resident, indem er sich eine neue Cigarre anbrannte, um die lästigen Fliegen zu vertreiben.
Der Oberstleutnant fuhr ihn barsch an: »Schweigen Sie, Sir! Hören Sie nicht – Es kommt etwas heran – die Büchsen fertig, daß wir wenigstens den armen Jungen rächen an der Bestie!«
»Nein, es kommt nicht von dort, es nähert sich aus dem Wald,« rief Follington, der Quartiermeister.
In der That, unter den Bogengängen der Fichten zeigten sich zwei Reitergruppen: Kapitän Lowe und Doktor Brice auf ihrem herantrabenden Elefanten, den sein Mahoud endlich auf der Flucht zum Stillstehen und zur Umkehr bewogen hatte, und ein Reiter nebenher galoppierend.
Als sie näher kamen, erkannte man in dem letztern eine große Gestalt, so hager, daß der ganze Körper nur aus Haut und Muskeln gemacht schien. Der Mann war alt, eine schmutzige Jagdmütze von Leder bedeckte den raubvogelartigen Kopf mit der Habichtsnase und dem zurücktretenden Kinn; er trug einen kurzen grünen Jagdrock und eng anliegende Lederbeinkleider mit Gamaschen und schweren dicken Schuhen.
Verschiedene der Anwesenden schienen ihn wohl zu kennen, ebenso der Doktor, der im Reiten mit ihm sprach und ihm offenbar mit verschiedenen Übertreibungen von den eben bestandenen oder vielmehr nicht bestandenen Gefahren erzählte.
»Was zum Henker, Herr Mac-Scott, führt Sie in diesem Augenblick von Bithoor hierher?« rief der Oberstleutnant. Für sich setzte er brummend hinzu: »Ich wollte, der alte Bursche wäre eine halbe Stunde früher angekommen.«
»Ihr Diener, Oberst! Ihr Diener, Gentlemen!« sagte der alte Mann, sein Pferd parierend und sich mit den ihm trotz seiner wilden Beschäftigung – denn es war wirklich der uns von San Francisco her bekannte Tigerjäger und Erzieher des Nena – gebliebenen aristokratischen Manieren rings verbeugend. »Ein dringendes Geschäft, eine unglückliche Nachricht führt mich hierher. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wo ich Master O'Sullivan, den Bruder meiner Herrin, finden kann? Die Sache hat Eile.«
Ein allgemeines Schweigen erfolgte, niemand wagte zu antworten.
Aber die Antwort kam von einer anderen Seite her.
Ein grimmiges, die Nerven erbeben lassendes Zischen, Fauchen und Heulen drang aus der Dschungel herüber und erscholl in einzelnen Stößen immer wütender und heftiger.
»Ah,« sagte Mac-Scott, der vom Pferde gestiegen war, indem er sich behaglich auf den hageren Leib schlug, »da ist ja noch eins meiner Lämmchen!« Er warf einen Blick umher auf die toten Körper des Elefanten, des Tigers und des Büchsenspanners und auf den schwer verwundeten Mahoud. »Ich sehe, es ist scharf hergegangen, der Doktor erzählte mir schon davon, obschon er meinte, es wären mindestens zehn Tiger hinter ihm drein gewesen. Aber wo ist Master O'Sullivan?«
Kapitän Delafosse wies nach der Dschungel hin, von wo das Geheul herüberdrang.
»Dort!« sagte er aufgeregt.
Der alte, abgehärtete Schotte fuhr zurück. »Machen Sie keinen Scherz, Sir! wo ist Eduard O'Sullivan?«
»Ich wiederhole Ihnen, Sir, Master O'Sullivan befindet sich dort, im Dickicht dieser Dschungel, am Fuße jener Ruinen, im Duell mit einem Tiger, und Sie selbst hören sein Totenlied.«
Ein schwächeres, halbersticktes Grollen drang aus der geheimnisvollen Tiefe der Wildnis herüber.
»Das ist unmöglich – da ich hier so viel Gentlemen müßig versammelt sehe.«
Die schlichte Einfalt dieser Worte jagte Schamröte auf die Gesichter der britischen Offiziere.
»Sie haben recht, Herr Mac-Scott,« sagte der Kapitän entschlossen, »es war eines Mannes unwürdig, hier zu warten. Die Pflicht des Nächsten steht höher, als der Dünkel einer mißverstandenen Ehre.«
Und er folgte dem greisen Tigerjäger, der, ohne eine weitere Antwort zu erwarten, nach seinem beschämenden Ausruf die Büchse von der Schulter genommen hatte und in das Dickicht der Dschungel vorangeschritten war.
Ein mächtiger Impuls schien alle Anwesenden ergriffen zu haben, indem sie, ohne sich weiter zu verständigen, sich ausbreiteten und vorwärts drangen.
Von dem ersten Schritt in das Gebüsch an verkündete jede Bewegung des Schotten den erfahrenen Jäger, den Kämpfer in den Wildnissen gegen den grausamen König derselben.
Die hohe Gestalt gebückt, den Lauf der Büchse in der Höhlung der linken Hand ruhend, und den Finger der rechten am Schloß, den Kopf weit vorgestreckt, Ohren und Nüstern geöffnet, als wollten sie jeden Laut, jeden Geruch einsaugen, so glitt er etwa 20 Schritt vor den übrigen durch das Rohr und das Riesengras mit einer Kraft und Gewandtheit, die einen Jüngling beschämt hätten.
Der Kapitän Delafosse und Lowe waren abgestiegen und folgten, ihre Büchsen schußfertig in der Hand, zu Fuß; hinter ihnen drein kamen der Elefant der Rani und mehrere Reiter.
So drangen sie vorwärts, während die anderen, langsam folgend, das Dickicht bewachten.
Das ferne Lärmen der Treiber, welches noch immer das Entfliehen der Tiger nach jener Seite verhindern sollte, unterbrach allein wieder die Stille der Dschungel.
Kein Laut, kein Ton mehr zeigte den Beginn, die Fortdauer oder das Ende jenes entsetzlichen Zweikampfes an.
Delafosse hegte die stille Hoffnung mit jedem Schritt, den sie vorwärts thaten, den Unglücklichen auf seinem Wege ohnmächtig niedergesunken zu finden.
An einer Stelle lag ein Handschuh, O'Sullivan mußte ihn im Vorüberkommen hier verloren oder fortgeworfen haben. Es war der Beweis, daß sie sich auf der richtigen Spur befanden.
Plötzlich stieß der Schotte einen lauten Ruf aus und sprang vorwärts.
Sie eilten ihm nach.
Vor ihnen erhoben sich die von Jahrtausenden zerbröckelten Marmorsäulen eines Tempels oder eines Grabmals.
Am Schaft dieser Säulen, am Fuß dreier gigantischen Trümmer war das hohe Dschungelgras, das Gestrüpp und Rohr im ziemlich weiten Kreis zu Boden getreten.
Die Stelle glich einem Kessel, einem Nest in dieser Wildnis morastiger Vegetation.
Es war die Lagerstätte der Tiger-Familie.
Am Rand des freien Raumes sah man Mac-Scott den Jäger und Vertrauten des Nena stehen, die Büchse an der Wange, den Finger am Drücker. Der Elefant der Rani stieß ein schmetterndes Geschrei aus.
Ein Blick erklärte die Ursache.
In der Mitte des Platzes lag eine ungestalte, verworrene Masse von Kleidern, Blut und Fleisch.
Quer über dieselbe her sah man die Tigerin ausgestreckt.
Zwei junge, höchstens zwei Wochen alte Tigerkatzen spielten im Grase und leckten das Blut.
Das war der Anblick, der sich den Herbeikommenden bot, die Gruppe, auf die die Büchse des alten Schotten gerichtet war.
Aber der Tiger machte keine Bewegung, er regte sich nicht, trotz der Nähe der Menschen.
Plötzlich kam es aus dieser entsetzlichen Masse von Blut und Fleisch wie der leise Seufzer einer menschlichen Brust, wie ein schmerzliches klagendes Stöhnen.
Der alte Tigerjäger ließ sein Gewehr fallen, faßte sein Jagdmesser und sprang vorwärts.
Im nächsten Augenblick kniete er in der Blutlache neben dem Tier und dem Menschen.
Der Tiger – war tot, kein Glied, keine Sehne rührte sich mehr.
Der Mensch – – – – – – – – – –
Die Offiziere, der Schotte, die herbeieilenden Jäger legten Hand an, den Leichnam des Untiers aufzuheben und zur Seite zu werfen. Es war eins der größten Art, noch größer, als das vorhin getötete Männchen.
Der Anblick, der sich nach der Entfernung des Tigers bot, war fürchterlich.
Kaum daß die verstümmelte Gestalt, die hier lag, noch menschliche Form hatte.
Jedes Glied schien gebrochen, zerfleischt von den grimmigen Bissen der Bestie.
Die Brust war von einem Krallenhieb aufgerissen, der Unterkiefer von den Zähnen zermalmt.
Der linke Arm war mehrfach gebrochen, die Knochen standen aus dem zerfetzten Shawl der Rani. Aber die rechte Hand hielt noch krampfhaft das blutbedeckte Messer fest, mit dem O'Sullivan den unerhörten Kampf ausgefochten.
Trotz der entsetzlichen Verwundungen schien noch Leben in diesem Körper, diese Nerven regten sich noch, diese zerfetzten Glieder zuckten noch von Zeit zu Zeit unter den gräßlichen Schmerzen.
Auf den Ruf und das Geschrei der zuerst Angekommenen eilten die Nachfolgenden von allen Seiten rascher herbei. Einer der Vordersten war Doktor Brice, er übernahm sogleich die Leitung aller Anstalten zur Rettung des Verstümmelten, kniete neben ihm nieder und legte die Hand auf sein Herz.
»Es ist wirklich noch Leben in ihm!« sagte er nach einer kurzen Pause der Untersuchung. »Schade um den armen Jungen, er hat uns wahrhaftig bewiesen, daß er keine Furcht vor den Tigern hat.«
» Goddam!« meinte herzlos der Resident, indem er mit seinem Lorgnon den toten Körper des Tigers betrachtete – »die Bestie hat nicht weniger als acht Stichwunden und einige so groß, daß man die Hand darin umkehren könnte. Ich hätte Ned gar nicht so viel Kraft zugetraut.«
Delafosse warf ihm einen verächtlichen Blick zu, aber über das Gesicht des Sterbenden zuckte es wie ein Lächeln stolzen Triumphes.
»Was ist zu thun, Doktor? Vielleicht ist dem Unglücklichen noch zu helfen?«
»Ich muß versuchen, ihm auf der Stelle einen Verband anzulegen und die Blutungen zu stillen. Dann wollen wir sehen, wie wir ihn zu den Zelten fortschaffen können. Aber ich fürchte, daß menschliche Kunst hier ihr Ende erreicht hat.«
Alle bemühten sich, nach Kräften zur Beschleunigung der Hilfe beizutragen. Auch Halliday war eifrig damit beschäftigt, um seinen Anteil an dem Unheil vergessen zu machen. Wie Delafosse der Thätigste, war die Rani die Umsichtigste von allen. Sie riß ihre kostbaren Gewänder, ihre Turbanbinde entzwei, um Binden und Kompressen zu machen, ließ durch ihre Leute Wasser herbeischaffen und leitete die Anfertigung einer Tragbahre aus den Speeren ihrer Jäger. Zugleich befahl sie zwei Reitern, nach dem Jagdlager zu eilen, um ihren Palankin herbeizuschaffen.
Während so alle, teils mit der Betrachtung der verendeten Tigerin und ihrer Jungen, teils mit dem Leidenden selbst beschäftigt waren, dem der alte Schotte stumm und düster Hilfe leistete, trat Major Rivers zu diesem. »Nun, Herr Mac-Scott,« sagte er, möglichste Unbefangenheit erkünstelnd, »wir wissen noch immer nicht, was Sie so eilig von Bithoor hierhergeführt hat. Oder ist es vielleicht ein Geheimnis?«
»Nein, Sir,« antwortete der Jäger rauh, »was ganz Cawnpur bereits weiß, ist kein Geheimnis mehr. Der Tod ist ein Glück für diesen Mann hier; denn sein Leichtsinn hat das Unheil verschuldet. Mistreß Margaret, seine Schwester, ist plötzlich spurlos verschwunden, wir fürchten, gemordet oder entführt von unbekannten Räubern und Feinden!«
Ein Seufzer, der erste Laut, seit sie ihn gefunden, quoll aus dem blutenden Munde des Ärmsten, seine Augen öffneten sich und starrten mit Schreck und Entsetzen den schlimmen Boten an.
»Unvorsichtiger!« rief Delafosse, »wie konnten Sie so grausam sein, dieses neue Unglück in seiner Gegenwart zu verkünden? Die Nachricht wird ihm den Tod bringen, wenn die Wunden es nicht thun.«
»Ich wiederhole,« entgegnete der Jäger finster, »es ist ein Glück für ihn, wenn er stirbt. Der Zorn des Nena wird ihn und uns alle vernichten!«
»Zum Henker,« befahl der Oberst-Leutnant, »da Sie Unglücksrabe einmal die Botschaft ausgeplaudert, so erzählen Sie ihm wenigstens, wie es gekommen, und was geschehen? Hoffentlich ist Rettung möglich und die Kenntnis der Umstände kann hier unsern armen Freund beruhigen.«
Die Augen des Verstümmelten hingen starr an den Lippen des Schotten; kein Zucken des Schmerzes in ihnen, während doch die Sonde des Arztes zwischen seinen Nerven wühlte, und Messer und Nadel in seinem Fleische wirtschafteten.
Der Tigerjäger schüttelte finster das Haupt. »Ich fürchte, es ist alles vergeblich, die Phansigars, oder wer sonst das Verbrechen begangen, haben ihre Maßregeln so schlau genommen, daß keine Spur von ihnen aufzufinden war. Mistreß Margaret erhielt gestern Morgen einen Brief, und ohne mir ein Wort zu sagen und meine Rückkehr abzuwarten, der ich zwei Stunden früher nach einer entfernten Plantage des Srinath Bahadur geritten war, ließ sie ihren Pony satteln und jagte, von einem einzigen Diener begleitet, nach Cawnpur. Erst um Mittag brachte ein wandernder Krämer ihr Pferd zurück – er hatte es angebunden in den Mangrovebüschen am Wege in der Mitte zwischen Bithoor und Cawnpur gefunden, den Diener mit einer Schlinge erdrosselt daneben. Dieser Umstand, so traurig er an und für sich scheint, ist das einzige, worauf ich noch meine Hoffnung baue. Die Thugs können die That nicht verübt haben, sie hätten nach ihrer unveränderlichen Gewohnheit den Leichnam des Dieners, wie den der Herrin vergraben. Selbst, daß der Mord von gewöhnlichen Phansigars verübt worden, ist mir zweifelhaft geworden. Warum findet sich dann der Körper der Maharani nicht neben dem des erwürgten Dieners? Es galt also, sich ihrer lebend zu bemächtigen. Aber damit schließt leider jede weitere Vermutung. Sie alle, die Sie in diesem Lande gelebt haben, wissen, mit welcher unglaublichen Kunst man hier jedes Zeugnis, jede Spur eines Verbrechens zu vertilgen versteht.«
»Und das ist alles, was Sie zu ermitteln vermocht haben, Master Mac-Scott?« fragte der Resident. »Sie haben keine Ahnung, was jener Brief enthielt oder wer ihn geschrieben?«
»Doch, Sir, der Brief ist hier! Die Dienerinnen fanden ihn in der Mistreß Schlafzimmer. Wahrscheinlich hat sie ihn verloren, als sie zu dem Ritt die Kleider wechselte.«
»Zeigen Sie her!« Der Resident langte nach dem Schreiben, aber Delafosse kam ihm zuvor, nahm das Billet aus der Hand des alten Jägers und entfaltete es.
»Bei Gott! es ist von Master O'Sullivan selbst. Hören Sie, wie es lautet!«
Rivers biß sich auf die Lippen, indes der Kapitän den Brief vorlas. Er enthielt nur die wenigen Worte:
»Eile angesichts dieser Zeilen zu mir nach Cawnpur. Aber im geheimen! Tod und Leben hängt davon ab.
Dein sonst verlorner Bruder
Eduard O'Sullivan.«
»Ich weiß nicht, ob dies die Handschrift Herr O'Sullivans ist?« fuhr der Kapitän fort, den Brief umherzeigend.
»Es ist seine Schrift,« sagte der Jäger, »ich kenne sie wohl. Oder sie wäre teuflisch gut nachgemacht!«
»Und dieser Brief ist wahrscheinlich die Ursache, daß Sie uns nachfolgten?«
»Ja, Sir. Ich vernahm in Cawnpur, daß Master Eduard mit dem Major und den Offizieren, seinen Freunden, in der Nacht von Jhansi aufgebrochen war, und ich ritt ein Pferd tot, um ihm zu folgen und Aufklärung von ihm zu holen, die unsere weiteren Nachforschungen leiten könnte.«
Aller Blicke wandten sich hier natürlich auf den Verstümmelten, und nun bemerkten sie ein eigentümliches Schauspiel.
Die Stirn und die Augen waren beinahe die einzigen Teile dieses Körpers, die unverletzt aus den Klauen des Tigers davon gekommen waren.
Auf dieser Stirn lag jetzt eine dunkle Falte, diese Augen waren mit einem ingrimmigen Ausdruck des Abscheues, des Hasses, der Drohung, auf eine Person gerichtet.
Diese Person – war der Resident.
Der Verstümmelte machte eine gewaltige Anstrengung, zu sprechen, aber es kam nur ein unverständlicher gurgelnder Laut aus der blutenden Kehle, und der Doktor mußte ihm auf das Strengste jede Anstrengung verbieten.
Dafür schienen die Augen O'Sullivans Blitze zu flammen! Mit Erstaunen wandten sich die Umstehenden nach dem Residenten, die Deutung dieser Erscheinung von ihm zu erfahren. Rivers hatte jedoch vollkommen Zeit gehabt, sich zu fassen.
»Sie haben recht, Ned, daß Sie Ihre Hoffnung auf mich setzen,« sagte er mit zuversichtlichem Ton. »Es ist nicht nur meine Pflicht als Vertreter der Regierung, sondern auch als persönlicher Freund dieses armen jungen Mannes. Gewissermaßen als unschuldige Ursache seines Unglücks, werde ich alles, was in meinen Kräften steht, aufbieten, den Schleier zu lüften, der dieses seltsame Ereignis verhüllt, und die Dame aus den Händen der Räuber befreien. Denn daß es nur solche sind, die es auf ein gutes Lösegeld von Srinath Bahadur abgesehen, da seine Liebe für die Mistreß bekannt ist, daran zweifle ich keinen Augenblick. Wie gesagt, Ned, verlassen Sie sich ganz auf mich und denken Sie nur an Ihre Wiederherstellung. Zur Verfolgung der Verbrecher werde ich auf der Stelle nach Cawnpur zurückkehren und Ihre Hoheiten, der Scindia und die Rani, werden darum gestatten, daß ich meinen Besuch abkürze und an den Jagden nicht weiter teilnehme.«
Diese Worte erreichten vollkommen den Zweck, die Aufmerksamkeit von dem Kranken ab und auf den Sprecher zu lenken.
Als man sich wieder nach jenem wandte, bemerkte man, daß er vor Schreck oder Schmerz wieder in Ohnmacht gefallen war.
Der Doktor erklärte dies jedoch als einen glücklichen Umstand, um den Patienten fortschaffen zu können. Während er mit den Anstalten dazu beschäftigt war und den Kranken auf die improvisierte Bahre betten ließ, auf die man zu seinen Füßen das abgestreifte Fell des Tigers legte, berieten die englischen Offiziere, ob sie dem Residenten folgen oder, der Einladung des Scindia und der Rani gemäß, noch einige Tage bei Fortsetzung der Jagd verweilen wollten.
Sie entschlossen sich, mit der Gleichgültigkeit gegen Leiden und Gefahren, die endlich dem Soldaten in wilden Ländern eigen ist, zu dem letzteren. Überdies konnte der Doktor den Verwundeten nicht so rasch verlassen, wenigstens nicht eher, bis andere ärztliche Hilfe für ihn herbeigeschafft war.
Der Kapitän Delafosse, dessen Blicke sorgfältig und mißtrauisch den Residenten beobachtet hatten, erklärte energisch, daß er Herrn Mac-Scott nach Bithoor begleiten wolle, um ihm seine Hilfe für weitere Nachforschungen, so lange sein Urlaub noch dauere, zur Disposition zu stellen.
Der Zug setzte sich langsam und mit aller Vorsicht für den Zustand des Kranken in Bewegung.
Noch ehe sie die zurückgebliebenen Elefanten und Pferde am Rande der Dschungel wieder erreicht hatten, wußte der Resident es so einzurichten, daß er neben Doktor Brice herging.
»Ist Hoffnung vorhanden, Doktor, daß unser Freund davon kommt? Sprechen Sie aufrichtig und nicht mit den Winkelzügen eines Mediziners.«
»Wenig oder gar keine, Major, obschon ich sie nicht ganz absprechen möchte. Es ist noch Lebenskraft in ihm und der Shawl der Rani hat den tollen Burschen wunderbar beschützt. Er ist zwar furchtbar zugerichtet, aber wenigstens kein unbedingt für das Leben notwendiges Organ verletzt.«
»Hm, aber sein Gesicht; der Unterkiefer ist ja halb herausgerissen?«
»Er wird niemals wieder die Sprache erlangen.«
»Und die Arme, die Hände – wird er sich ihrer bald wieder bedienen können?«
»Kein Gedanke daran. Ich werde beide Arme noch heute im Gelenk ihm amputieren.«
Der Resident blieb zurück.
Als er später seinen Elefanten bestieg und noch einen letzten Blick auf die Bahre des Kranken warf, lag ein boshafter Triumph in den Falten seiner Mundwinkel.
Major Rivers und Kapitän Delafosse waren bereits mit einem Teil der Begleitung abgereist, als die Rani den neuen Führer ihrer Leibgarden in das für sie aufgeschlagene Zelt rufen ließ.
Maldigri mußte ihr alles, was in dem Vorgang und den Erzählungen des schottischen Jägers ihr infolge der nur mangelhaften Kenntnis des Englischen noch unklar geblieben war, berichten.
Die Rani, jetzt ihrer Waffen entledigt und in einem weiten, indischen Frauengewand auf dem Ruhebett sitzend, das mit dem Fell eines von ihr selbst erlegten Panthers bedeckt war, wiegte nachdenkend das Haupt.
»Du hast den Faringi beobachtet, welcher sich den Residenten nennen läßt?« fragte sie.
»Zuverlässig, Hoheit!«
»Was hältst Du von ihm, Sahib?«
»Ich muß gestehen, ich traue ihm nicht.«
»Deine Gründe?«
»Ich kann keinen bestimmten Grund anführen, indes sein ganzes Benehmen in dieser Sache gefiel mir nicht. Wenn er den unglücklichen Vertrag Deines Gatten kannte, der Jhansi unter den Schutz der Kompagnie stellt, und der ihm nur durch List und Verrat entlockt sein kann, warum machte er nicht eher Gebrauch davon, als im letzten Augenblicke, wo die Zögerung ein kostbares Leben verderben konnte? Der Überfall seiner Reiter war wohl überlegt. Er war es zugleich, der mit kaltem Spott den jungen Thoren zur Ausführung dieser wahnsinnigen Wette veranlaßte, obschon er sich rühmt, sein Freund zu sein.«
»Hast Du bemerkt, was er that, als der Jäger des Nena den Raub seiner Gattin erzählte?«
»Nein, Hoheit – erst der starre Blick des Verwundeten lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.«
»Wohl! Wir Frauen sehen schärfer, als Ihr Männer; meine Augen haben ihn nicht verlassen! Ich bin überzeugt von einem, wie von den neun Wandlungen, die des Menschen Seele zu machen hat.«
»Und wovon, Hoheit?«
Er weiß um den Raub der Frau. Die Nachricht überraschte ihn nicht, er erwartete sie. Er selbst ist der Räuber!«
»Aber er ist nicht von unserer Seite gewichen.«
»Hat nicht auch das Laster treue und eifrige Diener? Die Hand des Mächtigen reicht weit in diesem Lande. Der Faringi steht im schlimmen Ruf in Cawnpur, er ist ein Tyrann, ein Wüstling und ein Habgieriger. Yama hat ihn bezeichnet! Er hat jene Frau gestohlen, deren Liebe alle Manneskraft des Nena gebrochen und ihn vollends in die Arme der Faringi geführt hat. Aber wehe ihm, wenn dem so ist! Der Nena ist ein schlummernder Tiger, eingelullt von den Blumen der Liebe und des Vergnügens. Ich will diesen Tiger auf ihn hetzen, tausendmal grimmiger, tausendmal blutiger als der, welchen der Falsche auf den eigenen Freund gehetzt hat.«
Der Ionier hatte mit Erstaunen die scharfe Beobachtung und das Resultat derselben vernommen; jetzt, wo er manche einzelnen Umstände seiner eigenen Wahrnehmungen zusammenhielt, kam er selbst zu dem Schluß.
»Du könntest recht haben, Hoheit – aber was ist zu thun? Der Resident ist bereits fort, und der Schotte, der Freund und Diener des Maharadschah, ist mit ihm zurückgekehrt. Wir haben niemanden als den Sterbenden.«
»Er wird nicht sterben,« sagte die Rani mit Bestimmtheit. »Die Rache hält den Faden seines Lebens fest; an seinem Auge, als jener Brief gelesen wurde, sah ich, daß er den Verräter erkannt hat. Ehe wir handeln, ehe der Nena zurückkommt, dem ich selbst einen Eilboten entgegen senden will, müssen wir alles wissen und die Mittel zum Verderben des Räubers in Händen haben. Ich will einen Spürhund auf die Fährte des Raubtiers hetzen, der es bis in seine geheimen Schlupfwinkel verfolgt. Du selbst sollst es sein, denn Du verstehst die Sprache der Franken und ihre Sitten.«
Major Maldigri dachte nach. »Verzeih, Hoheit, daß ich Deiner Absicht widerspreche,« sagte er dann, »aber ich fürchte, es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn ich mich jetzt in Cawnpur zeigen wollte und den Residenten ahnen lassen, daß er uns zu fürchten hat. Einen offenen, mutigen Gegner unter seinen eigenen Landsleuten besitzt er bereits, wenn mich nicht alles täuscht, in dem Kapitän, der uns beiden zweimal das Leben gerettet. Dieser hat dem alten Diener des Nena seine Hilfe zugesagt. Aber ich will Dir einen Bessern, Geeigneteren stellen, den wir nach Cawnpur senden und heimlich auf jenes Fersen hetzen können.«
»Wen meinst Du? Einen meiner Diener? Sie sind schlau, aber feig, und fürchten den Zorn der Faringi.«
»Nein, Hoheit, ich meine meinen Milchbruder Danilos, den Kapitän der arabischen Praua, die mich nach Kalkutta und den Ganges heraufgeführt hat. Er ist ein Sohn meiner heimatlichen Gebirge, schlau und kühn. Auf ihn kann keinerlei Verdacht fallen, er ist wenig oder gar nicht beachtet worden, und keiner der Briten kennt ihn.«
»Du hast recht, Freund; führe ihn zu mir, damit ich mit ihm rede. Ich werde ihm eine Botschaft geben an Tippo Singh, den Babu zu Cawnpur, der mir ergeben und ein geheimer Feind der Faringi ist. Er wird ihm behilflich sein.«
Die Rani wußte noch nicht, daß den Genannten bereits ein ähnliches Schicksal getroffen, daß er selbst persönliche Rache brütete gegen den Räuber seines Kindes und seines Geldes. Denn der Resident, wohlberechnend in allen seinen schändlichen Unternehmungen, hatte die versuchte That des Vaters wohl benutzt. Seiner Instruktion vor der Abreise gemäß, öffnete sein Vertrauter das Gefängnis des Babu nur gegen Zahlung der bedeutenden Summe, die er selbst dem Residenten für die Befreiung seines Kindes geboten hatte. Indem der Major so einen Mann frei ließ, der einen Angriff auf sein Leben unternommen hatte, machte er jede Klage bei den höheren Regierungsgewalten unmöglich und machtlos, während die nähere Untersuchung des Mordversuches doch vielleicht manches zur Sprache gebracht hätte, das ihm unangenehm sein konnte.
Der Resident mit seinen Begleitern hatte sich in der Kühle des Abends auf dem Wege nach Cawnpur noch keine zehn Meilen weit von Jhansi entfernt, wohin er zunächst zurückgekehrt war, um Kapitän Mowbray weitere Instruktionen zu geben, als der Uskoke bereits, mit Geld und Anweisungen für sein Verhalten wohl versehen, auf der Verfolgung war.
Wie aber konnte es geschehen, daß Major Maldigri – oder vielmehr Marcos Grimaldi – bei der Sotti der Fürstin von Jhansi zugegen war, während wir ihn doch in der entfernten Präsidentschaft Madras auf dem Jagdzug zum Nissam von Heiderabad verlassen haben?
Der Kopf der Riesenschlange fuhr erschreckt zurück vor dem Pulverblitz aus dem Rahmen des Fensters. Diesen kurzen Augenblick benutzte Eglinton, um die Jalousie zuzuwerfen und den innern Laden zu schließen.
Dann, ohne sich um die Ohnmächtige und das schreiende Kind zu kümmern, sprang er zu den übrigen Fenstern und that ein Gleiches.
Man hörte die Schlange sich draußen auf- und niederwälzen und rund um das kleine Gebäude hin und her fahren. Die schwache Kugel des Revolvers konnte ihr, auch wenn sie getroffen, wenig gethan haben. Doch fand jene an der glatten, runden und gewölbten Außenseite des Pavillons keinen Halt, sich zu stützen, und die Stämme der Palmen standen zu weit entfernt, um von hier aus ihre gewaltige Muskelkraft gegen die dünnen Wände und die Fenster des Gebäudes anwenden zu können.
Jetzt wandte sich Lionel Eglinton zu der Geliebten und trug sie auf das Ruhebett, das Kind setzte er neben sie und warf sich dann einen Augenblick auf einen Stuhl, um über die schreckliche Lage, in der sie sich befanden, nachzudenken und einen Entschluß zu fassen.
Aber es ließ ihm keine Ruhe – wieder sprang er auf, untersuchte nochmals Fenster und Thür und prüfte die kleine, unbedeutende Waffe, die allein er besaß.
Eglinton kannte zu wenig von der Natur und den Gewohnheiten des furchtbaren Ungeheuers, um ganz das Schreckliche ihrer Lage zu begreifen; dennoch wußte er genug, um zu ahnen, daß sie sehr unangenehm werden konnte, wenn die Schlange sich nicht bald entfernte.
Man mußte dann kommen, um die Lady zu suchen, – man würde zwar die Anaconda vertreiben, – aber es war dann nicht mehr möglich zu entfliehen und man würde ihn im Pavillon der Dame finden.
Welche Entschuldigung, welche Ausrede für seine Rückkehr konnte er anführen?
Armer Thor – wenn es nur das gewesen wäre, eine konventionelle Lüge zu erfinden! – Als ob die Anaconda so leicht ihre Opfer entwischen ließe!
Er war jetzt ruhiger geworden, und bemühte sich, die Geliebte ins Leben zurückzurufen, indem er ihr Wasser ins Gesicht goß.
Hätte er gewußt, daß er wenige Stunden später jeden Tropfen dieses Wassers mit seinem Blute gern zurückgekauft – wie sparsam würde er damit umgegangen sein.
Lady Helene schlug endlich die Augen auf – ihr Blick, erst träumerisch, suchte bald mit Entsetzen umher.
»Um Gotteswillen, Lionel, was ist geschehen? ich erinnere mich – welch furchtbarer Anblick! was hat das zu bedeuten? welche Gefahr bedroht uns?« Sie preßte das blondgelockte Haupt ihres Knaben an die Brust.
»Beruhigen Sie sich, Helene, ich beschwöre Sie – wir sind für den Augenblick in Sicherheit, aber nur Ruhe und Fassung kann uns aus der Gefahr helfen. Ein unglücklicher Zufall muß eine der gefürchteten Riesenschlangen aus den unzugänglichen Wildnissen des Gebirges hinab in die Thäler getrieben haben. Sie hat sich auf diesen Hügel verirrt und war im Begriff, sich durch die geöffnete Jalousie in den Kiosk zu stürzen. Gottes Hand hat uns alle gerettet durch die Stimme unseres Kindes. Die Schlange tobt zwar noch draußen zwischen den Stämmen der Palmen, aber wenn sie hier keine zugängliche Beute findet, so wird sie sich in kurzer Zeit einen andern Aufenthalt suchen.«
»Aber bis dahin? – Es können Stunden vergehen, und bis dahin wird man längst gekommen sein, mich zu suchen, und Dich hier finden.«
Der Offizier blickte finster vor sich hin. »Es sind noch vier Schüsse in diesem Revolver, ich will versuchen, die Schlange zu vertreiben, oder wenigstens mir den Weg zu bahnen, um Hilfe zu holen, wenn Du nur den Mut haben willst, so lange allein zu bleiben.«
»Um Gotteswillen – bist Du wahnsinnig? Ich sterbe, wenn Du gehst.«
»So laß uns ausharren und auf Gott vertrauen.«
Die junge Frau sah, die Hände gefaltet, starr vor sich hin. »Auf Gott? – Ist es nicht seine Strafe, daß er dies Ungeheuer gesandt hat?«
Ein tiefes Weh durchzuckte das Herz des Offiziers. »Ja, das ist die Schuld der Sünde, zu der ich Dich verleitet und die Du mir vorwirfst. Arme Helene! Durch mich wirst Du verderben, die Du glücklich und geehrt hättest leben können. Ich bin ein Elender, der Vernichtung dem bringt, was er am meisten geliebt auf der Welt.«
Sie flog an seinen Hals, sie preßte ihr thränenvolles, kaltes Gesicht an das seine. »O, verzeihe mir, Lionel, daß ich, die so viel Mut hatte, die mit Dir über Berge und Meere fliehen wollte, um Dich endlich ganz zu besitzen, bei der ersten Gefahr so kleinmütig sein konnte. Nur daß sie in so häßlicher Gestalt kam, daß sie das Haupt unseres Kindes bedrohte, machte mich einen Augenblick erbeben. Nicht Du bist der Schuldige, ich war es, die Dich hierher rief. Ich will treu zu Dir halten in Not und Tod, und ob uns das Schlimmste geschieht, wir wollen mutig und fest sein. Fallen wir dem Ungeheuer zum Opfer, so sterben wir drei zusammen und Gott hat uns für ewig vereinigt. Kommt er, der sich mein Gemahl nennt, entdeckt er, was er endlich erfahren muß – nun so will ich mutig vor ihn hintreten und sagen: Dein ist die Schuld, nicht unser! Mit Deinem Gold glaubtest Du Liebe erkaufen und Herzen trennen zu können – tröste Dich mit Deinem Golde und laß uns fern von Dir Dich bedauern.«
Nachdem sie das Kind auf das Ruhebett gelegt und mit den Vorhängen bedeckt hatten, traten sie Arm in Arm an eine der Jalousieen um nach dem Feinde zu lauschen, der draußen lauerte.
Als sie die innern Laden geöffnet, gewährten die Spalten der Jalousie Raum genug, um durch sie hindurch die Schlange zu beobachten.
Jetzt erst begriff der Offizier die große Furcht der Eingeborenen vor diesem Ungeheuer.
Die Schlange hatte sich auf eine der höchsten und stärksten Palmen, etwa 30 Schritt von dem Pavillon entfernt, zurückgezogen.
Dieser mächtige, zähe Stamm bewegte sich unter ihren unaufhörlichen Windungen, als würde er von einem Orkan gepeitscht. Die Anaconda wand sich wie eine Schraube um ihn, fuhr bald hoch in die Höhe bis in seine schwankende Blätterkrone, die sich mit ihrer Last zur Erde zu beugen schien, dann schnellte sie eben so rasch zu Boden, wand die Spitze ihres Schwanzes um den Stamm und schnellte sich wie ein Ast weit hinaus in die Luft.
In dem Sonnenschein glänzten die Farben des Ungeheuers auf das Prächtigste. Der Kopf, deutlich sichtbar, war platt und lang, und öffnete von Zeit zu Zeit einen Rachen, der fast zwei Fuß weit aufgähnte und aus dem ein dicker Brodem qualmte, durch den die spitze, gespaltene Zunge wie ein Blitz umherfuhr. Die Augen, in grünem Feuer leuchtend, erweiterten sich und zogen sich zusammen, je nach der Aufregung der Schlange.
Das Ungeheuer, wenn es so lang ausgestreckt in die Luft schnellte oder auf dem Boden lag, mußte an 25 Fuß messen.
Der schreckliche Anblick drohte allen Mut der zarten, jungen Frau über den Haufen zu werfen, und sie zitterte im ersten Augenblick wie im Fieber. Aber nach und nach überwand sie alle Schwäche und schaute zuletzt fest und ruhig auf die Windungen der Schlange.
Nachdem sie das Fenster geschlossen, setzten sich beide nieder zu einer Beratung ihrer Lage und der Mittel, sich daraus zu befreien.
Aber die Mittel, sie waren nicht vorhanden; die Hilfe konnte ihnen nur von außen kommen, und eine solche Hilfe war ihr anderes Verderben. Wohin ihr Blick sich auch wandte – Tod und Schmach überall.
Bei allem Mut, bei aller Willigkeit, sein Leben zu opfern, sah der Offizier ein, daß ein Verlassen des Pavillons seinerseits unvermeidlich seine Vernichtung herbeiführen müsse, ohne etwas zur Rettung der Geliebten beitragen zu können, ja daß es die Lage der schwachen Frau nur verschlimmern müsse.
Überdies erklärte sich diese selbst energisch gegen jeden solchen Versuch, und Lionel schlug vor, die ihm noch übrig gebliebenen Schüsse des Revolvers gegen die Schlange zu versuchen, wenn ihr Leib in die Nähe des Pavillons käme. Aber er selbst begriff, wie schwer es sein würde, bei den blitzschnellen Bewegungen des Ungetüms den Kopf, den einzig empfindlichen Teil, zu treffen, und daß die schwachen Kugeln an jeder anderen Stelle von dem Schuppenpanzer zurückprallen würden.
Der Knall der Schüsse konnte außerdem früher, als nötig, seine Anwesenheit verraten.
Es blieb also nur das geduldige Abwarten und Ausharren.
Nachdem sie zu dieser Überzeugung gekommen, nahmen beide wieder ihren Beobachtungsposten an den Jalousieen ein, die Lady an den Fenstern gegen Norden, der Offizier an denen gegen Süden. Zuvor hatten sie die Thür mit allem schweren Gerät des Gemachs sorgfältig verrammelt.
Plötzlich stießen beide einen Schrei aus.
Zwischen den Lianen, den Geranien und Oleanderbüschen, welche das Tamarindenwäldchen umsäumten, erschienen auf beiden Seiten menschliche Gestalten.
Nach Süden wurden der Fakir und Caulathy Mudaly, der Ryot, sichtbar, auf der entgegengesetzten Seite erschienen der Baronet, das Hindumädchen, die Marquise und mehrere Diener.
Jede Partei mochte etwa 200 Schritt von dem Pavillon entfernt sein.
Deutlich erkannte die Lady die Gestalten, sie sah das Händeringen ihrer jungen Dienerin, die entsetzten, furchtsamen Gebärden der indischen Diener, die alsbald wieder hinter den Tamarindenstämmen verschwanden, endlich die Flucht ihrer treulosen Gesellschafterin bei dem Anblick des Ungeheuers.
Nur ihr Gemahl blieb unerschüttert wohl zwei Minuten lang zwischen den Bäumen stehen, ja er trat einen oder zwei Schritte vor, die Arme über die Brust gekreuzt, den gefährlichen Feind beobachtend, der seine Familie bedrohte.
Die Entfernung war zu groß, um seine Gesichtszüge beobachten zu können. Nur die energische, ungewohnte Haltung des Baronet, den die Gefahr nicht zu kümmern schien, fiel der treulosen Gattin auf.
Der Baronet trat zurück; seine hagere Gestalt verschwand zwischen den Stämmen.
Auch Sofi, der Derwisch, und sein Gefährte, der Ryot, waren auf ihrer Seite unter den Schutz des Gehölzes zurückgekehrt.
Die beiden Unglücklichen im Pavillon sahen sich aufgeregt an; mit stockenden Worten verkündeten beide einander, was sie gesehen.
Die Entdeckung des Offiziers war jetzt unvermeidlich.
Ihre Hände umschlossen sich fest – jetzt war es entschieden, jetzt galt es offenen Kampf und Widerstand.
Leise weinte das Kind.
Der Baronet wandte sich ab von dem Anblick, den der belagerte Pavillon bot und kehrte in die Tiefe des Wäldchens zurück.
Nur Zelima, die Tochter des Ryot, und Burton, der Verwalter, der mit den Dienern eilig herbeigekommen und außer dem Baronet der einzige anwesende Europäer war, hatte es gewagt, in seiner Nähe zu bleiben.
» Goddam, Mylord,« sagte der würdige Mann, »das ist eine böse Geschichte. Seit ich die Ehre habe, Ihr Gut zu verwalten, ist ein so scheußliches Tier noch nicht in die Niederungen gekommen. Man sagt, daß die Riesenschlangen sich nur in den undurchdringlichsten Teilen des Gebirges aufhalten, und der Teufel selbst muß die Bestie hierher geführt haben. Ich hoffe, daß Mylady und der junge Lord glücklich in dem Pavillon sind. Das Scheusal könnte wohl drei Menschen auf einmal verschlingen.«
Der Nabob sah ihn mit durchbohrendem Blick an. » Drei Menschen? was wissen Sie von drei Menschen, Burton? Wie sollen drei Menschen in den Pavillon kommen?«
»Ei, Mylord – ich meinte nur so. Es könnte indes nichts schaden, wenn Mylady einen tüchtigen Mann zu ihrem Beistand in jener schwachen Baracke hätte. Wie gesagt, es fragt sich nur zunächst, ob das Unglück nicht schon geschehen ist.«
»Die Herrin ist mit dem kleinen Sahib noch unverletzt in dem goldenen Hause,« erklärte das Hindumädchen.
Der Baronet wandte sich rasch zu ihr. »Woher weißt Du das?«
»Siehe selbst, Sahib – die Jalousieen sind geschlossen; als ich von dem Pavillon ging, und die Herrin mir unter den Tamarinden zu warten befahl, war das Fenster, das hierher geht, geöffnet.«
Der Rat starrte finster vor sich hin, ohne eine Antwort zu geben.
Sie waren jetzt bis zu der Stelle gekommen, wo die Marquise bei der Flucht vor dem schrecklichen Anblick innegehalten und unter dem Beistand einiger Dienerinnen sich wieder erholt hatte.
»O Sir, das entsetzliche Unglück! Um Gotteswillen, was ist geschehen? Die arme Frau – so schrecklich das unvorsichtige Verweilen zu büßen! – unser armer Master Eduard, der liebe Knabe! und am Ende auch Eglinton –«
Der Rat faßte sie scharf am Arm. »Schweigen Sie,« sagte er rauh. » Noch sind jene da drinnen mein Weib und mein Sohn.«
Er wandte sich zu dem Verwalter. Auf seinem Antlitz, malte sich der gewaltige Seelenkampf der Vaterliebe mit dem giftigen Wurm des Verdachts.
»Lassen Sie sofort alle Gewehre hierher bringen, und das ganze Dorf aufbieten. Vielleicht, daß wir mit großem Lärm die Schlange verscheuchen. Wir müssen Mylady durch irgend ein Zeichen in Kenntnis setzen, daß Hilfe in der Nähe ist.«
Ohne auf seine Umgebung weiter zu achten, ging er nach dem Saume des Wäldchens zurück und feuerte hier die beiden Pistolen ab.
Unterdes waren auf das schnell verbreitete Gerücht von allen Seiten die Dorfbewohner herbeigeeilt, alles aber hielt sich in respektvoller Entfernung von der Gefahr.
Die Angst, welche die Eingeborenen vor der Anaconda hatten, schien jede Kraft, jeden Gedanken eines Angriffes in ihnen zu ersticken.
Man schleppte alles herbei, was an Waffen auf dem Bungalow und in dem Dorfe zu finden war, aber es war wenig genug. Außer einem paar alten, unbrauchbaren Luntenflinten der Eingeborenen, waren nur zwei leichte Jagdgewehre vorhanden. Die Jäger hatten sämtliche Büchsen mit sich fortgenommen.
Während der Zeit waren unter den Landleuten langsam auch der Derwisch und sein Wirt herbeigekommen. Der Ryot gebärdete sich wie ein Kranker und Lahmer, weil er die Aufforderung, die Jäger zu begleiten, unter diesem Vorwand abgelehnt hatte.
Auf den Befehl des Rates war man beschäftigt, an einigen Stellen große Feuer anzuzünden, teils um die Schlange zu erschrecken und zum Rückzug zu bewegen, teils um sie abzuhalten, sich auf diese Seite zu stürzen.
Mit aller Mühe war es dem Baronet nicht gelungen, einen Kreis von Wachen um den offenen Raum zu ziehen; die Bauern und Diener verweigerten geradezu den Gehorsam und hätten weit eher die Strafe des Anundale oder der Kittie erduldet, als dem Ungeheuer gegenüber Posten zu stehen.
Es waren jetzt wohl an zwei Stunden vergangen, und der Abend begann sich rasch über die Hügel niederzusenken. Man hatte verschiedene Gewehrsalven auf das Ungetüm abgefeuert, und die Hindus hatten auf das Gebot ihres Herrn mit allen möglichen Gegenständen einen schauderhaften Lärm erhoben, aber die Anaconda hatte sich um die leichten, aus großer Entfernung und mit unsicherer Hand abgeschossenen Kugeln wenig gekümmert, und wenn sie nur eine Bewegung machte, als wolle sie auf diese Gegend des Waldes sich zuwälzen, stürzte die feige Menge davon.
An den riesigen Stamm einer Tamarinde gelehnt, stand der reiche und mächtige Mann, dessen Wink Millionen armer Menschen beherrschte, und schaute starr und finster hinüber nach dem Pavillon, dessen Formen in dem Schatten des Abends versanken. Seine Hand hielt ein Fernrohr, das er von Zeit zu Zeit an sein Auge brachte, nach dem unglücklichen Gebäude zu sehen, das alles barg, was er im Leben liebte oder zu lieben glaubte.
Der Verwalter war seinem Herrn dienstfertig zur Seite und that alles mögliche, seine Befehle auszuführen, denn ihn jammerte wirklich das Schicksal der armen jungen Frau und des Kindes.
»Mylord,« sagte der Mann, »diese Leute behaupten, daß die Anaconda tage-, ja wochenlang auf dem Fleck zuzubringen pflegt, den sie einmal zu ihrem Aufenthalt gewählt. Es fehlt uns an Männern, sie zu vertreiben. Soll ich nicht lieber einen Eilboten den Gentlemen nachsenden, die diesen Morgen zur Jagd aufgebrochen sind, oder dem Havildar und seinen Sepoys, die nach den Dörfern am Meere abzogen?«
Der Baronet erwachte aus seiner Erstarrung. »Sie haben recht, Burton. Der Rat ist gut; wir hätten es längst thun sollen. Senden Sie einen Boten auf dem besten Pferd an Major Maldigri und die Offiziere, sie um die schnellste Rückkehr zu bitten. Ein anderer soll dem Deputy-Collector und seinen Sepoys folgen. Eilen Sie, versprechen Sie Geld, alles was Sie wollen – nur schnell!«
Burton erteilte einem der Hindu-Diener den ersten Auftrag; ein Pferd war zur Stelle und der Diener jagte eilig davon.
Wenige nur achteten darauf, daß der Fakir sich zu seinem Wirt beugte und ihm einige Worte zuflüsterte. Caulathy Mudaly verschwand sogleich.
»Ich will selbst gehen und das schnellste Pferd satteln,« sagte der Verwalter. »Es sind noch Diener im Bungalow, und ich werde den geschicktesten aussuchen.«
Der Rat nickte schweigend Zustimmung und der Verwalter eilte nach dem Landhause, um die Befehle auszuführen.
Er hatte jedoch noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte.
»Hat es Jack Slingsby so eilig, die Befehle eines harten Gebieters zu vollführen?« fragte eine fremde Stimme ihn im Hindostani.
Der Mann erbebte. »Höll' und Teufel! wer ist es, der mich seit drei Tagen in diesem Lande zum zweitenmal an den verfluchten Namen erinnert?« Seine Hand fuhr nach dem Gürtel, als suche sie dort eine Waffe, sein Auge maß die Gestalt, die ihm in den Weg getreten, und erkannte mit Erstaunen den indischen Fakir.
»Also Du bist es, bettelnder Schurke, der dem Weibsbild diesen Namen zugeflüstert? Was weißt Du von ihm? – was willst Du von mir? sprich, oder ich erwürge Dich!«
»Wenn Du Jack Slingsby bist, den man im Lande der Faringi den schönen Jack nannte,« fuhr der andere ruhig fort, »so habe ich einen Auftrag an Dich!«
»Hund von einem Hindu, ob ich den Namen kenne oder nicht, es kann Dir gleich sein. Sage Deinen Auftrag und von wem er kommt.«
»Du bist im Begriff, den Peons und Soldaten des Deputy-Collector einen Boten nachzusenden, um sie zurückzuholen?«
»Das siehst Du, schwarzer Schuft!«
»Wohl! Du wirst es unterlassen!«
»Wer – ich? ich wollte den sehen – –«
»Es ist Deine Sache, Freund! Wenn ein Mann zurückkehrt, so wird der Havildar sofort benachrichtigt werden, daß Burton, der Verwalter, vor drei Jahren aus Botany-Bay mit fünf anderen Deportierten zum zweitenmal entsprungen ist und ein Preis von hundert Pfund auf seinem Kopf steht, da er zu zwanzig Jahren in den Bergwerken verurteilt war.«
» Damned! wer bist Du, Verräter?«
»Ein armer Fakir, wie Du siehst, der im Auftrag eines Mächtigern handelt. Wallah! Es ist unser Schicksal, uns zu fügen in das, was wir nicht ändern können. Thue es, und niemand wird Dich in Deinem Amte stören.«
Der schöne Jack, der kurz nach den im ersten Teil unserer Geschichte erzählten Ereignisse in London wieder ergriffene und deportierte Verbrecher, der sich bei seiner zweiten Flucht nicht wieder nach Europa gewagt, murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin. »Wenn ich's auch wollte – es könnte eben so gut Verdacht erregen, den Befehl des Baronets nicht auszuführen,« sagte er unentschlossen.
»Thörichter Faringi, Du brauchst Deinem Boten nur eine falsche Richtung anzugeben, oder zu sagen, Du hättest ihn abgeschickt. Bist Du ein so geringer Lügner in Deinem Gewerbe?«
»Und bin ich Deines Schweigens sicher, wenn ich thue, was Du willst?«
»Ich verlasse morgen, wenn die Sache dort oben« – der Derwisch wies nach dem Palmenhügel zurück – »entschieden ist, diese Gegend. Ich gelobe es Dir bei Allah!«
Der ehemalige Dieb bedachte sich einen Augenblick. »Gut! ich will Dein Verlangen erfüllen. Im Grunde, was kümmert es mich, ob die Schlange die Lady und ihre Krabbe frißt!« Auf Englisch setzte er, sich abwendend, hinzu: »Gott verdamm! Der Kerl hat mich wahrhaftig ins Bockshorn gejagt, und ich habe keinen ähnlichen Schrecken gehabt, seit der Nacht, wo ich die Leiche in der Cleveland-Straße stahl und die schöne Lady in der Mount-Street vor mir sah. Am besten, ich versuche, ihn stumm zu machen, wie sie war.«
Er steckte die Hand in die Tasche und kehrte sich zu dem alten Fakir, entschlossen, ein neues Verbrechen für seine Sicherheit zu begehen. Aber ehe er noch die geringste Bewegung machen konnte, fühlte er sich wie mit Riesenhand gefaßt und zu Boden geschleudert.
Im nächsten Moment war das Knie des Fakirs auf seiner Brust; der Dolch, den er gefaßt, seiner Hand entwunden, funkelte, zum Stoß erhoben, über ihm. Zwei durchbohrende Augen bewachten jede seiner Bewegungen, das ganze Äußere des indischen Bettlers schien sich mit einem Zauberschlage verändert zu haben.
»Keinen Laut!« sagte eine klare, feste Stimme in gutem Englisch – »oder Du bist des Todes, Bursche!«
Der überwundene ächzte unter der gewaltigen Faust seines Siegers und schnappte nach Luft.
Die Hand, die an seiner Kehle lag, lockerte sich. »Antworte jetzt auf die Fragen, die ich Dir thun werde,« befahl der seltsame Fakir, »aber rasch und der Wahrheit gemäß. Es soll Dir nichts geschehen für vergangene Thaten, welche sie auch sein mögen. Aber beim geringsten Versuch einer Lüge zerschneidet dieses Messer Deine Kehle.«
Das Gesicht des ehemaligen Gentleman-Spitzbuben, des Helden aller Damen der Verbrecherbevölkerung Londons, hatte sich blaurot gefärbt. Er hatte alle Energie verloren und ergab sich in das Unvermeidliche, denn er fühlte, daß jeder Widerstand hier vergeblich sei.
Unwillkürlich den alten prahlerischen Gewohnheiten folgend, stammelte er: »Lassen Sie mir Luft, Sir, und behandeln Sie mich als Gentleman. Sie sind ein Engländer, wie ich vermute, obschon ich Ihr Interesse an längst vergangenen Geschichten nicht begreife, und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß ich keinerlei Schaden davon haben soll, will ich alles aufrichtig sagen, was Sie verlangen und ich weiß.«
Der Fakir erleichterte noch mehr den Druck, den er auf den Niedergeworfenen übte, ohne dabei die Vorsicht aus den Augen zu lassen.
»Du sprachst von einem Leichendiebstahl, den Du in der Cleveland-Straße begangen. Wessen war die Leiche?«
»Die eines reichen Nabobs, wie ich später hörte. Eigentlich war nicht ich, sondern Hampton, der Burker, der Dieb. Es war großes Gerede und Nachforschung darum, aber die Sache kam nie heraus.«
»War der Diebstahl des Toten Eure eigentliche Absicht bei dem Einbruch?«
»Nein, Sir, es geschah bloß aus Zufall und Mutwillen.«
»Und was wolltest Du in der Wohnung? Ich weiß, daß Kostbarkeiten damals nicht geraubt worden sind?«
Diese Kenntnis der Sache machte den Dieb noch kleinlauter. »Ich stahl gewisse Papiere, die sich dort befanden – ein Portefeuille.«
»Für Dich?«
»Nein, Sir – im Auftrage eines dritten.«
»Wer war dieser?«
»Eine Dame, Sir aber ich versprach auf meine Ehre, sie nicht zu verraten.«
Das Ehrenwort eines Spitzbuben,« sagte der Fremde verächtlich. »Wer war die Dame? Sprich, oder ich werde Dich reden machen!«
Sie ist nicht mehr am Leben. Ihren Namen sagte sie mir nicht, obschon ich ihn später in den Zeitungen las. Ich mußte ihr das Portefeuille nach ihrer Villa im Hyde-Park an der Mount-Street bringen und that es als Gentleman. Sie war eine Schönheit, die einen Mann wohl in Flammen setzen konnte, aber sie hatte auch ein verdammt hübsches Kammerkätzchen, mit dem ich eine Stunde verplauderte.«
»So warst Du der Mörder der Lady Georga Savelli? Gestehe, Bube!« herrschte der Fremde und hob den Dolch zum Stoß.
»Um Gotteswillen, Sir – gedenken Sie Ihres Wortes. Bei allem, was einem Kerl, wie ich bin, heilig sein kann: ich schwöre Ihnen, ich that der Lady kein Leid an, obschon ich einen Augenblick große Lust dazu hatte. Man hat den wahren Mörder ja entdeckt und verurteilt. Es war ein vornehmer Liebhaber, ein Parlaments-Mitglied; er wurde deportiert, noch früher als ich, obschon er hätte gehenkt werden müssen, wenn die Vornehmen nicht untereinander zusammen hielten.«
»Aber ich hörte Deine Worte, Lügner, ich hörte Dich murmeln von der ermordeten Dame!« und wiederum zuckte die Hand mit dem Dolch zum Stoße empor.
»Halten Sie ein, Sir, auf meine Ehre! meine Hände sind rein von diesem Verbrechen. Ich gestehe es – ich schlich mich in derselben Nacht noch in das Schlafzimmer der Dame, um nötigenfalls Gewalt gegen sie zu gebrauchen, denn ihre Reize hatten meine Sinne bis zum Rasendwerden entflammt, aber, was ich sah, kühlte mein Blut für Jahre ab.«
»Und Du sahst?«
»Ich sah die Lady als Leiche erwürgt, mit gräßlich hervorquellenden Augen und zusammengepreßtem Mund. So lag sie auf ihrem seidenen Bett. Der schurkische Mörder – Gott verdamme ihn! – war mir zuvorgekommen. Das kommt von den Tändeleien mit Kammermädchen!«
Der Fakir wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn, seine sehnige Gestalt zitterte vor innerer Erregung.
»Aber die Papiere, die Du der Lady gebracht?«
»Ich weiß nichts davon, ich kümmerte mich wenig darum, sondern rannte, als hätte ich den Teufel gesehen, davon. Anfangs hielt ich einen Kameraden, einen schurkischen Juden und Hehler, für den Täter, bis sie später den rechten ermittelten.«
»Das, was Du mir gesagt, ist alles? ist wahr?«
»Bei meiner armen Seele, Sir, wenn ich eine habe. So wahr ich seit zwei Jahren bemüht bin, ein ehrlicher Mann zu werden! Aber nun, Sir, lassen Sie mich empor! Sie wissen alles, was ich weiß und was mich an den Galgen bringen kann.«
Der Fakir stand auf. »Geh,« sagte er, »und bedenke, daß Du meinen Worten unbedingt zu gehorchen hast, wenn Du nicht Verderben über Dein eigenes Haupt bringen willst.« Er schritt langsam davon.
Burton, oder Jack, schüttelte sich. »Der Henker hole den Burschen,« brummte er, »aber es war nichts zu machen gegen ihn, er hat eine Faust wie von Eisen, und sie hätte mich kalt gemacht, wenn ich nicht seinen Willen gethan. Ist mir doch als hätte ich diese Stimme schon gehört; kann mich nur nicht besinnen, wo! – Einerlei, es wird sein Vorteil so gut sein, wie der meine, zu schweigen.«
Mit dieser Betrachtung machte er sich auf, seinem Herrn die Nachricht zu bringen, daß er einen Eilboten hinter dem Deputy-Collector und seiner Begleitung her gesandt habe
Der Rat hatte die Ältesten des Dorfes um sich versammelt und sie um die Natur, die Gewohnheiten des Ungeheuers und die beste Art befragt, es anzugreifen. Alle wußten Schreckliches genug zu erzählen, niemand aber zweckmäßigen Rat zu erteilen, und als der Einzige, der solchen zu geben vermöchte, und der mit den Riesenschlangen schon Persönlich auf seinen Jagdzügen zu thun gehabt, wurde Caulathy Mudaly, der freie Ryot, bezeichnet.
Man hatte nach ihm gesandt, aber er war jetzt verschwunden.
So verging die Nacht, entsetzlich den Eingeschlossenen, Bedrohten im Innern des Pavillons, aber gewiß eben so bitter, eben so furchtbar dem Gatten und Vater, dem zwischen Tod und bitterem Betrogensein die schreckliche Wahl blieb.
Als die erste Morgendämmerung die Spitzen der Palmen erleuchtete, berief der Baronet nochmals seine Diener um sich, einen neuen Versuch durch Überredung und Anerbietungen zu machen, sie zu einem gemeinsamen Angriff zu bewegen. Aber die Furcht vor der Schlange, die jetzt lang von dem Gipfel einer Kokuspalme hing und sich in der Morgenfrische hin- und herwiegte, war dieselbe geblieben, und jeder erklärte, sein Leben sei ihm lieber, als Gold und anderes Besitztum.
Der Zweifel, ob Weib und Kind noch am Leben wären, war wieder in der Seele des reichen Mannes emporgestiegen.
Plötzlich erscholl die Stimme des Verwalters von der vorderen Baumreihe her: »Ein Zeichen! ein Zeichen! Mylady lebt und giebt uns ein Zeichen davon!«
Der Bösewicht, der so manches schlimme Verbrechen auf seiner Seele hatte, freute sich wie ein Kind, als er diese Nachricht geben konnte.
In der That sah man aus den obenbeschriebenen, von einem vergoldeten Eisengitter gebildeten Öffnungen des obersten Doppeldaches des Pavillons eine Art von Stange oder Stock sich erheben, von dessen Ende ein daran befestigtes Tuch wehte.
Aber das Zeichen konnte nicht allein verkünden, daß die Bedrohten noch am Leben – es konnte auch bedeuten den dringenden Ruf um Hilfe, den letzten Notschrei der Sterbenden.
Der Baronet riß dem Verwalter die Doppelflinte aus der Hand, die dieser eben wieder geladen. Er war entschlossen, wenn es sein müsse, allein den Versuch zur Rettung der Seinen zu machen, den Kampf mit der Schlange zu wagen.
Die Scene, die sich in diesem Augenblicke ereignete, fesselte jedoch seinen Fuß.
Die Anaconda schien erst jetzt die hin- und herbewegte Stange mit dem wehenden Fähnchen daran zu bemerken. Sie hielt es für etwas Lebendiges und schoß mit einem gewaltigen Sprung darauf zu, um das Dach des Pavillons ihren langen Schuppenleib windend. Man sah, wie das Fähnchen in ihren Ringen zerbrach und verschwand und wie ihr aufgesperrter Rachen an dem Gitterwerk des Daches hin- und herfuhr, das zu breit und glatt war, ihrem Körper einen genügenden Anhaltepunkt zu bieten, um es zerbrechen zu können.
In dieser entsetzlichen Situation hörte man von dem Pavillon her den schwachen Knall eines Schusses – dann einen zweiten – einen dritten!
Der Baronet blieb stehen; sein von der Aufregung des beabsichtigten Unternehmens gerötetes Gesicht überzog Totenblässe und er mußte sich auf das Gewehr stützen.
Hierauf, nach wenigen Augenblicken, warf er dasselbe über seine Schulter, wandte sich um und kehrte nach dem sichernden Gehölz zurück. »Es ist nichts zu machen,« sagte er mit erstarrender Kälte. »Wir müssen die Lady ihrem Schicksal überlassen. Mylady hat zum Glück wenigstens Waffen im Kiosk und versteht sie zu gebrauchen.«
Der Baronet wußte jetzt mit Bestimmtheit, daß sein Nebenbuhler im Pavillon bei Gattin und Kind, daß er selbst ein schmählich Betrogener war.
Ein neues Ereignis, das in diesem Augenblick eintrat, hätte ohnedies jeden Zweifel verbannen müssen.
Den Abhang eines entfernten Hügels herab, aus dem Schatten mächtiger Teakbäume, sah man einen Indier herabkommen, am Zügel hinter sich ein Pferd führend.
Als er näher kam, erkannte man in ihm den Ryot Caulathy Mudaly, in dem Pferde, das er herbeiführte, »Rookeby«, den Renner des Leutnant Eglinton.
Der Baronet erwartete stumm das Herankommen des Mannes. Er hatte die Augen nach dem ersten Erkennen des Pferdes abgewendet und bemerkte nicht, wie der Ryot und der Fakir einen Blick des Einverständnisses wechselten, und der erstere mit spöttischem Lächeln einen bejahenden Wink gab, zugleich auf das Pferd deutend.
Erst als der Mann dicht vor ihm war und seinen demütigen Salem machte, wandte der Baronet die Augen auf ihn.
»Du bist der Ryot Caulathy Mudaly?«
»Ja, Sahib. Dein Gedächtnis ist Dir seit wenigen Abenden nicht untreu geworden.«
»Wie kommst Du zu diesem Pferde?«
»Ich fand es an der Quelle im Thal nach Mittag, als ich diese Nacht mich dorthin begab, die Anaconda zu belauern.«
»Es wird sich losgerissen, seinen Reiter abgeworfen haben und durch seinen Instinkt zurückgekehrt sein,« sagte hastig der Rat, als wolle er den Umstehenden eine natürliche Erklärung der auffallenden Thatsache geben.
»Es ist möglich, Sahib,« bemerkte der Bauer, »aber ich fand es angebunden an einen Stamm.«
»Du verstehst Dich auf die Jagd,« sagte der Engländer, »wie man mir gesagt hat, Mann, oder bist vielmehr der beste Jäger und Spürer dieser Gegend.«
»Ich habe einiges Geschick dafür, Sahib, und das geringe Feld, das ich besitze – oder besaß – ließ mir hinlänglich Zeit, die Jagd auf wilde Tiere zu betreiben und meinen Nachbarn damit einen Dienst zu erweisen.«
»Hast Du die Riesenschlange Eurer Wildnisse bereits gejagt?«
»Ja, Sahib. Es ist selten, daß man auf sie stößt, aber ich habe zwei Reihen ihrer Zähne als Zeichen guten Glückes in meiner Hütte aufgehängt. Man sagt, daß ihr Besitz den Eigentümer vor körperlichen Schaden und Beraubung schütze, aber ich habe zu meinem Nachteil gesehen, daß die Sprüchwörter Lügen enthalten.«
»Wenn Du die Anaconda zu jagen verstehst,« sagte der Baronet nach einigem Zaudern und ohne auf die Bemerkung des Ryot zu achten, »so gieb uns die Mittel an, wie das Untier dort zu vertreiben ist.«
Der Jäger sah mit wenig verstecktem Hohn zuerst nach der Schlange, die von den Schüssen aus dem Pavillon erschreckt, sich wieder zu den Bäumen zurückgezogen hatte und dann auf den Gebieter.
»In jenem Kiosk ist Dein Weib und Dein Kind?«
»Ja.«
»Und sie zu retten, soll ich die Anaconda vertreiben?«
»Allerdings. Fordere jede Belohnung, sie soll Dir gewährt sein.«
»Es ist gefährlich – ja der sichere Tod, einer Schlange, wie dieser, entgegenzutreten,« meinte zaudernd der Ryot. »Es giebt nur ein Mittel, sie zu besiegen. Und dieses Mittel –«
»Nenne es, und fordere, was Du willst!«
»Du hast mich hart behandelt, Sahib,« erwiderte ausweichend der Bauer. »Man sagt, daß in den heiligen Büchern der Christen vom Sohne Mariams empfohlen wird, Gutes zu thun denen, die uns verfolgen. Aber die Lehre des Propheten weiß nichts davon und verlangt Zahn um Zahn, Auge um Auge.«
»Verschone mich mit Deinen Sprüchen und zögere nicht länger, befahl ungeduldig der Nabob. »Ich wiederhole Dir, Du sollst reich belohnt werden.«
»Du hast mir das Land genommen, das ich frei von meinem Vater besaß und nicht zu Lehn,« fuhr der Ryot fort.
»Du sollst es zurück erhalten, oder ein anderes!«
»Schau diese Gelenke an, Sahib, sie sind wund von den Knebeln Deiner Diener.«
»Du sollst Gold haben für Deine Schmerzen. Man wird Dir die Steuern erlassen. Aber nun das Mittel, sage Dein Mittel.«
Der Ryot lachte höhnisch auf.
»Es ist so einfach, daß Deine Hand es greifen, das Auge eines Maulwurfs es sehen kann, stolzer Faringi. Warum seid Ihr in dieses Land gekommen, wenn Ihr nicht einmal wißt, Eure Weiber und Kinder vor seinem Ungetüm zu schützen? Was kümmert mich Dein Blut, daß ich mein Leben dafür einsetzen sollte? Behalte Dein Gold – ich behalte mein Mittel.«
»Mensch – reize mich nicht!«
»Was sollt' ich fürchten?« fragte keck der Ryot. »Deine Martern? – ich ertrage sie; mein Eigentum habe ich verloren, und wer bürgt mir dafür, daß Du bei nächster Gelegenheit das Erstattete nicht wieder nimmst? Ich habe mein eigen Fleisch und Blut leiden sehen unter den Händen eines weißen Teufels, ärger als die Anaconda dort! Was sie dem Deinen thut, ist nichts gegen den Jammer, den dieses Kind erduldete!«
Er zog den Kopf seiner Tochter, die sich ihm genaht, an seine Brust.
»O habe Erbarmen, Vater,« flehte das Mädchen. »Die weiße Begum ist gut und hat mir Liebes erwiesen. Rette sie vom Tode um meinetwillen.«
»Nein,« sagte der Mann hart. »Eher sollen sie mich in Stücke reißen. Diese Faringi mögen ernten, was sie gesäet, und die Verzweiflung kennen lernen, wie ich sie fühlen mußte!«
Aber er schien sich zu täuschen. Burton, der sich des Widerspenstigen bemächtigen und ihm mit Gewalt sein Geheimnis entreißen wollte, wurde zu seinem Staunen von dem Baronet kalt abgewiesen.
»Lassen Sie den Mann,« sagte er ruhig, gleich als habe er von dem Ryot nur zur Wahrung äußeren Scheines seine Hilfe verlangt; »ein jeder ist Herr seiner Geheimnisse, und das Gesetz giebt uns keine Macht, ihn zu zwingen, sein Leben für einen anderen in Gefahr zu bringen. Es bleibt uns, wie ich vorhin gesagt, nichts zu thun, als Hilfe von einer anderen Seite oder das Fortziehen der Schlange abzuwarten.«
Er setzte sich am Fuße des Baumes nieder und ließ sich einige Nahrung bringen. Niemand durfte auf seinen Befehl Caulathy Mudaly belästigen, der in einiger Entfernung abgesondert und gleich hartnäckig am Boden kauerte und allein mit dem Derwisch sprach, der mit unveränderter Gleichgültigkeit ein Beobachter der Scene geblieben war. Die glühende Sonne stieg empor – es wurde Mittag, und noch immer war keine Veränderung der schrecklichen Lage eingetreten, außer daß die Schlange jetzt selbst in der brennenden Hitze träger in ihren Bewegungen sich zeigte und zu ruhen schien.
Im Innern des Pavillons hatte die Lady während der Nacht mit heldenmütiger Anstrengung ihre Fassung bewahrt; sie bedurfte deren um so mehr, als der Knabe immer unruhiger wurde, Fieberhitze sich bei ihm einstellte, und er zu phantasieren begann.
Mit dem Rest des Wassers und der Früchte, die ihnen während der letzten Stunden zur Nahrung gedient, versuchten der Vater und die Mutter, das unglückliche Kind zu laben. Aber die Glut des Fiebers nahm von Stunde zu Stunde zu, wie sie an dem heisern Ton des Knaben, an seiner glühenden Stirn, seinen heißen Händen wahrnehmen konnten; die Mittel, Licht zu machen, fehlten ihnen.
So kam der Morgen und mit ihm erwachte der Knabe aus dem leichten, fieberhaften Schlummer zu neuen Schmerzen. Hand in Hand knieeten die Eltern an seinem Lager, ihre eigene schreckliche Lage in der Sorge um das geliebte Kind vergessend.
Der Knabe rief nach seinem Papa, nach seiner Wärterin, er rief Namen und Worte, die den Schuldigen die Seele durchschnitten!
Der Blick des Offiziers ruhte kummervoll auf dem bleichen Antlitz seiner Gefährtin. Das Kind verlangte zu trinken, aber der Krug war leer, von den saftigen Früchten waren keine mehr vorhanden – verzweifelnd irrte das Auge der Mutter in allen Winkeln des kleinen Gemachs umher, um eine Labung für den leidenden Liebling zu finden.
»Es muß sein,« sagte Eglinton, »wir müssen auf jede Gefahr hin uns jenen Feiglingen draußen verständlich zu machen, ihnen unsere Not zu verkünden suchen, und ihre Hilfe anrufen.« Er brach die Gardinenstäbe des Ruhebettes ab, band sie zusammen und verfertigte daraus die Fahne, welche der Verwalter zuerst aus dem Dach des Pavillons wehen sah.
Das Kind richtete sich plötzlich mit dem Ausdruck wilden Schreckens empor und streckte seinen Arm nach der Decke.
»Zu Hilfe, Mama, zu Hilfe! La ist es wieder, das garstige französische Weib, ihre Augen brennen auf mich – sie will mich verschlingen!«
Der Instinkt des Kindes warf die beiden Schlangen zusammen, die sein Leben bedrohten.
»Hilfe! Rettung! Lionel! wir sind verloren!«
Der junge Offizier entlud zwei-, dreimal rasch hinter einander den Revolver, um den Feind zurückzuscheuchen, was auch glücklich gelang.
»Barmherziger Gott! Luft! Luft! ich ersticke!«
Die unglückliche Frau war neben dem Lager ihres Kindes zusammengesunken, das bald nach Wasser schrie, bald in seinen Fieberphantasieen nach seinem Vater rief, es vor der Schlange zu schützen.
Der verzweifelnde junge Mann nahm ein silbernes Fruchtmesser vom Tisch, streifte den linken Ärmel seines Rockes empor und that einen tiefen Schnitt über das Fleisch. Dann hielt er ihn an den Mund des Knaben und fühlte, wie dieser gierig das Blut aufsog.
»Luft! Luft!« wiederholte halb bewußtlos die Lady.
In der That war die Atmosphäre in dem eingeschlossenen Zimmer wahrhaft stickend geworden; ein giftiger, den Atem beengender Dunst drang statt der frischen Luft durch die wenigen Öffnungen, welche ohne Gefahr unverschlossen gelassen werden konnten.
Der Offizier öffnete dennoch vorsichtig zwei der innern Läden, um dem Luftzug mehr Spielraum zu gewähren, aber jener Dunst wurde immer bemerklicher.
Auch der kranke Knabe empfand ihn und begann krampfhaft zu keuchen.
»Allgütiger! strafe mich nicht so hart! Lade die Schuld und die Sühne auf mein unglückselig Haupt, aber errette sie und das Kind!«
Es war Mittag geworden, immer drückender, entsetzlicher die Hitze und die eingeengte Luft.
Der Knabe lag im Sterben, selbst das Mutterherz konnte sich darüber nicht täuschen. Ihr Auge starrte wie das einer Irren, als sie bald betend, bald in hysterischen Krämpfen an seinem Lager lag, die zuckenden Händchen streichelte und den Todesschweiß von seiner Stirn wischte.
Und draußen, im Tamarinden-Hain, schaukelte der betrogene Gatte in der Hängematte, die er an den Ästen des Baumes aufzuhängen befohlen, um die Siesta zu halten, ohne seinen Posten zu verlassen.
Fertig, abgeschlossen mit seinen Gefühlen, hatte er die Vergeltung der scheckigen, glänzenden Bundesgenossin überlassen, welche die Wipfel der Palmen beugte. Es galt nur noch, über dem Geheimnis und der Ehre seines Namens zu wachen!
An der gegenüberliegenden Wand knieete der Offizier – das Auge thränenleer – seine Kraft, sein Herz gebrochen.
»Lionel, zu Hilfe! er stirbt!«
Das erlöschende Auge des Knaben verlor die Starrheit der Fieberhitze und nahm einen himmlischen Ausdruck an. Er hob die kleinen Händchen nach denen seiner Eltern, ein Lächeln schwebte um den kleinen Mund, während das Köpfchen sich auf die Brust der Mutter legte; ein leiser Schauer noch durch den ganzen zarten Körper und die Glieder wurden schwer und still.
Das Kind war tot!
Die Dame fuhr wie eine Wahnsinnige in die Höhe. Ihr Jammerruf gellte durch die Mittagsstille. Sie warf sich über den Körper des geliebten Kindes und küßte es hundertmal, als könnten die heißen Küsse, die glühenden Thränen den entschwundenen Atem zurückbringen in die erstarrte Brust. Dann stürzte sie auf den Geliebten, der wortlos an der Wand lehnte, und preßte krampfhaft seinen Arm.
»Er ist tot!« keuchte sie, »das Licht unseres Lebens, die Hoffnung unserer Zukunft, und wir, wir sind seine Mörder! Was sollen wir noch im Leben, da wir alles verloren – nimm Deine Waffe, Lionel, laß uns zusammen sterben!«
Sie faßte konvulsivisch nach dem Pistol: er wehrte ihr mit schmerzlichem Lächeln.
»Zusammen, Helene, aber nicht so! Nur eine Kugel noch enthält der Lauf, genug für den einen, zu wenig für uns beide. Gott wird selbst mit uns ein Ende machen.«
»Ich fühle es! die Luft –« sie sank an ihm nieder und preßte die Hände auf den Busen, »o, ich ersticke! Bringe mich zu unserm Kinde, Lionel, daß ich neben ihm sterbe.«
Er trug sie nach dem Lager und öffnete dann auch den dritten Laden, im vergeblichen Bemühen, den Zugang der Luft zu vermehren. Er riß die Gewänder von ihrem Körper, wehte ihr Kühlung zu und versuchte alles mögliche, den brechenden Lebensstrom zu stärken.
Aber bald erkannte er, daß auch die Geliebte dasselbe schreckliche Fieber ergriffen hatte, welches das Leben seines Kindes zerstört. In süßen Worten erzählte ihr Irrereden von dem Glück und Glanz ihrer Jugend, von ihrer Liebe zu ihm. Dann wieder von dem Baronet, von den Stunden des Leidens und Widerstandes, als man sie zwang, diesen zu heiraten. Mit den Bildern ausschweifender Träume, als sie den Geliebten wiedergefunden, mengte ihre heftige Rede die Hoffnungen der Zukunft, und malte ihr häusliches Glück in einem stillen Thale von Kashmir oder am Fuße der Alpen – kein Gedanke von Leiden, von Tod, von Gefahr.
Der arme junge Mann selbst fühlte seine Kräfte schwinden. Die giftige, verpestete Luft um ihn her begann auch auf seine kräftigeren Organe ihre Wirkung zu üben und die Anstrengung des tollen Rittes verband sich damit zu einer todesähnlichen Erschlaffung seiner Glieder.
All seine Seelenkraft kämpfte dagegen – Gebet und Verzweiflung rangen in seinem Herzen; mehr als einmal wendete sich sein Blick, streckte sich die Hand eigensüchtig nach dem Pistol, seine unerträglichen Leiden rasch zu enden.
Es war Abend geworden – zum zweitenmal stieg die kühlende Nacht auf die Thäler.
Der Schein zweier Fackeln leuchtete durch das Thal den Weg hinauf zum Bungalow des reichen, armen Mannes, eine dunkle Masse bewegte sich rasch vorwärts, der Trab eines mächtigen Elefanten, in dessen Haudah ein einzelner Mann saß, während die Wärter des Tieres zur Seite mit den Fackeln rannten.
Auf demselben Platz, von dem die Jäger zwei Morgen vorher ausgezogen, hielt der Mahoud sein Tier an, und Major Maldigri sprang, als der Elefant kaum die Knie gebeugt, aus der Haudah, ohne die Hilfe der Diener abzuwarten, und eilte nach der Veranda, unter der ihm die Marquise und einige Diener entgegenkamen.
»Wo ist Leutnant Eglinton, Cousine?« fragte der Angekommene rasch. »Wissen Sie etwas von dem Schicksal des jungen Mannes? Er ist spurlos verschwunden von der Jagdgesellschaft, und Besorgnis um ihn hat mich zurückgetrieben.«
Sie zog ihn in ein Gemach, wo sie allein waren.
»So ist Ihnen der Bote des Rats nicht begegnet? Sie wissen nicht, was geschehen?«
»Ich habe niemand gesehen. Diesen Morgen, bereits über der Grenze von Heiderabad, verließ ich die Gesellschaft. Aber antworten Sie mir, Marquise, was ist geschehen?«
»Wenn Sie klug sind, Signor,« flüsterte die Intrigantin, »so können wir einen großen Schritt vorwärts auf dem Weg zu unserm Ziel thun. Sie wissen, welche Weisungen und Mitteilungen durch unbekannte Hand uns zugegangen sind. Offenbar rühren sie von dem Bunde her, dem Sie selbst sich in Sanct Helena angeschlossen und dessen Zwecke so glücklich mit den geheimen Instruktionen unserer eigenen Mission von Paris übereinstimmen. Ein glücklicher Zufall ist uns zu Hilfe gekommen, lassen Sie ihn gewähren und den Dingen ihren Lauf, und ich bürge Ihnen dafür mit meinem Wort, daß, ehe sechs Monate vergehen, Ihre ergebenste Dienerin Lady Mallingham, die Gattin eines der einflußreichsten Mitglieder des Geheimen Rates von Indien ist.«
»Aber ich verstehe Sie noch immer nicht. Erklären Sie mir …«
»Eglinton ist Narr genug gewesen, gestern nachmittag hierher zurückzukehren, zu einem Rendezvous mit der Lady. Alle drei, sie, der Liebhaber und das Kind, die Frucht ihres verbrecherischen Verhältnisses, befinden sich dort oben im Kiosk auf dem Palmenhügel, und der Baronet weiß es.«
»Der Unvorsichtige! ich fürchtete es! Welch unglücklicher Zufall hat dem Rat das Geheimnis verraten? Hält er die Zeugen seiner Schande eingesperrt?«
»Das that ein mächtigeres Wesen als er,« sagte sie mit Hohn.
»Welches? was meinen Sie, Madame?«
»Die Anaconda!«
»Die Anaconda? was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, Major – daß, während das Paar im Kiosk sich seinen Liebesfreuden überließ, der Teufel in seiner Bosheit eine Riesenschlange gesandt hat, die von dem Hügel Besitz genommen und sie in ihrem Boudoir gefangen hält, bis der Herr Gemahl sie lebendig oder tot in Empfang nehmen kann.«
Der Piemontese fuhr erschrocken zurück. »Barmherziger Gott! seit mehr als dreißig Stunden sind die Unglücklichen dort eingeschlossen und niemand ist ihnen zu Hilfe gekommen?«
»Soll der Baronet etwa für die Verkündung seiner Schande noch sein Leben wagen?«
»Das darf keinen Augenblick länger so bleiben. Den Ärmsten muß geholfen werden!«
Den Forteilenden hielt die Hand seiner Bundesgenossin zurück. »Was wollen Sie thun, Major? Was kümmern Sie jene Engländer? Wollen Sie selbst in überflüssigem Edelmut zerstören, was der Zufall so glücklich für unsere Zwecke gefügt? Ich verbiete Ihnen, sich in die Sache zu mischen!«
Der ehemalige Offizier stieß sie mit Verachtung zurück. »Mein Leben, mein Dienst gehört Ihrem Kaiser – meine Ehre, mein Gefühl mir allein. Das Handwerk, das ich schon lange mit Überdruß treibe, soll mich wenigstens nicht der Menschenpflichten entbinden!«
Er eilte davon, nur die Büchse und Jagdtasche aus der Hauda reißend, dem Palmenhügel zu.
Es ließ sich in der That nicht entscheiden, ob seine Ankunft dem Baronet, der noch immer in der früheren Apathie auf dem gewählten Posten verweilte, angenehm oder widrig war. Er fragte, ob die Jagdgesellschaft mit ihm zurückgekehrt sei, und als der Major ihm sagte, daß dies nicht der Fall, und daß er nur aus zufälliger Veranlassung umgekehrt sei, ehe irgend eine Botschaft sie erreicht hätte, erzählte er kurz das Unglück, das Gattin und Kind betroffen, ohne des Offiziers mit einer Silbe zu erwähnen, und daß alle Versuche, die Schlange zu vertreiben, erfolglos geblieben wären.
Dennoch schien mit der Ankunft des Sardiniers neues Leben, neuer Mut in alle Anwesenden zu kommen. Major Maldigri erklärte, daß er, ohne einen Augenblick zu zögern, den Angriff gegen die Schlange unternehmen werde, wenn auch niemand ihm beizustehen wagen sollte. Mit kalter Ruhe, ohne eine Spur höherer Teilnahme zu verraten, traf der Baronet seine Anstalten, ihn bei dem Angriff zu begleiten.
In diesem Augenblick, als der Major bis an den Rand des Gehölzes vorgegangen war, um im hellen Schein des Vollmondes den gefährlichen Gegner zu beobachten, tauchte eine dunkle Gestalt an seiner Seite auf und eine Hand legte sich auf seinen Arm.
Sich umwendend erkannte er erstaunt den Derwisch und den Ryot.
»Warum will der weiße Mann, der nicht zum grausamen Volk der Faringi gehört,« fragte die gedämpfte Stimme des ersteren, »für Wesen aus dem verfluchten Stamm sein kostbares Leben wagen? Er möge sie dem Verderben überlassen, das Allah über sie verhängt hat. Der dunkle Engel deckt seinen Fittich bereits über sie.«
»Nimmermehr,« erklärte entschlossen der Angeredete. »Das schwache Weib mit dem Kinde ist unschuldig an den Leiden Deines Volkes, an den Grausamkeiten, die man den Indiern angethan. Christen- und Menschenpflicht gebieten mir, etwas zu ihrer Rettung zu thun.«
»Mein weißer Bruder mit dem großen Herzen,« fuhr der Derwisch wie vorhin fort, »weiß nicht, daß jene nicht allein sind. Einer ist bei ihnen, der einen roten Rock trägt und zu seinen und unseren Feinden gehört.«
»Wer Du auch sein magst, rätselhafter Mensch, dessen seltsame Worte mir schon am Tage unserer Ankunft die Kenntnis eines wichtigen Geheimnisses verrieten – Du bist ein Mensch und wirst menschlich fühlen. Ich weiß, daß drei Unglückliche unserer Hilfe harren und ohne sie verloren sind. Der junge Offizier, der dort so schmerzlich seinen Leichtsinn büßt, ist im übrigen ein wackerer, braver Mann, der dasselbe für seinen Feind thun würde.«
»Edelmut ist thörichte Schwäche, wenn man auf die Rache eines unterdrückten, mißhandelten Volkes sinnt,« sagte der Derwisch mit strenger Stimme. »Denke an den Eid, den Du am leeren Grab von Sanct Helena geleistet. Verderben über alles, was den Namen eines Faringi trägt!«
»Nicht über Weiber und Kinder,« entgegnete entschlossen der Piemontese. »Wer Du auch seiest, Spion oder Verschwörer! Du sollst mich nicht hindern, nach meinen Kräften zu thun zur Rettung der Unschuldigen.«
Er wandte sich um, aber der Derwisch hielt ihn zurück.
»So bist Du fest entschlossen, gegen die Anaconda zu kämpfen?«
»So wahr ich ein Mann bin – ich werde es thun. Die Folgen sind in Gottes Hand.«
»Dann ist es ein anderes. Eine Stütze der guten Sache, wie Du, darf nicht untergehen um eines Eigensinns willen im Ringen mit einem eklen Getier. Tritt hierher, Caulathy Mudaly.«
Der Ryot trat näher.
»Du wirst die Schlange in die Hand der Feigen geben. Übe Deine Kunst, der Prophet wird es wenden, wie es bestimmt ist vom Anfang der Welt.«
Der Bauer verneigte sich mürrisch, zum Zeichen des Gehorsams.
»Kehre zu den Faringi und seinen Dienern zurück,« fuhr der Derwisch befehlend fort, »und verkünde ihnen, daß dieser geraubte und gemißhandelte Mann ihren Stolz durch seinen Witz beschämen wird. Geh – wir folgen Dir sogleich!«
Der Major – unwillkürlich gehorchend dem Einfluß des geheimnisvollen Bettlers, und vergeblich nachsinnend, wer unter dieser Maske verborgen sein könne, eilte erfreut zu dem Baronet zurück, die Nachricht zu verkünden.
Alle waren gespannt auf die Mittel, die der ländliche Jäger anwenden würde, seinen furchtbaren Feind zu vertreiben, oder vielmehr zu besiegen.
Der Bauer war unterdes mit seinem Begleiter in den Kreis am Feuer getreten, das man wieder angezündet. Er befahl, es auszulöschen und allgemeine Stille und Schweigen zu beobachten. Dann ließ er durch zwei der Diener das Pferd »Rookeby« vom Bungalow herbeiholen, das er selbst erst verräterischer Weise am Morgen herbeigeführt.
Niemand hatte eine Ahnung, was er mit diesem Verlangen bezweckte, aber auf den Befehl des Baronets wurde alles, was er bestimmt, aufs eifrigste ausgeführt, und das Vertrauen seiner Landsleute zu dem Jäger war so groß, daß er selbst ihre Feigheit zu überwinden schien.
Das Pferd wurde gebracht. Der Derwisch nahm es am Zügel und es folgte ihm willig. Jetzt führte man es an den Rand des Wäldchens, an dem entlang der Ryot die Hindus mit dem Befehl verteilt hatte, das Pferd zurückzutreiben, wenn es sich nach ihrer Seite zu wenden sollte.
Der Nachtwind hatte einigermaßen die Luft von dem widrigen Dunst gereinigt, den die Schlange während der sengenden Hitze des Tages um sich verbreitet hatte. Der Ryot selbst nahm jetzt den Zügel, führte das Pferd, vorsichtig in dessen Schatten sich haltend, eine Strecke hinaus auf den freien Ring, welcher den Waldgurt von den Palmen auf der Spitze des Hügels schied, streifte ihm den Zügel ab, koppelte ihm damit die Vorderfüße leicht zusammen, wandte den Kopf nach dem Kiosk und gab ihm einen leichten Schlag auf die Kruppe, indem er sich sogleich zur Erde warf und nach dem Gehölz zurückkroch.
Das Pferd versuchte fortzugaloppieren, aber durch die Koppel gehindert, kam es nur langsam vorwärts.
Plötzlich – denn der Mond erleuchtete fast mit Tageshelle eine große Strecke – sah man es stillstehen, die Ohren spitzen, und mit einem lauten Wiehern, so rasch als möglich in der Richtung des Pavillon fortstolpern.
Der Instinkt des Tieres hatte es, selbst in dieser verpesteten Luft, die Nähe seines Herrn erraten lassen.
Es war noch etwa zwanzig Schritte von dem Kiosk entfernt und wiederholte sein fröhliches Wiehern, als ein langer, dunkler Streik von der Spitze eines Baumes mit der Geschwindigkeit des Blitzes durch die Luft zu schnellen schien und die Zuschauer bis in ihr entferntes Versteck ein lautes Zischen vernahmen, in das sich das laute Schnauben des schönen Pferdes und sein schmerzliches Wiehern mischte.
Der Renner hatte mit gewaltiger Anstrengung die Bande zersprengt, die seine Füße gefesselt, und versuchte davon zu galoppieren. Aber es war zu spät – die Anaconda, die bei seiner Annäherung sich ganz ruhig in dem Wipfel der Palme verhalten, hatte ihn bereits erreicht und umschlang ihn, der sich kerzengerade auf den Hinterfüßen mit ihr in die Luft erhob.
Alle Anstrengungen des kräftigen Pferdes waren vergeblich. Man sah seine Gestalt wütend kämpfend sich auf der Erde wälzen, aber sein Widerstand wurde immer schwächer, je mehr und öfter die Schlange ihre Kreise um die zuckenden Glieder zog. Dann hörte man in dem Ringen dieses, wenigstens von einer Seite so stillen Kampfes, selbst an der entfernten Stelle der gespannten Zuschauer ein Knacken und Krachen, wie von durch einen gewaltigen Ruck zerbrochenen Knochen und ein Schrei durchzitterte die Luft, schneidend und schrill, wie eine Kinderstimme, und doch wieder so laut und durchdringend, daß er gar nichts Menschliches an sich haben konnte.
»Mylady ist in Gefahr – das ist ihr Geschrei,« rief ängstlich Burton, der unfern des Baronet stand.
»Nein,« sagte der Major, »ich kenne diesen seltsamen Ruf von den Schlachtfeldern her. Es ist der Todesschrei eines Rosses von edlem Blut – der arme Eglinton hat seinen Renner verloren. Rookeby ist tot, ohne daß ich diese unnütze Grausamkeit gegen ein wertvolles Tier zu begreifen vermag.«
»Das wirst Du sogleich, Sahib,« entgegnete der Derwisch, »wenn Caulathy Mudaly Dir sagt, daß der Tod dieses Pferdes der Tod der Anaconda ist. Sieh, wie sie den Cadaver nach dem Palmenstamm hinschleift. Die Dunkelheit wird Euch ein scheußliches Schauspiel ersparen, aber wenn die Schlange ihre Beute erst verschlungen hat, wird sie so unbehilflich sein, daß ein Knabe sie töten kann.«
Die einfache List des Mannes und ihr notwendiger Erfolg war im Augenblick allen klar, und die Hindu begannen ein Freudengeschrei, das nur durch den strengen Befehl des Baronets, Ruhe zu halten, unterbrochen wurde. Denn in wie schlimmem Ruf die Anaconda bei ihnen steht, eben so gerühmt ist ihr Fleisch als Leckerbissen.
Der Ryot teilte nun mit, daß die Schlange im Begriff sei, den Körper des Pferdes nach dem nächsten Baum zu schleifen, ihn an diesem emporzurichten, und indem sie ihre Ringe um Stamm und Kadaver schlang, alle Knochen desselben vollends zu zerbrechen. Dann würde sie die so zerquetschte Masse mit ihrem Geifer überziehen und das greuliche Geschäft des Verschlingens beginnen, das mehrere Stunden andauert. Erst wenn dieses vollendet, werde das Ungeheuer sich in vollkommen hilflosem Zustand befinden. Der erfahrene Jäger berechnete den Zeitpunkt, wo dies eintreten werde, auf eine Stunde nach Sonnenaufgang und riet den Europäern, bis dahin nach dem Bungalow zurückzukehren und zu ruhen. Er selbst wolle am Saume des Wäldchens Wache halten.
Aber der Baronet, obwohl sichtlich durch die Wache der vorherigen Nacht und die Anstrengungen ganz erschöpft, verweigerte auf das Bestimmteste, von dem Platze zu weichen. In seinen Augen glühte jetzt ein unheimliches Feuer und der Major bemerkte, daß er mit einer fieberhaften Hast die Pistolen wieder lud, die er am Tage vorher abgeschossen, seiner Gemahlin zum Signal, daß Hilfe ihr nahe sei.
Dann erst legte er sich wieder in seine Hängematte zurück. Aber die erschöpfte Natur forderte ihr Recht, noch keine halbe Stunde war vergangen, als auch sein starrer Wille ihr den Tribut zollte, und er in festen Schlaf gefallen war.
Die meisten der Diener und der Dorfbewohner hatten sich zurückgezogen, Maldigri jedoch beschloß, ebenfalls auszuharren auf dem Posten.
Nachdem er noch einmal in möglichster Nähe sich davon überzeugt hatte, daß die Schlange allein mit ihrer Beute beschäftigt und keine Gefahr mehr für die Eingeschlossenen zu fürchten war, wickelte er sich in eine Decke und warf sich am Fuß einer Tamarinde nieder, der Wachsamkeit des Ryot vertrauend.
Er mochte ungefähr drei Stunden geschlafen haben, als er fühlte, daß eine fremde Hand sich leicht auf seine Schultern legte.
Sogleich schlug er die Augen auf, aber dieselbe Hand legte sich auf seinen Mund und eine Stimme flüsterte an seinem Ohr: »Schweigen ist Gold, sagt der Weise. Mein Bruder möge sich still erheben und mir folgen.«
Der Major erkannte den Derwisch, und ohne sich mit Fragen aufzuhalten, erhob er sich, warf das Gewehr über seine Schulter und folgte ihm, vorsichtig an dem fest schlafenden Baronet vorüberschreitend.
Der Mond war untergegangen, und die ersten Schimmer der Morgenröte begannen sich zu zeigen. Der Derwisch nahm seinen Weg immer im Schatten der Bäume fort um den Hügel, und der Offizier bemerkte, daß er ihn nach dessen südlicher Seite führte. Dort angelangt traten sie aus dem Dunkel auf den freien Raum, der den Pavillon umgab, und fanden den Ryot und seine Tochter.
»Ist alles sicher und können wir uns nahen?« fragte der Fakir.
»Die Schlange hat seit einer Viertelstunde ihr Mahl beendet und liegt regungslos am Fuß der Palme,« sagte der Ryot. »Dieses Mädchen kann sie töten.«
»Wohl, so laß uns den Feind betrachten. Ich glaubte, Sahib,« der Derwisch wandte sich dabei an den Major, »Du würdest den Faringi, den Du beschützest, zu sehen wünschen, ehe der Gatte der weißen Frau erwacht ist und Gerechtigkeit übt.«
»Wunderbarer Mensch, Du kommst meinen innersten Gedanken zuvor. Laß uns eilen! durch Deine Vorsicht kann großes Unglück verhütet werden.«
»Wir haben Zeit,« entgegnete der Fakir, »und müssen zunächst die Anaconda beobachten.«
Auf seinen Wink schritt der Schlangenjäger voran, die anderen – Maldigri die gespannte Büchse schußfertig im Arm – folgten ihm.
So nahten sie dem Pavillon. Gern hätte der Offizier sofort einen Versuch gemacht, ihn zu betreten, aber er mußte den vorsichtig voranschreitenden Hindus folgen. Eifrig strengte er sein Gehör an, einen Ton, einen Laut aus dem Innern des kleinen Baues zu erlauschen, der so viel Not und Entsetzen in seinen Wänden eingeschlossen, aber vergeblich. Wenige Schritte schon brachten ihn auf die andere Seite und zeigten ihm ein abscheuliches Bild.
Die Anaconda lag, wie es der Jäger verkündet, am Fuß der größten Palme lang ausgestreckt am Boden, gänzlich unfähig sich zu bewegen, und jetzt erst ließ sich die ganze Größe des Ungeheuers würdigen. Ihr Leib war dick aufgeschwollen von dem übermäßigen Fraß, die Ringe und die Farbe der angespannten Haut waren matt, in dem weit geöffneten Rachen steckte noch der Kopf des edlen Pferdes, dessen Knochen sie nicht zermalmen gekonnt, ein wahrhaft scheußlicher Anblick. Die Augen des Ungetüms schillerten in grünem Feuer, von Wut und ohnmächtigem Grimm, als es das Nahen seiner Feinde erkannte und sich machtlos in ihre Hände gegeben sah; denn ihre konvulsivischen Anstrengungen brachten nur geringe Bewegungen des seiner Muskelkraft jetzt beraubten Riesenleibes zustande.
Der stinkende Brodem, der von dem Ungeheuer und seinem eklen Fraß sich verbreitete, benahm dem Europäer fast den Atem, und er trat einige Schritte zurück. »Laßt sie uns töten, Freunde!« sagte er hastig, »und dann den Unglücklichen zu Hilfe eilen. Jede Minute muß ihnen zu einer Ewigkeit werden!«
Der Derwisch wendete jedoch die erhobene Büchse von dem Kopf der Schlange ab. »Sie ist unschädlich für viele Tage, und Du magst dem Faringi und seinen Dienern immerhin die Genugthuung lassen, sie zu töten. Dein Schuß würde jene nur erwecken und herbeiführen. Jetzt laß uns den Pavillon öffnen. Ich fürchte nur, das Schlimme, das unsere Augen gesehen, ist noch nicht zu Ende.«
Der Major war bereits an der Eingangsthür und klopfte, indem er den Namen der Lady rief. »Öffnen Sie getrost, alle Gefahr ist Gott sei Dank vorüber; die Anaconda ist so gut wie tot – ich bin allein hier mit zwei vertrauten Männern und dem Hindumädchen! Öffnen Sie ohne Besorgnis!«
Keine Erwiderung – alles blieb still. Ein finsteres, doch nicht teilnahmloses Lächeln lag auf dem Gesicht des Fakirs.
Zelima vereinte ihre Stimme mit der des Offiziers und rief ihre Gebieterin, während jener den Namen des Leutnants nannte und zu erkennen gab, daß er um sein Hiersein wisse, und daß er sie alle zu retten komme.
Wiederum Schweigen – kein Laut der Erwiderung!
»Sie müssen ohnmächtig sein,« erklärte der Piemontese, sich den kalten Schweiß von der Stirn wischend. »Wir müssen die Thür oder das Fenster erbrechen!« Er warf sich mit dem Gewicht seiner Manneskraft gegen die Thür – sie gab nach, aber sie wich nicht. Er konnte fühlen, daß ein Gegenstand im Innern das Aufgehen verhinderte.
Der Fakir hatte, ohne vorher ein Wort zu verlieren, sich an eine der fast bis zum Boden reichenden Jalousieen gemacht. Ein kräftiger Ruck und sie war aufgerissen. Der innere Laden bot eben so wenig Widerstand und war im Nu gesprengt.
»Tritt ein,« sagte der Geheimnisvolle, »und suche Deinen Freund!«
Der Major sprang in das Gemach – sein Schrei rief die Begleiter herbei.
Es war bereits hell genug, um die Gegenstände im Innern deutlich zu unterscheiden.
Schwer und dumpf, mit dem Hauch der in diesem Klima so rasch beginnenden Verwesung geschwängert, war die Luft des kleinen Salons.
Auf dem Ruhebett lag, den bereits im ersten Stadium der Auflösung begriffenen Körper des Kindes in ihren Armen, die Lady, ruhig die Augen geschlossen, als ob sie schliefe.
Zwischen dem Bett und der Thür – auf dem Fußboden – erblickte man zusammengebrochen die Gestalt des jungen Offiziers, die Hand nach dem Pistol auf dem Tisch ausgestreckt, als habe er versucht, es zu erfassen und es nicht mehr vermocht.
Der Fakir stand stumm und erschüttert bei dem Anblick, obschon er ähnliches vermutet. Maldigri aber kniete neben dem unglücklichen Liebhaber nieder, während zugleich das Hindumädchen an die Seite ihrer Gebieterin eilte und sie aufzuwecken versuchte.
»Sie sind tot!« riefen beide zugleich.
»Noch ist nicht alle Aussicht verloren,« sagte hastig der Derwisch, »obschon den beiden besser ist, wenn sie das Opfer des dunklen Engels bleiben. Laßt mich zuerst bei der Frau versuchen, ob Hilfe möglich.« Er trat zu dem Ruhebett, entfernte die Leiche des Kindes und legte die Hand auf den entblößten Busen der Lady.
»Allah habe Erbarmen mit ihr!« flehte Zelima. »Du bist ein heiliger Mann und wirst die Mam-Sahib Die Herrin. wieder lebendig machen.«
Der Derwisch zog aus seinem groben Gewand eine kleine Phiole und goß zwei oder drei Tropfen des roten Inhalts auf die Lippen der Leiche, indem er sodann innehaltend den Erfolg beobachtete. Als keine Bewegung, nicht das geringste Zucken der Nerven erfolgte, verdoppelte er die Dosis, aber selbst als er sie verdreifachte, fand sich keine Spur des Lebens in den kalten bleichen Zügen, und als er das schöne, lang bewimperte Lid ihres Auges hob, zeigte sich unverkennbar das starre, eingefallene Totenauge.
»Es ist zu spät,« sagte er achselzuckend, »jede Spur der Lebenskraft ist seit Stunden schon entflohen, sonst würde der heilige Balsam, den ich angewendet, sie noch vor den Pforten des Todes umkehren machen. Laßt uns versuchen, ob der Mann besser die Nähe der Anaconda ertragen hat.«
Der Major hatte die Kleidung des Unglücklichen geöffnet und nach dem Schlag des Herzens gesucht. Das Aussehen Eglintons bot selbst in der Erstarrung ein schreckliches Bild. Das Gesicht schien um mindestens zwei Jahrzehnte gealtert, so dunkle Falten und Schatten hatten sich hinein gegraben; das blonde, lockige Haar des jungen Mannes war weiß geworden.
»O, sieh ihn an, den Ärmsten,« rief vorwurfsvoll der Major, »er muß entsetzlich gelitten haben, und Du hättest so leicht ihn retten können! Mögen diese Leichen nicht einst schwer auf Deiner Seele lasten!«
Wiederum zuckte ungeduldig der Derwisch die Achseln. »Jeder ist seines Schicksals Schmied,« sagte er rauh, »ich bin nicht verantwortlich für den Tod dieses Faringi, doch laß mich versuchen, ob er zu retten ist!« Er wiederholte das Experiment und träufelte einige Tropfen zwischen die fest zusammengepreßten Zähne des jungen Offiziers. Die Wirkung zeigte sich wie ein elektrischer Strom. Der ganze Körper zuckte zusammen, die Zähne öffneten sich und ließen der Brust einen tiefen Seufzer entschlüpfen. Die offenen Augen verloren die gräßliche Starrheit, rollten einige Male umher und schlossen sich dann.
»Er lebt und wird leben,« erklärte der Fakir mit Bestimmtheit. »Laßt uns zunächst ihn an die freie Luft bringen und bestimmen, was mit ihm geschehen soll, denn hier sind unsere Minuten gezählt.«
Er schob die Möbel beiseite, welche die Thür sperrten, legte selbst Hand mit an, und so trugen die drei Männer den Bewußtlosen hinaus. Sie hatten ihn kaum auf den Boden niedergelegt, als auch die Morgenluft bereits ihre Wirkung übte, der Kranke mehrere tiefe Atemzüge that und wieder die Augen aufschlug, deren Ausdruck, wenn auch gestört und ängstlich, jetzt doch milder war, als vorhin.
»In einer Viertelstunde wird er zum vollen Bewußtsein gelangt sein, wenn er auch vielleicht noch wochenlang auf die Wiederkehr seiner Kräfte harren muß,« sagte der Derwisch. »Sollen wir ihn hier lassen und jetzt den Sahib wecken? Bald wird die Sonne ihr Bett verlassen.«
»Nimmermehr!« erklärte der Major, »Ihr seid nicht so unwissend, daß ihr nicht begreifen solltet, wie das Leben dieses Mannes dennoch verloren ist, wenn Sir Mallingham ihn zu Gesicht bekommt. Er muß sich verstecken.«
»Der Zemindar ist Herr der Gegend,« erklärte der Derwisch. »Er wird jeden Fußbreit nach dem Schänder seiner Ehre durchsuchen.«
»Dann muß er fliehen – sogleich – so weit als möglich!«
Der Derwisch deutete verächtlich auf die hinfällige Gestalt. »Ist der Faringi imstande, seinem Feinde zu entrinnen?«
Major Maldrigi trat auf ihn zu. »Geheimnisvoller Mann, wer Du auch bist! Du hast mir bereits Proben Deiner Macht und Deines Wissens gegeben. Wenn Du es willst, muß es Dir ein Leichtes sein, diesen Unglücklichen zu retten. Ich beschwöre Dich bei dem Bunde, an dem Du selbst mich erinnert, mir darin beizustehen.«
Der Derwisch kreuzte die Arme. »Du siehst, daß der Faringi die Flucht nicht allein unternehmen kann. Willst Du ihn begleiten?«
»Ich will es!«
»Wohl, es sei!« sprach der Geheimnisvolle, »Dein Wille soll geschehen. Dieses Mädchen wird Dich durch das Gebüsch nach dem Bungalow führen. Nimm dort, was Du für nötig hältst von Deinen Sachen und folge ihr an das Ufer des Gandlagama, wo seine Windung aus den Maisfeldern in die Schatten des Bananenwaldes tritt. Ein Boot wird dort mit zwei der Untiefen des Flusses kundigen Ruderern bereit sein. Diesen Faringi werden ich und Caulathy zu dem Boote schaffen, das Euch bis zur Meeresküste bringen kann. Deine Sorge ist es, von dort ihn weiter zu schaffen oder ihn seinem Schicksal zu überlassen. Du selbst wende Dich nach dem Norden, in Ongol wirst Du leicht Gelegenheit finden zur Überfahrt. Geh nach dem Bundelcund; der Radschah von Jhansi sucht Europäer zur Ausbildung seiner Kriegsmacht – er ist einer der Unseren und wird Dich mit offenen Armen empfangen, wenn Du ihm die Botschaft bringst, die ich Dir geben werde.«
»Es sei! Diese Umgebung ist mir drückend, ich sehne mich nach kräftigem Thun und Handeln. Aber willst Du, Geheimnisvoller, mir nicht mehr von Dir sagen, soll ich nicht erfahren, wer Du bist?«
»Du wirst es, wenn im Lande, wohin Du gehst, die Fackel der Freiheit emporlodert zum Kampf gegen die Tyrannen. Bis dahin bin ich auch für Dich, wie für alle, nur Sofi, der Fakir! Doch fort mit Dir, wenn Du das Leben dieses Mannes retten willst!«
Maldigri fühlte die Wahrheit dieser Mahnung. Einen Blick noch voll Teilnahme und Schmerz warf er nach dem Kiosk, in dem die Leichen der Lady und ihres Knaben ruhten, dann folgte er der voraneilenden Zelima.
Caulathy Mudaly und der Derwisch blieben zurück. Der letztere beschäftigte sich sogleich damit, dem noch immer halb Bewußtlosen die Uniform auszuziehen und verschiedene Gegenstände abzunehmen, die er wieder in den Kiosk trug, als habe der Flüchtling sie dort zurückgelassen. Ein böses, grimmiges Lächeln verzerrte dabei seine Züge, als er an den Baronet und dessen Gefühle dachte, wenn er diese Stätte des Unheils betreten würde. Dann erst half er seinem Gefährten, den hilflosen Körper des jungen Offiziers den Hügel hinab in das Gebüsch tragen.