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XIV.
Juwelen

Langsam, mit traurigem Antlitz, schritt Cecily durch alle Zimmer des Hauses, wie wenn sie prüfen wollte, ob sich in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit nichts verändert habe.

»Mir ist«, sagte sie mit dunklem Klang der Stimme zu Sanders, der ihr folgte, »als ob dies alles hier unendlich anders geworden ist, seit ich weiß, daß mein Vater nie mehr hier weilen wird. Es ist alles so fremd! Und doch – war es mir nicht einst so vertraut? Aber nun – nein, Sanders, ich halte es nicht mehr aus!« Und mit einem energischen Raffen ihres Rockes fügte sie hinzu: »Es geht nicht mehr! Alles das lastet zu schwer auf meiner Seele – ich kann hier nicht mehr bleiben. Ich hasse diese Stadt, die mir meinen Vater stahl, ich hasse dieses wüste, unheimliche Treiben verborgener Mörder, ich hasse Berlin! Ich muß fort von hier, ich werde mit Erich irgendwo in die Welt hinziehen, sei es, wo es sei, nur fort!«

Sanders hatte still zugehört, er verstand ihre Gefühle. Sie waren währenddessen im kleinen Arbeitszimmer des Toten angelangt. Seltsam befangen blickte Sanders um sich. Wieviel Erinnerungen, wieviel Gedankenverbindungen wollten ihm doch hier zu Bewußtsein kommen! Sein Blick fiel unwillkürlich auf die Glaskästen mit den Edelsteinen. Cecilys Augen waren seinem Blick gefolgt. Jetzt trat sie neben ihn, und mit erregter Stimme sprach sie: »Oh, wenn Sie wüßten, Sanders, wie mir diese Geschmeide hier in tiefster Seele zuwider sind! Gewiß, Sie wundern sich, bei einer Frau derartige Empfindungen anzutreffen. Aber seien Sie überzeugt, die kalte, glitzernde Pracht allein hat an meinem Unglück schuld! Sehen Sie nur, wie die Steine so leblos und funkelnd zugleich auf ihrem Samt gebettet daliegen! Ist es nicht, als wollten sie sagen, daß alles, was Schönheit und äußeren Glanz trägt, gefühllos und ohne Herz sein müsse? Ich hasse diese Lebensauffassung, und darum, Sanders, hasse ich diese leuchtenden Edelsteine. – Und sehen Sie nur die beiden riesigen Opale in ihrem besonderen Kästchen! Ich weiß, wie mein Vater gerade an ihnen hing. Gott weiß, welche Erinnerungen sich an diese Steine knüpften. Aber gerade sie mag ich nicht. Sehen Sie, dies Funkeln und Glitzern, wenn ein Lichtstrahl auf sie fällt. Jetzt erscheinen sie grün, jetzt rosa! Jetzt auf einmal milchig trübe, als wollten sie sich verbergen, und nun im Moment prachtvoll blaurot! Darin, finde ich, steckt etwas Charakterloses, das mir in meinem Herzen widerwärtig ist.«

Und Sanders mußte ihr versprechen, einen Juwelier zu besorgen, der die Steine kaufen würde.

Der Juwelier Biedenkapp musterte aufmerksam und wohlgefällig die Sammlung.

Es blieb nur noch das Kästchen mit den beiden Opalen. Es war ganz schmal, hatte etwa die Größe eines Rauchtischchens, und ganz aus schwarzem, mattem Ebenholz ruhte es auf vier schlanken Beinen. Unter dem schrägen Glasdach lagen, fast in weichen, schwarzen Samt versinkend, die beiden eigroßen Opale, auf denen das Licht sich verwirrend in buntvermischten Farben milde brach.

Cecily steckte den Schlüssel ins Schloß – er drehte sich nicht. Sie zog ihn heraus und sah ihn an, es stellte sich heraus, daß er nicht paßte. Sie probierte einen anderen aus dem großen Schlüsselbund, an dem die Schlüssel für die Juwelensammlung hingen – auch dieser paßte nicht. Sie versuchte es nacheinander mit allen Schlüsseln, aber keiner wollte das Schloß öffnen. Nach ihr tat es Sanders, aber mit demselben erfolglosen Resultat. Was war das? Wo war der Schlüssel? Cecily und Sanders durchsuchten den ganzen Geldschrank, er war nicht da; auch im Schreibtisch war nichts zu finden. Der Schlüssel war verschwunden.

Doch Cecily war ungeduldig. »Aufbrechen!« rief sie. »Ich will nicht, daß durch äußere Umstände die unheimlichen Opale Sieger gegen mich bleiben!« Und so wurde ein Stemmeisen gebracht, und Sanders sprengte mit leisem Krach den Deckel ab. Er konnte das Schloß dadurch bloßlegen und sah, daß seine seltsam verschnörkelte Konstruktion einen Schlüssel von besonders gezacktem Bart verlangte, wie er tatsächlich im ganzen Hause nicht zu finden war.

Schon vorher hatte der Juwelier mit großen Augen die Opale betrachtet. Doch nun, als er sie in die Hand nahm und ihr Gewicht fühlte, wurde seine Miene bedenklich.

»Ich muß Ihnen offen sagen, gnädiges Fräulein«, sprach er, »als langjähriger Bekannter des Herrn Sanders, was ich darüber denke. Sehen Sie, die Opale sind wundervoll. Sie sind in dieser ungeheuerlichen Größe ein Wunder, wie ich es in Europa einfach noch nicht gesehen habe. Und darum fehlt mir, ehrlich gesprochen, die Schätzung!« Er streichelte die schweren Steine bewundernd und liebevoll und fügte kurz hinzu: »Ich kann sie einfach nicht bezahlen!« Und nach einer kurzen Pause, während welcher Cecily und Sanders sich schweigend und verblüfft ansahen, sprach er: »Jeder dieser Steine ist ein Monstrum. Ich will Sie nicht übervorteilen, ich bin kein junger Mann mehr, und ich führe meine Geschäfte seit Jahren in denselben Bahnen weiter. Solche Extravaganzen kann ich mir nicht erlauben. In diesem Ausnahmefall bin ich nicht einmal imstande, augenblicklich den objektiven Wert der Steine anzugeben. Sie wissen wohl, Opale sind nur Halbedelsteine, aber bei solcher Größe und bei solchem Feuer fällt jede normale Schätzung weg, und man kann nur nach Kuriositätswert schätzen. – Ja, wenn ich darüber nachdenke, so weiß ich nicht einmal, wie ich diese ungeheuren Steine verwerten sollte. Also, mit einem Wort, ich kann sie nicht nehmen!«

Aber Cecily sagte: »Die Steine müssen weg. Sie sind gegen uns ehrlich, Herr Biedenkapp, ich will es auch zu Ihnen sein: ich mag die Opale nicht, ich habe eine unüberwindliche Aversion gegen sie. Ich gebe sie um jeden Preis fort!«

Der Juwelier schüttelte nachdenklich den Kopf: »Ich selbst kann sie wirklich nicht nehmen, gnädiges Fräulein, das wird mir immer klarer. Aber ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe einen alten Kunden, es ist ein Herr von der türkischen Botschaft, der sich sehr für Kuriositätssteine interessiert. Wenn ich nicht irre, so versteht er sich gerade besonders auf Opale. Den werde ich Ihnen mit Ihrer gütigen Erlaubnis schicken.«

»Wer ist es?« rief Sanders. »Doch nicht etwa Nured-Bei?«

»Jawohl«, erwiderte der Juwelier, »es ist Herr Nured-Bei.«

»Oh, den kenne ich ja sehr gut!« rief Sanders lebhaft. »Es ist ein reizender Mensch. Denken Sie sich, Cecily, einen türkischen Herrn in den besten Mannesjahren. Aber nicht etwa träge und verträumt, wie man sich die Türken meistens vorstellt, sondern lebhaft und aufgeweckt. – Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Biedenkapp, daß Sie uns an diesen Herrn weisen!«

Und man vereinbarte mit dem Juwelier, daß, im Falle Herr Nured-Bei auf die Steine reflektieren sollte, die weiteren Unterhandlungen durch die Hände des Juweliers gehen sollten.

*

Der Attaché an der türkischen Botschaft Nured-Bei kam zum Tee. Sanders selbst brachte ihn, indem er eine alte Bekanntschaft wieder auffrischte. Nured-Bei war ein schöner Mann, den man etwa auf 36 Jahre schätzen konnte, mit großen, dunklen, blitzenden Augen und tiefgebräuntem Teint, dem man indessen in seiner eleganten europäischen Kleidung den Orientalen kaum anmerkte, hätten ihn nicht seine Hände mit der dunklen Haut unter den Fingernägeln verraten.

Nured-Bei zeigte sich als ein Mann, der die Welt kannte. Er hatte nach seiner Studienzeit in Deutschland lange Jahre in Paris gelebt, und so war sein Benehmen das eines Menschen von bester europäischer Kultur. Dennoch lag über seinem Gesicht ein Zug der Schwermut, den alle Orientalen haben.

Er saß Cecily gegenüber zwischen Sokau und Sanders im Salon, der wohl nun seit langer Zeit zum erstenmal wieder behaglich plaudernde Menschen sah, und erzählte von den Sitten der Türken, von seinen Reisen, gab kleine Erlebnisse zum besten, kurz: man merkte gar nicht, daß es mehr und mehr dämmerte. Dann kam man auf Imitationen von Edelsteinen zu sprechen. »Eine gute, moderne Imitation in echter Fassung«, warf Soltau ein, »ist doch ohne Gerätschaften auch von geübten Augen schwer als unecht zu erkennen!«

»Oh«, entgegnete Nured-Bei, »ich würde sie schon erkennen. Sie müssen bedenken, das Auge eines Türken ist für Echtheit oder Unechtheit von Juwelen unendlich viel geschärfter als das eines Europäers. Sie müssen nämlich wissen, daß man in Kleinasien Imitationen von Edelsteinen herstellt, nicht etwa Glasflüsse, sondern Nachahmungen, deren Zusammensetzung und Herstellung sorgfältig gehütetes Geheimnis ist, die, wenn sie nach Europa kämen, selbst das feinste Juwelierauge täuschen würden. Aber diese falschen Steine kommen nie nach Europa. Sie werden in der Türkei zu allerlei seltsamen Zwecken gebraucht.«

»Herr Biedenkapp erzählte uns von Ihrem besonderen Interesse für Opale!« knüpfte Sanders an, der nun endlich auf das Hauptthema gekommen war, um dessentwillen Nured-Bei hier saß.

»Das«, sagte Nured-Bei, »ist eine ganz andere Sache. Wenn ich sagen sollte, woher eigentlich mein besonderes Interesse für Opale kommt« –

»O bitte, sprechen Sie doch!« rief Cecily eifrig.

»Nun«, entgegnete Nured-Bei, »es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß bei uns in der Türkei der Sultan sich in fast noch größerer Abgeschlossenheit hält als in Rußland der Zar. Das alles kommt von der unterirdischen Arbeit einer geheimen, revolutionären Partei, die das ganze Leben bei uns unsicher macht. Das ist jene geheime Partei, die man ›Jungtürken‹ nennt. Das seltsamste bei alledem ist, daß der Gründer der Geheimpartei der eigene Bruder des Sultans war. Schon begannen die ›Jungtürken‹ ihre Macht auszudehnen, schon begann die geheime Revolution zu arbeiten, da wurden plötzlich ihre Reihen durch Verrat ungeheuer geschwächt. Die Pforte verstand es, tüchtige Leute, deren Beteiligung an der Geheimpartei sie ahnte, in ihrem eigenen Dienst zu fesseln, und es schien dadurch, als ob eines Tages die Partei der ›Jungtürken‹ fast verschwinden wolle. Da auf einmal trat ein kühner Mann an die Spitze. Und nun ging es wieder von neuem in schreckenerregender Tätigkeit los.

Abdul Hamid war damals Sultan geworden. Eines Tages fühlte sich der Sultan krank. Das Fieber peinigte ihn furchtbar, und er wälzte sich in düsterem Schrecken auf seinem Lager, denn natürlich glaubte er sich von seiner Umgebung verraten und vergiftet. Eine strenge Untersuchung wurde eingeleitet, aber sie ergab nichts Stichhaltiges. Schon fühlte der Sultan sich unter gräßlichen Qualen immer schwächer und schwächer werden, schon murmelte das Volk von der ängstlich geheim gehaltenen Krankheit, da ließ sich im Palast ein alter Pilger melden, der behauptete, er könne dem Sultan Heilung bringen. Der Sultan fühlte sich dem Tode so nahe, daß er jede Aussicht auf Rettung glückselig ergreifen mußte, und er befahl, den Pilger zu ihm zu führen. Der Pilger kam und wünschte mit dem Sultan allein zu sein. Niemand weiß, was die beiden gesprochen haben. Der Pilger hatte kaum den Palast verlassen, als sich im Befinden des Sultan schon eine Besserung einstellte. Er wurde gesund, aber er war an diesem Tage ein tiefernster Mann geworden. Bald darauf konnten die Intimen des Hofes den Sultan in einem neuen Gürtelschmuck sehen. Es war ein weißer, breiter Ledergürtel, auf dem über den einfachen, alten Silberschnallen zwei riesige Opale saßen. Allmählich erfuhr man, daß der Gürtel mit den kostbaren Opalen ein Geschenk des Pilgers war, der die Steine aus Indien mitgebracht hatte. Wie sie da in seinen Besitz gekommen sind, blieb Geheimnis. Es scheint, als wären es alte Tempel-Schmuckstücke. Bald wußte man, der Sultan glaubte, in ihnen läge seine Gesundheit und sein Glück. Da faßte der entschlossene und trotzige Führer der Jungtürken, um seiner Partei den Mut wiederzugeben, einen tollkühnen Plan.

Er verstand es, Verbindungen mit dem Harem herzustellen, und eines Tages geschah es, daß durch Frauenuntreue die Steine in seine Hände gerieten. Damals ging im Volke das Gerücht, der Bosporus könne die Menge der Weiberleichen nicht fassen, sondern spüle täglich neue Leiber ertränkter Frauen an den Strand. Doch in den Geheimquartieren der Jungtürken herrschte Jubel. Ihr Führer ließ von den Opalen in Damaskus Imitationen anfertigen. Die Hauptleiter der Geheimgesellschaft bekamen jeder einen weißen Ledergürtel mit den beiden unechten Opalen darauf, um in der Partei den Eindruck hervorzurufen, als gingen die indischen Glückssteine blitzschnell durch alle Gegenden und Länder, tauchten bald hier, bald dort auf und erfüllten die Revolutionäre allerorten mit neuem Mut. Doch auch der Räuber sollte sich nicht lange der Steine freuen. Er knüpfte enge Verbindungen mit Europa und Europäerinnen an, und wie es dem Sultan gegangen war, so ging es auch ihm: durch Frauenlist wurden ihm die echten indischen Opale geraubt. Was aus ihnen geworden ist, das weiß niemand. Sie sind damals spurlos verschwunden. – Aber um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen: Wenn ich Sie bitten darf, mein gnädiges Fräulein, ich hörte von Opalen, die in Ihrem Besitz sind. Darf ich sie sehen?«

»Aber gewiß«, sagte Cecily liebenswürdig. Sie verließ den Salon auf einen Moment, um die Steine zu holen.

»Ein merkwürdiges Land, Ihre Heimat!« nahm Soltau das Gespräch auf.

»Ja, sicherlich!« erwiderte Nured-Bei. »Und trotzdem«, fuhr er fort, »versichere ich Ihnen, daß ich mich bei aller Unsicherheit, bei aller Verräterei doch nach meiner Heimat sehne!«

»Es scheint mir kaum glaublich«, bemerkte Sanders, der bis dahin nachdenklich dagesessen hatte, sinnend, »daß Europäer die Steine geraubt haben sollen.«

»Und doch war es sicher so!« erwiderte Nured-Bei. Cecily kam zurück mit einem Etui in der Hand, in das sie die Steine gelegt hatte, um sie zur vollen Wirkung zu bringen. Sie stellte das Etui auf den Tisch, und mit einer anmutigen Bewegung schlug sie vor Nured-Bei den Deckel zurück. Doch kaum hatte Nured-Bei die Steine erblickt, so stutzte er in heftiger innerer Bewegung. Seine Gesichtsfarbe wurde einen Moment fahl. Er biß sich auf die Unterlippe und sprach kein Wort. Dann ergriff er langsam jeden Stein einzeln, ließ das Licht vielfach darüber gleiten, hauchte sie an, und plötzlich legte er sie sorgfältig in das Kästchen zurück. Mit äußerster Verwunderung hatte ihn Sanders beobachtet. Er fragte Nured-Bei: »Gefallen Ihnen die Steine?«

Doch der Türke hatte jetzt seine ganze orientalische Ruhe wiedergewonnen. Er schwieg einen Moment, währenddessen er prüfend auf die Anwesenden blickte. Dann sagte er mit fester, wohltönender Stimme: »Die Opale sind unecht!«

»Unmöglich!« riefen Cecily und Soltau entrüstet.

»Dennoch ist es so!« erwiderte Nured-Bei. »Zu meinem Bedauern, ich kann nichts daran ändern!«

»Aber der Juwelier erkannte doch sogar ihre Echtheit an!« rief Cecily.

»Herr Biedenkapp ist ein tüchtiger Kenner, aber darauf kann er sich nicht verstehen!« erwiderte gelassen Nured-Bei. »Und um Ihnen alles zu sagen: die Steine gehören zu den Imitationen der indischen Opale des Sultans, die Mustapha Fasil-Pascha einst in Damaskus machen ließ. Ich habe sie sofort erkannt!«


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