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Peter Thornquist saß wartend im Vorzimmer der Englischen Botschaft. Von unten schlug gedämpft der Lärm der Straße Unter den Linden zu den Fenstern herauf. Irgendwo summte ein Klingelsignal durch die Stille. Gelegentlich, wenn sich eine Tür öffnete, hörte man den leisen Rhythmus der Schreibmaschinen.
Der Botschaftssekretär trat ein; Peter Thornquist erhob sich.
»Der Auftrag ist noch nicht eingegangen, Herr Thornquist. Aber der Botschafter sagt: es könne nur eine Frage von zwei, drei Tagen sein.«
»Wollen Sie mir vielleicht auf alle Fälle einige Details geben? Ich könnte mich vielleicht inzwischen mit der Materie vertraut machen.«
Der Sekretär warf einen schnellen Blick in Thornquists Gesicht; es schien, als ob er verlegen werde.
»Leider unmöglich, Herr Thornquist.«
»Sie haben noch keine Direktiven von Scotland Yard?«
»Doch. Sie sind heute früh eingetroffen.«
»Nun also?«
Der Sekretär zuckte die Achseln. »Sie lassen nicht locker, Thornquist. Ich muß Ihnen also rund heraus sagen: Die Angelegenheit, in der Sie diesmal für uns auf die Reise gehen sollen, ist außerordentlich diffizil. Unser Auftraggeber befindet sich in hoher diplomatischer Stellung. Er wohnt in London; er hat Scotland Yard gebeten, einen Vertrauensmann zu wählen, der für diese besonders schwierige und delikate Aufgabe geeignet ist. Inspektor Fisher hat an den Rand des Briefes geschrieben: ›Wäre etwas für Mr. Thornquist‹.«
Thornquist verbeugte sich. »Nun, Sie sehen wohl?«
»In dem Aktenstück befindet sich indessen die Randbemerkung: ›Nach Lage des Falles dürfen die Interessen unseres Auftraggebers unter keinen Umständen der Diskretion des Beauftragten preisgegeben werden. Er ist daher immer nur soweit zu informieren, wie es seine Tagesaufgabe erfordert‹.«
Thornquist nahm den Hut.
»Sie sprechen wohl wieder vor?«
Jener blieb wartend an der Tür stehen.
»Wollten Sie noch etwas?« erkundigte sich der Sekretär augenzwinkernd.
»Ich kann es nicht leugnen« sagte Thornquist. »Ich wollte in der Tat etwas. Nämlich Geld.«
»Vorschuß? Tut mir leid. Sobald der Auftrag perfekt ist: selbstverständlich. Aber so lange müssen Sie schon warten.«
»Well, good bye.«
Thornquist schloß den Drehknopf des hohen Tores hinter sich und wandte sich zur Linken, den Linden zu. Dort drüben der Tiergarten glühte in herbstlichen Farben; das Licht der untergehenden Sonne übergoß die Baumkronen schmeichelnd mit tiefrotem Licht.
Eben blinkte das grüne Signal auf; der Strom der Autos vom Brandenburger Tor, der sich widerwillig gestaut hatte, setzte sich in Bewegung.
Ein offener Wagen, in dem eine junge Dame saß, fuhr an Thornquist vorüber. Das war gewiß nichts besonderes. Aber er fühlte plötzlich, daß ihn die Dame betrachtete. Wie unter einer unbegreiflichen Suggestion wandte er den Kopf. Und plötzlich erkannte er in der Insassin des Wagens die Frau aus jener Nacht in New York.
Die Dame im Pyjama ...
Er fühlte, wie ihm einen Moment lang das Herz stockte. Auch sie hatte ihn erkannt, es war kein Zweifel. Das war ihr schwarzes Haar, das waren ihre großen dunklen Augen, die so seltsam stilrein mit dem Dunkel des Teints harmonierten. Der Verfolger hatte ihren Namen genannt; hundertfach, im Tempo des Tages, hatte er den schwingenden Rhythmus dieses fremdartigen Klanges zärtlich wiederholt: Susie Lacombe.
Und auch sie hatte ihn gesehen ...
Er blickte dem Wagen nach. Ihm war, als ob sie zu ihm zurückspähe, aber das konnte eine Täuschung sein. Ein Trugbild seiner sehnsüchtigen Gedanken.
Dann fiel ihm ein: wie hoffnungslos war das alles! In dieser Riesenstadt hatten sich zwei Wege gekreuzt, einen Atemzug lang berührt – um für immer auseinanderzuführen.
Nein. Das war ein Irrtum. Der Wagen hielt.
Die junge Dame stieg aus. Sie wandte den Kopf leicht zur Seite, ihm schien als ob sie ihn mit den Blicken suche. Aber die Straße war voller Menschen.
Langsam ging sie auf das Hotel zu, vor dem der Wagen hielt. Vielleicht erwartete sie, daß er sie begrüßen würde? Ach nein, das alles waren Wünsche, Hoffnungen, Träume eines Verliebten. Als er den Hoteleingang erreicht hatte, war sie längst im Innern des Hauses verschwunden.
Aber ihm fiel ein, daß er das Nächstliegende übersehen hatte; vermutlich wohnte sie in diesem Hotel. Er brauchte sich nur an der Rezeption zu erkundigen.
Fast mußte er lachen bei dem Gedanken, wie einfach die Dinge sind, und wie sehr sich der Mensch bemüht, sie zu komplizieren.
Thornquist ging hinein und fragte.
»Miss Susie Lacombe?« Der Portier zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht. Bitte warten Sie einen Augenblick.«
Er schlug ein Buch auf, schloß es wieder; dann stellte er eine Frage ins Telephon.
»Nein, mein Herr. Der Name ist hier unbekannt. Ein Fräulein Susie Lacombe wohnt nicht bei uns.«
Nun stand er wieder am Anfang aller Dinge. Hier drinnen, in diesen Räumen, aus denen weiches Licht schimmerte, war die Frau, an die er alle diese Zeit gedacht hatte. Und er sah keine Möglichkeit, sich ihr zu nähern. Denn der Aufenthalt in diesem Hause erforderte Geld. Er faßte verstohlen in die Tasche. Die paar Silbermünzen reichten allenfalls für das Trinkgeld.
Mißmutig trat er auf die Straße hinaus. Die Dinge erschienen ihm seltsam verändert: die Welt war grauer geworden. Dunkler. Illusionslos.
Ein Windstoß fegte durch die Straße; er trieb kreisende Blätter vor sich her, Papierfetzen – wirbelnde Abfälle, reif für den Besen des Straßenkehrers.
Während er, sozusagen gegen seinen eigenen Willen, langsam der Friedrichstraße zuging, die Augen nachdenklich auf den Boden geheftet, flatterte ein bläuliches Papier zu seinen Füßen vorüber.
Betroffen blieb er stehen. Das Papier war vierteilig zusammengelegt. Diese blaugraue Farbe ... der Aufdruck ... er hatte gute Augen ... er fühlte, daß in dieser Sekunde irgend ein Gott ihm zulächelte. Daß mit diesem grauen Fetzen Papier das Glück an ihm vorüberwirbelte.
Er sah sich verstohlen um. Niemand achtete auf ihn; keiner sah auf die Banknote, die dort lag: unter welkem Laub, Zigarettenstummeln, Papierfetzen.
Er bückte sich hastig, ergriff den Schein; einen schnellen Blick auf die Zahl: Hundert Mark.
Der Schutzmann dort drüben schien herüberzublicken. Gelassen schob Thornquist den Hundertmarkschein in die Manteltasche; dann ging er schlendernd an den erleuchteten Schaufenstern vorüber dem Hotel zu.
*
Merkwürdig: welches Selbstvertrauen ein Hundertmarkschein verlieh! Der Boy drehte, die Mütze in der Hand, wirbelnd die Glastür. Der Portier grüßte. Irgend jemand riß Flügeltüren auf. Die Garderobiere erschien. Mit zärtlichem Blick nahm sie Besitz von seinem Mantel, seinem Hut; er ging weiter, quer durch die Halle.
Ein junges Tänzerpaar wiegte sich, umgeben von einem Kreis von Bewunderern, im Rhythmus der Tangomelodie. Er kannte die beiden: es waren der Baron und die Baronin van Steen, Amateure, die auf einer Konkurrenz alle Professionals besiegt hatten. Applaus setzte ein.
Thornquist schlenderte suchend durch die Reihen.
Susie Lacombe war nicht in der Halle.
Er ging die Treppe hinauf, die zum Speisesaal führte. Jemand verbeugte sich. Wieder taten sich Glastüren auf.
Über dem Saal lag jene Stille, die allen Hotelsälen der Welt um diese Zeit eigentümlich ist: die Erwartung eines festlichen Abends, erfüllt von funkelndem Licht, von Gläserklang, von Frauenlachen.
Auch hier war die Gesuchte nicht.
Von irgendwoher kam das gedämpfte Klirren des Silbers.
Die kleine Jazzband warf quäkend die ersten Takte eines Foxtrotts in den Saal. Drüben, in einer Nische, saß eine Gesellschaft von dunkelhaarigen Leuten, die irgend etwas feiern mochten. Zehn oder zwölf. Russen.
Im übrigen das bekannte Bild. Amerikaner, im Smoking, mit ihren Damen. Vielleicht im Begriff, in eine Revue zu fahren.
Ein paar neue Gäste erschienen.
Der Geschäftsführer, in eigener Person, blickte Thornquist erwartungsvoll entgegen und deutete auf einen Tisch in bevorzugter Lage: vis-à-vis der Jazzband.
Peter Thornquist hatte ursprünglich die Absicht gehabt, seine Wanderung, sein Suchen nach Susie, fortzusetzen. Aber die einladende Geste des Geschäftsführers hatte etwas so Suggestives, daß Thornquist ihr gehorchte. Schließlich war es immerhin wahrscheinlich, daß sie in diesen Raum kommen würde. Außerdem vermochte er die große Vorhalle von hier aus zu beobachten; sie konnte das Hotel nicht verlassen, ohne daß er sie sah.
Zwei Kellner erschienen diensteifrig. Der Geschäftsführer hob die Hand. Das bedeutet: ich werde die Bestellung selbst aufnehmen. Thornquist war von jenem Typ, der, Gott weiß aus welchen Kombinationen, den Hotelleuten Respekt einflößt. Vielleicht daß man ihm den Weltreisenden ansah; vielleicht war es das offene Lächeln, das die berufsmäßigen Menschenkenner für ihn einnahm.
»Darf ich Cannelons in Straßburger Art notieren?«
»Notieren Sie.«
»Dann vielleicht eine Hühnerrahmsuppe?«
»Bitte.«
»Wie denkt der Herr alsdann über einen Bluefish in Portwein-Sauce? Sonst hätten wir noch Gekochte Lachsforelle mit Sauce Riche.«
»Danke. Nein.«
»Als Zwischengericht möchte ich Gedämpfte Lammrippchen vorschlagen. Oder zieht der Herr Römische Pastetchen vor? Oder, eventuell, Küken sauté Wissmann?«
Thornquist fühlte, mit Daumen und Zeigefinger, nach dem Hundertmarkschein, der zusammengefaltet in der Billettasche steckte.
»Pasteten.«
»Sehr wohl, mein Herr. Darf ich etwas vom Kalten Büffet notieren? Wir haben heute frischen Hummer bekommen.«
»Ich danke.«
»Was wählt der Herr als Hauptgang? Roastbeef mit Bratensaft? Gebratenen Puter mit Kronsbeersauce? Gefüllte junge Masttaube?«
»Was für Salate ...«
»Ich glaube« sagte Thornquist, »ich werde von dem, was Sie notiert haben, einigermaßen gesättigt werden.«
»Welche Weine nimmt der Herr zu den einzelnen Gängen? Hier ist die Karte.«
»Schicken Sie mir eine Flasche Sekt. Burgeff.«
»Sehr wohl, mein Herr.«
Mit der ganzen Würde seines verantwortungsvollen Amtes riß der Direktor den Zettel vom Block und übergab ihn dem ausführenden Kellner.
Es ist reizend, dachte Thornquist, während er dem geschäftig Davoneilenden nachblickte. Ich begehe eine Unehrlichkeit, einer Frau zuliebe, von der ich gar nicht weiß, ob sie überhaupt an mich denkt. Da kommt nun irgend ein Mensch im Frack daher, liest mir hochtrabende Gerichte vor, und ich bin wahrhaftig zu schwach, zu feige, um einfach Nein zu sagen. Und dabei besteht die größte Wahrscheinlichkeit, daß bei diesem ganzen Abend nichts herausschauen wird als ein lukullisches Mahl, aus dem ich mir nichts mache. Denn daß Susie Lacombe überhaupt noch erscheinen wird ...
Es ist eine oft beobachtete Tatsache, daß den Menschen, die nicht über die Seelenkräfte verfügen, ihr Schicksal selbst zu meistern – daß solchen Menschen das Leben selbst oft überraschend zuhilfe kommt. Thornquist hatte sich, ganz gegen seinen Willen und gegen seine Interessen, in diesem Winkel des Saales niedergelassen, mit der Aussicht auf ein Abendessen, das ihn eine gute Stunde beschäftigen würde. Die Wahrscheinlichkeit bestand, daß in dieser einen Stunde, auf die alles ankam, seine Chancen zerrinnen würden: daß die Frau, um deretwillen er hier war, verschwinden würde, während er bei diesem verwünschten Souper saß. Verschwinden – trotz der herrlichen Aussicht über die Hotelhalle.
Nichts von alledem geschah. Das Leben kam Peter Thornquist zuhilfe. In dem Augenblick, da er erkannte, daß alles aus war:
Susie Lacombe betrat den Saal.
Das war ein solch unerwartetes Glück, daß Thornquist dem Kellner, der ihm eben die Cannelons auf Straßburger Art servierte, einen geradezu liebevollen Blick zuwarf. Den dieser herzlich erwiderte.
Aber im nächsten Augenblick schon erfror das Lächeln in Thornquists Gesicht. Denn Susie Lacombe war nicht allein.
Sie ging an der Seite ihres Begleiters mit langsamen Schritten durch den Saal. Der Herr zu ihrer Rechten war eher klein als groß; er war dunkelblond und hatte lustige Augen. Ein Grund für Peter Thornquist, ihn zu beneiden. Denn er wußte, daß er, selbst wenn er fidel war, gewöhnlich ein durchaus ernstes Gesicht machte.
Die beiden nahmen schräg gegenüber von seinem Tische Platz. Der Kellner kam. Sie gaben irgend eine eilige Bestellung.
Susie schien keinerlei Notiz von Thornquist zu nehmen.
Behutsam und diensteifrig brachte der Kellner die Römischen Pastetchen. Während er sie servierte, sagte er, offenbar durch Peters freundliches Lächeln von vorhin ermutigt:
»Noch ein bißchen früh, mein Herr.«
»Ja, ja« nickte Peter.
»Noch ein bißchen langweilig hier. Aber der Herr wird sehen: in einer halben Stunde wird das Bild anders.«
»So so.«
Der Kellner entkorkte die Worcestershire-Flasche und stellte sie vorsichtig in den silbernen Behälter.
»Der Herr wird sehen: es kommen schöne Frauen zu uns.«
Thornquist nickte. »Kennen Sie vielleicht die Dame dort drüben? Die mit dem Herrn, der eben den Wein einschenkt?«
»Nein, mein Herr. Ich kenne sie nicht.«
Ein Lichtsignal leuchtete auf; der Kellner verschwand.
Sie nimmt keine Notiz von mir, dachte Peter. Sie ist in den Herrn an ihrer Seite verliebt; man sieht es, daß sie verliebt ist. Vielleicht ist es ihr Mann.
Aber während er sich bemühte, sich selbst zu beweisen, daß er ein Esel gewesen war, sah er plötzlich zu seinem Erstaunen, daß Susie, die den Kopf in die Hand gestützt hatte, zu ihm hinüberblickte. Während sie ihn betrachtete – es war keine Frage, sie betrachtete ihn – sprach sie zu ihrem Begleiter. Und nun sah Thornquist, daß auch der Herr an ihrer Seite seine Augen auf ihn gerichtet hatte.
Es war nicht schwer, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die beiden von ihm sprachen.
Der Kellner erschien, gefolgt von einem zweiten, der den Serviertisch heranrollte. Während der zweite den Puter liebevoll zerlegte, sagte der erste, indem er einen Löffel Sauce auf Thornquists Teller goß:
»Hat der Herr schon den neuen Reklametrick gesehen?«
Damit legte er einen zusammengefalteten Hundertmarkschein vor Thornquist auf den Tisch.
Peter konnte sich nicht verhehlen, daß in diesem Moment ein entsetzlicher Gedanke in ihm aufstieg. Er entfaltete die Note; die Vorderseite war scheinbar korrekt, die eines Hundertmarkscheins; der Kellner wandte das Blatt herum. Auf der Rückseite stand:
Der Staubsauger
»
Taifun«
ist der beste.
»Ulkig, was?« fragte der Kellner.
»Sehr ulkig« nickte Thornquist.
»Wenn man diesen Zettel so in die Hand nimmt, nicht wahr, man könnte denken, nicht wahr, es wär ein Hundertmarkschein. Ich wette, mancher Dumme aus der Provinz fällt darauf herein. Nicht wahr?«
Peter fühlte in die Tasche, in der, zwischen Daumen und Zeigefinger knisternd, sein Schicksal ruhte. Wann wurde dieser verwünschte Kellner endlich fertig? Er tranchierte an dem Puter herum; er drehte die Sektflasche im Kübel; endlich goß er langsam und behaglich ein. Bei alledem hatte er dieses fatale Lächeln; ahnte er ... oder gingen die Nerven mit Peter durch?
Er blickte hinüber zu Susie. Die beiden sprachen eifrig miteinander; wieder war es ihm, als ob Susie zu ihm hinübersähe. Wie schön sie war! Der fremdartige Reiz ihres dunklen Typs kontrastierte seltsam mit dem matten Glanz ihres roten Abendkleides.
Er riß sich aus seiner Versunkenheit los. Der Kellner war fort. Endlich!
Peter faßte in die Tasche. Indem er den Schein herauszog, wußte er, was nun kommen mußte.
Er entfaltete die Note, langsam, gleichgültig.
Er drehte sie herum.
Auf der Rückseite stand:
Der Staubsauger
»
Taifun«
ist der beste.
Eine Blüte ...
Ein Reklamezettel ...
Er drehte den Kopf zur Seite. Stand dort nicht der Kellner? Lächelnd? Beobachtete er ihn nicht heimlich?
Nun kam er langsam näher; den Rechnungsblock in der Hand.
Zum Teufel, es mußte einen Weg geben, aus dieser Klemme zu entkommen. Ein Peter Thornquist wurde nicht zum Zechpreller. Um ein paar lumpiger Mark noch dazu. Er hatte wenig Bekannte in dieser Stadt; aber er erinnerte sich des japanischen Attachés, den er von New York her kannte. Der mußte ihm aushelfen.
Er erhob sich, um ans Telephon zu gehen.
Der Kellner stand plötzlich vor ihm. »Der Herr wünscht zu gehen? Darf ich die Rechnung geben?«
»Bitte.«
Der Zettel war schon fertig ausgeschrieben; der Kellner riß ihn aus der Perforation.
»Zweiundfünfzig Mark, wenn ich bitten darf.«
»Wo ist das Telephon?«
Der andere antwortete, mit einem kaum verhehlten überraschten Blick in Thornquists Gesicht:
»Dort drüben, bitte« und sah ihm forschend nach, während er an den Apparat ging.
Es wäre gegen alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit gewesen, gegen alle Wissenschaft von der Macht der Serie – wenn Thornquist den Attaché an diesem Abend telephonisch erreicht hätte. Natürlich war der Baron Takuma nicht zu Hause. Und ebenso natürlich wußte niemand, wo er zu erreichen war. Man vermutete ihn im Speisesaal des Hotels, in dem Peter eben saß; aber das war eine Annahme, die er als irrig zurückweisen konnte.
Also schön, dachte Peter, während er mit gleichmütigen Schritten an seinen Tisch zurückging. Ich werde dem Kellner also jetzt sagen, daß ich kein Geld habe. Den Gefallen, ihm zu erklären, auch ich sei mit jener Blüte hereingefallen: diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Es gäbe vielleicht noch die Möglichkeit, an die Englische Botschaft zu telephonieren. Aber da man bereits unzweideutig Nein gesagt hat, wäre das von vornherein sinnlos. Außerdem: die Engländer sind in Geldsachen entsetzlich komisch; und endlich würde ich mir meine Chancen verderben. Ich muß sehen, wie ich durchkomme. Ich könnte sagen, ich hätte mein Geld zu Hause liegen lassen. Aber dann würde man vielleicht mit mir ein Auto besteigen, und zu Hause würde sich herausstellen, daß ich gelogen habe. Ich muß es draufankommen lassen. Das ist eine verdammte Situation, weiß Gott. Aber es ist die Strafe für diesen blödsinnigen Einfall: von gefundenem Gelde leben zu wollen.
Gott sei Dank, der Kellner war nicht zu sehen. Das bedeutete eine kurze Gnadenfrist.
Er sah hinüber. Auch Susie mit ihrem Begleiter war verschwunden.
Dort, vor ihm, auf dem Teller lag die Rechnung. Zweiundfünfzig Mark ...
Er nahm sie gleichgültig in die Hand. Das war kaum Verstellung; denn in der Tat hatte er sich in diesen zwei Minuten in seine Rolle als Zechpreller bereits hineingelebt.
Während er die Rechnung zusammenfaltete, fiel sein Blick plötzlich auf den Stempel:
Betrag erhalten.
Und irgend ein Name, den er nicht lesen konnte.
Was hieß das: Betrag erhalten? War das eine vorweggenommene Quittung in Erwartung der sofortigen Zahlung?
Ja ja. So mußte es sein. Aber warum war dann der Kellner fortgegangen?
Eben kam er durch den Saal. Als er an Thornquist vorbeiging, machte er eine respektvolle Verbeugung – und ging weiter.
Er benimmt sich wie jemand, der ein gutes Trinkgeld bekommen hat, dachte Thornquist kopfschüttelnd.
Dann, als jener zurückkam, winkte er ihn mit den Augen heran.
»Mein Herr ...?«
Herrgott, was wollte er ihn denn nun eigentlich fragen?
»Womit kann ich dienen, mein Herr?«
»Sagen Sie, Ober: was bedeuten diese Worte: Betrag erhalten?«
Der Gefragte sah ihn an, mit einem Blick, aus dem deutlich die Worte sprachen: Ist dir vielleicht der Sekt ein bißchen zu Kopf gestiegen?
»Das ist die Quittung, mein Herr!«
»Das kann ich mir ungefähr denken«, antwortete Thornquist, ärgerlich über seine eigene Unsicherheit. »Ich meine: wer hat denn seinen Namen unter diese Quittung gesetzt?«
»Ich, mein Herr«, antwortete der Kellner, immer erstaunter.
Thornquist ließ nervös die Hand auf die Tischplatte fallen.
»Sie erweisen mir ein großes Vertrauen«, begann er langsam; ja, das war die richtige Argumentierung; Peter hatte ein paar Semester Jura gehört, an die er sich bei solchen Gelegenheiten gern erinnerte.
Der Kellner sah ihn verständnislos an.
Peter fühlte, wie ihm der Mut angesichts der Hilflosigkeit des andern wuchs.
»Stellen Sie sich einmal vor, ich würde jetzt behaupten: ich hätte diese Rechnung bezahlt. Die Quittung beweist es. Denn sie ist gestempelt und unterschrieben. Haben Sie keine Angst – ich werde es nicht behaupten! Aber gesetzt den Fall: was wollten Sie dann machen?«
Der Kellner sah einen Augenblick schweigend auf Thornquist. Dann sagte er kopfschüttelnd:
»Ich kann Sie mit dem besten Willen nicht verstehen, mein Herr. Diese Rechnung ist doch bezahlt.«
»Bezahlt ...?« stammelte Peter fassungslos.
»Aber die Zweiundfünfzig Mark lagen doch auf dem Teller. Als Sie in der Telephonzelle waren, habe ich sie selbst fortgenommen. Nicht wahr« – der Kellner warf einen diskret lächelnden Seitenblick auf die geleerte Sektflasche – »der Herr hatte es wohl vergessen ...?«
Thornquist tat einen tiefen Atemzug. Dann, als ob er sich mühsam, durch den Nebel eines Sektrausches hindurch, einer belanglosen Tatsache erinnere, sagte er aufatmend:
»Mein Gott – natürlich habe ich bezahlt! Ich hatte es in der Tat völlig vergessen!«
Der Kellner machte eine verständnisvolle Verbeugung. Er nahm die Flasche, füllte das Glas mit dem Rest des Burgeff und zog sich mit geräuschlosen Schritten in den Hintergrund zurück.
Peter blickte in der Runde. Niemand sah auf ihn. Wenn ein heimlicher Gönner in diesem Saale war, so hatte er keinen Grund, sich zu verstecken.
Kein Blick traf ihn. Es war, als ob dieses Geld durch ein Loch in der Decke des Saales vom Himmel gefallen war. Direkt auf diesen Teller. Damit Herr Peter Thornquist aus Altona seine Zeche bezahlen konnte ...
Wieder blickte er hinüber. An jenem Tische hatte Susie Lacombe gesessen. War es die Hellsichtigkeit des Verliebten – oder war es die geistschärfende Wirkung des Weins: mit einem Schlage wußte er, daß es Susie Lacombe gewesen war, die ihn gerettet hatte.
Das war freilich eine neue Unbegreiflichkeit, die sich hier auftat. Woher wußte Susie von seinem Dilemma? Und welchen Grund hatte sie gehabt, ihm zu helfen?
Wo war Susie? Sie dachte an ihn, das bewies dieses Geld. Denn daß es von ihr kam, daran war im Ernst kein Zweifel mehr. Er mußte sie wiedersehen. Schon um ihr das Geld zurückzugeben. An dem Klopfen seines Herzens merkte er, daß im übrigen noch einige andere Gründe für ein Wiedersehen vorhanden waren.
Er faltete die Rechnung vierteilig zusammen, so wie der falsche Hundertmarkschein in seiner Tasche geknifft war.
Da sah er plötzlich, daß jemand auf die Rückseite der Rechnung mit Bleistift geschrieben hatte:
6477
Fast hätte er den Zettel an die Lippen gedrückt: das war eine Botschaft von Susie!
6477 ... offenbar eine Chiffre. Ein postlagernder Brief. Den er von ihr erwarten sollte. Wie verheißungsvoll das dastand: 6477 ...! Freilich: sie hatte vergessen, das Postamt zu nennen. Keine Kleinigkeit in einer Stadt, in der sich über hundert Postanstalten befinden. Aber, immerhin: welcher Verliebte würde nicht Mittel und Wege finden ...
Der Saal füllte sich. Peter stand auf, glückselig, von zärtlichen und liebevollen Gedanken berauscht.
Er ließ sich Hut und Mantel geben. Immer hatte er die Hoffnung, ihr noch zu begegnen. Irgendwo auf den Korridoren. In der Halle.
Er trat in die stille Feierlichkeit der Linden hinaus. Die Fliesen des Trottoirs glänzten im bläulichen Licht der Bogenlampen. Sternenfunkelnd spannte sich der Herbsthimmel über der Stadt; über allen Dingen lag ein verheißungsvolles und zärtliches Leuchten.
Er konnte sich nicht verhehlen, daß er verliebt war.
Eben fuhr ein Auto vor. Es war erleuchtet, obwohl es leer war. Das fiel ihm auf. Er ging an dem Wagen vorüber, dem Brandenburger Tor zu. Während sein Blick über den glänzenden Lack der Limousine glitt, fiel ihm plötzlich die Zahl in die Augen:
6477
Das war die Chiffre, die auf der Rechnung stand ...
Er blieb stehen. Der Chauffeur wurde aufmerksam; forschend blickte er dem Fremden ins Gesicht.
Zu Peters Erstaunen fragte der Chauffeur plötzlich:
» Sind Sie Herr Thornquist?«
Überrascht bejahte Peter.
»Bitte steigen Sie ein.«
Einen Augenblick stand der Aufgeforderte fassungslos. War das nicht am Ende doch etwa der Sekt? Er wußte zwar genau: dies waren die Linden – dort war das Hotel Bristol – hier stand ein Auto – hier leuchtete eine Nummer, die er kannte – trotz alledem: war das nicht der Gipfel der Unwahrscheinlichkeit, was sich hier vor seinen Augen zutrug? Er suchte eine Frau, die er in einer flüchtigen Minute, jenseits des Ozeans, gesehen hatte ... Diese Frau erschien plötzlich – verschwand wieder; und nun, in dem Augenblick, da wieder alles vorbei schien – in diesem Augenblick sagte ein herrschaftlicher Chauffeur: Bitte steigen Sie ein – und das konnte nur bedeuten: ich fahre Sie zu der Frau, die Sie lieben ...
Gleichwohl. Man mußte im Unglück Haltung zeigen; wo stand geschrieben, daß man es nicht auch im Glück zumindest versuchen sollte?
Er fragte also mit ruhiger Stimme: »Wohin wollen Sie mich fahren?« und war sehr stolz auf diese Worte.
Der Chauffeur schien ein kleines bißchen zu lächeln. Aber er antwortete nur mit ruhiger Stimme:
» Zu einer Dame.«
Obwohl Peter diese Antwort erwartet hatte, setzte sie ihn dennoch in Erstaunen. Das ist doch im Ernst nicht möglich, dachte er bei sich.
Dann, wie um sich selbst zu überrumpeln, stieg er ein.
Augenblicklich zog der Wagen an.
Während Peter sich halb betroffen halb siegesgewiß in die Polster zurücklehnte, glaubte er das leise Parfüm zu spüren, das in jener Nacht in New York sein Zimmer erfüllt hatte. Das mochte Täuschung sein. Dennoch: in diesen hellseidenen Kissen hatte vielleicht noch vor wenigen Minuten der schlanke Körper Susie Lacombes geruht.
Der abendliche Tiergarten nahm den Wagen auf; schon sah er die Bogenlampen der Siegesallee.
Während Peter mit jeder Drehung der Räder seinem geheimnisvollen und lockenden Ziele näherkam, dachte er bei sich: Es ist bestimmt schon außerordentlich reizvoll, wenn eine Frau, irgend eine Frau, die einem zufällig begegnet, einem auf solche Weise die Annäherung erleichtert. Wenn aber eine Dame, die man seit einem Vierteljahre sucht – in die man verliebt ist, an die man Tag und Nacht denkt – wenn einem eine solche Frau plötzlich ihren Wagen schickt mit der Aufforderung: Bitte steigen Sie ein – so ist das, scheint mir, ein geradezu unfaßbares Glück.
Der Wagen bog aus der Siegesallee zur Rechten ein, in die Tiergartenstraße. Dann wandte er abermals zur Linken, in eine schmale Privatstraße.
Die Bremse zog an; augenblicklich hielt das Auto. Der Chauffeur öffnete den Schlag. Peter stieg aus. Der Chauffeur ging voran. Er schloß die Tür der kleinen Renaissancevilla auf, die vielleicht ein Hotel war, vielleicht eine Pension, und trat ins Haus, seinem Passagier den Weg zu weisen.
Die kleine Halle war halb erleuchtet.
Der Chauffeur klopfte an eine Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten stieß er sie auf und ließ Peter Thornquist eintreten.
Fast gleichzeitig öffnete sich die Tür, die zu einem Nebenzimmer führen mochte. Aber zu Peters Überraschung war es nicht Susie Lacombe, die eintrat; sondern ein kleiner dunkelblonder Herr mit lachenden Augen. Derselbe, den er an ihrer Seite im Hotel Bristol gesehen hatte.
Was bedeutet das? fuhr es Peter durch den Kopf, Ist das eine Falle, die man mir gestellt hat? Will dieser Mann mich vielleicht zur Rede stellen? Und wo ist Susie?
»Ladinser,« sagte der Fremde mit einer Verbeugung.
»Thornquist«.
»Sie werden ein bißchen erstaunt sein, Herr Thornquist,« damit deutete Ladinser auf einen Sessel, »daß ich mir erlaubt habe, Sie auf eine so ungewöhnliche Art in mein Haus zu bitten.«
Thornquist nahm zögernd Platz. »Ich muß gestehen: ich war nicht darauf vorbereitet, Ihnen zu begegnen. Ich hatte geglaubt ...«
Der andere machte eine Handbewegung, die etwa besagte: Ich kann mir ungefähr denken, was du geglaubt hast.
»Herr Thornquist«, begann Ladinser, »ich möchte fragen, ob Sie bereit wären, eine Reise zu machen. Eine interessante und wichtige Reise.«
»Eine Reise ...«, wiederholte Thornquist unsicher. Also kein galantes Abenteuer, dachte er, ein bißchen enttäuscht.
»Es liegt natürlich in Ihrer Hand, Ja oder Nein zu meinem Vorschlag zu sagen. Sie sollen mit einer Dame reisen.«
Halt. Also doch ...
»Was ist der Zweck dieser Reise? Mit wem soll ich fahren?«
Über Ladinsers Gesicht ging ein Lächeln.
»Mit der Dame, die Sie heute an meinem Tisch gesehen haben. Ich glaube, Sie kennen sie.«
»Mit Fräulein Lacombe?« fragte Peter atemlos.
Der andere nickte. »Natürlich nur wenn es Ihre Zeit erlaubt!«
»In welcher Eigenschaft soll ich diese Reise mit ihr machen?«
Ladinser betrachtete den vor ihm Sitzenden aufmerksam. Dann sagte er, indem er ihm in die Augen sah:
»Sie sollen diese Reise zusammen machen: als Mann und Frau.«
»Als Mann und Frau?« wiederholte Peter. Hier winkte ein seltsames, bestimmt ein reizvolles Abenteuer, soviel war klar. Aber warum kam man gerade auf ihn?
Als ob ihm Herr Ladinser die Gedanken von der Stirn abgelesen hätte, fuhr er fort:
»Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich gerade Ihnen einen solchen Vorschlag mache. Ich muß sogar noch einen Schritt weitergehen und Ihnen sagen: der Auftrag ist nicht ungefährlich.«
Peter erhob sich. »Ich muß Sie schon bitten, mir reinen Wein einzuschenken, Herr Ladinser. Alles was Sie da sagen, ist recht rätselhaft.«
Der andere machte eine Handbewegung. »Sie haben recht.«
»Warum soll ich mit Fräulein Lacombe als ihr Mann reisen? Warum ist diese Reise gefährlich? Und – endlich – warum begleiten Sie Fräulein Lacombe nicht?«
»Gut«, sagte Ladinser. »Ich will Ihnen alle diese Fragen beantworten. Der Name Lacombe ist ein Pseudonym. Die Dame ist in Wahrheit – ich darf auf Ihre Diskretion rechnen, nicht wahr? – eine ungarische Prinzessin.«
»So so,« nickte Peter. »Eine ungarische Prinzessin.«
»Weiter: die Mutter der Dame, die Fürstin Klausenburg, steht unter einer schweren Anklage. Um die Mutter zu retten, gibt es nur ein Mittel: ihre Tochter muß vor dem Gericht in Budapest erscheinen.«
»Eine romantische Geschichte.«
»Aber die reine Wahrheit.«
»Ich glaube, ich habe etwas von einem Prozeß gegen eine Fürstin Klausenburg in Budapest gelesen. Hat sie nicht ihre eigene Tochter ...?«
»Das ist es eben. Durch das Erscheinen der angeblich Ermordeten wollen wir die Anklage zu Fall bringen.«
»Und Fräulein La... und die Prinzessin ... ist wirklich ihre Tochter?«
»Nun ist in Ungarn eine mächtige Partei am Werke, die der Fürstin nicht wohl will. Sie wünscht die Verurteilung der Angeklagten um jeden Preis. Aus diesem Grunde muß die junge Prinzessin Prisca, wenn ich so sagen darf: unbemerkt nach Budapest kommen; erst im Gerichtssaal darf sie sich zu erkennen geben. Können Sie das begreifen?«
»Ja.«
»Ursprünglich wollte ich selbst die Prinzessin nach Budapest begleiten. Nun ist aber, ich weiß nicht wie, mein Name plötzlich in der Öffentlichkeit aufgetaucht. Wenn man mich mit der Prinzessin entdeckt – und das wäre ein Leichtes – ist alles verloren; die Zeugin würde gar nicht nach Budapest kommen. Darum wäre es das Sicherste, wenn Sie mit der Prinzessin, als Herr und Frau Thornquist, fahren würden. Den Paß für Sie beide könnte ich beschaffen; ich habe Verbindungen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß Sie auf meine Kosten reisen.«
»Hm. Ich glaube, ich bin bereits in Ihrer Schuld«, sagte Peter zögernd.
Ladinser lachte. »Sie meinen die Geschichte mit der Souperrechnung?«
»Allerdings.«
»Ja, – ich habe mir erlaubt die Kleinigkeit zu regulieren.«
»Aber ich begreife nicht: woher wußten Sie, daß ich ... daß ich ...?«
»Ich sehe, ich muß Ihnen die volle Wahrheit sagen. Die Prinzessin hat mir von Ihnen erzählt. Ich möchte sie nur einem perfekten Gentleman anvertrauen; Sie werden das begreifen. Seit mehreren Tagen bin ich dabei, Sie und Ihre Verhältnisse ein bißchen zu sondieren. Ich weiß, daß Sie ... also kurz und gut, Herr Thornquist: ich habe mir erlaubt, Ihre Rechnung zu bezahlen.«
»Was ist also zu tun?«
»Wenn Sie einverstanden sind, werden Sie mit ihr morgen abend als Mann und Frau nach Budapest fahren.«
»Nichts weiter?«
»Jedenfalls nichts von Belang. Sie können unterwegs mit der Prinzessin alles Nähere in aller Ruhe besprechen.«
»Kann ich mit Fräulein Lacombe ... kann ich mit der Prinzessin ein paar Worte ...?«
»Selbstverständlich. Wann Sie wollen. Sagen wir: morgen vormittag?«
Ladinser ging an den Schreibtisch. Er zog die Schublade auf. »Hier ist auf alle Fälle ein guter Clément-Revolver. Er ist sehr klein; aber Sie können sich auf ihn verlassen.«
Thornquist nahm die Waffe in die Hand. Sie war gesichert. Er zog das Magazin aus dem Lauf: sechs Patronen.
»Sie sagten, die Aufgabe sei gefährlich?«
»Ja. Jedenfalls müssen Sie damit rechnen, daß man Sie unter Umständen erkennt.«
»Und dann?«
»Dann würde man vor keinem Mittel zurückschrecken, damit Sie und die Prinzessin nicht nach Budapest gelangen. Vor keinem.«
Thornquist straffte den Arm und bog ihn langsam einwärts. »Ich kann mich auf meinen Bizeps einigermaßen verlassen; ich führe einen ziemlich harten Schlag.«
Ladinser lachte.
»Umso besser. Auf alle Fälle: seien Sie vorsichtig! Schließlich: gegen eine Revolverkugel aus dem Hinterhalt ist der schönste Uppercut zwecklos.« Ladinser erhob sich. »Also?«
»Ich bin bereit. Um es Ihnen offen zu sagen: das Abenteuer reizt mich. Die Gefahr zieht mich an.«
»Sonst nichts?« fragte Ladinser, indem er seinem Besucher die Hand zum Abschied bot.
Thornquist stand vor dem Manne, der ihm halb wie ein gutmütiger und harmloser Bohémien erschien – und halb wie ein skrupelloser Geschäftemacher. Immer noch hielt jener ihm die ausgestreckte Hand entgegen. Thornquist sah ihm in die Augen, in diese dunklen Augen, in deren Tiefe jenes seltsame Lächeln glomm ...
»Ich möchte etwas fragen, Herr Ladinser: Sie haben sich die Aufgabe gestellt, die Fürstin Klausenburg zu retten. Das ist eine schöne und menschenfreundliche Absicht. Tun Sie es aus reinem Idealismus – Sie entschuldigen ein offenes Wort – oder ... oder ..?«
»Aus reinem Idealismus«, antwortete Ladinser.
Thornquist nahm die Hand. »Ich werde morgen abend mit der Prinzessin nach Budapest fahren.«
»Gute Nacht,« – – –
Ladinser stand immer noch, die Augen auf die Tür geheftet, hinter der Thornquist verschwunden war. Der Schritt des Besuchers verklang in der Halle. Nun ging die Haustür.
Ladinser zog das Etui; er nahm eine Zigarette, die er zerstreut anzündete. Er ging ein paarmal gedankenvoll durchs Zimmer; dann riß er die Zigarette aus dem Mund und zerdrückte sie hastig im Aschenbecher.
Die Tür ging auf. Susie Lacombe trat ein.
»Nun?«
»Er hat Ja gesagt.«
Susie trat näher; es schien, als ob sie erröte.
»Als mein Mann?«
»Als Ihr Mann.«
»Sagen Sie, Ladinser – sie legte ihm die Hand auf den Arm – »was glauben Sie: welchen Grund hat er gehabt anzunehmen?«
Ladinser zuckte die Achseln. »Ich sehe nur einen Grund: er liebt Sie.«
In Susies Gesicht trat ein versonnenes Lächeln. Leise fragte sie:
»Wofür hält er mich?«
Ladinser streifte sie mit einem schnellen Blick. Er nahm die silberne Dose vom Tisch, klappte sie auf und bot Susie eine Zigarette.
»Für die Prinzessin Klausenburg.«
*
Thornquist schloß, erfüllt von kreisenden Gedanken, die Tür auf. Das Mädchen kam ihm entgegen:
»Ein Bote hat einen Brief gebracht. Es wäre sehr eilig, hat er gesagt. Er liegt auf Ihrem Schreibtisch.«
Peter knipste das Licht ein. Er erkannte sofort: das war eine Mitteilung der Botschaft.
Das Schuldgefühl, das er, im Unterbewußtsein, während des ganzen Heimwegs brennend verspürt hatte, stellte sich jäh von neuem ein. Das war der Auftrag: daran war kein Zweifel. Und eben hatte er, in jungenhafter Verliebtheit, gegen alle Bedenken, gegen Sinn und Vernunft, ein Liebesabenteuer auf sich genommen. Eine gefährliche Mission – die ihn weitab führte vom Weg seiner Pflichten. Er hatte versprochen, morgen abend nach Budapest zu fahren. Mit jener Frau. Nun mußte er diesen Auftrag ablehnen; eine geordnete, gesicherte Existenz mußte er zurückweisen.
Mißmutig brach er den Brief auf.
Ein Scheck fiel heraus. Und ein Zettel mit der lakonischen Anweisung:
»Morgen 21 Uhr 10 mit dem Expreß nach Budapest fahren. Weitere Informationen im Zuge.«