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30. Auf dem Kriegspfad gegen die Schachsewennen.

Basmindsch.

 

»Wenn wir diesen Berg, auf dem mitunter noch Schachsewennen sitzen, glücklich hinter uns haben, sind wir morgen abend in Täbris«, sagte mein Freund und Weggenosse Gholem Farchi und deutete auf die Felsen von Schibli, die kurz hinter Jussufabad steil anstiegen. Wir saßen auf dem Dache unseres Quartiers, und ich sah mir die Straße an, die in engen Serpentinen den Paß hochkletterte. »Inschallah!« war meine Antwort, und ich war gar nicht so sehr begeistert von der Aussicht auf einen neuen Überfall, denn ich wäre jetzt ganz gern ohne weiteren Zwischenfall nach Täbris gelangt.

Am folgenden Morgen brachen wir auf. Vorn die beiden Fußkosaken, die leichtfüßig wie Windhunde in flottem Tempo die Paßstraße hinanmarschierten, dann unsere Gruppe und weiter zurück der Prinz und sein Gefolge.

Da der Weg bald sehr steil wurde, stieg ich ab und überließ mein Pferd meinen Begleitern, die zurückblieben, um Anschluß an die prinzliche Gruppe zu suchen. Ich ging lieber mit den beiden Kosaken, da ich dort im Notfall ein Gewehr zur Hand hatte. Inzwischen hatte ich jedoch diese aus dem Auge verloren, und so wanderte ich ganz allein über die Paßstraße.

Als ich die Paßhöhe gerade überschritten hatte, geht auf einmal ein lebhaftes Geschieße los. Was nun? Zurück mochte ich nicht. Überdies konnte mir der Rückweg bereits verlegt sein, und dann lehrt eine alte Kriegserfahrung, daß »durchgehen nach vorn« meist das Sichere ist. Unten am Fuße des Schiblipasses lag ein Dorf. Wenn ich das erreichte, war ich in Sicherheit, und dann mußten doch die Kosaken noch irgendwo vor mir sein.

Ich beschloß demnach, weiterzugehen. Wie ich mich nach allen Seiten umsehe, um zu erkunden, woher eigentlich das Feuer kommt, schlägt es »ssssssst pitsch!« unmittelbar vor mir ein. Jetzt konnte wenig Zweifel mehr sein, und ich sprang in großen Sätzen von Deckung zu Deckung die Straße hinunter. Es war verhältnismäßig leicht; denn zu beiden Seiten hatte der Frühlingsregen tiefe Geröllrinnen in den Berg gerissen, die prachtvoll deckten.

Auf meinem Weg talab kam ich an einer ganzen Anzahl kleiner Eselkarawanen vorbei. Menschen und Tiere hatten sich in die Felsspalten verkrochen, und es sah putzig aus, wie zwischen den Steinen nur ein paar lange Ohren und ängstliche Gesichter zu mir herschielten. Alle winken mir eifrig und verstohlen zu, zu ihnen in Deckung zu kommen, allein ich habe wenig Lust, mich zusammen mit einer solchen Heldenschar abfangen zu lassen, zumal das Feuer immer mehr nachläßt. Daraufhin fassen einige von ihnen Mut und sie schließen sich mir an. Sehr gegen meinen Willen. Diese furchtsamen unbewaffneten Menschen können mir nur hinderlich sein. Und so eilen wir, ein ganzer Trupp, auf das Dorf Schibli zu.

Über eine Brücke, noch eine Wegbiegung, dann liegt das Dorf vor mir, tief unten, von allen Seiten eingekesselt von hohen Bergen. Dumpf brüllt das Vieh, das auf die Schüsse hin zusammengetrieben wird. Von den umliegenden Felskuppen rufen die dort aufgestellten Wachtposten gellend etwas mir Unverständliches. Und dann kommen Männer, das Gewehr in der Hand, auf mich zugelaufen und reden und fragen auf mich ein.

Turkmene in Askabad

Meine orientalischen Sprachkenntnisse sind an sich nicht hervorragend, hier redet man überdies einen mir völlig fremden turkotatarischen Dialekt. Ich verstehe zunächst nur immer wieder »Schachsewenn« und »Kasachlar«; dann gelingt es, mit einigen türkischen, persischen und russischen Worten sich leidlich zu verständigen, und ich beruhige zunächst die Aufgeregten durch die Mitteilung, daß auf der andern Seite alles voll Kasachlar, voll Kosaken, stehe.

Mir selbst ist es aber keineswegs so begeisternd zumute. Ich stehe jetzt hier allein, ohne Pferd, ohne Gepäck, und weiß vor allem gar nicht, was eigentlich los ist. Wo sind die beiden Fußkosaken? Und was ist aus meinen beiden Reisegefährten geworden? Im besten Fall sind sie rechtzeitig nach Jussufabad entkommen. Die Schachsewennen können sie aber ebensogut erschossen und ausgeraubt haben.

Als nach einigen Stunden Wartens nichts über den Paß kommt, sammle ich ein paar Baschi-Bozuk und Bauern und mache ihnen den Vorschlag, nach Jussufabad vorzustoßen. Ich begegne jedoch entschiedener Ablehnung, und es nützt mir auch nichts, daß ich meinen kriegsministeriellen Ausweis vorzeige, der mich ermächtigt, nötigenfalls überall militärische Hilfe anzufordern. Man händigt mir nur Gewehr und Patronengurt auf mein Verlangen aus und ist bereit, mit mir die Kuppe zu besetzen, die den Paßausgang beherrscht.

Wir klettern also hinauf und lagern uns oben hinter die Steine. Nach einer Weile taucht auf der Höhe jenseits der Paßstraße eine Reitergruppe auf. Deutlich hebt sie sich vom Horizont ab. Durch das Glas erkennt man sogar die spitzen Mützen. Also Schachsewennen! Wir eröffnen Schnellfeuer, und die Reiter rasen im Galopp hinter die schützende Kimme zurück.

Turkmenenjurten

Als sich daraufhin nichts mehr zeigt, steigen wir wieder zum Dorf hinunter. Dort ist inzwischen ein starker Trupp Armenier eingetroffen: an die 40 Männer, Weiber und Kinder. Lauter armes Volk, Flüchtlinge von Urmia, aus Eriwan und von weiter her. Sie wollen sich irgendwo in Persien oder Mesopotamien eine neue Existenz gründen. Groß ist die Bestürzung, als sie hören, der Paß sei besetzt. In aufgeregt debattierenden Gruppen stehen sie herum; sie wissen ja nicht, besteht wirklich eine Gefahr oder ist das Ganze nur ein Theater, um sie um ihr letztes bißchen Geld zu prellen. Wie sie mich sehen, stürzt alles auf mich los, und sie bestürmen mich mit Fragen. Auf meinen Bericht hin werden die Pferde von den hochbeladenen Planwagen abgespannt. In einigen halbzerfallenen Häusern werden Teppiche ausgebreitet, und bald summt der Samowar.

Idyllische Beschäftigung

Ich sitze lange mit den Armeniern zusammen und lasse mir erzählen. Es ist eine endlose Geschichte endloser Leiden. Dann lege ich mich vor das Dorf unter ein paar Bäume, um zu schlafen. Kaum mag ich jedoch eine kurze Weile eingenickt sein, als wilder Lärm mich aufschreckt. Schüsse knallen, Weiber kreischen, Vieh brüllt. Ich springe auf. An mir vorbei werden die Herden, die man kaum hinausgelassen, wieder ins Dorf zurückgetrieben. Staub aufwirbelnd springen blökend die Schafe und Ziegen und trotten brüllend die Rinder.

Ich eile zum Dorf. Da kommen mir schon die Armenier entgegen: ein einziger, jammernder, angstverzerrter Haufen. An der Spitze meine Bekannten, mit denen ich eben noch geplaudert und Tee getrunken.

»Fort, fort! Die Schachsewennen, die Schachsewennen!« rufen sie mir zu.

Die armen Leute tun mir leid; ich überlege, ob ich sie nicht zurückhalten soll – mancher von ihnen hat sein Letztes an diese Reise gesetzt –, allein die Verantwortung ist zu groß. Weiß der Teufel, was los ist. Da kommen auch schon ihre Wagen im Trab angerattert.

Wie ich auf den Dorfplatz komme, herrscht dort ein unbeschreiblicher Wirrwarr. Frauen und Kinder eilen schreiend hin und her, die Männer machen ihre Waffen fertig, das Vieh wird in die Karawanserei getrieben. Auf meine Fragen deutet man auf die Berge. Weiß Gott, da ziehen auf allen Kämmen große Reitertrupps auf das Dorf zu! Das sieht ganz nach einem konzentrischen Angriff aus, und einen Augenblick überlege ich mir, ob ich mich denn mit in diesem Dorf einschließen lassen soll. Aber dann nehme ich mein Gewehr und gehe mit in die Karawanserei.

Die Karawanserei ist ein uralter, mächtiger und fester Bau, ganz von Gewölben überdacht. Über dem Eingang ist ein Geschoß aufgesetzt, auf dem nochmals ein niederer, runder Turm mit Schießscharten steht. Es ist eine prächtige Festung. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Schachsewennen wirklich das Dorf angreifen, läßt sie sich von ein paar entschlossenen Männern lange verteidigen.

Von diesem Turm und dem Dach der Karawanserei aus nehmen wir den Kampf gegen die anziehenden Schachsewennen auf. Die Entfernung ist noch sehr groß, allein unser Feuer wird doch wirksam. Einzelne Trupps kommen ins Stocken und gehen wieder hinter die Kämme zurück.

Auf einmal gibt es unten Geschrei und Pferdegetrappel! Hurra! Ein großer Trupp Baschi-Bozuk trifft ein. Nun gehen wir vor und besetzen zunächst einmal die den Paßausgang sichernde Höhe.

Um den ganzen Paß herum knallt es wie wild, – der Perser ist für ausgiebigen Munitionsverbrauch. Die Schachsewennen gehen zurück. Augenscheinlich werden sie auch von der andern Seite her energisch angepackt. Ihr Feuer wird schwächer, und dann sieht man überall am Horizont ihre abziehenden Kolonnen.

Der Paß ist frei. Jetzt heißt es, die Kameraden herüberholen. Ich bitte für alle Fälle den Führer der Baschi-Bozuk um eine Eskorte. Aber die Leute wollen erst ihre Pferde holen. So gehe ich einstweilen allein voraus. Glücklich komme ich über den Paß. Als ich mich Jussufabad nähere, zieht mir dort schon unsere Reisegesellschaft entgegen, verstärkt durch zahlreiche Kosaken und Baschi-Bozuk. Ich bleibe stehen und winke ihnen lustig zu. Allein nun ereignet sich etwas, worauf ich nicht gefaßt war: An der Spitze marschieren wieder die beiden Fußkosaken. Wie sie mich sehen, stürzen sie auf mich zu, und: Umarmung, Kuß! – haste nicht gesehen. Ich kann nur gerade noch den Mund wegdrehen. Aber dabei machen sie so ehrliche und freudestrahlende Gesichter, daß ich nicht einmal ärgerlich sein kann. Und da ist schon unser »tapferer« Kosakensergeant bei mir, springt vom Pferde. Umarmung, Kuß! Dann die beiden Baghdader. Ich werde abgeküßt wie ein junges Mädchen. Und dazwischen höre ich – eilig und abgerissen –, daß man mich längst für tot gehalten. Die beiden Fußkosaken waren vor starken Schachsewennentrupps zurückgewichen und hatten berichtet, daß ich allein im Paß im Feuer der Schachsewennen stand.

Da hält die prinzliche Equipage vor mir. Ihre Hoheit die Prinzessin streckt mir beide Hände entgegen und singt ein Loblied auf meine Tapferkeit. Ihr gegenüber sitzt ihre Tochter und sieht mich nur an. Aber diesen Blick pflücke ich und stecke ihn ins Herz und freue mich daran, als wir jetzt mit viel Lärm und Hallo in großer Kavalkade über den gesicherten Paß ziehen.


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