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Als der Kaiser dem Fürsten Windischgrätz die Bekämpfung der Wiener Revolution übertragen, hatte er wohl gewußt, was er that. Die Wiener kannten diesen Mann, der allein eine Armee war. Sie erinnerten sich sehr gut, daß, als von den Prager Rebellen am 12. Juni die Gemahlin des Fürsten am Fenster erschossen worden, der alte General erst dann für die treue Gefährtin seines Lebens, für die Mutter seiner Kinder eine Thräne gehabt, als die Rebellion besiegt war, und Prag wieder seinem Kaiser gehörte.
Am 7. Oktober war der Kaiser von Schönbrunn abgereist, diesmal nicht heimlich und flüchtend, sondern mit allen kaiserlichen Ehren und einer Eskorte von 5000 Mann seiner treuen Truppen und hatte in Olmütz sein Hoflager aufgeschlagen.
Von Süden herauf zog der tapfere Banus von Kroatien, der schöne Schürzenheld der Erzherzogin, wie in höhnendem, nie vergessenem und so blutig gerächtem Spott der Graf Batthiányi ihn genannt, herauf, und antwortete der Deputation des Reichsrats, die Erklärung forderte: Ein österreichischer General habe dahin zu marschieren, wo er Kanonendonner höre und nicht abzuwarten, bis er gerufen würde. Das Aufhängen scheine in Wien Mode geworden und die Reihe könne auch an die Reichstagsmitglieder kommen! Das wolle er verhindern!
In Wien waren die Klubs in vollem Flor, die Aula und das durch den Zeughaussturm bewaffnete Proletariat die Gebieter, die Nationalgarden der Vorstädte terrorisierten die Bürgerwehr, die Führer der Demokratie auf den Straßen und im Reichsrat erklärten jeden für einen vogelfreien Verräter, der zur Ruhe und Ordnung riet, die provisorische Regierung lag in den Händen der Studenten und der bewaffneten Klubs, Tausenau proklamierte seine Liste für den Galgen, die Revolution mit all ihren Schrecken und Tollheiten bevölkerte die Straßen und entfesselte jede Leidenschaft. Wer aus Wien flüchten konnte, eilte davon, darunter viele Mitglieder des Reichstages, die ihres Lebens nicht mehr sicher waren.
Schon am 9. Oktober hatte der Fürst die Eisenbahnlinien von Prag für den Truppen-Transport besetzt, am 17. hatte der Kaiser ihn zum Feldmarschall und zum Kommandanten aller österreichischer Truppen mit Ausnahme der in Italien, ernannt, und am 21. war die Nordarmee auf der Ebene des Marsfeldes, im Norden Wiens, versammelt.
Die Deputationen der Wiener mit ihren trotzigen Forderungen des Rückzugs alles Militärs, die souverainen Befehle des Reichsrats, gegen dessen Beschlüsse die geflüchteten Mitglieder von Prag aus protestierten, wurden jetzt mit Ernst zurückgewiesen, die Deputierten wurden nach Kremsier berufen, in Wien hatte man offen den bewaffneten Widerstand proklamiert und plänkelte in einzelnen Gefechten mit den Truppen Auerspergs und Jellachichs oder schrieb lange Drohbriefe an die Generale.
Die Linke des Frankfurter Parlaments hatte zwei ihrer Mitglieder: Nobert Blum und Fröbel, nach Wien gesandt, denen sich Trampusch und Hartmann anschlossen, um den Wienern ihre Sympathieen mit der Revolution zu erkennen zu geben und sie zu unterstützen.
Dies geschah ohne Beschluß des Parlaments, das unter dem 12. Oktober den berüchtigten Antrag des Wiener Abgeordneten Dr. Berger, auf Anerkennung des Kampfes der heldenmütigen Demokraten Wiens und ihrer Verdienste um die deutsche und ungarische Freiheit zurückgewiesen hatte.
Die Genannten waren am 17. in Wien eingetroffen. Robert Blum, Fröbel und Hartmann gehörten der Fraktion des Donnersberges an, den ausgesprochenen Republikanern; Trampusch dem »Deutschen Hof«, der entschiedenen Linken. Hartmann vertrat einen böhmischen, Trampusch einen mährischen Wahlkreis.
In Wien hatte sich Robert Blum sofort unter die Führer des Kampfes gesellt, forderte in der Aula, im Gemeinderat und in den Wiener Blättern mit entflammenden Worten die energische Verteidigung Wiens gegen die Truppen des Kaisers und übernahm das Kommando einer Kompagnie der Elitegarde, mit der er sich an dem Kampf beteiligte.
Der Beschluß des Frankfurter Parlaments hatte später zwei offizielle Kommissare nach Wien abgesandt. Welker und Mosle, um zu vermitteln und den Stand der Dinge zu untersuchen; die Herren waren in Wien am 20. eingetroffen, aber sofort, von den Bassermannschen Gestalten und den zügellosen Zuständen erschreckt, in das kaiserliche Hoflager weiter gereist und hatten sich für die Berufung des Reichstags nach Kremsier ausgesprochen.
Die Zahl der Truppen, mit denen Fürst Windischgrätz die rebellische Stadt am 20. eingeschlossen, bestand, einschließlich der Korps des Banus und des Grafen v. Auersperg, aus 59 Bataillonen. 67 Eskadrons und 204 Geschützen. Mit dieser Truppenzahl mußte eine 2½ deutsche Meilen lange Cernierungslinie gebildet und die ungarische Armee in Schach gehalten werden. Die Barrikadierung der Straßen war vortrefflich geleitet, der Oberbefehl über die mobile Garde der Revolutionären, zu der alle jungen Kräfte und das Proletariat gehörten, dem General Bem übertragen, während die »stabile Garde« das Innere der Stadt besetzt halten sollte; für die Kämpfer war ein regelmäßiger Sold ausgesetzt.
Schon vor Beginn des Kampfes waren viele der Führer der Erhebung, wie der betrügerische Lieferant der Mobilgarden, Tausenau, der noch kurz vorher zwölf Köpfe, außer dem Latours, gefordert hatte, Füster, Häfner und andere, geflüchtet; täglich lichtete sich in gleicher Weise der Reichsrat, obschon der Deputierte Schuselka erklärt hatte, daß es ganz unmöglich sei, die Stadt Wien zu erobern bei der hohen Begeisterung ihrer Bewohner.
Nachdem die Cernierungslinie sich anfangs begnügt hatte, die Zufuhr und die Munition abzuschneiden – am 17. war der letzte Transport von 110 Centnern Pulver und einer Million Patronen aus Ungarn auf der Donau nach Wien gelangt – und die Nationalgarden in den umliegenden Landgemeinden zu entwaffnen, zog sie sich enger und enger um die Stadt, selbst die Leichenzüge wurden zurückgewiesen und die Toten mußten auf dem Glacis begraben werden.
Nachdem der Fürst unterm 20. den Belagerungszustand erklärt, hatte er am 23. die folgenden Bedingungen gestellt: Unbedingte Unterwerfung; Ablieferung der Waffen; Auslieferung der besonders verbrecherischen Führer: des Polen Bem, der in der Leopoldstadt die Verteidigung geleitet, des ungarischen Unterstaatssekretärs Pulzsky, des Dr. Schütte und der Mörder Latours.
Die Mörder Latours waren zum größten Teil beseitigt; die Schießbaumwolle der ungarischen Schützen hatte dafür gesorgt. Zur Entscheidung über die Bedingungen war eine 48stündige Frist gegeben. Während der Zeit gingen die Truppen über die Donau. Am 23. hatten die Wiener selbst am Linienwall von Döbling den Kampf begonnen.
Dichter und dichter zog sich ein furchtbares Verhängnis um die unglückliche, sonst so fröhliche Stadt, in der die Führer schon am selben Tage sich genötigt sahen, selbst den Belagerungszustand und das Standrecht zu proklamieren, da der Pöbel mit den Waffen in der Faust die Besitzenden brandschatzte und die Staatsgebäude zu plündern begann.
Die kaiserlichen Truppen hatten am 24. die Brigittenau angegriffen und besetzt, trotz des mutigen Widerstandes der polnischen Legion, am 25. den Augarten, waren auf der andern Seite in den Prater vorgedrungen und hatten eine Brücke über den Donau-Kanal geschlagen.
Der Trotz der cernierten Stadt wurde noch immer durch die von Pulszky und den andern Emissären verbreitete Hoffnung genährt, daß die ungarische Armee unter General Moga, Perczel und dem kühnen Obersten Ivanka zu ihrer Befreiung heranrücke gegen die Stellung des kroatischen Banus.
Aber zweimal schon hatten falsche Nachrichten diese Hoffnungen getäuscht, und obwohl am 20. Generalmajor Ottinger bei Bruck von den Ungarn wirklich angegriffen und hinter die Fischa zurückgedrängt worden war, so daß das ungarische Heer sich in die Ebenen von Trautmannsdorf ergossen hatte, war schon am 24. jede Spur dieser Hilfe wieder verschwunden; der ungarische Diktator, dem es mehr darum zu thun war, Zeit zu gewinnen, als den Wienern zu Hilfe zu kommen, hatte die Armee zurückgerufen.
Überdies hatten sich, mit jenem romantischen Gemisch von Treue für das Kaiserhaus und rebellischem Nationaltrotz, viele Offiziere geweigert, außerhalb Ungarns gegen ihre alten Waffenbrüder zu fechten.
So war, während in Wien der Terrorismus Fenner von Fennebergs, den die radikale Partei dem schwankenden Messenhauser zur Seite gesetzt, jeden, der von Übergabe zu sprechen wagte, mit dem »Latourisieren« bedrohte, die gestellte Frist am 26. verstrichen, und der Kampf hatte begonnen.
Am Sonnabend den 28. Oktober, um 10½ Uhr, hatten die Batterieen der alten Kaiserstadt ein verderbliches Feuer gegen die wilde Empörung eröffnet, eine halbe Stunde später hatte die Division des Feldmarschall-Leutnants Ramberg und die Brigade des Generalmajors Wyß die Leopoldstadt forciert; ein furchtbares Artilleriefeuer, Schrapnells, Kartätschen und Raketen hatte den Weg gefegt, während die Kroaten unter Generalmajor Zaisberg die Vorstadt-Landstraße Schritt um Schritt in blutigem Kampfe nahmen und bis zum Glacis vordrangen.
Um 5 Uhr waren, den Dispositionen entsprechend, die beiden Vorstädte in den Händen der kaiserlichen Truppen: die zwei Stock hohen Barrikaden zusammengeschmettert; von den Kugeln zerstörte Häuser, von den Äxten der Pioniere durchschlagene Wände, Blut, Leichen, Verwundete überall! Männer, Frauen und Kinder, Bürger und Rebellen, Garden und Studenten, liebe, sonst so gemütliche Gestalten neben den finsteren, im Tode noch grimmen Gesichtern der fremden Kämpfer von dem Eisenhagel der Kanonen zerrissen, oder von der blinden Wut der zum Äußersten ergrimmten Soldaten neben die Leichen der Jäger und Infanteristen gestreckt.
Während nach der gegebenen Position der Kampf rings um Wien in einer Ausdehnung von zwei Meilen wütete, traf mittags um zwei Uhr den Feldmarschall plötzlich die Nachricht, daß die Ungarn aufs neue von Bruck her in vollem Anmarsch gegen Wien seien und die Truppen Ottingers vor sich her drängten.
Unter dem Donner des heißen Straßenkampfes in der Jägerzeile und der Landhausstraße hatte sich der Fürst, während seine tapferen Krieger dort zu Dutzenden fielen und jeder Schritt vorwärts mit Strömen von Blut erkauft werden mußte, nach dem Laaer Berg begeben, von wo aus man die ganze Ebene bis zur ungarischen Grenze übersehen konnte, und traf dort seine Dispositionen zur Schlacht.
Aber die Ungarn kamen am Sonnabend nicht, die beiden Vorstädte waren genommen, während der Waffenruhe am Sonntag die Hoffnung der Wiener auf Ersatz geschwunden, die Bürger erklärten sich für die Übergabe, und Messenhauser, der am 12. Oktober zum Oberkommandanten der Wiener gewählt worden war, hatte am Abend eine Deputation des Gemeinderats ins Lager geschickt, um über diese zu unterhandeln und möglichst günstige Bedingungen zu erlangen.
Die Deputation, deren Absendung die Demokratie und die Führer des Pöbels mit Gewalt hatten verhindern wollen, war abends ins Lager gekommen und sofort mit der Antwort des Fürsten Windischgrätz zurückgekehrt.
Der eiserne Feldherr hatte ihnen einfach gesagt, da die Herren in Wien ihn ja schon lange kennten, so wüßten sie, daß er sein Wort nicht zurücknehme, und hätten sich den Weg sparen können. Er werde zu den alten Bedingungen weder etwas hinzusetzen, noch etwas davon abnehmen.
Noch am Abend hatte die Ablieferung der Waffen in der Stadt begonnen. Sie dauerte bis Montag Mittag fort, am Nachmittag sollten nach der geschlossenen Kapitulation die Truppen in die Stadt einrücken.
Aber zugleich verbreitete sich am Sonntag Abend die Nachricht, daß die ungarische Armee, 24 Bataillone, 23 Schwadronen und 71 Geschütze stark, aufs neue gegen Wien heranrückte, diesmal zum Kampf entschlossen; sie gelangte am Morgen auch nach der Stadt, wo der Gemeinderat bereits mit der Übergabe beschäftigt war.
Dort änderte die Kunde auf der Stelle die Stimmung und erfüllte die dominierende Partei mit neuem Übermut.
Um zehn Uhr hatten die Ungarn zugleich Mannswert, Schwechat und Neu-Kettenhof angegriffen; gegen Mittag hatte der Banus die ungarische Armee in die Flucht geschlagen, und unaufhaltsam ging diese zurück über die nahe ungarische Grenze.
Der dicke Nebel um die Stadt, der nur das Blitzen der Kanonen sehen ließ, verhinderte die Wiener, den Lauf und Ausgang der Schlacht zu erkennen. Die Ablieferung der Waffen hörte auf, und das Feuer gegen die kaiserlichen Truppen von den Wällen begann aufs neue.
Ein Bombardement der Vorstädte Mariahilf, Gumpendorf und Wieden war die Antwort des Fürsten gewesen. Wenn, um einen allgemeinen Brand zu hindern, auch die Bomben auf Befehl des Fürsten ohne Brandsatz geworfen wurden, so herrschte doch über den treulosen Bruch der geschlossenen Kapitulation durch die Wiener die größte Erbitterung im Heer, und alles bereitete sich vor auf den letzten entscheidenden Kampf.
Die schweren Nebel des Tages, welche die Schlacht verhüllt, hatten sich infolge des Donners der Geschütze geteilt und gesenkt, die letzte Oktobernacht war ziemlich klar und hell, die Wachtfeuer loderten hinauf in die frische Luft.
Zehn, zwanzig Feuer brannten in den beiden aneinander grenzenden, völlig demolierten Gärten; das Lager der am 6. aus der Stadt gezogenen Truppen, später die wüste Wirtschaft der Studenten und Legionäre, das Hauptquartier Messenhausers und wieder die Eroberung der kroatischen und ruthenischen Truppen hatten jede Spur der sorgfältigen Pflege und Schönheit vernichtet, die sonst diese Orte auszeichnete.
Statt der Blumen und Pflanzen ein wildes, buntes Gedränge kriegerischer Gestalten, Fouragewagen und Artillerieparks die Heugasse und den Rennweg entlang und selbst auf den Terrassen des Gartens, an den schönen Platanen Kroatenpferde oder die schweren Rosse der Kürassiere; vor den Eingängen der beiden Schlösser des savoyischen Helden, der für Österreich schlug, starke Posten, um, was von den kostbaren Sammlungen noch vorhanden, zu schützen, auf den Treppen ein fliegendes Feldspital, in dem Pavillon eine Marketenderschenke, kurz, das ungebundene, wüste, bunte Leben des Krieges überall!
Die Gärten bildeten die Verbindung zwischen den biwakierenden Truppen des Vanus, der Brigade Kreuzer und denen, welche die Favoriten-Linie und den Bahnhof gestürmt. Ein Teil der Truppen, die am Mittag die Ungarn geschlagen, biwakierte jenseit der Belvedere-Linie, deshalb das bunte Gewühl von allen Völkern und Zungen, allen Uniformen und Waffengattungen der ganzen Armee gerade an diesem Punkt, ein Bild so bunt und wirr, daß die Feder seine Farben und Gestalten nicht zu fassen vermag.
Unweit der Straße an der aufsteigenden Terrasse, auf deren Höhe eine halbe Batterie abgeprotzt, die drohenden Mündungen gegen die rebellische Stadt gerichtet, stand, lagerte um eine der fliegenden Marketender-Wirtschaften eine bunte Gesellschaft. Eine alte kroatische Hexe, ein Weib in einen wohl ebenso alten Seressaner Mantel gehüllt, eine Husarenmütze auf dem Kopf, das Gesicht von Wetter und Pulverdampf und den Strapazen des Nomadenlebens an der Grenze geschwärzt und gefurcht, hantierte als Marketenderfrau mit Gläsern und Flaschen; schmorte in zwei großen Pfannen am Feuer Speck und Mais, Fleisch mit rotem Pfeffer und Würste, und schalt dazwischen die beiden schlanken, braunen Seressaner Mädchen, ihre Enkeltöchter, die rechts und links sich zwischen den sitzenden und liegenden, schlafenden, plaudernden und singenden Kriegern umherdrängten, alle Forderungen und Bedürfnisse, die in fünf, sechs Mundarten auf Ungarisch und Deutsch, Böhmisch und Polnisch, Italienisch und Slavonisch verlangt wurden, zu befriedigen.
Die Erscheinung der Frauen und der hübschen, schlanken Mädchen in der kleidsamen Tracht mit den langen, bis über die Hüfte fallenden, mit Silbermünzen durchflochtenen rabenschwarzen Zöpfen und den ausdrucksvollen braunen Gesichtern war nichts Seltenes im Heere des Banus. Ganze Familien hatten die schnell zusammengerafften kroatischen Regimenter begleitet, die zum Teil nicht einmal mit Uniformen bekleidet und noch in ihren Gatjen, Bunday und Kitteln waren, nur durch die Bewaffnung als Soldaten kenntlich. Dazu alles halb zerrissen, beschmutzt und geflickt von den eiligen Märschen, den Kämpfen und langen Biwaks in Wind und Wetter, vom goldbeschnürten Dolman des Husaren-Offiziers bis zu dem roten Kapuzmantel des Seressaners.
Der Vater der beiden Mädchen, ein Korporal von Ottochaner Grenzregiment, saß an dem Baumstamm, hatte die Bakantschen, die Soldatenschuhe ausgezogen und verband sich selbst eine leichte Wunde an dem sehnigen Beim die eine Büchsenkugel ihm gerissen, ohne sich anders in die Wirtschaft seiner Mutter und Töchter zu mengen, als daß er von Zeit zu Zeit sich und dem Schwager Rotmantel eins einschenken ließ, der, so lang und hager ihn Gott geschaffen, neben ihm auf dem Boden lag, den Kopf bis an die Ohren in die schmutzige Pelzmütze gesteckt und den Rauch aus der schwarzen Holzpfeife durch die Nase in die Luft blasend.
Der größte Teil der Lagernden gehörte den Regimentern Parma und Latour an, die am Sonnabend auf dieser Seite der Stadt gestürmt, galizische und böhmische Regimenter, die sich durch ihre Unbändigkeit auszeichneten, und in denen viele Polen und Italiener dienten.
Um das Feuer selbst saßen Jäger vom fünften Bataillon, Offiziere von Paumgarten-Infanterie, dem Regiment Nassau und Latour, Artilleristen und Beamten der Feldequipage. Grenadiere und Grenzer, auf den Boden gestreckt, schliefen trotz des Lärmens umher oder saßen plaudernd und ihre Waffen in Ordnung bringend; rechts ab lagerte eine Gruppe der Rotmäntel, unter einander flüsternd, zwischen den grauen Mänteln bewegten sich ab- und zugehend die braunen Uniformen der Artillerie.
Von Zeit zu Zeit schlich eines oder das andere der beiden Mädchen zu der Gruppe der Seressaner und beugte sich sorgsam horchend über eine Gestalt am Boden, oder legte den alten Mantel, der über sie gebreitet war, sorgsam wieder zurecht, damit den darunter Liegenden die Kühle der Nacht nicht belästige.
Aus dem Mantel sah der freundliche Kopf eines schlafenden Knaben hervor, die hellbraunen Locken umgaben eine weiße, freundliche Stirn, ein hübsches keckes Gesicht. Zuweilen war es, als murmele die halb geöffnete Lippe des jungen Burschen einen Namen oder ein enthusiastisches, soldatisches Wort, als befinde er sich mitten im Kampf. Ihm zur Seite, halb vom Mantel bedeckt, lag ein schönes Jagdgewehr; die Mütze, die vom Haupt des Schlafenden gefallen, war auffallender Weise eine preußische Soldatenmütze, wie sie die Kadetten zu tragen pflegen. Auch die wilden, dunkeln Gesichter der Seressaner mit den langen, hängenden Bärten, wandten sich von Zeit zu Zeit nach dem im festen Schlaf der Jugend Ruhenden, und unterhielten sich offenkundig von ihm.
Es war nicht die einzige auffallende Erscheinung. Einige Schritte weiter, in einer Gruppe von irregulär und zerlumpt bekleideten Grenzern, saßen zwei Gestalten, die offenbar ebenso wenig in die Reihen dieser Soldaten gehörten: ein großer, kräftiger Greis, dem die Bunda, die um Schulter und Brust geschlagen war, seltsam genug zu der Tiroler Kleidung stand. Aber diese sonst so reinliche und nette Kleidung war jetzt von Schmutz und Wetter geschwärzt, verdorben und zerrissen, man sah, daß der Eigentümer seit lange auch nicht die geringste Sorgfalt mehr darauf verwendet hatte.
Der alte Mann hatte das weiße Haupt in die Hand gestützt und starrte vor sich hin in das Feuer, ohne an dem Gespräch teilzunehmen, das sein Begleiter eifrig führte.
Dieser war ein noch junger Mann in der gewöhnlichen, schmutzigen Tracht der Slowaken, wie sie durch die Nachbarländer ziehen, um ihr trauriges Brot als Topfstricker und Fallenhändler zu verdienen.
Der Bursche zwischen der Grenzergruppe schien jedoch andern Schlages, als die erniedrigte, unter dem Druck der Heimat und der Fremde gebeugte Menschenklasse. Aus dunkelen Augen blitzte zwischen dem gewöhnlichen, schwermütigen Ausdruck Verstand und Geist, seine Worte waren anders, als die gewöhnliche, klagende und scheue Manier seines Volkes sie findet.
Das selbst unter diesem an charakteristischer Schönheit so reichen Stamm auffallend edel gebildete Gesicht zeigte nicht die gewohnte Entstellung von Schmutz und geringer Sorgfalt für das Äußere, während eine gewisse Abspannung sich in der bleichen Färbung und den dunkelen Ringen der großen Augen bemerklich machte. Der junge Mann trug die Bocskors oder Schnürsohlen, und unter seiner weiten Guba bemerkte man im Gürtel als seine einzige Waffe den Fokos, das kleine ungarische Handbeil, das häufig die Stelle des Tomahawk ersetzt.
»Hast mir gemacht Freude großigte, Maczy,« sagte ein alter Korporal, indem er dem jungen Mann die Holzflasche mit Slibowitza aufnötigte, »als Du Dich gegeben zu erkennen. Hätt' ich groß Leid gehabt, wenn ich hätt' gestochen Bajonett meinigte durch den Leib von Sohn von altem Gevatter.«
»Es galt weniger mein Leben,« sagte der junge Mann, »an dem nicht viel verloren gewesen, als das dieses Greises. Ich habe Dir seine Geschichte erzählt, Mischka, und wie er sein einzig Kind verloren in jener Stadt.«
»Pah – wird sich finden wieder. Hab' ich Dir versprochen zu helfen suchen, wenn wir gemacht diese Panna Aula kaput für großen Kaiser unsrigen. Geht morgen wieder los, und hat Hauptmann unsrigter erlaubt, daß Du bleiben bei uns mit Mann alten, weil Du kennst Straßen alle bis zum Turm, auf dem sitzt der Kaiser.«
Matthias, der Slowak, der frühere Student und Günstling der Gräfin Törkyeny, lächelte unwillkürlich in seinem Schmerz über den hartnäckigen und naiven Glauben seiner Landsleute, die sich die Kaiserstadt, von deren Glanz so oft in ihren einsamen Grenzwachen die Rede war, nicht ohne den Kaiser denken konnten, und die glaubten, er wohne auf dem hohen Stephansturm und werde dort von seinen Feinden belagert.
Der junge Mann hatte seit jenem unglücklichen Morgen des Verschwindens der Enkeltochter seines Gefährten diesen nicht wieder verlassen. Nachdem alle Nachforschungen nach dem Mädchen vergeblich gewesen waren, und beide sich dabei ernsten Gefahren ausgesetzt hatten, hatte er den alten Tiroler nach der Vorstadt Wieden geführt und dort in einer kleinen Hofwohnung an der Feldgasse bei einem armen Slowaken untergebracht, der seit Jahren mit seiner Familie hier als armer Schuhflicker lebte, und dem wohlzuthun er früher oft Gelegenheit gehabt.
Von diesem Manne hatte der Student auch die Slowakenkleider eingetauscht, um in deren Verhüllung unbemerkt seine Nachforschungen fortsetzen zu können. Nach dem Hause der Gräfin wagte er nicht zurückzukehren, und hatte um so weniger Veranlassung dazu, als schon am andern Tage der alte Hausmeister von der Bande, die sich hier jetzt festgesetzt und eine Art Hauptquartier des polnischen Generals gebildet hatte, hinausgeworfen worden und aufs Land geflüchtet war.
Dazu kam, daß bald nachher eine schwere Krankheit den alten Tiroler befallen hatte, in der er unaufhörlich von seinem Neffen und seiner Enkeltochter phantasierte, oder mit dem ermordeten Minister unter hundert Gefahren durch die Eisregionen seiner Heimat zu wandern glaubte. Der Student hatte ihn treu gepflegt, und seiner Aufopferung allein war die Genesung des alten Mannes zu danken, der finsterer und trauriger noch als zuvor zum Leben erwachte.
Erst wenige Tage vor dem Sturm auf die Vorstädte hatte der Student wieder seine Nachforschungen beginnen können; in dem wüsten Gewühl, das alle Gassen der Kaiserstadt füllte, in der Aufregung aller Leidenschaften und der immer näher rückenden Gefahr war aber nicht die geringste Spur zu finden. So hatte der Angriff des Militärs sie getroffen, und nur der glückliche Umstand, daß der Student in dem Korporal der Grenzer einen Landsmann erkannte, hatte sie vor dem schrecklichen Schicksal bewahrt, das bei der Erbitterung und der Beutegier der wilden Soldateska leider auch viele Unschuldige getroffen hatte.
Zwischen den Feuern daher, quer über die Anlagen, kam auf hohem, schwarzen Pferd ein Reiter auf die Offiziergruppe am Feuer, über den langen, weißen Mantel ragte der dunkele Kürassierhelm, der schwere Pallasch klirrte an Sporn und Bügel.
»Guten Abend, Ihr Herren! oder eigentlich guten Morgen! Ich hoffe, es giebt etwas zu trinken bei Ihnen – die Nachtluft weht kalt!«
»Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der Künsberg ist! Steigen Sie ab, Mann; Leute, die noch vom ungarschen Pulverdampf geschwärzt sind, können wir gerade hier brauchen!«
Der junge Offizier von den Auersperg-Kürassieren schwang sich aus dem Sattel, während Hinzuspringende das dampfende Schlachtroß hielten, und schüttelte mehreren Bekannten die Hand. Die weiße Uniform mit den scharlachroten Aufschlägen war noch beschmutzt von Staub und Pulverdampf, auf dem schwarzen Panzer zeigte sich der Eindruck einer Kugel. Der geübte Blick der Offiziere erkannte diese Zeichen sofort.
»Den Teufel, Baron, Sie waren sicher mit in der vollen Attacke! Erzählen Sie, wir brennen vor Begier, Näheres zu erfahren!«
»Trinken Sie erst!«
Ein Kapitän vom Regiment Parma reichte ihm seine Flasche.
»Auf Ihr Wohl, Odelga! ich freue mich, daß wir uns wiedersehen!«
Der Kürassier hatte die Flasche, ohne einen Becher zu erwarten, an den Mund gesetzt und ließ sie nicht eher sinken, als bis sie geleert war.
» Parbleu, Kamerad, ich bin Ihnen von Herzen dankbar. Der Henker hole das Proviantamt, seit diesem Morgen habe ich keinen vernünftigen Tropfen gesehen, und selbst in Hetzendorf war für blanke Zwanziger nichts zu haben!«
»Waren Sie im Hauptquartier? Sind die Ungarn auf der Flucht?«
»Geduld! Geduld! Wir haben sie bis hinter die Leitha verfolgt und sie sind im vollen Rückzug über die Grenze. Das Gesindel in Wien kann sich den Mund wischen und den Heiligen danken, daß die Kapitulation vorher geschlossen war. Wann rücken wir ein?«
»Aber wissen Sie denn nicht, Baron, daß die Kapitulation schändlich gebrochen ist, daß es aufs neue zum Kampf kommt?«
Der junge Offizier saß bereits im Kreis der Kameraden am Feuer, aber er ließ die Hand mit dem Fleischstück sinken, in das er eben hungrig beißen wollte.
»Den Teufel auch! Ich hörte so etwas; aber ich konnte nicht daran glauben und hatte nicht viel Gelegenheit zu einer vernünftigen Konversation im Hauptquartier, wohin ich die Depeschen des Fürsten Liechtenstein gebracht. Drum wollt' ich mich selbst überzeugen und durch die Vorstädte reiten!«
»Seien Sie froh, daß Sie nicht über die Posten hinaus gekommen sind. Die Schufte haben gestern Nachmittag auf unsere Truppen mit Artillerie gefeuert und das Gefecht an mehreren Stellen wieder aufgenommen. Sie wechselten vom Stephan fortwährend Signale mit den Ungarn, und wir hofften auf einen Ausfall. Aber es scheint, nur zwei haben die Courage, den Magyaren zu Hilfe zu kommen, und wir fingen den einen wenigstens im Nebel. Wieden und Mariahilf sind noch von den Rebellen besetzt. Auf dieser Seite stehen unsere Leute bis zum polytechnischen Institut. Landhaus und die Leopoldstadt bis zur Brücke sind unser.«
»Es ist Blut genug darum geflossen. Die Polen haben sich vortrefflich geschlagen; auch die Studenten – man muß es den Burschen zugestehen!«
»Haben Sie nähere Nachrichten? Sie wissen, daß wir schon am Mittag nach Schwechat beordert wurden. Sind Freunde von uns geblieben?«
»In der Jägerzeile hat man acht Stunden gekämpft. Das Regiment Schönhals hat bedeutend gelitten, Hauptmann Spatey und Baron Theobald sind gefallen, vier andere Offiziere verwundet. Es war eine Freude zu sehen, wie unsere Kroaten wie die Schlangen am Boden herankrochen und die Kerls zusammenschossen. Sehen Sie die zwölf Seressaner dort?«
»Sie scheinen sich's wohl sein zu lassen.«
»Zeisberg hat ihnen für gestern und heute freie Zeche gegeben. Mit den zwölf roten Burschen und fünfzig Freiwilligen des 5. Jäger-Bataillons hat der General persönlich die große Barrikade an der Marxer Linie angegriffen und genommen.«
»Es sieht ihm ähnlich. Haben Sie Verluste bei Nassau gehabt, Baron Geussau?«
»Hauptmann Prohaska wurde auf dem Kirchhof durch die Brust geschossen, das Kreuzfeuer aus dem Bahnhof war zu furchtbar, wir mußten ihn räumen; aber wir haben's den Hunden eingetränkt und ihnen die Nester über dem Kopf angesteckt.«
»Es sind leider viel unnütze Grausamkeiten verübt worden. Die Soldaten haben in ihrer Wut in der Johannagasse bis zum Morgen geplündert und, ich muß es leider sagen, gemordet!«
»Können Sie es den Leuten verdenken, daß sie für die Schmach vom 6. an dem Gesindel Rache genommen?« fragte der Offizier von Nassau. »Das Regiment hat geschworen, den Schimpf in Blut auszulöschen!«
»Aber nicht in dem Blut Unschuldiger. Draußen im Liniengraben habe ich gestern drei Leichen gesehen, Männer, die mit kaltem Blut hinausgeführt und erschossen wurden, und heute begegnete ich dem verzweifelnden Vater, der seinen ältesten Sohn suchte, der nie die Waffen gegen uns erhoben. Denn sein Vater ist ein treuer Unterthan des Kaisers und sein zweiter Sohn ist erst vor wenigen Wochen in Vicenza geblieben.«
»Suchen Sie unter Ihrem eigenen Regiment, Herr Kamerad,« sagte höhnisch der andere, »die Leute von Parma und Latour haben's nicht besser getrieben als die unseren.«
»Leider! ich weiß es! aber die Offiziere meines Bataillons haben wenigstens nicht das Morden und Brennen ermuntert, sondern ihre Pflicht gethan und nach Kräften der rohen Wut gesteuert!«
Das Gesicht des Offiziers vom Regiment Nassau war dunkelrot, als er emporsprang.
»Zielen Sie auf mich? Ich war es, der befahl, die Baracken in Brand zu stecken, weil man daraus auf meine Leute geschossen hatte!«
Der Freiherr v. Odelga zuckte die Achseln. »Ich rede von Thatsachen, nicht von Personen. Was ich gesagt, werde ich zu vertreten wissen, sobald wir in Wien eingerückt sind. Graf Colloredo selbst hat die nutzlosen Grausamkeiten auf das Entschiedenste gemißbilligt. Für jetzt, bitte ich, sich zu erinnern, daß ich diesen Posten kommandiere!«
Der brave Kapitän nahm den Mantel um und winkte seinem Oberstleutnant. »Lassen Sie uns die Runde machen und entschuldigen Sie mich, Baron, aber der Dienst ruft.« Er reichte dem Kürassier die Hand und wandte sich nach der Stadt.
Die Entfernung des ernsten, älteren Mannes war für die jüngeren Offiziere wie die Befreiung von einer Fessel, und das tolle Geplauder, die Erzählungen der einzelnen wilden Scenen des Kampfes, die Drohungen gegen die Feinde wechselten mit Phantasieen von Wohlleben und Vergütung aller Mühseligkeiten in der jetzt der Herrschaft und Rache des Militärs verfallenen Hauptstadt.
»Es ist einer aus dem Land, wo's kälter ist als in den Bergen der Raska, Stojan Widaïtsch,« sagte ein alter Seressaner mit der noch frischen Wunde eines Säbelhiebes im Gesicht, indem er mit der Spitze der kurzen Pfeife nach dem schlummernden Knaben wies. »Einer der Kneese des Kaisers, die am kalten Meere wohnen, hat das Kind geschickt, um zu sehen, wie man ein Krieger wird!« »Das Land dort oben gehört nicht dem Kaiser, wie ich mir habe sagen lassen, Anton Boghitschewitsch,« belehrte ihn einer der Jüngeren in dem Kreis, indem er die Janka, das kleine runde Brot, von der Eisenplatte nahm und heiß in den Mund steckte.
»Du redest, wie Du's verstehst, Tomitsch Mijat,« sagte der Alte. »Die Heiligen und der Kaiser herrschen überall! Wer sollte dem Kaiser widerstehen, wenn die tapferen Haiducken mit ihm sind? Wir werden ihn fragen, wenn er erwacht ist, denn er redet etwas von der Sprache, die sie in Fiume sprechen, und ich verstehe die seine.«
»Du hast die Welt gesehen, Anton Boghitschewitsch, und weißt davon zu reden!« stimmten die anderen ehrerbietig bei.
Der Alte strich sich behaglich den grauen Schnurrbart. Dann füllte er den Hornbecher aus dem zwischen ihnen liegenden Fäßchen und trank den brennend scharfen Slibovitza hinunter, als wäre es Quellwasser.
»War ich nicht in meiner Jugend in dem goldenen Stanibul als Gefangener des Tyrannen von Widdin, als mein Vater auf dem Salatschfeld erschlagen worden, nachdem er zehn Moslems des Osmans Djura mit eigener Hand getötet? Aber wer hält den Wolf der Raska? Ich könnte Euch eine wunderbare Piasme erzählen von der Zeit, als mich in dem Harem zu Stambul die weiße Odaliske ihren Gebieter, den schwarzen Aga, erschlagen ließ, und mit mir auf dem fränkischen Schiff über das Wasser floh. Aber sie starb an dem häßlichen Fieber, obgleich sie schön war, wie die Mutter Gottes in der Kirche zu Brood und den armen Haiducken liebte. War ich seitdem nicht ein Soldat des Kaisers in Wien und in der großen Stadt in dem fremden Land, wo wir den schwarzen Sultan der Franzosen verjagt haben? Ohe! ich könnte Euch Geschichten erzählen von nackten Weibern, die vor allen Leuten dort springen, schöner, wie die Almas in dem Palast des Großherrn, und wie sie mich in ein Haus gelockt und mit Slibovitza berauscht haben, der lauter Schaum war und besser schmeckte als der Wein, den der Bischof von Agram beim heiligen Nachtmahl trinkt, bloß weil ich ein schmucker Bursch war und schöne Lieder zu singen wußte!«
»Oh, Anton Boghitschewitsch,« sagte ein andrer aus der wilden Gesellschaft, »die Sonne Deines Angesichts ist längst wie die Runzeln eines alten Weibes geworden, und Deine Geschichten hast Du uns hundertmal erzählt. Sage uns lieber, wie der junge Krieger dort zu uns gekommen, denn der General hat mit Dir allein gesprochen.«
Der Alte schielte den Illyrier unwirsch von der Seite an, der sein Lieblingsthema – die Erinnerungen seiner Jugend – unterbrochen. »Was soll's! Bei den Heiligen, es würde Dir nicht schaden, wenn Du die Geschichten eines alten Mannes noch zweimal hörtest, der Dein Vater sein könnte. Wie der Prussiani-Knabe zu uns gekommen, willst Du wissen? – Weiß ich's selbst? Er trieb sich seit zwei Tagen im Lager umher, und als der hochgeborene General am Sonnabend mit uns und den Jägern die Barrikad' stürmte, war er mitten unter uns, die Heiligen wissen, wie, und schoß den schwarzröckigen Kerl nieder, der eben auf den General angelegt. Wahi! ich schnitt dem Burschen mit meinem Handjar den Kopf ab, weil die Kugel ihn nicht gemacht ganz kaput! Möge Deine leichtfertige Zunge verdorren, Marina, wenn Du den Knaben nicht schlafen läßt! Der hochgeborene General hat ihn mir auf die Seele gebunden!«
Der zarte Wink galt einem der Mädchen, das eben wieder neben dem Knaben kniete und ihm die Haare aus der Stirn strich.
»Wein her, hübsche Kumria! Laß die alte Hexe, Deine Großmutter, das Fäßchen Ofener öffnen, von dem ich gestern kostete. Es ist nicht mehr als billig, daß wir den Sieg über die Ungarn in ihrem eigenen Traubenblut feiern!«
»Erzählen Sie, Baron!«
Der Auersperg-Kürassier strich die Tropfen des feurigen Weins aus dem Schnurrbart.
»Die Vorposten des Banus,« erzählte er, »waren am Sonnabend jenseits Schwadorf und Fischamend mit den anrückenden Ungarn zusammengetroffen und geworfen worden. Die Nachricht traf den Fürsten, als eben der Angriff auf die Vorstädte beginnen sollte. Vom Laaer Berg aus prüfte der Feldmarschall das doppelte Schlachtfeld. Es war ein Glück, daß er die Lektion in der Leopoldstadt und hier bei Euch nicht aufgab. Gestern mußte Grammont mit seiner tapfern Brigade, obschon sie in der Jägerzeile viel gelitten, zum Banus stoßen und mit der Division Kempen Ebersdorf, Schwechat und Gomersdorf besetzen, um den Ungarn den Übergang über die Schwechat zu verlegen. Die Seressaner standen bei Lanzendorf, auf dem Berg die Brigade Jablonowski als Reserve; Wallmoden lagerte am Kanal, Ramersdorf gegenüber, das Neugebäude war mit 2 Bataillonen und 66 Kanonen besetzt; am Abend, als die ungarischen Kolonnen auf der Straße von Schwadorf mit 27 Bataillonen, 20 Eskadrons und 71 Geschützen vorrückten und die Höhen besetzten, waren wir zum Empfang bereit.«
»Der Teufel hole die pfefferfressenden Schurken, wir mußten die Nacht und heute den ganzen Tag unter den Waffen bleiben.«
»Macht's morgen mit den Wienern ab, meine Herren! Kundschafter brachten die Nachricht, daß eine starke Truppe auf Neustadt gegangen, und der Fürst schickte eilig ein Grenadier-Bataillon der Brigade Schütte von der Mariahilfer Linie zum Schutz der Pulverdepots ab. Wir selbst biwackierten die Nacht zwischen Lanzendorf und Hochau, 33 Eskadrons stark, die beiden Regimenter Auersperg, Hardegg-Kürassiere, zwei Eskadrons Sachsen-Kürassiere, die Franz-Joseph-Dragoner, Civalarts-Ulanen und Kreß' Chevauxlegers; Hurra! wir freuten uns wie die Kinder auf ein tüchtiges Reiterscharmützel mit unseren Freunden, den Husaren, denn in den drei Wochen waren uns die Beine ganz steif geworden vom Postenstehen und Depeschen-Reiten – alles andere ging ja Euch an!«
»Jeder hat seinen Teil gehabt, Baron!«
Der junge Kavallerist salutierte gegen seine Freunde. »Mein Kompliment für den Ihren! Es war ein schändliches Wetter am Morgen, Nebel, so dick, daß man kaum die Köpfe der Pferde sehen konnte. Um neun Uhr zündeten die Magyaren Mannswürth an und trieben die Gradiskaner auf Ebersdorf zurück, wo die Brigade Dietrich stand. Schwechat und Neukettendorf wurden beschossen und unsere Infanterie auf das linke Ufer der Schwechat gedrängt, dann kam glücklich die Ordre zum Aufbruch, und wir gingen vor, freilich langsam genug, denn die Brücken über den Kanal und die Schwechat sind verdammt schmal.«
»So wußten die Ungarn nicht von Ihrer Nähe?«
»Keine Sylbe! Hätte Fürst Liechtenstein sich mehr beeilt, so hätten wir sie im dichtesten Nebel vollständig überrascht. Erst als wir mit dem rechten Flügel bei Nauhenwart, mit dem linken bei Zwölfassing aufgestellt, ihre linke Flanke bedrohten, merkten sie den Braten und warfen uns ihre drei zwölfpfündigen Batterieen entgegen.«
»Und dann frisch drauf los, den Säbel in der Faust!«
»Ja, mein Junge, das wäre allerdings Reiterart gewesen, aber es fiel dem Fürsten nicht ein! Wir mußten in Kolorme halten und das schändliche Feuer der Zwölfpfünder wohl eine Stunde ertragen, noch dazu von den Höhen, während wir nichts entgegenzustellen hatten, als eine lumpige Sechspfünder. Ich sage Euch, es war ein schändliches Gefühl, so die Kugeln in unsere geschlossenen Reihen schmettern zu sehen, ohne Revanche nehmen zu können. Dem Rittmeister Voß von uns zerschmetterte eine Kugel den Fuß, Major Rodin von Hardeggs wurde das Pferd unterm Leib erschossen. Dem Mann neben mir im Zug – John hieß der arme Bursch – riß eine Kugel den Kopf des Pferdes fort und ging mitten durch Küraß und Brust, daß das Blut über mich her spritzte. Auf Ehre! Es war eine verfluchte Empfindung, als ich das Kommando hörte: ›Aufgerückt!‹ denn ich wußte, nun kam die Reih' an mich!«
»Und was dachtest Du in dem Augenblick, Baron?«
»Bah! was ich dachte? Daß den Fürsten der Teufel holen möge dafür, daß er uns hier zum Kanonenfutter mache, statt sich mit einem tüchtigen Angriff auf die verräterischen Halunken zu werfen und sie vor sich her zu jagen.«
»Aber wie endete die Sache?«
»Ich kann Ihnen sagen, die zwei Minuten waren wie zwei Jahre, zum Glück hatten die Schurken ihr Ziel geändert, und die nächste Kugel schlug zwanzig Schritt von mir auf und ricochettierte neben der Schwadron weg. Ich glaube, ich habe ein Paternoster und ein Ave gesprochen in jener vertrackten Minute,« fügte er nach einer Pause ernster hinzu. »Wir verloren fünfzig Mann, zehn Offiziere allein sind verwundet.«
»Aber die Ungarn? Wer kommandierte denn Ihnen gegenüber?«
»Wie wir von den Gefangenen hörten, Oberst Görgey!«
»Ha! derselbe, der den Grafen Zychi auf der Donauinsel Chapel gegen alles Völkerrecht hängen ließ, bloß weil er die Treue für den Kaiser bewahrt!«
»Schändlich! Ich hoffe, wir halten mit ihm bald blutige Abrechnung.«
»Er ist einer ihrer besten Führer und soll die Leichtfüßigkeit der Honveds vorausgesagt haben. Aber erzählen Sie weiter.«
»Zeisberg griff in diesem Moment mit zwei Bataillonen Khevenhüller-Infanterie in der Front an, unterm Schutz zweier glücklich postierten Batterieen, die ihr Geschütz zum Schweigen brachten, und Oberst Fejervari mit den Wallmoden-Kürassieren attackierte den Feind. General Kempen brach mit dem linken Flügel vor und zugleich kam endlich der Befehl an den Fürsten, mit der ganzen Kavallerie vorzugehen. Die Ungarn waren bereits im Rückzug. Hätte Liechtenstein nicht so unverantwortlich gezaudert und sich mit einem tüchtigen Angriff auf den Feind geworfen, statt sich darum zu kümmern, daß Rauhenwart noch von den Ungarn besetzt war und uns im Rücken blieb, wir hätten sie aufgerieben, daß kein Pferdeschwanz mehr über die Leitha gekommen wäre. Der Henker hole die …«
»Leutnant Künsberg!«
Die Zechenden schauten nach der ernsten ruhigen Stimme um, welche die Expektorationen des jungen Kürassiers unterbrochen hatte.
Im nächsten Moment waren sie alle emporgesprungen und standen kerzengerade in militärischer Haltung, als ständen sie auf der Parade.
Zwei oder drei Schritt vom Feuer, zwischen diesem und der Gruppe der Seressaner, von der Flamme beleuchtet, stand die hohe Gestalt eines alten Offiziers in den weißen, lang niederhängenden Mantel gehüllt, weiter hin im Dunkel der Bäume hielt eine Ordonnanz zu Pferde den in der ganzen Armee wohlbekannten Schimmel.
Der alte Offizier, dessen einfacher Interims-Uniformrock nur mit den drei Sternen am Kragen und dem Kreuz des Theresienordens geziert war, trug eine einfache Feldmütze. Er mochte bereits über 60 Jahre zählen, seine Haltung war straff und fest. In dem ehrwürdigen, hagern Gesicht mit der großen, kräftigen Nase und dem tiefen, etwas matten Auge lag unverkennbare Güte und trüber Ernst, aber das kräftige Kinn unter dem hängenden grauen Schnurrbart und die hohe, schön gerundete Stirn drückten zugleich einen hohen Grad von Festigkeit und eiserner Ruhe aus.
»Der Fürst!«
Die plötzlich rings umher eingetretene Stille wurde nur durch das entfernte Geräusch der militärischen Lagerung und das Klirren der Waffen der Soldaten unterbrochen, die, dem Beispiel der Offiziere folgend, sich rings umher rasch erhoben hatten. Nur die Seressaner saßen noch um ihr Fäßchen und machten, erstaunt und nicht wissend, was eigentlich vorging, nur langsam Anstalten ihren Platz zu verlassen.
»Leutnant Künsberg von Auersperg-Kürassieren?«
Der junge Mann salutierte – sicher herzlich wenig erfreut über das gute Gedächtnis dessen, der ihn anredete: »Zu Befehl, Durchlaucht!«
»Wie kommen Sie hierher? Ihr Regiment muß jenseits der Fischa stehen?«
»Durchlaucht halten zu Gnaden, ich überbrachte soeben Depeschen des Generalmajor Fürsten Liechtenstein ins Hauptquartier und habe Urlaub für diese Nacht.«
»Sie werden sofort zurückkehren und sich zu drei Tagen Arrest melden. Dem da,« er wies auf den Eindruck der Flintenkugel im Küraß, »mögen Sie es danken, daß Sie nicht kassiert werden.«
»Durchlaucht …« stammelte der junge Offizier.
»Der Soldat hat zu gehorchen, Herr, nicht zu kritisieren! Dazu sind die Zeitungsschreiber in Wien gut. Ich liebe das unter meinen Offizieren nicht! Gehen Sie!«
Der Baron salutierte, der Feldmarschall erwiderte ernst, aber höflich, den Gruß. Dann hörte man die langsam sich entfernenden Schritte des Kürassierpferdes.
»Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren, ich weiß, daß Sie Dienst genug gehabt haben. Wenn ich nicht irre, kommandiert General Karger hier?«
Einer der Offiziere trat einen Schritt vor. »Zu Befehl, Durchlaucht. Ich habe die Ehre, der Adjutant des Herrn Generalmajors zu sein. Befehlen Euer Durchlaucht, daß ich dero Anwesenheit melde? Der Herr General befindet sich im Belvedere-Palais.«
»Nein, nein, vorläufig nicht. Wer kommandiert die Postenkette hier?«
»Hauptmann von Odelga! abwesend zur Revidierung der Posten.«
Der ruhige, ernste Blick des Feldmarschalls flog über die Gruppen und blieb auf einem jungen Jäger-Offizier haften, der den Arm in der Binde trug.
»Sie heißen?«
»Leutnant Ziellach vom fünften Bataillon!«
»Ziellach? Sind Sie der Offizier, der mit Generalmajor Zeisberg die Barrikade an der Marxer Linie genommen?«
Der Offizier verbeugte sich.
»Ich gratuliere, Herr Kapitän-Leutnant! Ihre Freiwilligen sollen nicht vergessen werden.«
Der junge Offizier, von der Glut freudigen Stolzes übergossen, verbeugte sich nochmals. »Darf ich Euer Durchlaucht mir zu bemerken erlauben, daß die Ehre uns nicht allein gebührt. Wir wurden tapfer von jenen dort unterstützt.«
Seine Hand wies leicht hinüber nach der Gruppe der Rotmäntel.
»Ah! die Seressaner! Ich habe die Rapports erst flüchtig gelesen, aber ich erinnere mich! Das also sind die Zwölf?«
»General Zeisberg hat sie beschenkt und läßt sie auf seine Kosten bewirten. Er verdankt ihnen das Leben!«
Der Fürst trat einige Schritte näher zu der Gruppe der wilden Gestalten, die, jetzt von der Nähe des gefürchteten Oberfeldherrn unterrichtet, in demütiger Haltung nebeneinander standen, von Zeit zu Zeit einen scheuen und neugierigen Blick auf den einfachen, militärischen Anzug werfend.
Die häßliche Fratze des Alten mit der frischen Narbe im Gesicht fiel dem Fürsten auf, als er die rauhen wilden Gestalten eine nach der andern musterte. Er hob lächelnd und drohend den Finger.
»Ich sehe, Euer General hat für Euch gesorgt, Kinder, und hoffe, daß das Getränk gut ist, sonst müßte ich selbst danach sehen, daß solche wackere Burschen nicht Not leiden!«
»Brennt wie Feuer, hochwohlgeborener Herr General-Feldmarschall, und läuft sich durch die Kehle wie Milch süßigte,« schmunzelte der alte Boghitschewitsch. »Belieben Euer Hochwohlgeboren Gnaden zu kosten? Marina, bring' ein Glaß frisches!«
Der Fürst lachte. »Ich danke, ich danke, mein Freund! Laß es gut sein!«
»Halten Euer Hochwohlgeboren zu Gnaden, giebt es nix Besseres für den Nebel und – wär's halt nit mal erstigte, daß Euer Hochwohlgeboren Gnaden nähmen Schluck von dem alten Boghitschewitsch!«
Der Feldmarschall war, auf seinen Säbel gestützt, vor dem alten verwitterten Burschen stehen geblieben, der wohl noch älter war, als er selbst, und noch immer betrachtete er aufmerksam und nachdenkend sein Gesicht.
»Wenn die Narbe nicht wäre, und vielleicht die Schrift der Jahre, meint' ich, ich müßte Dich kennen!«
Der alte Rotmantel grinzte vergnügt. »Der hochwohlgeborene General hat ein Gedächtnis sehr gutes, aber der Boghitschewitsch hat halt noch bessrigtes.« Er faßte die Medaille auf seinem schmierigen Rock. » Tessék! Belieben Sie! hab' ich den wohlgebornen Herrn Hauptmann doch herausgehauen in Frankreich, wo ich gekriegt Kaisers Medaille da!«
»Wahr, alter Bursche, wahr'. Jetzt kenn' ich Dich und danke Dir! Gieb mir die Hand!«
Der alte Seressaner wand und drehte sich verlegen wie ein junges Mädchen. »Ist so schmutzig, Gnaden General, schickt sich nicht für armen Kerl, wie ich.«
Der Fürst hielt ihm lächelnd noch immer die Hand hin. »Keine Umstände, Mann! Und dann laß mich Deinen Branntwein kosten! Es hat mir kein Wein an der kaiserlichen Tafel so gut wieder gemundet, als damals der Trunk aus Deiner Feldflasche nach der Höllenarbeit von Barcissur-Aube!«
Das jüngste der Seressaner-Mädchen, die Kumria, stand bereits hinter ihm, auf dem Blechteller ein Glas mit rotem Wein und ein anderes mit Slibovitza gefüllt, und knixte, wie sie es von den Deutschen gesehen; aber die alte Hexe, ihre Großmutter, zog sie bei den langen Zöpfen zurück und bedrohte sie, trotz allen Respekts vor der Durchlaucht, mit der langen eisernen Gabel, die sie als Szepter an den Pfannen schwang.
»Schau mir einer den Balg! Weißt nix, wie man spricht mit vornehmigten Herren und bist nit dabei gewesen, wie die Großmutter Deinigte mit dem Boghitschewitsch in Frankreich. War ein schmuckes Weibel damals noch, Exzellenz Gnaden General, und hab' dem Herrn geschmort mehr als einen Kollacz.«
»Aber heute nicht mehr. Alte,« sagte heiter der Fürst. »Unsere Zeit ist vorbei und die Jugend an der Reihe. Dies für Dich!« Er nahm das Glas Slibovitza von dem Teller der jungen Seressanerin und warf zwei Dukaten darauf. »Auf Deine Gesundheit, alter Kamerad, und daß Du noch lange Dein Zivio! rufst!«
Die Seressaner klatschten in die Hände und lachten, als sie den eignen Schlachtruf aus dem Munde des Feldherrn hörten.
Der Fürst machte dem kurzen Intermezzo ein Ende. »Der Kaiser bewilligt Dir die goldene Medaille, mein Alter, statt Deiner silbernen,« sagte er wieder ernster. »Du wirst diese dem Deiner Kameraden geben, der das Beste bei dem Sturm der Barrikade gethan!«
»Euer Gnaden Hochwohlgeboren,« sagte der Seressaner, weiß ich keinen, der gethan besseres, als der Bursch da!«
Er winkte seinen Kameraden zurückzutreten, und der Fürst sah erstaunt, halb noch von dem roten Mantel umhüllt, einen Knaben auf der Erde sitzen, der ebenso verwundert um sich schaute und sich noch halb schlaftrunken die Augen rieb.
»Wird sich werden ein guter Soldat, Hochwohlgeborne Gnaden,« sagte der Seressaner, wohlgefällig den Knaben auf den Kopf tätschelnd. »Hat sich erschossen er ganz allein drei von des Kaisers verflüchtigten Feinden und dabei den Hund, der gerade gezielt auf Exzellenz General. Steh' auf, Söhnchen, fürcht' Dich nit und präsentier' Dich Seiner Gnaden, dem fürstlichen Herrn!«
Der Knabe sprang rasch empor, alle Schlaftrunkenheit war im Nu verschwunden.
Obschon er den Feldmarschall nur in der Ferne gesehen hatte, erkannte er aus der Ehrerbietung, die alle dem Mann in der einfachen Interims-Uniform zollten, und der leise geflüsterten Worten, daß er vor ihm stand.
Es war ein Knabe voll etwa fünfzehn Jahren mit frischem, aufgewecktem Gesicht. Die dunkelblauen Augen unter der freien Stirn, die bereits feste, edle Form seiner Züge verkündeten Entschlossenheit und Selbstvertrauen über seine Jahre hinaus. Er trug den einfachen schwarzen Uniformrock der preussischen Kadetten und hielt das Mützchen mit der schwarz-weißen Kokarde bescheiden in der Hand.
»Potztausend!« sagte verwundert der Fürst, »das ist ja eine preußische Uniform! Wie kommt die unter meine Rotmäntel? Oder ist das vielleicht die versprochene Hilfsarmee der Berliner Demokraten?« Adresse der Berliner Demokratie an die Wiener vom 18. Oktober 1848.
Das Gesicht des Knaben färbte sich mit der Röte der Scham und des Unwillens. »Ich bin kein Demokrat, Herr Feldmarschall!« sagte er trotzig.
»Und wer sind wir denn?«
»Ich bin ein Preuße!«
»Das seh' ich. Wenn ich nicht irre, ist das die Uniform der preußischen Kadetten. Wie heißen Sie?«
» Otto von Röbel!«
»Sind Sie Kadett?«
Der Knabe zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann sagte er entschlossen: »Es ist die Uniform meines Bruders aus der Zeit, da er im Kadettenhause war.«
»Wie kommen Sie also da hinein und hierher?«
»Ich will als Freiwilliger gegen die Rebellen dienen!«
»Was soll das heißen?«
»Die Revolutionäre in Berlin haben am 18. März meinen ältesten Bruder erschossen, der Offizier war. An seiner Leiche hat mich mein Vater zum Kämpfer des Königtums von Gottes Gnaden und zum Feinde der Revolution geweiht.«
»Ihr Herr Vater kann doch nicht so thöricht gewesen sein, ein Kind in den Bürgerkrieg eines fremden Landes zu schicken?«
»Mein Vater weiß nicht, daß ich hier bin.«
»So sind Sie entlaufen?«
Das Geständnis war so naiv, daß der alte Krieger unwillkürlich lächeln mußte.
»Durchlaucht,« sagte der Knabe treuherzig, »schicken Sie mich nicht fort, bis Sie Wien dem Kaiser erobert haben. Ich bin zwar noch sehr jung, aber ich treffe ganz gut mit meiner Flinte. Ich habe es einmal im Stillen geschworen, wo ich höre, daß die schändlichen Demokraten sich gegen ihren König empört haben, den treuen Soldaten beizustehen, und bei uns haben die Spießbürger keine Courage mehr, seit der alte Wrangel die Sache in die Hand genommen. Da bin ich Ihnen zu Hilfe gekommen. Ein Röbel muß sein Wort halten.«
Das Gesicht des Fürsten verzog sich zu einem freundlichen Lächeln. »Du hast ein braves Herz, mein Kind,« sagte er, »aber Dein Vater und Deine Mutter werden sich um Dich ängstigen. Es ist meine Pflicht, Deine Übereilung wieder gut zu machen. Ich werde Befehl geben, daß Du sicher nach Berlin zurückgelangst.«
Dem Knaben standen die Thränen in den Augen. »O, gnädiger Herr, Sie behandeln mich wie ein Kind, und ich möchte doch so gern Soldat sein!«
»Du wirst es werden, mein Sohn, Du hast ganz das Zeug dazu; ich wünsche Deinem edlen König viele solcher Reiser, wie Du, dann wird er Berlin nicht mehr zu verlassen brauchen. Kapitän-Leutnant Ziellach, wissen Sie etwas von dem jungen Menschen?«
Der Jägeroffizier trat vor. »Zu Eurer Durchlaucht Befehl. Es ist richtig, was der Seressaner gesagt, er war mit bei dem Kampf um die Barrikade, und ich sah ihn vorspringen und seine Flinte einem Legionär ins Gesicht schießen, der eben auf General Zeisberg angelegt. Se. Exzellenz hat versprochen, weiter für den Burschen zu sorgen und ihn auf sein Bitten den Seressanern anvertraut, mit denen er gefochten.«
»Dann ist es etwas anderes, und ich will Zeisberg nicht vorgreifen. Sie mögen bei uns bleiben, junger Mensch; wenn es Ihr Wunsch ist, werde ich, sobald wir in der Stadt sind, sorgen, daß Sie in die Militär-Akademie eintreten können.«
»Ich bin ein Preuße und kann nur preußischer Soldat werden.«
»Das ist brav! Dann mögen Sie von Wien zurückkehren. Sind Sie mit Geld versehen?«
Die Thränen in den Augen des Knaben waren so rasch verschwunden, als sie gekommen, und er holte aus seiner Rocktasche eine kleine blecherne Sparbüchse, die er munter schüttelte. »Ich habe noch fünfundzwanzig blanke Thaler und zwei Goldstücke,« sagte er hastig.
»Ei, das ist mehr, als mancher Bataillons-Kommandeur in diesem Augenblick im Beutel hat. Das Silber ist bei uns ziemlich rar. Adieu, mein Kleiner, und melden Sie sich vor Ihrer Rückkehr noch bei mir, ich habe Ihnen einen Gruß an Ihren Herrn Vater mitzugeben, der so wackere Söhne hat! Haben die Wiener Sie während der Schlacht auf dieser Seite belästigt?«
»Die Geschütze am Kärntner Thorwall haben wiederholt gefeuert, von den Barrikaden der Favoritenstraße ist mehrfach auf unsern Posten geschossen worden.«
»Das muß bestraft werden. Benachrichtigen Sie General Karger, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«
Der Adjutant entfernte sich eilig in der Richtung nach dem Belvedere. Der Feldmarschall nahm auf einem Feldstuhl am Feuer Platz und wärmte Hände und Füße an der lodernden Flamme, während die Offiziere ehrerbietig um ihn her standen.
»Die Rebellen haben doch keinen Ausfall versucht?«
»Man begnügte sich mit dem Feuern.«
»Keine Überläufer mit Nachrichten aus der Stadt?«
»Nein, Durchlaucht, die Posten hatten Befehl, nur Frauen und Kinder durchzulassen und alle Männer zurückzuweisen. Nur ein Gefangener …«
»Was?«
»Zwei Personen, in der Kleidung von Landleuten, versuchten sich am Vormittag im Nebel durch die Posten zu schleichen. Die eine wurde ergriffen, die andere, wahrscheinlich ein Bauer, der als Führer diente, entkam. Der Gefangene scheint ein Ungar zu sein, wie er behauptet, ein Bauer von jenseit der Leitha, der vor zehn Tagen Korn nach Men gebracht haben und dort mit seinem Knecht zurückgehalten sein will.«
»Was ist mit ihm geschehen?«
»Man hat ihn einstweilen dort in die Eremitage gesperrt, damit der Bursche keine Nachrichten zum Feinde bringen könnte.«
Ein Offizier trat in den Kreis und blieb salutierend vor dem Fürsten stehen.
»Offizier der Feldwache!«
»Ihr Name?«
»Hauptmann Odelga.«
»Wo stehen Ihre letzten Posten?«
»An der Karlskirche!«
»Alles in Ordnung?«
»Zu Befehl, Durchlaucht – doch,« er trat einen Schritt vor, »ich habe eine besondere Meldung zu machen.«
»Treten Sie zurück, meine Herren,« sagte der Oberbefehlshaber mit einer bezeichnenden Handbewegung. »Jetzt sprechen Sie!«
»Bei dem Posten am Ende der Heugasse hat sich ein Mann gemeldet, der den kommandierenden General im geheimen zu sprechen verlangt. Ich kam dazu und habe ihn hierher gebracht.«
»Wo ist er?«
»Er befindet sich dort unten in Bewachung meines begleitenden Offiziers. Er fragt nach dem Banus oder General Zeisberg, und hat mir dies Zeichen ausgehändigt.«
Der Offizier übergab einen alten Kronenthaler, der an zwei Stellen, wie zum Durchziehen einer Schnur, durchbohrt war.
Der Fürst nahm das Geldstück und versuchte unter dem alten burgundischen Kreuz die Jahreszahl zu erkennen.
»Das Feuer ist zu entfernt – Ihre Augen sind jünger als die meinen. Sehen Sie zu, von wann das Gepräge?«
»1712!«
»Gut! So ist es einer unserer Freunde in Wien; nach dem Zeichen einer der thätigsten.« Er sah umher. »Ich will den Mann selbst sprechen. Lassen Sie ihn hierher kommen – es bedarf keiner Heimlichkeiten weiter, denn morgen ist Wien auf jeden Fall in unsern Händen!«
Der Hauptmann verbeugte und entfernte sich. Der Feldmarschall wandte sich nach den Gruppen der Offiziere. »Ich muß Sie bitten, meine Herren, mir noch einen Augenblick Ihren Platz zu überlassen, ich werde Sie nicht lange stören, denn ich weiß, wie nötig die Ruhe braven Soldaten ist.«
Das früher so muntere Gewühl hatte sich auf zwanzig, dreißig Schritt in den Schatten der Bäume zurückgezogen; dort standen die Offiziere und Soldaten in Gruppen und wagten nur sich flüsternd zu unterhalten.
Der Kapitän kehrte jetzt zurück, in seiner Begleitung befand sich ein Fremder. Der Mann war tief in den Mantel gehüllt, den er bis über die untere Hälfte des Gesichts gezogen; ein Hut mit breiter Krempe, in Art der Bauernhüte, verdeckte den obern Teil, den eine Brille noch unkenntlicher machte.
»Durchlaucht, hier ist der Mann.«
»Treten Sie zurück, Herr von Odelga, ich werde Sie rufen, wenn es nötig ist.«
»Durchlaucht …,« sagte zaudernd der Offizier.
»Was soll's?«
Der Fremde hatte sich mit der Sicherheit eines Mannes von der Welt vor dem Fürsten verneigt und wandte sich jetzt spöttisch zu dem Offizier. »Wenn Sie fürchten, daß ich Waffen bei mir habe, so bitte ich, mich zu untersuchen.«
»Thorheit, Odelga! Lassen Sie mich mit dem Herrn allein!«
Der Fürst betrachtete mit festem Blick einige Momente den Fremden. Sein Gesicht hatte wieder all die starre Ruhe gewonnen, die der Auftritt mit dem Knaben einem freundlicheren Ausdruck hatte Platz machen lassen.
»Nach dem Zeichen, das mir zugestellt worden, sind Sie einer der Unseren und haben uns bereits einige Dienste geleistet. Ihr Name?«
»Entschuldigen mich Durchlaucht, ich wünsche ihn vorläufig nicht zu nennen.«
»Wie Sie wollen. Sie scheinen den Vorteil zu haben, daß Sie mich kennen, ich aber nicht Sie. Was bringen Sie?«
»Euer Durchlaucht werden sich erinnern, daß General Zeisberg seit acht Tagen dreimal ausführliche Berichte über die Vorgänge in Wien und in der Nacht zum Sonnabend den Plan der Barrikaden und die genaue Disposition der Streitkräfte der Rebellen erhalten hat!«
»Unter welcher Chiffre?«
» G. T. mit zwei Kreuzen.«
»Es ist richtig – ich wußte, daß General Zeisberg einen trefflichen Spion in Wien hatte.«
»Es kommt nichts auf den Namen an, Durchlaucht. Sie werden sich überzeugen, daß, was ich gethan, nicht um Gewinn, sondern aus Patriotismus geschehen ist, wie sehr meine Stellung in Wien mich und meine Gesinnungsgenossen auch verdächtigen mag.«
»Jene Berichte sind von Ihnen?«
»Ja, Durchlaucht. Ich bin mit der Deputation aus der Stadt gekommen, die Sie in Hetzendorf erwartet.«
»Wie will man den schändlichen Treubruch entschuldigen?«
»Man wird es versuchen mit der Macht der Radikalen und die besten Versprechungen geben. Aber man wird morgen Ihre Truppen wie heute mit Kartätschenschüssen empfangen.«
»Können Sie mir berichten, was heute in der Stadt vorgegangen? Ich habe die Unterschrift des Komrnandierenden unter der Kapitulation, die man so schändlich gebrochen hat.«
Der Fremde lachte spöttisch. »Ein Blatt im Wind; Messenhauser ist ein willenloses Werkzeug in den Händen der Radikalen. Man hat ihn mit dem Pistol auf der Brust gezwungen, abzudanken.«
»Wann? Vor oder nach dem Bruch der Kapitulation?«
» Nach demselben.«
»Das ist sein Todesurteil! Berichten Sie!«
»Eure Durchlaucht wissen, daß trotz des Widerspruchs der Aula und der Mobilen die Waffenablieferungen der Kapitulation gemäß gestern begonnen haben. Sie dauerten heut Morgen noch fort. Aber schon während der Nacht war dem Klub im Igel die Nachricht zugegangen, daß die Ungarn am Morgen angreifen würden, und die Führer drangen darauf, die Ablieferung der Waffen einzustellen und durch einen Ausfall die Ungarn zu unterstützen.«
Der Fürst zuckte die Achseln. »Schade, daß es nicht geschehen ist! Es hätte die Sache mit einem Schlage beendet.«
»Pulzsky und die ungarischen Agenten sorgten dafür, daß die Mobilen und die Legionäre von vornherein die Abgabe ihrer Waffen verweigerten, Messenhauser befand sich während des ganzen Vormittags auf dem Turm, um den Gang des Treffens zu beobachten. Der Centralausschuß der demokratischen Vereine im Igel Eine bekannte Restauration am Wildbretmarkt. beschloß seine Absetzung.«
»Ich habe von dem Nest gehört. Bezeichnen Sie die Führer näher.«
»Fröbel und Blum, die Reichstagsdeputierten, Doktor Becher und Jellinek, Hauck, der Kommandeur des Elite-Korps, Fenneberg mit seinem Weibe, Schütte, der auf den Kopf Eurer Durchlaucht einen Preis von 100 Dukaten gesetzt hat, Pulszky und der Graf Batthyáni.«
»Sie vergessen einen!«
»Der wäre?«
»Einen der Führer der Legion, den Doktor Lazare. Er wird als einer der gefährlichsten bezeichnet.«
»Ich sehe, Euer Durchlaucht sind vortrefflich unterrichtet.« In dem Ton der Worte lag ein leiser Spott.
»Weiter! Wir haben bemerkt, daß vom Stephansturm Raketen und andere Signale mit dem Feinde gewechselt wurden. Von wem ging das aus?«
»Messenhauser selbst leitete die Sache. Er wollte anfangs Widerstand leisten, aber die Drohungen der Führer, die sich oben versammelt, machten ihn bald andern Sinnes. Man forderte mit dem Pistol in der Hand den Wiederbeginn des Kampfes oder seine Abdankung. Der Nebel verhinderte, den Gang der Schlacht zu erkennen. Um elf Uhr warf der Ober-Kommandant einen Zettel vom Turm, der sofort gedruckt und verbreitet wurde. Hier ist ein Exemplar. Er gab die erste Gewißheit von dem Angriff der Ungarn, an dem noch viele zweifelten.«
Der Fürst nahm das verhängnisvolle Papier und las es.
»Der Centralausschuß hatte seine Mittel in Bereitschaft, die voraus gedruckten Plakate wurden überall angeschlagen und forderten zur Bewaffnung und zum Kampf auf; Haufen bewaffneter Arbeiter und toller Weiber durchtobten die Straßen, die Gerüchte jagten sich. Um ein Uhr und eine Stunde später kamen weitere Nachrichten vom Turm in die Druckerei; hier sind sie! Messenhauser selbst fordert darin zur Wiederbewaffnung auf; der letzte Zettel von 3½ Uhr befahl, alle früheren Stellungen und Posten wieder zu besetzen und Reserven bereit zu halten. Infolgedessen hat das Feuer auf die Truppen wieder begonnen. Abeles sollte von den Wieden aus einen Angriff gegen ihre Stellung leiten, aber die Führer der Vorstadtgarden weigerten sich. Dann kam die Gewißheit der Niederlage der Ungarn und Herr Messenhauser verlor die Courage.«
»Man hat noch am späten Abend Feuer-Signale vom Turm gesehen.«
»Sie waren auf Täuschung der Bevölkerung berechnet. Um sechs Uhr wurde Messenhauser gezwungen, abzudanken. Hauck mit seinen wilden Kompagnieen hatte den Turm besetzt und drohte alles zu ermorden – der ganze Platz war von den Mobilen bedeckt, Becher und Löbenstein setzten ihm das Bajonett auf die Brust und drohten ihn vom Turm zu werfen, wenn er sich weigerte. Er dankte ab, Fenneberg wurde zum Ober-Kommandanten proklamiert und gab sofort die Befehle zum Kampf für morgen.«
»Aber die Deputation, die so eben im Hauptquartier war, wenn ich nicht irre, ein Doktor Kubenik darunter hat erklärt, daß sie im Namen des Gemeinderats und Messenhausers käme.«
»Er hat eine Stunde darauf das Kommando wieder übernommen, da die Bürger die Herrschaft des Pöbels unter Fenneberg fürchten. Die größte Verwirrung herrscht in der Stadt, aber die Radikalen sind zum äußersten Widerstand entschlossen und halten die Thore besetzt. Der Pöbel mißhandelt jeden, der von Übergabe spricht. Man wird morgen neue Unterhandlungen anknüpfen lassen und den Truppen scheinbar das rote Turm-Thor und das Stuben-Thor öffnen, aber bei dem Einmarsch in den engen Straßen über sie herfallen und einen Kampf auf Leben und Tod wagen. Zugleich wird die Hofburg angezündet und mit allen Kunstschätzen zerstört werden, die kaiserliche Gruft wird demoliert und an die öffentlichen Gebäude Feuer gelegt.«
»Das ist schändlich! abscheulich! Das darf nicht geschehen! Ich kann es nicht glauben! Sie übertreiben!«
»Ich habe Euer Durchlaucht als Ohrenzeuge die Beschlüsse gemeldet, die von dem Komitee im Igel gefaßt worden sind. Euer Durchlaucht sind gewarnt.
Der Fürst sann einen Augenblick nach. »Wissen Sie ein Mittel, um dieses Unglück und diese Schmach zu verhüten?« fragte er. »Ich gebe Ihnen mein fürstliches Wort, daß Sie mich zu jedem Dank bereit finden sollen.«
»Ich verlange nichts, als daß Euer Durchlaucht anerkennen, daß ich, was ich thue, aus Liebe für das kaiserliche Haus und die gute Sache gethan. Wenn der Schein gegen mich ist, und ich meine patriotische Thätigkeit im Schleier des Geheimnisses verbergen muß, so habe ich wichtige Gründe dafür.«
»Seien Sie dessen versichert! Wer Sie auch sein mögen, ich werde es anerkennen, und Sie dürfen auf meinen Schutz rechnen, wann und wo Sie ihn in Anspruch nehmen. Jetzt reden Sie!«
»Ich rate Euer Durchlaucht, zwar die Truppen vor den anderen Thoren zum Einmarsch bereit zu halten, aber das Kärntner Thor und das kleine Burgthor als Angriffspunkt zu wählen. Das letztere wird am schwächsten besetzt sein, da man glaubt, hier der Burg wegen vor einer Beschießung sicher zu sein. Die Truppen müssen zum schleunigen Angriff fertig sein, während man sie unbesorgt glaubt.«
»Der Wink ist gut. Jetzt noch eins. Haben Sie Gelegenheit, die in meinem Erlaß an die Wiener bezeichneten Verräter und Führer dieser schändlichen Rebellion in meine Hände zu liefern?«
»Ich werde sie wenigstens nach Kräften überwachen, aber es sind nicht mehr alle in der Stadt.«
»Wie? – Bem?«
»Ich sah ihn noch vor zwei Stunden. Auch die Deutschen sind noch da, sie glauben sich unverletzlich in ihrer Eigenschaft als Deputierte des Frankfurter Parlaments.«
»Der Teufel hole den demokratischen Firlefanz! Ich werde diesem Herrn Blum und Konsorten zeigen, was ich von ihrem Parlament halte.«
»Doktor Schütte hat ein Versteck gefunden, oder ist bereits entkommen; ich habe den Schwätzer seit mehreren Stunden nicht gesehen.«
»Mag er zum Henker gehen. Aber Pulszky – er ist die Seele von allem!«
»Der Staatssekretär, Durchlaucht, hat Wien schon heute Vormittag verkleidet verlassen, um sich zur ungarischen Armee zu begeben.«
Der Feldmarschall erhob sich rasch. »Das ist nicht möglich! Wien ist rings von meinen Truppen cerniert.«
»Dennoch muß es ihm gelungen sein, denn er ist mit seinem Begleiter, dem Grafen Stephan Batthyányi, der eben so gefährlich oder noch gefährlicher ist, wie er selbst, nicht nach der Stadt zurückgekehrt.«
»Und Sie sagen, daß Pulszky verkleidet versucht hat, durch die Cernierungslinie zu entkommen?«
»Ja, Durchlaucht, ich sah ihn selbst am Kärntner Thor. Er trug Hut, Rock und Peitsche eines Bauern aus der Leitha-Gegend.«
»Dann haben wir ihn! Hauptmann Odelga!«
Der Offizier trat auf den Ruf sofort näher.
»Lassen Sie sogleich den Gefangenen aus dem Pavillon hierher bringen. Ah, da sind Sie ja! gut, daß Sie kommen, ich habe mit Ihnen zu reden.«
Die Worte galten den Generalen Krieger und Karger und dem Feldmarschall-Leutnant Hartlieb, die mit ihrer Begleitung eiligst vom Belvedere her kamen, nachdem sie die Anwesenheit des Feldmarschalls erfahren hatten.
»Einen Augenblick, mein Herr, ich bin noch nicht fertig mit Ihnen. Kommen Sie hierher, meine Herren.«
Die Generale traten dem Oberstkommandierenden näher.
»Die Nachrichten, die ich soeben empfangen und die unzweifelhaft richtig sind, machen eine andere Disposition nötig. Sie, Herr Feldmarschall-Leutnant, werden bei Anbruch des Tages Ihre linke Flanke gegen die Wieden ausdehnen und die Übergänge über den Wienfluß besetzen, die Brigade Jablonowski nimmt die Belvedere-, Favoriten- und Matzleindorfer Linie, die Brigade Colloredo die Gumpendorfer und Hundsturmer Linie. Das Hauptquartier wird auf die Straße nach Himberg, an der Favoriten-Linie, verlegt, dahin senden Sie alle Meldungen. Um zehn Uhr rücken Sie in die Vorstädte ein und gehen langsam bis zum Glacis mit den Avantgarden vor. Gegen das Burgthor und Kärntner Thor werden in der Stille starke Sturm-Kolonnen gebildet, die aber in den Seitenstraßen zurückgehalten werden müssen und von den Wällen aus nicht gesehen werden dürfen. Ebenso postieren Sie die Artillerie verdeckt, aber zur augenblicklichen Verwendung bereit, hinter die Ingenieurschule oder die Stallungen Zwölfpfünder. Die Vorstädte werden möglichst in aller Ruhe entwaffnet; sobald es gelungen, die Posten bis an das Glacis vorzuschieben, darf niemand aus den Vorstädten mehr nach der Stadt gelassen werden.«
Die Generale verbeugten sich.
»Um zwölf Uhr erwarte ich Sie im Hauptquartier, meine Herren, sorgen Sie dafür, daß die Truppen bis morgen früh acht Uhr möglichste Ruhe haben, sie sind erschöpft, und es ist möglich, daß es morgen noch harte Arbeit giebt. Ah, da kommt der Herr Unterstaatssekretär.«
Der feste Tritt eines Kommandos ließ sich hören, zwölf Mann unter Begleitung des Leutnants der Feldwache führten den Gefangenen herbei, der stolz und aufrecht in ihrer Mitte ging.
Der Gefangene trug, wie der Spion angegeben, den Rock der Landleute an der ungarischen Grenze und den breitkrempigen, das Gesicht verdeckenden Hut. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden, aber seine Haltung wie gesagt, fest und ruhig. Die Wache ließ ihn vier Schritt vor der Gruppe der Generale Halt machen.
»Sie sind heute Morgen ergriffen worden, als Sie sich durch die Vorposten der kaiserlichen Armee schleichen wollten?« fragte der Fürst mit ernstem Ton.
»Ich war auf dem Weg nach meiner Heimat; ich kenne kein Verbot, mich dahin zu begeben oder Wien zu verlassen.«
»Wien ist im Belagerungszustand. Sie sind ein Ungar?«
»Ja!«
»Ihr Name?«
Der Gefangene schwieg.
»Ich bin der Oberstkommandierende, Fürst Windischgrätz, und weiß, daß Sie kein Landmann und diese Kleider nur Maske sind.«
»Ich habe die Ehre, Eure Durchlaucht zu kennen.«
»Ich glaube, in dem gleichen Fall mit Ihnen zu sein. Sie sind der ehemalige Unter-Staatssekretär des Königreichs Ungarn, Herr von Pulszky?«
»Euer Durchlaucht irren!«
»Nehmen Sie dem Herrn den Hut ab.«
Der Leutnant erfüllte den Befehl; man sah ein edles, kühnes, noch jugendliches Gesicht von echt magyarischem Schnitt.
Ein leiser Ruf des Erstaunens ließ sich aus der Menge hören, die sich bei dem Verhör nach und nach wieder näher gedrängt.
»Das ist nicht Herr von Pulszky,« sagte der Fürst verdrießlich, »dieser Mann ist mindestens zehn Jahre jünger.«
»Ich habe es Euer Durchlaucht gesagt.«
»Aber Sie sind eben so wenig ein Bauer, für den Sie sich ausgeben. Ihren Namen, Herr!«
»Dieser Herr scheint das Gedächtnis verloren zu haben, aber ich kann ihm zur Hilfe kommen,« sagte eine helle, schneidende Stimme hinter dein Gefangenen. »Es ist der Graf Stephan Batthyányi, der Neffe und Bote des Anführers der ungarischen Rebellion und selbst ein Führer der Wiener Rebellen bei dem Sturm der Zeughäuser in der Nacht zum Siebenten.«
Die Blicke der Versammlung hatten sich auf den Sprecher gewendet, es war der verhüllte Fremde, der außer dem Lichtkreis des Feuers im Schatten stand.
Auch der Graf – denn es war in der That der Geliebte der schönen Gräfin Apponyi – hatte sich umgedreht und warf auf den Spion einen scharfen, verächtlichen Blick. Die Stimme desselben hatte ihm bekannt geklungen, aber der Schein des Feuers war zu gering, die Vermummung zu dicht, als daß er ihn zu erkennen vermocht hätte.
»Sind Sie die Person, als welche man Sie so bezeichnet hat?«
»Euer Durchlaucht haben es gehört!«
»So war Ihr Gefährte bei der Flucht aus der Stadt, den man so unvorsichtig hat entkommen lassen, der Verräter Pulszky?«
Der Graf schwieg.
»Verdammt! Es thut mir leid, daß er entwischt. Ich hoffe jedoch, er wird nachträglich Ihr Schicksal teilen.«
»Durchlaucht,« sagte der junge Graf mit fester Stimme, »ich bin Offizier der ungarischen Armee und als solcher Ihr Kriegsgefangener.«
»Sie irren, mein Herr. Ein Hochverräter hat keinen Anspruch auf die Rechte eines ehrlichen Soldaten.«
Der junge Mann verlor einen Augenblick lang die Farbe bei diesem strengen und ruhigen Ausspruch dessen, von dem er fühlte, daß er über sein Leben zu entscheiden hatte.
»Wenn Euer Durchlaucht meinen Anspruch als ungarischer Offizier nicht gelten lassen wollen,« sagte er endlich mit möglichster Fassung, »so kenne ich doch kein Gesetz, das mir als Privatmann verbietet, nach Wien zu gehen, oder es zu verlassen. Ich habe nie in der kaiserlichen Armee gedient.«
»Darüber zu entscheiden wird Sache des Kriegsgerichts sein,« sprach der Feldmarschall kalt. »Ist dieser Herr bei seiner Verhaftung bewaffnet gewesen oder nicht?«
»Man hat ein paar Doppelterzerole bei ihm gefunden,« berichtete der Offizier der Wache.
Sie sehen, welches Schicksal Sie erwartet. Wien ist in Belagerungszustand, wer mit den Waffen in der Hand ergriffen wird, ist dem Standrecht verfallen. General Karger!
»Euer Durchlaucht!«
»Sie werden morgen früh acht Uhr ein Kriegsgericht versammeln und über diesen Herrn entscheiden. Das Urteil des Gerichts muß zur Stelle vollstreckt werden, bevor Sie ausrücken.«
Der General verneigte sich.
»Adieu, mein Herr! und wenden Sie die kurze Frist, die Ihnen in diesem Leben noch übrig ist, dazu an, zu bereuen. – Führen Sie den Gefangenen zurück.«
Graf Stephan biß auf seine Lippe, um jedes Wort des Widerspruchs oder der Bitte zu unterdrücken; ein Blick auf das ruhig feste Gesicht belehrte ihn, daß es doch vergeblich sein würde.
In der Mitte seiner Wachen verließ er den Kreis.
Der Fürst sprach einige Augenblicke mit den Generalen, dann verabschiedete er sie.
»Wo ist der fremde Herr geblieben? Ich habe mit ihm noch zu sprechen!«
Der Fremde drängte sich durch die Umgebung. »Ich stehe zu Ihrem Befehl, Durchlaucht!«
In den wenigen Augenblicken hatte jedoch ein inhaltschweres Zwischenspiel stattgefunden.
Als der junge Ungar von seiner Wache hinweggeführt wurde, folgte ihm der Fremde, bis sie aus der Umgebung des Fürsten gelangt waren. Dann trat er zu ihm. »Sie müssen doch wissen, Graf Stephan, wem Sie morgen den Strick verdanken,« sagte er höhnisch. »Der Schlag auf der Gumpendorfer Barrikade hat seine Revanche.«
»Verräter! Ich dachte es fast!«
Der Fremde ließ einen Augenblick den Kragen seines Mantels fallen, sein blasses Gesicht zeigte den Hohn eines Teufels, die matten Augen funkelten in hämischem Triumph.
»Viel Vergnügen, Herr Graf, mit der hänfenen Braut! Zum drittenmal werden Sie mir nicht mehr in den Weg kommen.«
Eine Bewegung, ein Laut aus dem nahen Buschwerk ließ den Spion schnell wieder den verhüllenden Mantel emporschlagen. »Wenn sie dem Kebsmann noch eine Bestellung an Ihre Cousine, die Gräfin Martha, zu geben haben,« sagte er, »so beeilen Sie sich. Sonst Gott befohlen! Das, Herr Graf, ist meine Art des Duells!«
»Doppelter Schurke!«
Der Jude lachte höhnisch auf, drehte sich um und ging zu dem Kreis um das Feuer zurück.
Hinter der Taxushecke, die sie verborgen, traten zwei dunkle Gestalten hervor, der alte Mann in der Tirolertracht mit der Bunda und der junge Slowak.
»Hast's g'schaut, Sohn?« fragte der Tiroler.
»Er war es, so wahr mir Gott helfe! Wenn sie's drin in Wien wüßten, hängten sie ihn an den ersten Laternenpfahl. – Vater Haspinger,« sagte der junge Mann nach kurzem Bedenken, »mir ist's schon lang im Kopf umher gegangen, ob der da nicht bei dem Verschwinden der Nand'l die Hand im Spiel gehabt, jetzt glaub' ich den Schurken zu allem fähig. Lassen Sie mich ihm folgen und ihn nicht aus den Augen verlieren!«
»Und der junge Graf?«
»Möge Gott ihm helfen in seiner letzten Stunde!«
»Pfui, Bursch! Es soll keiner hinwerden wie a Dieb, der dem alten Haspinger geholfen in der Not, wenn der es verhindern kann. Als der feine Herr uns an dem schlimmen Morgen aus den Händen von dem Ruechenvolk befreit, das der sirige Mensch af uns gehetzt und selber all's gethan, so a raschoniger Herr, das arme Maidli uns suchen zu helfen, hat er nit g'fragt, ob er sich a Feind g'macht in dem schlimmen Gesell. Hab's a gar gut geschaut, daß er nit leiden wollt, daß der Dörfer af mi schießen thät mit dem Handbüchseri damals in der Nacht.«
»Was wollen Sie thun, Vater Haspinger? Die Gelegenheit kehrt mir vielleicht nie so wieder, ihn zu belauern!«
»'s ist recht – aber einer von uns muß dem Herrn Hilf leisten, damit er a Freund hat in der Not!«
Der junge Mann überlegte schnell, auf welcher Seite die größte Gefahr. Die Erinnerungen der Heimat kamen hinzu; als Knabe hatte er den jungen Grafen oft auf dem Schoß seines Herrn gesehen und ihm zum Spielgefährten gedient – damals, als er noch rein war.
»Hier können Sie nicht helfen, Vater Haspinger, Sie verstehen ihre Sprache nicht. Ich werde mein Leben daran setzen, ihn zu befreien, aber Sie müssen der Sache fremd bleiben.«
»Bist a brave Haut,« sagte der alte Mann und drückte ihm die Hand, »unser Herrgott wird Dir halt a Beistand g'währen. Wann's gelingt, sag' ihm, daß der alte Haspinger Di g'schickt hat. I geh' dem Dörfer nach in de Stadt zurück.«
»Unmöglich, Vater! Sie können ohne mich ein Unglück haben. Bleiben Sie hier, bis ich den Versuch gemacht.«
»Plausch ka dumm Zeug, Bursch! Der alte Haspinger hat so manche Gams auf dem Hochg'birg beschlichen und is ka Schußbartl, Unbesonnener Mensch. wann es gilt, das Einz'ge zu suchen, was ihm lieb noch af der Welt. I komm schon in die Stadt, ohne Dich! Gott wird mi schützen, und wann die Kaiserlichen morgen früh nach Wien kommen, findst mi wieder hinterm Stephan!«
Der Student sah, daß kein Widerspruch gelten würde, ohnehin drängte der Augenblick, wenn es nicht für beide Zwecke zu spät werden sollte. »So geh'n Sie mit Gott und thue jeder das Seine! Sie haben die Parole der Soldaten gehört?«
»Latour vorwärts!«
»Richtig. Nehmen Sie meinen Hut statt des Ihren; er ist weniger auffällig. Wenn Sie glücklich über die Posten hinaus sind, wird es nicht schwer sein, in die Stadt zu kommen. Gott sei mit Ihnen! so bald als möglich, folge ich Ihnen. Jetzt lassen Sie uns zusehen, ob unser Mann noch dort ist.«
Sie kehrten in die Nähe des Feuers zurück; ein Blick belehrte sie, daß der Fürst eben wieder mit dem Fremden sprach. »Wie werden Sie in die Stadt zurückgelangen?«
»Sobald ich über Euer Durchlaucht Vorposten hinaus bin, ist das ein leichtes. Aus Wieden, Mariahilf und St. Ulrich flüchten fortwährend Personen in die Stadt, wo sie vor den Kroaten sicher zu sein glauben. Ich kommandiere in diesem Augenblick selbst die Wache am Burgthor.«
»Wie haben Sie sich denn entfernen können?«
»In Begleitung der Deputation, die ins Hauptquartier gegangen ist. Es ist nichts leichter, als einen Vorwand zu finden, in die Vorstädte zu gehen.«
»So gehören Sie also selbst zu den Führern?«
»Es ist Zeit, mein Inkognito zu enden. Ich glaube. Eure Durchlaucht werden sich jetzt überzeugt haben, daß man mich mit Unrecht beschuldigt hat, ein Feind der guten Sache zu sein. Unter der Maske eines solchen habe ich ihr gedient, und General Zeisberg, der bis jetzt meine Berichte empfing, wird für mich bürgen. Wenn ich Euer Durchlaucht nicht offen entgegen getreten bin, so geschah es nur, um unter so vielen Personen nicht unnötig das Geheimnis preiszugeben.«
Er überreichte dem Fürsten eine Karte; der Feldmarschall machte eine unwillkürliche Bewegung des Staunens, als er den Namen las.
»Ich kann Ihnen nicht verhehlen, man hat Sie mir als eins der gefährlichsten Mitglieder der revolutionären Partei bezeichnet, mein Herr!«
»Ich hoffe Euer Durchlaucht Meinung berichtigt zu haben und durch fernere Dienste zu berichtigen.«
»Sie sind, wie ich gehört, der Vertraute der Gräfin Törkyeny, einer durch ihre exaltierten Meinungen berüchtigten ungarischen Dame.«
»Die Wohnung der Gräfin ist der Sammelplatz der Leiter des Aufstandes. Sie selbst hat mich zu dem Zweck der Mitteilung an die kaiserlichen Truppen von allen Plänen der Revolution in Kenntnis erhalten. Die Gräfin, Durchlaucht, ist früher schwer in ihren Rechten gekränkt worden, aber sie wünscht nichts mehr, als sich mit der Regierung zu versöhnen.«
Der Feldmarschall machte eine verächtliche Bewegung. »Treten Sie noch einen Augenblick zurück, mein Herr!«
Er besprach sich kurze Zeit mit den drei Generalen, dann winkte er dem Fremden, wieder näher zu kommen.
»Ich habe mich entschlossen, Ihnen zu trauen und Sie zu entlassen, Sie sollen Schutz und Vergessen des Vorgefallenen genießen und belohnt werden; merken Sie sich jedoch, daß ich Sie und Ihre Freunde zu finden wissen werde, wenn hinter Ihren Diensten ein Verrat lauert, denn – ich liebe die Verräter nicht! Hauptmann Odelga!«
Der Offizier trat vor.
»Geleiten Sie diesen Herrn über die Posten bis zu der Stelle, wo Sie ihn getroffen!«
Er nickte stolz mit dem Kopf, der Spion machte eine tiefe Verbeugung und folgte dem Offizier.
Sie kamen dicht an den beiden Männern vorüber, die bereits wie der Schweißhund auf seiner Fährte waren.
Der alte Tiroler hatte die Guba über seine Jacke gezogen und den breiten Ledergurt abgelegt. Da er bereits hohe Stiefel trug, die bis an die Kniehosen reichten, statt der früheren Schuhe, und den breitrandigen Hut des Slowaken aufgesetzt hatte, so setzte ihn seine Kleidung weniger der Aufmerksamkeit aus.
Der alte Mann drückte dem ehemaligen Studenten die Hand. »Behüt Di Gott! am Stephan treffen wir uns halt wieder!«
Er verlor sich zwischen den Gruppen.
Der Fürst war wieder zu Pferde gestiegen; er verbot den Generalen, die nach den ihren sandten, ihn zu begleiten, da seine Adjutanten am Ausgang der Heugasse ihn erwarteten, und nickte freundlich der alten Marketenderin zu. »Auf Wiedersehen, Mütterchen, in Wien! und haltet Mannszucht morgen, Kinder! Um Eure Tapferkeit bin ich nicht besorgt! Gott befohlen!«
Ein donnerndes »Es lebe der Kaiser!« begleitete, trotz der Abwehr, den Feldherrn. – – –
Es war zwei Stunden nach diesen Begebenheiten.
Um die Wachtfeuer her lagerten, in ihre Decken und Mäntel gehüllt, die vorhin so lebendigen Gruppen in tiefem Schlaf.
Auch die alte Bosniakin, die den Marketenderdienst bei dem Grenzer-Regiment verwaltete, lag neben dem halberloschenen Feuer in ihren langen zottigen Wollenmantel gehüllt, bereit, beim ersten Ton der Reveille wieder munter dabei zu sein, ihren »Kindern«, wie sie die Soldaten nannte, etwas Warmes zur Stärkung gegen die kalten Morgennebel und die Kugeln der Wiener zu kochen.
Die Nachtnebel schwebten über dem Boden, in ihrem Schleier verloren sich die Gestalten der Schlafenden, der Schein der Feuer und die entfernt auf und nieder wandelnden Schildwachen.
An dem Feuer dicht aneinander gehockt, saßen die beiden Mädchen mit einander flüsternd und von Zeit zu Zeit einen mißtrauischen, ärgerlichen Blick auf den jungen Slavonier werfend, der, ebenfalls noch wach, ihnen gegenübersaß und in seinen unruhigen Bewegungen erkennen ließ, daß sein Geist ungeduldig beschäftigt war.
Die Mädchen hatten einen kleinen Kessel an das Feuer gesetzt, in dem sie ein Getränk bereiteten. Sie schienen sich besprochen zu haben, denn die ältere wandte sich entschlossen zu dem jungen Mann.
»Warum legst Du Dich nicht aufs Ohr, Maczi Slowak, wie die andern thun? Ich will Dir noch einen Becher heißen Wein mit Gewürz reichen, und dann leg' Dich nieder und schlafe.«
»Ei, warum tlhut Ihr nicht das nämliche? Ich habe gehört, wie die Ancza, Eure Großmutter, Euch vor einer Stunde schon befohlen hat, in das Zelt zu kriechen und zur Ruhe zu gehen und dennoch sitzt Ihr hier.«
»Was kümmert's Dich? Wir haben mit einander zu reden und mögen nicht schlafen.«
»Dasselbe ist bei mir der Fall!«
»Höre mich an, Matthias,« sagte bittend die Jüngere. »Ich habe gesehen, daß Du ein gut Herz hast, denn Du pflegst den alten, wunderlichen Mann, Deinen Begleiter, wie ein Sohn. Wir haben etwas vor, und Du störst uns darin! Thu uns den Gefallen und leg' Dich schlafen!«
»Ihr stört mich selbst!«
Das Mädchen trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter. »Wohnt in dem Herzen der Dirnen auf den weiten Pußtas des Ungarlandes nicht so gut die Liebe, als in der Brust eines Kroatenmädchens?«
»Mein Kind, Gott hat die Liebe in die Herzen aller Menschen gelegt, welchem Volk sie auch angehören mögen!«
»Ich wußte es, daß Du mich verstehen würdest, denn Du sprichst so eigen und schön, schöner noch, wie die blanken Offiziere, obschon Du eine grobe Guba trägst, und ein armer Slowak bist. Darum will ich Dir vertrauen. Kennst Du den Illés?«
»Nein!«
»Schau, er ist mein Liebster, wenn's auch der Vater nicht leiden will und ich nur heimlich mit ihm sprechen darf, wenn Vater und Großvater schlafen. Er ist auf Posten in dieser Nacht und … und ich wollte zu ihm gehen und ihm und dem armen blanken Herrn, der morgen sterben soll, den warmen Wein zur Stärkung bringen.«
Der Student schaute, aufmerksamer geworden, empor. »Wen meinst Du mit dem blanken Herrn?« fragte er.
»Ei, wen sonst, als den schmucken Magnaten, den die Grenzer gefangen, und den sie dort drüben in der hübschen Hütte gefangen halten. Die Offiziere sagen, daß man ihn morgen aufhängen werde, obschon er ein vornehmer Herr ist. Marina und ich haben geweint, daß er so jung und so schön sterben soll, und weil wir ihm nicht helfen können, wollen wir ihm wenigstens noch Gutes thun in seiner Not. Der Illés wird schon zulassen, daß ich ihm den Wein bring', wenn ich schön mit ihm thu'!«
»So hast Du Mitleid mit dem Herrn?« fragte der Slowak.
»Ob ich es hab'? Wenn ich und die Marina ihm helfen könnt', wollt' ich geben, ich weiß nicht was! Aber die Mutter Gottes hat es gemacht, daß wir nur sind arme Seressaner Mädchen.«
»Wenn Du wolltest – Du könntest es schon!«
»O, Maczy Slowak, rede nicht so, Du weißt, daß ich's gern thät!«
»Höre mich an, Kumria! Du sagst, daß Du den Illés im Herzen trägst!«
»Ich lieb' ihn mehr als mein Leben!«
»Und wenn nun die Wiener ihn gefangen genommen und erschossen hätten?«
»Ich würd' mich zu Tod grämen!«
»Nun denn, Kumria, ich weiß ein schönes Magnaten-Fräulein, das den blanken Grafen liebt, wie Du den armen Soldaten. Meinst Du, weil die Magnaten so vornehm und so stolz, sie fühlten nicht gerade wie wir, wenn es das Liebste trifft?«
»Ich hab's nicht geglaubt bis jetzt, aber es muß doch wohl wahr sein.«
»Die Gräfin, seine Geliebte, ist die Tochter des Grafen meines Herrn. Ich sah sie schon als Kinder miteinander spielen. Sie hat meiner armen Schwester wohlthun wollen; wär's nach ihr gegangen, sie läge jetzt nicht vom Wolf zerrissen im Grabe.«
Dem Mädchen quollen die Thränen aus den Augen. »Dann ist's Deine Pflicht, Matthias Slowak, dem blanken Fräulein das Herzeleid zu ersparen. Ich und die Marina stehen Dir bei, sag' nur wie?«
»Der Illés hat jetzt die Wache vor dem Pavillon, in den sie den Gefangenen gesperrt?«
»Noch eine Stunde lang bis der Mond aufgeht.«
»Wohl, so bringe ihm den Trank und berede ihn, daß er Dich ein Glas davon dem Gefangenen bringen läßt. Sorg', daß Deine Schwester ihn während dessen beschäftigt. Bist Du drinnen, so schneide dem Grafen mit diesem Messer,« er reichte es ihr, »den Strick durch, der seine Arme bindet und sag' ihm, er soll auf der Rückseite des Pavillons am dritten Feld von links her gegen das Holz drücken. Ich hab' es untersucht – die Bretter sind leicht, und wenn ich von außen mein Handbeil dazwischen stemmen kann, ist ein Ausgang zu schaffen.«
»Aber werden sie den Illès nicht strafen?«
»Er darf nur das Maul halten und nicht verraten, daß Du da warst, dann werden sie glauben, er habe sich selbst frei gemacht und die schwache Wand durchbrochen, und nicht einmal wissen, wann's geschehen.«
»Nicht ein Wort wird er von mir sagen, und wenn sie ihn zu Tode schlügen.«
»Dann eil' Dich, denn die Zeit drängt. Noch eins! – Ihr beide müßt mit dem Illés plaudern, wenn Du herauskommst, damit er kein Geräusch hört.«
Das Mädchen lachte. »Der Bursch läßt mich sobald nicht fort.«
»Kannst Du mir einen Mantel schaffen und eine der Mützen?«
Sie sann einen Augenblick nach. Dann schlich sie zu dem Knaben, hob vorsichtig den Mantel, unter dem er wieder schlief und bedeckte ihn mit ihrer eigenen Decke. Eine der großen Pelzmützen war leicht gefunden; der Slibovitza hatte seine Schuldigkeit gethan, und die wilden Söhne des Krieges schliefen fest.
»Hiev!«
»Dank Dir und die Heiligen mögen uns beistehen.«
Der Slowak raffte die Kleidungsstücke zusammen; gleich darauf war er im Dunkel der Nacht verschwunden.
Die Mädchen nahmen den Topf mit dem heißen Getränk und zwei große Gläser, damit schlichen sie durch die Schlafenden. Wo sich auch ein müdes Auge geöffnet hätte, die bekannten Gestalten hätten es nicht beunruhigt.
Aber sie selbst hatten keine Ahnung davon, daß sich hinter ihnen eine dritte erhoben und vorsichtig ihnen nachschlich. –
Die Marina streichelte dem Soldaten die Wange. »Ist er doch eigentlich unser Landsmann, Illés! Denk', es ist Christenpflicht, die schlimme Nacht ihm zu erleichtern. So jung und so reich und so vornehm, und morgen schon sterben zu müssen.«
»Ich will nichts von Dir wissen und tanz' mein Lebtag mit Dir keinen Tritt mehr!« schmollte die Kumria. »Ich will den Khuso, den Seressaner, heiraten, den mir der Vater bestimmt, so Du's nicht thust.«
Die Drohung war zu viel für die Überlegung des ehrlichen Ottochaners! » Kutya lanczos! wenn ich nur wüßt', daß Ihr Weibsvolk schweigen thätet! obschon ich nit weiß, warum der ungarische Verräter den Branntwein trinken soll und nit ein ehrlicher Soldat!«
Sie waren beide um ihn beschäftigt. »Bei der Mutter Gottes von Temeszvar, wir schweigen, als wären wir dreimal tot! Wenn Du's nur thust, das wäre das Best'!« Das heiße Getränk hitzte ihm schon die Adern, Marina schenkte die beiden Becher voll und reichte ihm den einen, unter dem Arm schlüpfte ihm die Kumria weg, nachdem sie ihn geküßt, und öffnete die Thür des Kiosk. Die Schwester hielt ihn fest.
»Schlafen's, gnädiger Herr?« Der junge Graf, der finster brütend auf der Erde saß, denn das kleine Gemach war längst ohne Möbel, erhob sich. »Wer ist hier?«
»Still, gnädiger Herr! Die Kumria ist's, aber Sie kennen sie nicht. Sie sind ein reicher Magnat, aber das arme Seressaner Kind möcht' Ihnen helfen. Rasch, geben Sie die Händ' her!«
Der Gefangene begriff, daß hier keine Worte zu machen waren, und sprang empor. Sie tastete im Dunkeln nach den gebundenen Händen und durchsägte rasch mit dem scharfen Messer die Knoten.
»Nehmen's das Messer, gnäd'ger Herr. Draußen auf der Rückseit' ist einer, der kennt die blanke Gräfin, Ihre Liebste, und will sein Leben dran setzen. Sie zu retten. Zählen Sie von links das dritte Brett an der Hinterseit' und helfen's ihm ausbrechen, daß es kein Geräusch giebt.«
»Mädchen, wie soll ich Dir danken?«
»Die Kumria hat auch ein Herz, gnädiger Herr Magnat, und es würd' brechen, wenn sie wüßt', ihr Liebster sollt sterben, wie ein Dieb. Jetzt trinken Sie das, es wird Ihnen gut thun, wenn's auch nur schlechter Branntwein ist.«
Graf Stephan trank das Glas leer, das Getränk belebte seine Nerven. »Zum Andenken, Kind, und wenn Stephan Batthyánni oder seine Braut Dir je einen Dienst erweisen können, so weise ihm den Ring und fordere ihre Hilfe.« Er steckte ihr den Goldreif an den Finger, sie eilte zur Thür!
»Gott tröst' Dich, armer Herr, und stärk' Dich in der schweren Stund'!« grüßte sie halblaut, daß es der Soldat hören konnte, dann hing sie sich an seinen Hals. »Dank Dir, Illés, mein Leben! Werd' Dir's nich vergessen mein Lebelang.«
Der Graf kniete bereits an der Wand, suchte den Blutumlauf in den erstarrten Händen wieder herzustellen und zählte die Fächer ab. Es klopfte von außen dreimal – er erwiderte es.
»Versuchen Sie die Nägel zu lösen!« flüsterte es kaum hörbar durch die Holzwand.
Seine Finger glitten hastig darüber hin, jetzt fand er, warum der unbekannte Retter von außen nicht das Werk hatte beginnen können, das Holzwerk war im Innern verfalzt, von innen befestigt.
Mit dem starken Messer machte er sich eilig ans Werk, er hörte die Mädchen draußen mit der Schildwache flüstern. Endlich glückte es ihm, den Nagel herauszuheben – sogleich fühlte er von der andern Seite einen Gegendruck, der Slowak zwängte das Beil in den Spalt – leise und vorsichtig wurde das Holz aufgedrückt.
Ein Krach – das Beil war zu tief hineingefahren.
»Schau! Muß einmal die Runde machen, was es giebt, mich dünkt, ich hört drinnen bei dem Herrn ein Geräusch!«
Die Mädchen zitterten, die Schildwach ging rund um den kleinen Pavillon, zwanzig Schritt davon lag regungslos am Boden eine dunkle Gestalt, doch der Schatten verbarg sie.
»Jetzt aber macht, daß Ihr fortkommt! dort kommt die Ablösung – ich seh' das Licht.«
Die beiden Seressaner Mädchen entflohen, alle Mühe war verloren, vergebens gewesen.
Ein Korporal mit der ablösenden Mannschaft kam im festen regulären Soldatentritt von der obern Terrasse her. »Ablösung vor! Nix passiert auf Wach'?«
»Nichts, Korporal!«
Dieser schloß die Thür auf und leuchtete mit der Laterne hinein, der Gefangene lag ruhig am Boden und schlief.
Er schloß die Thür wieder. »Hab' gehört, 's ist ein vornehmigter Herr, ein Wiener Spion. Morgen in der Früh wird er gehängt!«
Die Wache marschierte weiter, Illés mit ihr. Der neue Posten war noch dummer und verschlafener als der Liebste der hübschen Kumria. Zweimal machte er die Runde um das kleine Gebäude, dann lehnte er am Thürpfosten und träumte vielleicht von den wilden Fluren seiner Heimat.
Noch einmal krachte und splitterte es leise, aber er hob kaum den Kopf und nickte im nächsten Augenblick wieder ein.
»Jetzt, Herr!«
Die schlanke Gestalt des jungen Grafen, des Rockes entkleidet, drängte sich durch die Spalte.
»Hier! am Boden, Herr!«
Wie Schlangen sich windend, schoben sie sich auf dem Erdboden fort über den verdorrten Rasen, bis sie den Schutz der nächsten Bäume und Buschgruppen erreichten.
»Ich danke Dir, mein unbekannter Freund,« sagte der junge Magnat, indem er sich erhob. »Aber wie weiter? man wird' mich leicht wieder ergreifen, ehe ich durch die Posten komme.«
»Nehmen Sie, gnädiger Herr!« Der Slowak reichte ihm Mantel und Mütze; im Nu war er in einen Seressaner verwandelt.
»Die Parole ist: ›Latour vorwärts!‹«
»Und das Feldgeschrei?«
Der frühere Student stand verdutzt, er wußte zu wenig von militärischen Dingen, um darauf geachtet zu haben.
»So muß ich versuchen, ohne dasselbe durchzukommen. Hast Du Waffen?«
»Gegen den Kaiser? Nein, Herr Graf! ich kann Sie vor einem schimpflchen Tode retten, aber ich darf Ihnen keine Waffen gegen die Soldaten des Kaisers geben.«
Der Ungar schwieg. Nach einer Pause sagte er: »Sage mir Deinen Namen, damit ich ihn im Gedächtnis bewahre.«
»Es ist eine Schuld, die ich abtrage, eine Schuld gegen die Gräfin, Ihre Braut, auf deren Gütern ich geboren bin, eine Schuld der Dankbarkeit gegen Sie selbst. Erinnern Euer Gnaden sich des alten Tirolers, den Sie am Morgen nach dem Sturm des Zeughauses von jenem Teufel befreiten?«
»Lazare?«
»Desselben – der Sie eben verriet. Ich war der Begleiter des Alten. Forschen Sie nicht weiter, Herr Graf, was Sie erfahren könnten, ist nur Unglück und Schmach. Die Hand Gottes hat mich geweckt, ich habe viel gut zu machen, ehe ich meinen Namen nennen barf. Gehen Sie! Ihr Weg ist weit und Gott geleite Sie. Wenn Sie glauben, mir Dank schuldig zu sein, dann denken Sie an meine armen Brüder, wenn Ungarn ein mächtiges Reich wird.«
Der Magnat reichte ihm die Hand und drückte sie fest, dann wandte er sich zum Gehen.
»Halt! Nicht von der Stelle! Ich habe mit Ihnen zu reden!«
Der plötzliche Ruf war zwar leise, das Hindernis aber so unerwartet, daß beide Männer zurückschraken.
Vor ihnen stand, den Weg sperrend, eine kleine Gestalt, Näheres ließ die Dunkelheit nicht erkennen.
Der Graf, schnell gefaßt redete sie auf Kroatisch an: »Was willst Du? was giebt's?«
»Ich verstehe nicht, was Sie sagen, oder was Sie vorhin gesprochen,« antwortete eine jugendliche Stimme, »aber ich weiß, daß Sie Deutsch sprechen und der Graf Batthányi sind, der gefangen ist und entfliehen will.«
»Still, Unglücklicher!«
»Es ist der deutsche Knabe,« murmelte der Slowak, »er hat alles gehört und uns belauscht.«
Der Ungar suchte vergebens nach einer Waffe; er wußte, daß jedes Geräusch tausend Feinde umher wach rufen und seine Flucht unmöglich machen mußte.
»Rühren Sie mich nicht an!« flüsterte der Knabe. »Das Terzerol, das ich in der Hand habe, ist geladen, und mein Schuß oder mein Ruf würde sofort die Wachen alarmieren.«
»Was beabsichtigen Sie also, wenn Sie nicht Beistand rufen wollen? Warum stellen Sie sich meiner Flucht in den Weg?«
»Ich bin ein Edelmann, wie Sie, Herr; ich werde mich freuen, wenn Sie dem Galgen entgehen, obschon Sie ihn für den Hochverrat verdient haben.«
»Knabe! Was wissen Sie von den Gefühlen der Männer!«
»Ich bin ein Fremder in Ihrem Land, aber ich weist, daß die Treue überall das höchste Gut der Edelgeborenen sein soll. Ich möchte Sie retten, aber ich darf Ihre Flucht nur unter einer Bedingung zugeben.«
»Sagen Sie dieselbe.«
»Sie dürfen die Waffen nicht mehr gegen Ihren Kaiser tragen.«
»Dann bin ich entehrt! Ich bin ein Sohn meines Vaterlandes und kämpfe für seine Rechte.«
»Thaten Sie dies auch, als Sie für die Rebellen in Wien fochten?«
Der Ungar schwieg. Er fühlte tiefer als der Knabe den strengen Vorwurf, der in dieser Frage lag. »Ich folgte dem Befehl, den ich erhielt!« sagte er endlich.
»Kein Befehl könnte mich zwingen, gegen meinen König zu fechten. Ich bin noch so jung, Herr Graf,« fuhr der Knabe fort, »aber ich möchte gern eine gute Handlung ausführen. Man hat mir gesagt, daß Sie edelmütig und tapfer sind. Ich bitte, geben Sie mir Ihr Ehrenwort, Ihren Säbel nur noch gegen fremde Feinde, nicht mehr gegen Ihren König zu brauchen.«
Der Graf blickte finster vor sich nieder; so begeistert er für den ungarischen Freiheitskampf war, so tief fühlte er den Fehler, den er begangen, indem er sich zu den politischen Plänen der Führer in Wien hatte brauchen lassen. Was er dort gesehen, hatte ihn ohnehin mit tiefer Verachtung erfüllt.
»Ich bin ein Batthyányi,« sagte er dann entschlossen. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, die Waffen nicht mehr gegen die Truppen des Königs zu brauchen. Es giebt noch andere Wege, auf denen ein Ungar für sein Vaterland sterben kann!«
Der Knabe senkte das Terzerol. »Gehen Sie, Herr Graf. Das Feldgeschrei ist: Franz Joseph!«
Er drehte sich um und schlich so leise zu dem Biwackplatz zurück, als er ihn verlassen. Die beiden Mädchen, in tausend Ängsten, waren bereits unter die Strohhütte gekrochen, die ihnen die Soldaten bereitet hatten.
Der Slowak und der Magnat schritten still weiter. Zehn Schritt von dort hörten sie ein Pferd scharren.
»Vorsichtig.«
Sie erkannten, daß es allein stand; neben dem Roß, in seinen weißen Mantel gehüllt, lag der Reiter in festem Schlaf. Der Schein eines entfernten Feuers warf einen Strahl durch die Büsche und brach sich in dem matten Glanz des Kürasses.
Ein Gedanke durchzuckte den Kopf des Slowaken. Seinem Gefährten zuwinkend, schlich er näher und beugte sich über den Schlafenden. Er glaubte im Dunkel den jungen Offizier zu erkennen, der vor zwei Stunden an das Wachtfeuer der Feldwache gekommen und von dem Feldmarschall überrascht worden war. Der Baron hatte wahrscheinlich, aus dem Bereich des ernsten Auges, wenig Eile gehabt, sich in Arrest zu begeben, und von Müdigkeit und Wein bewältigt, vor dem Ritt noch ein paar Stunden der Ruhe pflegen wollen.
Der Reiter hatte den Zügel des trefflich dressierten Pferdes um den Arm geschlungen und schlief so fest, daß der Slowak, aus seiner Jugend vertraut mit dem Umgang mit Pferden, den Riemen lösen und das Roß leise fortführen konnte, ohne daß der Schläfer sich nur gerührt hätte.
»Jetzt, Herr Graf, in den Sattel. Antworten Sie slavonisch, wenn man Sie fragt, Sie ritten mit Depeschen zum Banus. Das Gros steht, wie ich gehört, bei Schwadorf, die Vedetten bis Somarein. Sie müssen versuchen, rechts der Straße die Leitha zu gewinnen. Gott schütze Sie!«
Der Ungar saß bereits im Sattel, das Gefühl, ein Pferd unter sich zu haben, beseitigte alle Besorgnis.
»Leb' wohl!«
Er ritt ruhig nach dem großen Gang, der zum Ausgang des Gartens nach der Heugasse und der Belvedere-Linie führte, jeden Aufruf der Wachen im slavonischen Jargon beantwortend. Das Glück begünstigte ihn. Eine Stunde nachher verließ er zwischen den lagernden Kolonnen die Straße nach Ungarn und wandte sich querfeldein gegen den Grenzfluß, hinter dem er noch die Posten der Seinen wußte.
Es war am Vormittag. In der unglücklichen, von außen und innen bedrohten Stadt herrschte die größte Verwirrung. Durch dieselben Mittel, welche das Oberkommando und die revolutionären Komitees, trotz aller Mühe, noch immer nicht zu entdecken und zu vereiteln vermocht hatten, war am frühen Morgen, selbst in der innern Stadt, an den Straßenecken unter den unzähligen Plakaten, die sie tagaus tagein bedeckten, eine Kundmachung des Fürsten Windischgrätz angeschlagen, in der die Niederlage und die Flucht der ungarischen Armee angezeigt war.
Im Gemeinderat wurde lebhaft gestritten; die Zahl derer, die für unbedingte Unterwerfung, für die Wiederaufnahme der am Tage vorher so schmählich gebrochenen Kapitulation stimmten, wuchs mit jedem Wort. Messenhauser verhielt sich schweigend und unruhig, zuletzt mußte, von der Majorität überstimmt, selbst der wilde Fenner von Fenneberg eingestehen, daß eine Verteidigung unmöglich sei.
Wie bitterer Hohn klang die Proklamation, die das Oberkommando und der Gemeinderat als Pflaster auf den Beschluß der Ergebung um 10 Uhr anschlagen ließen:
»Heldenmütiges Volk von Wien! Sei so groß in Deinem Falle, als Du es in der Erhebung warst! Für die Freiheit leben, ist größer, als tollkühn unsere Zwecke durch uns und mit uns vernichten. Wir haben die Ehre gerettet, darum ist nichts verloren. Legt die Waffen nieder und zeigt den einrückenden Waffenmännern, daß der Ordnungssinn, daß der wahre Heldenmut sich dem Unabwendbaren männlich fügt!«
Zugleich wurde der Befehl gegeben, überall weiße Fahnen auszustecken, zum Zeichen, daß die Feindseligkeiten beendet wären.
Aber das »heldenmütige« Volk von Wien hatte nicht die geringste Macht mehr über sich selbst, jedes Band der Autorität war zerrissen, die Furie der Anarchie schwang ihre blutige Fackel durch die Straßen.
Die Stadt war überfüllt von den Mobilen und den Flüchtlingen der Vorstädte, die Kolonnen der Arbeiter und Legionäre begannen sich überall zu sammeln, an den Thoren, vor dem Stephan, auf dem Platz am Hof, an der Burg, vor der Aula; von Haufe zu Haufe eilten wieder die dunkelen Gestalten, deren Wort Brand, deren Mahnung Feuer in das Pulverfaß der erhitzten Gemüter war.
Wer auch nur kurze Zeit Wien besucht hat, dem ist sicher die Restauration zum »Roten Igel« am Wildbretmarkt bekannt geworden.
In dem großen Gastzimmer desselben waren an diesem Vormittag die Führer der Radikalen zu stürmischer Beratung versammelt. Vor der Thür des alle Zeichen der liederlichen, ausschweifenden Wirtschaft, die seither hier geherrscht, tragenden Gemachs standen zwei wilde, kräftige Gestalten auf ihre Musketen gestützt, Mitglieder des demokratischen Freikorps, die heute nur die als bewährte »Patrioten« bekannten Persönlichkeiten zuließen, die fortwährend ab- und zuströmende Menge aber zurückwiesen.
Im Innern des Gemachs ging es lebhaft her. Um den mit Bierseideln und Weinflaschen bedeckten Mitteltisch saß eine Anzahl Personen, andere standen umher oder gingen ab und zu.
Der »somnambüle Politiker,« wie der unglückliche Musiker Dr. Becher von seinen Freunden genannt wurde, schien plötzlich seinen Somnambulismus von sich geworfen zu haben und perorierte kräftig und energisch gegen die kalten, besonnenen Einwendungen, die ein Mann von untersetzter, breiter Gestalt am Tisch ihm entgegen warf. Die dunklen Augen auf beide geheftet, sinnend, wie selbstvergessen, lehnte an dem Stuhl seines Freundes die dunkle Figur des Theoretikers der Demokratie, Julius Fröbels, in dem schwarzen Sammetrock, den Stürmer mit der wallenden Feder auf dem Kopf. Die schmächtige Gestalt Jellineks sah man zwischen der Gruppe mehrerer Offiziere der Mobilgarde und der Arbeiter-Kompagnieen, während ein Mann jüdischer Physiognomie, in der Uniform des demokratischen Freikorps, in seiner arroganten Beweglichkeit noch immer nicht den alten Stand des Barbiergesellen verleugnend, sich hastig und ängstlich von einer Gruppe zur andern schob.
»Sie sehen, daß jenes Philistertum, das in Wien leider noch eben so mächtig ist, wie im ganzen deutschen Reich, den Kampf aufgegeben hat,« sagte der Mann, mit dem Becher stritt, und stemmte die breite Faust auf den Tisch. »Ihn fortsetzen, hieße Sie alle der Niedermetzelung preisgeben und das teure Blut eines hochherzigen Volkes nutzlos opfern. Es wird ohnehin unsers ganzen Ansehens, als der Kommissarien des Deutschen Reiches, bedürfen, die edle Bevölkerung von Wien vor der Tyrannei dieses Windischgrätz zu schützen.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Blum,« sagte ein Mann von etwa 30 Jahren und aristokratischem Ansehen in der Uniform der Mobilgarden, der eben ins Zimmer trat, »mit gefangen, mit gehangen! Der Fürst ist nicht der Mann, sich einen Pfifferling um Ihr Parlament zu scheren!«
»Vergessen Sie nicht, daß ganz Deutschland hinter Herrn Blum und seinen Kollegen steht, Herr von Sternau,« sagte eine helle Stimme.
Der Angeredete warf einen kurzen, finstern Blick auf den Sprecher, den Doktor Lazare, der mitten in der Gruppe der Mobilen stand. Dann trat er zu dem Tisch. »Sollen die Beschlüsse von gestern denn nochmals in Frage gestellt werden?« sagte er heftig. »Lernen Sie doch endlich einsehen, daß nur der Widerstand bis zum letzten Blutstropfen uns bessere Bedingungen schaffen kann, oder uns wenigstens einen Tod mit Ehren finden lassen wird!«
»Wir wollen sterben, wie wir gelebt, als freie Männer!« rief Becher enthusiastisch.
» Baszom a lelkedet! Landsleute meinigte werden kehren wieder mit erneuter Kraft, werden totschlagen Kaiserliche alle!«
»Halten Sie Ihr Maul, Dummkopf!« schrie ein Legionär den Hernalser Schuster an, der die Führerschaft der Mobilen seiner Vorstadt später mit der Kugel bezahlte. »Wenn Ihre ungarischen Verräter ihr Wort gehalten hätten, säßen wir hier jetzt nicht in der Klemme!«
Horvàth griff nach dem langen Schleppsäbel an seiner Seite. »Wollen Sie beschimpfen Nation meinigte?«
Der schwarzbärtige Legionär wiederholte sein beliebtes Spiel und ließ den Hahn seines Terzerols knacken, aber die sonore Stimme Fröbels gebot Ruhe zwischen dem Schimpfen der Männer und dem Kreischen der beiden anwesenden Weiber. »Sollen sich die Verteidiger der erhabenen Freiheit der Völker unter einander anfallen wie die Bestien der Wildnis?«
» Deutsch hat Recht!« rief Jellinek, »die Ungarn haben uns im Stich gelassen. Wo ist Pulszky? wo der Graf Batthyányi? Sie befinden sich in Sicherheit, während wir für sie bluten sollen.«
»Aus dem Blut allein erwächst die Freiheit!« schrie eine tiefe Stimme. »Nieder mit jedem schwarz-gelben Verräter, der von Übergabe spricht oder sich furchtsam verkriecht in der Stunde der Gefahr. Ich erspare Windischgrätz den Strick, wenn ich den Feigling Schütte finde!«
»Aber bedenken Sie, Hauk,« winselte der Führer des demokratischen Freikorps, »Fenneberg selbst sagt, daß längerer Widerstand unmöglich!«
»Wer wagt es, meinen Mann, den tapfersten Bürger der Freiheit zu verleumden?«
Das untersetzte Weibchen des interimistischen Oberkommandanten hatte sich auf einen Stuhl gestellt und focht mit den Händen durch die Luft; der Kommandant des Elite-Korps, der zuchtlosesten aber kühnsten Schar, schob den zagenden Chaisés beiseite. »Fort, jüdische Memme! Jetzt heißt es nicht mehr beraten, sondern handeln! Kampf bis aufs Messer!« Er riß das Fenster auf und schwenkte sein rotes Taschentuch hinaus.
Ein tausendstimmiges Hurra der versammelten Volksmasse beantwortete das Signal. Männer, die darauf nur gewartet zu haben schienen, verließen auf allen Seiten die Masse und zerstreuten sich in die Straßen.
Der ergraute Schriftsteller trat an den Tisch der Deputierten und schlug mit der Faust auf, daß die Gläser und Seidel klirrten.
»Wenn Sie aus Frankfurt hierher gekommen sind, um in einem Augenblick von Übergabe zu sprechen, wo die Freiheit ihren glorreichsten Kampf fechten soll, so hätten Sie bleiben sollen, wo Sie waren. Sie haben gestern dem Beschluß der Verteidigung bis zum letzten Blutstropfen zugestimmt, und dieser muß aufrecht erhalten werden. Wenn wir fallen, wollen wir uns wenigstens eine Brandfackel anzünden, die durch ganz Europa leuchten soll!«
»Sie werden mich nie als Feigling finden, wo noch die geringste Aussicht auf Erfolg ist,« sagte der Leipziger Buchhändler trotzig. »Aber hier fehlt jede! General Bem hat mir noch heute Morgen erklärt, daß die Stadt nicht 24 Stunden mehr zu halten ist!«
»Zum Henker mit Bem! er soll sich in ein Mauseloch verkriechen! Will er den Kampf nicht leiten, so brauchen wir ihn nicht! Ich schwöre Ihnen, wenn jeder seine Schuldigkeit thut, so haben wir Windischgrätz und seine Kroaten wie eine Maus in der Falle! Kein einziger von den Hunden soll aus den engen Straßen entkommen!«
Ein betäubendes Mordio auf dem Platz übertönte seine Worte. Die Thür wurde aufgerissen, und ein Mann im polnischen Schnurrock stürzte herein.
»Stößl Der Kommandant der Nationalgarden-Artillerie. läßt die Kanonen von der Mölker Bastei abfahren,« schrie er atemlos. »Das Volk hat sich widersetzt.«
»Fluch dem Verräter! Schnell auf die Aula, Deutsch! Man muß die Geschütze zurückbringen. Nehmen Sie den Verräter gefangen, und wenn er Widerstand wagt, schießen Sie ihn nieder!«
Der Legionär eilte davon. Lazare war dem Polen näher getreten. »Sagen Sie, daß Bem sich schlagen wird, oder alles ist verloren,« flüsterte er.
»Wo ist der General?«
»Ich verließ ihn am roten Turmthor, er ordnet die Verteidigung!«
»Nehmen Sie die vierte Elite-Kompagnie, Jellinek, und sperren Sie den Gemeinderat ein! Wer es noch wagt, ein Gewehr abzuliefern, oder eine weiße Fahne auszustecken, wird auf der Stelle niedergeschossen!«
Mehrere Legionäre und bewaffnete Arbeiter kamen zugleich in das Zimmer.
»Der Gemeinderat und das Ober-Kommando sind nach dem Landhaus geflüchtet!«
»Messenhauser läßt die Garden zusammentreten! – Das Volk zieht mit Pechkränzen zur Burg, man hat auf uns geschossen!«
»Man muß durch den Augustinergang eindringen! Nieder mit allen Verrätern!«
Der wilde Führer der Mobilen trat zu den beiden Abgeordneten. »Die Stunde der Entscheidung hat geschlagen. Erklärt Euch, Brüder, ob Ihr mit uns seid oder wider uns!«
Robert Blum stand auf. Der berühmte Demokrat, der vorhin einen Augenblick geschwankt und die Entschlossenheit der Wiener bezweifelt hatte, war jetzt von dem steigenden Volkslärm ganz begeistert. »Es ist zwölf Uhr vorüber und die schwarz-gelbe Fahne weht nicht vom Stephansturm. Ich nehme jetzt die Worte zurück, die ich im Komitee über die Wiener gemacht habe. Seine eigenen Worte. Lassen Sie uns auf den Stephan gehen, Grüner, um zu sehen, wo der Feind steht!«
Hauk umarmte ihn: »Wir werden siegen! wir werden siegen! Es lebe die Freiheit! Tod allen Feiglingen und Verrätern!«
Lazare war an einen der Arbeiter, ein wüstes, blatternarbiges Gesicht, herangetreten. »Wenn Blum auf dem Stephansturm ist, sorgt, daß die Sturmglocke gezogen werde. Sie muß ohne Aufhören in Bewegung bleiben während des Kampfes!«
Der Bursche in der Bluse nickte und verschwand. »Laß die Ungarn los, tapferer Horváth – es werden sich doch noch einige Dolmànys und Mützen in Deiner Garderobe finden. Die Gräfin ist schwer krank, drum müßt Ihr Euch heute selbst helfen.«
Der Schuster nickte schlau. »Ist sich alles bereit, zehn, zwanzig – zu Pferd und zu Fuß!«
Trommelwirbel über den Platz. Die Menge öffnete sich unter Geschrei und Hurra, und machte einem seltsamen Zuge Platz.
Der demokratische Frauenverein, ein Gesellschafter aller liederlichen und von dem politischen Taumel halb toll gewordener Weibsbilder rückte heran; an der Spitze des Zuges, auf einem von Sanscülotten mit großer roter Fahne geführten Pferde, die lächerliche, dürre Gestalt der Präsidentin Caroline Perin, geborene Pasqualati, einen blanken Säbel in der Hand.
Die würdige Dame, bereits in dem Lebensalter der stark verblichenen Reize stehend, hielt vor dem Hause und hob die Hand, wie um Stille zu gebieten. »Ich komme im Namen der freien Frauen Wiens, die Aufstellung der Guillotine zu fordern, damit allen Schwarz-Gelben die verräterischen Köpfe abgeschlagen werden!«
Ein gellendes Jubelgeschrei und Hohngelächter der versammelten bewaffneten Masse beantwortete diese, aus solchem Munde zwar lächerliche, aber doch die Exaltation kennzeichnende Forderung, und die neue Amazone, von diesem Beifall begeistert, rief ihrem Führer zu, man solle ihr die rote Fahne und den freien Frauen Wiens die Waffen, welche die Feiglinge abgelegt, geben, dann wollten sie dem Feinde entgegenziehen.
Hauk war an das Fenster getreten. »Brüder im Leben und im Tode!« tönte seine tiefe, grollende Stimme. »Der Augenblick ist gekommen, wo der Verrat uns zwingt, gegen die Feinde von außen und innen zu kämpfen. Wer jetzt zurückweicht, verdient, ein Knecht zu sein! Auf die Wälle, Brüder, unsere Freiheit zu verteidigen. Zwingt die Verräter, mit uns zu kämpfen! Wo Ihr einen Mann trefft, der die Hände in den Schoß zu legen wagt in dieser großen Stunde, reißt ihn hervor und stellt ihn den Kugeln der kroatischen Räuber entgegen! Die Nationalgarden haben uns verlassen, Messenhauser ist ein Feigling, aber wir stehen zu Euch! Laßt Alarm durch die Straßen schlagen, sammelt Euch an den bestimmten Plätzen! Die große Stunde der Vernichtung Eurer Feinde ist nahe!«
Ein wildes Hurra! Es lebe die Freiheit! Es lebe Hauk! donnerte über den Platz; die Alarmtrommeln rasselten durch die Straßen. Aus den Caféhäusern, selbst aus Privathäusern wurden mit Gewalt die Männer herausgeholt und auf die Wälle getrieben. Der Fanatismus, der Haß, die Habgier befriedigten um die Wette ihre Gelüste in der unglücklichen Stadt. Haufen an Haufen zogen nach der Burg, nach dem Stadthaus, donnerten an die Kapuzinerkirche, um die Särge der Kaisergruft zu beschimpfen, und bedrohten die Paläste der berühmten Familien mit Brand und Plünderung. Im Zeughaus verlangten die Arbeiter und Garden die Waffen wieder, Legionäre zogen zur Staatsdruckerei, um das Gebäude aus Rache anzuzünden, weil der Gemeinderat hier die Bekanntmachungen des Feldmarschalls hatte drucken lassen, in der Aula tagte unter Redl wieder das Studentenkorps, ins Oberkommando in der Stallburg drangen Haufen fanatisierter Proletarier mit großen Nägeln und Stricken, und verlangten Messenhauser und siebzehn andere Offiziere der bürgerlichen Garden aufzuhängen. Männer zu Pferde in ungarischer Tracht, sprengten durch die Straßen; andere, als polnische Lanziers gekleidet, mengten sich unter die Haufen und schrieen: »Die Ungarn sind da! die Ungarn kehren zurück!« Die Aufregung, der Tumult waren unbeschreiblich, an vielen Stellen gerieten, empört durch die wiederholte Täuschung, die Gemäßigten, die, welche die Kapitulation aufrecht halten und durch die Übergabe der Stadt endlich die Ruhe herstellen und sich schützen wollten, in Streit und Kampf mit den Radikalen. Nur mit Mühe vermochte die aus der Dienerschaft der Hofburg gebildete Feuerwache, mit Unterstützung einiger Munizipalgarden, unter Führung Jablonowskis, die kaiserliche Burg mit ihren kostbaren Sammlungen vor der beabsichtigten Brandstiftung zu retten.
Hauk wandte sich zu dem Polen, der die Nachricht von der Mölker-Bastei gebracht hatte. »Lassen Sie zwei Geschütze am Stephansplatz so aufstellen, daß sie die Kärntner- und Rotenturmstraße bestreichen und mit Kartätschen auf die Verräter feuern, wenn sie uns hindern wollen, die Stadt bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Wo finde ich Bem?«
»Ich habe den General an der griechischen Kirche verlassen. Die polnische Legion ist bei ihm.«
»Ich eile zu ihm! Lazare, lassen Sie hier den Eifer nicht abkühlen! Nehmen Sie Ihre Pistolen, stellen Sie sich an die Aufgangsthür des Stephansturms und töten Sie jeden, der es wagt, die schwarz-gelbe Fahne hinaufzutragen!«
»Wer giebt Befehle gegen die Ordre?« fragte eine hohle Stimme.
Alle wandten sich um, der interimistische Ober-Kommandeur, mit dem die Radikalen am gestrigen Tage Messenhauser ersetzt, stand in dem Zimmer. Sein Gesicht war erschlafft und bleich, die sonst so glühenden Augen hohl und matt. Er warf sich auf einen Sitz nieder, seine kleine Frau war sogleich bei ihm und hängte sich an seinen Arm.
»Es ist alles aus,« sagte dumpf der Kommandant, »ich komme aus dem Landhaus, der Gemeinderat hat eine neue Deputation zum Fürsten geschickt und das Einrücken der Soldateska verlangt.«
»Fluch den Verrätern! Aber noch steht das Volk zu uns!«
»Für die Freiheit leben ist größer, als tollkühn unsere Zwecke durch uns und mit uns vernichten. Wir haben die Ehre gerettet, darum ist nichts verloren!«
»Nur Memmen können so sprechen,« schrie der wilde Hauk, »während die guten Wälle einer Stadt noch unser und die Waffen in unseren Händen sind! Ermanne Dich, Fenneberg! Alle Befehle sind gegeben zur Ausführung unseres Planes, die Tyrannenknechte werden ihr Grab in Wien finden!«
»Es ist vergebens, aber ich kann wenigstens mit Euch sterben!« Er umarmte seine Frau. »Eile nach Hause,« flüsterte er ihr zu, »und halte die Arbeiterkleider und die Haartour für uns bereit. In einer Viertelstunde bin ich bei Dir; es ist kein Augenblick zu verlieren, wenn wir uns retten wollen.«
Lazare hatte ihn nicht aus den Augen gelassen, aber seine Aufmerksamkeit wurde gerade durch Hauk abgelenkt, der ihm ein Papier reichte. »Die Fünfhauser Nationalgarden sind treu, sie müssen das äußere Burgthor bis zum letzten Mann halten im Fall eines Angriffs dort und werden von den Mobilen unterstützt werden. Schreiben Sie den Befehl an die vierte Abteilung.«
Die Feder flog über das Papier, so rasch und sicher, als schriebe sie nicht den Verrat, in zweideutigen Ausdrücken das Gegenteil von dem, was der wilde Führer der Mobilen soeben befohlen hatte. Hauk unterzeichnete, ohne auch nur hinzusehen, das Papier, das ihm Lazare vorlegte, und während er rechts und links zehn andere Befehle für eine verzweifelte Verteidigung der Stadt erteilte.
Becher, der sich einen Augenblick entfernt, kam in diesem Moment zurück mit einem Billet in der Hand und übergab es an Fenneberg. Es kam aus dem Landhause und bestätigte, daß der Gemeinderat eine neue Deputation an den Fürsten gesandt habe, so schnell als möglich einzurücken, da in der Stadt kein Mensch mehr seines Lebens sicher sei vor dem bewaffneten und aufgereizten Proletariat.
Fenneberg reichte den Brief an Hauk.
Zugleich kam die Nachricht von der Aula her, daß am Stuben- und Roten Turmthor Truppenmassen sich auf dem Glacis und vor der Brücke aufstellten.
Von dem Stephan begann in dröhnenden Schwingen die Sturmglocke zu heulen, auf dem Markt selbst rasselten die Alarmtrommeln, Flintenschüsse mischten sich in das tobende Geschrei.
»Die Kroaten greifen die Stadt an! Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
Hauk sprang auf den bisherigen Kommandanten zu. »Zum letztenmal, Fenneberg, willst Du uns führen?«
»Thut, was Ihr wollt – ich gehe nach dem Landhaus!«
Nach einer geheimen Unterredung mit seinem Freunde Becher verließ er den Igel. Man hat ihn nicht wiedergesehen. Im Central-Bureau ließ er sich falsche Pässe geben, schnitt sich mit einer Papierschere den Bart ab und entkam am andern Tage, indem er sich in einem Backtrog, worin Teig über ihn geschlagen war, über die Grenze hinaus tragen ließ.
Das große Schankzimmer des Igels war jetzt leer, draußen auf den Straßen machte der Todeskampf der Revolution seine letzten Anstrengungen.
Einen Augenblick stand der Verräter beider Parteien, die Hand auf den Tisch gestützt, auf dem er soeben den falschen Befehl geschrieben, und das scharfe Starren seines wässerigen Auges verkündete die prüfende Überlegung.
Ein höhnendes Lächeln zuckte um seinen Mund. »Die Thoren,« sagte er leise, »ich glaube, sie hätten jetzt alle Lust, ihren Frieden zu machen, aber es ist zu spät, und ich brauche ihr Verderben. Vraiment, es wird eine teufelmäßige Schlächterei abgeben. Jetzt zu Martha und dann zu dem Mädchen; wenn die Kanonen donnern, wird sie Furcht haben. Ich muß sie haben, und morgen wär' es zu spät. Die verdammte Dirne, die mir in den Weg gekommen, sah ich bei der verrückten Perrin – das Feld ist frei!«
Er verließ eilig das Haus und drängte sich durch die tobende Menge über den Platz.
In einem Durchgang, in der Nähe des Hofes, kam ihm eine Frau in der Arbeiterbluse entgegen, den Hut tief herabgeschlagen, eine Flinte auf der Schulter. Er wollte an ihr vorüber, als eine Hand ihn festhielt.
» Ebbadta! Die Verkleidung muß wirklich gut sein, da Du selbst mich nicht erkennst!«
»Martha! Das ist ein Glück, ich suchte Dich eben.«
»Nun, da hast Du mich! Wie stehen die Sachen?«
»Sie laufen wie die tollen Hunde in ihr Verderben. Fenneberg sucht sich zu salvieren, aber Hauk, Jellinek, Becher und die Frankfurter bleiben bei dem Plan der Mausefalle. Bem hält sich zurück; ich weiß nicht, was er thun wird. Darum muß es an der Burg zu einem Zusammenstoß kommen. Ich werde dafür sorgen, daß der Widerstand nicht groß ist. Ein bißchen Mordbrennerei wird nicht schaden, das Verdienst ist dann desto größer.«
»Hab' ich eine Rolle?«
»Du könntest eine übernehmen. In fünfzehn Minuten werden die Mobilgarden vom Burgplatz abziehen. Halte Dich auf dem Wall und sorge, daß auf den ersten Parlamentär geschossen wird.«
»Ich übernehme es selbst. Und dann?«
»Sind die Papiere vernichtet oder in Sicherheit?«
»Vollkommen!«
»Hast Du die weißen Fahnen bereit?«
»Marosch wird sie ausstecken, sobald der erste Soldat in der Stadt ist.«
»Warum nicht Du selbst, wie wir verabredet?«
»Höre, Bursche, spiele kein doppelt Spiel gegen mich! es könnte Dir schlecht bekommen. Du weißt, daß wir beide nicht schlimmer sein können, als wir's einander zutrauen. Ich habe beschlossen, bei Dir zu bleiben!«
»Unsinn, Martha, Dich, als Frau unter Deinen Dienern, wird niemand beleidigen. Mir aber kann der Schutz der Generale erst morgen nützen, wenn die Truppen die ganze Stadt besetzt haben. Ich bleibe in der geheimen Wohnung im Hinterhaus am Durchgang!«
»Wo Du die kleine Tirolerin versteckt hältst?«
»Dieselbe. Ich habe Kleider dorthingebracht und werde mich morgen verborgen halten.«
»Wie weit bist Du mit der Dirne?«
»Pest! Ich hoffe, der Schrecken thut heute mehr, als Not und Haft. Das Mädchen macht mich rasend mit ihrem festen Fleisch und ihren dunklen Augen. Der Henker hole meine Dummheit, daß ich die Dirne aus den Wieden zu ihrer Wächterin gesetzt habe.«
Sie waren unter dem französisch geführten Gespräch über den Kornmarkt nach der Burg geschritten, und am Platz, der diese von dem äußern Burgthor trennt.
Auf demselben und den Wällen lagerte eine starke Abteilung der Fünfhauser Nationalgarden und der Mobilgarden, während eifrig daran gearbeitet wurde, das Thor von innen mit Quadersteinen zu barrikadieren. Munizipalgarden, Hofbediente und Umwohner, Männer, Kinder und Frauen standen in unruhigen Gruppen umher, besorgt wegen der nächsten Ereignisse und unentschlossen. Jeden Augenblick kamen Leute aus der Stadt und verbreiteten durch ihre Nachrichten von dem Tumult, den Drohungen der Arbeiter und dem Gemetzel, das bereits an der Donauseite begonnen haben sollte, Furcht und Entsetzen.
Auch die National- und Mobilgarden waren unruhig und warteten auf Befehle vom Oberkommando, das Thor zu übergeben oder ihren Kameraden zu Hilfe zu ziehen.
»Es ist Zeit, Martha; Ruhe und Besonnenheit! Heute Abend spätestens sehen wir uns wieder!« Sie warf ihm einen kurzen bedeutsamen Blick zu und eilte über den Platz. Lazare zog sich nach den Gebäuden der Burg zurück, nach wenigen Augenblicken hatte er gefunden, was er suchte, einen Mobilen, mit dem er die Depesche an den Führer der Abteilung sandte.
Unter Trommelschlag, dem Befehl des bekannten Leiters entsprechend, verließ die Abteilung der Mobilgarden den Platz, die Fünfhäuser schlossen sich ihnen an.
Der Platz war kaum geräumt und nur die Thorwache noch anwesend, als schon aus der Burg die Platzoffiziere von Heidt und Möser mit mehreren städtischen Nationalgarden und Burgbeamten herauseilten und dem Wachtmeister Prohaska halfen, die Steinbarrikade vor dem Thore hinwegzuräumen.
In diesem Moment hörte man vom Thor herab einen Schuß fallen, dem wildes Triumphgeschrei folgte.
»Das ist die Gräfin! Aber zum Henker! die Schurken werden das Thor öffnen, ehe es noch zum Konflikt gekommen!«
Er lief nach dem Kohlmarkt zu. »Verrat! Verrat! Die Bürger übergeben das Burgthor!«
Der Ruf ging ihm mit Blitzesschnelle voran. Arbeiter, Mobile, wüstes Gesindel mit Waffen stürzten unter Fluchen und Geschrei nach der bedrohten Gegend, wo bereits die Bürger mit den wenigen zur Bedienung der Kanonen rechts und links auf der Bastei zurückgebliebenen Mobilen handgemein geworden waren und sie vertrieben und entwaffnet hatten.
An den Augustinern traf der Verräter auf eine starke Abteilung der Mobilen, die, geführt von einem Legionär, zwei Kanonen eskortierte.
Lazare kannte den Führer, den er oft in der Umgebung Blums und der andern Mitglieder der Nationalversammlung gesehen, mit denen er von Frankfurt gekommen.
Der junge Mann trug die Kleidung der Legionäre und die Binde und Schärpe eines Offiziers. Im Augarten und an der Landstraßenbrücke hatte er mit Robert Blum unter den Eliten mit großer Kaltblütigkeit gefochten und eine Todesverachtung bewiesen, die fast zum Glauben verleitete, er suche diesen Tod, und die ihm unter dem Volk, das wirklich kämpfte und sein Blut opferte, großes Ansehen verschafft hatte.
Diesem eilte Lazars entgegen.
»Hierher, Herr Meißner! Zum Burgthor! Man verrät die Stadt!«
Der Kämpfer auf den Berliner Barrikaden faßte ihn am Arm. »Was ist geschehen? Haben Sie Hauptmann Blum gesehen?«
»Die Nationalgarden haben durch Verrat ihren Posten am Burgthor verlassen. Die Bürger und das Dienervolk tragen die Barrikade ab und wollen den Soldaten die Thore öffnen, die bereits auf dem Glacis stehen. Blum mit wenigen Mobilen hält den Posten noch gegen die Übermacht! Wiens Rettung liegt in Ihren Händen! Ich hole Succurs!«
Der junge Mann schwenkte den Säbel. »Vorwärts, Kameraden! Vorwärts, Kanoniere! Es lebe die Freiheit!« Von hundert Händen gezogen, rasselten die beiden Geschütze über das Pflaster, die Schar stürmte voran über die Augustiner Bastei.
Die Barrikade war zerstört, eben wurde das Thor geöffnet, zugleich eilten der Platzoffizier Möser und der Nationalgardist Löffland, eine weiße Fahne schwenkend, mit etwa zehn Burgwächtern hinaus; ein lebhaftes Gewühl innerhalb des Thores! der Ruf: »Es lebe der Kaiser! – Nieder mit den Radikalen!«
»Halt! Feuer auf die Verräter!«
Eine Decharge sprühte ihren Kugelregen gegen die Gruppen am Thor, die wie die Spreu auseinander stoben. Im nächsten Moment schon war der Führer der Schar an der Stelle, einen Augenblick währte der Kampf auf den Treppen, dann waren die Bürger geworfen, zwanzig Hände warfen den schweren Thorflügel in das Schloß und hingen die Ketten und Stangen ein, mit Gedankenschnelle häuften sich aufs neue die Quadern zum steinernen Wall hinter den dicken Planken, von den Wällen knallten Flintensalven gegen das Militär; noch einmal war das grimme Gespenst des Bürgerkampfes in all seiner Wut heraufbeschworen!
General Karger mit seinem Stabe hielt auf den Laimgruben. Die Artillerie war hinter den kaiserlichen Stallungen und dem Spittelberg postiert; das Militär stand, Gewehr bei Fuß, vor den Stallungen, zunächst die Grenzregimenter, weiter in der Vorstadt, verdeckt von den Häusern, die unterstützenden Truppen. Eine zahllose Zuschauermenge füllte im Hintergrunde die nach Mariahilf und Spittelberg führenden Straßen.
Die Offiziere, ungeduldig auf den Befehl zum Angriff oder Einmarsch wartend, standen, die Uhr in der Hand, vor ihren Kompagnieen.
Der alte Boghithschewitsch klopfte den Knaben, der sich zu ihm hielt, auf den Kopf. »Schau, kleiner Prussian, wie sie werden aufthun sogleich das Thor vor Kaisers Majestät. Wirst Du schön goldige Dinge sehen in Kaisers Stadt, wie in der ganzigten Welt nirgends niemals!«
Der Knabe hielt seine Flinte im Arm. »Schade,« sagte er, »daß sie nicht mehr Courage haben, ich hätte gern noch einmal mitgemacht, eh' mich der Fürst wieder nach Berlin in die Schule schickt! Du besuchst mich doch da, Alter?«
»Werd' ich kommen, wenn ich krieg' Urlaub. Weiß schon, werden wir uns wiedersehen. Kleiner Finger meinigte hat mir's gesagt. Paß auf, Junker – da reitet einer zum Thor, General befiehlt, daß sie sollen aufmachen.«
Auf dem Plateau des Thores wurde jetzt eine weiße Fahne aufgesteckt; von der Laimgrube her jagte, von einem Trompeter gefolgt, ein Husaren-Offizier an den Ottochanern vorüber. Der Pelz flog im Wind, wie er so über die Kieswege des Glacis und das Halbrondell des Platzes sprengte und vor dem Thor den schönen Rappen parierte.
»Trompeter, blase!«
Die Fanfare schmetterte durch die Luft, sie war nicht nötig, zwanzig Köpfe schauten über die Brustwehr, teils mit grimmiger Drohung, teils freudig grüßend.
»Im Namen Seiner Majestät des Kaisers und auf Befehl Sr. Durchlaucht des Feldmarschall Fürsten Windischgrätz fordere ich die sofortige Öffnung des Thores zum Einmarsch der kaiserlich königlichen Truppen nach der Bestimmung der Kapitulation!«
Die mit kräftiger Stimme gesprochenen Worte des Parlamentärs schallten herüber auf die Bastion, ein Freudengeschrei erwiderte sie, das Thor begann sich in seinen schweren Angeln zu drehen, ein Offizier der Nationalgarde trat heraus von mehreren Personen begleitet und ging, sein Taschentuch schwenkend, auf den Offizier zu.
»Nimm das zum Andenken an die Wiener!« Ein Flintenschuß knallte von der Bastion! »Zu mit dem Thor, Kameraden! Ein Verräter, wer von Übergabe spricht, so lange wir kämpfen können.«
»Hunde, falschigte!« fluchte der Seressaner, »haben auf Parlamentär unsrigten geschossen! Wissen nix von Kriegsgebrauch! Muß man schneiden Kopf ihrigten ab!«
Dem Husaren-Offizier hatte die Kugel die Mütze vom Kopf gerissen. Er schwenkte drohend die unbewaffnete Hand gegen das Thor, dann warf er das bäumende Pferd herum und galoppierte mit seinem Begleiter davon. Flintenschüsse fielen hinter ihm drein, doch ohne ihn zu treffen. Man sah auf dem Thor und den Bastionen ein Gewühl von Gestalten; aus den Reihen der Soldaten brach ein allgemeiner Schrei der Entrüstung und empfing den Ansprengenden, die Personen, die das Thor verlassen, flüchteten über das Glacis.
Die Generale Karger und Hartlieb kamen bereits aus der Laimgrube; der neue Treubruch war offen vor den Augen der Truppen verübt worden, die Zeit der Unterhandlung, der Gnade war vorüber, der Wink des Spions in der vergangenen Nacht hatte sich bestätigt und die Ordres des Fürsten waren bestimmt.
Die Adjutanten rasten zurück, noch ehe der Parlamentär die Generale erreicht, nach der Stiftgasse, der Ingenieur-Akademie, dem Spittelberg; wie mit einem Zauberschlage demaskierten sich die Truppen, mit donnerndem Geprassel flog eine schwere Feldbatterie an den Stallgebäuden vorüber und protzte im Mittelgang des Glacis, dem Thor gegenüber, ab. Die Artilleristen sprangen von den Pferden, die Geschütze waren im Nu gekehrt, und die Kanoniere mit den brennenden Lunten standen daneben.
»Feuer!«
Die Zwölfpfünder, der erste, zweite, dritte, krachten nach einander, und die Kugeln schlugen gegen das Thor. Das Geschütz der Bastionen antwortete; vom Kärntner Thor her donnerte jetzt auch Artilleriefeuer, ein Bataillon Jäger ging tiraillierend vor und bestrich die Wälle; der Offizier, der in der Nacht vorher vom Feldmarschall mit der Ernennung zum Kapitänleutnant belohnt worden, war trotz der Verwundung mitten unter ihnen.
Es war dem aus dem Thore geflüchteten Nationalgardisten Löffland gelungen, bis zu General Karger vorzudringen. Er beschwor diesen, das Artillerie-Feuer einstellen zu lassen, da das Thor nur von wenigen Mobilen verteidigt werde, und die Gutgesinnten diese gewiß bald entwaffnen würden. Der General, die Wünsche des Fürsten kennend, gab nach, und das Feuer schwieg. Ein Bataillon Kaiser-Infanterie, unter Major Rath, und die Ottochaner Grenzer, unter Major Wimmer, traten zur Sturmkolonne an.
»Leb' wohl, Kumria!«
»Jesus, mein Heiland schütze Dich …!«
Die beiden Mädchen wurden mit Gewalt von den Offizieren zurückgetrieben, die Pioniere setzten sich an die Spitze der Kolonne, der Offizier der Tête hatte auf Befehl des Generals neben sich den unglücklichen Nationalgardisten.
Zwei Salven der rechts und links postierten Geschütze; im Pulverdampf eilten die Pioniere über den Platz und ihre Axtschläge donnerten gegen das Thor; aber die starken mit Eisen beschlagenen Bohlen leisteten unüberwindlichen Widerstand.
»Geh' zurück, Bursch! ist sich Werk für Männer! ist die Gefahr großigte!«
Von der kleinsten Deckung Gebrauch machend, krochen die Seressaner und Jäger über das Glacis; überall blitzten die Flintenschüsse auf gegen die Verteidiger der Wälle, während sie sich nieder auf den Boden warfen, wenn die Kartätschen von den Bastionen über den Platz fegten.
Mitten zwischen den Rotmänteln, immer zu seinem alten Beschützer sich haltend, war der Knabe, bald auf dem Knie liegend, seine Flinte auf den Wall abschießend, bald am Boden vorsichtig, wie der älteste Soldat, sie ladend. Die starke Hand des Alten riß ihn nieder. »Schaust nit, Bub' vermaledeitigter, daß sie feuern die Kanonen hierher?«
Es war die höchste Zeit. Über die am Boden liegenden rasselte der Kartätschenhagel, eine Kugel riß den roten Mantel des Seressaners durch.
»Jetzt vorwärts!«
Sie sprangen wohl fünfzig Schritt der Bastion über dem Turm näher, ehe sie wieder Deckung suchten.
»Hab' ich schon lang' geseh'n den Burschen da,« sagte der Alte, bedächtig sein Gewehr hebend, »ist sich ein rasender Kerl, Feind Kaiser unsrigten! Ist sicher der Aula, oder tausend Schock Teufel sollen haben den Leib meinigten. Werd' ich ihn treffen, wie den Wolf in dem …!«
Die lange Flinte lag im Anschlag, in diesem Augenblick fiel das Auge des Knaben durch die Lücke des Pulverdampfes auf den Mann auf der Bastion, den sich der alte Seressaner zum Ziel gewählt.
»Barmherziger Gott! Rudolph!« Er stürzte sich auf den Alten und schlug die Flinte im Augenblick des Abdrückens nieder.
» Bassamanelka ist sich der Bursch toll? Hatt' ich den Kerl so schön vor Rohr und hat alte Boghitschewitsch niemals nicht gefehlt!«
»Ich kenne ihn, er ist unschuldig! Er hat meinem Vater das Leben gerettet in einem fremden Land!« keuchte bittend der Knabe, während ihm große Thränen über die Wangen rollten.
»Na, na, mag laufen! Wirst aber werden schlechter Soldat, wenn frägst nach Freund und Verwandt'! Würd' ich schießen auf Sohn meinigten, wenn er wär' ein Feind von dem Kaiser!«
Auf den Rat des Nationalgardisten Löffland waren die Pioniere jetzt wieder von dem Thor zurückgezogen worden, da ihre Anstrengungen vergeblich und unter den Schüssen der Belagerten schon mehrere gefallen waren. Die schweren Zwölfpfünder am Eingang des Platzes krachten jetzt aufs neue gegen das Thor, den Truppen Eingang zu verschaffen.
Der Donner der Geschütze rings umher war wahrhaft furchtbar und betäubend; Granaten, Vollkugeln, Brandraketen regneten jetzt ohne Unterlaß und ohne Schonung gegen die unglückliche Stadt, während die Kartätschen und das Musketenfeuer gegen die Verteidiger der Wälle gerichtet war.
Der Kampf dauerte bereits anderthalb Stunden. Vom Stephansdom heulte durch das Brüllen der Geschütze und das Toben des Kampfes fortwährend die eherne Zunge der Sturmglocke.
»Feuer! Feuer!«
Über den Wall hinweg, an zwei, drei Stellen, aus der Kuppel des Hofbibliothekgebäudes gegen das Naturalien-Kabinett hin, vom Augustinerturm und dem Kolowratschen Palais stiegen Flammensäulen empor und vermehrten die Verwirrung und Not in der Stadt. Vergebens versuchten die Bürgerwachen und die Burgbedienten das Feuer im Palast ihres Kaisers zu bewältigen, die Mobilen selbst kehrten die Kanonen gegen die Burg; Leute in Calabresern, wilde Gestalten der Revolution waren es, welche die Pechkränze auf das Dach der Bibliothek schleuderten; wie aufopfernd auch die Wachtleute und Bürgergarden unter ihren Führern Untersteiner und Möraus, an dem Löschen arbeiteten, das furchtbare Bombardement verhinderte alle Anstalten, auf dem Michaelsplatz wurden die Helfenden von dem wütenden Proletariat, als sie die Spritzen holen wollten, mit Flintenschüssen zurückgetrieben.
Die Generale hielten jetzt hinter den Batterieen. Ein Adjutant des Feldmarschalls hatte soeben den Befehl gebracht, zum Angriff zu schreiten.
Es war kurz vor fünf Uhr.
»Das Feuer der Rebellen wird schwächer!« rapportierte ein Offizier, »die Zahl der Feinde auf den Bastionen hat sich seit zehn Minuten bedeutend verringert, sie scheinen uneinig zu sein und zu flüchten.«
»Sehen Euer Excellenz dort hinüber! da auf dem Haupttrakt der Burg!«
Der Kommandierende richtete sein Glas dahin. »Eine weiße Fahne, ich sehe sie deutlich!«
Ein Offizier kam heran und salutierte. »Ich habe zu melden, daß die Bresche des Thores passierbar ist!«
Die Generale berieten sich einige Augenblicke.
»Es muß ein Ende gemacht werden!« befahl General Hartlieb. »Lassen Sie die Truppen, die vorhin zum Sturm kommandiert waren, aufs neue sich formieren! Die Pioniere mit den Leitern voran!«
»Von dem Thor weht eine weiße Fahne!«
In der That hatte der Burginspektor Wagner, als letztes Mittel zur Rettung des kaiserlichen Palastes und seiner Kunstschätze, es gewagt, trotz der furchtbaren Gefahr, eine weiße Fahne zuerst auf dem Dach, und dann, da er fürchtete, daß sie wegen der eintretenden Dämmerung nicht gesehen werden könne, auf dem Thor selbst aufzustecken. Aber rechts und links wurde noch gekämpft und weiter auf die Truppen gefeuert; eine Anzahl entschlossener verzweifelter Männer, unter der Führung des Berliner Studenten und einiger jungen Leute, hielt Stand, obschon mit jedem Augenblick die Desertion größer wurde, und schon die Hälfte der Geschütze nicht mehr bedient werden konnte.
General Karger sprengte vor und hob den Hut. »Vorwärts, Leute! Der Augenblick ist da! Es lebe der Kaiser!«
Die Trommeln wirbelten im kurzen Sturmschlag.
»Vorwärts!«
» Zivio! Zivio! – Hurra!«
Im Nu war der Platz vor dem Thor überflogen, schwache Schüsse knallten von den Bastionen, Axtschläge ans Thor, es sank! An den Wällen mit Händen und Füßen sich festklammernd schwärmten von allen Seiten die Soldaten hinauf.
» Zivio! Zivio!«
Wie die Teufel stürzten die braunen Gestalten der Ottochaner in das Thor, über die Holz- und Steintrümmer – Schüsse, Geschrei, wilde Flüche!
Der Widerstand auf Bastion und Thor war nur kurz; pulvergeschwärzt, verwundet, schreiend flohen die Mobilen in die innere Stadt.
Zehn Minuten – das Thor war in den Händen der Kaiserlichen! Unter Trommelschlag rückte durch die vollends gesprengte Pforte Kaiser-Infanterie und besetzte rechts und links die Wälle. Auf dem inneren Platz hielten die Majore Wimmel und Rath, die Eindringenden zu ordnen, während die Spitze der Ottochaner mit den Seressanern und Jägern den Feind im Schein der brennenden Gebäude bereits um die Burg her, nach dem Kohlmarkt und der Freiung verfolgten.
Tücher aus den Fenstern! »Es lebe der Kaiser! Es lebe der Kaiser! Willkommen!« Männer und Frauen stürzten aus den Thüren, umarmten die wilden Grenzsoldaten und brachten ihnen Getränke; auf einzelnen Plätzen schlug sich noch hin und wieder ein kleiner Haufe, ein vereinzelter, verzweifelnder Kämpfer der verzweifelten Freiheit – mutig zum Tode, eines bessern Kampfes wert!
Und der Tod kam! »Nix Pardon! Nix Pardon! Aula muß lassen Kopf!«
Scenen des Grauens! wie der amerikanische Wilde den Skalp, so fordert der zur bestialischen Wut entflammte rohe Krieger der wilden Grenze das Leben, den Kopf für die Schmach, die man seinem Kaiser gethan, für die lange Entbehrung und das harte Leben der Belagerung.
»Halt still, Jüngelchen! Fürcht' Dich nit!«
Auf der Steinbank eines Hauses saß ein grimmiger Seressaner, den Mantel zurückgeschlagen, das lange handjarartige Messer in der Faust, neben ihm, unter ihm, von den Flintenkolben und Säbeln seiner Gefährten festgehalten, blutend, verwundet, das Entsetzen des Todes in den bleichen, feuchten Gesichtern, drei Männer: zwei davon in der Uniform der Aula, Gefangene, welche die wilden Soldaten soeben gemacht in dem Flur des Hauses, in das sie sich geflüchtet, und wo sie sich zum Tode gewehrt.
Der Seressaner hatte den hilflosen Körper des Jünglings zwischen seinen Knieen und zog seinen Kopf rückwärts an den langen Haaren. Der junge Mensch war bereits halbtot, aber er wehrte sich mit der letzten Kraft der Verzweiflung. »Erbarmen! Erbarmen! …«
»Müssen alle sterben! Kaiser muß Aula haben. Thut nix weh!«
»Mutter – Mutter …«
Der Ruf erstarb unter dem Strom von Blut. Der Seressaner hatte ihm die breite Klinge dicht unter dem Ohr hineingestoßen und säbelte ihm langsam nach türkischer Manier, den Kopf ab, als habe er einen toten Hammel vor sich.
Die Scene war furchtbar, entsetzlich, aber sie hat sich wirklich ereignet!
Der Mörder – und doch war er in seinen Augen nur ein guter und treuer Soldat, dem, nach den Begriffen seiner Heimat, ein Menschenleben nicht die geringste Berechtigung hatte – ließ den Körper fallen und legte den Kopf neben sich, dessen Lippen sich noch zuckend zu bewegen schienen. Dann sah er nach seinen beiden anderen Opfern. Das eine, der Student, die Offiziersbinde des Elite-Korps noch um die Schultern geschlungen, lag am Ende der Bank, sein bleiches, kräftiges Gesicht war aus einer Wunde am Kopf mit Blut befleckt, das die blonden Haare feucht zusammenklebte. Trotz der Wunde war seine Verteidigung im Hausflur so wütend, so energisch gewesen, daß ihm die Überwältiger mit einem Riemen die Arme fest um den Leib gebunden. Er lag da, hilflos, den furchtbaren Tod im Auge, die Zähne in stummer Erbitterung auf einander gebissen.
»Immer mehr Aula! müssen alle sterben für Undank an Kaiser!«
Der Seressaner langte nach ihm, als, die Gebärde mißverstehend, der dritte Gefangene, der unter dem Fuß einer der Rotmäntel keuchend und blutend auf der Erde lag, plötzlich mit einem gewaltigen Ruck sich emporbrachte und, noch halb auf den Knieen liegend, wie ein wildes Tier mit Nägeln und Zähnen sich auf den Schlächter warf. Es war ein gedrungener, untersetzter Mensch von vielleicht vierzig Jahren, mit rötlichem Bart, seiner Kleidung nach dem Arbeiterstand, dem Proletariat angehörig, derselbe, der die weiße Fahne von der Thorbastei gerissen hatte. Wie ein Knäuel ballten sich die Ringenden zusammen und wälzten sich auf den blutenden Leichnam. Viermal erhob sich der Wiener, bereits aus zehn Wunden blutend, denn die Seressaner hieben und stießen nach ihm, ohne zu sehen, ob sie sich selbst verwundeten; mit den Zähnen hatte er sich in seinen Feind verbissen und würgte ihn mit den Händen, bis ein schwerer Schlag mit dem Säbelgriff ihm die Hirnschale zerschmetterte.
»Kroatenhunde, Tyrannenknechte, Fluch! die Freiheit, die Frei …«
Der Blutstrom aus seinem Munde unterbrach das mißverstandene Wort, für das er gestorben; ein Stöhnen, ein Zucken der zerfleischten Glieder, starr und grausig, als drohten sie noch im Tode dem Feinde Rache, klafften die Augen!
»Entsetzlich! Macht eine Ende, Henkersknechte! mordet auch mich!«
Einige Augenblicke, schnaufend von der Blutarbeit, standen die wilden Soldaten umher, auf die triefenden Waffen gestützt, die Augen, nicht ohne selbst zu schaudern, auf die beiden Leichen gerichtet.
Der Ausruf des Studenten erweckte sie, die finsteren, toddrohenden Augen trafen ihn, jene furchtbare Lust und Gier, die das vergossene Blut erweckt, war erwacht.
»Hund von Aula! Muß Kopf ab!«
Zwei der Wilden erfaßten ihn und rissen ihn empor, – der blutige Kopfabschneider, gereizt von dem eignen Blut, hob den Handjar …
»Fahr' wohl, deutsches Vaterland! Rosamunde!«
Ein Schlag auf den Arm des Seressaners schleuderte ihm das Messer aus der Hand; wie ein junger Löwe warf sich der Knabe, der mit Boghitschewitsch und einer neuen Schar die Straße heraufgekommen, vor den bedrohten Freund.
»Rührt ihn nicht an! er soll nicht sterben – ich töte jeden, der ihm naht!«
Die Flinte, seit dem ersten Erkennen des Jugendfreundes unter den Kämpfenden der Bastion nicht wieder abgefeuert, lag im Anschlag. Der alte Boghitschewitsch warf sich ins Mittel. Der Knabe hatte ihm von dem Landsmann erzählt, wie er ein Freund seiner Familie, wie er Eltern und Schwester aus den Händen der Freiheitsmänner in Frankfurt gerettet! Er hatte ihn gewonnen mit der Erklärung, daß jener nur durch Zufall nach Wien und unter die Feinde des Kaisers geraten sein könne.
Der alte Boghitschewitsch befahl den Seressanern auf Kroatisch, von dem Studenten abzulassen. Sein Ansehen war so groß, daß trotz der erregten Mordgier die wilden Soldaten ihrer Absicht Einhalt thaten. Aber die Verwünschungen der im Kampf mit dem Proletarier Verwundeten, die drohenden Blicke und die sich mehrende Masse der in der Verfolgung begriffenen Soldaten zeigten, daß die Gefahr keineswegs beseitigt war. Trommelwirbel! Ein Bataillon der Ottochaner kam im Geschwindmarsch in geschlossener Reihe vom Thor herauf, während rechts und links in den Straßen noch einzelne Schützen plänkelten, um das Kriegsgebäude und den Stephansplatz zu besetzen. Kanonen rasselten hinterdrein. Aus den Fenstern ließen Frauen, Männer und Kinder weiße Tücher und Fahnen wehen und ein Hoch über das andere für den Kaiser und seine Truppen erschallen. Lichter an allen Fenstern, Fackeln auf den Straßen und Plätzen! Wie mit einem Zauberschlage war die Stimmung dieses Volkes geändert, das noch vor wenig Tagen in blindem Fanatismus alles geschmäht, was mit der frühern Ordnung der Dinge in Verbindung stand und von der Armee des Kaisers nur wie von Feinden gesprochen, die gekommen, seine junge Freiheit zu unterdrücken. Jetzt galten selbst die blutigsten Scenen einer schrecklichen Wiedervergeltung in der mit Sturm genommenen Stadt für berechtigte Heldenthaten.
An der Burg half Kaiser-Infanterie, vom Hauptmann Janda beordert, bereits dem Hofpersonal kräftig beim Löschen des Brandes. Der Ruf: die Stadt ist über! die Kroaten sind in der Stadt! hatte sich mit Blitzesschnelle verbreitet, nur an einzelnen Punkten wurde noch haltloser Widerstand geleistet, Legionäre und Mobile warfen die Waffen in den Straßen fort und suchten ein Versteck; in den Durchgängen und den Straßenwinkeln sah man die bisher triumphierenden Fanatiker mit Messern und Scheren sich der wilden Demokratenbärte entledigen, jedes Attribut ihrer Teilnahme am Kampfe bescheiden von sich thun, ja selbst die Kleidung verändern und als ruhige Bürger, oder gar als schaulustige Stutzer und Flaneurs wieder zum Vorschein kommen, die harmlos sich in die Menge mischten.
Der alte Boghitschewitsch hatte den Berliner Studenten am Kragen gefaßt, der Knabe ihm klug und rasch die Zeichen der Führerschaft vom Rock gerissen und die Riemen gelöst, die seine Arme gefesselt hielten. So zogen sie ihn als Gefangenen in die Reihen des Bataillons, das unaufhaltsam zum Kampf wie zum Schutz bereit, dem Platz am Hof zu marschierte. Von allen Seiten wurden Gefangene, die mit den Waffen in der Hand ergriffen worden, herbeigebracht und in die Reihen der Soldaten gestoßen, um dem Henker und dem Zuchthaus zu verfallen.
Die Geschütze sprühten bereits ihren eiserenen Hagel auf die der Vergeltung verfallene Stadt, als hinter dem Hof der Doktor Lazare die Thür des hintern Treppenaufgangs eines Hauses aufschloß, das an das von der Gräfin bewohnte stieß.
Er hatte die Abzeichen der akademischen Legion abgelegt, die er noch kurz vorher getragen, sein Gesicht zeigte die gewöhnliche blasse Farbe und den Ausdruck der ruhigen Überlegenheit, die es gewöhnlich kennzeichnete. Um den schmalen, lippenlosen Mund lag ein triumphierendes, spöttisches Lächeln, das eine gelungene Rache oder einen nahen Sieg verkündete.
Der Verräter warf rasch einen Blick durch die Straße; aber nur hastig Vorübereilende, ängstliche Gesichter, die aus den Fenstern schauten, Gruppen, die nur mit dem Lärm des begonnenen Kampfes sich beschäftigten, waren zu sehen, und er schlüpfte hinein und verschloß sorgfältig hinter sich die Thür.
Er war jedoch kaum verschwunden, als um die Ecke der Straße ein großer alter Mann trat, eine Bunda um die Schultern, einen alten breitkrempigen Hut auf dem ergrauten Haar. So seltsam auch die Kleidung des Alten zusammengesetzt und so auffallend sonst seine Erscheinung war, erregte sie doch jetzt nirgend Aufmerksamkeit; denn abgesehen von der Ungebundenheit und Verschiedenheit der abenteuerlichen Trachten in den Straßen, hatte jeder jetzt vollkommen genug mit sich selbst zu thun.
Das scharfe Auge des Tirolers hatte mit einem Blick den Ort gesehen, wohin der Legionär verschwunden, und nachdem er kurze Zeit gezögert, nahte er sich der Thür und versuchte sie zu öffnen.
Die Thür war, wie erwähnt, verschlossen. Der alte Mann umschlich das Haus und trat in den engen Hofraum, überall sorgfältig sich umschauend, ohne jedoch eine Spur von dem, was er suchte, finden zu können.
Dann, nachdem er sich überzeugt, daß das Haus nur diese Ausgänge hatte, stellte er sich gegenüber an der nächsten Ecke auf die Lauer.
»Es muß ein Ende gemacht werden,« murmelte der Legionär vor sich hin, während er die schmale Treppe hinaufstieg. »Sie wird sich hüten, ihre eigene Schande zu verraten und mag dann zum Teufel gehen, wohin sie will. Sobald ich meinen Zweck erreicht, bringe ich sie aus dem Haus auf die Straße und lasse sie dort allein, es ist kein Gedanke daran, daß sie den Ort wiederfindet.«
Er war zwei Treppen emporgestiegen, das Haus schien unbewohnt, und in der That waren die Eigentümer beim Beginn der Belagerung aufs Land geflüchtet. Nur in dem Parterre des Hofes hatte sich Proletariat aus den Vorstädten einquartiert, mit dem jene abgesperrte, im zweiten Stock belegene Wohnung jedoch nicht in Berührung kam, wohin er die Tirolerin gebracht hatte.
Auf dem zweiten Absatz der Treppe horchte er an einer Thür und öffnete dann eine zweite nebenliegende, die in ein ziemlich großes, zu seinem Gebrauch eingerichtetes Zimmer führte.
Die Einrichtung zeigte den Charakter des Mannes. Ein breites Matratzenbett, wie solche in Italien üblich, stand an der Seite, mit Seidengardinen überdacht, die auf der Mitte der Wand einen breiten, halb geneigten Spiegel durchsehen liefen. Allerlei Waffen an den Wänden, dazwischen erotische Bilder, neben wirklich trefflichen, so schamlose und obscöne, daß sie eben nur der verderbtesten Phantasie Beifall entlocken konnten. Ein Paar spanische Degen neben dem türkischen Schlafrock an der Wand, orientalische Rauchapparate, an der Wand auf einem Konsol skeptische, philosophische Werke und eine mit Kupfern verzierte Ausgabe des Casanova. Ähnliche Schriften, Zeitungsblätter und Broschüren auf dem Tisch vor dem breiten Leder-Diwan, in einer Ecke am Kamin ein chemischer Apparat. Zwischen den beiden Fenstern auf einem Nachttisch eine silberne Toilette mit einer Unzahl von Büchsen und Flacons, an der Seitenwand ein großer jetzt geschlossener Schreibsekretär, mit Schriften und hundert eleganten und kostbaren Kleinigkeiten bedeckt.
Lazare zog einen Revolver aus der Tasche, untersuchte die Pistons und legte ihn auf den Tisch. Dann warf er den Rock, den er trug, ab, zog neben dem Bett einen Vorhang zurück, hinter dem mehrere Garderobestücke hingen, und wechselte seine Kleider. Während er dies that, öffnete er eine Tapetenthür hinter der Garderobe mit einem Schlüssel, horchte in den dunklen Raum hinaus, auf den sie führte, und verschloß sie dann wieder.
Dann öffnete er die gegenüberliegende Tapetenthür, trat in einen kurzen Gang und von diesem rasch in das anstoßende Zimmer.
Während das seine den sybaritischen Luxus des Wollüstlings und Weltmanns zeigte, wies das Zimmer des gefangenen Mädchens fast nur die nackten Wände. Ein einfaches Matratzenbett stand an einer Seite, Wasch- und Kochgeschirr an der anderen, zwei schlechte Stühle und ein alter Tisch bildeten das einzige Mobiliar, das Fenster war mit starken Eisenstäben so fest vergittert, daß man nicht einmal den Kopf hindurch zwängen konnte. Eine zweite Thür führte von dieser abgelegenen Bodenkammer in die Stube, in der die frühere Schließerin im Kriegsgebäude, jetzt wohlbestalltes Mitglied des Wiener Amazonen-Korps, wohnte.
Auf einem der Stühle saß das Tirolermädchen, angstvoll die Hände gefaltet und besorgt durch das vergitterte Fenster hinausstarrend, von wo der krachende Donner der Kanonen und das Geschrei des Volkes auf den Straßen zu ihr herauf drang.
Obschon das blühende, kräftige Mädchen in den wenigen Wochen durch Angst und Leiden abgemagert und verhärmt war, lag auf dem lieblichen Gesicht doch noch immer jener Ausdruck von Entschlossenheit und Kraft, der es bei ihrem ersten Erscheinen in Wien so interessant gemacht hatte. Aber aus dem dunkelblauen Auge war die naive und kindliche Zutraulichkeit, das Vertrauen der Unschuld gewichen, das wie Blütenstaub früher auf ihrem Antlitz gelegen. Das arme Kind hatte die Kenntnis der Gefahr, die Sorge und den Abscheu vor dem sie umringenden Laster dafür eingetauscht.
Das sonst so kräftige, kühne Mädchen schauderte unwillkürlich zusammen, als sie, bei dem Geräusch aufblickend, die grauen, funkelnden Augen auf sich gerichtet sah und ihren Peiniger und Verfolger erkannte.
Er ging rasch auf sie zu und wollte sie umfassen. »Sei ruhig, Kind, Du brauchst Dich vor dem Donner der Kanonen nicht zu fürchten; ich bin hier zu Deinem Schutz.«
»Lassen's mi geh'n, Herr, komm's mir nit zu nah',« sagte das Mädchen, sich in eine Ecke des Gemachs flüchtend und die Hände abwehrend vor sich hinstreckend, als wollte sie vor seiner Annäherung sich schützen.
»Närrin! Ist das der Dank, mit dem Du meinen Schutz vergiltst?«
Das Mädchen fiel auf die Knie. »Gott der Herr und die heil'ge Jungfrau mögen mir's vergeben, wenn i Unrecht thu, daß i Enk verschörg! Aber i kann halt nit anders! Lassens mi geh'n, Herr, deß i am Grab von meinen Nön'l mi ausrehren kann, den die schlimmen Wiener hingemacht. I will zu Fuß nach Sprugg geh'n und von da in mei Heimat, und die Heiligen werden mir beisteh'n.«
»Und Franz, Dein Vetter? Die Kanonen, die Du brüllen hörst, bedeuten ihm den sichern Tod, wenn ich meinen Schutz ihm entziehe! Du weißt, was er begangen hat, und daß keine Gnade für ihn ist, wenn des Kaisers Soldaten ihn fangen!«
Die arme Gepeinigte wand sich um Boden. »O, Herr, sein's barmherzig! Der Franz hat gefehlt, er is unglücklich g'nug, denn des Nön'l Fluch liegt auf ihm. Aber wir wollen beten, bis der Herrgott im Himmel ihn von dem Tschoggl genommen und er's wieder gut gemacht hat mit seinem Blut und Leben. Nur thun's dem Nön'l die Schand' im Grab nit an, den Franz zu verraten!«
»Du kennst das Mittel! Ihr sollt beide frei von Wien gehen und Reisegeld bis in Eure Heimat haben. Meinetwegen kannst Du ihn dort heiraten. Aber diese Nacht schläfst Du bei mir, und sogleich – –«
Wie sie so dalag vor ihm, schwelgte sein Auge in den noch immer so schönen und kräftigen Formen des Mädchens und der festen Rundung des halbentblößten Busens. Sein fahles Gesicht übergoß sich mit großen, roten Flecken, er öffnete die Arme und trat auf sie zu.
In diesem Augenblick schien der alte entschlossene Geist in dem Mädchen wieder aufzuwachen; sie sprang empor, ihre schönen Augen flammten im Feuer tiefer Entrüstung und Verachtung.
»Rühr' mich nicht an! oder Gott im Himmel wird Dich strafen. Du siriger Bub'! Glaubst, i durchschau nit Dei böses Herz und die Franzl, die Du auch unglücklich gemacht hast, daß sie wie z' nicht is, hätt' mir's nit gesagt, wie Du den Ignaz ihren Liebsten verführt und sie dann zu all dem Bösen gezwungen, das sie mir angethan? Hat sie mich nit hergelockt mit der hälen Kunst, daß der Franz Stockhammer im Sterben läg', von meines Vetters Stub? und hat sie mich nit seitdem hier festhalten müssen, sie mocht' wollen oder nit, als wär' i a Assel, das gestohlen hätt' und im Zwangshaus säß? Gott im Himmel weiß, ob's wahr is, daß der Nön'l gestorben, aber i kann nit glauben, daß es a Menschenherz gäb', das dem andern so großes Leid anthät' mit solchem Lug!«
»Er ist tot, ich schwör' es Dir!«
»So wird er mich im Himmel schützen, denn wenn er noch gelebt hätt', würd' er längst bei seinem Nandl gewesen sein!«
»Nichtsnutzige Dirne, versuch, ob er's kann!« Er sprang auf sie los, umfaßte sie, und versuchte sie nieder zu werfen auf das Bett.
Die junge Tirolerin wehrte sich wie eine Verzweifelte. Obschon die Gefangenschaft und der Mangel, den sie hatte leiden müssen, sie geschwächt, war die körperliche Kraft des jungen Naturkindes doch immer noch bedeutend, und der Freche kämpfte sich vergeblich ab, sie zu überwältigen. Mit Fäusten und Nägeln wehrte sie sich gegen ihn und drängte ihn von sich fort, riß sich stets aufs neue von ihm los und flüchtete von dem Bett zurück, zu dem er sie geschleppt.
Der Doktor keuchte wie ein brünstiger Tiger, gegen dessen Gier sich das Weibchen zur Wehr setzt; ein leichter Schaum trat vor seinen Mund, mit Blutfäden durchzogen aus den krampfhaft auf die schmalen Lippen gedrückten Zähnen; seine runden, bleichen Augen waren stier wie die eines Toten.
»Canaille! willst Du Dich noch wehren!«
Ein Faustschlag traf die Stirn des Mädchens, daß es hinten übersank. Jetzt zum erstenmale – denn bis jetzt war der gemeine und empörende Kampf schweigend geführt worden – ertönte ihr gellendes Geschrei: »Hilfe! zu Hilfe!«
Aber der Donner der Kanonen, das Geschrei auf den Straßen, das sich von Minute zu Minute, mit Flintenschüssen gemischt, steigerte, übertönte jeden Ruf.
Dennoch reizte das Geschrei des unglücklichen Mädchens die Bestialität des Schurken nur noch mehr. Er versetzte ihr noch einen Faustschlag auf den Kopf, der sie betäubte, und warf, sie quer über das Bett. Sofort schlang er rasch und mit sicherer Hand sein seidenes Taschentuch um den Oberkörper und die Arme des halb ohnmächtigen Mädchens, damit es diese nicht mehr zu brauchen vermöchte und zog ihren nur leise noch widerstrebenden Körper auf das Bett. Seine gierigen Hände rissen die Schnüre ihres Mieders auseinander und die Hüllen weg, die den jungfräulichen Körper des Mädchens schützten, seine blutunterlaufenen Augen wühlten mit bestialischer Gier in den bisher unentweihten kräftigen Formen.
»Heilige Jungfrau – schütz' mich in Gnaden!«
Dann – – – – – – – – – –
So entsetzlich und widrig dieser Kampf der Bestialität, der Verhöhnung aller Tugend und jedes Gefühls auch war, so wurde er doch noch überboten von dem, welcher sich nur wenige Gemächer weiter zur selben Zeit zutrug.
Die Gräfin Törkyney war in ihrem Boudoir, demselben, das den Verrat des Feldwebels gesehen. Maschka, die Amme, war beschäftigt, ihr beim Umkleiden behilflich zu sein. An der Erde lagen Blouse und Schärpe, die sie vorhin getragen, und die sie verächtlich mit dem Fuß zur Seite schob, ein schweres, Seidenkleid rauschte um ihre feinen, zierlichen Glieder, Schmuck lag auf der Toilette, eine große schwarz und gelbe Bandschleife daneben. Es war offenbar, daß sie die Demokratie auszog, um wieder die vornehme Dame zu sein.
Die Alte zuckte unwillkürlich zusammen bei jedem dröhnenden Kanonenschlag, der sich hören ließ, und ihre Finger zitterten, indem sie den weißen Busen ihrer Gebieterin in das Schnürleib zwängte.
»Is sich grausig zu hören,« sagte sie. »Gott im Himmel Deinigten, wenn ich denk', daß Du draußen gewesen mitten unter all dem Geschieß.«
»Thörin! das Leben ist zu schön, als daß man es unnütz exponieren sollte. Wie der Spektakel losging, war ich in Sicherheit. Es kann dem Gesindel nichts schaden, wenn ihm noch einiges Blut abgezapft wird. Die Canaille wurde zu übermütig! Ebbadta!« Sie streckte ihre Hände in ein Becken und wusch sie mit Eau de Cologne. »Mit Hökerinnen und Fischweibern Revolution zu spielen, hat widriges genug. Fi donc! ich kann die Atmosphäre nicht los werden und bin froh, daß es mit der Pöbelherrschaft zu Ende geht, sie wird langweilig und unangenehm.«
»Aber Liebling, Kanonen ihrigte werden kehren sich jetzt gegen Ungarland?«
»Was kümmert's mich? Laß sie sich schlagen. Die Kugeln und der Galgen werden unter der würdigen Verwandtschaft hoffentlich etwas aufräumen, und wie die Sache auch ausgeht, ich rechne auf Erbschaft. Graf Stephan, der Narr, wird Wunder wie viel erzählen von meinem Enthusiasmus für die ungarische Sache und hier ist für die andere Seite gesorgt. Ferdinand ist ein schlauer Teufel, man muß es ihm zugestehen!«
Die Alte seufzte, das Herz des alten verdorbenen Weibes aus dem Volke hing wirklich am Vaterland. »Aber Goldkind, er betrügt Dich. Weiß ich doch sicher, daß er da drüben in dem Haus noch immer hat die Weibsbilder zwei.«
»Er ist in diesem Augenblick bei ihnen und verbirgt sich vor dem Kanonenlärm wahrscheinlich unter ihren Unterröcken!«
»Schande! Schande! daß er sich abgiebt mit Volk gemeinem!«
Die Dame lachte frech auf. »Alte Närrin! Im Liebesspiel ist alles gleich, Gräfin oder Bauerndirne, sie sind eine erschaffen wie die andere; um sich den Kuchen schmecken zu lassen, muß man zuweilen Brot verspeisen. Du bist auch jung gewesen, Maschka, und hast mir genug erzählt, wie anders Dir's gefallen, als der Graf, mein würdiger Onkel, Dich zu seiner Maitresse nahm, während doch des Sonntags Nacht der braune Marosch, Dein Liebster, in Deinem Arm schlief. Sieh, so ist's auch mit den Vornehmen und Hochgeborenen. Der Satan hole alle die vergoldete Wirtschaft, wenn sie sich nicht manchmal an dem kräftigen derben Blut des Volkes erfrischen könnte!«
»O, Goldkind, Zuckerherz, will ich doch helfen alles, was Vergnügen macht Deinigtes. Sind nur die Männer so schlecht, weil sie können verlassen und betrügen Dich!«
»Unsinn! Ich kann mich nicht im Blut hübscher Jungfern waschen, um jung zu bleiben, wie meine Ahnherrin auf ihrer Felsenfeste Törkyena, die Zeiten sind vorüber. Aber ich weiß, daß der alte Schlaukopf Boerhave mit seinem Rat an den Bürgermeister von Amsterdam ein vortrefflicher Doktor war. Da ich nicht wie die Kaiserin Katharina eine Armee und einen Hofstaat zur Auswahl für meine petits plaisirs habe, muß ich es machen, wie ihr Günstling Potemkin.«
Die Amme sah sie mit offenem Munde an. »Weiß ich nicht, wer ist dieser Kerl und was er hat gemacht. Mein Goldkind ist gelehrt, aber die alte Amme nur ein Weib dummes.«
»Ei, er führte seiner alten Geliebten selbst die neuen zu und war niemals eifersüchtig. Aber wahrhaftig, ich wünschte, der liederliche Bursche hätte seine Bosheit oder seine Furcht hier versteckt. Weißt Du, was verlockend sein muß, Amme?«
»Sag' mir's, Goldkind!«
» Ebbadta! Unter dem Donner der Kanonen, und während in den Straßen die Canaille sich schlägt und die Thoren sich mit Kugel und Bajonett zerfleischen, hier oben der Liebe zu pflegen und des Genusses! Ich beneide fast die Tiroler Dirne und den Spitzbuben Lazare! Es ist Raffinement in dem Burschen, er verdiente, nobel geboren zu sein! Sind Offiziere im Hause?«
»Keine Seele! Marosch hält die Wache, daß keiner von dem Volk Wienerisch hereinkommt, wie Du's befohlen heute Morgen.«
»Das ist fatal!« Sie hatte sich lang hingeworfen auf dem Diwan, das Knie in die Höhe gestemmt. Draußen dröhnte Donner auf Donner, der Angstruf des Volkes heulte über den Platz, das Mordio der Kämpfenden, Bürger und Proletarier, die aneinander geraten; die Amme hatte die schwere Gardine des Fensters zurückgezogen und starrte auf den Platz. Mehrere Schüsse knallten herauf von der Wache her am Kriegsgebäude.
»Gott, barmherziger! sie schießen ihn tot!«
»Wen?« Sie hob den weißen Arm über den Kopf, ihre Augen ruhten auf dem Bilde des bourbonischen Stiers, ein abscheulicher Zug jener Frivolität, die Gott und Menschen höhnt, lag um ihre Lippen.
»Den Reiter – ein Offizier! Baszom! er ist gestürzt, mögen die Teufel die Mörder braten!«
Ein wüstes Geschrei verkündete den Triumph der Rasenden über die erbärmliche That. Ein Offizier der Nationalgarde kam vom Salzgries gesprengt und hatte den auf dem Platz zahlreich versammelten Proletariern zugerufen: »Legt die Waffen nieder, wir richten nichts mehr aus!« Eine Salve von Flintenschüssen war die Antwort gewesen, und von mehreren Kugeln durchbohrt stürzte er zu Boden.
»War er jung und hübsch?« fragte die Gräfin blasiert vom Sofa her.
»Der schmucke Herr, der vorgestern mit Graf Stephan gewesen hier!«
»Der Narr! er hätte sich hier gewiß besser amüsiert! Fatal, daß der Franz verrückt geworden und nicht mehr zu brauchen ist! Die Generation verschlechtert sich!«
»Nimm Dich in acht vor ihm, Goldkind; hat er geführt Reden schlimme, als ihn gestern der Marosch mit Gewalt aus der Thür stieß. Sieht aus wie ein Batyar, der begehen will Mord!«
»Pah! Ein Wort von mir würde den Bären zum Lamm machen!«
Das Wort war von dem frivol aufgeworfenen Mund noch nicht verklungen, als sich mitten in dem Lärm der Straße und dem Donner des Geschützes ein heiserer, grimmiger Schrei hörbar machte, ein wilder Fluch in ungarischer Sprache, das Geräusch eines heftigen Kampfes, dann ein schwerer Fall.
» Fene egyemek! – Baszom a lelkedet!«
»Was ist los?«
Die Thür flog auf von dem gewaltigen Fußtritt; – am Boden des Korridors wälzte sich der alte Marosch; auf der Schwelle, als hätte der frevle Übermut dieses Weibes sie heraufbeschworen, stand die hohe Gestalt des Tiroler Feldwebels.
Wer ihn gekannt in seiner kräftigen frischen Natürlichkeit, den Sohn der Berge, alle Schönheit der frischen unverdorbenen Männlichkeit auf dem bräunlichen Antlitz, er hätte ihn kaum wieder gefunden in dieser zerstörten hohlwangigen Gestalt, der der Wahnwitz in den tiefen, finsteren Augen lag.
Die Uniform, die ihm früher so nett und zierlich gestanden, schlotterte in Lumpen um seine Glieder, Schmutz und die gleichgültigste Vernachlässigung auf seiner ganzen Gestalt. Entsetzliche Hagerkeit entstellte die sonst so kräftigen Formen, fahle Totenblässe das Angesicht, das sonst lockige schwarze Haar hing in feuchten Strähnen zu dem seit Wochen verwilderten Barte nieder.
Über das entstellte Antlitz flog von Zeit zu Zeit ein jähes Zucken, wie von heftigem Schmerz.
Dieser schien von dem linken Arm zu kommen, der, in Lumpen gehüllt, in einem schmutzigen Tuch hing.
Die Gräfin hatte sich halb auf dem Diwan aufgerichtet, ihre eine Hand stützte sich auf die Kissen, die andere faßte unwillkürlich nach dem prächtigen Frauendolch mit ciseliertem, mit Steinen besetzten Griff, der mit den Terzerolen auf dem Tisch vor ihr lag.
So starrte sie den Mann an, dem sie Frieden, Ehre, alles geraubt, was ihn glücklich und zufrieden machte.
»Was soll das heißen? Wie können Sie es wagen, gegen meinen Willen hier einzudringen?«
Der Tiroler lachte grell auf.
»Hochzeit! Hochzeit! Hörst Du nit die Böllerschüß von den Bergen! Der Franz hat für Dich die Scheib' geschlagen, Eine tiroler Sitte. auf des Kaisers sei Burg geht a blau's Räuchl auf und ich komm' heimzuholen mei Dirndl, mit dem ich's Techtelmechtel g'habt, zum Pfarrer, der uns trau'n soll!«
»Unsinniger! Was sollen die Reden?«
Der Feldwebel war ins Zimmer getreten, wo zitternd und zagend die Amme im Winkel stand. Er fuhr sich ein paarmal mit der Rechten über die Stirn und schüttelte sich. »Ich fühl', daß ich z'nicht bin und g'streicht – da – da sitzt's! Was wollt ich doch gleich bei der herrischen Vornehmen. Gräfin. Richtig – jetzt hab' ich's wieder, da, da donnert's, und jeder Donner schlägt den Franz Stockhammer, den Verräter, tausend Meilen tief in den Abgrund seiner Schand'! 's ist aus mit mir, sie kommen, mich z' holen! Aber zuerst will ich den Hosennagler tanzen zur Hochzeit mit der herrischen Gräfin, meinem Weib. Hussah! hoi – ho – juh!«
Er schnalzte nach Tiroler Art mit den Fingern und sprang auf die Gräfin zu.
»Der Mensch ist wahnsinnig! Zurück, oder ich schieße!«
Sie hob das Terzerol.
»Schießen? schau, Bräutl, 's ist halt nit mehr nötig! der Ruech, der Jud, Dein zweiter Mann, hat's schon g'than.« Er schüttelte den verwundeten Arm gegen sie, daß die Lumpen, mit denen er verbunden war, sich öffneten und zum Teil herabfielen.
Ein entsetzlicher Anblick zeigte sich der Gräfin.
Dem Unglücklichen war infolge des Pistolenschusses Lazares, als er sich zwischen diesen und seine flüchtenden Verwandten warf, die von der Kugel zerschmetterte linke Hand abgenommen worden. Die Amputation war wahrscheinlich von einem Pfuscher ausgeführt worden, oder die Pflege in dem Lazarett, in das er aufgenommen worden, erbärmlich gewesen, denn die Wunde befand sich in Grauen erregendem Zustand. Nur die selbst von der entnervenden Verführung des höllischen Weibes und dem überstandenen Elend nicht gebrochene Riesenkraft des Alpensohnes hatte der Verheerung der Krankheit zu widerstehen vermocht und ihn in dem Tumult der letzten Tage aus dem Lazarett flüchten lassen.
»Unglückseliger! zurück!«
»Nit ohne Dich, der Franz muß sei Hochzeitnacht halten!«
Er stürzte gegen sie, ein Blitz – ein Knall – ein Schrei! Furcht und Entsetzen legten ihren Finger an den Drücker der Waffe, raubten ihr aber zugleich die sonst staunenswerte Sicherheit. Die Kugel flog unter dem Arm des Tirolers durch und traf den alten ungarischen Diener, der sich aufgerafft hatte und ihr zu Hilfe eilen wollte, in den Hals. Er taumelte mit einem Schrei an der Wand des Vorzimmers nieder, heulend warf sich die alte Maschka über ihn.
»Juchhei! Rote Hochzeit! Rote Hochzeit!« Der wahnwitzige Feldwebel riß der Gräfin mit dem Eisengriff seiner gesunden Faust das Stilett aus der Hand, das sie, das nutzlose Terzerol fallen lassend, ergriffen hatte, und schleuderte es weit fort. »Lustig! lustig! Gräfin! der Franz ist nicht mehr der blöde Bub', sollst Dei Freud und Dei Lust an ihm haben!«
Sein rechter Arm hatte sie umfaßt und warf die mit aller Macht sich Wehrende zurück auf das Sofa. Ihr Hilferuf, ihr Geschrei verhallten ungehört in dem Lärm der Straßen und dem Donner der Schlacht.
»Laß mich, Unglücklicher! laß mich! Fort von mir –«
Der Dämon wilder Sinnenlust, den sie noch wenige Augenblicke vorher so frevelnd beschworen, er faßte sie jetzt mit unbarmherziger Faust und rächte das Vergessen jeder weiblichen Sitte und Scham. Die Rechte des Wahnwitzigen riß ihr Kleid von der Brust, seine Augen funkelten in wilder, glühender Brunst bei dem Anblick, der so oft sein Blut absichtlich zum Sieden entflammen mußte; die rasende Gier im Verein mit dem Schmerz der zuckenden Wunde, die in dem wilden Ringen ihr Kleid, ihre Arme befleckte, steigerten seinen Wahnsinn; ihre Kraft, ihr Widerstand begann zu erlahmen, nur schwach noch vermochte sie sich zu verteidigen.
»Gott im Himmel! ist niemand, der mich rettet!«
Und dicht daneben, nur wenige Schritte von diesem rächenden Kampf, rang ein Mensch, der treue Diener ihrer Schande und ihrer Sünden, im Todeskampf.
Neben dem sterbenden röchelnden Marosch knieete die jammernde Amme. Sie waren beide zusammen jung gewesen, die Leibeigenen, die Sklaven des Vaters jener Frau, der sie in bösen und guten Tagen als willenlose Geschöpfe ihr ewiges und irdisches Teil in hündischer Treue geopfert; sie hatten beide, als sie jung waren, einander geliebt, bis der starre Wille oder die Laune ihres Herrn sie von einander riß und das Mädchen einem andern gab, den schlanken Burschen aber mitnahm in den Franzosenkrieg und dann ins wüste Leben der Hauptstädte Europas; sie waren zusammen alt und grau geworden im Dienst der sündigen Tochter jenes Herrn, der einst das geringe Glück zertreten, das ihnen werden konnte im Leben, und zum erstenmal war es, wo das getreue Werkzeug, die Helferin ihrer Laster, den Ruf der Herrin nicht achtete, in dem Bemühen, dem Gefährten ihrer Jugend die letzte Liebe zu erweisen.
Die alte Frau hatte den Kopf des Sterbenden in den Schoß genommen und versuchte bald vergeblich den Blutstrom der Wunde zu hemmen, bald murmelte sie Gebete, die sie im Dienst der Gräfin halb vergessen.
»Stirb nicht, Vetter Marosch! Heiliger Stephan, hilf ihm! Martha hat nicht gewollt Deinen Tod, und ist sich nichts als ein kleines Loch, das werden wird gut, wenn der Doktor kommt! Wird sich geben Dir blanke Gulden für den Schmerz, den sie Dir gemacht ohne Willen!«
» Baszom a Mágnast! Der Teufel hole die Gräfin und Dich, alte Kurvanád! Ist sich Loch noch so klein, fährt doch die Seel' heraus! Was schießt sie auf Ungarmann und nicht auf den Kerl?« stöhnte der Diener.
»Hast gehalten so oft Dukaten zwischen Finger Deinen zum Spaß, wenn das Goldkind geschossen ihn fort; wird nicht schlimm sein auch diesmal, wenn Du nur betest zu Heiligen im Himmel!«
»Im Himmel!« Der Blutende richtete sich halb empor. » Fene egyemek, Maschka, Himmel und Heiligen sind für die Magnaten und reichen Herrn, nix für die Armen. Aber hast Recht, Maschka, wie immer. Ein Ungarmann ist treu wie der Hund und soll sterben wie der Hund! Des Marosch Atem gehört der Herrin, so lang' er ihn hat!« Er versuchte, sich an der Alten empor zu raffen, aber ein Strom von Blut stürzte aus seinem Mund, und er fiel röchelnd zurück.
»Jesus Maria! der Marosch stirbt!«
Die Gräfin hatte sich endlich losgerissen, das Haar hing ihr wirr um das Gesicht, das Kleid zerfetzt, keuchend von dem widrigen Kampf, sprang sie zum Ausgang des Boudoirs.
Der Feldwebel hatte sich aufgerichtet vom Diwan; sein Auge war matt, glanzlos, fahle Blässe hatte das vorhin von der Aufregung des Deliriums gerötete Gesicht überzogen; er preßte die gesunde Hand vor die Stirn, als wolle er eines drückenden Traumes los werden, der Paroxysmus hatte nach seiner bestialischen Befriedigung einer tiefen Abspannung Platz gemacht, die seit Wochen vielleicht wieder das erste klare Bewußtsein in seine so schwer umnachtete Seele brachte.
»Wo bin ich? Mir is so z'nicht im Kopf, was hab i g'than?«
»Bösewicht, Du sollst es büßen! Hole Leute herbei, Amme, er darf das Haus nicht ungestraft verlassen!«
»O Goldkind, der Marosch – er stirbt!«
» Kutya lanczos! Was kümmert mich der Marosch, gehorche, bei meinem Zorn.«
Ehe die Alte noch dem hartherzigen Befehl Folge leisten konnte, wurde die Seitenthür heftig aufgerissen, die nach den hinteren Gemächern führte, und Lazare stürzte bleich und hastig herein.
An die entgegengesetzte Thür, die er verriegelt, donnerte ein kräftiger Beilschlag, unter dessen Wucht das Schloß erzitterte.
Der Jude schloß hastig auch die Thür, durch die er gekommen, und drehte den Schlüssel um, dann erst warf er einen eiligen, furchtsamen Blick um sich.
»Möge der Teufel den alten Schurken holen und den Tischler, der die Thüren wie Spinnweben gemacht. Fort, oder es geht uns ans Leben!«
»Was ist geschehen?«
»Der Satan ist hinter mir in Gestalt der nichtswürdigen Dirne und des alten Tiroler Halunken. Er schlägt die Thüren ein, er ist rasend und hat die Kraft eines Bären!«
Die Gräfin sah sich wild um. »Ist denn die Hölle los? Bist Du ein Mann, daß Du Dich vor einem Greise fürchtest? Hilf mir jenen Buben dort bestrafen, er hat den Marosch erschlagen und Hand an mich gelegt!« Der Doktor warf einen eiligen Blick auf die Scene umher, auf den Wahnsinnigen im Boudoir, auf den Sterbenden zu seinen Füßen.
In demselben Moment hörte man die Thür im Nebenzimmer unter den Beilhieben des Verfolgers stürzen, von der Straße herauf klangen noch entfernt die herausfordernden kecken Töne einer Militärmusik, der Prager Marsch, der hundertstimmige Jubelruf: »Es lebe der Kaiser!«
Mit der selbst in der höchsten Gefahr ihn nicht verlassenden Kaltblütigkeit umfaßte er die Sündengenossin. »Jetzt ist keine Zeit zu Erörterungen. Wenn der Rasende uns erreicht, sind wir beide verloren! Das Militär allein kann uns schützen!«
Ein Schlag donnerte gegen die Thür.
»O, Goldkind, der Marosch …«
»Zur Hölle mit ihm! Fort!« Er sprang über den Leichnam und zog die Gräfin mit Gewalt hinter sich drein.
»Bist hin, Kamerad? Schau, der Tod is a Kräutl für alles Leid und der beste Freund! Rehr Weine nicht. nit, Weib – hörst nit, wie der Herrgott spricht im Donnerrodeln, und die Windbahn begräbt die Menschheit im Thal?«
Der Feldwebel kniete in der Blutlache neben dem toten Diener, und seine Hand schlug andächtig das Kreuz über Stirn und Brust.
So erblickte ihn der Haspinger über die stürzende Thür hinweg.
»Franz! Bist hier?«
»Vater Haspinger! Jesus Maria! Und die Nandl!«
»Ruhr' sie nit an, sie is a geschändete Dirn! Der Franz a Verräter und das Dirnd'l geschwächt! Gott im Himmel, womit hat der Haspinger die Schand' verdient?«
Einen Augenblick sank die erhobene Faust mit dem Beil.
Hinter dem Alten sah man die Wiener Dirne, das verlorene Geschöpf, das Lazare mit ihrer ersten Untreue an dem Soldaten zu seiner Sklavin gemacht, das durch seinen Einfluß und die auf den Barrikaden zum Entsetzlichen gewachsene Demoralisation des Volkes von Stufe zu Stufe gesunken war, bis sie zum Auswurf ihres Geschlechts in der Amazonenschar der halbverrückten Perin gehörte.
Aber selbst in dem am tiefsten entwürdigten Weibe lebt der Götterfunke der Liebe und Aufopferung. Indem Lazare das verlorene Geschöpf zur Wächterin und Gefährtin des von ihm in jener Schreckensnacht entführten Mädchens bestellt, dessen frische Natur seine Lüsternheit gereizt, hatte er geglaubt, eine Helferin seiner Absichten zu haben und desto eher die Unschuld der Tirolerin zu besiegen. Aber wenn auch die Dirne nicht wagte, das unglückliche Mädchen zu befreien, sie, die Verlorene, war eine treue Wächterin ihrer Unschuld und duldete oft selbst rohe Mißhandlungen um derenwillen. Vergebens hatte Lazare versucht, sie aus der Wohnung in dem Hintergebäude zu vertreiben, die er ihr eingeräumt, und die von seinem zu heimlichem Verkehr eingerichteten Zimmer aus durch einen Gang mit dem Hotel nach dem Platz am Hof in Verbindung stand; die Dirne hatte sich trotzig geweigert und gedroht, die Tirolerin mit sich zu nehmen, und ihr Einfluß unter ihres Gleichen und dem Proletariat war durch ihren kecken, bald alle Schranken überspringenden Charakter so groß geworden, und Lazare hatte sie selbst zu so vielen Dingen seither benutzt, daß er sich scheute, unnützen Lärm zu erheben. Wie bei allem, was er that, zählte er auf eine günstige Gelegenheit, seinen Zweck zu erreichen und wußte, daß es ihm ein Leichtes sein werde, sie sich später vom Halse zu schaffen, wenn, wie er bei der Wendung der Dinge bald als unvermeidlich erkannte, die Reaktion den Sieg gewann und die cernierte Stadt fiel.
Die Dirne stand mit erhitztem, gerötetem Gesicht hinter dem Tiroler. Ihr Äußeres zeigte die Spuren eines Handgemenges, und in der That hatte sie ein solches nicht gescheut, als sie bei der Auflösung der tapfern Amazonenschar unter dem Donner des Bombardements nach Hause flüchtend, Lazare in seiner Schandthat gestört.
Dem Zornschäumenden gegenüber würde selbst ihr entschlossener Widerstand unterlegen sein, da in jenem Augenblick die Hand des Juden selbst einen Mord nicht gescheut hätte, wenn ihr nicht ein unerwarteter Beistand gekommen.
Es war Haspinger, der, als er den Legionär nicht zurückkommen sah, dem Mädchen durch die offene Thür nachstieg.
Die Entwicklung des Dramas war rasch und kurz gewesen.
Ein Blick hatte dem alten Mann sein teueres Kind in dem empörenden Zustand der versuchten Gewaltthat gezeigt, und er hatte sich auf sie geworfen, sie von der schmachvollen Fessel zu befreien.
Diesen Augenblick hatte Lazare benutzt, nach seinem Zimmer zu entfliehen, denn er fühlte, daß sonst der nächste sein Leben geendet hätte.
In der That hatte er kaum Zeit gehabt, den Revolver zu ergreifen und die Thür des Ganges zu öffnen, als die andere unter dem Fußstoß des alten Tirolers zusammenbrach.
Zwei Kugeln, die der Flüchtende hinter sich abschoß, verfehlten ihr Ziel, so ging die schreckliche Jagd durch den Korridor und mehrere Gemächer dem Vorderhause zu. Nur die Lokalkenntnis des Doktors hatte ihm ermöglicht, dem grimmen Verfolger den Vorsprung abzugewinnen und ihn durch Verschließen der Thüren aufzuhalten.
Die Wienerin hielt den leichten Säbel, mit dem sie in der Schar ihre Gefährtinnen bewaffnet gewesen, in der Rechten, ihre Linke zog das Tiroler Mädchen hinter sich her. Das Gesicht desselben war noch entstellt von den rohen Mißhandlungen, mit denen der Legionär sie betäubt.
Als sie ihren ehemaligen Verlobten sah, zuckte sie heftig zusammen, dann, wie flehend, breitete sie ihm die Arme entgegen, und ein Thränenstrom erleichterte ihre Verzweiflung.
»O Franz! Franz!«
Es war, als schüttle der Feldwebel bei dem Ruf gewaltsam die letzten Wolken, die seinen Geist umnachtet, von sich. Er sprang empor.
»Herr im Himmel! was is mit mir g'schehn?« Bei meiner Mutter selig! sprech' nit aus, Nön'l, was Dir auf der Lipp' schwebt – der Franz …«
»Der Franz ist tot für mich!« sagte der Alte dumpf und fest. »Wo ist er hinaus?«
»Wer?«
»Der Jud! Der rueche Bub, der dem Dirndl Gewalt ang'than! Er muß sterben von des Haspingers Hand!«
»Ich weiß nit, was D' red'st, Nön'l, was ist g'scheh'n?«
»Dort hinaus, sie sind aus dem Haus entfloh'n!« schrie die Wienerin, als der schwere Schlag der Hausthür herauf dröhnte.
Der Greis stieß die Leiche und die heulende Amme zur Seite, die ihm den Weg versperrten.
»Wenn Du von des Haspingers Blut bist, so komm'!«
Und mit der Kraft eines Jünglings flog der alte Mann den Gang entlang, über die breite Stiege hinab und durch den Flur des Hauses, den er vor wenig Wochen erst an der Hand seiner Großnichte zu seinem und ihrem Unglück betreten.
Der Feldwebel wickelte stumm die blutigen Binden um den Stumpf seines Armes und winkte den beiden Mädchen.
»Kommt! ich fühl's, der Tag des Gerichts is da!«
Er schritt dem Alten nach, die beiden Mädchen folgten ihm hastig, während das Ungarweib bald Flüche, bald Gebete hinter ihnen drein schrie.
Der Platz am Hof bot in diesem Augenblick ein wild belebtes Bild.
Vom Kohlmarkt und der Freiung heraufdringend, trieben die Seressaner und die Plänkler der Ottochaner die letzten Haufen der Mobilen und Legionäre vor sich her, und es entspann sich auf dem Platz vor dem Kriegsgebäude ein kurzes, aber hitziges Gefecht, während die Straße daher bereits die Feldmusik des im Geschwindschritt anrückenden Bataillons herauftönte.
Die Stadtgarden an der Hauptwache standen Gewehr bei Fuß, die Ankunft und die Ablösung der Truppen erwartend und jeden Versuch der Mobilen, sich in die Höfe des Gebäudes zu werfen, zurückweisend. Einzeln und gruppenweise schossen und stachen sich die flüchtenden Mobilen und Legionäre mit den tiraillierenden Jägern und Grenzern herum, im letzten Kampf der Verzweiflung und Wut, aber mit jedem Augenblick verminderte Flucht und Tod ihre Zahl.
In dem Augenblick, wo Lazare mit der Gräfin aus dem Hause trat, erschien die Tête der Kolonne auf dem Platz, ein Hauptmann an ihrer Spitze, und marschierte unbekümmert um das Scharmützel gegen den Eingang des Kriegsgebäudes.
Lazare hatte mit raschem Blick, obschon die Dämmerung bereits eingetreten, die Sachlage erkannt, und die Gräfin mit sich fortreißend, mit der andern Hand sein Tuch schwenkend, eilte er unter dem Ruf: »Es lebe der Kaiser! Zu Hilfe, zu Hilfe!« auf den kommandierenden Offizier zu!
»Im Namen, des Fürsten, Herr, verlange ich Ihren Schutz für mich und diese Dame,« keuchte er, vor dem Offizier haltend, »man verfolgt uns, weil ich kaiserlich gesinnt bin. Lassen Sie jenes Haus dort besetzen, es sind gefährliche Menschen darin, Führer der Rebellen und Feinde der guten Sache!«
Der Hauptmann hielt einen Augenblick an. »Wer sind Sie?«
Das scharfe Auge des Spions hatte ihn bereits erkannt. »Ich stehe unterm Schutz des Fürsten; Sie sahen mich bei ihm diese Nacht im Schwarzenbergschen Garten! – Zum! Teufel! dort kommen die Rasenden. Ihren Schutz, Herr,« Er drängte sich und die Gräfin in die Kolonne der Soldaten, die sich um sie wie eine eherne Mauer schloß.
Über den Platz kam in langen Sprüngen der alte Tiroler, das Beil in der Hand schwingend. Dicht hinter ihm verließ der Feldwebel mit den beiden Mädchen das Haus.
Die beginnende Dunkelheit hatte jenen die Spur seines Opfers auf einen Augenblick verlieren gemacht. Er blickte wild um sich, den Entflohenen zu suchen.
In diesem Augenblick hatte sich das letzte Häuflein der Barrikadenkämpfer, durch die Tirailleurs abgeschnitten, zwischen ihn und den Feldwebel mit den Mädchen geworfen und wurde, verzweifelnden Widerstand leistend, gegen die Kolonne der Truppen getrieben.
Es waren ihrer sechs oder acht, darunter ein Soldat in der Uniform des Bataillon Richter. Er wehrte sich mit Kolben und Bajonett wie ein Rasender gegen die Übermacht.
Die Tirolerin hatte sich von ihrer Gefährtin losgerissen, als sie den Großohm erblickt, und floh zu ihm hinüber. »Um Jesu Liebe Willen, rette den Franz, Nön'l, rette den Franz oder sie schießen ihn tot!«
»Gott geb' es!« sagte der Alte, sie umfassend. »Besser hier, als auf dem Anger!«
»Ignaz!«
Der Grenadier hielt einen Augenblick inne in seiner Gegenwehr. An seine Brust flog die Dirne, ihn umschlingend; es war der Soldat, für den sie damals dem Verführer in der Kneipe der Wieden den Schmatz gegeben.
»Ignaz, bitt' um Pardon! Thu's um meinetwillen.«
»Falsche Hexe, hast mich verraten! Sterben muß ich so oder so!« Er versuchte sie von sich zu stoßen, aber sie hielt wie eine Klammer an ihm.
Die Hand der Gräfin hatte den Arm des Offiziers gefaßt. »Sehen Sie den Mann dort in der zerrissenen Uniform zwischen den drei anderen?«
»Was ist's?«
»Er ist ein Soldat, ein Überläufer, und schuld an dem Unglück vom Sechsten!«
»Erste Sektion Front! Fällt das Gewehr! Vorwärts! Fangt die Schurken lebendig!«
Drei der Mobilen schlugen sich noch, es waren sämtlich Männer von den Truppenteilen, die am 6. mit den Wiener Rebellen fraternisiert und zu ihnen übergegangen waren. In ihrer Mitte sah man die lange Figur des Feldwebels stehen, die Arme gekreuzt, unbeweglich.
Die drei Männer wußten, daß sie als Deserteure dem Tode verfallen, und schlugen sich, bereits aus vielen Wunden blutend, um wenigstens im Kampfe einen ehrlichen Soldatentod zu sterben, wie Rasende, gegen den Kreis der Bajonette, der sich um sie verengte.
»Halt! Gewehr ab!«
Es war das erste Wort, das der Feldwebel zu den ehemaligen Kameraden gesprochen, aber das Kommando klang so mächtig und gebietend, daß unwillkürlich zwei der Soldaten die kurzen Säbel sinken ließen, mit denen sie bisher um sich gehauen; nur der Dritte, der Franzel Geliebter, hob die Muskete.
»Nimm Pardon, Ignaz, nimm Pardon!«
»Niemals!«
Sein Kolben schmetterte gegen die Bajonette, zehn Eisen fuhren nach seiner Brust, vor die sich das Mädchen warf, und durchbohrten die beiden Leiber, die wenigstens der Tod gereinigt und vereint! Die anderen mit dem Feldwebel waren im Nu entwaffnet und gebunden.
Ruhig und sicher stand Lazare mit der Messaline von edlem Blut zwischen den starrenden Bajonetten, und der Wall der Soldaten schützte ihn gegen die Rache derer, deren Glück sie beide zerstört.
Der alte Tiroler hielt das weinende Mädchen im Arm und suchte sie mit hundert Worten der Liebe zu beruhigen. Seine Kraft war gebrochen, als sein Auge auf den Enkel fiel, den, die Hände auf den Rücken gebunden, die Soldaten mit den beiden anderen Gefangenen in den Kreis der Offiziere stießen.
Dieser vergrößerte sich durch die fortwährend anmarschierenden Truppen von Minute zu Minute. General Karger mit seiner Suite hielt bereits auf dem Platz, nach allen Seiten marschierten die Abteilungen, die wichtigsten Punkte zu besetzen. Die Wache der Nationalgarde am Kriegsgebäude war bereits entwaffnet, das Gebäude besetzt, auf dem Platz selbst schickten sich die Ottochaner und die Jäger an, zu biwackieren. Vom Roten Turm- und Kärtner-Thor her kam die Nachricht, daß die Truppen einmarschiert, Feldartillerie protzte auf dem Platz ab und kehrte die drohenden Mündungen gegen die inneren Straßen; aber jeder Widerstand hatte bereits aufgehört, die Stadt war in der Gewalt des Militärs.
Lichter in den Fenstern, Fackeln auf den Straßen erhellten den Platz.
Der General betrachtete mit finsterem Blick die Stelle, von der er wußte, daß Graf Latour so schmählich dort geendet. Fortwährend führte man ihm Gefangene vor oder überbrachte Meldungen.
In dem Augenblick, wo er eben mit Lazare und der Gräfin, die ihm gleichfalls vorgeführt worden, einige Worte gewechselt und auf das Andringen des Doktors, der sich auf seine Unterredung mit dem Feldmarschall berief, eine Sauvegarde für die Wohnung der Gräfin bewilligt hatte, führten die Grenzer die drei gefangenen Soldaten herbei. Zugleich brachten andere den alten Tiroler, den sie mit dem Beil in der Hand gefunden und zu dem bewaffneten Proletariat gehörig geglaubt hatten.
Der Kniff, den die Radikalen gebraucht, nicht bloß die wirklich fahnenflüchtigen Soldaten in ihren Uniformen zu lassen, sondern auch viele andere Personen mit solchen zu bekleiden, um so glauben zu machen, daß eine große Zahl von Überläufern in ihren Reihen kämpfte, war das Verderben der Unglücklichen, die blutend, mißhandelt von der Erbitterung ihrer früheren Kameraden, des Urteils harrten.
»Schändlich! schändlich!« rief der General. »Kaiserliche Soldaten unter den Rebellen. Ein Deutschmeister! Regiment Deutschmeister. Dein Name, Schurke?«
»Stefan Avinger!« Erschossen.
»Und Du?«
Der Mann schwieg trotzig und warf nur einen tückischen Blick unter den buschigen Brauen auf die Sieger, während aus einer Kopfwunde das Blut dunkel über sein böhmisches Gesicht perlte. Aber die alte Jäger-Uniform verriet ihn.
Eine Stimme aus der Umgebung sagte: »Hier ist das Zeichen des zwölften Bataillons.«
»Der Strick ist zu gut noch für den Buben! Fort mit ihnen, bis Standgericht über sie gehalten wird.«
»Wer ist dieser?«
»Er hat sich ohne Widerstand ergeben und war unbewaffnet,« berichtete ein Offizier.
»Er ist ein Deserteur! Feldwebel vom Bataillon Richter, ein Verräter am Kaiser!«
Die Blicke aller wandten sich nach der Stelle, woher die Denunziation kam, es war die Gräfin Törkyeny, die gesprochen und jetzt ruhig und kalt ihre Worte wiederholte.
»Von Richter? Der Halunke! Es waren die ersten. Hierher, Herr Major, wenn's beliebt!«
Ein eben herbeikommender Stabsoffizier ritt heran.
»Was befehlen Excellenz?«
»Kennen Sie diesen Gefangenen? Er soll ein Deserteur von Ihren Grenadieren sein?
Der Major ritt einen Schritt vor. Anfangs erkannte er den von Leiden und Krankheit Entstellten nicht, dann rief er plötzlich: »Um Gott! Feldwebel Stockhammer! wie kommen Sie hierher? Euer Excellenz erinnern sich, daß die Depeschen, wegen des Ausmarsches der Truppen, und wichtige Papiere am 6. verloren gingen – das ist der Mann, dem sie übergeben waren!«
Der Rapport erregte bei dem Kommandierenden offenbar ein größeres Interesse, als er sonst dem Gefangenen in diesem Augenblick gewidmet haben würde. Er heftete einen festen Blick auf den Mann, der regungslos und stumm vor ihm stand.
»Also ein doppelter Verräter! Aber halt, der Mann ist verwundet, er wurde es vielleicht bei Verteidigung der Depeschen, und diese sind ihm mit Gewalt abgenommen, denn er sieht aus, wie ein tüchtiger Soldat.«
»Der wackerste im Bataillon!«
»Die Papiere sind ihm nicht abgenommen, er hat sie als Verräter den Führern der Rebellion überliefert,« sagte die Gräfin. »Ich kann es bezeugen, denn es geschah in meiner Gegenwart, und dort steht sein Genosse!«
Sie wies nach dem alten Haspinger, der sie, entsetzt über die freche Anklage mit starrem Blick anschaute.
»Halt,« sagte der Major, »das ist ein Irrtum, ich erinnere mich, diesen Mann gesehen zu haben, er selbst brachte die Papiere zurück, die jener unterschlagen, aber es war zu spät.«
»Euer Excellenz halten zu Gnaden, der Greis ist unschuldig,« sagte vortretend der Kapitän Odelga. »Er war diese Nacht bei den Truppen im Belvedere und kann erst mit uns in die Stadt gekommen sein.«
»Wir haben keine Zeit jetzt, das zu untersuchen,« entschied der General. »Lassen Sie den schurkischen Deserteuren Fesseln anlegen, und bringen Sie den Alten dort mit den anderen Gefangenen zur Wache, bis er sich legitimiert. Major Kaiser, lassen Sie den Stephansplatz besetzen und eine halbe Batterie vor dem Turm auffahren. Ihr Bataillon biwackiert auf dem Platz und in der Kirche. Wie steht es mit dem Brand?«
Ein Adjutant berichtete, daß man des Feuers in der Hofburg bereits Herr sei.
»Lassen Sie alle zehn Minuten Kavallerie-Patrouillen durch die Straßen gehen. Beim geringsten Widerstand geben die Posten Feuer. Jetzt, meine Herren, lassen Sie uns zum Kriegsgebäude gehen, denn – Wien gehört dem Kaiser!«
Er hob den Hut, ein tausendstimmiger Jubelruf der Soldaten über den ganzen Platz hinweg erschütterte die Luft: » Zivio! Zivio! Es lebe der Kaiser!«
Es war am Abend des 8. November – gegen zehn Uhr.
In dem Kamin eines großen düstern Zimmers der Hofburg brannte ein helles Feuer, denn es war bereits empfindlich kühl in den weiten Sälen und Korridoren. In dem mit kaiserlicher Pracht dekorierten Zimmer sah es nach militärischer Bewohnung aus, Uniformstücke auf einzelnen Stühlen, Waffen in den Ecken, ein Reitersäbel quer über einem großen mit kostbarer Damastdecke überlegten Tisch, auf dem sich Haufen von geöffneten Depeschen und anderen Papieren befanden.
Die lebensgroßen Bilder mehrerer alter Glieder des Hauses Habsburg-Lothringen, Frauen in der steifen Tracht des vergangenen Jahrhunderts, Männer im leichten Harnisch oder mit großen Allongeperücken schauten wie verwundert über die Störung ihrer Ruhe von den mit goldgedruckten Ledertapeten überzogenen Wänden auf die fremden Eindringlinge.
Dennoch war der jetzige Bewohner des Gemachs ein solcher, der gewohnt war, in fürstlichen Palästen zu verkehren. Es war der Fürst Windischgrätz, der in Schönbrunn sein Hauptquartier genommen.
Der alte Soldat stützte den Arm auf den Tisch, der in der Nähe des Kamins stand und mit Papieren bedeckt war. Das Gesicht des Fürsten war ernst und streng, ja finster, die Falte auf der Stirn, mit der er den Rapport des auf der andern Seite des Tisches stehenden Offiziers anhörte, verkündete eine wichtige Entscheidung. Der Feldmarschall trug einen leichten Uniform-Hausrock ohne weitere Abzeichen, aber niemand, der die Scene still mit angesehen, würde auch nur einen Augenblick gezweifelt haben, daß er über Leben und Tod zu gebieten habe.
Der dem Fürsten gegenüberstehende Offizier war der Auditeur, Hauptmann Wolferom vom Standgericht.
»Geben Sie den Protest her,« befahl der Fürst.
Der Auditeur überreichte ein Papier aus seinen Akten. Es war der Protest, den an demselben Nachmittag die Abgeordneten des deutschen Parlaments, Robert Blum und Fröbel, aus ihrer Haft in dem Stab-Stockhause an den Militär-Gouverneur von Wien gerichtet hatten.
Die beiden Reichstagsabgeordneten hatten, in der festen Annahme, daß bei ihrer Eigenschaft als Abgeordnete des Frankfurter Reichstages, trotz ihrer persönlichen Beteiligung an der Wiener Rebellion und dem Kampf, niemand wagen würde, ihnen ein Haar zu krümmen, ruhig in Wien die Entwickelung der Ereignisse nach der Einnahme der Stadt abgewartet, ja gewissermaßen durch ihre Haltung der militärischen Diktatur Trotz geboten, während ihre beiden bei weitem weniger kompromittierten Gefährten, Hartmann und Trampusch, so klug waren, sich in aller Stille zu salvieren.
Es kann kaum zweifelhaft sein, daß man die beiden Sendboten der Revolution bei einem gleichen Verfahren ihrerseits würde haben laufen lassen, denn man kümmerte sich volle drei Tage nicht um sie. Der Volksmann, in eitlem Trotz auf sein mißbrauchtes Mandat, forderte die furchtbare Entscheidung seines Schicksals selbst heraus.
Die Stadt war nach der Einnahme am 31. in Belagerungszustand erklärt worden, die öffentlichen Plätze, die Thore und die Basteien waren mit Truppenabteilungen besetzt, durch die Straßen gingen bei Tag und bei Nacht Patrouillen, nur Militärpersonen wurde an den Thoren der Ein- und Ausgang gestattet, niemand durfte die innere Stadt verlassen, der nicht eine Passierkarte vom Stadtkommandanten hatte.
Trotz dieser Maßregeln zeigte sich bald wieder auf den Straßen und in den Wirtshäusern das rege Leben, das dem warmblütigen, die Gesellschaft liebenden Wiener Bedürfnis ist. Halb Wien atmete ohnehin auf unter dem Schutz der Bajonette, von der so lange bestandenen Angst, und die andere Hälfte that wenigstens zum Schein so.
Blum und Fröbel blieben unbelästigt in ihrem Gasthof zur Stadt London am Neuen Markt, machten einzelne Ausgänge und verkehrten abends mit ihren Freunden in den Wirtsstuben.
Am Abend des 1. November war Blum noch in dem »Gasthaus zur Pfeife« gewesen. Eine Gesellschaft kaiserlicher Offiziere hatte an einem andern Tisch Platz genommen, ihre Reden und die Blicke, mit denen sie ihn fixierten, hätten ihn warnen sollen, aber der Volkstribun verschmähte, wie gesagt, im republikanischen Dünkel jede Warnung des gesunden Menschenverstandes.
Am folgenden Morgen richtete Blum mit dem anderen Reichstagsabgeordneten ein Schreiben an den zum Stadtkommandanten designierten General Chorich, in dem sie um Passierscheine zur Rückkehr nach Frankfurt nachsuchten.
In einem sehr höflichen Schreiben antwortete der General, daß er nicht, sondern General Cordon dergleichen Scheine auszuteilen hätte.
Blum wandte sich am andern Tag mit dem gleichen Antrag an den General Cordon. Den Abend des 3. brachte er noch in Gesellschaft seiner Gesinnungs- und Kampfgenossen zu. Blum erklärte prahlerisch, daß er von Frankfurt wöchentlich einen Brief an Windischgrätz schreiben und sich sein deutsches Schwert zum Andenken an die Wiener Oktobertage zurückfordern werde, das ihm das Oberkommando der Nationalgarde zum Andenken verehrt, und das er bei der allgemeinen Ablieferung der Waffen mit hatte abgeben müssen.
Um sechs Uhr morgens wurde der Gasthof plötzlich von einer Militär-Abteilung besetzt, und ein Offizier, in Begleitung eines Polizeikommissars und zweier Polizeidiener, trat in das Zimmer, in dem Blum noch im Bett lag. Der Offizier erklärte, daß er Befehl habe, die Herren Blum und Fröbel zu verhaften. Beide erwiderten, daß sie als Abgeordnete des deutschen Parlaments unverletzlich seien, worauf der Offizier natürlich keine Rücksicht nehmen konnte. Der schriftliche Befehl zur Verhaftung in seiner Hand war auf der Rückseite des Schreibens ausgefertigt, das Blum und Fröbel am Tage zuvor an den General Cordon gerichtet hatten.
Sie wurden beide, unter der Bewilligung, ihre Effekten mit sich zu nehmen, unter militärischer Eskorte nach dem Stab-Stockhause gebracht, und es wurde ihnen auf besonderen Befehl des Generals, sie mit aller Rücksicht zu behandeln, ein bisher für die Kanzlei des Gefängnisses benutztes Zimmer zur gemeinsamen Haft angewiesen.
Hier blieben die beiden Gefangenen, ohne daß weiter ein Schritt gegen sie erfolgte, unbelästigt bis zum 6. und beschäftigten sich nach ihrem Belieben.
Am 6. wurde ein dritter Gefangener, ein Signor Matteo Paduani, angeblich ein Adjutant Messenhausers, in dasselbe Zimmer gesetzt.
Der Fürst verglich das Papier, das ihm der Auditeur überreicht, mit einem vor ihm liegenden.
»Wer hat den unverschämten Wisch geschrieben?«
»Nach der Handschrift zu urteilen, der Angeklagte Fröbel. Die beiden Herren haben unterschrieben.«
»In diesem von Blum entworfenen Konzept finden sich folgende Worte: Die Unterzeichneten behalten sich vor, sobald sie wieder frei sein werden, alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel in Anwendung zu bringen, um sich und dem deutschen Volke Genugthuung zu verschaffen.«
»Der zweite Angeklagte hat sich wahrscheinlich gescheut, dies hinzuzufügen.«
»Die Sprache ist auch ohnedies unverschämt genug.«
»Eine Stunde nach Eingang des Protestes ist dem Befehl Euer Durchlaucht gemäß das Standgericht eröffnet worden.«
»Rapportieren Sie weiter.«
»Der Angeklagte hat zunächst gegen die Berechtigung des Standgerichts, über ein Mitglied des deutschen Reichsparlaments zu richten, protestiert und sich auf seine Unverletzlichkeit als solches und seine Mission berufen.«
»Zum Henker mit ihrem Parlament! Was geht einen kaiserlichen General das Frankfurter Parlament an? Dennoch soll mit meinem Wissen und Willen keinem Menschen sein Recht verkürzt werden. Stellen Sie mir kurz zusammen, worauf diese Herren ihr angebliches Recht begründen.«
Der Fürst lehnte sich in dem Sessel zurück und hörte aufmerksam der Auseinandersetzung des Auditeurs zu.
»Nach den Zeitungsberichten,« erklärte dieser, »hatte unterm 12. Oktober eine Anzahl von 63 Mitgliedern der Linken des Frankfurter Parlaments den dringenden Antrag gestellt: in Erwägung der großen Verdienste, welche die Majorität des konstituierenden Reichstages in Wien, und die heldenmütige Demokratie Wiens in Bekämpfung der Reaktion, der verräterischen Minister –«
»Latour!« unterbrach ihn bitter der Fürst.
»– und der freiheitsmörderischen Camarilla an den Tag gelegt haben, erklärt die deutsche Nationalversammlung, daß beide sich um das Vaterland verdient gemacht haben.«
»Und dieser Schandantrag?«
»Er ist von der Majorität verworfen worden!«
»Weiter.«
»Darauf haben mehrere Mitglieder der Linken unterm 13. Oktober, also ohne Bevollmächtigung des Parlaments, eine Adresse an den Reichstag gerichtet, die durch die vier Abgeordneten am 17. überbracht und dem gesetzwidrig forttagenden Reichstag übergeben wurde. Hier ist die Abschrift des Dokuments.«
Der Fürst las sie durch. »Es steht selbst in dieser frechen Sanktionierung der Rebellion kein Wort von einem weiter gehenden Auftrag, als dem der Überbringung!« Die Adresse lautete: »An die Wiener! Eure großartige Erhebung hat unsere Bewunderung erregt. Der blutige Kampf, den Ihr so glorreich bestanden habt, ist auch für uns, Eure Brüder, bestanden worden. Wir wissen, daß Ihr auch ferner, wie bisher, fortfahren werdet in Euren Bestrebungen, und daß Ihr dem übrigen Deutschland voranleuchten werdet durch Manneszucht und Energie. Wir senden Euch vier unserer Freunde, um Euch unsere ungeteilte Hochachtung und unsere innige Dankbarkeit für Eure Verdienste um die Freiheit auszudrücken.«
»Eure Durchlaucht sprechen den Kern der Frage aus. Selbst bei einer Anerkennung der Befugnisse des Frankfurter Parlaments als Plenum können doch die Herren Blum und Komplizen nur als Privatpersonen im Auftrage einer Anzahl anderer Privatpersonen betrachtet werden, und es fehlt ihnen gänzlich der amtliche Charakter, der z. B. den Herren Weller und Mosler in ihrer Mission zur Seite stand.«
Ein leichter Zug von Hohn flog über das ernste Gesicht des Fürsten. »Das ist wahr! diese Herren sind zu respektierende Reichs-Kommissäre! Weiter!«
»Am 18. Oktober richteten die vier Herren eine Adresse an die ›heldenmütigen Bewohner Wiens‹, in der sie nochmals des vorhin erwähnten Zweckes ihrer Mission erwähnen, zugleich aber erklären, die Gefahren der Wiener teilen und mit ihnen stehen und fallen zu wollen.«
»Es soll nach ihrem Willen geschehen!«
»Die sogenannten Deputierten ließen sich in die akademische Legion einreihen, der Angeklagte Blum trat später als Hauptmann in das aus den radikalsten Elementen gebildete sogenannte Elite-Korps. Am 23. hielt Blum in der Aula eine überaus aufregende Rede.«
»Er gesteht sie zu?«
»Die Abschrift derselben nach den stenographischen Aufzeichnungen, die Euer Durchlaucht dem Gericht zugehen ließen, sind ihm vorgelegt worden; er hat den Inhalt nicht leugnen können, namentlich hat er die bezeichneten Stellen zugegeben.«
Der Fürst nahm den Abdruck der Rede und wiederholte die bezeichnete Stelle laut. Sie sagt: »Keine halbe Revolution! Fortschreiten, wenn auch blutiges, auf der eingeschlagenen Bahn, vor allem keine Schonung gegen die Anhänger des alten Systems, die Ruhe aus selbstsüchtigen Absichten begehren, gegen diese werde ein Vernichtungskampf ohne Erbarmen geführt. Wenn Wien den Tod im Kampfe für die Freiheit sterben sollte, so wird aus seiner Asche sich ein zermalmender Rachegott über Deutschland erheben!«
»Wir werden diesen Phönix erwarten; die Büchsen unserer Jäger tragen ziemlich weit. Diese Rede ist eines Marat würdig. Das ist also die Freiheit dieser Freiheitshelden – Vernichtung ohne Erbarmen allen denen, die nicht wollen und denken wie sie! Nun wohl! wir wollen diese ihre eigene Lehre auf sie anwenden und sehen, wie sie ihnen gefällt!« Der alte General hatte sich erhoben und stand an dem Kamin, die Falte auf seiner Stirn war drohender, tiefer geworden, seine Augen blitzten.
»Der Angeklagte hat ferner zugeben müssen, am 26. Oktober als Führer einer Kompagnie des Elitekorps und unter Kenntnis der Proklamationen vom 20. und 23. Oktober an dem bewaffneten Aufruhr und an dem Kampf der Rebellen gegen die kaiserlichen Truppen, namentlich aber an der Landstraßenbrücke, thätlich teil genommen zu haben, er beruft sich jedoch darauf, daß er nach Abschluß der Kapitulation sich nicht mehr am Kampf beteiligt habe.«
»Und die Zeugen?«
»Sie bekunden, daß am Abend des 29., nachdem bereits die Kapitulation abgeschlossen war, und an den beiden folgenden Tagen der Angeklagte sich noch fortwährend an den Sitzungen der demokratischen Ausschüsse im Roten Igel beteiligt und zur Fortsetzung des Widerstandes mit Hohn und Spott aufgefordert hat. Die letzten Worte, die durch Zeugen von ihm bekundet werden können, wurden bei dem Beginn des Kampfes gegen das Einrücken der kaiserlichen Truppen am Mittag des 31. auf dem Stephansturm gesprochen. Sie lauten: Es ist zwölf Uhr vorüber und die schwarzgelbe Fahne weht nicht vom Turme; ich nehme jetzt gern den Vorwurf zurück, den ich im Komitee den Wienern gemacht habe.«
»Ein Aufhetzer bis zum letzten Augenblick. Lesen Sie das Urteil.«
Der Auditeur nahm das Dokument und las es vor.
Das Aktenstück lautete:
»Herr Robert Blum, zu Cöln in Rheinpreußen gebürtig, 40 Jahre alt, katholisch, verheirathet, Vater von vier Kindern, Buchhändler in Leipzig, welcher bei erhobenem Thatbestande durch sein Geständniß und Zeugen überwiesen ist, am 23. Oktober l. J. in der Aula zu Wien durch Reden in einer Versammlung zum Aufruhr aufgeregt, und am 26. Oktober l. J. an dem bewaffneten Aufruhr in Wien als Commandant einer Compagnie des Elitecorps thätigen Antheil genommen zu haben, soll nach Bestimmung der Proklamation Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz vom 20. und 23. Oktober, dann nach s 4 im 62. Art. der Theres.-Gerichtsordnung mit dem Tode durch den Strang bestraft werden. So gesprochen in dem Standrechte, angefangen um 5½ Uhr Abends am 8. November 1848. gez. Cordier, Major, als Präses.«
»Wie war das Urteil?«
»Einstimmig!«
Der Auditeur überreichte ihm das Blatt und tauchte die Feder ein.
Der Fürst nahm sie und hob die Hand zum Unterzeichnen.
Plötzlich legte er die Feder wieder nieder.
»Wer ist dieser Padovani, von dem Sie mir als Zeuge gesprochen?«
»So viel ich gehört, ein ziemlich verrufenes Subjekt. Er ist ein Italiener und derselbe, der am 29. in der Versammlung der Nationalgarden im Reichstagssaal, als Messenhauser erklärte, daß Wien sich nicht länger halten könne, ihn einen Verräter nannte und die Wahl Preßlers von Sternau zum Ober-Kommandanten forderte. Mehrere Kompagnieen der Nationalgarde haben ihn ausgestoßen, aber er besitzt ein Mandat als Vertrauensmann derselben, von Messenhauser selbst gezeichnet, gegen den er sich gleichfalls zum Zeugnis erboten.« Vgl. Retcliffe, »Sebastopol«, 1. Teil S. 376.
Der Fürst zuckte verächtlich die Achseln. »Buben und Verräter!«
Er ging zweimal im Zimmer auf und nieder, dann trat er zum Tisch und läutete.
Ein Adjutant trat ein, der Fürst sagte ihm heimlich einige Worte, worauf jener das Gemach wieder verließ.
»Sind Sie allein hier?«
»Nein, Durchlaucht. Auf mein Ersuchen hat mich ein Mitglied des Standgerichts hierher begleitet, um Euer Durchlaucht meinen Rapport zu bestätigen.«
»Wer?«
»Hauptmann Janda von Kaiser-Infanterie!«
»Ich kenne ihn; er ist ein braver Offizier, und wir verdanken seiner Umsicht wahrscheinlich die Rettung der kaiserlichen Burg. Wo befindet er sich.«
»Er erwartet Euer Durchlaucht Befehl im Vorzimmer.«
Der Fürst ging noch einmal durch das Gemach auf und nieder, dann blieb er vor dem Auditeur stehen.
»Ist der Freimann benachrichtigt?«
»Es befindet sich augenblicklich kein solcher in Wien.«
Der Feldmarschall reichte ihm das Urteil. »Haben Sie die Güte, Herr Hauptmann, dies Papier dem Generalmajor Hipseck zu überbringen. Ich werde denselben binnen einer Stunde meinen Entschluß wissen lassen.«
Der Auditeur verbeugte sich. »Das Standrecht hat nach Herrn Blum über einen zweiten Verbrecher abzuurteilen gehabt und auf Tod durch den Strang erkannt. Ich habe die Ehre, Eurer Durchlaucht das Urteil zur Bestätigung vorzulegen.«
»Wer ist der Verbrecher?«
»Ein Soldat, der Feldwebel Stockhammer.«
»Das ist der Schurke, der die Ordres unterschlagen und so den Kampf an der Taborbrücke veranlaßt hat. Geben Sie her, keine Gnade für den fahnenflüchtigen Verräter!«
Der Auditeur schien nur ungern und zaudernd das verhängnisvolle Papier zu übergeben. »Der Mann,« sagte er, »ist ohnehin eine Beute des Todes; die Ärzte haben erklärt, daß er infolge einer vernachlässigten Amputation sterben muß!«
»So ist keine Zeit zu verlieren mit der Vollstreckung des Urteils,« entschied der Fürst rauh. »Geben Sie her!«
»Ich darf Euer Durchlaucht nicht verschweigen, daß, obschon der Angeklagte selbst zwar seine Schuld bereitwillig eingestanden, aber jede nähere Aussage verweigert hat, Umstände sich ergeben haben, die auf eine Verleitung zu dem Verbrechen durch Personen vornehmen Standes hindeuten.«
»Ich weiß, ich weiß! Das ist eine Privatangelegenheit und ändert an der Schuld des Soldaten nichts! Die Exekution soll morgen früh vollzogen werden und wenn man ihn hinaustragen müßte.«
Der Auditeur verbeugte sich. »Haben Euer Durchlaucht noch etwas zu befehlen?«
»Ich danke Ihnen. Doch ersuchen Sie gefälligst den Hauptmann Janda, noch im Vorzimmer zu warten, ich habe ihm einen Auftrag zu geben. Sie werden dort außerdem einen jungen Menschen, einen preußischen Kadetten, finden, lassen Sie ihn eintreten.«
»Euer Durchlaucht verzeihen, außer dem jungen Mann bittet noch ein anderer um die Gunst, vorgelassen zu werden – er ist mit uns gekommen, wir konnten es nicht verweigern!«
»Wer ist es?«
»Ein alter Tiroler, der Großvater des verurteilten Feldwebels.«
»Was soll das?« sagte der Fürst streng, »ich will nicht mit unnützen Bitten um Gnade behelligt werden. Sie mußten das im voraus wissen und mir dies ersparen.«
»Halten Euer Durchlaucht zu Gnaden, der alte Mann war der Denunziant, Hauptzeuge gegen seinen Enkel und hat ihn mit der harten Tugend eines Römers geopfert. Ich zweifle, daß er oder der Verurteilte eine Begnadigung erbitten.«
»Was will er dann?«
»Ich weiß es nicht, er ist ein Mann von wenig Worten und sein Unglück scheint ihn noch wortkarger gemacht zu haben! Aber, Durchlaucht, er ist ein treuer Unterthan.«
Der Fürst bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er: »Lassen Sie beide eintreten, den Knaben und den Greis. Die Stunde kann vielleicht dem einen eine Lehre fürs Leben sein! – Adieu!«
Der Auditeur salutierte. Wenige Augenblicke, nachdem er das Gemach verlassen, öffnete sich die Thür aufs neue, und der alte Tiroler und Otto von Röbel traten zusammen ein.
Der Feldmarschall winkte dem letzteren freundlich. »Sogleich, mein Sohn!« Er trat auf den Tiroler zu.
Der Greis trug seine Gebirgstracht, eine rauhe, aber reinliche Joppe. Das wenige Haar, das sein Gesicht umgab, war silberweiß, auf diesem selbst prägten sich deutlich die Spuren der erduldeten Leiden aus, ein ebenso melancholischer wie furchtbar entschlossener Ausdruck zeigte sich auf seiner Stirn. Er stand ehrerbietig, aber ungebeugt und ernst vor dem Mann, von dem in diesem Augenblick Tod oder Leben seines Enkels abhing.
»Pfietigott, Fürst Durchlaucht!« sagte der alte Mann, ihm treuherzig die Hand bietend. »I wünsch' Dir Segen, daß d' halt weg g'plundert hast mit dem Ruechenvolk, das dem Kaiser Feind.«
»Wie heißt Du?«
»Nazi Haspinger aus 'm Stubhayer Thal!«
»Es ist ein guter Name, Haspinger! Bist Du verwandt mit dem Pater in Salzburg?«
»'s ist meines Vaters Geschwisterkind, Fürst Durchlaucht.«
»Der Name scheint leider in schlechte Verwandtschaft gekommen, und nicht alle, die aus dem Blute entsprungen, sind gute Österreicher geblieben.«
Der alte Tiroler senkte kummervoll sein Haupt.
»Halt zu Gnaden, Fürst Durchlaucht, aber a g'sunder Baum kann a a schlechten Ast haben. Und davor is der Gärtner da, daß er ihn abhaut.«
Der Feldmarschall trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Du willst für Deinen Enkelsohn um Gnade bitten?« fragte er.
»Na, Fürst Durchlaucht. I nit, und der Franz will's selber nit. Er sieht sei Unrecht jetzt ein, und daß er hinwerden muß, damit er sei Schuld sühnen mag.«
»Was willst Du denn, Alter?«
»Durchlaucht Gnaden, der Franz ist a braver Soldat g'west, bis er in des Teufels sei Schling' gefallen is. 's is a Gott dort über dem Feldmarschall und dem armen Bauer in dem Tiroler G'birg, und er wird's halt rächen. Aber i bin halt selber Soldat g'wesen, schaun's Durchlaucht, Herr Fürst,« er wies auf seinen Brustlatz, »hier ist die Kugel reing'gangen, als i dem Hofer die Bayern und Franzen pantschen half am Berg Isel. Sie sollen nit sagen, daß einer von des Haspingers Blut g'hängt worden, wie a Dieb!«
Der Fürst ging schweigend zu dem Tisch zurück, auf dem noch das Urteil des Standgerichts gegen den Feldwebel Stockhammer lag. Er schrieb einige Worte darunter und trat mit dem Papier dann zu dem Tiroler.
»Lies!«
»Halten zu Gnaden, Herr Fürst Durchlaucht, i kann nit G'schrieben's lesen.«
»Es ist das Erkenntnis des Kaiserlichen Standgerichts, das Deinen Enkel zum Tode durch den Strick verurteilt. Ich habe die Strafe dahin geändert, daß sie morgen früh durch Pulver und Blei vollzogen werden soll. Das ist alles, was ich vor meinem Gewissen thun kann. Ich bin ein alter Mann wie Du, ich gebe Dir das Wort eines Soldaten, hätte mein Sohn oder mein Enkel gethan, was der Deine gethan, er stürbe morgen wie der Deine! Das ist alles, was Du verlangen kannst.«
Der alte Tiroler ergriff die Hand des Fürsten und drückte sie an seine Brust. »I dank Dir, Herr Fürst. Weiter wollt i nix. Aber halt! i möcht gern die Erlaubnis hab'«, mit ihm zu geh'n bis zu seinem letzten Augenblick, damit der Jung' hinwird, wie sich's gehört für an' Tiroler.«
»Wenn Dir's nicht zu schwer wird, Alter, ich werde den Befehl geben.«
»Hab' halt schon Schweres g'nug getragen in meinem Leben,« sagte der Greis wehmütig, »und 's war nit das Leichtste von allem, als i schau'n mußt, wie das Ruechenvolk den General Excellenz erschlagen, der mei Dirndl, des Franz sei Mütterli, gerettet von der Adlerbrut. Leb' wohl, Herr Fürst, und Gott laß Dir's wohlgeh'n, daß Dei Kinder treue Leut' bleiben vom Kaiser, unserm Herrn!«
Er wandte sich und ging zur Thür, die Augen des Fürsten folgten ihm nicht ohne Rührung – unter der Portiere wandte er sich noch einmal zurück.
»Halt zu Gnaden, Herr Fürst Durchlaucht, wird's nit bald geben einen Krieg mit dem Tirolerland?«
»Warum, Haspinger?«
»Weil i auf mei alte Tag' gern noch einmal dem Kaiser dienen möcht', damit er sieht, daß im Blut der Haspinger die Treu' so lang' lebt, wie die Hörner im Tirol stehen!«
Der Feldmarschall ging rasch auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »Geh' mit Gott, Alter – könnt' ich Deinen Enkel begnadigen, ich thät's! Wenn unser Herr, der Kaiser, lauter Männer wie Dich hätte, möchte die Welt immerhin an Österreichs Adler rütteln!«
Er winkte ihm freundlich zu, während der Greis das Gemach verließ.
Als der Fürst zurücktrat, fiel sein Blick auf den Knaben, der mit ehrerbietigem Interesse dem Auftritt beigewohnt.
Er wandte sich zu ihm.
»Junger Mensch,« sagte er ernst aber freundlich, »möge das, was Sie hier gehört und gesehen, Ihnen eine dauernde Erinnerung fürs Leben bleiben. Treue und Ehre über alles, das sei Ihr Wahlspruch. Möge nie das Haupt Ihres Herrn Vaters sich beugen müssen in schwerem Leid, wie das Haupt dieses Greises gebeugt worden.«
Der Knabe legte die Hand auf das Herz. »Mein Leben soll dem Kampf gegen die Untreue geweiht sein. So jung ich auch noch bin, Durchlaucht, so habe ich es doch geschworen.«
»Und ich, ein alter Mann, auch ich weihe Sie zum Kämpen des Königtums von Gottes Gnaden! Welche Lockungen Dir auch geboten werden mögen, mein Kind, wenn Du ein Mann geworden, ja selbst der eigene Verstand mit seinen hundert Spitzfindigkeiten und Theorieen Deinen Glauben zu erschüttern droht und den Egoismus an dessen Stelle setzen möchte – halte fest an der Treue, denn die Treue ist das erste Gut eines ritterlichen Herzens und die Untreue sein tiefster Fall!«
»Ich gelobe es, so wahr ich Otto von Röbel heiße!«
»Ich habe mit Vergnügen gehört, daß Sie morgen zu Ihrer Familie zurückkehren werden,« fuhr der Fürst fort, »und habe Sie deshalb noch einmal zu mir kommen lassen. Ich wünsche, daß Sie sich nicht wieder von jugendlicher Phantasie und Abenteuerlust hinreißen lassen mögen; lernen Sie was Tüchtiges und werden ein Mann, dann mögen Sie dem Drange Ihres Herzens folgen; ich fürchte, es wird auch dann noch genug Gelegenheit geben, wo die Throne der Kaiser und Könige von Gottes Gnaden der mutigen Herzen und der tapferen Schwerter bedürfen. Das ist eine Gefahr innerer Zeit, daß die Jugend schon zu zeitig in die politischen Kämpfe sich stürzt, die Männerreife und Manneskraft fordern. Nehmen Sie diesen Brief an Ihren Herrn Vater,« er nahm den bereits gesiegelten von seinem Schreibtisch, »er wird hoffentlich dazu dienen, seinen gerechten Unwillen über Ihre abenteuerliche Flucht zu versöhnen. Er enthält gleichfalls etwas für Sie, das Ihnen eingehändigt werden wird, wenn Sie Ihre Studien beendet haben, und das Sie an mich und General Zeisberg erinnern möge. Hier ist der Erlaubnisschein zum Passieren der Linien, und nun Gott befohlen! Ich hoffe Sie einst in besseren Zeiten als Offizier Ihres Königs in unserm fröhlichen Wien wieder zu sehen.«
Er reichte ihm den Brief und den Schein; der Knabe fühlte in dem ersten einen harten schweren Gegenstand.
»Empfangen Euer Durchlaucht meinen unterthänigsten Dank für Ihre Güte,« sagte er, »aber erlauben Sie mir, noch um eine Gnade zu bitten.«
»Sprechen Sie!«
»Dürfte ich Euer Durchlaucht bitten, den Passierschein mir auf zwei Personen auszustellen? Ich habe zufällig in Wien einen alten Freund meiner Familie wiedergefunden, und er wünscht mit mir nach Berlin zurückzukehren.«
Der Knabe hatte nicht ohne Anstrengung und Verlegenheit die einfachen Worte hervorgebracht, er fühlte, wie das Blut ihm ins Gesicht gestiegen war.
Indem der Fürst ihm, ohne ein Wort zu erwidern, die dargereichte Karte abnahm, hörte man es leicht an einer Seitenthür des Gemaches kratzen.
Der Feldmarschall ging zum Schreibtisch, schrieb einige Worte auf die Karte und kehrte dann damit zu dem jungen Preußen zurück. »Sie scheinen mehr Bekannte in Wien gefunden zu haben, als sich erwarten ließ, junger Herr,« sagte er, den Knaben fixierend, »der alte Boghitschewitsch hat mir eine interessante Geschichte von dem Tag unseres Einmarsches erzählt. Schade, daß jener Freund Ihrer Familie, an dem Sie so mutigen Anteil nahmen, sich die Dunkelheit zu Nutze gemacht und aus den Reihen der anderen Gefangenen spurlos entwischt ist. Ich hätte gern gleichfalls seine Bekanntschaft gemacht. Aber vielleicht können Sie mir seine Adresse geben?«
Der junge Mensch war bald bleich, bald rot geworden, das Herz war ihm wie zusammengeschnürt und Thränen der Angst drängten sich in seine Augen.
Unwillkürlich faltete er die Hände. »Durchlaucht …« stammelte er.
»Nun, wenn Sie's nicht wissen oder sagen können, thut es nichts zur Sache. Ich kenne den Herrn nicht, und das ist vielleicht gut für ihn. Jedenfalls machen Sie ihn darauf aufmerksam, daß die Wiener Luft gegenwärtig etwas ungesund ist, besonders für Verwundete. Und hier nehmen Sie Ihre Karte für zwei Personen, reisen Sie mit Gott, und denken Sie, daß der Feldmarschall Windischgrätz nur da streng ist, wo seine Pflicht es erheischt.«
Er führte selbst den jetzt ohne Scheu schluchzenden Knaben bis an die Thür und drückte ihm dort die Hand.
»Ich wünschte von Herzen, Österreich und Preußen wären immer so aufrichtige Freunde, wie wir beide. Und nun Adieu, mein Sohn, und Gott behüte Sie!«
Er öffnete selbst die Thür und ließ ihn ins Vorzimmer.
»Ich will ungestört sein!« befahl er dann.
Allein in dem Gemach, ging der Fürst einigemal nachdenkend auf und ab. Die Scene mit dem Knaben hatte ihn weich gestimmt, er gedachte der eigenen Söhne, von denen der jüngste nur zwei Jahre älter war, als der junge Preuße.
Dann schritt er zu der Seitenthür, an der man vorhin das anmeldende Zeichen vernommen, und öffnete sie.
»Treten Sie ein, mein Herr!«
Ein Mann trat ein, ein zweiter, der Adjutant, dem der Fürst vorhin den Befehl erteilt, zog sich auf ein Zeichen in ein äußeres Zimmer zurück.
Der Eingetretene war der Doktor Lazare.
Der Fürst winkte ihm, Platz zu nehmen, indem er, das auf das Entgegengesetzte zielende Manöver des Spions vereitelnd, sich selbst so setzte, daß sein Gesicht im Schatten blieb, während auf das des Doktors das Licht eines Armleuchters fiel.
Der Ausdruck kriegerischen Ernstes, der während der Unterredung mit dem Auditeur auf dem Antlitz des Fürsten gelagert gewesen, die Miene des Wohlwollens und freundlicher Teilnahme bei dem Gespräch mit dem Knaben waren verschwunden und hatten dem kalten undurchdringlichen Gesicht des erfahrenen Diplomaten Platz gemacht.
»Die Regierung ist Ihnen verbunden, mein Herr,« eröffnete er das Gespräch, »für die Beweise, die Sie ihr zu dem Prozeß gegen die Hochverräter und Landesfeinde geliefert haben. Infolge der von Ihnen erhaltenen Aufschlüsse und Ihrer geheimen Dienste während der Belagerung will ich nicht nur von jeder weiteren Prüfung Ihres früheren Verhaltens und des Benehmens der Gräfin Törkyeny abstehen, obschon, offen gesagt, mir vieles darin sehr zweideutig erscheint, sondern ich werde mich auch für ein günstiges Arrangement zwischen der Frau Gräfin und ihrem Herrn Gemahl auf das Dringendste verwenden und bin bereit, Ihnen zu vertrauen und von Ihrem Anerbieten Gebrauch zu machen. Vorerst wollen Sie dies in Empfang nehmen.«
Er übergab dem Doktor ein Portefeuille. Dieser wollte es mit einer dankenden Verbeugung einstecken, doch ein Wink des Fürsten hielt ihn zurück.
»Bitte, zählen Sie nach, es müssen 10 000 Gulden darin sein. In Geschäften liebe ich die Ordnung und muß Die deshalb um eine Quittung bitten.«
Das fahle Gesicht des ehemaligen Legionärs überflog eine leichte Röte; er sah die Falle, aber die Summe war entweder zu groß, oder er begriff, daß jedes Zögern die Verbindung und seine neuen Zwecke aufgeben hieße, und er näherte sich sogleich dem Tisch.
»Wollen Euer Durchlaucht die Gnade haben, mir die Formel zu diktieren?«
»Hier ist die Quittung, Sie haben nur zu unterzeichnen.«
Der Doktor that es, ohne zu zögern. Der Fürst winkte ihm aufs neue, sich zu setzen.
»Was die Frau Gräfin Törkyeny betrifft,« fuhr der Feldmarschall fort, »so wünsche ich, daß sie so bald wie möglich Wien verläßt. Sie wird sich nach Preußen, nach Berlin oder Potsdam, begeben.«
»Wird Berlin nicht dieselbe Rolle spielen wie Wien? Ich bitte Euer Durchlaucht um Verzeihung, aber wir sind seit einigen Tagen mit Zeitungsnachrichten etwas beschränkt.«
Ein leichter Spott flog über das ernste Gesicht des Staatsmannes. »Es ist zu meinen Zwecken notwendig, Sie den richtigen Stand der Dinge übersehen zu lassen. Die drei Mächte der heiligen Alliance sind übereingekommen, das Treiben der Revolution nicht länger zu dulden, sondern ihr offen entgegen zu treten. Graf Brandenburg, der Verwandte des Könighauses, ein Mann von Energie, ist mit der Bildung eines neuen Ministeriums aus konservativen Elementen beauftragt, es wird in diesen Tagen proklamiert werden und die Nationalversammlung, nach unserm Beispiel, nach einem passendern Ort berufen. Zugleich wird General Wrangel mit den um Berlin zusammengezogenen Truppen in die Hauptstadt einrücken und den Belagerungszustand proklamieren.«
»Und wenn man Widerstand leistet wie hier? Der König von Preußen scheint um jeden Preis einen zweiten Bürgerkampf vermeiden zu wollen.«
»Die Schwäche und Unentschlossenheit des Königs ist Gott sei Dank zu Ende. Ihre Majestät die Königin ist die Schwester der Erzherzogin Sophie, und der Prinz von Preußen ein Soldat vom Scheitel bis zum Fuß, der schwere Beleidigungen zu vergelten und den preußischen Thron seinem Sohne zu sichern hat. Überdies ist der Gedanke eines Kampfes zu unsinnig. Die Herren Berliner sind nicht so heißblütig wie unsere guten Wiener, und die polnischen Elemente zu vereinzelt. Nötigenfalls sind die Kanonen da und die preußische Artillerie schießt vortrefflich. Es ist Zeit, daß in Deutschland das Regiment wieder in die Hände der Fürsten kommt, denen Gott es anvertraut hat.«
»Verzeihen Euer Durchlaucht, aber ich stehe erst im Beginn meiner diplomatischen Carriere und begreife daher noch nicht, in welche Verbindung der Aufenthalt der Frau Gräfin in Berlin mit diesen Verhältnissen zu bringen wäre.«
Der alte Diplomat zauderte einige Augenblicke, dann sagte er entschlossen: »Die Aufgabe der Gräfin wird sich in zweierlei Richtungen bewegen. Es ist unzweifelhaft, daß die revolutionäre Partei in Deutschland nicht bloß unter sich, sondern auch mit der benachbarter Länder in Verbindung steht, und wenn man auch in Wien und Berlin der Hyder auf den Kopf tritt, wird man sie doch dadurch nicht ausrotten können. Dazu ist die Gemütsrichtung Seiner Majestät des Königs von Preußen nicht der Art, um auf ganz energische Maßregeln zu rechnen, wenn er auch jetzt für offnen Bruch mit der Revolution gewonnen ist. Das Gift wird sich daher dort fortschleppen und – ich zweifle nicht daran – bei erster Gelegenheit, vielleicht im Frühjahr, an einer oder der anderen Stelle neue Versuche zum Ausbruch machen. Der Ruf, den die Frau Gräfin als Flüchtige von Wien mitbringt, wird ihr bei der demokratischen Partei in Norddeutschland nützen und sie mit den Leitern leicht vertraut machen. Wie gesagt, die Apanage, die der Graf, ihr Gemahl, ihr bisher gezahlt, wird, auf den Wunsch des Hofes, verdoppelt, nötigen Falls verdreifacht werden; es darf ihr an Geld nicht fehlen.«
»Und die zweite Richtung?«
»Was den kaiserlichen Hof zu Olmütz betrifft, so werden Sie wahrscheinlich binnen kurzem eine wichtige Neuigkeit daher erfahren. Was ich Ihnen vorläufig sagen kann, ist, daß die kaiserliche Regierung entschlossen ist, vollständig mit dem Schwindel in Frankfurt zu brechen und sich davon loszusagen. Die österreichischen Deputierten können nötigen Falls zurückgerufen werden. In diesem Punkt aber kann man sich auf Preußen nicht verlassen. Man kokettiert dort noch mit Frankfurt. Die Narren vom Parlament träumen von der Wiederherstellung des deutschen Kaiserreichs, das alle deutschen Staaten unter einen Hut oder einen Helm bringen soll. Der bloße Name hat nichts zu bedeuten, aber die Sache könnte gefährlich werden, wenn dieser Hut oder dieser – Helm auf einem energischen Kopf säße. In dieser Voraussicht allein hat man einem Erzherzog gestattet, die Phrase eines deutschen Reichsverwesers anzunehmen.«
»Euer Durchlaucht fürchten einen Coup Preußens, der Österreich die Beherrschung der deutschen Verhältnisse entreißen könnte, mit einem Wort, daß der König von Preußen, mit Hilfe der Revolution, sich zum Kaiser von Deutschland machen könnte?«
»Wie lange würde er es sein mit solchen Bundesgenossen? Nein, mein Herr, Deutschland mag über kurz oder lang in größere Teile zerfallen, und die Einigung darüber wäre vielleicht die beste Politik, aber herrschen über Deutschland wird Preußen nie! Ich habe die Ehre, den König zu kennen, er ist vielleicht die biederste und aufrichtigste Natur in seinem ganzen Lande, und entfernt von jedem ehrgeizigen Coup. Aber nicht seine ganze Umgebung ist damit einverstanden. Es giebt Personen am preußischen Hofe, denen eine Wahl des Königs zum deutschen Kaiser eine Befriedigung ihres eigenen Ehrgeizes sein würde, und deren Einfluß und Intriguen zu fürchten sind. Man hat uns von einer Seite davor gewarnt, die schwer wiegt. Es kann eine Zeit kommen, und ich hoffe, sie ist nahe, wo Österreich bereit ist, sich mit Preußen auf weiteren Grundlagen, als bisher, zu verständigen, aber das muß von beiden Thronen, nicht von der Demokratie ausgehen. Die Verhältnisse und Intriguen in dieser Beziehung in den höchsten Kreisen zu überwachen, soll die zweite Aufgabe der Gräfin Törkyeny sein. Dieselben Gründe, die sie bei der Demokratie des Volkes einführen werden, ihre Unzufriedenheit mit der österreichischen Regierung, werden ihr in den höchsten Kreisen zu statten kommen, um die es sich handelt. Wie gesagt, bis jetzt ist es nur Argwohn und Vermutung, aber wir wünschen Gewitztheit, was wir zu erwarten, oder zu bekämpfen haben. Das war es, was mich bewogen hat, auf das Anerbieten Ihrer und der Gräfin Dienste einzugehen.«
»Hat die Frau Gräfin in eine Verbindung mit der Gesandtschaft zu treten?«
»Gott bewahre; sie handelt ganz selbständig. Der Gesandte ist weder in der Lage, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen, noch in dieser Beziehung mit Aufträgen versehen. Hier ist die Privat-Adresse, an welche die Gräfin wöchentlich zu berichten hat. Alles weitere muß ihrer eigenen Geschicklichkeit überlassen bleiben.«
Der Doktor nahm den kleinen Zettel. »Darf ich fragen, was Euer Durchlaucht über mich bestimmt haben? Soll ich die Gräfin begleiten?«
»Nein, Herr, sie wird auch ohnedies schon für die Erhaltung ihres Rufes sorgen, oder ich müßte mich sehr irren. Ich wünsche, daß Sie uns ähnliche Dienste in Ungarn leisten.«
Der Doktor rückte unbehaglich auf seinem Sessel.
»Ich bin gezwungen, Euer Durchlaucht zu sagen, daß mich der junge Graf Batthyányi, der, wie ich vernommen, leider seinem verdienten Schicksal entronnen ist, bei der Unterredung mit Eurer Durchlaucht im Belvedere gesehen und erkannt hat.«
»Das ist allerdings fatal, aber einem Mann von Ihrer Gewandtheit wird es ein leichtes sein, dem Grafen aus dem Wege zu gehen, oder sich unkenntlich zu machen. Die ungarische Revolution ist in ein Stadium gelangt, die einen Krieg unvermeidlich macht. Wir stehen in Unterhandlungen mit Preußen, ein Armeekorps in Galizien einrücken zu lassen. Die Donaufürstentümer sind von den Russen besetzt, Kaiser Nicolaus dürstet nach einer Gelegenheit, die Revolution zu bekämpfen. Zunächst würde uns freilich ein Bündnis mit Preußen lieber sein, da wir keine Verpflichtungen in Bezug auf die russischen Pläne auf die Donaufürstentümer übernehmen möchten. Die Verbindung muß jedoch unterhalten werden als letztes Mittel, um so mehr, als die Verhältnisse in Deutschland und Italien uns nicht erlauben, unsere ganze Kraft gegen Ungarn zu wenden. Wie Sie wissen, ist Schlick von den Rebellen bis zur Grenze zurückgedrängt. Ein Feldzug ist für uns vor dem Frühjahr nicht möglich. Bis dahin werden die Truppen an der Grenze aufgestellt bleiben, und ich selbst werde das Kommando übernehmen. Ich wünsche aber während der Zeit sichere Leute in der Nähe der ungarischen Führer zu haben, die sie beobachten und von denen wir wöchentlich genaue Nachrichten beziehen. Zu diesem Geschäft habe ich Sie bestimmt, und unter dieser Bedingung sichere ich Ihnen meinen Schutz, das Vergessen alles früheren und dauernde Beschäftigung im geheimen Dienst der Regierung.«
Der Doktor verbeugte sich.
»So sind wir einig. Sie stehen von diesem Augenblick an im Sold der Regierung. Sie erhalten monatlich 500 Gulden und werden mich wissen lassen, auf welche Weise Sie das Geld beziehen wollen. Hier sind zwei Adressen, die eine in Pesth, die andere in Temesvár. Es ist nicht nötig, daß Sie mit den Personen in Verbindung treten, oder diese Sie kennen lernen. Sie werden ihnen, wo Sie sich befinden, Ihre Berichte in versiegeltem Couvert zugehen lassen. In der Aufschrift unterstreichen Sie den Bestimmungsort zweimal, es wird dem Adressaten das Zeichen sein, daß die Depeschen für mich bestimmt sind; ist der Ort dreifach unterstrichen, so werden sie sofort dem nächsten kommandierenden General der kaiserlichen Truppen eingehändigt werden.«
Der Doktor Lazare hatte jetzt seine volle Sicherheit wieder gewonnen. »Verzeihen Euer Durchlaucht, aber ich glaube, Euer Durchlaucht schenken mir sowohl in Beziehung auf Berlin, wie auf Ungarn, zu viel oder – zu wenig Vertrauen.«
»Wie meinen Sie dies?«
»Was zunächst Berlin betrifft, so läßt sich nicht leugnen, daß in diesem Augenblick die Armee dort eine geschlossene und bedeutende Macht bietet, die auf den Willen des Königs mit der leichtesten Mühe alle demokratischen Bewegungen im Lande niederzuhalten vermag, während sie zugleich von keinem äußern Feinde, wie Österreich in Italien und an der Donau, in Anspruch genommen wird, denn die wenigen Regimenter im dänischen Kriege üben keinen Einfluß.«
»Was weiter?«
»Bei einer solchen Machtstellung Preußens wird man seine Hilfe nicht fordern können, ohne ihm andere Vorteile zu bieten oder geboten zu haben. Um so mehr, wenn man zugleich damit einer Annahme der deutschen Kaiserkrone verbeugen will.«
Auf den hageren Wangen des alten Diplomaten zeigte sich ein roter Fleck; trotz des Schattens, in den sich der Fürst gesetzt, entging die flüchtige Bewegung dem scharfen Auge des Juden nicht.
»Und darf ich fragen, was Sie daraus weiter folgern, mein junger Herr Diplomat?«
»Wenn es noch nicht geschehen ist, so wird Österreich dem Könige von Preußen die Teilung Deutschlands anbieten,« sagte der Legionär kalt.
Der Fürst schwieg einige Augenblicke. »Nehmen Sie sich in acht, Herr,« sprach er dann. »Für Leute, wie Sie, giebt es entweder eine gute Carriere oder den Kufstein.«
»Ich ziehe eine gute Carriere der schönen Aussicht von den Bastionen des Kufstein vor, Herr Feldmarschall.«
»Es wird auch das beste für Sie sein! Und was denken Eure Schlauheit in betreff der ungarischen Verhältnisse?«
»Eure Durchlaucht wünschen einige Eifersucht und Zwietracht zwischen den Herren Kossuth, Batthyányi, Klapka, Görgey und so weiter, bis der Winter vorüber, und Österreich entweder im Bunde mit Preußen, ober Kaiser Nicolaus zu dem sehr thörichten Glauben gebracht ist, der Hof von Wien werde ihm zum Dank für eine Unterdrückung Ungarns gestatten, die Pulsader seines Lebens an den Mündungen des Schwarzen Meeres zu unterbinden.«
Der Fürst erhob sich. »Ich will Sie nicht hindern,« sagte er ruhig, »diese Präsumtionen Ihrer Thätigkeit unterzulegen, doch kann ich Ihnen nur wiederholen, daß Sie gut thun werden, sie in sich selbst zu verschließen. Zeigen Sie Ihren Eifer, und Sie werden nicht zu kurz dabei kommen. Ich wünsche, daß Sie morgen abreisen und zunächst zu ermitteln suchen, welche Verbindungen die Führer der Revolution in Ungarn noch hier in Wien unterhalten, denn es liegen ganz bestimmte Anzeichen vor, daß solche Verbindungen bestehen, und Agenten hier noch thätig sind.«
»Euer Durchlaucht wissen vielleicht nicht, was Kossuth den Herren Tausenau und Mahler zur Antwort gegeben, als sie den versprochenen Beistand und den Entsatz Wiens forderten?«
»Nun?«
»Seine Worte lauteten: › Ich habe Euch bezahlt, wir sind somit quitt, und Ihr habt keinen weiteren Anspruch auf ungarische Hilfe; helfet Euch selber, so gut Ihr könnt!‹«
»Schändlich! All dies Geschrei von Patriotismus und Freiheit, diese Ströme von Blut – bezahlte Dinge! O, wenn das Volk doch hinter die Coulissen seiner blutigen Freiheitskomödie sehen möchte, wie ganz anders würde es über so manchen dieser Helden und Märtyrer urteilen!«
»Euer Durchlaucht haben Recht, Herr Messenhauser hätte sich gewiß gern noch einige Zeit das Oberkommando gefallen lassen, um die täglichen hundert Gulden von den Wiener Zeitungen für seine schönen Proklamationen und Erlasse zu beziehen, wenn Euer Durchlaucht Kanonen der Einnahme nicht ein Ende gemacht hätten.«
Der Fürst antwortete auf die giftige Bemerkung nicht, aber der Name erinnerte ihn an den Zweck, zu dem er den Spion hatte rufen lassen.
»Ihr Rat, Herr, jenen Italiener in das Gefängnis der beiden Mitglieder des Parlaments zu setzen,« sagte er ernst, »hat seine Früchte getragen. Über Herrn Blum ist diesen Abend Standgericht gehalten worden, und dies hat ihn zum Tode durch den Strick verurteilt. Seinen Gefährten Fröbel erwartet ein gleiches Urteil.«
»Die Vollstreckung wird einiges Aufsehen in Deutschland machen,« bemerkte lauernd der geheime Agent.
»Bei Gott, das soll sie, und das ist mein Zweck. Diese Menschen sollen erkennen, daß die Macht Gottes, welche die Throne und die Fürsten eingesetzt, nicht jede freche Hand ungestraft an diesen Thronen und den alten Ordnungen der Welt rütteln läßt. Diese Männer sind hierher gekommen in ein ihnen fremdes Land, ohne Beruf, ohne Auftrag, bloß um zu wilder Rebellion zu hetzen, um mißleitete Menschen noch mehr zu verführen und in ihr Verderben zu verstricken, und Ströme von Haß und Blut auszugießen. Sie haben das Schwert gezogen ohne Fug und Beruf, sie selbst haben verkündet, daß dieser Kampf der Parteien kein ehrenhafter Krieg, sondern die unbedingte Vernichtung aller anders Denkenden und Fühlenden sein soll. Sie selbst haben sich damit nicht zu Soldaten, sondern zu Mördern gemacht!«
»Das deutsche Parlament in Frankfurt wird die Entscheidung über die Schuld seiner Mitglieder für sich verlangen!«
»Schweigen Sie mir von dieser Mißgeburt der Revolution, die sich selbst nicht einigen kann, viel weniger Deutschland. Ich bin nicht so blind, Herr, daß ich glauben sollte, unser großes deutsches Vaterland bedürfe nicht einer politischen Entwicklung und Erhebung. Aber eine solche Entwicklung muß von Fürsten und Völkern vereint ausgehen, nicht von unzufriedenen Schreiern und Advokaten, die sich der besten Lunge und der verrücktesten Ideen rühmen und sich deshalb von Schreiern gleich ihnen, wählen ließen. Nicht einmal ihre eigenen Beschlüsse sind ihnen gültig. Die, welche einer fanatischer Minorität nicht in den Kram passen, werden mit Barrikaden und Mord erwidert. Das ist die Partei des Fortschritts, das ist ihre Ansicht von der Freiheit der Meinung! Es giebt keine ärgere Tyrannei, als die Herrschaft der Demokratie! Aber selbst, wenn ich das Mandat dieses Parlaments gelten lasse, so ist es eben nur eine beratende Versammlung, aus der noch kein Resultat hervorgegangen und durch unsere Regierungen verkündet worden ist. Selbst im besten Fall haben sich diese Herren selbst außer Gesetz gestellt und durch ihre willkürliche Überkunft nach Wien, durch ihre Beteiligung an der Rebellion gegen den rechtmäßigen Herrscher jedem andern fremden Aufwiegler gleich gestellt und müssen das Schicksal eines solchen tragen.«
Der Agent nickte zustimmend.
»Dieses Urteil ist vollkommen nach Fug und Gesetz gesprochen. Ich bin in meinem Recht, es zu bestätigen, und es ist eine politische Notwendigkeit, der Welt zu zeigen, daß nicht jeder Aufwiegler unter dem Namen eines Volksvertreters ungestraft als Commis voyageur der Rebellion sein Handwerk treiben darf! Wer Blut säet, wird Blut ernten! Das einzige Bedenken …«
»Euer Durchlaucht Macht und Recht ist unzweifelhaft.«
»Ja, Herr, das weiß ich, aber die Ehre meines Wortes steht über meinem Recht. Der Angeklagte Blum hat sich auf die am 28. mit den Gemeindebehörden von Wien abgeschlossene Kapitulation berufen.«
»Euer Durchlaucht haben selbst die Rädelsführer von deren Begünstigung ausgenommen und deren Auslieferung zur Bestrafung verlangt.«
»Das ist wahr, indes die Namen der vier Mitglieder des Frankfurter Parlaments waren nicht ausdrücklich in dem Verzeichnis der Vierzehn genannt« Die Namen waren: Messenhauser, Hauk, Braun, Fenneberg, Kuchenbecker, Burian, Wutschel, Hammerschmidt, Becher, Engländer, Tausenau, Gritzner, Deutsch und Mahler.
»Es sind nur österreichische Untertanen. Euer Durchlaucht haben die fremden Führer besonders ausgeschlossen, wie das Beispiel von Bem und Schütte beweist. So viel mir die Bedingungen der Kapitulation bekannt, haben Euer Durchlaucht sich geweigert, irgend wie Versprechungen zu geben, sondern nur erklärt, daß Sie thun würden, was sich mit Ihrem Gewissen und Ihrer Ehre vertrüge.«
»So ist es! Indes …«
»Die Hoffnung der Begnadigung kann offenbar mir für die reuigen Bewohner Wiens selbst gelten, überdies …«
»Nun?«
»Wenn Euer Durchlaucht der Beweis geliefert wird, daß dieser gefährliche Feind der katholischen Kirche und der Fürsten auch nach dem 28. sich an dem Widerstand beteiligt hat?«
»So werden sie sterben, so wahr meine Name Windischgrätz und Gott über uns ist!«
Der Agent lächelte tückisch.
»Soviel ich aus den Verhandlungen des Standgerichts erfahren, hat Herr Blum zugestanden, an den Verhandlungen des Central-Komitees um Montag Morgen im Igel teil genommen zu haben.«
Der Fürst nahm das Aktenstück und prüfte die Aussage. »So ist es!«
»In dieser Versammlung wurde beschlossen, die Waffenablieferung sofort einzustellen. Die Herren Blum und Fröbel waren seit dem 25. Hauptleute der ersten und dritten Kompagnie des Korps d'Elite.«
Der Agent öffnete seine Brieftasche und nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus. »Hier ist die Ordre an die erste Kompagnie, sofort die Bastion am Stubenthor wieder zu besetzen. Datiert –«
»Datiert mittags 12 Uhr vom Stephansturm, gezeichnet: Robert Blum, Hauptmann!«
Der Feldmarschall ergriff das Papier und las es schweigend. Dann trat er zu dem Tisch und nahm die Feder.
»Ich glaube,« sagte der Jude frech, »das wird Eurer Durchlaucht letzte Skrupel besiegen, den Parlamentsmann dem Galgen zu übergeben!«
Der alte Soldat richtete sich straff empor. »Sie irren, Herr! Dieser Mann ist ein Feind meines Kaisers und muß sterben, und wenn Engel vom Himmel um Gnade für ihn bäten. Aber Gott behüte mich, daß ich einen Mann, der sich wie ein Mann für seine Überzeugung geschlagen, auch wenn diese ein falsches Phantom ist, wie einen Dieb sterben lassen sollte.«
Und mit fester Hand schrieb er die Worte auf ein Blatt Papier:
»Die Inkulpaten Robert Blum und Franz Stockehammer sind zum Erschießen mit Pulver und Blei begnadigt, und die Urteile sofort zu vollstrecken.
Der Feldmarschall Fürst Windischgrätz.«
Er schellte.
Ein Adjutant erschien.
»Lassen Sie den Hauptmann Janda eintreten und meinen Wagen anspannen. Wir kehren sogleich nach Schönbrunn zurück.« Der Adjutant verließ das Gemach, gleich darauf erschien der Befohlene.
»Hauptmann Janda?«
»Zu Befehl!«
»Sie haben sich brav bei der Einnahme der Stadt bewiesen, es soll Ihnen nicht vergessen sein. Sie waren Mitglied des heutigen Standgerichts?«
Der Offizier bejahte.
»Bringen Sie diese Papiere sofort an Generalmajor Hipseck. Die Exekution muß bis morgen früh acht Uhr vollstreckt sein. Sie werden derselben beiwohnen und die Verurteilten mit aller zulässigen Rücksicht behandeln. Sie mögen beide sterben, wie sie es wünschen. Der Tiroler Haspinger hat die Erlaubnis, seinen Enkel zur Richtstätte zu begleiten. Sobald die Exekution vollzogen, begeben Sie sich nach Schönbrunn, um mir Bericht zu erstatten. Ich wünsche zu wissen, ob dieser Schwärmer für eine schlechte Sache wenigstens mit dem Mut eines Mannes dafür gestorben ist.«
Der Feldmarschall winkte Entlassung und der Offizier trat salutierend ab.
Mit ernstem Gesicht kam der Fürst zu dem Tisch zurück und strich mit der Hand nachdenkend zweimal über das Gesicht; es war, als habe er die Anwesenheit des Agenten vergessen, der in den Hintergrund des Gemaches zurückgetreten war.
Aber dessen Stimme erinnerte ihn sofort wieder daran.
»Mögen alle Feinde Österreichs untergehen, wie dieser,« sagte der Doktor. »Wenn Eure Durchlaucht weitere Zeugnisse gegen Fröbel und seine Genossen brauchen, werde ich sie noch vor meiner Abreise liefern.«
Das graue, matte Auge des Feldherrn wandte sich mit einem aus Unwillen und Verachtung gemischten Blick auf den Vorlauten. »Ich habe das Schwert meines Herrn, des Kaisers, erhalten, um seine Macht und sein Recht herzustellen, nicht Blut zu vergießen. Es ist genug an dem einen Beispiel der Strenge, ich hoffe, Nachsicht üben zu können in den anderen Fällen.« Er nahm den Säbel und den Mantel vom Stuhl und griff zur Feldmütze. »Sie werden morgen Vormittag in Ihrer Wohnung die weiteren Adressen und Instruktionen erhalten und können am Mittag abreisen. Von nächster Woche ab erwarten wir Ihre Berichte.«
Der Fürst öffnete hierauf die Thür, durch welche der Doktor eingetreten, und schlug in die Hände. Sogleich erschien aus dem gegenüberliegenden Zimmer der Adjutant, der ihn begleitet.
»Führen Sie diesen Herrn zurück nach seiner Wohnung. Der Posten an derselben kann zurückgezogen werden. Adieu!«
Mit einer tiefen Verbeugung zog sich der Agent zurück, während der Feldmarschall die Thür des Vorzimmers öffnete. »Lassen Sie uns aufbrechen, meine Herren, nach Schönbrunn!«
Wenige Augenblicke nachher rasselte ein geschlossener Wagen aus der Burg, und der Hufschlag eines Zuges der Wrbna-Chevauxlegers donnerte hinterdrein.
Der berühmte Vorredner der Revolution, das Mitglied des Frankfurter Parlaments, Robert Blum, war nach seinem Verhör in das Gemach zurückgeführt worden, das er mit seinem Kollegen Fröbel bisher zusammen bewohnt hatte.
Schon während der vorhergegangenen Tage und während die Militärbehörden sich anscheinend gar nicht um die Verhafteten bekümmerten, hatte eine rastlose Unruhe den Gefangenen verzehrt. Häufig war zwischen ihm und Fröbel die Rede auf ihr Schicksal gekommen, aber während Blum dabei mit Gewalt die Annahme eines tragischen Ausgangs von sich entfernt zu halten suchte, sprach sich unverkennbar seine innerliche Angst und Besorgnis aus. Schon während er davon redete, was er auf der Rückreise nach Frankfurt und dort thun wollte, warf er Worte dazwischen, die eine finstere Ahnung seines Schicksals enthielten. Stundenlang saß er zuweilen stumm brütend am Fenster, sein Gesicht rötete sich, seine Augen wurden trübe und seine Hand zitterte. Zu andern Zeiten sprach er wieder mit großer Aufregung und brachte wiederholt die Rede auf den an Auerswald und Lichnowsky verübten Mord, dessen moralische Mitschuld er heftig von sich wies.
Vorherrschend beschäftigte ihn der Gedanke an seine Familie, obschon sein eheliches Verhältnis früher gerade nicht zu den glücklichsten gehört hatte.
Offenbar war schon in diesen Stunden das schwarze Gespenst einer drohenden Vergeltung des Siegers vor ihn getreten, und alle Doktrin von den Rechten des Volkes und der Stellung eines seiner Erwählten vermochte ihn nicht vor der unerbittlichen Logik der Wirklichkeit und der Erkenntnis der gefährlichen Stellung, in die er sich selbst gebracht, zu schützen. Erst die anregenden, hinterlistigen Reden Paduanis befreiten ihn wieder von diesen Schatten und trieben ihn zu einer exaltierten, trotzigen und übermütigen Stimmung.
Blum war nur wenige Minuten in dem frühern Gefängnis geblieben und hatte seinem Freunde über den Verlauf des Verhörs Mitteilungen zu machen begonnen, als diese durch den eintretenden Profoß unterbrochen wurden, der ihm ankündigte, daß er ein anderes Zimmer zu beziehen habe.
Von Widerspruch der Gewalt gegenüber konnte natürlich nicht die Rede sein. Fröbel reichte ihm die Hand: »Auf Wiedersehen!« »Auf Wiedersehen!« antwortete zögernd und gedankenvoll der Gefangene, dann folgte er der Wache. Sie haben einander nicht wiedergesehen!
In dem Zimmer, in das Blum gebracht wurde, fand er drei andere Gefangene, einen Baron v. Schlechta, einen Herrn v. Terezki und einen Polen.
Der Verurteilte hatte keine Ahnung, daß das Urteil schon gesprochen, daß die blutige Vollstreckung so nahe sei. Er unterhielt sich mit seinen Mitgefangenen, dann legte er sich nieder zum Schlafen.
Aber eine innere Angst und Unruhe ließen ihn nicht dazu kommen, er warf sich, wie die Gefährten seiner letzten Nacht erzählen, rastlos auf dem einfachen Lager hin und her, und man hörte ihn wiederholt murmeln: »Es ist nicht möglich! sie werden es nicht wagen! Unmöglich! unmöglich!«
Um vier Uhr morgens öffnete ein Gefangenwärter die Thür, ein Mann im geistlichen Gewand begleitete ihn; der Gefangenwärter nahm die drei Zellengenossen Blums mit sich, dieser blieb allein.
Der berühmte Führer der Demokratie hatte sich auf dem niedern Feldbett aufgesetzt, der matte Schein der Lampe, der das Gemach erhellte, fiel auf ein blasses, verstörtes Gesicht, während die Haare feucht von einem kalten Schweiß in wirren Ringeln um seine Stirn hingen, über die große Tropfen perlten. Die blauen Augen des Mannes waren mit einer gewissen Gläsernheit, hinter der doch eine innere Unruhe lag, auf den Fremden gerichtet, hinter dem die Thür wieder verschlossen worden.
»Wer sind Sie? was wollen Sie?«
»Ich bin der Geistliche des Sprengels, wie Sie sehen, mein Sohn, und komme. Ihnen meinen schwachen Beistand anzubieten auf dem schweren Wege, der Ihnen bevorsteht.«
Der Verurteilte zuckte sichtbar zusammen. »Unsinn – was meinen Sie? Was wollen Sie damit sagen?«
Der Geistliche sah ihn erstaunt an. »Wie, mein Sohn, man hat Ihnen noch nicht mitgeteilt, daß Gott Ihnen zur Sühnung Ihrer Fehler und Sünden auferlegt hat, durch die Gesetze der Menschen zu sterben?«
»Sterben? – Ich? – Es ist nicht wahr!«
Der Geistliche setzte sich neben ihn und faßte seine Hand, sie war kalt und feucht und zitterte.
»Man hat mich von einem Lager, wie das Ihre, geholt und mir den Befehl überbracht, Sie zum Todesgang vorzubereiten. Man hat mir gesagt, daß Sie zum Tode verurteilt wären, und die menschliche Gerechtigkeit gesühnt werden solle. Lassen Sie uns gemeinsam die Barmherzigkeit Gottes anrufen.«
Ein einziger, gurgelnder Laut drang aus der Kehle des Mannes. »Wann?«
»In wenig Stunden – noch diesen Morgen! Ich flehe Sie an, lassen Sie uns die Zeit benutzen.«
Der Unglückliche war emporgesprungen, seine Augen funkelten. »Es ist eine Lüge, man will mich erschrecken, man hat mir kein Urteil verkündet, und wird es nicht wagen, mich zu morden! Die deutsche Nation würde mich rächen! Man will mich in Furcht setzen; aber man soll sehen, daß man sich in mir irrt und einen Mann vor sich hat!«
Er ging mit hastigen Schritten in dem Gemach auf und nieder; aber trotz der Emphase perlte an jeder Spitze seines Haares ein schwerer Tropfen!
Dann trat er plötzlich zu dem Geistlichen und faßte seine beiden Hände. »Sie scheinen mir ein würdiger und verständiger Mann,« flüsterte er, »nicht wie die gewöhnlichen Pfaffen. Warum geben Sie sich zu einer solchen Täuschung her?«
»Fassen Sie Mut, mein Sohn! es ist leider keine Täuschung!«
»Aber was habe ich gethan, daß man es wagen sollte?«
»Ich bin ein armer Priester und befasse mich nicht mit Politik. Ich ehre die menschlichen wie die göttlichen Gesetze und weiß, daß, was unseren blinden Augen oft hart erscheint, die gnädige Buße ist, die uns Gott für die Fehler eines langen Lebens auferlegt. Gewähren Sie sich selbst den Trost der innern Erforschung und der Demütigung vor Gott durch die Beichte an seinen geweihten Diener, und Ihre Seele wird dem Unabwendbaren mit Mut entgegen gehen; denn Gottes Gnade und Verzeihung ist unermeßlich, und die Heiligen sind unsere Fürbitter an seinem Thron!«
»Ich bin Deutschkatholik, Herr, ich verachte die schmachvollen Ketten, mit denen die Römlinge seit Jahrhunderten die Völker geknechtet!«
»Man hat mir gesagt, mein Sohn, daß Sie als ein Feind des Kaisers und als ein Feind der heiligen Kirche nach dieser unglücklichen Stadt gekommen sind. Die Sünden gegen die Menschen sühnt Ihr leiblicher Tod, die Sünde gegen Gott und seine Kirche wird Ihre Reue in der letzten Stunde sühnen.«
Der Verurteilte lachte grell auf, der schrille Ton selbst schien seine alte Energie zu wecken. »Wie ich, Robert Blum, der Stifter und Vorkämpfer der freien Gemeinde, der Tausende von Seelen losgerissen hat von der Nacht des Aberglaubens und der Priesterherrschaft, ich sollte vor dem Schreckgespenst leerer Todesdrohungen wie ein Schulbube pater peccavi machen und mir einen Beichtzettel kaufen? In der That, Herr Pfarrer, der Plan ist nicht übel ausgesonnen!«
Der Geistliche sah ihn mit einem ruhigen, bedauernden Blick an. »Ich vergebe Ihnen, mein Sohn! Reue und Buße ist nie eine Schmach für den Menschen. Lassen Sie uns beten, damit Gott und die Heiligen Ihr Herz erleuchten!«
Er nahm das Brevier aus der Tasche seines Gewandes und knieete neben dem Tisch nieder, auf welcher der Gefängniswärter die Lampe gestellt.
»Aber wissen Sie denn nicht,« sagte der Verurteilte heftig, »daß ich der erklärte Feind des Papsttums, daß ich es bin, der die katholische Kirche erschüttert hat und den Ruf erschallen ließ: Trennung von Rom! Aufhebung der Ohrenbeichte und des Cölibats! Eine deutsch-katholische Kirche! und daß Tausende meinem Ruf mit Begeisterung gefolgt sind?«
Der Geistliche betrachtete ihn mit tiefem Mitleid. »Armer verblendeter Mann,« sagte er milde, »wie kann die irdische Eitelkeit Ihnen Halt geben in der ernsten Stunde des Gerichts! Statt Ihres Abfalls sich zu rühmen, bereuen Sie Ihr Werk, daß Sie jenen Unglücklichen den ganzen Trost geraubt in der schweren Stunde, die auch jenen kommen wird, wie sie Ihnen nahe steht! Ich bin nicht gekommen, mit Ihnen zu streiten über den Wert Ihrer Meinung, sondern um Ihnen die Hilfe des Gebets zu bringen in Ihrer letzten Not. Lassen Sie uns den Beistand der Heiligen anflehen, daß Gott Ihnen vergeben möge!«
»Ich glaube nicht an Ihre Heiligen!«
»Verblendeter, Sie rufen Ihre Freunde auf Erden an, und Sie verleugnen Ihre Freunde im Himmel? Glauben Sie mir, Herr Blum, nur dort oben haben Sie zu hoffen!«
»Aber ich will nicht sterben! Man wird es nicht wagen, mich zu ermorden!«
»Jeder hat dort oben seine Thaten zu verantworten, auch Ihre Richter!«
»Wissen Sie, was aus meinem Blut erwachsen würde? Österreichs Vernichtung! Man wird erkennen, daß nur der Haß der Finsterlinge, der Jesuiten mich geopfert! Die Geister sind frei geworden in Deutschland, in Politik und Religion, die Völker fühlen sich, und ob auch in Wien die Übermacht gesiegt, an hundert anderen Orten entfaltet die entfesselte Vernunft ihre freien Fahnen zum glorreichen Siege und schützt ihre Jünger. Die Zeit ist vorüber, wo die Priester Scheiterhaufen bauten und die Könige Schafotte für die Kämpfer der Vernunft und der Menschenrechte! Sie mögen die Komödie ihrer Verurteilung spielen, aber niemand wird es wagen, an einem Vertreter des deutschen Volkes ein Bluturteil zu vollstrecken.«
Der Geistliche hatte nach der Thür gehorcht. »Unglücklicher,« sagte er leise, und dennoch drang jeder Laut schwer in das Ohr des Gefangenen, »fassen Sie den Mut der Ergebung.«
Gewehre rasselten auf dem Gang vor der Zelle, der Schlüssel drehte sich im Schloß, im Schein der Lampen blitzten draußen Bajonette.
Der Inspektor des Stockhauses trat ein, mit ihm ein Offizier. Der Gefangene, der stumm an dem Tisch lehnte, die Hand darauf gestützt, erkannte in ihm den Auditeur des Standgerichts, Hauptmann Wolfram.
Der Hauptmann hatte in seiner Hand ein geöffnetes Schreiben. »Herr Blum,« sagte er langsam, »ich habe die traurige Pflicht, Ihnen das Urteil des Standgerichts Kaiser Königlicher Truppen dieser Haupt- und Residenzstadt Wien mitzuteilen. Es lautet wie folgt.«
Die Worte des Urteils, wie wir es bereits mitgeteilt, schlugen wie ein dumpfes Murmeln, kaum halb verstanden, an das Ohr des Gefangenen. Zum erstenmal überkam ihn die drohende Gewißheit seines Schicksals.
Seine Stirn und sein Gesicht färbten sich rot von dem aufsteigenden Blut. Seine einzigen Worte waren: »Ich protestiere!«
»Es ist nutzlos, Herr; hier ist die Bestätigung,« fuhr der Offizier fort. Sie lautet: »Ist kund zu machen und in augenblicklicher Ermangelung eines Freimanns mit Pulver und Blei durch Erschießen zu vollziehen. Wien, am 8. November 1848. Im Namen Sr. Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls: Hipseck, Generalmajor.«
»Ich protestiere!«
»Fügen Sie sich in Ihr Schicksal wie ein Mann, Herr. Auf Befehl Sr. Durchlaucht soll das Urteil noch diesen Morgen in der Brigittenau vollstreckt werden. Es ist jetzt fünf Uhr. Sie haben zwei Stunden zu Ihren letzten Vorbereitungen. Der Inspektor des Gefängnisses ist beauftragt, Ihnen Schreibmaterialien zu geben und jeden billigen Wunsch zu erfüllen. Dieser ehrwürdige Herr wird die Güte haben, bei Ihnen zu bleiben, so lange Sie es wünschen.«
Der Verurteilte antwortete nicht, er hörte wahrscheinlich den ernsten Gruß des Auditeurs nicht einmal und sah es nicht, daß der Gefangenwärter Papier und Schreibzeug auf den Tisch legte. Erst als die Thür wieder zufiel, fuhr er aus seinem Sinnen empor.
Draußen auf dem Gange hörte man den langsamen, regelmäßig sich kreuzenden Schritt zweier Schildwachen – es war das einzige Geräusch, sonst Totenstille umher.
Dann erhob eine milde und zitternde Stimme den 50. Psalm, jenes erhabene Sterbegebet, und klang wie ein Geisterhall durch das stille Gemach.
» Miserere sui Deus: secundum magnam misericordiam tuam!«
»Erschossen werden! Es ist nicht möglich! – ich protestiere …«
Er sprang gegen die Thür.
» Et secundum multitudinem miseratarum tuarum: dele iniquitatem suam!«
Der starke kräftige Mann, der mit seinem Wort und seinen Ideen die Throne der Fürsten und den Stuhl Petri zu erschüttern gewagt, der kühn und mutig im Kugelregen der Kroaten an der Sophienbrücke gekämpft, er taumelte wie ein Trunkener zurück und warf sich laut schluchzend, weinend wie ein Kind, auf das harte Feldbett.
Die Kraft des Mannes war gebrochen vor der furchtbaren Majestät dieses Todes. Der Geistliche war an sein Lager geeilt, er fühlte, daß seine Zeit gekommen und redete mit milden Worten Trost in die Seele des Unglücklichen. Die erschütterte Seele wandte sich zu Gott, Robert Blum ist, nach den Mitteilungen seines Beichtvaters, als katholischer Christ und unter den religiösen Formen seiner Kirche gestorben.
Allmählich ermutigte und tröstete ihn der Zuspruch des würdigen Mannes, und er gewann seine Fassung wieder. Von diesem Augenblick an hat er sie nicht wieder verloren, obschon er bis zum letzten an der wirklichen Ausführung des Urteils zweifelte.
Die politische Überzeugung, die ihn auf die Tribüne der Paulskirche, auf die Barrikaden der Kaiserstadt geführt, hielt er fest. Zu welchen Abirrungen sie ihn auch geführt, ihr innerster Kern war eine große Idee, der Gedanke des ewigen Kampfes, der die Völker durchzittert, und jeder, der für eine Idee stirbt, ist ein Märtyrer!
Es gab einen Punkt im Herzen des Mannes, der von den Worten des Geistlichen berührt, widerklang wie der Laut der Memnonssäule beim berührenden Sonnenstrahl – die Erinnerung an seine Kinder!
Der Priester fragte ihn, ob er wünsche, daß er ihn auf seinem schweren Gange begleite. Blum lehnte es ab. Die menschliche Eitelkeit ist so schwer abzulegen! Er fürchtete nach dem rationalistischen Bekenntnis seines Lebens das Bekenntnis seiner Umkehr.
Er begleitete den Geistlichen bis zur Thür und bat ihn, als Andenken seine Haarbürste anzunehmen, das einzige, was er ihm anbieten könne. Dann schrieb er einige Briefe, an seine Frau, die oft im Leben ihm fern gestanden, aber ihm nahe trat in der letzten Stunde, und an den Abgeordneten Vogt in Frankfurt, dem er seine Familie empfahl. Die Briefe enthalten kein Wort der Klage über das Schicksal, das ihn ereilt. Der Ton der Briefe macht es unzweifelhaft, daß er in diesem Augenblick von der Gewißheit seines Todes durchdrungen und in ihn ergeben war.
Aber bald regte sich in dem lebenstrotzigen Herzen wieder die Hoffnung, der Glaube an die Unmöglichkeit der Vollstreckung, und es suchte seinen ängstlichen Schlag damit zu übertäuben.
Um halb sieben Uhr marschierte ein Militärdetachement vor dem Gefängnis auf; der kommandierende Offizier mit dem Profoß übergab dem Gefängnisinspektor die Ordre zur Auslieferung der beiden Verurteilten.
Diese erfolgte mit den üblichen Förmlichkeiten.
Augenzeugen bekunden, daß Blum sich dabei mutig und aufrecht zeigte, er nahm von den letzten Genossen seiner Gefängniszelle, die man wieder hereingebracht, fast heiter Abschied und stieg mit dem Offizier in den Fiaker. Zwei Unteroffiziere nahmen den Rücksitz ein, der Verurteilte zeigte eine fieberische Gesprächigkeit, und die Farbe seines Gesichts wechselte häufig.
Die Fahrt der beiden Wagen, von Reitern umgeben und gefolgt, ging die Landstraße entlang durch das Stubenthor in die Stadt und nach dem Roten Turmthor.
Bei der strengen Kontrolle, die noch immer für die Ein- und Auspassierenden herrschte, waren an dem Morgen nur wenige Personen auf der Straße und der Brücke. Das Thor war geöffnet, ein Fiaker hatte es soeben passiert, um nach dem Bahnhof zu fahren. Ein Knabe saß darin, ein Mann in dem Mantel eines Bedienten neben ihm. Der Offizier der Wache hatte ihre Legitimation untersucht und sie richtig befunden.
Mitten auf der Brücke, da, wo eine Bank unter dem Kreuz sich befand, saßen zwei Personen, ein Mann und ein Mädchen, beide noch jung, aber die Spuren des Leidens und überstandener Not auf den bleichen abgehärmten Gesichtern.
Das Mädchen trug die Tiroler Tracht und war in ein warmes Tuch gegen die November-Nebel gehüllt, der Mann war einer der wandernden slawonischen Kesselflicker, wie die Guba um seine Schultern und die Werkzeuge neben ihm auf der Bank bewiesen.
Als der junge Mann im Fiaker die beiden auf der Brücke erblickte, ließ er halten und sprang aus dem Fiaker.
»Fahre weiter, Rudolph, und warte auf mich in der Praterstraße. Es ist besser.«
»Ich bitte, lassen Sie mich Sie begleiten; auch ich habe eine Pflicht zu erfüllen, und Ihre Legitimation schützt uns vor Unannehmlichkeiten.«
Der Diener im Mantel stieg gleichfalls aus dem Wagen, der Knabe half ihm. Es war, als ob jener noch an schwerer Krankheit oder Verwundung leide, so langsam waren alle seine Bewegungen.
Der Fiakerkutscher sah das Paar kopfschüttelnd an, er mochte wohl seine Gedanken haben; indes nahm damals halb Wien, namentlich die untere Klasse, an dem Entkommen der politisch Gefährdeten regen Teil, und der Kutscher fuhr daher auf die Anweisung des jungen Menschen eilig die Brücke entlang, um sie am »Lamm« zu erwarten.
Der Knabe und der Bediente traten auf das Paar zu, der Slowak hatte sich erhoben.
Otto von Röbel, er war der junge Reisende, reichte ihm die Hand. »Haben Sie Dank, daß Sie noch hierher gekommen sind, um mir und meinem Freunde Adieu zu sagen, der Ihnen so viel verdankt. Sie vergeben mir, daß ich an jenem blutigen Abend Sie mit dem Geheimnis Ihrer Teilnahme an der Flucht des Ungars zwang, mir den Freund zu retten und an einen sichern Ort bringen zu helfen, bis der Sturm vorüber, und er so weit hergestellt war, um mich begleiten zu können. Was hätte ich, fremd in dieser Stadt, anfangen sollen, wenn ich Sie nicht getroffen, und Gott mir den Gedanken eingegeben hätte, Ihre Hilfe zu verlangen.«
»Ich that, was ich konnte. Sie haben mich ja nicht verraten, als ich den Grafen befreite, in der Nacht vorher. Ich wünsche nur, ich hätte besseres thun können, als Ihnen bei einem Landsmann die elende Kammer verschaffen, in der Sie Ihren Freund verbergen und pflegen konnten, und die geringen Kenntnisse zu seiner Heilung verwenden, die ich mir in den zwei Semestern erworben.«
Der Berliner Student drückte ihm die Hand. »Sie haben brav und menschenfreundlich gehandelt,« sagte er bewegt, »und nächst Otto verdanke ich Ihnen meine Rettung. Aber ich hoffe, daß Sie nicht selbst Gefahr laufen, weil Sie noch immer diese Verkleidung tragen?«
»Sie irren sich, es ist die meines Standes!« Er wies mit einem seltsamen Blick nach dem Gerät auf der Bank. »Wenn Sie in Ihrem Vaterland vielleicht einmal einen armen Slowakenknaben seine Fallen und Hecheln ausrufen hören, dann denken Sie an mich und seien Sie freundlich gegen die Ärmsten!«
»Unmöglich! ein Mann von Ihrer Bildung –«
Der Fallenkrämer lächelte schmerzlich. »Ich bin nichts als ein armer Slowak und wäre glücklich, wenn ich es stets geblieben wäre. Gott gebe, daß jene Arbeit meiner Hände mir das Wissen sühnen hilft, das über mich gekommen. Leben Sie wohl, meine Herren, und Gott geleite Sie! denn wenn ich nicht irre, naht dort eine schwere Pflicht für mich.« Er drückte beiden die Hand und wandte sich hastig zu dem Mädchen.
»Fassen Sie sich, Nandl, ich fürchte, der Augenblick ist da – sie kommen!«
Das Mädchen, das vor dem Heiligenbild gekniet, erhob sich weinend.
»Heil'ge Mutter Gott's! mir is, als wollt mir's Herz aus dem Buserl hupfen!«
Er war neben sie getreten und redete ihr mit tröstenden Worten zu.
Aus dem Thor kam ein Kavallerie-Pikett und trabte auf die Brücke zu, zwei Wagen folgten, Reiter an den Schlägen und hinterdrein, die gespannte Pistole auf den Schenkel gestützt. Gleich hinter ihnen schloß sich das Thor, auf dem Wall blitzten Bajonette, drüben am Ufer der Leopoldstadt erschienen wie mit einem Zauberschlage Infanterie-Piketts an jeder Straßenecke und die Taborstraße entlang.
»Mein Gott, was soll das bedeuten?«
Die junge Tirolerin war in die Knie gesunken und rang bitterlich weinend die Hände. »O Franz, Franz, Gott der Herr sei Dir gnädig!«
Der Berliner Student hatte den Arm seines jungen Freundes krampfhaft gepackt. »Höll' und Teufel! das ist Blum, Robert Blum! Was haben sie mit ihm vor?«
Der Wagen mit dem ersten Gefangenen war vorübergerasselt. Mit Gewalt hielt der Knabe den Freund zurück, der sich der Eskorte nachstürzen wollte. Die Audienz, der er am Abend vorher beigewohnt, fiel ihm jetzt ein; er erkannte in dem zweiten Wagen den alten Tiroler, er wußte jetzt, um was sich es handelte.
»Still, um Gotteswillen! errege keine Aufmerksamkeit. Kein Opfer kann sie retten, man führt sie zur Hinrichtung!«
Der zweite Wagen fuhr etwas langsamer auf der Brücke, es war, als wolle der Führer selbst den Unglücklichen ein letztes Lebewohl gönnen.
In dem Wagen saßen im Fonds die beiden Tiroler, der alte Mann mit dem wetterverbräunten kummervollen Gesicht und dem weißen Bart und Haar und der Verurteilte, so weiß wie das Tuch, in dem er den kranken Armstummel trug, keinen Tropfen warmen roten Blutes in dem hageren Gesicht, aber der Blick der Augen ruhig und demütig ohne den wilden Strahl des Wahnsinns, der früher in ihnen gebrannt.
Ihm gegenüber saß der ehrwürdige Priester, während der Fahrt dem zum Tode gehenden Manne Gebete vorlesend, auf dem vierten Platz ein Offizier.
Das Mädchen hatte sich losgerissen von dem treuen Freund und Begleiter. Sie drängte sich zwischen den Pferden der Reiter durch, ehe es die Überraschten verhindern konnten, und klammerte sich an dem Schlage fest.
»Franz! Franz! I will mit Dir hinwerden! Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! laßt den Franz nit sterben!«
Eine leichte Röte flog über das Gesicht des Verurteilten, er streckte den gesunden Arm nach ihr. »O, Nandl, verzeih mir, daß ich a schiecher Bursch war gegen Dich! O Gott, Nön'l, warum habt Ihr mir das g'litten!«
Der alte Mann beugte schmerzlich das Haupt. »Geh' fort, Nandl'! tröst' Di Gott! wenn alles vorbei, komm' ich zum Schiff! Ich hab's nit g'wußt, Franz, so wahr mir die Heiligen gnädig sein mögen auch in meiner Sterbestund'!«
Man hatte auf den Wink des Offiziers das schreiende und weinende Mädchen von dem Wagen gerissen und aus den Reihen der Eskorte gedrängt, der Slowak trug sie in seinen Armen zurück nach dem Sitz mit dem Muttergottesbild, im scharfen Trabe rasselte der Wagen seinem Vorgänger nach, aber noch weit drang hinter ihm her das Jammergeschrei des Mädchens.
Der Berliner Student hatte dem Slawonier hastig die Hand gedrückt. »Leben Sie wohl, dieser Boden brennt unter meinen Füßen! Ich gerettet und er verloren! Ein Schafott für die Einigkeit Deutschlands und sein bestes Blut für die deutsche Kaiserkrone! sie ist verwirkt für immer!« Er zog den Knaben mit sich fort, der, betäubt von den Eindrücken, ihm willig folgte.
Der schon entfernte Wagenzug bewegte sich rasch durch die Leopoldstadt der am Ende der Augartenstraße liegenden Kavallerie-Kaserne zu. Eine starke Abteilung Kavallerie war hier aufgestellt und schwenkte hinter dem Zuge ein.
Ein hastiges, spöttisches Lächeln flog über das Gesicht Blums, als er, sich aus dem Schlage beugend, diese Militär-Eskorte sah.
»Geschieht dies alles meinetwegen?«
Der Offizier der Wache nickte stumm.
»Der Herr Feldmarschall,« sagte der Verurteilte mit demselben Ton, »hätte in der That diese Ausstattung der Komödie sparen können. Ich habe Paraden genug gesehen, als ich noch in Berlin lebte, und man wird mich dadurch nicht einschüchtern. Der Effekt ist aus der Mode und höchstens noch in Romanen passend. Man wird mir durch diese Militärmasse keine Furcht einjagen oder mir Zugeständnisse abnötigen.«
Der Offizier sah ihn ernst und fest an.
»So zweifeln Sie noch immer an der Exekution?«
»Die Posse ist für Knaben gut, nicht für Männer. Ich bin Mitglied des deutschen Parlaments und unverletzlich!«
»Herr Blum, nehmen Sie mein Ehrenwort, daß die Exekution vollstreckt wird, und daß Sie in einer halben Stunde erschossen sind.«
Der Volksdeputierte sah ihn starr, zweifelnd an, eine krampfhafte Bewegung zuckte über sein breites Gesicht.
»Wirklich?«
»Mein Ehrenwort darauf! Fügen Sie sich in das Unabänderliche, und sterben Sie wie ein Mann!«
Der Verurteilte hatte unwillkürlich die Hände fest ineinander geschlossen, seine Stirn hatte sich gesenkt, er hielt mehrere Minuten lang, während die Fahrt rasch weiter ging, den Kopf gebeugt, so daß seine Begleiter den Ausdruck seiner Züge nicht erkennen konnten.
Als der Verurteilte den Kopf wieder in die Höhe hob, war sein Gesicht sehr bleich, aber es lag Ruhe und Ergebung darauf.
Er reichte dem Offizier die Hand. »Ich danke Ihnen,« sagte er, »Sie haben mich mir selbst wieder gegeben.«
Von diesem Augenblick schwieg er bis zu den letzten Scenen des furchtbaren Dramas. Er ist als ein Mann gestorben!
Die Eskorte und der Wagen war in den breiten Weg der Brigittenau eingebogen und rollte rasch auf eine öde Stelle des Angers zu.
Hier bog ein Teil der Reiter mit dem zweiten Wagen ab und wandte sich nach links.
Der Gefangene blickte fragend auf den Offizier.
»Es ist der Tiroler Feldwebel, dessen Urteil gleichfalls diesen Morgen vollstreckt werden soll. Gott sei ihm gnädig!«
Auf der Mitte des ziemlich öden Angers zwischen niederm Gebüsch war der Platz zur Exekution gewählt.
Eine Infanterie-Kolonne bildete ein nach einer Seite offenes Viereck. Die vordere Front öffnete sich und ließ den Wagen einfahren, die Kavallerie schwenkte zur Seite ab und bildete eine zweite Mauer um den Platz.
Der Offizier stieg aus und lud den Gefangenen ein, ein gleiches zu thun. Ohne Hilfe verließ dieser den Wagen.
Die Förmlichkeit der Übergabe an den Profoß war kurz.
»Wer wird mich erschießen?« fragte der Verurteilte.
Man antwortete, daß ein Kommando der kroatischen Jäger dazu bestimmt sei.
Zwölf Mann mit einem Offizier standen, die Büchse im Arm, wenige Schritte von der Stelle, wo der Verurteilte ausgestiegen war.
»Das ist mir lieb,« antwortete dieser, »die Jäger sollen gut schießen, hätte mich doch einer hier schon beinahe getroffen.«
Er zeigte auf das Loch in seinem Rock, den er kokettierend während der Zeit getragen, da eine Kugel bei der tapferen Verteidigung der Sophienbrücke ihn zerrissen.
Vor der Front der Infanterie hielt, umgeben von mehreren Offizieren, der Oberst des Regiments. Er winkte dem Profoß.
Dieser trat zu dem Gefangenen und legte die Hand auf seine Schulter. »Es ist Zeit, Herr!«
Blum wandte sich um. »Was habe ich zu thun?«
Der Profoß wies nach einer Stelle an der offenen Seite des Carrés. Keine der häufig so schaurigen Vorbereitungen war dort zu erblicken – die Stelle war eben und öde; nur ein Militär-Chirurgus stand etwas abseits von ihr. Fünfzehn Schritt davon war das Kommando der zwölf Jäger postiert, sechs davon die gespannte Büchse im Arm, standen vorn, die sechs anderen zwei Schritte zurück.
Hauptmann Janda begleitete den Unglücklichen bis zu der verhängnisvollen Stelle; er ging mit ruhigem, festem Schritt dahin und stellte sich mit dem Gesicht gegen die Jäger.
»Haben Sie noch irgend einen Wunsch, Herr Blum? Se. Durchlaucht hat mich beauftragt, Ihnen jeden Dienst zu leisten.«
Der Verurteilte reichte ihm die Hand. »Haben Sie Dank, Herr! Die Briefe, die ich an die Meinen geschrieben, finden sich im Gefängnis. Ich sterbe für die Freiheit; die Sache des Vaterlandes ist es, für die Meinen zu sorgen.«
»So sei Gott Ihnen gnädig!«
»Er wird es!«
Der Offizier trat zurück.
Der Profoß stand vor dem Verurteilten, ein weißes, gefaltetes Tuch in der Hand.
»Was wollen Sie?«
»Ihnen die Augen verbinden, Herr!«
»Es ist unnötig – da es denn einmal sein muß, will ich dem Tode frei ins Auge sehen!«
Der Profoß wußte nicht, was er thun sollte und blickte fragend auf den Offizier der Exekutionsmannschaft. Dieser war näher getreten.
»Schießen Jäger meinigte besser,« sagte er in gebrochenem Deutsch, »wenn sie nicht sehen in Auge das menschliche so nahe!«
»Das ist etwas anderes, Herr! Bitte, geben Sie mir das Tuch!«
Er nahm es und band es sich selbst um die Augen.
»Steh' ich so recht?«
»Ja! Wollen Sie noch ein Gebet verrichten?«
»Wie lange dauert es noch, bis – bis –«
»Vielleicht drei Minuten, Herr!«
»So leben Sie wohl!«
Eine kurze Pause – in der tiefen Stille hörte man ein leises Rasseln der Büchsen.
Dieser leise klirrende Ton des Eisens bebte durch die Nerven.
Dann verlas der Oberst mit rauher, ernster Stimme nochmals das Urteil und die Unterzeichnung.
Der Profoß stand vor dem Pferd. »I bitt' um Gnad' für den armen Sünder!«
»Nein!«
»I bitt' um Gnad' für den armen Sünder!«
»Nein!«
Der Offizier der Jäger hob den Säbel, die sechs Jäger hoben die Büchsen und schlugen an.
»I bitt' um Gnad' für den armen Sünder!«
»Nein! Bei den Menschen ist keine Gnade mehr, bei Gott allein ist Gnade!« Zugleich ließ er das weiße Schnupftuch fallen, das er in der Hand trug.
»Feuer!«
Sechs Büchsenschüsse krachten. Der Verurteilte warf die Arme in die Luft und sprang wohl einen Fuß hoch in die Höhe, dann stürzte er vorn über auf das Gesicht und eine Blutlache färbte den Sand.
Der Chirurgus war sogleich bei ihm und wendete mit Hilfe eines Korporals den schlagenden, zuckenden Körper um. Dann winkte er mit der Hand abwehrend nach dem Kommando, es war genug, man brauchte die zweite Abteilung der furchtbaren Schützen nicht.
Drei Kugeln hatten getroffen, die eine hatte die Stirn dicht am Auge durchbohrt, die beiden anderen trafen die Brust.
Der blutige Körper erzitterte noch einigemale konvulsivisch, dann blieb er ruhig.
Der Chirurgus salutierte mit der Hand an der Feldmütze vor dem Obersten. »Hab' zu melden, daß der Delinquent tot ist!«
Der Oberst nickte. Dann gab er den Befehl zum Abmarsch.
Die Leiche, in einen alten Soldatenmantel gehüllt, wurde in denselben Wagen getragen, der den Lebenden hergeführt. Eine kleine Eskorte begleitete sie, als sie in aller Stille nach der Totenkammer eines Lazaretts überführt wurde.
So starb Robert Blum, ein Rebell gegen die historischen Ordnungen der Kirche und des Staats, ein Kämpfer und Opfer jenes zügellosen Dranges zum Umsturz – aber ein Mann mit einem deutschen Herzen!
Der Tag darauf, der 10. November, war sein Geburtstag.
Auch die Politik hat ihre Märtyrer.
»Wien, den 9. November.
In nomine Domini et spiriti sancti! Ich habe zu melden, daß heute Morgen jenen teuflischen Verräter unseres Glaubens, Robert Blum, den Führer der Abtrünnigen in Sachsen, der mit den falschen Priestern Ronge und Czerski im Bunde stand, die wohlverdiente Strafe erreicht hat. Derselbe ist in der Brigittenau als Hochverräter erschossen worden. Es ist dem Priester, der mit der Vorbereitung seiner armen Seele zum Tode beauftragt war, zwar gelungen, seinen Unglauben zu beugen und ihn zum Empfang der heiligen Sakramente zu bewegen, doch hat er sich störrisch geweigert, seinen Irrglauben öffentlich zu sühnen. Die Strafe wird ihn droben treffen!
Der Fürst hat die Empfehlung gerechtfertigt und jede Gnade von sich gewiesen. Er ist ein starker Mann, angesehen in der Armee und gefürchtet von unseren Feinden, ein eifriger Diener der Kirche und des Kaisers, wenn auch sein Eigensinn und seine starren Begriffe von Ehre und Recht zuweilen unbequem werden. Der Banus muß so lange als möglich ihm zur Seite gelassen bleiben.
Sagen Sie dem Kardinal, daß die Zeit zur Ausführung des großen Gedankens der allergnädigsten Frau gekommen ist, man darf nicht länger zögern, denn gerade in der Zeit, wo die Gemüter von Furcht und Hoffen so gewaltig aufgeregt sind, wird man weniger Widerstand finden. Der Schritt wird den Anschein eines Nachgebens und einer Versöhnung haben, während er uns die Macht sichert.
Mit dem Plan eines Vorschlages an Preußen, zur Teilung Deutschlands in der Demarcationslinie des Thüringerwaldes und Erzgebirges kann ich mich noch immer nicht einverstanden erklären. Preußen so mächtig zu sehen, ist gefährlich. Diese Hohenzollern sind ein gefährliches Geschlecht. Jetzt, nachdem Lichnowski so schändlich ermordet worden, ist die Sache noch bedenklicher. Wir hatten die Mittel in der Hand, ihn in jedem Augenblick unserm Willen dienstbar zu machen. Die Herzogin hat ihren Einfluß überschätzt, die Wahl Brandenburgs statt des schwäbischen Verwandten von unserm Glauben hat es bewiesen. Die Zeit ist noch nicht gekommen, in der ein Katholik an die Spitze dieses Landes gesetzt werden kann. Warten! warten! warten!
Sie werden sich überzeugen, daß wenn von einer politischen Umgestaltung Deutschlands die Rede sein soll, nur mein Vorschlag der Dreiteilung in Betracht kommen kann. Man darf das Haus Wittelsbach nicht übergehen, selbst wenn die erlauchte Frau zu diesem Opfer bereit wäre. Trotz der schwierigen und wüsten Verhältnisse gewinnt unsere heilige Kirche täglich festeren Fuß in Berlin. Boltmann wirkt thätig und geschickt, die Gemeinde zählt viele vornehme Mitglieder, ein Kloster und ein Krankenhaus sind zu Ehre unseres heiligen Glaubens im Entstehen, eine neue Kirche ist projektiert. Sie wissen, welche bedeutende Kraft wir in der preußischen Kammer haben, wenn sie auch jetzt scheinbar der Revolution dient. Ist die Zeit gekommen, so wird gerade sie unsere beste Säule sein. Jetzt schon einer der Unseren im preußischen Ministerium würde unserer Sache tausend Feinde erwecken. Darum mußte man auch den Plan, den hohen Verwandten des Königshauses an Stelle dieses soldatischen Nebensprößlings an die Spitze der Regenerations-Regierung zu stellen, aufgeben. Nicht die Revolution, sondern gerade jenes spezifische Preußentum, das aus dem Lande entsprossene und in den Kriegen gesäugte Junkertum ist unser schlimmster Gegner. Eine Revolution bändigt man bald und macht sie sich dienstbar, Sie werden dies hier sehen, und ein Konkordat ist uns sicher; aber der engherzige norddeutsche Patriotismus hält zäh' an Liebe und Haß. Man wird die Massen durchwühlen und die Grundpfeiler stürzen müssen, ehe man an den hohen und herrlichen Bau denken kann, der uns doch so notwendig ist.
Wir haben gestern Mitteilungen aus Rom empfangen. Vaures benachrichtigt uns, daß eine Katastrophe bevorsteht und ein offener Bruch mit der Revolution erfolgen muß. Antonelli muß fallen, oder Rossi und Frankreich aufgeben und sich uns anschließen, Mer., Sp. und unsere spanischen Freunde sind darüber einig. In Ancona stehen unsere Truppen bereit auf den ersten Wink, König Ferdinand in Neapel wird dieser lächerlichen Komödie bald müde sein, Schwarzenberg gießt uns die Versicherung, del Carretio ist der Mann, seine Niederlage zu rächen.
Unsere geistlichen Anstalten haben viel gelitten, aber es ist ihnen gelungen, ihre beste Habe in Sicherheit zu bringen. Man wird die Stadt hoffentlich verpflichten, ihnen vollen Schadenersatz zu gewähren. Wir brauchen für die Kirche zu Maria-Stiegen Die Kirche der während der Revolution aus Wien vertriebenen Redemptoristen. zwei noch jüngere Beichtväter und einen Prediger, der vermag, durch seine Begeisterung auf die Frauen zu wirken. Nach der Sündhaftigkeit und dem Leichtsinn der letzten Zeit muß eine große Reaktion der glaubensbedürftigen Gemüter eintreten, die Erfahrung lehrt es. Man hat uns wie die Wölfe vertrieben, aber als Adler werden wir wiederkommen.
Nach Rom habe ich geschrieben, wegen eines zuverlässigen Agenten für Galizien und Polen.
Legen Sie der erlauchten Dame meine Ehrfurcht und Ergebenheit zu Füßen. Ich warte – ich würde sagen mit Ungeduld, wenn unsere heiligen Regeln eine solche gestatteten – Ihrer Nachrichten.
Die Briefe des Kammerdieners S. k. k. H. habe ich empfangen, sie enthalten vor der Hand nichts wichtiges, aber sie müssen fortgesetzt werden.
Mögen alle Verräter und Feinde der heiligen Kirche so fallen wie dieser Robert Blum!
†††
P. S.
Der Fürst hat auf meinen Wink eine geeignete Person nach Berlin gesandt. Sie wissen, er schwärmt für den Plan der Teilung, aber er ist zu sehr Soldat, als daß sein Einfluß uns gefährlich werden könnte. Ich habe bei der Gelegenheit meine Augen auf einen Mann gerichtet, der, wenn er unseren Diensten gewonnen wird, durch seinen Geist und seine Thätigkeit uns von großem Nutzen sein könnte. Hierbei erfolgen einige Notizen über seine Herkunft, mögen Sie das Nähere ermitteln!«
†††
Der Brief in feiner, gerundeter Chiffreschrift war auf der Adresse mit zwei Buchstaben bezeichnet: F. G.
Das Siegel zeigte drei Tiergestalten: ein Lamm und einen Wolf, darüber emporstrebend einen Adler.
Dieser Brief war sorgfältig eingeschlossen in ein zweites grobes Couvert. Dieses Couvert trug die Aufschrift:
An Herrn
Franz Prossuber
Bindermeister
in Brünn in Mähren.
Mit dem Bahnzug am Abend ging der Brief an seine Adresse. – – – – – – – – – – –
Ein alter Mann stieg aus der Fähre, die von der Brigittenau oberhalb der Augartenbrücke über den Donauarm führt.
Sein Haar schien weißer, die Furchen seines ehrlichen, kräftigen Gesichts schienen noch tiefer gegraben, das Auge blickte still und ernst vor sich hin – zuweilen strich die hagere Hand des Alten darüber, als wolle sie einen schlimmen Eindruck, ein trauriges Bild verwischen.
An der Fähre erwartete ihn ein Paar, das Nand'l, das Tiroler Mädchen, und der Slowak Matthias, ihr treuer Gefährte. Beide waren zur Wanderung gerüstet, das Mädchen trug ein leichtes Bündel, ihr Begleiter mit der Guba seinen Hechelkram und außerdem Decke und Bündel für den alten Mann.
Es war Mittag; außer den Militärposten, die noch immer in den Vorstädten standen und hier das Ufer zur Spittelauer Linie und dem Glacis bewachten, als wäre man in Feindes Land, waren nur wenige Leute in der einsamen Gegend des Althaner Grundes.
Der junge Mann und das Mädchen waren dem alten Tiroler entgegen gegangen, schluchzend beugte sich das Mädchen über seine Hand und sank an ihm nieder. »O, Nön'l! Nön'l!«
Der alte Mann legte die Hand auf ihr Haupt: »'s ist g'schehen, Nand'l,« sagte er mit gebrochener Stimme, »der Franz hat sei Schuld gesühnt und läßt Di grüßen viel tausendmal! Er is droben im Himmel und die Heil'gen werden bitten für ihn, wie der Pfarrer g'sagt hat! Drei Seelenmessen wird er halten und wollt' haben, daß i dableiben sollt' daderzu. Mich aber dauert's nit länger in Wien!«
»Und wo – wo liegt der Franz begraben? O, Nön'l, laß mich wenigstens beten an seinem Grab.«
Die Stirn des alten Mannes legte sich in noch tiefere Falten. »Er war halt a Verräter am Kaiser und Land, Nand'l,« murmelte er, »und sie haben ihn da eingescharrt, wo sie ihn derschossen haben. Aber er hat in seiner Stund' alles bereut und is hingeworden wie a Christ, daß die Engel im Himmel ihre Freud' d'ran g'habt, so schön und demütig hat der Bursch' geredt. Hier is a Andenken, das er Dir schickt, 's is noch von seiner Mutter selig und soll Dir besser Glück bringen als ihm.«
Er zog aus dem breiten Ledergurt ein altes Papier und wickelte es auf, in dem Papier lag sorgfältig zusammengefaltet ein buntes, seidenes Tüchel, in dem Tüchel ein silbernes Gottesaug', wie's die Tiroler Landleute zu tragen pflegen.
Das Tüchel und das Gottesauge waren mit fast noch feuchtem Blut bedeckt, dem Herzblut eines, der einst gut und schuldlos war.
Sie waren langsam am Ufer hingegangen, den Anlagen des Althan-Grundes zu, dort setzten sie sich auf eine Bank.
»I werd's in Ehren halten mei Leblang,« schluchzte die Tirolerin, »der Franz wird bitten, daß auch mir mei Sünd' vergeben wird. An meinem Hals will ich's tragen, bis ich zur Grub geh'!«
Sie preßte das Andenken an ihre Brust, Thränen rannen aus dem dunklen Auge.
»Und nun – bist Du fertig mit Wien, Dirnd'l?«
Das Mädchen atmete schwer. »I hab' g'beicht, Nön'l, wie Oes befohlen habt und kommunizieret, daß i mit reiner Seele geh' von hier. Auch 's Grab hab' i b'sucht von der Dirn', die mir so Bös's gethan und doch auch so Gut's, und hab' a Zweigel mitgenommen von dem Busch, der daneben steht, für mei Gebetbüchel. Jetzt, Nön'l, halt mi nix mehr und i hab' allein noch Dich auf der Welt!«
Der alte Mann hatte sich erhoben und zog das Mädchen zärtlich an seine Brust.
»So soll's sein, Nand'l, Gott der Herr ist gnädig, und hat mir Dich gelassen und uns a braven Freund gegeben in der Not, und beide sollt Oes meine Kinder sein. Kommt!«
Er wandte sich zum Gehen, aber der junge Mann legte die Hand auf seinen Arm und hielt ihn einen Augenblick zurück.
»So ist der Augenblick des Scheidens denn gekommen. Leben Sie wohl, Herr Haspinger! leben Sie wohl, Nand'l! Gott im Himmel lasse Sie bald vergessen und lasse es Ihnen wohlgehen!«
Der alte Mann blieb betroffen stehen, das Mädchen schaute wie erschrocken auf, ihre Thränen verschwanden rasch.
Der ehemalige Student in seiner rauhen ärmlichen Kleidung stand vor ihnen, das Haupt gesenkt, bleich, tiefen Schmerz in seinen Zügen.
Ein Ausdruck von Mißtrauen dagegen malte sich auf den Mienen des Greises.
»Is auch in Deinen Augen selbst die Schand' zu groß g'worden, die auf den Haspinger und seiner Schwester Kind gekommen, daß Du verschmähst, Dei Fuß in sei Haus zu setzen und von seinem Brot zu essen? Was kann die arme Dirn' davor für die Schlechtigkeit, die gescheh'n!«
»Bei allem, was hoch und gut, Vater,« erwiderte der Jüngling, »verkennen Sie nicht meinen Entschluß. Sie ist rein wie eine Heilige in meinen Augen, und eben allein, weil ich ihrer Nähe noch nicht würdig, deshalb verbanne ich mich selbst. Ja, Nand'l, in dieser Stunde sage ich's Ihnen, ich fürchte – ich liebe Sie und werde Sie nie vergessen, so lange ich lebe! Aber vom ersten Augenblick an, wo ich Ihre frische, unverdorbene Natur erkannt, ist das Gefühl meiner eigenen Unwürdigkeit und Schmach über mich gekommen, und das treibt mich hinaus in die Welt und fort von Ihnen!«
Das Mädchen hatte seine beiden Hände gefaßt und lehnte weinend die Stirn an seine mit der rauhen Guba bedeckte Schulter.
»O, Herr Matthias, Oes wißt halt nit was g'scheh'n, sonst würdet Oes nit so sprechen! I bin keine ehrliche Dirn' mehr, seit der Schurk' mich berührt, der uns allen solch Herzleid gethan!«
»Still!« befahl der Greis, »Gott der Herr im Himmel sieht, was den armen Leuten geschieht, aber der Tag seiner Rache wird folgen. Wenn auch das Unglück über uns gekommen, das Nand'l ist brav und wird a braves Herz bleiben, ihr Leblang! Geh' mit Gott, mein Sohn!«
Damit nahm er sein Bündel von der Bank und wandte sich der einsamen Straße zu, die hinüber zur Nußdorfer Linie führte und seinen heimischen Bergen zu.
Das Mädchen reichte mit dankbarem Blick dem jungen Manne die Hand, die er nur leise berührte, dann folgte sie hastig dem Alten.
Der Slowak sah ihnen lange nach, bis ihre Gestalten zwischen den Häusern der Spittelauer Gasse verschwanden, dann hob er seinen Eisenkram über die Schulter, daß er rasselnd zusammenklang. Er wandte sich zur Donau und begann kräftigen Schrittes seine Wanderung.