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Erich und Johannes lebten fortan täglich in Gebirg und Thal herrliche Jugendtage. Mit jedem Tage schlossen sie sich enger an einander, Johannes kam täglich nach der Stadt, sie besuchten auch den Weinbauern und dessen Tochter, die schon gewöhnt war, sie als unzertrennlich Arm in Arm ankommen zu sehen. –
Der Doktor konnte diese Zuneigung Erichs zu Johannes weder begreifen noch billigen, und Beate konnte sich einer kleinen Eifersucht nicht erwehren, denn sie liebte den Bruder wie ihren Augapfel, aber wohl wissend, daß Erich von Jugend auf das Bedürfniß gehabt hatte, in der freien Natur umherzuschweifen und selbst im Winter bei Schnee, Regen und Unwetter nicht in der Stube zu halten war, ließ ihn gewähren, denn was ihn erfreute, gereichte auch ihr zur Freude. –
Einige Tage waren vergangen, da stellte sie dem Bruder vor, daß es nun doch nöthig sei, einen Besuch auf Schloß Weilburg zu machen. Erich sträubte sich durchaus dagegen, er suchte alle erdenklichen Ausflüchte, bis sie ihn bat, es aus Rücksicht für sie zu thun. Daß seine Garderobe nicht für so vornehme Gesellschaft eingerichtet sei, diesen Vorwand machte sie dadurch ungültig, daß sie die heimlich bestellte Salonhülle für den Bruder hervorholte, der sich denn endlich seufzend zu diesem Besuche verstand. So bestand er denn eines Nachmittags, salonmäßig angethan, die prüfenden Blicke Beatens und Sophiens, die mit Wohlgefallen auf ihm ruhten, den Wagen aber, den Beate für nothwendig hielt, schlug er hartnäckig aus, und machte sich zu Fuße auf den Weg.
Das Schloß Weilburg stand am Abhange eines Berges, dessen waldige Bekleidung zu weitläufigen Parkanlagen benutzt waren. Es war ein großes stattliches Gebäude im Schnörkelstile des siebzehnten Jahrhunderts gebaut, mit vielen schlechten Statuen, gewundenen Säulen und Karyatiden verziert. Mehre Reihen von Zimmern standen unbewohnt, obgleich vollkommen eingerichtet, und nur der rechte Flügel des Schlosses war im modernen Geschmacke auf's Glänzendste dekorirt und wohnlich hergerichtet, denn der Graf lebte größtentheils auf Reisen oder in der Residenz und brachte mit seiner Tochter nur hin und wieder einige Sommermonate auf seinem Stammschlosse zu. Alles aber darin wurde stets aufs Sauberste erhalten, der Park, die Treibhäuser, die Gemächer warm geschmackvoll und reich ausgestattet und zeugten von der großen Wohlhabenheit ihres Besitzers.
Als Erich die breite Kastanienallee, die zum Schlosse führte, durchschritten hatte, sah er mehrere Equipagen stehen, es war also Gesellschaft im Schlosse. Er wäre am Liebsten wieder umgekehrt. Er beschloß zuerst Johannes aufzusuchen, der als Sohn des Verwalters mit im Schlosse wohnte. Er war nicht zu Hause. Mit Mühe hielt er darauf einen der geschäftig umherlaufenden Bedienten fest, um sich melden zu lassen. Der Bediente musterte ihn unverschämt von oben bis unten, und ging erst, als Erich ihm mit stolzem Tone den Befehl wiederholte. Bald darauf erschien der Graf, der ihn mit kalter Höflichkeit begrüßte, und ihm in ebenso kaltem Tone versicherte, daß er sich freue, eine Reisebekanntschaft zu erneuern.
Der Graf war ein hochgewachsener Mann mit aristokratischen Zügen, in welche verweste Leidenschaft, Gram und Körperleiden ihre Furchen gezogen hatten. Er führte ihn zur Gesellschaft, die, da es Abend werden wollte, eben von einem Spaziergang durch den Park zurückkam, um im Gartensalon den Thee einzunehmen.
Die Gräfin Corona trat ihm entgegen. Erich staunte beim Wiedererblicken dieser vollendeten Schönheit. Schwarzes Har, einfach um die Schläfen gescheitelt, kontrastirte lebhaft zu den dunkelblauen, geistvollen Augen; Arme, Hals und Brust waren plastisch vollendete Modelle. Den einzigen Schmuck ihres Anzuges vertrat ein Strauß von Orangenblüten, den sie vor der Brust trug, und der sich in seiner Weiße geschmackvoll von dem violetten Sammtgewande abhob.
Ein leichtes Rot überflog Coronas Wangen, als Erich ihr entgegentrat, es war als hätte sie eine Ueberraschung oder Verwirrung nieder zu kämpfen, dann aber sah sie ihm tief in die Augen und führte, da Erich etwas wortkarg in diesem Kreise war, die Unterhaltung mit Gewandtheit und graziösem Anstand.
Die Gesellschaft hatte sich im Salon versammelt, eine Gesellschaftsdame Coronas servirte den Thee. Erich hielt sich absichtlich von der Gräfin entfernt, obgleich er bemerkt hatte, daß sie ihm einen Sessel neben dem ihrigen zugedacht hatte. Sie ließ sich unterdessen die faden Artigkeiten einiger jungen Offiziere gefallen, um sie dann durch ein hingeworfenes Wort ihre geistige Ueberlegenheit fühlen zu lassen. Erich fühlte sich äußerst unheimisch in diesem Kreise, die Kehle war ihm wie zugeschnürt, die Luft drückte ihn.
Es wurde gewünscht Musik zu machen. Eine junge, hübsche, etwas kokette Baronin ließ sich nöthigen, ihre entzückende Stimme am Piano ertönen zu lassen. Erst war sie ganz heiser und behauptete keinen Ton singen zu können, dann konnte sie nichts auswendig, endlich aber, nach einer Viertelstunde, war sie denn doch ans Klavier komplimentirt, und die schmetternden Triller und Koloraturen einer Verdischen Arie, die ihrer sehr gebildeten Kehle entrauschten, zeigten, daß sie durchaus nicht heiser war, und auch eine Menge auswendig konnte. Corona fragte nach einem Volksliede. Sogleich war die Sängerin bereitwillig wieder zur Hand und sang ein deutsches Volkslied. Aber wie! Erich überlief es kalt bei dieser Singerei. Die einfachen Töne des Volksliedes waren hier versetzt mir eleganten Fermaten, ein italienischer Triller drängte sich an die Stelle eines sanften Klanges der Wehmut, aller Waldesduft des Volksliedes war verloren, Patchouli und Bisam war darüber ausgegossen.
Was hätte Erich nicht darum gegeben, aus dem Salon zu entwischen. Das letzte verstümmelte Volkslied hatte die letzte Hand an sein Unbehagen gelegt, ihm wars, als könnte er keinen Athemzug mehr thun. Draußen goß der Mond sein Dämmerlicht über die Bäume und umrankten Blumenstöcke des Gartens, es lockte und zog ihn hinaus aus dem Glanz des Sales in das magische Dunkel der stillen sanften Nacht. Er benutzte den Augenblick, wo sich die Gesellschaft gruppenweise zusammengestellt hatte, manövrirte sich langsam bis zur offnen Glasthür des Salons, um ungesehn zu entkommen, noch ein Schritt – und er war draußen.
Schon athmete er erquickt und neu belebt auf, als er dicht hinter sich eine Stimme leise rufen hörte:» Orion!«
Er fuhr zusammen, denn er kannte die Stimme, er kannte diesen Namen, er sah Corona neben sich stehen. Sie waren durch ein aufgestelltes Boskett von Treibhausblumen vor den Augen der Gesellschaft gedeckt.
»Orion,« sagte Corona, »Sie wollen fort?«
»Verzeihung, gnädige Gräfin,« sprach Erich befangen, »die Wärme, der bedeutende Duft im Sale – ich, der ich gewöhnt bin, im Freien zu leben –«
»Ich habe Sie beobachtet, Sie fühlten sich nicht wohl bei uns. Und doch, Sie sollen so nicht fort, Sie weichen mir aus, bleiben Sie, Sie müssen noch viel von mir erfahren, Orion.«
»Dieser Name, gnädige Gräfin, stammt aus einer Zeit, deren wir uns nicht erinnern sollen. Ich habe dieselbe zu vergessen gesucht, geben wir auch den Namen, der uns an sie mahnt, der Vergessenheit anheim.«
»Lassen Sie mir den Namen und die Erinnerung, Sie haben gesucht das Erlebte zu vergessen? Ich habe dieses Bestreben nicht gehabt, ich habe meinen Stolz sogar so weit abgestreift, daß ich einem Wiedersehn mit Sehnsucht entgegengesehn habe. Warum entflohen Sie uns in jenen Tagen? Orion, wenn ich mir diese Frage so beantworte, wie man ein Entfliehen zu deuten pflegt, so ist diese Demüthigung zu groß für mich. Ein Wort zum Abschied hätten Sie mir wohl sagen können für das, was wir einige schöne Tage gedacht, empfunden und erlebt hatten.«
»Wären Sie in meinem Falle gewesen, Corona, so würden Sie nicht anders gehandelt haben. Jedes Wort, das ich Ihnen sagte, war ein Dolchstich, jedes, das Sie mir sagten, ein zwiefacher für ein drittes Herz, das –«
»So war Ihnen an der Ruhe dieses Dritten mehr gelegen, als an meinem Glücke?«
»Ich wähnte, die Ruhe dieses Dritten müßte auch Ihr Glück sein. Sie waren damals Braut, ich sah, wie man mich argwöhnisch betrachtete, wie man mich weg wünschte; sollte ich ein Verhältniß trüben, das die Freude Ihres Vaters zu sein schien? Ich war stets fremd im Kreise der Ihrigen, so sehr Sie auch bemüht waren, dem Fremdling seinen Namen, seine Lebensstellung, seine ganze äußere Unbedeutendheit vergessen zu machen.«
»Sie wollen mir sagen, Orion, daß nicht Sie uns gesucht, sondern daß ich Sie herangezogen habe! Das ist hart –«
»Nicht das will ich, Corona, ich will nur sagen, daß ich zu jung, zu knabenhaft war, um Ihnen etwas sein zu können, und doch auch zu stolz, mich als nur geduldetes Mitglied Ihres Kreises zu sehen. Daß ich die Zuneigung, die Sie mir zu schenken schienen, nur als eine vorübergehende Grille betrachtete, gegen die sich mein Selbstgefühl auflehnte, das, Corona, will ich Ihnen nicht verschweigen. Was konnte die Weltdame, die schöne, begabte, von Allen Gefeierte, was konnte diese an dem wandernden Gesellen finden, als vielleicht ein flüchtiges Vergnügen über seine Unbeholfenheit, das ihr eine Reiselaune eingegeben hatte.«
»Orion, Sie sind fürchterlich in Ihrer Bescheidenheit! Sie wollen mir wehe thun und Sie erreichen Ihren Willen.«
Erich schwieg, Corona fuhr nach einer Pause fort mit einer Stimme, der er die Anstrengung und Ueberwindung anhörte, der sich ihre Worte entwanden:
»Es ist viel geschehen seit der Zeit, da ich Sie zuletzt sah, das Aeußerliche davon wissen Sie wahrscheinlich, und es ist nicht der Augenblick, Sie in Verhältnisse einzuweihen, die –«
Es war eine Bewegung im Salon entstanden. Die Noten zu einem Duo von Merkadante wurden gesucht, Coronas Gesellschaftsdame wußte nicht, wo sie lagen, und suchte nach der Gräfin. Sie schien dieselbe jetzt entdeckt zu haben, denn sie kam auf das Boskett zu, hinter welchem Erich mit ihr stand. Erich bemerkte es und sagte: »Sie werden vermißt, Corona.«
Die Gräfin wandte sich um. »Leben Sie jetzt wohl, ich muß Sie wieder sehn!« Darauf trat sie schnell in den Salon.
Erich stand noch eine Weile wie festgebannt, unangenehme Empfindungen durchkreuzten seine Brust. Er wurde aufgeschreckt durch zwei schmetternde Sopranstimmen, die das italienische Duo begannen, und er flog am Schlosse vorüber, die Allee hinunter, das Dorf entlang, hinaus in die Nacht. Als er die erleuchteten Fenster nicht mehr erblickte, athmete er tief aus, er fühlte eine solche trübselige Leere in sich, als habe der Glanz des Lüstre's jeden erquicklichen Gedanken aus seiner Brust verscheucht. Er riß vor allen Dingen Halstuch und Kopfbedeckung ab, um sich in der Nachtluft abzukühlen.
Doch war es eine ungewöhnlich laue Nacht, er hatte nun doch einmal einen andern Weg als den Heimweg eingeschlagen, er schritt also weiter durch das Dorf, den Bergsteig empor zum Walde. Jetzt war ihm erst wieder wohl. Er sehnte sich nach dem Freunde. Um diesen aber zu erreichen, hätte er in den Bannkreis des Schlosses zurückgehen müssen, wozu er sich nicht entschließen konnte. –
Sich badend im reinen Hauche der Luft stieg er den Berg hinauf, auf welchem die alte Weilburg thronte. Durch die Tannen ging ein tiefes Wehen und Rauschen, der Harzduft war gemildert und angenehm, hier und da schäumte ein Wildbach von der Höhe. Erich war jetzt auf einer Felsenplatte angelangt, auf welche der Mond sein volles Licht durch die offnen Wipfel strömte. Er streckte sich nieder auf das Moos, hoch über den Wipfeln der Eichen, die mit ihren riesigen Stämmen in der Tiefe wurzelten, und neben den Wurzeln andrer, deren Kronen hoch in den Himmel ragten und durch deren Laub die Sterne funkelten. Die Bäche rauschten und rieselten in der Tiefe, und immer leiser verhallte das Säuseln der Blätter, die sich ein letztes: gute Nacht! zuriefen.
Wie sehr wünschte Erich in diesem Augenblicke seinen Freund Johannes neben sich zu haben! Eine unendliche Sehnsucht überkam ihn nach dem Freunde, er glaubte seine Zunge gelöst, um ihm tausend Empfindungen und Gedanken sagen zu können. –
Da tönte aus der Ferne, wahrscheinlich vom Ufer des Flusses her, ein Volkslied herüber. Es wurde zweistimmig gesungen, und war eines jener tiefen, innigen Lieder, die, wie sie unmittelbar aus dem Gemüt geflossen, auch unwiderstehlich wieder das Gemüt ergreifen. Wie anders klang so ein Lied hier! Es mochten wol zwei Wandrer sein, die sich den letzten, müdesten Weg durch Gesang versüßten, bis sie zur erquickenden Nachtherberge kämen. Auch Erich fühlte sich wie ein müder Wandrer.
Ihr süßen, einfachen Melodien des Volksliedes, welche Tiefe, welche Fülle lebt in eurer Einfachheit! Ihr seid wie die Quelle, die aus der Berge Schoos entsprungen durch Waldesmoos und Wiesengras dahin rieselt; wie die wilde Haideblume, die keines Gärtners Hand als kleines Pflänzchen gepflegt hat, die, gesäugt an den Felsenbrüsten der Freiheit, ihre Keime treibt; die umweht von Eichenluft und Frische erblüht, und ihren Duft ausströmt, von dem Niemand sonst gelabt wird, als der Wandrer. Tausende verblühen, Niemand fragt nach ihnen. Tausende bringt der Frühling wieder, die grüne Natur ist reich wie das menschliche Gemüt. Wer hat diese Lieder gedichtet? Wer hat ihre Weisen gesetzt?
Da zieht ein junger Bursch in die Welt, er nimmt nichts mit als sein Ränzel auf dem Rücken, die Erinnerung an seine liebe Heimat und noch ein liebes Bild im Herzen. Vom nächsten Hügel schaut er noch einmal in das verlassene Thal seiner Jugend zurück, die Abendsonne vergoldet die Spitze des Kirchthurms und noch ein kleines Fensterchen tief unten im Thale. Sein Herz wird weich, er schreitet schnell weiter, als schämte er sich vor sich selbst, und in seiner Sele klingt ein unbekannter Ton. Er wird bald mit ihm vertraut, und indem er rüstig zuschreitet, wird der Ton zum Liede, Da gesellt sich ein Genoß zu ihm, bald singen beide das Lied, und der andre trägt es weiter. –
Dort sitzt in der Wirtsstube ein lustiger Vogel, das Glas in der Hand. Er will singen, er muß singen, er singt seine Lust am Singen. Er denkt daran, daß ihn sein Schatz betrogen. Fahr hin, denkt er, ich finde schon einen andern! Jetzt aber will ich trinken und fröhlich sein! So denkt er und bald singt er's auch. Da sammelt sich eine lustige Kumpanie um ihn und die Lust wird zum Liede. –
Der Wandrer durchzieht viel Land und Städte, viel Neues begegnet ihm, das erzählt er, bald singt man's auch. Aber auch der Winter ist vor der Thür, und die bunten Herbstfarben wollen den Frühling vergeblich herbei lügen. Der Wandrer denkt an die vergangne Zeit, an die Blumen, die ihm blühten und die nun alle welk sind; an die Hoffnungen, die ihn belebten, und die nun alle dahin. Er kämpft mit seinem Herzen, er kämpft wol auch mit der bösen Welt, er will nicht einsam sein und schweigen, aber kein Freund steht ihm zur Seite. Da singt er sein Lied der Wehmut den Bäumen und Wolken, und seine ganze Sele liegt in seinem Liede. Trauer findet stets verwandtes Leid, Freude findet stets verwandtes Glück. Drum hören die Traurigen hoch auf und wollen es auch lernen, und die Fröhlichen werden stiller, und Jedem klingt's, als hätte er's selbst gedacht, als wär's ein märchenhafter und doch wohlbekannter Ton aus einer lieben, schönen Heimat. –
Die Nacht, in der uns Alles, was wir betrachten, in dunklen Umrissen erscheint, läßt uns um so heller und klarer in unsrer Brust die feinsten Aederchen unsrer Gedanken beobachten. Durch Erichs Brust gingen leise Fragen, sie fragten nach seiner Erinnerung, nach seiner Hoffnung, sie fragten nach seinem Freunde, und fragten, warum er ihn liebe? Und die Antwort war wieder ein voller Ton der Liebe und Hingebung, in dem Ursache, Wirken und Thun unzertrennbar nur als Eins dahinklangen.
Er sah, das Haupt zurückgelehnt, hinauf in das Dunkel des Himmels, wo die Millionen Sterne durcheinander flimmerten, und es flossen von dort lebendige Ströme in des Jünglings Sele und tränkten sie mit ihren Himmelsquellen.
Ach, könnte man in solchen Augenblicken der reinsten Erhebung nur einen Sternenfunken aus der gestirnten Himmelsglorie der jugendlichen Hoffnungen herunterbannen zum Unterpfande künftiger Erfüllung! Aber der Himmel giebt es nicht das Unterpfand, suche es in der eignen Kraft deiner Sele, und es ist auch ein Unterpfand des Himmels.
Erichs Gedanken wirrten durcheinander, der Schlummer goß seine Schale über ihn aus, und ein Traum stieg zu ihm nieder. Schön war er nicht, und bange Schauer begleiteten ihn. Erich träumte, er sähe von der Höhe, auf welcher er lag, die dunklen Umrisse schwinden, Alles theilte sich wie Nebel und bog rechts und links auseinander, indem es in gähnender Tiefe einen See erblicken ließ, in welchem sich des Himmels Gestirne spiegelten. Ein Wolkengebild schwebte empor und mit ihm eine Gestalt, in der er Corona zu erblicken meinte. Sie sah ihn mit schmerzlichen Augen an und winkte herüber. Aber die Tiefe lag dazwischen. Der Träumende wollte sich aufrichten, denn die Gestalt winkte wieder, aber er fühlte, daß er sank, gleich als ob der ganze Fels sich mit ihm senkte. Ein Grauen überkam ihn, zugleich erschien eine neue Gestalt im Nebel, aber ihre Züge waren nicht so deutlich, als die der ersten, mit der Zeit glaubte er Sabinen in ihr zu sehen. Sie winkte angstvoll mit einem Tuche, er solle zurückbleiben oder fliehen, und verschwand. Wieder glaubte er zu sinken, er wollte sich an etwas klammern, aber nichts bot sich ihm und mit bleierner Schwere hielt es ihn am Boden fest. Wieder öffnete sich über der Tiefe die Wolke mit der Gestalt Coronas. Sie zeigte auf das über ihrem Haupte stehende Sternbild des Orion, sie breitete die Arme nach dem Träumenden aus, er wollte sich empor raffen, aber tiefer und tiefer sank er hinab – eine Todesangst überkam ihn, er sah, wie rings umher das Gestein zerbröckelte, noch eine Minute und er mußte mit dem Felsengeröll in die Fluten des Sees stürzen.
Plötzlich fühlte er sich von kräftiger Hand angefaßt und zurückgerissen, und eine Stimme rief in sein Ohr: »Erich, Erich!« –
Es war des Freundes Stimme. Traum und Wirklichkeit schieden sich, er erwachte und sah Johannes neben sich knien und fühlte seine Hand, die ihn festhielt.
»Erich,« rief dieser, »bist du's denn wirklich? Was machst du hier? Du liegst am Felsenhange eines fürchterlichen Abgrundes, noch eine Bewegung von dir, und du wärst gräßlich hinuntergestürzt!«
Erich erhob sich schlummertrunken und suchte seine Gedanken zu klären, um Traum und Erwachen zu unterscheiden. Er lag nicht mehr auf der Felsenplatte, auf die er sich hingestreckt hatte, er war im Schlafe von dort heruntergeglitten bis zum Rande der finsteren Schlucht. Er mußte sich erst wieder besinnen auf Alles, was vorgegangen war.
»Du hast mich gerettet aus Todesgefahr,« sagte er bewegt zu Johannes, der ihn mit sich fort führte, »verlaß mich nicht, sei mir auch künftig mein Retter, wenn fremde Geister mich umgaukeln, sei mir mein besseres Ich, das mir den Weg zeigt, wenn mein Fuß zu wanken beginnt!« –
Er fühlte sich überwältigt von Liebe und Wehmut, er warf sich dem Freunde an die Brust, der ihn mit unnennbarer Seligkeit und Gewalt an sich preßte.
Einige Minuten hingen sie sprachlos an einander, dann riß Erich sich los und fragte:»Aber wie kanntest du meine Gefahr, wie wußtest du, daß ich auf diesem Platze war?«
»Ich wußte es nicht,« entgegnete Johannes, »ein gutes Geschick hat mich hergeführt. Ich ging gegen Abend nach der Stadt, um dich zu besuchen, man sagte mir, du seist nach dem Schlosse gegangen, so blieb ich bei Sabinen, um dich zu erwarten. Ich fragte noch einmal nach dir an, dann setzte ich mich mit dem Kahne über und obgleich es dunkel war, beschloß ich doch über das Gebirge zu gehn, wo ich jeden Pfad seit frühster Jugend kenne. Ich kam zur Felsenplatte, die das Volk hier den ›Todessprung‹ nennt, da zuweilen schreckliche Fälle hier geschehen sind, da sah ich eine dunkle Gestalt liegen, die immer weiter hinunter zu gleiten schien. Ich trat näher, vor mir her glitt langsam die Gestalt weiter, ich faßte sie an – und erkannte mit Entsetzen dich. Wie bist du hierher geraten, Erich – du bist doch gesund und unverletzt?«
»Ich bin's,« sagte Erich, indem er des Freundes Hand drückte.
Seine Brust war so voll, er mußte ihm Alles erzählen. Er machte ihn mit den Vorgängen des Abends bekannt, indem Beide den Weg nach Heimbach hinunter stiegen, und fuhr fort:
»Ja, viel mehr noch will ich dir mittheilen, du mußt alle meine Geheimnisse wissen. Es mögen jetzt sechzehn Monate her sein, als ich eine Reise durch die Schweiz machte. Ich reis'te allein. In Genf wohnte ich mit der Familie Weilburg, bestehend aus dem Grafen, dessen Tochter und deren Verlobten, in einem Gasthofe zusammen. Ich beachtete die Fremden nicht. Eines Abends schrieb ich in Ermangelung andrer Beschäftigung ein par Verse in das Fremdenbuch und drunter den Namen Orion, den Namen eines Sternbildes, welches ich gern betrachtete. Auf einem Ausfluge lernte ich die Fremden kennen, Corona hatte die Verse gelesen. Auf Wiedersehn! sagte sie beim Abschied. Und wir sahen uns wieder, wir fanden uns im Eismeer des Chamouni-Thals, aus dem Rigi, auf dem Gotthard wieder, ohne es verabredet zu haben, überall wurde der Verkehr fortgesetzt.
In Zürich trat eines Tages der Bräutigam der Gräfin, ein vornehmer Mann, der einen schottischen Namen trug, stets schweigsam und ernst war, zu mir und lud mich ein, eine Partie auf dem See mit zu machen. Ich wußte nicht, wie ich dazu kam, nahm aber die Einladung an. Eine romantische Guitarre hatte ich mitgenommen, ich sang auf dem See in der Gondel, die Gräfin war äußerst freundlich und liebenswürdig, und forderte mich zu immer neuen Volksliedern auf. Der Umgang wurde fortgesetzt, eigentlich nur mit Corona, denn der Graf schien mich nur zu dulden, der Bräutigam sah mich oft mit argwöhnischen Blicken an, die Gräfin verdoppelte täglich ihre Aufmerksamkeit für mich. Den Namen Orion hatte ich behalten, sie nannte mich nie anders.
Eines Abends war ich im Hotel bei der Familie des Grafen. Er und der Schotte sprachen von ernsten Dingen, Corona winkte mir auf den Balkon mit ihr zu treten. Da standen wir, vor uns lag der Züricher See in aller Majestät der Mondnacht, die Berge umkränzten ihn dunkel und drüber glänzten die weißen Gletscher in silbernen Strahlen. Wir schwiegen lange, es schien als wäre das Schweigen beredter, als Worte es vermocht hätten. Eine unnennbare Sehnsucht überkam mich nach einem befreundeten Wesen, denn ich hatte bis dahin nie einen Freund im eigentlichen Sinne des Wortes gehabt, ich sah, wie, das schöne Weib mich betrachtete, ich hörte einen tiefen Athemzug sich ihrer Brust entheben. Mich überlief's. Corona näherte sich mir, ich fühlte ihre feine Hand, die sich auf meinen Arm legte. Orion, sagte sie, diese Stunde bedeutet viel in meinem Leben. Nehmen Sie zur Erinnerung an dieselbe, diesen unbedeutenden kleinen Ring, die fünf blauen Türkisen bilden ein Vergißmeinnicht, in der Mitte liegt die Perle! – Der Ring war an meiner Hand. Ich ergriff die ihrige, ich wußte nicht was ich that, ich hatte Corona umschlungen, sie wehrte mir nicht, und ich fühlte, als ich einen Kuß auf ihre Lippen drückte, daß sie den Kuß erwiederte. Ich schwamm in einem Zaubermeer. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich einem weiblichen Wesen so begegnete, Schauer der Wonne und Bangigkeit durchrieselten mich. Lange standen wir so. Wir sprachen nichts mehr. Wir traten ins Zimmer zurück; in des Bräutigams Augen glaubte ich einen Zug des tiefsten Leidens zu erkennen, mir war's, als müßte er Alles wissen. –
Ich that die Nacht kein Auge zu, ich war mir selbst ein Rätsel. Um Mitternacht sprang ich auf, mich trieb es fort, als scheuchte mich ein Dämon, mir war's, als hätte ich ein fremdes Glück frevelhaft zerrissen. Ich packte zusammen, und ehe der Morgen noch graute, war ich über alle Berge. Seitdem habe ich nichts wieder von Corona gesehn, auch nicht nach ihr geforscht, bis heute, wo das Geschick mich ihr wieder zuführte. Ich wünschte es wäre nicht geschehn!«
»Und du liebst sie nicht?« fragte Johannes.
»Nein,« entgegnete Erich ruhig und fest, »ich liebe sie nicht. Ich finde sie schön, sie ist ein vollendetes Meisterstück der Schöpfung, aber ich liebe sie nicht, ich kann mich nicht überreden, eine Neigung zu ihr zu haben. Johannes, mir ist's, als dürfte ich nicht in dieser Gegend bleiben.«
»Du willst entfliehn? Nein, Erich, bleibe, zeige dich ihr als Mann und lehre sie entsagen, wo sie nicht besitzen kann. Sie muß einer unseligen Leidenschaft entsagen, und muß dich achten lernen. Drum bleibe. Kann ich dir nützen, so weißt du, daß ich es werde.«
Erich drückte ihm die Hand. Lange gingen die Freunde schweigend neben einander. Dann nahm Johannes wieder das Wort:
»Du hast mir dein Geheimniß gegeben, nimm dafür auch mein kleines Geheimniß hin: Ich liebe ein Mädchen, es heißt: Sabine!«
»Und sie liebt dich wieder?« fragte Erich schnell,
»Ich weiß es nicht.«
»Du sollst es wissen, ich selbst werde dir die Gewißheit bringen.«
Noch einmal umarmten sie sich einander herzlich, sahen sich ins Auge und schieden, jeder einen Sternenhimmel von Seligkeit im Herzen, jeder mit der zuversichtlichen Hoffnung, ein leichtes Wölkchen aus des Freundes Himmel, das einen schönen Stern verhüllte, bannen zu können. Fortan waren sie ganz Eins und einig im Denken und Fühlen.
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