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Alle Welt hatte den Kopf geschüttelt damals als Dr. M... die achtzehnjährige Baronesse zum Weibe genommen. – »Thut nicht gut« hatten kluge Leute gemunkelt. Er an die sechzig und – sie?...
Ob sie damals Recht hatten, diese Klugen?
Lange sprach niemand mehr darüber. Die Vermählung des greisen Schriftstellers ward vollzogen und die bösen Zungen kamen umso früher zu Ruhe, zumal sich M... mit seiner Adda aus dem Bannkreise der lästigen Beobachtung auf ein kleines Landgut zurückgezogen hatte.
Heute war sein Name wieder in Aller Munde. Ein neues Stück M's, sollte abends im Residenztheater über die Bretter gehen. Große Anzeigen leuchteten an den Ecken. Der Name des Autors hatte guten Klang, und das Haus versprach übervoll zu werden.
Die Klügsten der Klugen aber standen schon am Vormittage an den Ecken beisammen und riethen her und hin, was man nach dem Titel von dem Drama zu erwarten hätte. Der war sonderbar genug:
stand in ungeheuren schwarzen Lettern über dem Personenverzeichnisse. Und erst die Personen! Er, sie, ein Hausfreund...
Ja, die Klugen sind halt überaus scharfsichtig.
*
Zweiter Act, dritte Scene:
Der Gatte: ... und du liebst ihn, Irma?
Sie: (Gattin): offen – ja!
Er: Gut, dass du so offen bist.
Sie: Du verdienst es; belügen werde ich dich nie!
Er: Diese Wahrheit schmerzt. Freilich – ich hätte bedenken sollen, als ich dich heiratete: du bist jung und – ich...
Sie: Nicht doch. – Du handeltest damals ganz recht. Ich will mich nicht von dir lossagen; ich vermöchte es nicht; – denn... denn... ich (zögernd) ich schätze – dich.
Er: Mein Kind...
Sie: Du sagtest mir oft: Ich könnte nicht ohne Dich sein, Irma; du verstehst mich; du bist mir geistig ebenbürtig.
Er: Du bist es
Sie: Wohl – nun höre: Lass mich geistig dein Weib sein – geistig – begreifst du? – – – und meinen Leib ...
Er: (entsetzt) Irma!
Sie: Was erschrickst du? Ich gebe Dir mein besseres Theil.
Er: (bebend) Irma!
Sie: (ohne aufzuhorchen) Den Geist, das Göttliche, Ewige Dir, Mann, Dir!
Er: (zögernd) und jenem?
Sie: Die sündige, eitle Lust, der der Ekel folgt auf den Fersen...
Er: Mir schaudert vor dir.
Sie: (Näher tretend) Freund, mein Gedanke ist groß. Wie viel Elend, wie viel geheimer Frevel würde aus der Welt schwinden, wenn alle ihn zu denken imstande wären.
Er: Nein, Weib, du sprichst im Wahn – (steigernd) entweder bist du mein mit Leib und Seele mein, – (schreiend) mein! ...
Sie: (kalt) Bezähme Dich!
Er: Aber...
Sie: Ich hielt Dich für größer. So bist auch du, du den Europa zu den Leuchten des Wissens zählt, von dieser läppischen Kleinlichkeit befangen, die Geist und Körper immer auf einen Rahmen spannt? Dass ich dir doch die Augen öffnen könnte!
Er: (sieht sie starr an)
Sie: Ha, ich sehe du fühlst die gigantische Wucht meines Riesenplanes.
Er: (macht eine Gegenbewegung)
Sie: Ich weiß was du sagen willst. Dies Verhältnis ist gegen die Natur. Nichtwahr, das schwebte Dir auf den Lippen?
Wie kurzsichtig du bist! Thor bei all deiner Weisheit. Blick hinaus! Dem einen Strauche hat die Natur bloß Blüten gegeben, holde, keusche, duftige Triebe; – bei anderen fallen die Blumenblättchen bald ab und es drängt die brutale, sinnliche Frucht hervor. – Ist es im Leben anders? Den Einen, den großen, ewig-keuschen Kindern, den Künstlern, sollen nur Blüten zu eigen sein. Geistige Keime nur, unsterbliche Triebe sollen in ihrer reinen Seele entstehen und sich emporheben in ein sonniges, seliges Dasein. Dem thierischen Gezücht aber, dem kommt die Frucht zu, die gemeine berauschende Frucht. Kind du! Mit den großen, träumerischen Augen, in denen tausend Ideale schimmern – weißhaariges Kind, du ertrügst ihn ja gar nicht den zerstörenden, wüthenden Brand der sinnlichen Liebe.
Er: (nachdenklich) Vielleicht ... aber warum kannst du, die du mir ebenbürtig bist im Geiste nicht auch wie ich so... so...
Sie: So geistig – willst du sagen – ausharren? Warum? Weil das Weib ein Doppelwesen ist von Natur göttlich und hündisch zugleich. – Unsere Seele bleibt rein, wenn die süße Begierde im Feuer der Sünde schmilzt, und das grässliche Gift der berückenden Lust besudelt nicht den Geist des schwachen, bebenden Weibes. Zu geilem Genuss hat die Natur uns gemacht, aber die eigene Kraft verlieh uns die bessere Seele.
Das Weib ist ein Buch, Bibelsprüche stehen drin, aber der Einband ist mit den Farben der Sünde bemalt. Hast du denn in keinem der tausend Bücher die du gelesen und wieder gelesen Aufklärung gefunden über dieses Doppelding, dieses Zwitterwesen?
Er: Wenn dem so wäre?
Sie: Zweifelst du noch? Es ist so. – Mein Geist haftet an Deinem, ein unsichtbares Moospflänzchen am riesigen Stamme, mein Leib, mein vergängliches Leben an jenem jungen, glutäugigen Tollkopf.
Er: Aber Irma – ich liebe Dich...
Sie: ... und weil du mich liebst, musst du mich begreifen.
Er: ... Gott!
Sie: Denn weil du mich liebst, darfst du mich nicht tödten, – und du tödtest mich – wenn ...
Er: (kleinlaut) Aber geistig, geistig bist du – mein!
Sie: (mit Pathos) Immer! – So bist du gut, so erkenn ich den Weisen, der erhaben steht über dieser verblendeten Welt! Dank! Das wird ein göttliches Dasein! Du, er, ich – zwischen euch beiden – dein und ihm gehörig an der Schwelle zweier Welten: hier Licht, dort Dunkel; hier Weisheit, dort Verblendung! – Du – Halbgott! – ich und jener ein unbeschreiblicher Bund. Alle Triebe, die das Leben durchpulsen feindlich und zürnend – in uns versöhnt in einem weltendurchtönenden, dröhnenden, herrlichen Dreiklang!...
*
Applaus, Applaus, Applaus! –
»Neu, herrlich, kraftvoll ...« allgemeines Urtheil.
Die Klugen aber munkelten in den Couloirs: »Sonderbar, sonderbar dieses Stück!«
»Und hast du gesehen« – flüsterte ein junger Mann laut genug – wie bleich M... war, wie greisenhaft; wie leer und glanzlos seine Augen. Adda dagegen das reine Leben. Sie kümmerte sich wenig um ihn, aber sie sprach unablässig nach rückwärts – und lachte.« Im Hintergrunde der Loge war ein junger Mann gesessen. Niemand kannte ihn.
»Sonderbar, sonderbar.«
Und die Gruppen lösten sich.
*
Am nächsten Morgen brachten die Tagesblätter lange Besprechungen über M's Drama. Auf der letzten Seite des Hauptblattes aber war in gesperrten Lettern zu lesen:
»Wie uns eben von S. telephoniert wird, ist der große M. heute nachts einem Schlaganfalle erlegen. Diese jähe Trauerkunde wird allenthalben Schrecken und Theilnahme hervorrufen. Die Ärzte, welche nurmehr den Tod des greisen Meisters constatieren konnten, meinten, dass gerade die freudige Erregung des gestrigen Abends dem Verewigten gefährlich geworden. Wie wir vernehmen blieb M... nach der Vorstellung noch im Kreise seiner Familie bis gegen Mitternacht und sprach freudig über den Erfolg seines Werkes; wer hätte geahnt, dass es sein letztes sein werde – »Der Dreiklang«. –
*