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»Das Bauen ist ein' große Lust,
Daß's so viel kost', hab' ich nit g'wußt:
Behüt' uns Herr in alle Zeit
Vor Maurer, Schmied und Zimmerleut.«
Dieser Spruch stand vor hundert Jahren an dem Haus des Rats Humbert auf dem Walle. Für ein Bürgerhaus war der Reim im Grunde etwas zu bauernmäßig; allein da man bei den meisten Einwohnern der Stadt überhaupt nicht recht wußte, wo der Bürger aufhöre und der Bauer anfange, so paßte er doch ganz gut. Zudem hatte der reiche Rat das Haus auf dem Walle, welches er mit seiner Frau erheiratet, immer nur als eine Art Gartenhaus angesehen und niemals auf längere Zeit bewohnt. Seine eigentliche Wohnung stand mitten in der Stadt am Markte. In dem volksarmen Orte war es damals unmöglich, einen Käufer für das abgelegene Wallhaus zu finden; dasselbe aber an geringere Leute zu vermieten, hätte der Rat unter seiner Würde erachtet, und so diente es der Familie nur zum gelegentlichen Aufenthalt, wenn sie den prächtigen Obstgarten besuchte, der das verwahrloste Haus umgab.
Mit des Rats Tode aber ward es anders. Sein einziger Sohn Christian hatte keine Schneide zum Studieren gehabt; er war Ökonom geworden und bewirtschaftete ein großes Hofgut, eine Stunde vor der Stadt. Das väterliche Haus am Markte hatte er verkauft; das Haus auf dem Walle dagegen behielt er, weil er es doch zu einem Spottpreis hätte verschleudern müssen. Er wollte es sich zu einem Absteigequartier herrichten und auch wohl im Winter etliche Monate darin wohnen.
Da galt es aber einen gründlichen Umbau, denn ein Teil der Räume war ganz verfallen, und was noch gut erhalten stand, das paßte nicht für Geschmack und Bedürfnis des neuen Besitzers. Allzu große Zimmer sollten verkleinert, zu kleine vergrößert, hier ein Fenster, dort eine Türe versetzt werden, die Decken neu getäfelt, die Wände getüncht, die Fußböden ausgespänt, die Ofen umgebaut. Kurzum, das halbe Bauernhaus sollte sich in ein ganzes behagliches Bürgerhaus verwandeln. Und gleichsam zum Wahrzeichen, daß ein neues, fortgeschrittenes Geschlecht Besitz ergriffen habe von dem alten Bau, ließ der junge Humbert vor allem die Tafel mit dem Bauernreim über der Türe ausbrechen.
Das bemerkte sein Nachbar, der Förster Habermann, mit großem Verdruß, denn er hatte den Reim so oft und gerne gelesen. Aber sein Verdruß wuchs noch bedeutend, als er hörte, daß der verlassene Bau stadtmäßig hergerichtet und im Winter von Humberts Christian bewohnt werden solle. Der Förster hatte nämlich vor zwanzig Jahren einen nachbarschaftlichen Prozeß mit dem Rat Humbert gehabt und hielt diesen Mann seitdem für seinen Feind, dem er überall aus dem Wege ging. Die Gärten und Höfe beider Häuser grenzten auf der Mittagsseite aneinander, durch einen Bretterzaun getrennt, welchen seit alter Zeit bald der eine, bald der andere hatte ausflicken lassen, so daß man nicht mehr wußte, wem eigentlich der Zaun gehörte. Vertrauend auf dieses Zeugnis des Herkommens, hatte der Förster die Grenzlinie als eine gemeinsame angesehen und in seinem Hof eine Waschküche hart an dem Zaun zu bauen begonnen. Da erklärte der Rat, er besitze das »Hammerrecht« längs dieses Zaunes, das heißt, der Nachbar müsse seinen Bau auf Hammerwurfsbreite – drei Fuß – vom Zaune abrücken. Der Förster bestritt das Recht und baute weiter; es kam zum Prozeß, welchen der Förster verlor, so daß er seinen bereits halb vollendeten Bau auf drei Fuß breit wieder abbrechen mußte. Im Zorn über die Geschichte ließ er die Ruine der nach hinten offenen, dachlosen Waschküche stehen, wie sie stand, zumal er dadurch einer Ruine anderer Art in des Rats Garten eine Art Trutzburg entgegenzusetzen glaubte. Es war nämlich der Rest eines alten, efeuumrankten Stadtturmes, welcher jenem Garten einen besonders malerischen Schmuck verlieh; und auf den Zinnen des Turmes hatte der Rat ein Belvedere, wie er's nannte, anlegen lassen, welches ihm freie Aussicht zu Fluß und Stadt hinüber wie auch in den Garten des Försters öffnete. Dem Förster war es natürlich unangenehm, daß ihm der Nachbar den ganzen Garten ausspähen konnte; darum übte er jetzt Vergeltung, umpflanzte die Ruine seiner Waschküche mit Efeu und legte gleichfalls ein Belvedere auf den drei vom Richterspruch verschonten Mauerwänden an.
Dies war aber auch das einzige Zeichen des tiefen Grolles, den er gegen den glücklicheren und mächtigeren Nachbarn im Herzen trug. Mit einem fürstlichen Rate war in jener Zeit nicht viel zu spaßen, und überdies gehörte der Förster zu den verschlossenen Naturen, die schweigend am nachhaltigsten zürnen. Solch schweigende Fehde ließ sich nun ganz leicht durchfechten bei einem Nachbarn, der fast niemals im Hause zu sehen war und sich mit den Jahren immer weniger um dasselbe kümmerte. Daher ahnte der Rat denn auch gar nicht des Försters Faust im Sacke, und als vollends sein Sohn das Besitztum antrat, dachte dieser nicht im Traume mehr an den alten Zankapfel des Hammerrechtes und ging ganz arglos ins Försterhaus zum ersten nachbarlichen Begrüßungsbesuch.
Der Förster war im Walde; seine Tochter empfing den unerwarteten Gast höchst verlegen. Denn sie hatte die Humberts immer als böse Nachbarn schildern hören und kannte den jungen Christian zumeist nur aus den verstohlenen Blicken, welche sie vor Jahren durch die Astlöcher des Bretterzaunes geworfen, wenn er drüben im Garten unreifes Obst von den Bäumen brach und naschte. Der Rat Humbert hatte darin das erste Anzeichen der landwirtschaftlichen Neigungen seines Sohnes gesehen, der strenge Förster aber hielt solche Frevel des wilden Jungen seinen Kindern als abschreckendes Exempel vor. Nun stand der Frevler, inzwischen zum gemachten Manne ausgewachsen, vor der erschrockenen Marie und erzählte ihr höchst artig, daß er nächsten Winter als Nachbar einziehe, vorher aber das Haus gründlich zu verbessern und zu verschönern gedenke. Er könne freilich jede Woche nur einmal in die Stadt kommen und nach dem Baue sehen, darum habe er die Aufsicht über so vielerlei kleine Arbeiten, die doch alle rechtzeitig ineinandergreifen müßten, dem Maurermeister übertragen. Er hoffe, der Mann werde sein eifriger Stellvertreter sein; übrigens wolle er auch den Herrn Förster bitten, daß er als guter Nachbar mitunter den Maurern, Tünchern, Zimmerleuten und Schlossern ein wenig zuschaue, um ihm in acht Tagen zu erzählen, wie sie's getrieben hätten. Wie er selbst aber den Maurermeister zur eifrigsten Aufsicht spornte, das müsse die Jungfer Habermannin nun doch auch noch erfahren. »Mein seliger Vater«, so sprach er, »hatte eine bewährte Reiseregel. Wenn er in ein Wirtshaus kam, so gab er gleich beim Eintritt dem Kellner das Trinkgeld und nicht bei der Abreise. Denn wer erst gibt, wenn er den Fuß wieder in den Steigbügel setzt, der schenkt bloß dem Kellner und ehrenhalber; wer aber gibt, wenn er eben den Fuß aus dem Bügel getan, der schenkt zugleich sich selbst: er verbindet mit der Ehre den Nutzen. Gesetze und Trinkgelder haben keine rückwirkende Kraft. Getreu der väterlichen Regel brachte ich darum dem Maurermeister heute schon beim Beginn der Arbeit ein Fäßchen Wein eigenen Wachstumes; er wird mich jetzt wohl ebensogut bedienen, wie mein seliger Vater wegen seiner vorgeschenkten Sechsbätzner allezeit in den Wirtshäusern bedient worden ist.«
Als der Förster des Abends nach Hause kam, hörte er mit Staunen von dem seltsamen Besuch. Seine Verwunderung wuchs, da ihm Marie erzählte, daß er selber gar achtgeben solle auf die Fortschritte des Baues. Er fand das Ansinnen höchst unbefangen, wenn nicht unverschämt und nahm sich anfangs vor, keinen Blick auf das Nachbarhaus zu werfen; möchten die Handwerksleute sich auf die Köpfe stellen und das Haus aufs Dach, so sei's ihm gleich. Als er aber zuletzt die neue Lehre von dem vorgeschenkten Trinkgeld hörte, gelüstete es ihn doch, gelegentlich hinüberzuschauen. Denn wenn einer gescheiter sein will als alle anderen Leute, dann gönnen wir's ihm, daß er erst recht nichts zustande bringt. Und der Förster hoffte dieses stille Vergnügen bei dem Hausbau des Nachbarn zu erleben.
Da es ihm aber zuwider war, über die verhaßte Schwelle zu schreiten, so sagte er seinem kleinen Georg, dem zehnjährigen Bruder der Marie, er dürfe drüben bei den Bauleuten spielen und solle dann auch fleißig aufpassen, was und wie sie arbeiteten; das sei lustig und lehrreich obendrein.
Allein obgleich der Bube mit großem Jubel sich herumtummelte in den bis dahin verschlossenen Räumen, zu welchen er so oft vergebens neidisch hinübergeblickt, brachte er doch nur dürftige Kunde von dem Treiben der Handwerker. Um so schärfer beobachtete dagegen Marie. Zehnmal täglich bestieg sie das Belvedere auf den Ruinen der Waschküche und wußte am Schluß der Woche genauesten Bescheid über alles, was beim Nachbarn geschehen und – nicht geschehen war.
Am ersten Tage griffen sie da drüben mit einem Eifer zu, als solle der ganze Bau bis zum Feierabend schon fertig stehen. Auch der Maurermeister war pflichtlich auf seinem Posten, ordnete und verteilte die einzelnen Arbeiten und fluchte dabei so kräftig, daß man's über drei Häuser hören konnte. Also war alles im schönsten Gange.
Am zweiten Tage hörte Marie den kommandierenden Maurermeister nur einmal fluchen und am dritten gar nicht mehr. Das schien ihr bedenklich. Zugleich beobachtete sie an eben dem dritten Tage einen eigentümlichen Handwerksbrauch der Maurer und Tüncher, den sie auch bei anderen Bauten schon wahrgenommen. Die Leute kamen nämlich Punkt fünf Uhr morgens mit großem Gepolter und stellten ihre Kübel quer vor die Haustür, warfen auch ihre Hämmer und Kellen dröhnend auf die Schwelle, daß man's unfehlbar hören und sehen mußte, rührten mit gewaltigem Lärm ein wenig Kalk an und verzogen sich dann ganz leise wieder, um erst nach Tisch zurückzukehren. Sie nannten das eine stille Frühmesse und meinten, man müsse das Werkzeug auch einmal für sich allein arbeiten lassen. Während der Zeit war nur ein einziger alter Zimmermann auf dem Hofe tätig. Mit sehenswerter Bedächtigkeit hob und senkte er sein Beil im langschleppenden Zeitmaße eines Trauermarsches, um etliche Späne von einem Balken zu hauen. Desto lebhafter sah ihn dagegen Marie bald nachher mit Hobel und Schnitzmesser hantieren; als sie aber den Gegenstand seiner Bautätigkeit etwas näher ins Auge faßte, fand sie, daß er für ihren Bruder Georg, der plaudernd neben ihm stand, ein Gewehr und einen Säbel aus zwei alten Latten schnitzte.
»Wo bleibt denn heute der Maurermeister?« rief sie dem Alten über den Zaun hinüber. – »Er ist gestern in Kahlbach vom Gerüste gefallen und hat ein Bein gebrochen«, antwortete der Zimmermann mit großer Seelenruhe. – »Ist es ein schlimmer Bruch?« fragte der Förster, welcher gleichfalls im Garten stand. – »Ja. Es ist das schlimmste Bein, das man brechen kann, nämlich das Nasenbein.« – »Und wie kam denn das Unglück?« – »Darum kam's, weil der Meister schon am hellen Tage zuviel von dem Wein getrunken hatte, welchen ihm der Herr Humbert geschenkt.« – Der Förster sagte zu seiner Tochter: »Die goldene Regel vom vorgeschenkten Trinkgeld hat also doch auch ihre blecherne Ausnahme« und schlich in das Haus zurück.
Am vierten Tage hörte man wieder einmal ein tüchtiges Hämmern und Sägen und Hobeln; die Arbeit schien nun doch endlich im vollen Zuge. Allein die Herrlichkeit dauerte nur bis zum Nachmittag. Glock drei Uhr rief der Lehrjunge sein: »Schab' ab!«, und die Leute liefen aus allen Winkeln in den Hof und machten schleunigst Schicht. Nach wenigen Minuten zogen sie singend zum Tore hinaus. Nur der alte Zimmermann hieb noch eine halbe Stunde länger Späne von seinem Balken. Infolge desselben Gesetzes der Trägheit, welches ihn so wunderbar langsam das Beil heben und senken ließ, schien er auch langsamer wieder zur Ruhe zu kommen als die anderen.
Das Beil auf der Schulter, ging er träumend, im lässigsten Bequemschritt am Försterhause vorbei. Marie rief ihm aus dem Fenster zu, warum er denn heute so früh schon Schicht mache. Der Zimmermann schob sich noch drei gemessene Schritte weiter, dann blieb er stehen, kehrte sich um und schwieg eine Weile. Hierauf sprach er: »Morgen ist ein halber katholischer Feiertag, und da einer von uns zwölfen katholisch ist, so feiern wir anderen mit wegen der Parität, wie man's nennt, das heißt, damit keiner wegen seiner Religion vor dem anderen etwas voraushat. Es ist aber ein löblicher Brauch, daß man vor einem Feiertage drei Stunden früher Feierabend macht als gewöhnlich.«
So war es. Und am sechsten Tage schlichen die Handwerksleute erst nach Tisch auf den Bauplatz, denn nach einem halben Feiertage folgt billig auch ein halber blauer Montag.
Als der junge Humbert am Schluß der Woche zur Stadt kam, um seinen Bau zu besichtigen, war der Förster durch ein höchst dringendes Geschäft wiederum in das fernste Waldrevier gerufen. Er hatte sich's freilich genau so eingerichtet, daß das dringende Geschäft gerade auf diesen Tag erledigt werden mußte, und Marie hatte er mitgenommen, daß sie unterwegs in Hammelsried bei der Pfarrerin zu Besuche blieb. Marie meinte zwar, dazu sei es auch in einem Monat noch Zeit; aber der Alte fand, daß es gerade heute Zeit sei, und sie mußte mit.
Als ehrlicher Nachbar aber hatte er die Magd mit dem kleinen Georg daheim gelassen, damit sie dem Bauherrn genau erzählten, daß der Maurermeister infolge des vorgeschenkten Trinkgeldes die Nase gebrochen und also nicht viel Aufsicht habe üben können und daß die Handwerksleute gearbeitet hätten wie eine Stube voll Schulbuben, wenn der Schulmeister hinausgegangen ist.
Dem jungen Humbert stiegen die Haare zu Berg, da er dann mit eigenen Augen die Leistungen dieser ersten Woche prüfte. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Weil nämlich das ganze Haus leer stand, so hatte er ohne Bedenken den Maurern die Schlüssel gegeben, daß sie frühmorgens sich selber öffneten und abends schlössen. Die Maurer aber fanden es bequemer, abends nicht zu schließen, weil sie dann morgens nicht zu öffnen brauchten. Und nun fand sich's, daß ein Haus, welches dem Eigentümer ganz leer scheint, für das durchgebildetere Auge eines Diebes doch noch vollstecken kann von stehlenswerten Dingen. Die Diebe hatten die schöne Messingröhre vom Brunnen geschraubt, den Kupferbeschlag vom Küchenherde gelöst, die eisernen Türchen aus sämtlichen Öfen gehoben, ja sie hatten sogar den Hausschlüssel selbst mitgenommen, den die Maurer steckengelassen. Sie waren sichtbar viel fleißiger gewesen in ihrer Nachtarbeit als die anderen Arbeiter bei Tage.
Der unglückliche Hausherr hängte bis auf weiteres ein großes Vorlegeschloß vor die Türe und übergab den Schlüssel dem kleinen Georg. Er lasse, so fügte er hinzu, den Vater grüßen und freundnachbarlich bitten, daß er den Schlüssel jedesmal nachts in seinem Hause aufbewahren möge, damit die Handwerksleute genötigt seien, ihn morgens abzuholen und abends zurückzubringen.
Der Förster war bei der späten Heimkehr nicht wenig überrascht, als er den Hausschlüssel des Feindeshauses nun gar in seine Hände gelegt sah, und sagte dem Buben, er hätte den Schlüssel gar nicht annehmen sollen. Allein Marie meinte, das sei doch zu hart, und setzte dem Vater recht beweglich auseinander, daß er mit diesem Hausschlüssel vielmehr feurige Kohlen auf das Haupt ihres Hausfeindes sammeln müsse. Der Förster brummte noch eine Weile fort: da könne der Herr Humbert an sich selber fühlen, wie nützlich gute Nachbarschaft für zwei so abgelegene Häuser sei; gestern habe man prozessiert, heute bitte man um Gefälligkeiten und so weiter. Plötzlich aber stand er auf und sprach fast feierlich zu der Tochter:
»Nun haben wir aber den Hausschlüssel einmal angenommen, also müssen wir ihn auch so treu bewahren, als schlösse er unser eigenes Haus. Ein Hausschlüssel ist kein gemeines Stück Eisen, er hat symbolische Kraft wie ein Petschaft oder ein Trauring. Man soll dergleichen Dinge nicht leichtsinnig übernehmen oder führen, denn sie verpflichten weit hinaus. Mit dem Schlüssel ist uns auch die Wacht über das ganze herrenlose Haus und die noch herrenloseren Arbeitsleute ins Gewissen geschoben. Übrigens wäre mir's eine rechte Lust, den faulen Gesellen einmal das Dressierhalsband umzulegen mit den Stachelkorallen. Im Grunde haben sie mich in meinem eigenen Hause schon ebensooft und schwer mit ihrem Hämmern geärgert als der verstorbene Rat mit seinem Hammerrecht. Gleich steht hier wider gleich, und die Gelehrten haben noch nicht ausgemacht, was ein Haus gründlicher schädigt, gewissenlose Bauleute oder ein Prozeß.«
Einen Tag besann sich der Förster noch, denn sein Zorn stand mit sich selbst in Widerstreit: über den Humbert ärgerte er sich, weil derselbe baute, und über die Handwerker, weil sie nicht bauten. Hätte er seinen Groll an Humbert auslassen wollen, so mußte er die faulen Arbeiter unterstützen; drückte er diesen aber als pflichteifriger Mann den Daumen aufs Auge, so half er seinem Feinde bei dem verhaßten Hausbau. Am zweiten Tage aber war er entschlossen; er ging hinüber, seine schöne Rede über den Hausschlüssel wahrzumachen.
Die Bauleute zeigten ihm sehr freundlich, was sie getan hatten und was alles noch zu tun sei, und begleiteten ihn vom Keller bis auf den Speicher. Als sie aber ganz oben zu Ende gekommen waren, stellten sie sich wie in einen Halbkreis hinter den Förster, und zwei Maurergesellen traten vor und sprachen:
»Lieber Herr, mit Gunst!
Sie haben getreten auf unsere Kunst;
Da Sie nun unser Werk betrachten,
So werden Sie auch ein kleines Trinkgeld nicht achten.«
Statt eines kleinen Trinkgeldes warf ihnen der Förster tausend Donnerwetter an die Köpfe: »Meinet ihr, ich sei aus Neugierde gekommen, um eure Stümperei zu sehen, die ihr eine Kunst nennt? Ich stehe hier als der Stellvertreter des Bauherrn und will schon achtgeben, daß ihr nicht fernerhin unserem Herrgott die Tage abstehlt, wie ihr's vergangene Woche getan!« Und damit er sogleich ein praktisches Exempel gebe und sich als Kenner ausweise, rief er einen Maurer vor und zeigte ihm einen dunkeln Winkel zwischen den Ziegeln und dem Gebälk des Daches, sagte, da droben sei ein Loch, und fragte, warum das Loch nicht vor allen Dingen vermörtelt worden sei. Denn es hatte über Sonntag gewaltig hereingeregnet, und das Wasser war durch den Speicherboden zum Getäfel der Decke des ersten Stockes gedrungen; das Getäfel aber hatte wiederum ein Loch, und so war der Regen dort weiter an der frisch getünchten Wand herabgesickert und hatte die Wand verderbt, an welcher der Tüncher die ganze vorige Woche gemalt hatte.
Der Maurer steckte kaltblütig die Hände in die Hosentaschen und sagte, das Loch gehe ihn nichts an, es sei im Gebälk und nicht im Verputz, und also möge es der Zimmermann stopfen. Der Zimmermann tat einen langen Zug aus seiner Stummelpfeife, spuckte aus und sprach, das Loch kümmere ihn nicht, es sei im Blechverschlag der Dachkante und gehöre dem Spengler. Der Spengler bat den Tüncher um eine Prise, schnupfte, nieste und bemerkte sodann, wenn ja einer das Loch stopfen müsse, so sei es der Dachdecker, denn es fehle an den Ziegeln. Der Dachdecker kletterte nach langem Besinnen an den Balken hinauf, tastete und klopfte an der schadhaften Stelle, wo es sehr dunkel war, bedächtig hin und her und rief dann aus seiner Finsternis herab: »Das Loch schiert mich den Teufel, die Ziegel sind vollzählig und gesund, und wenn das Loch ja irgendwo ist, so ist's zwischen den Ziegeln und dem Blech und den Balken in der Giebelwand, und der Maurer soll's nur ausstreichen.« Nun schwur aber der Maurer wieder, das Loch sei dennoch im Gebälk, der Zimmermann, es sei dennoch im Blech, der Spengler, es sei dennoch in den Ziegeln, der Dachdecker, es sei dennoch in der Mauer und so fort die Reihe herum.
Der Förster wußte zuletzt nicht mehr, wo ihm der Kopf saß, geschweige daß er gewußt hätte, wo nun jenes Loch sitze. Weil er sich aber in diesem besonderen Falle nicht mehr zu helfen wußte, so machte er's wie kluge Staatsmänner: er ließ den Fall fallen und lenkte die Frage aufs allgemeine. Er begehrte zu wissen, welcher Handwerker denn jetzt statt des Maurermeisters den Gang der Arbeiten anordne. Der Zimmermann antwortete mit Bedacht: »Es hat der Maurermeister seinen Altgesellen geschickt, und Herr Humbert hat ihm auch ein Trinkgeld vorgeschenkt, daß er uns allen die Arbeit zuweise. Allein das gilt nicht! Den Maurermeister ließen wir uns gefallen, denn er ist ohnedies ein halber Baumeister. Wir Zimmerleute, Schreiner, Schlosser, Tüncher, Dachdecker und Spengler können es aber doch nicht dulden, daß uns der Geselle einer fremden Zunft als Oberhaupt gesetzt werde; darum warfen wir ihn gestern zum Tore hinaus, worüber es zu einem kleinen Streit kam, der den ganzen Nachmittag dauerte, und während dieser Zeit hätte viel Nützliches gearbeitet werden können.«
»Ihr Schwerenöter!« rief der Förster, »bei euch geht's ja zu wie im Deutschen Reiche!« und wies ihnen nach, wie sie einig und im Einverständnis arbeiten müßten, sonst werde der Bau niemals fertig. Weil er aber im Augenblicke selbst nicht wußte, wie dieses Einverständnis herzustellen sei, so wandte er sich vom Allgemeinen wieder zurück zum Besonderen und sprach: »Lassen wir's denn in Gottes Namen noch eine Weile auf den Speicher regnen, bis ermittelt ist, wer das Loch da droben zu stopfen hat. Aber das andere Loch in der Täfelung der Zimmerdecke soll der Schreiner auf der Stelle flicken, damit der Regen wenigstens auf dem Speicher bleibt.«
Der Schreiner schüttelte den Kopf: »Das Getäfel ist vor alter Zeit vom Zimmermann gemacht worden; man sieht's an der groben Arbeit. Also soll's der Zimmermann auch reparieren.«
Der Zimmermann sprach: »Herr Förster, hören Sie ein Wort!« und nahm die Pfeife aus dem Mund, als wolle er was recht Bedeutendes sagen. Es war aber nur, um sie auszuklopfen und frisch zu stopfen. Nachdem dies geschehen, fuhr er fort: »Der Kitt des Tünchers ist kein Gift. Der Tüncher muß ohnedies das Getäfel neu mit Ölfarbe streichen, also kann er auch das Loch auskitten. Ich sage: sein Ölkitt ist kein Gift, und er hält das Wasser am allerbesten ab.«
Der Tüncher dagegen meinte, wenn er alle Löcher im Hause verkitten solle, dann brauche er den Kitt zentnerweise, und wälzte die Sache auf den Schreiner zurück.
So führten die Handwerksleute den Förster abermals im Kreise herum, und da er, von dem zweiten besonderen Falle abspringend, auch seinerseits wieder auf die allgemeine Frage zurückkam, wer denn hier eigentlich Koch und Kellner sei, so drehte er sich gar in zwei konzentrischen Ringen.
Zum Glück war Marie während der letzten Verhandlungen im Hintergrund erschienen und bat jetzt den Vater, er möge ihr die Aufgabe überlassen; in drei Stunden solle kein Tropfen mehr durch Dach und Decke regnen.
Nachdem dann der Alte sich scheltend entfernt, nahm sie zuerst den Zimmermann beiseite. Er war, wie sie wohl wußte, in jüngeren Jahren Schiffszimmermann in Diensten der Republik Venedig gewesen, hatte lange Zeit das Mittelmeer befahren, auch in Asien und Afrika gearbeitet, um zuletzt geradeso arm und viel lüderlicher wieder zurückzukommen, als er ausgezogen war. Zu seinem angestammten deutschen Phlegma hatte er überdies noch eine reiche Zugabe orientalischer Faulheit mitgebracht. Natürlich erzählte er nun sehr gerne von seinen Abenteuern unter Türken und Heiden, wenn jemand Geduld hatte, den furchtbar langsamen Vortrag anzuhören.
Marie brachte den alten Venediger, wie man ihn nannte, auf seine Seefahrten, und er mußte ihr von Stürmen und Schiffbrüchen erzählen und wie eine Kugel der Korsaren in die Flanken des Schiffes geschlagen und auch sonst ein Leck entstanden sei und wie da die Zimmerleute sich hätten tummeln müssen, das Loch zu stopfen. Als sie ihn aber so weit hatte, nahm sie den Alten lächelnd bei der Hand und führte ihn vor das Loch im Getäfel und bat gar freundlich, jetzt möge er ihr auch einmal zeigen, wie er's damals gemacht, und möge gleich den Leck verschlagen, als stehe beim Verlust einer Minute Mann und Maus auf dem Spiel. Der Venediger lachte über die listige Hexe, fluchte über alle Weiber, griff zum Werkzeug und hatte in einer Viertelstunde schon den Schaden geheilt.
Dann ging das Mädchen zum Maurergesellen. Seine Lebensabenteuer waren einfacher gewesen, rein vaterländischer Art, und das bemerkenswerteste Ergebnis derselben waren zwei uneheliche Buben, die hungrig und zerlumpt in der Stadt herumliefen. Marie begehrte hier keine Erzählung, sondern knüpfte gleich an die vollendete Tatsache und sagte dem Maurer, sie habe ein abgelegtes Kamisol und ein paar Strümpfe ihres Bruders, auch allerlei alte Lappen, womit er seinen Buben in der Feierstunde die Hosen flicken könne; aber vorerst müsse er hier geschwind das Dach flicken, sonst werde nichts gereicht. Der Maurer seufzte tief, kratzte sich hinter den Ohren, dankte mit einem: »Vergelt's Gott!« im voraus und stieg dann in stiller Entsagung aufs Dach.
Nachdem so der besondere Fall erledigt war, ging nun Marie zum Allgemeinen über. Sie entwarf mit Beihilfe des alten Venedigers einen Plan, in welcher Reihenfolge fortan die vielen selbständigen Handwerker bei den hundert kleinen Verbesserungen ineinandergreifen sollten, und studierte förmlich die Natur und Quelle der Nachlässigkeit und Faulheit jedes einzelnen, daß sie einen jeglichen an seiner schwachen Seite packen und mit milder Gewalt zu seiner verfluchten Schuldigkeit führen könne. Das letzte Geschäft war nicht leicht, und die Werkmeisterin hätte es für sich allein unmöglich zustande gebracht, aber sie setzte bald ihren Bruder, bald die Hausmagd, bald den Forstgehilfen oder gar den Vater selbst in Bewegung, daß sie ihr nachsehen halfen und zwischen den Werkstätten der säumigen Handwerksmeister und dem Bauplatze einen Mahnbotendienst übten.
Der Förster wußte nicht, wie er sich vorkam. Die Faulenzerei der Arbeiter und die Betriebsamkeit der Tochter jagte ihn ins Feuer für seines Feindes Haus; für einen eigenen Hausbau wäre er gewiß nicht halb so heftig hineingegangen. Allein er wollte ja nur den Handwerkern zeigen, daß er sie zwingen könne; das war nun Ehrensache. Gar oft schon hat ein gemeinsamer dritter Gegner zwei alte Feinde unvermerkt verbrüdert. Daran dachte jedoch der Förster gar nicht: sobald er den anvertrauten Hausschlüssel einmal zurückgegeben, sollte auch wieder der tiefste Graben ohne Brücke die beiden Nachbarhäuser trennen. Den Besuchen des jungen Humbert konnte er nicht jedesmal ausweichen; desto sicherer aber wich er dann jedem Gespräche aus, das nicht auf den Hausbau zielte. Der Nachbar war für ihn nur als umbauender Hausbesitzer auf der Welt, und er sorgte als ein ungehobelter Jägersmann dafür, dies allezeit recht deutlich zu zeigen.
Inzwischen kam die Erntezeit, und man hätte denken sollen, der junge Gutsbesitzer stecke jetzt so tief in der Feldarbeit, daß er wohl auf Wochen nicht nach dem Hausbau sehen könne. Allein seine Besuche wurden vielmehr immer häufiger; es schien fast, das alte Haus sei das bedeutendste Grundstück, welches er zu bewirtschaften habe. Kam er aber so oft zur Baustätte, dann konnte er ja wohl auch die Handwerksleute selber beaufsichtigen, und Marie ward ihres Dienstes quitt. Oder er fand bei so häufiger Einkehr in der Stadt wenigstens einen anderen Bauführer von Profession statt des Maurermeisters und des Altgesellen. Allein Humbert schien eben die Försterstochter für die beste Bauführerin von der Welt zu halten und ließ ihr völlig freie Hand. Der Bau gedieh ja prächtig, und während anfangs alle Arbeiten zweimal verkehrt gemacht wurden und erst beim drittenmal gerieten, wurden sie jetzt immer nur zum erstenmal verdorben und gerieten, wenn Marie sie dann wieder herunterschlagen ließ, schon beim zweitenmal ganz gut.
Nun war es aber seltsam, daß die Anwesenheit des Bauherrn der schönen Werkführerin jetzt ebenso große Verlegenheit bereitete wie anfangs die Abwesenheit desselben. Sie war in das Bauwesen hineingekommen und wußte selbst nicht wie: zuerst aus reiner Neugierde, dann getrieben vom lustigen Ärger über die faulen Handwerker, dann aus Freude, daß sie's dem Vater so ergötzlich abgewann, die Trägen zur Arbeit zu führen, und dann freute sie sich wieder, daß sich der Bauherr freute über ihre stille waltende Förderung des Werkes. Trotzdem ward sie allemal rot, wenn dieser sie beim Bau überraschte, und hatte doch ein so gutes Gewissen. Um sich das Erröten zu ersparen, stellte sie darum den kleinen Georg als Schildwacht auf den Turm im Garten; er konnte von dort den Weg übersehen, welchen Humbert zur Stadt herüberleiten mußte, und kam dieser dann ins Haus, so war Marie längst verschwunden, und es schien, als ob die Hand eines wohlgesinnten Heinzelmännchens wie im Märchen inzwischen den Bau geleitet habe. Der junge Humbert begriff lange nicht, warum er Marie niemals im Hause traf, indes er doch so oft wahrnahm, daß sie eben erst dagewesen, bis er eines Tages zu Fuße von hintenher durch den Garten kam, da konnte sie ihm nicht mehr entwischen. Seitdem wählte er stets diesen versteckten Fußweg, und so sahen sich die beiden wohl alle paar Tage. Marie erzählte dann vom Bau, Humbert prüfte nach ihrem Bericht die Arbeiten und half kräftig nach und erzählte seinerseits, was er alles noch aus dem alten Hause zu machen beabsichtige. So kamen sie oft recht tief ins Erzählen. Humbert erzählte aus seinen Jugendjahren oder von den seltsamen Lebensschicksalen seines Vaters oder von Familiengeschichten, die sich an das alte Haus knüpften; ähnlich erzählte Marie Erlebtes und Überliefertes dagegen. Sie hatten sich auch so viel zu erzählen, denn sie waren ja trotz der Nachbarschaft immer meilenweit fern voneinander gehalten worden. Allezeit aber blieb ihr Gespräch bei diesem rein historischen Ton. Es ging in ihrem Verkehre zu wie in einer echten Novelle: Es ward immer nur schlechtweg erzählt, sie wühlten nicht in Gefühlen, grübelten und predigten nicht. Wenn aber ein jedes nachgehends wieder für sich allein war, so dünkte es ihm, sie hätten doch allerlei wundersame Empfindungen miteinander ausgetauscht, obgleich sie sich eben nur Geschehenes treu und einfach erzählt hatten. Und geradeso wie bei dieser wirklichen Geschichte steht es um die Gefühlspoesie der erdichteten Geschichte: die Poesie des Herzens wirkt am reizendsten da, wo sie in der Tatsache ausgesprochen, im Worte aber verschwiegen ist.
Kam dann abends der Vater nach Hause, so erzählte ihm die Tochter wieder, was sie und der junge Humbert sich gegenseitig erzählt hatten. Nur verfuhr sie dabei etwas einseitig. Sie berichtete nämlich getreu, was man irgend über das Haus und den Bau gesprochen, und erzählte auch alle die alten Geschichten, die sich auf das Haus bezogen. Was man aber von sonstigen Erlebnissen und Schicksalen erzählt hatte, das behielt sie im Sinn. Sie wußte ja, daß Humbert nur als umbauender Hausherr für ihren Vater auf der Welt war.
Ihr selbst aber gefiel Humbert in dieser Eigenschaft so gut, und sie gefiel sich so ganz als Werkführerin, daß sie wünschte, es möge in Ewigkeit fort umgebaut werden an dem alten Hause. Und im Grunde dachte sie auch kaum daran, daß der Bau jemals ein Ende nehmen und was dann weiter kommen werde.
So war der Sommer vergangen, und die Innenräume des Hauses waren leidlich in ihre verbesserte Gestalt gebracht. Man begann eben Hoftor und Haustüre zu erneuen und den Hof neu zu nivellieren und zu pflastern, auch rammte der Tüncher schon seine Gerüstbalken in den Boden zum Abputz der Außenwände.
Da blieben eines Morgens alle Handwerker aus; nur ein Tagelöhner kam herbeigeschlichen und räumte bedächtig etwas Schutt vom Hofe. Marie eilte sogleich herüber, um ihn nach den anderen Arbeitern zu fragen. »Sie werden zunächst nicht wiederkommen«, erwiderte dieser ganz gelassen. – »Und warum nicht?« – »Weil sie die Arbeit hier nicht mehr freut.« – »Und warum freut sie die Arbeit nicht mehr?« – Auf diese öfters wiederholte Frage kam dann immer wieder die Antwort: »Ja, weil sie's eben nicht freut.«
Mit einem großen Aufwande von Geduld brachte Marie endlich heraus, daß den Handwerkern hier nachgerade der Arbeit zuviel geworden sei, des Bieres aber zuwenig und des Branntweins viel zuwenig und daß sie darum einmütig beschlossen hätten, dieses undankbare Werk eine Weile liegenzulassen; vielleicht werde es durchs Liegen besser wie die Winterbirnen.
Es mußte fast notwendig so kommen. Gleichwie der Esel, wenn man ihn durch einen Sturm von Prügeln und Schmeicheleien überrascht, plötzlich, sich selbst vergessend, im Galopp einherspringt wie das frischeste Pferd, dann aber nicht minder plötzlich erkennt, daß er ja seiner Natur untreu geworden ist, und nun stehenbleibt wie ein Klotz und trotz Sporn und Zügel und Prügel seinen Platz behauptet und wieder ein ganzer Esel wird, so waren auch die Arbeiter durch das unvermutete Zusammenwirken des Försters, des Mädchens und des Hausherrn wie im Rausche aus sich selbst herausgetrieben worden. Auf dem Höhepunkte des Rausches aber kam der Umschlag; sie wurden nüchtern, erkannten, daß sie von ihrer wahren Natur abgefallen waren, und kehrten nun mit desto größerem Trotze zu sich selbst zurück.
Da war guter Rat teuer. Vergebens ging der Förster in die Werkstätten der Meister und bat und schalt, damit sie ihren Gesellen die Köpfe zurechtsetzten. Die Meister zuckten die Achseln, baten um ein paar Tage Nachsicht oder hielten wohl gar den Gesellen geradezu die Stange. Sie waren durch so manches scharfe Wort, das man ihnen vom Bauplatze heimgebracht, selber mit beleidigt, und es geschah bei dem entarteten Handwerk der verkommenen kleinen Städte damals überhaupt nicht selten, daß der Meister dem Gesellen alle Zuchtlosigkeit nachsah, um ihn hinterdrein desto gründlicher für seinen Eigennutz auspressen zu können.
Der Förster und seine Tochter beschlossen, den nächsten Tag abzuwarten, da Humbert vermutlich wieder zur Stadt kam. Allein auch er blieb aus. Statt seiner erschienen gegen Abend ganz andere Gäste. Soldaten von der Reichsarmee rückten in die Stadt und nahmen auf mehrere Tage Quartier, während französisches Kriegsvolk, das mit dem Reichsheere vereinigt gegen den Preußenkönig zog, auf den umliegenden Dörfern sich einlagerte.
Im Hause des Försters war man eben vollauf beschäftigt, für sechs Mann zu kochen und Strohsäcke auf die Nacht herzurichten, als sich ein Höllenlärm vor dem Nachbarhause vernehmen ließ. Der Förster öffnete das Fenster und sah da drüben zwölf Mann, welche Einlaß begehrten, und da das Tor verschlossen war und niemand öffnete, so schlugen sie mit dem Kolben dawider unter entsetzlichem Brüllen und Fluchen. Es war keine Zeit zu verlieren; in einer halben Stunde würde die erzürnte Rotte das Haus mit all seiner neuen Herrlichkeit ohne Zweifel gründlich verwüstet haben. Eingedenk der Pflicht, die ihm der Hausschlüssel auflegte, eilte darum der Förster hinüber und versicherte den Anstürmenden, das Haus sei unbewohnt, noch gar nicht ausgebaut und von allem Hausrat entblößt. Die Soldaten aber zeigten ihre Quartierzettel, sagten, sie wüßten schon ins Haus zu kommen, und wenn sie erst einmal darin seien, dann werde sich auch schon jemand finden, der für sie sorge, oder sie schlügen alles kurz und klein.
Während der Förster aber noch vergebliche Verhandlungen mit dem tobenden Volke pflog, hatte Marie bereits einen Boten auf Humberts Hof geschickt, daß der Hausherr rasch Betten und Lebensmittel hereinfahren lasse und selber mitkomme. Dann war sie durch eine Lücke des Gartenzaunes ins Nachbarhaus geschlüpft und öffnete eben das Tor von innen, als ihr Vater außen seine letzten Gründe erschöpfte, lief aber so rasch wieder zurück, daß keiner der Eindringenden ahnte, welche schöne Pförtnerin den Schlüssel gedreht.
Indes die Soldaten aber alle Winkel des Hauses durchsuchten nach dem Hausherrn, der doch eben erst geöffnet hatte und nun wieder nirgends zu finden war, kam Marie auch schon von außen ans Tor zu dem Vater und beschwor ihn, die Mannschaft so lange leihweise zu verpflegen, bis Herr Humbert das Nötige senden und heimzahlen werde.
Sie predigte tauben Ohren. Der Alte glaubte, seinem Hausmeisteramte vollauf genügt zu haben, indem er die Soldaten vor dem Tore zurückgehalten und dafür hinreichende Grobheiten eingesteckt hatte. Marie ward dringender: »Die Soldaten werden das Haus verwüsten, sie werden es in Brand stecken, und dann wird die Flamme auch unser Haus ergreifen!« – »Es hat keine Gefahr«, erwiderte der Alte gelassen. »Uns trennt der breite Hofraum und dann auch noch das Hammerrecht. Sieh, dafür ist das Hammerrecht gut. Auf eigenem Grund und Boden mußten wir dem Nachbarn mit unserem Bau noch drei Schritt vom Leibe bleiben: die Flamme reicht nicht zu uns herüber!«
»So ist denn all unsere List und Mühe während des ganzen Sommers umsonst gewesen?« rief Marie verzweifelnd. »Was wir bauen halfen, das werden die Soldaten zusammenschlagen; und sind diese abmarschiert, dann kommen die Handwerksleute wieder und fangen wieder von vorne an und triumphieren über uns, daß sie nun doch nicht zur vorgesteckten Zeit fertig geworden sind.« Und während sie noch so sprach, hörte man schon oben ein paar Fensterscheiben klirren, und unten hoben zwei Mann eine Türe aus und schlugen sie in Stücke, denn das trockene Tannenholz, von Ölfarbe frisch getränkt, sei vortrefflich, um ein Feuer in der kalten Küche anzumachen.
Der Förster stutzte. Sollte er wirklich Geld oder Geldeswert, wenn auch nur leihweise, hergeben, um seines Hausfeindes Haus erhalten zu helfen? Zwar hatte er jetzt schon monatelang Zeit und Arbeitskraft in reichem Maße gespendet und nicht bloß leihweise. Aber solche Dinge, die nicht mit Händen gegriffen werden können, achtet man für nichts; dagegen Essen und Trinken für zwölf Mann, die ohne Zweifel essen können wie die Drescher und saufen wie die Kosaken, das sind reelle Gegenstände, worüber man sich besinnt. Hatte Marie in ähnlicher Erwägung doch auch dem Vater strenge verheimlicht, daß sie dem Maurer zum Sporn seines Fleißes die alten Strümpfe und Lumpen geschenkt habe. Der Alte würde bitterböse darüber geworden sein. Denn Zeit und Kraft herschenken, das ist nichts; aber zerrissene Strümpfe und eine Handvoll Flicklappen sind doch immer ein wirkliches Geschenk.
Er besann sich lange. Der Gedanke jedoch, daß die Handwerksleute umsonst gearbeitet und umsonst gefaulenzt hätten und wieder von vorne anfangen müßten und nun erst recht gegen ihn das Feld behaupteten, siegte zuletzt. Er versprach, den Soldaten Brot und Branntwein zu liefern, bis der Hausherr herbeigerufen sei, und half ihnen selbst, Bretter zu Pritschen herzurichten und mit Stroh zu bedecken als vorläufige Lagerstatt. Der Feldwebel versicherte dagegen, daß die Mannschaft das Haus nicht weiter schädigen werde. Der von Marie ausgesandte Bote kam aber mit schlimmer Kunde zurück. Auf Humberts Gute lagen Franzosen und hausten gar übel. Der Gutsherr war schon tags vorher nach der Stadt geritten und unterwegs einem Trupp französischer Reiter in die Hände gefallen, die ihn gewaltsam mitnahmen, daß er ihnen als Wegweiser diente. Auf dem Gute waren daher die Dienstleute nicht minder ratlos als der Nachbar in der Stadt.
Marie fuhr ein Todesschreck durch die Glieder. Solche erpreßte Wegweiserdienste endeten oft mit Beraubung und Mißhandlung, ja mit dem Morde des Führers. Schon mancher war nicht wiedergekommen. Erfüllt von traurigen Bildern, setzte sich das Mädchen an den Gartenzaun auf derselben Stelle nieder, wo ihr der Bote die Nachricht gebracht; sie konnte nicht mehr stehen und auch nicht weitergehen, so zitterten ihre Knie.
Sie blickte auf das alte Nachbarhaus, und es stand wie ein leibhaftes Märchen vor ihren Sinnen. Seit den Kindertagen hatte sie diese selben Mauern und Fenster ja täglich vor Augen gehabt, und doch deuchten sie ihr jetzt ganz anders, so traumhaft schön, von dichterischem Schimmer verklärt. Von innen freilich war das Haus inzwischen umgebaut worden, von außen merkte man's wenig; hatte bei ihr selbst nicht auch inzwischen so ein innerer Umbau stattgefunden, den man von außen nicht merkte?
Sie hatte bisher gar nicht daran gedacht, daß das Bauen einmal ein Ende nehme und die Besuche des Bauherrn dazu. Jetzt schwiegen die Hämmer und Hobel der Werkleute, und der Bauherr war verschwunden. Gestern und heute lagen wie durch Jahre voneinander getrennt, und das Haus lag ihr so verschwimmend fern. Sie hatte sich im Getümmel der Arbeit niemals Zeit genommen, den Bau auch einmal von diesseit des Zaunes zu übersehen, sie meinte zuletzt fast, das Haus gehöre ihr; jetzt stand sie wieder im elterlichen Garten und entsann sich, daß das Haus ja in eines fremden Mannes Händen sei.
Wie im Spiel hatte sie an dem Hausbau teilgenommen; sie war dann Werkführerin geworden, und die Sache ward ernsthafter: sie kam mit dem Herzen an die Arbeit. O hätte sie jetzt zum Spiele zurückkehren können! Sie glaubte aber ganz bestimmt zu wissen, daß Humbert bei dem Hausbau gleichfalls vom Spiel zum Ernste fortgeschritten und mit dem Herzen an die Arbeit gekommen sei. Er hatte das nicht gesagt, aber sie hatte es gesehen und empfunden. Und das dunkle Gefühl spricht manchmal klarer als das klare Wort.
Zwischen alle diese Gedanken drängte sich dann aber immer wieder die quälende Frage, was wohl aus Humbert geworden sei. »Fahren fremde Leute nach Amerika, so denken wir, sie werden schon glücklich übers Meer kommen; geht aber jemand, den wir liebhaben, nur zwei Meilen übers Feld, so fürchten wir gleich, es möge ihm Schlimmes begegnen, als ob es das Unglück immer nur auf die Leute packen müsse, die wir liebhaben.« Mit diesen stumm in sich hineingedachten Worten redete sich Marie die Furcht aus, gestand sich's aber auch zugleich zum erstenmal, daß sie den jungen Humbert liebhabe.
Ein Männerschritt weckte sie aus ihren Gedanken. Es war der Feldwebel von den Reichssoldaten, die im Nachbarhause lagen. Als sie erschrocken aufblickte, fragte er, warum sie weine, und jetzt erst merkte sie selbst, daß ihr die Tränen auf den Wangen standen.
Marie erwiderte, sie sei so betrübt wegen des Hauses da drüben. Sie habe es bauen helfen, und jetzt stocke der Bau, die Werkleute hätten ein Komplott gemacht und seien davongelaufen, der Krieg werde im Herbst verwüsten, was im Sommer mühsam aufgestellt, und der Bauherr sei verlorengegangen.
Da der Soldat nun näher wissen wollte, wie sie, ein so feines Frauenzimmer, denn habe bauen helfen, so erzählte sie ihm die Geschichte von den faulen Arbeitern und wie sie Werkführerin geworden sei und den Bau nach Kräften gefördert habe, bis auf einmal die Handwerker sich verschworen und die Arbeit eingestellt hätten.
Den Feldwebel ergötzte die Geschichte. Er war aber eigentlich ein verkommener und durchgegangener Schauspieler, der sich hatte anwerben lassen und nebst einem halben Musketier das gesamte Kontingent bildete, welches ein reichsunmittelbares Nonnenkloster im schwäbischen Kreise zur Reichsarmee gestellt. Als Künstler und als Soldat eines Nonnenklosters hielt sich der Feldwebel nun zwiefach verpflichtet zu ritterlichem Frauendienste; darum tröstete er Marie, bat sie um die Namen der Werkleute und sagte, sie möge nur ein paar Stunden warten, er wolle die desertierten Kerls schon wieder auf ihren Posten führen. Hierauf ging er zu seiner Mannschaft und erzählte, sie hätten darum so schlechtes Quartier in diesem Hause, weil die Arbeiter, welche es einzurichten gehabt, im Komplott davongelaufen seien. Die müßten jetzt zur Strafarbeit herbeigeschafft werden. Und dazu gebe es einen Hauptspaß: die schöne Försterstochter da drüben sei die Werkführerin, gegen welche die Handwerker sich empört hätten. Als Reichsexekution wollten sie die Rebellen jetzt wieder zum Gehorsam bringen und sich dann königlich daran ergötzen, wie die faulen Mannsleute unter des fleißigen Mädchens Kommando mit ingrimmigem Fleiße wieder zum Werkzeug griffen.
Unter jubelndem Beifall zog dann der Feldwebel mit seinen Leuten in die Stadt und kehrte bald mit den Gesellen und Tagelöhnern zurück, den alten Venediger an der Spitze, der größere Schritte machte, als man's je in seinem Leben gesehen. Hierauf ging der Feldwebel zu Marie und versicherte ihr heilig, es werde ihr kein Leids geschehen; sie möge nur gleich wieder auf den Bauplatz kommen und die Arbeiter anweisen. Marie traute des Soldaten gutem Gesichte und folgte. Und nun ging ein Arbeitsgetümmel im Hause los, wie es nie gehört worden war; denn hinter jedem Arbeiter stand ein Soldat und drohte mit furchtbaren Scheltworten und mit Stock oder Degen, sowie der Fleiß einen Augenblick nachließ. Weil aber der Fleiß ebensogut ansteckt wie die Faulheit und weil es so gar anmutig schien, unter der Führung eines so schönen Mädchens recht fleißig zu sein, so griff nach einer Weile der Feldwebel selber zum Grabscheit und half beim Nivellieren des Hofes, und die anderen taten's ihm nach, je nachdem sie von diesem oder jenem Handwerk etwas verstanden, und zuletzt arbeiteten alle Soldaten mit den Werkleuten um die Wette.
Marie hatte anfangs schweren Herzens das Nachbarhaus betreten und bleich und zitternd ihre Weisungen erteilt. Als aber die Arbeit so lustig im Gange war, da ward es ihr auch wieder wohler zumute. Es war ihr, als müsse nun auch der Hausherr wiederkommen und das Bauen gehe nun wieder in Ewigkeit so fort und die breite Kluft sei wieder überbrückt, die vorhin noch die beiden Nachbarhäuser für immer zu trennen schien. Und als nun gar die Reichsarmee unter Lachen und Scherzen mitzuarbeiten begann, da ward das Mädchen wieder so stillvergnügt, daß sie leise vor sich hinsang, wie sie auch sonst bei dem Hausbau gepflegt; und da der Feldwebel die leise süße Stimme hörte, stimmte er in der Terz mit ein, und die anderen Soldaten machten's ihm nach, und zuletzt sang die ganze Gesellschaft, und sogar der alte Venediger brummte hintennach wie der Pedalbaß einer verstimmten Orgel, und die Hämmer, Äxte und Schaufeln bewegten sich im Takte doppelt so geschwind. Der Förster kam nun auch herbei, und nachdem er mit innigem Vergnügen den Sinn des seltsamen Schauspieles sich enträtselt – denn die Leute hatten gar nicht Zeit, ihm ordentlich Red' und Antwort zu stehen, – ließ er reichliche Erfrischungen herüberbringen für die bewaffnete sowohl wie für die unbewaffnete Mannschaft und dachte gar nicht mehr daran, daß er nun doch wieder Geldeswert hergebe für seines Hausfeindes Haus. Man hätte ihn malen mögen, wie er leuchtend dastand und sich die Hände rieb, daß er nun doch noch solchen Triumph feiere über die widerborstigen Handwerksleute.
Es fehlte nur noch einer auf dem Bauplatze, und auch der kam gerade im rechten Augenblick, als Mariens Stimme eben wieder leiser und schwermütiger zu klingen begann.
Der junge Humbert hatte sich kaum wieder losgemacht von den Franzosen, so erzählte ihm ein Bauer, sein Haus in der Stadt sei durch die Reichssoldaten von Grund aus zerstört worden. Er eilte darum schleunigst hierher und wußte nicht, ob er träume oder wache, wie er die Soldaten nicht als Verwüster, sondern als Bauleute im Hause erblickte. Er wäre der schönen Werkführerin gerne gleich an den Hals geflogen, denn er ahnte den Zusammenhang, aber die Gegenwart des Försters hielt ihn zurück. So trat er denn wieder bloß als umbauender Hausherr in den Kreis und mußte mit kalten Mienen bei klopfendem Herzen sich berichten lassen, was alles geschehen war. Er hatte gern den Alten und Marie beiseitegenommen zu einem anderen Wort. Allein es war ein solches Arbeitswüten unter alle Leute gekommen, daß sich gar kein Augenblick zu einem gesammelten Worte fand, und wenn er nicht als der einzige Faulenzer unter so viel Fleißigen stehen wollte, so mußte er, jetzt fast ebenso gezwungen und ingrimmig wie der alte Venediger, schlechtweg beim Hausbau zugreifen.
Nach zwei Tagen war das Werk vollendet, Haus und Hof standen fertig bis auf die innere Einrichtung, und zwar vierzehn Tage früher, als man's im günstigsten Falle hätte hoffen können. Auch die Reichstruppen marschierten ab, und so war es wieder ganz stille geworden.
Da bat Humbert den Förster, er möge nun mit seiner Tochter noch einmal herüberkommen und sich das ganze Haus anschauen, zu dessen Umbau sie so fleißig mitgeholfen. Sie kamen, und der Hausherr führte sie zu beiderseitigem Behagen durch alle die Räume, welche bis dahin so wüst ausgesehen und jetzt so reinlich, bequem und einladend vor ihnen lagen. Als sie nun das Ganze gründlich geprüft hatten und in den Hof zurückgelangt waren, zeigte Humbert dem Förster die ausgebrochene Steintafel mit dem Bauernreim, welche neu abgeglättet in der Ecke stand, und sagte, die Tafel solle wieder an ihren alten Ort kommen, er habe die Wahrheit des Reimes inzwischen zu tief erprobt. Der Alte billigte dies. »Allein«, fuhr Humbert fort, »die Tafel genügt doch nicht mehr ganz; es muß noch eine zweite zur Ergänzung beigefügt werden.« Als nun der Förster wissen wollte, was denn auf diese andere Tafel geschrieben werde, stotterte Humbert einige unverständliche Worte und schwieg verlegen, nahm sich jedoch, wieder zusammen und sprach lächelnd: »Jetzt bringe ich's nicht recht heraus; ich muß einen Umweg nehmen, aber ich hoffe, er führt uns schon auf die Tafel zurück.«
Dann sagte er, der Herr Nachbar habe ihm bei dem Bau schon zu so vielem verholfen, aber es fehle ihm zu dem fertigen Hause noch eines, nämlich eine Frau, und dazu könne ihm nun eben gar kein anderer Mensch verhelfen als wiederum der Herr Nachbar.
Der Förster zog mit feierlicher Miene den Hausschlüssel, welchen er immer noch bei sich verwahrte, aus der Tasche und sprach: »Den Schlüssel habe ich seinerzeit übernommen und alle Pflichten eines Hausmeisters, wie sie der Hausschlüssel auferlegt, getreu erfüllt. Ich kann Ihnen diesen Schlüssel, wie mir scheint, mit Ehren jetzt wieder zurückgeben. Dem Hausherrn eine Frau zu freien, das gehört nicht mehr zur Hausmeisterei. Und merken Sie sich überhaupt, junger Herr, die alte Regel: Vieh kaufen, Mägde dingen und eine Frau freien soll man niemals für einen anderen. Es bringt doch beiden Teilen nur Verdruß und Reue.« Vergebens verwahrte sich Humbert dagegen, daß ihm der Förster eine Frau freien solle; der Alte wiederholte und erläuterte seinen Spruch und ließ ihn gar nicht zu Worte kommen. Da warf der verzweifelnde Humbert endlich den Ruf hinein: »Auch möchte ich wegen des Hammerrechtes noch mit Ihnen reden!«
Das »Hammerrecht« wirkte; der Förster schwieg und horchte auf. Der andere sprach: »Das Hammerrecht ist ablösbar, wenn beide Teile es wünschen.« – »Ich wünsche es schon seit zwanzig Jahren!« rief der Förster dazwischen. – »Und ich wünsche es nunmehr auch«, fuhr Humbert fort. »Allein es wird schwer sein, unsere gegenseitige Rechnung einschließlich des Hammerrechtes auszugleichen, da ich in einer so ganz unberechenbaren Weise Ihnen verschuldet bin –«
»Das Hammerrecht berechnet sich sehr leicht«, unterbrach ihn der Förster. »Man nimmt die Länge der Hammerrechtslinie, denkt sie als auf anderhalb Fuß Breite mit normalmäßigen Ziegelsteinen belegt und berechnet dann den Wert dieser Ziegelsteine, so findet man laut der Bauordnung den Ablösungswert des Hammerrechtes.«
»Ich will nichts wissen von Ihrem Rechenexempel«, rief Humbert; »ich wollte ja nur sagen, daß ich Ihnen so verschuldet bin, daß von Gegenrechnungen mit oder ohne Ziegelsteinen gar nicht die Rede sein kann. Ich vermag meine Schulden an Sie überhaupt nur abzutragen, indem ich eine neue unendlich größere Schuld bei Ihnen aufnehme. Verstehen Sie mich denn gar nicht? – Ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter!«
Der Förster machte große Augen. Das ging über den umbauenden Hausherrn und die Pflichten des Hausschlüssels hinaus. Doch sagte er nicht stracks nein, sondern erbat sich Bedenkzeit.
Sei es nun, daß er während dieser Frist erkannte, wenn man den Ärger über einen verlorenen Hammerrechtsprozeß zwanzig Jahre lang nachgetragen, so sei das gerade lange genug, oder daß ihm Marie ebenso unwiderstehlich zusetzte wie vorher den Werkleuten oder daß ihn die gemeinsame Fehde gegen den dritten Feind im stillen doch schon tiefer umgestimmt hatte, als er es selber geahnt, genug, er sprach sein Ja und Amen.
Wie aber die Liebe als Werkführerin den Umbau des alten Hauses geleitet, so wirkte sie auch fort in dem neuen Hause, welches sich in dem alten jetzt auf festeren Grundmauern als von Stein aufbaute.
Die Tafel an der inneren Haustüre gegen den Hof aber, welche ein städtisches Gegenstück zu dem wiederhergestellten Bauernreim an der Außentüre bilden sollte, zeigte in halb erhabener Arbeit den Amor als Baumeister, umgürtet mit dem Schurzfell, Lot und Winkelmaß in der Hand, den Köcher auf dem Rücken. Humbert bestellte die Platte alsbald nach der Verlobung, und da er durch den Hausbau in den Ruf eines peinlich strengen Arbeitgebers gekommen war, so eilte sich der Steinmetz ungemein und vollendete das Kunstwerk nur zwölf Monate später, als er's ursprünglich versprochen hatte.