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Hans Thoma

Und desshalb ist Anfang und Ende alles dessen, was ich zu sagen habe, dies: wir nähern uns den edlen Künsten nicht durch schnelles Fahren, sondern dadurch, dass wir unsere Behausungen lieblicher machen und darin verweilen; wir lernen die edlen Künste nicht durch Wettbewerb, sondern dadurch, dass wir gelassen unser Bestes thun, Jeder auf seine Art; wir lernen die edlen Künste nicht durch Ausstellungen, sondern dadurch, dass wir thun und schaffen was ehrlich ist, ob es ausgestellt wird oder nicht, und besonders dadurch, dass wir nicht für Geld bauen und malen, sondern aus Liebe.

John Ruskin, Lect. on Art.

 

Ils vont m'enrichir après m'avoir méprisé.

Eugène Delacroix.

 

Nichts ist schwieriger und gefahrvoller, als über die Kunst, ich meine über das Wesentliche in der Kunst, in Worten sich auszulassen. Dessen muss man sich vor allem bewusst sein. Dann kann man viele Dummheiten vermeiden, wenn auch noch lange nicht alle.

Von Thoma giebt es ein Blatt: Der Säemann. Die leuchtenden Augen gläubig zum Himmel gerichtet, schreitet er festen Schrittes über das gepflügte Land und streut Samen aus vollen Händen, rastlos. Ich weiss in der Welt kein so glückliches Bild der frohen zuversichtlichen Arbeit. Hans Thoma selber ist dieser Säemann. An Regentagen hat es ihm nicht gefehlt, sagt sehr schön einer seiner Freunde, aber die Sonne einer reinen Seele leuchtete immer über den Wolken.

Seit ungefähr zehn Jahren beschäftigt sich die deutsche Kunstlitteratur mit Hans Thoma. Und seit ungefähr zehn Jahren verkauft Thoma Bilder. Vorher, dreissig Jahre lang, hat er nur gemalt, Tag für Tag, Jahr für Jahr, Bilder auf Bilder, mit einem Fleiss, dessen im rein künstlerischen Schaffen, im Schaffen ohne äusseren Lohn, nur das Genie fähig ist. In einem Freundesbrief schreibt Thoma einmal: »Ich bin gegenwärtig fleissiger als je; ich habe Jemand, der mir Tag und Nacht keine Ruhe lässt, der mir in unaufhörlichem Drängen Bild auf Bild bestellt. Er ist ein närrischer Kauz, dieser Besteller, er heisst Hans Thoma.« Eine solche Ausdauer bei gänzlichem Mangel an äusserem Erfolg, ein solcher Glauben an sich selbst, gegenüber dem Unglauben der ganzen Welt, ist allemal das Zeichen entweder eines unverwüstlichen Dilettanten, eines unverwüstlichen sage ich, oder eines grossen Künstlers.

Und beides ist am Ende gar dasselbe.

Ein paar Freunde werden ja zu dem Ringenden stehen. Die hat auch Thoma gefunden zu seinem und der Kunst Gewinn. Dr. Otto Eiser in Frankfurt hiess der eine und Dr. Fiedler der andere. Ein dritter ist der Maler Emil Lugo. Und so wäre wohl eine ganze Reihe aufzuzählen.

Bei Otto Eiser muss ich einen Augenblick verweilen. Als dieser Aufsatz im Sommer 1895 in der »Nation« erschien, schrieb mir Eiser einen äusserst liebenswürdigen Brief, worin er sich aber streng gegen meine Erwähnung seines Namens verwahrte und ein Verdienst, das ich ihm zuzuschreiben schien, kurz und bündig ablehnte. Heute kann er das leider nicht mehr, er ist seit anderthalb Jahren tot. Ich halte es aber in meinem Gefühl für durchaus angebracht, seiner hier zu gedenken. Sein Glaube an Thoma, als noch niemand an den Einsamen glaubte, seine fünfundzwanzigjährige innige Freundschaft mit dem stillen Meister, sein Zusammenhalten, ja man könnte sagen sein Zusammenleben mit ihm, machen seinen Namen für alle Zukunft unzertrennlich von der Geschichte Thoma's und seiner Kunst. Das Verhältniss war kein alltägliches; es giebt dem Verstorbenen das Zeugniss eines ausserordentlichen Menschen. Eiser hat überdies seiner Wittwe die umfangreichste und schönste Thoma-Sammlung hinterlassen, die es heute geben mag, eine ganze Galerie. Und er war mehr für Thoma als der Graf Schack für Feuerbach oder Böcklin; denn er war ein Freund und liebte nicht in erster Linie die Bilder, sondern den Künstler der sie schuf.

Die Zunft aber im Grossen und Ganzen verharrte noch bis vor kurzem in ihrem Unglauben. Dieser Thoma hat ja ... ist ja gar kein Mann, hörte ich einmal in München einen jungen Maler ausrufen, der unterdessen königlicher Professor geworden ist. Sein Ausruf lautete eigentlich so cynisch, dass man ihn nicht wiedergeben kann. Und das war nicht seine eigene Ueberzeugung, eine solche hatte er gar nicht; es war die Anschauungsweise der ganzen Schule, die man immer bei denen am besten kennen lernt, die keine eigene haben. Auf der grossen Thoma-Ausstellung zu Heidelberg beobachtete ich drei Karlsruher Kunstschüler. Sie hatten es sich das Geld kosten lassen nach Heidelberg zu fahren, und sie bereuten es. Sie waren ganz perplex. »Wenn dieser Thoma,« rief einer aus, »bei uns in die zweite Malklasse aufgenommen werden wollte, er würde fortgejagt werden.«

Er ist schon einmal in Karlsruhe fortgejagt worden, vor dreissig Jahren ungefähr. Aber er ist nun zurückgeholt worden. Der Grossherzog selber hat es gethan. Was die beiden Schüler wohl für Gesichter dazu gemacht haben? Auch in Berlin hat man ihm früher die Thüre gewiesen, um ihm nachträglich den Professorentitel zu schicken. Und so haben seinerzeit auch die Franzosen ihrem genialen Puvis de Chavannes, dessen Grösse sie heut freudig anerkennen, den Vorwurf gemacht, er könne nicht malen – weil er nicht malte wie sie alle. Und vor einer Landschaft von Böcklin hörte ich einen berühmten Pleinairisten sagen, dieser Böcklin'sche Rasen erinnere ihn nicht an Rasen, sondern an grünlackirtes Blech. Maler mit solchem Unheil haben eigentlich keinen Grund, die armen Kunstschreiber verächtlich zu behandeln.

Also Thoma kann nicht malen. Dieses Unheil der Durchschnittsmaler ist leicht erklärlich. Die Malerei von heute hat ihre ganz besondern Handwerksvortheile. Sie hat Errungenschaften gegen die vorangegangene Zeit, worauf sie mit Recht stolz ist, die aber auch dieselben sind in München wie in Paris. Man ist nur zu stolz darauf. Man kennt nichts Höheres. Man verliert sich ganz und gar in diesen technischen Präokkupationen. Man sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Eine gewisse Luftperspektive und Lichtwirkung zu erzielen, gewisse halbe und gebrochene Töne in ihrer feinsten Differenzirung herauszubringen, mit Virtuosität auf der enchromatischen Tonleiter der Farben zu spielen, das ist der einzige und ausschliessliche Gedanke der heutigen Durchschnittsmaler.

Diese Handwerksvortheile, diese Errungenschaften hat Thoma nicht. Er sieht davon ab. Er thut als ob er kein Auge dafür besässe. Er kann also nicht malen. Die Herren ahnen, er könnte wohl, wenn er wollte. Einzelne wissen, er hat es einmal gekonnt. Er ist ja zu Paris bei Courbet und Millet in die Schule gegangen. Aber er will nicht, aus Dickköpfigkeit. Auf den wahren Grund, warum Thoma anders malen muss als sie, verfallen sie nicht. Dieser Grund ist aber sehr einfach. Einmal hat Thoma seine eigenen Darstellungsmittel, die er denen der andern vorziehen muss, nicht nur, weil er sie selbst erfunden, selbst erarbeitet hat, sondern auch, weil sie seinen Zwecken und Absichten am angemessensten sind.

Und dann hat Thoma einfach keine Zeit, sich so ausschliesslich mit den Handwerksmitteln des Tages zu beschäftigen, wie die anderen es thun. Er hat keine Zeit, weil er nicht so arm an Gedanken ist wie sie alle, fast alle, die sich jahraus jahrein im Schweisse ihres Angesichts um die feinsten Subtilitäten der Technik mühen. Sein Kopf steckt im Gegentheil voll Gedanken, die nach Darstellung ringen. Und dazu sind ihm denn die einfachsten und leichtesten Mittel die willkommensten. »Ja, er macht es sich leicht,« sagen die Handwerker. Sie übersehen, dass er eben kann, was sie nicht können. Für ihn ist es leicht. Sie sollen es ihm aber einmal nachmachen. Die Herren sollten doch wissen: dass sich gerade die Werke der höchsten Kunst am leichtesten, am mühelosesten, am selbstverständlichsten ausnehmen, z. B. ein Goethe'sches Lied. Da meint dann der beschränkte Dilettant, das sei keine Kunst. Solche Werke werden nicht desshalb so selten von den Stümpern nachgeahmt, weil sie zu schwer scheinen, sondern weil man sie nicht der Mühe werth achtet. Die Einfachheit des Genies imponirt dem Genie vor allem.

* * *

In zweierlei unterscheidet sich demnach Thoma von den Durchschittsmalern des Tages, in zwei Punkten, wovon einer den andern nothwendig bedingt: in seinem seltenen Reichthum an Gedanken, und in seiner eigenen, einfachen, selbsterarbeiteten Technik, – worüber die Handwerksfanatiker die Nase rümpfen, wie die Schulmeister über die Knittelverse des Faust die Nase rümpfen würden, wenn Goethe nicht seit einem Jahrhundert eine geheiligte Person wäre. Denn die Schulmeister seiner Zeit haben es gethan.

Der Gedankenreichthum Thoma's. Das Wort »Gedanken« muss man nicht falsch verstehen. Nicht um Gedanken handelt es sich, die man sprechen oder schreiben kann, sondern um Gedanken, die man malen kann, um malerische Gedanken; nicht um Gedanken, die zum Verstand, sondern um Gedanken, die unmittelbar zur Phantasie sprechen. Das Wort will also hier in einem weiteren Sinn verstanden sein als gewöhnlich. Ja es ist geradezu ein Hauptverdienst Thoma's, aus seinen Werken allen Verstandesinhalt so viel als möglich ausgeschlossen zu haben. Seine Bilder sagen dem Verstand wenig oder gar nichts. Sie wollen vor allem nichts lehren: keine Geographie und keine Ethnologie, keine Kostümkunde und keine Kriegswissenschaft, keine Kultur- und keine Litteraturgeschichte. Sie haben keinen lehrhaften Inhalt. Ihr Inhalt ist etwas, was ohne Dareinreden des Verstandes in reiner Anschauung von der Phantasie genossen sein will. Ihr Inhalt ist mit einem Wort Poesie: d. h. eine naiv menschliche Anschauung, von einem künstlerisch persönlichen Temperament eigenartig gestaltet.

Darin aber liegt ein neuer Gegensatz Thoma's zu der Kunst seiner Zeit – nicht zu den letzten Künstlern von heute, die sich diesmal in Uebereinstimmung mit Thoma befinden, aber zu der Kunst der älteren Generation, der Zeitgenossen seiner Jugend. Und dieser Gegensatz wurde Thoma erst recht verhängnissvoll. Er verhinderte seine Verständigung mit dem Publikum.

Nichts ist schwerer zu begreifen als die Kunst an sich. Dieses Verständniss ist allein das Vorrecht der höchsten Bildung. Und nur wenige sind ihrer theilhaftig. Dagegen ist alles Verstandesmässige leicht und auch der Halbbildung mehr oder weniger zugänglich. Schiller's Balladen können auch von einem Handwerksburschen mit vollem Verständniss deklamirt werden; aber nur wenige sind es, nur sehr wenige, denen ein Goethe'sches Lied wirklich etwas sagt.

Für die Aufgaben der bildenden Kunst waren aber die Deutschen unserer Zeit, die höchsten Intelligenzen nicht ausgeschlossen, weitaus am wenigsten vorgebildet. Sie waren im Gegentheil gründlich verbildet; sie waren verzogen und verdorben von den Künstlern selber. Die Künstler selber hatten die falschesten Begriffe von den Aufgaben ihrer Kunst. Lessing hatte seinen Laokoon ganz umsonst geschrieben. Immer und immer wieder meinten die Künstler ihren Werken einen Inhalt geben zu müssen, der gar nicht in der Möglichkeit ihrer Kunst lag. Da wurden dann Dramen und Romane gemalt, Novellen und Dorfgeschichten, Kriminalfälle und Kriegsberichte, und vor allem Haupt- und Staatsaktionen der Weltgeschichte, Alles, nur keine malerischen Ideen.

Was das sei, wusste man gar nicht mehr. Böcklin und Thoma mussten dies Geheimniss erst wieder neu offenbaren. Die beliebten Illustrationen in unseren Klassikerausgaben sind auch für diese Auseinandersetzung eine interessante Illustration. So sehr war der Geschmack verroht, dass man gar nicht ahnte, die Kunst des Pinsels, die Kunst der Linie und Farben könne eine andere Aufgabe haben als die Kunst des Wortes. Da machten denn Böcklin wie Thoma die bitterste Erfahrung. Das Publikum wusste mit ihren Bildern nichts anzufangen. Man stand vor diesen Bildern und lachte. Mit bestem Gewissen lachte man Thoma aus.

Ich erinnere mich eines besonderen Falles, eines Bildes auf der Ausstellung im Münchener Glaspalast. Eine Bauernmagd karrte einen Schubkarren mit blumigem Frühlingsgras beladen. Ein Esel ging nebenher und langte sich von Zeit zu Zeit ein Maul voll von den Blumen, wobei dann beflügelte Blumengenien sich losrangen und erschreckt davonflogen. Flora stand unter dem Bild. Denn Thoma ist ein Humorist und sogar ein bischen ein Schalk. Man lachte. Die Lacher waren aber noch nicht einmal so klug wie der Esel. Für den waren die Blumen nur Gras; aber er wusste sie in seiner Art zu geniessen. Die Lacher hatten diese Fähigkeit nicht, sonst hätten sie nicht nach einem verborgenen Sinn geschnüffelt, den sie nicht finden konnten, sondern sie hätten sich wenigstens im reinen Anschauen der sinnlichen Erscheinung ergötzt. Denn dazu, zu allererst, dient dem Menschen ein Bild, wie dem Esel das Gras zum Fressen dient.

* * *

Man wird immer gern darauf verfallen, bei einer starken Künstlerindividualität nach Verwandtschaften in Vergangenheit und Gegenwart zu suchen. Ein namhafter Kunstgelehrter, zugleich ein Freund des Malers, bringt Thoma mit den Niederländern, besonders mit Rembrandt in Beziehung. Er fasst Thoma's Kunstweise geradezu als eine Fortsetzung der niederdeutschen Traditionen auf. Diesen Zusammenhang, muss ich gestehen, begreife ich nicht. Was bei Rembrandt die Hauptsache ist, die virtuose Behandlung des Lichts, die Auflösung der Gestalt so zu sagen in Licht, Luft und Farbenton, und der daraus quellende eigenartige Zauber: das gerade gebt Thoma ab. Es geht ihm so sehr ab, dass die modernen Techniker zu dem komischen Schluss kamen, Thoma könne überhaupt nicht malen. In der That liegt Thoma's Stärke in etwas anderem als in dem, wodurch Rembrandt sich vor den Italienern eigenartig unterscheidet. Eine Aeusserlichkeit zeigt dies schon, Thoma zeichnet seine Figuren meist mit auffallenden Umrisslinien. Seine Freude ist die klare Umrissenheit der Gestalt, die kräftige charakteristische Linie. Damit knüpft er allerdings an altdeutsche Ueberlieferungen an, aber nicht an die niederdeutschen des siebzehnten, sondern an die oberdeutschen des sechzehnten Jahrhunderts. Nicht mit dem Werke Rembrandt's, sondern mit dem Dürer's und Holbein's, seiner Stammesgenossen, ist Thoma's Kunst verwandt.

Wie die Kunst dieser grossen Meister strebt auch die seinige nicht vor allem nach dem Schönen als vielmehr nach dem Charakteristischen. Und sein Streben nach dem geistig Bedeutenden, nach dem Vielsagenden, nach dem innerlich Typischen, lässt ihn oft genug die schöne Form vernachlässigen. Deshalb befriedigt er, wenn er z. B. weibliche Idealgestalten schafft, fast nie ganz, während seine Bildnissköpfe und Volksgestalten, in den einfachsten Ausführungen, unübertrefflich genannt werden müssen. Thoma hat oft seine alte Mutter gemalt, und er hat damit Werke der feinsten Charakteristik, Meisterwerke ersten Ranges geschaffen. Seine Eva im Paradies dagegen will nicht immer einleuchten. Auch darin ist er – nicht sowohl ein Altdeutscher, als überhaupt eben ein richtiger Deutscher. Er hat wie jedes Individuum die Fehler seiner Tugenden. Und seine Fehler wie seine Tugenden charakterisiren deutsches Wesen. Sie sind bei Böcklin dieselben. Ein Anselm Feuerbach ist neben den beiden ein wahrer Heide – d. h. das Gegentheil von einem christlichen Germanen.

* * *

Uebrigens, was ist Schönheit? Die Frage ist so schwer – und so unlösbar – wie die andere: was ist Wahrheit? Mit den Definitionen der Aesthetiker lockt man doch heut keinen Hund mehr vom Ofen. Ich sprach darüber einmal mit Thoma. Eigentlich ist alles schön, meinte er in seiner einfachen Art, man muss es nur richtig ansehen und muss begreifen, dass jedes Ding seine eigene Schönheit hat. »Oft findet man bei flüchtigem Hinsehen ein Ding hässlich; aber bei genauem und liebevollem Betrachten würde man seine Schönheit entdecken.« Das sind Thoma's eigene Worte.

Und da will ich gleich noch einen andern Ausspruch von ihm anführen. Es war die Rede von Potter einerseits und den neueren holländischen Thiermalern anderseits. Wir suchten nach einer Erklärung, warum die Thiere jenes alten Meisters so gross und gewaltig wirken und die der neuern so unbedeutend. Sie malen ihre Kühe doch ganz gut, sagte Thoma, indem er vor sich hinlächelte, es ist gar nichts an ihnen auszusetzen; was die Malerei an sich anbelangt geben sie Potter kaum etwas nach. Aber ihre Kühe lassen uns so gleichgültig ... Thoma versank in ein augenblickliches Nachsinnen. Es liegt hier ein grosses Geheimniss, hub er dann an. Ich glaube es einmal begriffen zu haben. Ich hatte auch in der Natur schon tausende von Kühen gesehen, ohne viel dabei zu denken; aber einmal, da stand ich plötzlich vor einem solchen Thier, wie es da lag und wiederkäute, und ein Schauer der Ehrfurcht ergriff mich vor dem grossen Wunder Gottes, vor dieser reichen Personifikation des ganzen unbegreiflichen animalischen Lebens. Und aus einer solchen Ergriffenheit, wie wir sie nur selten erleben, muss alles Schaffen der grossen Künstler hervorgegangen sein, dass ihre Werke uns so ergreifen. So erklär' ich mir das Geheimniss.

Thoma ist kein Freund von Worten, am wenigsten von hohen und überschwenglichen Worten. Er kann nicht hohe Worte machen. Was er in dem Angeführten aussprach, muss ein starkes Erlebniss für ihn gewesen sein.

Thoma besitzt jene innige Liebe zur Kreatur, die John Ruskin für die unerlässliche Voraussetzung alles Künstlerthums erklärt hat. Darum giebt es für ihn nichts Hässliches. Darum kann er sich, wie unsere alten deutschen Meister, ins Kleinste liebevoll versenken.

Diese Liebe hat auch seinen Geist im innersten Wesen bestimmt. Thoma begreift alles, Thoma hat keine Vorurtheile. Er lässt jeden gelten in seiner Art. Er gehört zu keiner »Richtung«. Weder in der Kunst, noch in der Litteratur, hat er sich Schranken aufgerichtet, wie so viele andere. Er prüft alles, und still im Herzen behält er das Beste, behält er was er brauchen kann. Darum haben sich ihm auch die Jüngern in der Litteratur so freudig angeschlossen, nicht weil er Geist wäre von ihrem Geist, sondern weil sie bei ihm auf kein Vorurtheil stiessen, auf keine vorbedachte, vorsätzliche Abwehr. Es ist wahrhaft rührend zu sehen, mit welcher Liebe und Verehrung die litterarische und künstlerische Jugend sich in der letzten Zeit um Hans Thoma versammelt. Er, der am wenigsten auf Eroberung auszugehen schien, hat mehr Herzen erobert als alle andern. Die andern verlangten – und wie streng verlangten sie es! – dass die Jungen zwitscherten wie sie selber sangen. Thoma lässt jeden singen wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

* * *

Auch im rein Technischen gemahnt Thoma an Dürer und Holbein. Sein Hauptbestreben geht auf immer grössere Vereinfachung der Mittel hinaus. Mit den einfachsten Mitteln viel auszudrücken ist sein Ideal, und wie Albrecht Dürer und Hans Holbein neben der Malerei zu den einfachen Künsten des Holzschnitts und des Kupferstichs gegriffen haben, um die Fülle ihrer inneren Anschauung schnell und wirkungsvoll darzustellen, so bedient sich Hans Thoma der Technik des Steindrucks und erzielt damit überraschende Wirkungen. Wenn Thoma dies thut im Jahrzehnt des gesteigertsten Handwerkerhochmuths der Malerei, so thut er es gewiss weniger aus Bescheidenheit, als aus sicherem künstlerischem Selbstgefühl. Thoma hat das überhaupt mit den Alten gemein, dass er sich auch den kleinsten und bescheidensten künstlerischen Aufgaben mit voller Liebe hinzugeben vermag.

Ein überraschender Beleg hierfür sind seine Rahmen. Er macht sie in jüngster Zeit fast ausnahmslos selber und gestaltet sie zu wahrhaft bewunderungswürdigen Werken der Kleinkunst. Diese Rahmen werden dann so eins mit dem Bilde und erhöhen so sehr die Wirkung und eigenartige Stimmung des Bildes, dass man sich eines ohne das andere gar nicht mehr denken kann. Ist man solche Einrahmungen einmal gewöhnt, so findet man die herkömmlichen banalen Goldrahmen ganz unleidlich. Man hat die Empfindung, als ob von der Banalität des Rahmens sich etwas auf das Bild übertrage. Daneben wirken Thoma's Bilder, von ihm selbst eingerahmt, äusserst vornehm. Und ein Uebriges thun dazu ihre innern rein künstlerischen Eigenschaften, die tiefe Ruhe, die ernste Schwermuth, der absolute Mangel an theatralischer Geste. Diese Bilder sind nicht für Galerien gedacht, sondern für stille Räume; sie sind für das Haus gedacht, nicht für den Markt.

Ein vornehmer Künstler ist Thoma, aber kein hochmüthiger. Er möchte in das bescheidenste Haus eintreten. Selbst in die Hütte möchte er einen Strahl der Schönheit tragen. Darum eben ist er auf die Lithographie verfallen. Mit ihr möchte er direkt zum Volke sprechen. Und er hat ein starkes Gefühl fürs Volkstümliche, er definirte es einmal als »grob gemacht, aber nicht grob gedacht«. Nur wenige Blätter derart seien genannt: die Flucht nach Aegypten, Christus am Kreuz, der Flötenbläser, das Bauernbildniss, der Mondgeiger, die Märchenerzählerin, die Quellennymphe, die Centaurin am Wasserfall, die Bogenschützen, das Meerwunder.

Diese Blätter sind freilich doch nicht alle volksthümlich, »volksliedmässig«. Und ebenso sind die Originaldrucke davon oft gar nicht grob, sondern sehr fein gemacht. Einzelne wirken wie Gemälde. Thoma war auch eine Zeit lang ganz verliebt in das lithographische Verfahren, und so wurde seine volksthümliche Neigung zu einem grossen technischen Gewinn. Thoma hat damit in Deutschland die Lithographie zu neuen unerwarteten Ehren gebracht. Eine neue Epoche des Steindrucks datirt von ihm. Daneben hat er alsbald auch die jüngsten Erfindungen benutzt; die Tachographie, die Algraphie. Die Radirnadel ist ihm eben so wenig fremd geblieben, und für die nächstjährige Pariser Weltausstellung hat er zu Emailschmuck eine Reihe von Entwürfen ausgearbeitet. Er stimmt also mit den alten Meistern auch noch darin überein, dass er nicht nur nach Einfachheit der Mittel sondern noch mehr nach ihrer allseitigen technischen Beherrschung strebt. Das ehrliche Handwerkerstreben, das die Alten auszeichnete, ist ihm in hohem Grad eigen.

* * *

Heute nennt man Thoma oft mit Arnold Böcklin zusammen. Beide sind keine Geschichtenmaler. Was beide darstellen, ist durchweg ihr eigenes inneres Schauen. In höherem Umfang als jeder andere malen sie selbständige malerische Ideen. Und beide malen nicht des Malens wegen; sie haben etwas zu sagen, wenn sie malen.

Aber Böcklin ist vor allem eine viel sinnlichere Natur. Schon in seiner Farbe offenbart er bekanntlich eine Tiefe und Kraft der Sinnlichkeit, die in Deutschland vorher unerhört war. Jede Kunst ist sinnlich, aber mit Unterschied. Die Böcklin's ist ganz besonders eine sinnliche Kunst. In Thoma dagegen tritt das Sinnliche hinter dem Sinnigen zurück. Thoma ist ein Träumer, ein Poet, ein künstlerischer Sinnirer. Seine Ausdrucksweise hat etwas Zartes, Scheues; seinem ganzen Wesen eignet eine spröde Herbigkeit, eine strenge jungfräuliche Keuschheit. Er ist ein richtiger Sohn seines Stammes, ein richtiger Alemanne.

Böcklin's Landschaften, und Thoma's Landschaften: welche Verschiedenheit der Welten. Bei Böcklin eine Welt buntglühender Träume, eine Welt ungestümer Sehnsuchten, eine Welt geahnter aber ungeschauter Fremdheiten und grauenhaftschöner Wildnisse, eine wahrhaftige Welt der Meerwunder, der blauen Wunder, wie sich das Volk ausdrückt; bei Thoma die Welt der Heimath, der stillen, einfachen, herzrührenden Heimath, der Heimath die uns beglückt, auch wenn der Fremde sie ärmlich finden sollte und ohne Schönheit, der Heimat, wo wir leben und lieben alle Tage, wo wir arbeiten und wirken, und unser müdes Haupt niederlegen zur Ruhe.

Man kann Thoma mit Moritz Schwind vergleichen. Die Werke der beiden sprechen besonders das aus, was wir Natursinnigkeit zu nennen pflegen. Beide malen die deutsche Landschaft, wie die besten deutschen Dichter sie malen. Beide erinnern oft an Eichendorff. Eine grosse Freudigkeit fliesst aus ihren Bildern uns in die Seele:

So silbern geht der Ströme Lauf,
Fernüber schallt Geläute,
Die Seele ruft in sich Glück auf!
Rings grüssen frohe Leute ...

Aber auch diese Vergleichung bedarf der Einschränkung. Wenn Thoma vielleicht weniger Maler ist als Böcklin, im engsten Sinne des Wortes, so ist er es doch wieder mehr als Schwind. Und noch ein tieferer Unterschied besteht zwischen beiden. Nichts ist so charakteristisch für Schwind als seine innige Anlehnung an die Dichtung und Sage. Erst die Dichtung vermittelt ihm seine Ideen und Anschauungen. Er ist so zu sagen ein Liederkomponist; selbständige symphonische Werke waren nicht so recht seine Sache. Nicht ein Illustrator war Schwind wie viele. Das hiesse ihn verkennen. Er war ein vollgültiger Poet. Er hat aus sich heraus, aus seinem Eigensten seine Bildchen gedichtet. Nur als Ausgangspunkt, als Motiv, brauchte er die Anlehnungen an ein Gegebenes.

Thoma dagegen arbeitet, wie Böcklin, mit eigenen Erfindungen. Was ein Thoma'sches Bild uns sinnen und träumen lässt, das hat, in Motiv und Ausführung, allein Thoma gedichtet. Viele seiner Sachen stehen mir so vor Augen, Oelbilder und Lithographien. Ich habe oben eine Anzahl genannt und erinnere hier nur an die »Federspiele«, zu denen H. Thode nachträglich die Verse geliefert hat. Hier war also, und so viel ich weiss zum erstenmal, die Rolle von Dichter und Illustrator vollständig umgekehrt. Und wie es einem sonst mit Illustrationen geht, so mit diesen Versen Thode's: man möchte gern darauf verzichten; man möchte sich die Phantasie des Künstlers lieber selber deuten, frei und ohne das dareinreden eines dritten. Die »Spiele« an sich sagen uns mehr als die Verse; sie sagen überhaupt mehr als jeder einzelne Deuter sagen könnte. Und das gilt auch von Thoma's Lithographien. Thoma ist darum fast in höherem Sinn ein Poet als Moritz Schwind. Er ist mit Arnold Böcklin der grösste Malerpoet der Zeit.

Und das war er schon, ehe er malen lernte. Er lernte es sehr spät. In der stillen Gebirgseinsamkeitseiner Schwarzwaldheimath musste er lange mit der Phantasie malen, ehe er es mit der Hand und dem Pinsel konnte. Man kann finden, dass seine einsame, schullose Jugend ein Unglück für seine Entwicklung war, ich glaube sie war eher sein Glück.

Ein Novellist Benno Rüttenauer, Sommerfarben. schrieb einmal die Geschichte eines einsamen Wälderknaben, der, durch einen Zufall angeregt, sich in brennender Sehnsucht verzehrte nach geahntem Künstlerthum, nach der Möglichkeit farbiger Darstellungen, der von Farben träumte, wo er ging und stand, der hundertmal, wenn er in der Ferne flechtenüberwucherte Steine schimmern sah, roth und gelb, herzklopfend darauf zu eilte, weil er hoffte, dass eine gütige Fee ihr Füllhorn voll Farben dort ausgeschüttet habe. Diese Geschichte las der Verfasser seinem Freund Emil Lugo vor. »Aber das ist ja wahrhaftig die Geschichte von Hans Thoma,« rief Lugo.

Damals hörte ich den Namen zum ersten Mal. Eine Stelle der Geschichte lautete: »Jenseits des grossen Waldes, der ringsum seine heimathliche Einsamkeit umschliesst, bald in stiller majestätischer Ruhe, bald mit gewaltigem Wogen und Brausen, jenseits dieses blauschwarzen Oceans, wohin das Auge nicht zu dringen vermag, dorthin verlegt Johannes mit Hilfe seiner Phantasie die Welt, die in seinem Kopfe ruht. Denn wie jedes Menschengehirn sucht auch das des kleinen Johannes die in ihm liegenden Vorstellungen ausser sich im Raume. Und so bevölkert er sein nie geschautes Jenseits mit Patriarchen und Sterndeutern, mit Propheten in schneeigweissen Gewändern, mit Königen in Purpurmänteln und goldenen Kronen. Ueber der letzten dunklen Kuppe denkt er sich den Anfang dieser Herrlichkeiten. Darum blitzt es auch von Zeit zu Zeit wie ein ausserweltlicher goldener Schein dort herauf, darum steigt auch von dort die Sonnenkugel am morgentlichen Himmel empor. Denn in der anderen Welt, in der Welt dort drüben, sind viele solcher flammender Kugeln, und sind nahe bei den Menschen, und dienen den Kindern der Menschen, zum Spielzeug wie goldene Kegelkugeln. Ganz deutlich und bis ins Einzelne vermag Johannes die ungeschaute Welt zu schauen. Und so ungestüm drängen sich die Gestalten in seine Phantasie, dass er meint, er müsse sie malen, wie er Bäume und Bauern, wie er Kühe und Ziegen abmalte, und oft genug kritzelt er ein seltsames Gestaltendurcheinander auf eine grosse alte Schiefertafel ...«


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