Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Es ist schön! Das heißt, schön für uns Laien!« entgegnete Dornberg. »Sonst aber habe ich bereits klagen hören, daß hier sehr schlechte Waldwirtschaft sei, und durch die Laune des Gutsherrn viel verloren gehe. Chlodwigs Oheim ist ein wunderlicher Herr.«
»Wie ist der junge Mann denn aber gerade an Sie gekommen, und Sie mit ihm hierher!«
»Nun – fürs erste bin ich sechs Jahre lang Chlodwigs Hauslehrer und Erzieher gewesen, nämlich vor der Zeit, da ich Ihre Bekanntschaft machte. Dann aber –«
»Sie?« rief Elfriede überrascht. »Ich denke, er ist von fünf Tanten erzogen worden?«
Dornberg fing an zu lachen. »Von fünf Tanten erzogen?« rief er. »Die müßte ich doch auch kennen! Das hat er selbst Ihnen doch nicht erzählt?«
»Allerdings hat er das!«
»Dann hat er Ihnen etwas aufgebunden! Ihre Bekanntschaft mit ihm ist ja wohl auf ein so kleines Versteckspiel begründet? Übrigens freut es mich –« »Daß er mir etwas aufgebunden? Nun, das sind ja schöne Grundsätze für einen Erzieher!« unterbrach sie ihn munter. »Braucht der erwachsene junge Herr vielleicht noch bis auf den heutigen Tag des Erziehers und Führers? Ich muß Ihnen sagen, er gefällt mir nicht sonderlich. Er erscheint zwar ganz leidlich und wohlanständig, aber solche alabasterne Gesichter sind mir an jungen Männern nicht angenehm!«
»Sie hätten ihn vor drei Monaten sehen müssen! Da war ei ein frischer, blühender Bursche. Aber eine Niederlage von zehn Wochen an einem typhösen Nervenfieber, mit Rückfällen der gefährlichsten Art, hätten auch einen herkulischen Bau erschüttern können. Er ist, sozusagen, frisch vom Tode erstanden.«
»Oh!« warf Elfriede dazwischen. »Das ist freilich etwas andres!«
»Er wird sich hier erholen und kräftigen, denke ich,« fuhr Dornberg fort. »Ich bin es allerdings, der ihn hierher begleitet hat. Auf einer kleinen geschäftlichen Reise begriffen, überschlug ich einen Bahnzug, um unterwegs nach dem Patienten zu sehen, von dessen überstandener Lebensgefahr ich gehört hatte. Sein Vater ist ein reicher Fabrikbesitzer auf dem Lande. Da die verqualmte Luft dort für den Genesenden unzuträglich genug ist, wurde schnell der Entschluß gefaßt, Chlodwig auf einige Zeit auf das Gut seines Oheims zu senden, und so begleitete ich ihn in diese Gegend. Freilich, das Haus dieses alten Herrn paßt für Chlodwigs Naturell gar nicht – doch soll er sich ja auch nicht sowohl drinnen, als vielmehr im Freien aufhalten. Denken Sie nicht übel von ihm! Er ist mir, trotz des Unterschieds der Jahre, sehr befreundet. Innere Konflikte mancher Art sind es, die überdies augenblicklich sein Gemüt und Wesen noch etwas unstetig machen. Der Vater verlangt von dem einzigen Sohn und Erben den Eintritt und die Fortführung des umfangreichen Geschäftes, wozu Chlodwig weder Trieb noch Geschick in sich fühlt. Ein akademisches Studium war dem Sohne schließlich zugestanden worden. Nun aber wendete sich seine Neigung der Philologie zu – was mein früherer Einfluß als Lehrer wohl mit verschuldet haben mag – ein Studium, das sich mit der Fabrik künftig nicht vereinbaren läßt. So kommt er nach drei Jahren von der Universität, und Vater und Sohn sind sehr verschiedener Ansicht geworden, und zwar über nicht mehr als alles! Dann aber – noch eins! Es ist am besten, ich erzähle Ihnen auch das. Eine unglückliche Neigung tat das Ihrige, sein Gemüt leidenschaftlich zu erschüttern. Es war eine Cousine, wie das denn so häufig vorkommt, eine sehr glänzende junge Dame, welche ihn stark anzog, eine Weile mit dem hübschen Vetter ihr Spiel trieb, sich aber doch entschloß, einen nicht mehr jugendlichen Offizier zu heiraten. Es heißt, diese Erfahrung habe ihn völlig aus den Fugen gebracht, und ihn in jene fürchterliche Krankheit geworfen. Ich lasse das dahingestellt sein! Jedenfalls hat sein Gemüt unter dieser Leidenschaft stark gelitten, und auch nach der Genesung scheint ihm eine wunde Stelle geblieben, welche geschont sein will.«
Elfriede dachte nach Anhörung dieses Berichtes bereits besser von dem jungen Manne, den sie bisher nur von oben herab behandelt hatte, dennoch entgegnete sie: »Ist das auch wohl recht männlich?«
»Aber, verehrteste Freundin!« warf Dornberg ein. »Ich muß die Gegenfrage tun: Ist Ihre Frage wohl auch gerecht, oder nur billig? Wer darf von einem zweiundzwanzigjährigen Jünglinge schon die Reife und Überwindungskraft des Mannes verlangen? Frauen schätzen allerdings meist den reifen und charakterfesten Mann, obgleich sie ihn auch nicht immer wählen. Den Mann in Jahren mag man tadeln, wenn er sich von einer Leidenschaft fortreißen und verwirren läßt, zu den Jahren des Jünglings aber gehört die Leidenschaft, ganz unbeschadet seines Charakters. Mir ist ein junger Mann von stark erregbarer Innerlichkeit lieber als ein andrer, der die Erfahrungen nur so an sich abgleiten läßt.«
Da Elfriede nichts darauf entgegnete, fuhr er fort: »Warum muß auch meine Zeit so kurz gemessen sein! Ich hätte gerne noch manches mit Ihnen durchgesprochen. Auch über Ihre Zukunft.«
»Sie wollen doch nicht sobald wieder abreisen?« rief Elfriede.
»Morgen früh schon. Ich darf keinen Tag zugeben!«
»O dann gönnen Sie mir wenigstens den heutigen! Kommen Sie mit zu den alten Hellers! Sie werden sich des Wiedersehens freuen!«
Dornberg war bereit, sie zu begleiten, und sie schritten aus dem Walde dem Städtchen zu. Plötzlich blieb er stehen und sagte: »Einen Vorschlag, liebes Fräulein! Wenn Sie sich hier mit Zeichnen und Waldgenuß Genüge getan haben, dann kommen Sie zu uns! Der Sommer ist noch lang. Auch bei uns gibt es schöne Natur. Meine Mutter und meine Frau würden Sie hochwillkommen heißen. Wie haben im eignen Hause Platz genug, und Ihre Freiheit soll Ihnen bleiben, wie hier bei Hellers!«
»Wie sehr danke ich Ihnen, lieber Freund!« rief Elfriede mit Rührung, »Ich will es in Erwägung nehmen. Noch aber lassen Sie mir einige Wochen Zeit. Ich muß noch mehr Luft einatmen, Einsamkeit genießen, und dabei die weißen Blätter meiner Zeichenbücher füllen!« – –
Am folgenden Morgen verließ Chlodwig früh das Haus seines Oheims, der meist lange in den Tag hinein schlief. Dornberg hatte sich schon abends zuvor von der Gesellschaft verabschiedet, und war, von seinem Freunde zum Wagen begleitet, eben abgereist. Das Haus des Gutsherrn machte spät Tag, da die männlichen Bewohner oft bis zum Morgen zu wachen pflegten. Obgleich der alte Herr ohne Familie lebte, war es nicht einsam um ihn. Als Jagdfreund liebte er, immer gleichgestimmte Gäste um sich zu haben. Er wählte sie unter pensionierten Offizieren, Grundbesitzern, bejahrten Lebemännern, Leuten, die sonst nichts zu tun hatten. Sie blieben wochen-, monatelang; mancher, der keine Unterkunft mehr fand, benutzte das Haus, um darin zu überwintern. Nicht immer wurde gejagt, gewöhnlich aber abends, auch wohl bei Tage schon gespielt, und zwar sehr hoch gespielt. Große Summen wechselten den Besitzer durch Verlust und Gewinn. Dazu war es hergebracht, stark zu trinken, und der Tisch mußte gut bestellt sein für die – nicht eben beste Gesellschaft. Für die Bewirtschaftung des immerhin großen Besitztums hatte der Gutsherr keinen Sinn, er überließ sie den Verwaltern. Aber da er viel verbrauchte, wurde die Wirtschaft schlechter und schlechter, und Chlodwigs Vater, der Fabrikherr, sagte den vollständigen Ruin seines Schwagers seit lange voraus. Das focht jedoch den alten Nimrod nicht an. Hatte er doch keinen Erben, als etwa seinen Neffen, für den ja von Hause aus reichlich gesorgt war. Und so vertrödelte er mit seinen Kumpanen getrost, was er besaß, in der Aussicht, daß es ja für ihn selbst ausreichen werde.
Chlodwig, der sich von der Lebensart und dem Tone des Hauses abgestoßen fühlte, lebte auf seine eigene Hand und auch die Graubärte waren es zufrieden, daß »der kranke Junge«, wie sie ihn nannten, sie nicht störte, sondern seiner Wege ging. Und so schritt er durch das Dorf, der Waldhöhe zu, in der Hoffnung, Elfriede auch heute auf dem Platze zu finden, wo er sie zuerst gesehen. Dornberg hatte ihm kein Geheimnis daraus gemacht, wen er in ihr wiedergefunden, und ihm umständlich über ihre Verhältnisse und ihre Lebenslage berichtet; er durfte annehmen, daß der Freund auch ihr einiges über sein äußeres Leben mitgeteilt habe. Er fühlte die reinste Verehrung und Hochachtung für das junge Mädchen, ja sogar etwas von Demütigung über seine so viel günstigere Lebenslage. Denn er war nicht die Natur, den Wohlstand seines Vaters in Leichtsinn und Genuß auszubeuten, oder sich desselben anders als zu Bildungszwecken zu freuen. Vater und Sohn konnten nicht verschiedener angelegt sein. Der eine ganz Geschäftsmann, der andere von Hause aus Träumer mit künstlerischen und literarischen Neigungen, die denn durch Dornbergs Erziehung in eine bestimmte Richtung gebracht worden waren; eine Richtung, die der Fabrikherr dem Lehrer wenig dankte, und in die er sich nicht so leicht finden konnte.
Chlodwig wartete eine Stunde vergeblich auf die Künstlerin. Auch von den Geschöpfen, die sich sonst um sie zu versammeln pflegten, ließ sich heute nichts blicken. Er empfand noch keine Ungeduld, obgleich es ihn gefreut hätte, sie zu sehen, und so las er in einem Lieblingsbuche, welches er mitgenommen hatte. Dasselbe geschah am nächsten Tage. Am dritten aber fand er sie, wo er sie nicht gesucht hatte. Er war auf einem Pfade zwischen Waldessaum und Kornfeld hingeschritten, als er unvermutet auf eine belebte Gruppe traf. Elfriede saß auf dem Rasen, umgeben von einem Dutzend Kinder, welche diesmal nicht gezeichnet wurden, sondern mit welchen sie Kränze von Kornblumen flocht. Mehrere kleine Mädchen waren bereits bekränzt, andere lernten das Flechten von Elfriede; Massen von Blumen lagen umher, welche ausreichend schienen, alle Häupter blau zu umwinden. Lächelnd und grüßend trat er näher. »Da ich Sie in Ihrer verborgenen festen Burg nicht aufsuchen darf, gnädiges Fräulein,« begann er, »so haben Sie mir es erschwert, Ihnen einen Abschiedsgruß unseres Freundes Dornberg zu überbringen!«
»Daß es auch gar nicht möglich war, ihn länger hier zu fesseln!« entgegnete sie. »Sie würden sich auch darüber gefreut haben, nicht wahr, Herr Sturmfeld? Sie hören, ich weiß Ihren Namen. Und so mag denn der Vertrag, einander nicht nachzuspüren, aufgehoben sein, zumal auch Sie wohl meinen Namen und Aufenthalt kennen. Verstehen Sie sich auf die Beschäftigung, die wir hier kindlich treiben?«
Chlodwig mußte es verneinen, fügte aber hinzu, daß er sich für fähig halte, diese Kunst zu lernen,
»Nun, dann nehmen Sie Platz unter uns – Nero, steh auf!« entgegnete sie. »Liese, du kannst es am besten, zeige dem Herrn, wie man es macht!«
Er ließ sich von der kleinen Dirne unterweisen, und versuchte sich weiter am Werk, während noch dies und das über den abwesenden Freund gesprochen wurde, unterbrochen von einigen Zurechtweisungen, welche Elfriede an ein Paar handgreifliche Buben wendete. Endlich war Chlodwig mit seinem freilich noch schülerhaften ersten Werke fertig, und langte sich das kleinste Bübchen heran, dem ein verräterischer Zipfel aus den Höschen fast nachschleppte. Der Kranz war zu groß, und fiel dem Kinde auf die Schultern. Aber das tat nichts, die Freude des Geschmücktseins dem kleinen Erdenkloß, der sich lächelnd und schmierig der Bewunderung darstellte, zu verringern.
Elfriede erhob sich und schritt mit ihrem Begleiter dem Dorfe entgegen. Es war nicht zu vermeiden, daß die ganze Kinderschar ihnen folgte, wodurch sie sich in der Unterhaltung doch nicht stören ließen. »Da fällt mir ein,« sagte Elfriede, »daß Sie mir ja neulich in betreff der fünf Tanten etwas weisgemacht haben! Dornberg will nie von diesen Tanten gehört haben!«
»Und doch hätte er nur die Augen aufzumachen gehabt!« entgegnete Chlodwig belustigt. »Diese fünf Tanten befinden sich in schweigender Gesellschaft einiger Herren gleichen Alters im Speisesaal meines Oheims, und fielen mir ein, da ich Sie Porträts zeichnen sah. Denn dieser angenehme Familienkreis ist nur gemalt und hängt seit vielleicht hundert Jahren an den Wanden. Die Damen tragen hochgetürmte, gepuderte Frisuren, oben darauf noch Federbüsche, Blumen und Sterne. Die eine hält unter dem Arm ein Wachtelhündchen, die andere hält mit zwei spitzen Fingern einen Pfirsich, die dritte hat eben einen Brief bekommen und geöffnet, liest aber nicht darin, sondern wendet sich mit herausforderndem Lächeln dem Beschauer zu. Das sind die drei Schönen – nämlich unter den fünfen, denn die beiden letzten, obgleich sehr glänzend für die Sitzung geschmückt, spotten der Beschreibung. Diese fünf Ururtanten werden möglicherweise künftig enger an meine Person geknüpft sein, da der Oheim bereits Andeutungen gemacht hat, daß die Galerie in meinen Besitz übergehen werde – vermutlich als das einzige Erbteil, was von ihm zu erwarten steht!«
Elfriede ließ die gute Laune ihres Begleiters gelten. »Sehen Sie nur diese köstliche Straße zum Dorf hinunter!« rief sie, »Schritt um Schritt gewinnt man ein anmutigeres Bild! Man möchte jedes mit dem Griffel festhalten!« Für den, der künstlerisch zu sehen verstand, bot der Abstieg zum Dorfe in der Tat ein malerisches Bild. Auf der einen Seite des Weges Felsen, überragt und durchsetzt mit Laubholz, auf der anderen die tiefe Schlucht des Waldwassers, in grüne Matten gesenkt, darüber dichtbewachsene Berge. Besonders mannigfaltig machte den Weg eine Fülle von Obstbäumen, welche den Abhang schützten oder mit ihren Kronen aus der Tiefe ragten. »Dort drüben,« fuhr Elfriede fort, »die allerletzte, vereinsamte Hütte gehört der alten Trude. Ich möchte mehr von ihrem Leben wissen, auch was ihr die Feindschaft Gabriel Neuntöters zugezogen hat?«
Chlodwig wußte es bereits, konnte sich aber nicht entschließen, es Elfrieden im ganzen mitzuteilen. Trude hatte einen Sohn, der die Tochter des Waldhüters gern mochte. Der Alte wollte das nicht haben, und stieß gewaltige Drohungen aus. Die Sache ging trotzdem, wie dergleichen auf dem Lande zu gehen pflegt. Die Tochter bekam später doch noch einen Mann, der sich nicht daran stieß, daß sie ihm an der Hand etwas zuführte, was inzwischen im Hause ihres Vaters aufgewachsen war. Schon vorher aber hatte man eines Tages den Sohn der Trude im Walde erschossen gefunden. Die Sache blieb dunkel. Obgleich der Gutsherr für seinen Waldhüter eintrat, mußte Gabriel wegen fahrlässiger Tötung ins Gefängnis. Das war vor zehn Jahren geschehen.
Chlodwig gab seiner Begleiterin nur über den letzten Teil dieser Geschichte einen kurzen Bericht, doch er bereute auch schon dies, da er hörte, wie Elfriede von dem lebhaftesten Anteil an den Personen ergriffen wurde. Sie sah an allen diesen Gestalten nur die guten Züge, und manchmal mehr, als nachzuweisen waren, während der junge Mann, trotz seines kurzen Aufenthaltes in der Gegend, schon eine andere Einsicht in die Verhältnisse und Menschen gewonnen hatte. Denn hier hieß es: Wie der Herr, so die Untergebenen. Der Oheim ging mit üblem Beispiel voran und kümmerte sich nicht um die sittliche Verkommenheit der Dorfbewohner. Kümmerte er sich doch kaum um das Verderben seines Besitztums, welches durch schlechte Beamte denn auch ausgebeutet wurde. Nun waren unter diesen noch einige, die selbst über die Wirtschaft den Kopf schüttelten, besonders ein Förster, welcher sich dem jungen Gaste im Hause bereits genähert hatte. Er sah in Chlodwig den künftigen Erben, und hielt es für klug, demselben beizeiten einige Aufschlüsse zu geben. So erfuhr der Gast denn auch, daß der brave Gabriel Neuntöter einer der schlimmsten Halunken sei, der wegen wiederholten Unterschleifs längst hätte aus dem Dienst gejagt werden müssen, wenn er nicht durch die besondere Gunst des Gutsherrn immer wieder geschützt worden wäre.
»Wenn man der alten Trude doch etwas Freundliches erweisen könnte!« rief Elfriede. »Sie ist gewiß sehr arm. Ich möchte sie einmal in ihrem Hause aufsuchen. Ja, und ich führe es gleich aus. Wollen Sie mich begleiten?«
Chlodwig verstand sich dazu, obgleich ihm dieser Besuch Elfriedens nicht recht war. Aber da es ihm noch bedenklicher erschien, sie diesen Besuch allein ausführen zu lassen, und er eine bestimmte Warnung nicht aussprechen mochte, wollte er sich eher zu dem ihm Widerstrebenden verstehen. Er suchte sich des Gefolges der Kinder zu entledigen, und stieg mit Elfrieden einen Seitenpfad hinab, über den Steg des Baches, um die Dorfstraße zu vermeiden. Das Häuschen war unverschlossen, ebenso die Stubentür. Als sie aber in den niederen Wohnraum eintraten, drang ihnen ein so sinnbetäubender Geruch von verschiedenen Kräutern entgegen, daß Elfriede sich schaudernd zur Flucht wendete. Chlodwig riß an dem engen, blinden Fenster, fand aber, daß es zum Öffnen gar nicht eingerichtet war. »Mein Gott,« rief das junge Mädchen, »in diesem Dunst leben und atmen die Leute hier?« Sie blickte nur durch die offene Tür hinein. Weder die Alte noch der Knabe schien zu Hause zu sein. Die Stube war Küche und Wohnraum zugleich, ärmlich, aber nicht bettelhaft eingerichtet. Man sah Kochgeschirr und Mobiliar, Betten, Stühle, den Tisch, eine Truhe. An den Wänden aber hingen zahllose Pflanzenbündel zum Trocknen. Elfriede wagte sich noch einmal hinein, und legte ein Geldstück auf den Tisch, mit den Worten: »Ich bin ihr noch das Honorar schuldig für die Sitzung als Modell.« Sie hatten das Haus kaum verlassen, als sie Girgls ansichtig wurden, der den Abhang herabgelaufen kam. Der Knabe begrüßte sie und machte Miene, sich ihnen anzuschließen, wurde aber durch Chlodwig zurückgewiesen.
Der junge Mann fühlte sich auch mit Elfriedens Freigebigkeit nicht einverstanden. Es war bereits bekannt, daß sie jeden, der sich von ihr zeichnen ließ, belohnte, ja über Gebühr beschenkte, und so hatte sich allerlei Gesindel in ihre Nähe gedrängt, um an dieser Einnahmequelle teilzunehmen. Chlodwig empfand das peinlich, zumal er durch Dornberg erfahren, daß sie ihren geringen Besitz eher zu Rate halten mußte. Ihre Großmut gefiel ihm, ihren schönen Glauben an die Armen und Geringen mochte er nicht schon untergraben, und so sann er auf ein Mittel, wie er künftig ihr Umherstreifen zu künstlerischen Studien in eine andere Richtung lenken, und sie durch seine Begleitung vor Zudringlichkeit und vielleicht Unannehmlichkeiten schützen könne. Denn wie leicht wär's möglich, sagte er sich, daß sie einmal von einem der graubärtigen Nimrods aus seines Oheims Hause, deren Manieren er kannte, getroffen und gar beleidigt werden könnte! Mit raschem Entschluß begann er daher: »Gestatten Sie mir den Wunsch, gnädiges Fräulein, daß ich unsere Begegnung nicht mehr vom Zufall im Freien abhängig mache! Erlauben Sie auch mir, Ihnen und Ihren Gastfreunden im Städtchen meinen Besuch zu machen. Wenn ich Sie künftig zu Spaziergängen abholen dürfte, könnte ich Ihnen noch manchen malerischen Punkt in der Gegend zeigen, den ich auf einsamen Gängen entdeckt habe. Und wenn für die Unterhaltung Neros noch ein vierter nötig wäre, so könnte ich ja Ihren Freund Girgl auch mitbringen!«
Elfriede fühlte sich durch diese Worte eigen berührt. Sie verstand, daß er recht hatte, und erklärte sich einverstanden. Aber sie hörte noch etwas heraus, das sie etwas empfindlich berührte, zumal sie sich sagen mußte, daß sie ihren Begleiter bisher unterschätzt hatte. Er war mit ihrer freien Bewegung nicht einverstanden, sagte sie sich, er wollte für ihren Verkehr eine bestimmte gesellschaftliche Form, und zwar zu ihrem eigenen Besten bewahrt wissen. Erkannte sie diesen Zug an ihm als lobenswert, so fühlte sie sich ein wenig gedemütigt, daß sie, die überlegene Dame der Gesellschaft, einem so jungen Manne recht geben mußte. Wenn ihr das innerlich ein wenig zu schaffen machte, so sollte die Regung doch bald überwunden sein. Als sie am folgenden Morgen in den Garten trat, sah sie Chlodwig in Gesellschaft des Knaben (doch ohne die Ziegen) bereits heranschreiten. Er stellte sich Herrn und Frau Heller vor und holte das Fräulein ab, um ihr einen schönen Platz für ihr Skizzenbuch zu zeigen. Da die Wanderung etwas weit gedacht war, beeilte sich das Mütterchen, ihnen ein kleines Bündel zum Frühstück mitzugeben, welches nicht verschmäht wurde.
Von dieser Stunde an sahen Chlodwig und Elfriede sich täglich. Morgens oder nachmittags, je nach Verabredung, pflegte er vorzusprechen und sie zum Spaziergang abzuholen. Oft genügte ein engerer Umkreis, an der Wiese entlang, am Waldessaum. Es wurde wohl ein Buch mitgenommen, und während sie zeichnete, las er vor. Dann wieder schreckte man vor stärkeren Märschen nicht zurück, zuweilen ins Pfadlose, in fröhlicher Stimmung, die Höhen und Abhänge hinauf und hinunter. Zuweilen winkte Chlodwig auch einen Holzfäller im Walde herbei, der sich als malerisch erwies, duldete aber nicht mehr, daß Elfriede ihrem Modell Geldgeschenke machte.
Dieses harmlose Beisammensein in reiner Ungebundenheit wurde den jungen Leuten von Tag zu Tag erfreulicher, ja zum Bedürfnis. Und doch mischte sich keine Empfindung darein, welche über ein freundschaftliches Wohlwollen hinausgegangen wäre. Jedes wußte vom anderen genug, um den Nachwirkungen noch kaum überwundener Erlebnisse Rechnung zu tragen. Sie brachten niemals die Rede darauf, aber das wachsende Vertrauen gab zuweilen durch Andeutungen Kunde, daß sie mit ihren Lebenserfahrungen bekannt waren. Vielleicht wirkten auch ihre gleichen Lebensjahre mit zu einer mehr geschwisterlichen Beziehung. Elfriede fühlte sich in Chlodwigs Gegenwart so sicher wie in der eines Bruders, und zwar eines jüngeren Bruders, den sie in manchen Punkten seiner Entwickelung zwar etwas übersah, auf dessen Charakter, Tapferkeit und Schutz sie sich aber verlassen konnte. Sie freute sich, daß sein Aussehen frischer zu werden anfing, sie nahm mit Genugtuung wahr, auf wie zahlreichen Gebieten er sich bereits gebildet und unterrichtet zeigte.
Eines Nachmittags hatten sie in der Nähe der Stadt unter einem breitschattigen Baume Platz genommen. Es war eine kleine Anhöhe, von welcher Elfriede eine Übersicht aufnehmen wollte. Einfach genug: Im Vordergrunde das Kornfeld, darüber die Türme, Dächer und Gärten der Stadt. Chlodwig, der zu lesen versprochen, zog aus der Brusttasche diesmal ein sehr kleines Büchlein, und faßte aus Versehen ein Notizbuch mit, welches er fallen ließ. Indem er danach griff, flogen einige beschriebene Blätter heraus, derer sich der Wind bemächtigte. Eins derselben geriet auf Elfriedens Zeichenbuch. Sie reichte es ihm mit den Worten: »Es sind Verse darauf geschrieben! Soviel habe ich gesehen!« Da er leicht errötete, fuhr sie fort: »Sind die Verse etwa von Ihnen selbst? Ich traue Ihnen dergleichen zu!«
»Nun – ja!« entgegnete er zaudernd. »Und so will ich nur gleich bekennen, daß ich diese Blätter schon seit mehreren Tagen bei mir trage, um sie Ihnen vorzulesen, es aber immer nicht gewagt habe!«
»Lesen Sie!« rief Elfriede heiter, »Oh, allerliebst, daß der lustige Wind vom Ährenfelde her mit zu dieser Entdeckung helfen mußte! Ich höre zu!« Sie legte den Bleistift nieder, um ganz aufmerksam zu sein, und er begann zu lesen:
»Liegt im Nebeldunst das Tal
In der frühen Morgenstunde?
Tauscht mit düstrer Tageskunde
Wieder nur der Träume Qual?
Ach, es strebt zu hellrem Lichte
Längst die Brust aus banger Nacht!
Drum hinauf die Flügel richte,
Seel' und Sinn, zum Tag erwacht!
Aus dem ersten Schwung empor
Quillt ein himmlisches Gesunden,
Und die Sonn' ist schon gefunden,
Die dein Träumen nur verlor!
Von lebend'gem Glutensegen
Wieder bis ins Herz erwärmt,
Fühlst du schwinden jedes Regen,
Das dich bitter einst gehärmt!
Nun mit jeder Zuversicht
Komme wieder Lust und Streben!
Schön und reich ist alles Leben,
Wenn's im Herzen rein und licht!
Nicht mehr scheuchst du, Morgenstunde,
Mich in Dämmerung zurück!
Denn mir drang zum Herzensgrunde
Meiner Sonne Strahlenglück.«
Elfriede nickte ihm Beifall, ohne denselben in Worte zu fassen. »Schenken Sie mir das Blatt!« begann sie darauf. »Ich möchte es öfters lesen!«
Er überreichte es ihr, diesmal hoch errötend vor Freude.
»Haben Sie da noch mehr?« fuhr sie fort, »Ich sehe noch einige Blätter. Der Anfang ist überwunden, nun teilen Sie frisch mit, was Sie haben.«
Chlodwig las noch einige Gedichte, nach deren Anhören Elfriede schweigend in die Hände klaschte. »Wissen, Sie auch, wodurch Sie mich sehr überrascht haben?« sagte sie darauf, indem sie ihn mit frohen Augen anblickte. »Daß Ihre Lieder so frei und lebensmutig klingen! Ich habe eher etwas Melancholisches erwartet.«
Er schlug die Augen nieder. »Damit hätte ich allenfalls auch aufwarten können – werde mich aber hüten!« entgegnete er, »Es ist noch nicht lange her, daß ich mich nur in trostlosen Molltonarten versuchte, jetzt aber weiß ich, daß dergleichen aus krankhaften Stimmungen hervorgegangen ist, und ich nichts in Verse gebracht, was nicht andere schon besser gesungen haben.«
Elfriede hatte ihren Zeichenstift wieder in Bewegung gesetzt. »Wie hübsch ist doch,« sagte sie nach einer kleinen Weile, »daß wir unsere Kunststudien so gleichsam zusammen treiben und gegeneinander austauschen können.«
»Es ist das erste Mal, daß ich eine solche Mitteilung wage!«
»Um so mehr freue ich mich, daß mir zum erstenmal ein Dichter etwas vorgelesen hat, und daß ich sein Gedicht sogar zum Geschenk erhalten habe!«
»Ach, mein gnädiges Fräulein!« seufzte Chlodwig, »Sie geben mir da einen Namen, an den ich noch nicht Anspruch gemacht; denn mein Versemachen ist bisher reines Naturprodukt gewesen; einen Namen, auf den ich auch für künftig nur freiwillig zu verzichten habe! Soll und darf ich doch meiner Neigung, meinem innersten Trieb nicht leben! Sie wissen ja, ich bin an diese schreckliche Fabrik meines Vaters gebunden!«
»Warum nicht gar!« rief Elfriede lachend, indem sie aufstand. »Da Sie die Fabrik schrecklich finden, werden Sie sich künftig auch nicht an sie binden. Kommt Zeit, kommt Rat. Girgl! Nero! Wo sind denn die beiden!«
Sie kamen gesprungen. Obgleich die Dämmerung zu sinken begann, wurde beschlossen, den Heimweg durch den Wald zu nehmen. Chlodwig war sehr heiter, munterer als jemals geworden, und seine Stimmung teilte sich Elfrieden mit. Allerlei Scherzhaftes kam zur Sprache, sie lachten viel, sie waren zum erstenmal seit ihrer Bekanntschaft ein paar ausbündig vergnügte junge Leute. »Ach!« rief Elfriede plötzlich: »Wenn Ihre seligen fünf Tanten aus der Urzeit noch lebten, was würden sie zu unserem Verkehr, zu unserer köstlichen Waldfreiheit sagen? Wie anstößig würde mein Betragen den wackeren Damen erscheinen!«
»Was versteht der Philister von Freiheit, von Menschengefühl, vom Werte des Daseins?« rief Chlodwig. »Was wissen die Pedanten von allem Schönen, was uns beglückt? Sie nehmen das Leben aus dem Regelbuche der Alltäglichkeit, wir aber halten das Recht der guten Stunde fest!«
»Ach! Ach! Sehen Sie doch!« rief Elfriede plötzlich von Erstaunen hingenommen, und hemmte ihren Schritt. »Was ist das?«
Ein magisches Licht ergoß sich durch den Wald, in bläulichen, goldenen und röthlichen Farbentönen. Es wechselte, ging ineinander über, streifte heller nach oben, senkte sich wieder zu den Büschen. Um das Unterholz aber schwebten Funken um Funken, Tausende, Millionen, von welchen das Licht ausging; hier in Gruppen, eine leuchtende Glorie um sich verbreitend, dort einzeln, wie einsam kreisende Steine, den weichen Flug in die Wipfel richtend. Sie senkten sich auf die Wandelnden, setzten sich auf Elfriedens Hut und Schulter, sie streuten über ihr Gewand eine goldleuchtende Stickerei.
»Umgibt uns eine Märchenwelt?« rief sie, die dergleichen noch nicht gesehen hatte. »Sind wir in einen Zauberwald in Oberons Reich geraten?«
»Sommernachtstraum! Sie haben recht!« entgegnete Chlodwig heiter. »Morgen ist Johannistag! Leuchtkäfer, Glühwürmchen, Elfenlichter nehmen ihre Stunde wahr! Girgl, wie ein ungebärdiger Puck, springt umher, die schwebenden Lichter zu haschen und zu necken, während der Kobold Nero durch die Büsche jagt und rast!«
Elfriede ging, von heiliger Scheu vor diesem Naturschauspiel ergriffen, dahin und fand für ihr Entzücken keine Worte. War es doch, als sollte das Flimmern, Aufleuchten, das langsam durcheinander schweifende Lichterspiel nicht enden! So kamen sie zum Waldesrande, der vom grasigen Boden bis zu den Stämmen noch einmal wie mit Kränzen und Gewinden von Edelsteinen geschmückt schien. Draußen aber standen die Sterne ruhend in der Höhe, und von den Kornfeldern wehte würziger Hauch durch die Kühle. Vor der Tür des Hellerschen Häuschens trennten sich die Freunde. »Ich bin so dankbar für alles, was der Tag mir heute geschenkt hat!« sagte Elfriede. »Und auch Ihnen habe ich zu danken!« Chlodwig aber bat sich aus, sie auch morgen abholen zu dürfen, da er sich für den Johannistag etwas besonders Festliches ausgesonnen habe.
Die holden Eindrücke eines harmlos genossenen Tages gaben Elfrieden die reinste Stimmung, und selbst im Traume umgaukelten sie noch Bilder aus dem Feenreich, in welches sie einen Einblick getan zu haben wähnte. Als sie aber morgens erwachte, vernahm sie eigentümliche Töne, wie sie solche während der Zeit ihres Waldlebens noch nicht gehört hatte. Ein Rieseln und Plätschern machte sich vernehmlich. Grau und mürrisch lagerte die Wolkendecke über der Gegend, und schüttete langsam einen ausgiebigen Landregen nieder. »O weh! da verregnet ein Johannisfest!« dachte sie. »Und nicht allein mir!« – Denn die Bewohner des Ortes hatten draußen auf dem Anger allerlei vorbereitet, die Jugend hoffte auf Wettspiele und Tanz, um den Tag fröhlich zu genießen. Gewöhnt, nach der Sitte des Hauses, den Tag früh zu beginnen, kleidete sie sich an, um Frau Heller am Frühstückstische zu begrüßen. Da hielt ein Wagen vor der Tür, und heraus sprang Chlodwig, mit sichtlich verstörten Zügen. Sie trat ihm auf der Schwelle entgegen.
»Ich komme Abschied zu nehmen!« rief er. »Und zwar nur hastig, im Fluge! Ein Brief, den ich gestern abend vorfand, ruft mich nach Hause. Ich gehe vielleicht dem Schrecklichsten entgegen!«
»Ist es so ernsthaft?« fragte sie. »Doch nicht ein wirkliches Unglück?«
Chlodwig senkte seine Stimme, und fast im Flüsterton sagte er hastig: »Die Fabrik ist geschlossen, die Kasse hat ihre Zahlungen eingestellt – es scheint ein vollständiger Zusammenbruch – und so plötzlich, so unerwartet! Oh, möchte doch alles dort zugrunde gehen – aber mein Vater! Mein armer, unglücklicher Vater!«
»Was ist mit ihm? Sagen Sie mir alles!«
»Der Brief ist nicht von seiner Hand! Ich lese eine Andeutung darin – o mein Gott, wie werde ich ihn wiederfinden! Leben Sie wohl, teuerstes Fräulein! Ich muß eilen, darf den Anschluß an den Bahnzug nicht versäumen, wenn ich meinen Vater heut' noch sehen will. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen schreibe? Leben Sie wohl!« Er ergriff ihre Hand, drückte seine Lippen darauf und sprang in den Wagen. Wenige Augenblicke darauf war er im grauen Regenschleier der Landstraße verschwunden.
Elfriede ging ergriffen in ihr Zimmer zurück. So schnell und unvermutet, mit einem erschreckenden Mißklange, war das Ende der schönen Gemeinsamkeit gekommen. Chlodwigs schmerzliche Erfahrung ging ihr nahe, die Ungewißheit seines Geschickes beschäftigte ihre Gedanken.
Es regnete den ganzen Tag, Herr Heller sagte, der hundertjährige Kalender habe wieder recht behalten, und es werde wohl die nächsten Wochen so fortdauern, ja sogar einen sehr nassen und schlechten Sommer geben. Unter den Nachbarn fanden sich auch einige von den »ältesten Leuten«, welche aussprachen, daß, wenn es in dieser Gegend um Johanni anfange zu regnen, an ein Aufhören nicht so bald zu denken sei.
Der Hundertjährige und die Ältesten schienen richtig geweissagt zu haben. Mit dem Schweifen durch Wald und Feld war es vorüber. Elfriede nahm ihre Zeichenbücher, um manches, was sie draußen nur flüchtig angelegt hatte, auszuführen. Sie suchte Unterhaltung in ihren mitgebrachten Büchern. Diese aber reichten bald nicht mehr aus, und sie wurde verlegen um Beschäftigung. Nach acht Tagen kam ein Brief von Chlodwig – nur kurz gefaßt, aber es stand genug darin zu lesen. Daß der Fabrikherr nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern in der Verzweiflung Hand an sich gelegt hatte, war nicht ausgesprochen, aber sie verstand es aus der Andeutung. Offen aber bekannte Chlodwig, daß aller Besitz verloren und ihm nichts als ein häßlicher Prozeß mit fraglichem Ausgang übrig geblieben sei. Schon einige Tage darauf langte auch ein Brief von Dornberg an. Er bestätigte mit vielem Anteil das Geschick seines Freundes, vorwiegend aber wiederholte er seine Einladung und bat um den versprochenen Besuch. Elfriede hatte nicht mehr die Absicht, darauf einzugehen. Eine warnende Stimme hielt sie ab, als Gast unter einem Dache zu erscheinen, dessen Hausfrau sie noch nicht kannte, während der Hausherr sie als seine Freundin anredete. Ihr Entschluß war gefaßt. Ein Regensommer deuchte ihr für ein fleißiges Arbeiten in der Hauptstadt nicht übel, zumal sie die große Welt nach allen Gegenden hin zerstreut wußte. Sie brachte, trotz der triefenden Zweige und fast undurchdringlicher Wege, dem Walde noch einen letzten Gruß, um sich darauf auch von ihren alten Gastfreunden zu verabschieden. – –