Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Entre Puvis de Chavannes, l'harmonieux, et Gustave Moreau, le subtil, Félicien Rops, l'intense, ferme le triangle kabbalistique du grand art.
Josephin Péladan.
Il ne s'agit que de frapper juste toute pierre, si salie qu'elle soit dans les ornières de la vie, pour en faire jaillir le feu sacré.
Félicien Rops.
Nicht darin besteht das Verderbliche, dass man das Thier im Menschen als Thier darstellt, sondern darin, dass man diese doppelte Natur gänzlich leugnet.
Ludwig Tieck.
Es giebt von Rops eine kleine Lithographie: ein dicker Vlamländer geht an der Seite seiner ebenso dicken Gattin. Die Legende lautet: Quand qu'on méprise la bière de son pays, c'est qu'on n'est pas loin de mépriser son pays, vois-tu, Mieke! Ich weiss keine geistreichere Verspottung des Chauvinismus. Aber gewisse Leute setzen den Satz sogar ins Positive um und sagen: Es ist schon ein schlimmes Zeichen von Fremdländerei oder Vaterlandslosigkeit, wenn man den Wein eines fremden Landes gerne trinkt. Doch waren die Menschen des besten Geschmacks, wenigstens bei uns in Deutschland, nie dieser Meinung, sondern haben immer nicht nur die französischen Weine sondern auch die französische Kunst und Litteratur fast unentbehrlich für sich gefunden.
Wir Deutschen rühmen uns, fremde Art besser zu verstehen als irgend ein anderes Volk. Und das ist in vieler Hinsicht auch wahr. Dennoch hat – Gottlob wird der Chauvinist sagen – auch unser Verstehen der fremden Art oft recht enge Grenzen. Zu keinem Volke standen wir von je in so reger geistiger Beziehung als zu dem französischen. Diese Beziehung bedeutete oft direkte Abhängigkeit, früher in der Litteratur, später in der Kunst; aber haben wir die Franzosen je eigentlich verstanden?
Der grosse Dichter Heinrich von Kleist hat bekanntlich Molières Amphitryon behandelt, eine der genialsten Dichtungen des französischen Komikers. Und er hat gemeint, sie besser machen zu müssen, d. h. er hat, während er bei dem Franzosen eine Anleihe machte, seinen deutschen »fond« nicht preisgeben mögen, nicht preisgeben können. Er hat sein Deutschtum in starker Portion in die französische Schöpfung hineingedichtet. Die meisten deutschen Kritiker finden nun auch wirklich, er habe etwas besseres, etwas tieferes gemacht. Ich meinerseits kann nur finden, dass die freisinnige, freche, frivole, dass mit einem Wort die reine Komödie Molières in der Kleistschen Wiedergeburt als ein höchst bedenkliches Zwitterding herausgekommen ist.
Wenn ein Franzose mit einer deutschen Dichtung so frei umspränge, natürlich im entgegengesetzten Sinn, im französischen Sinn eben, so würden wir uns darüber wohl sehr empören. Kleist konnte Molière nicht folgen, weil er sich einer höheren sittlichen Weltanschauung bewusst war. Müssen nun die Franzosen die Berechtigung dieses Bewusstseins anerkennen? Ich denke, wir verlangen es. Ist das aber nicht naiv? Und liefern wir hier nicht den Beweis eines ziemlich engen Verständnisses fremder Art und einer recht wenig weiten Gerechtigkeit?
Solche Reflexionen drängten sich mir auf, als sich vor kurzem, gelegentlich einer Berliner und anderweitiger Ausstellungen, die deutsche Presse mit Félicien Rops beschäftigte, von dem sie eigentlich blutwenig wusste. Nun hat ja die Tageskritik und Berichterstattung in Deutschland ein allgemein anerkanntes Recht auf Unwissenheit und Unverständnis. Aber ich habe Kritiker höheren Ranges im Auge. Worin bestand ihre Kritik? Sie verglichen Rops mit Max Klinger, den sie hoch verehren, und sie konstatierten, aus Rops spreche nicht der hohe sittliche Geist und Ernst eines Klinger, ergo ...
Wir stehen heute überhaupt dem alten Frankreich gegenüber mehr als je auf dem Standpunkt des Herrn Famulus Wagner: Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht! Besonders seit der blödsinnigen Dreyfus-Jeremiade haben wir für Frankreich nur noch tiefstes Mitleid übrig. Frankreich ist futsch, lautet der ewige Refrain. Und freilich ist da drüben vieles faul, besonders in der offiziellen Vertretung; aber die deutsche Jahrhundertpostkarte mit ihrer elenden Geschmacklosigkeit im Stil eines Dorf-Gesangvereins wäre eben doch drüben nicht möglich gewesen. Und die geringste Münze ist dort ein hohes Kunstwerk. Wir zucken die Achseln. Wenn wir die Schönheit nicht haben, so haben wir dafür die Tugend, und die ist mehr wert. In der That, immer sind die alten lasterhaften Kulturvölker den tugendhaften Barbaren, immer überhaupt ist die Kultur der Barbarei, die Schönheit der Tugend unterlegen – worauf ja die Barbaren stolz sein können.
Ein derartiges stolzes Ueberlegenheitsgefühl kam fast in all den Stimmen zum Ausdruck, die sich über Rops vernehmen liessen.
Wenn wir die Schönheit nicht haben, so haben wir dafür die Tugend. Wir haben sogar die »lex Heinze«. Und darauf können wir ja auch stolz sein, nicht wahr? Man sollte freilich meinen, ein tugendhaftes Volk brauchte am wenigsten ein solches Gesetz. Die Gesetzgeber scheinen der Tugendhaftigkeit ihres Volkes also doch nicht viel zuzutrauen.
Zwar wurde gegen diese »Lex« vielfach protestiert, aber selbst bei diesem Protestieren war viel Mangel an Wahrhaftigkeit. Schnell machte man eine Partei zum Sündenbock, und nahm dann, in stolzem Selbstbewusstsein, den Mund wieder voll vom »freien Geist der deutschen Wissenschaft«. Aber »Wissenschaft«, meine Herrn, das ist Theorie. Und die lex Heinze, es thut mir leid, ist Geist vom deutschen Geist. Die »Edelsten der Nation« werden es mir bestätigen. Jedes Pflänzchen wächst auf seinem Boden. In Frankreich und in Italien giebt es mehr Katholiken als in Deutschland. Und dort wächst kein solches Pflänzchen. Es ist dort gar nicht denkbar. Unsere Ultramontanen sind nicht dumm, sie griffen mit vollen Händen nach der »Lex«; denn sie versprach ihnen Wasser auf ihre Mühlen. Aber das Gesetz an und für sich wird gewollt und gewünscht von ganz andern Leuten ...
Also ein gut Teil der geringschätzigen und vorsichtigen Behandlung, die Rops erfahren hat, mag geheuchelt sein, mag den Massen und dem Zeitgeist von heute zu lieb gedruckt worden sein. Doch in der Hauptsache ist sie gewiss ehrlich.
Und dem steht nun die Thatsache gegenüber, dass in Frankreich die eigenartigsten und tiefsten Geister, dass hier gerade die Männer der religiösen Reaktion zuerst Rops über alles schätzten und nicht nur von künstlerischen sondern ganz besonders von sittlichen Gesichtspunkten aus.
Hat doch dort ein streng katholisches kirchliches Blatt sich lustig gemacht über »die frommen Seelen«, für welche der Teufel und die Wollust manchmal nicht zu existieren scheinen und die Aergernis nehmen an dem blossen Namen eines Künstlers, »der mit der Schöpferkraft eines Michel-Angelo den Satan und die Fleischeslust in ihrer ganzen furchtbaren Entsetzlichkeit gezeigt hat ... und dessen Werk man nicht verheimlichen kann, wenn man auch wollte, parce qu'elle crie d'elle-même vers la gloire«.
Was würde dazu eine gut protestantische deutsche Zeitung sagen?
Der Deutsche hat Freiheit der Gesinnung, schrieb Goethe, und daher merkt er nicht, wie es ihm an Geschmacks- und Geistesfreiheit fehlt.
Also man versteht sich nicht herüber und hinüber. Besonders in jenen Sittlichkeitsfragen versteht man sich nicht in Beziehung zu denen die eine Seite, um ein biblisches Bild zu gebrauchen, vom Sauerteig des Christentums bis ins innerste hinein durchsäuert ist, während die andere Seite in tausend heimlichen Winkeln von diesem Sauerteig unberührt und in ihrer antikheidnischen Naivetät kaum gestört erscheint.
Man versteht sich nicht in Dingen, die man auf der einen Seite nur ernst und quasi tragisch nehmen kann, während man auf der andern Seite geneigt ist, diese Dinge auch einmal nicht ernst zu nehmen, oder sie so wenig ernst zu nehmen als möglich; in Dingen, die auf der einen Seite dem Monsieur de Molière Stoff zur ausgelassensten Farce gaben, und die sich, auf der andern Seite, unter den Händen des Heinrich von Kleist in ein religiöses Erbauungsspiel wandelten.
Die Verschiedenheit der Religion auf beiden Seiten hängt damit eng zusammen. Zwei Religionen können nicht gerecht gegen einander sein.
Ich aber möchte gerecht sein, gerecht gegen den französischen Geist wie gegen den deutschen. Und um das zu können im Folgenden, möchte ich mich, nach den Methoden der modernen Kritik, rein darlegend verhalten, rein aufweisend und hinweisend, indem ich, soweit ich mir's bewusst bleibe, moralische Wertungen zu vermeiden suche, was vielleicht in einer Schrift über Kunst erlaubt sein mag, ohne dass man dem Kritiker den Vorwurf der Frivolität machen darf.
* * *
In nichts unterscheidet sich der protestantische Germane so wesentlich vom katholischen Romanen als in seinem Verhältnis zur »Sünde«, besonders aber in seiner Emancipation von der Sünde. Wo etwa ein Deutscher sagt: was die Welt, was die Kirche, was altmodische Moralisten Sünde nennen, das ist keine Sünde, das ist Natur, und was sie Tugend nennen, ist keine Tugend sondern Larifari; da sagt ein freigeistiger Franzose: Sünde ist zwar Sünde und bleibt Sünde, und vor der Tugend muss man den Hut abziehen, aber damit ist es auch genug; denn die Sünde allein ist schön, die Sünde allein ist lustig, die Tugend aber ist langweilig wie ein anglikanischer Sonntag, und also lasst uns lieber sündigen und am Ende, wenn es nicht anders geht, lustig zur Hölle fahren, als gleich von vorneherein vor Langweile zu ...
Wir nennen das die französische Frivolität. Und viele französische Schriftsteller, die in ihrem Lande als ernste, ja als religiöse Männer empfunden werden, wirken auf uns frivol. Ich machte diese Bemerkung zum erstenmal bei einer Besprechung der Psychologie der Liebe von Paul Bourget, und sie passt ebenso gut auf Renan und den frommen Sainte-Boeuve wie auf Huysmans und Péladan.
Wir Deutschen, oder soll ich sagen wir Protestanten, haben im Dogma den Teufel abgeschafft; aber nichts destoweniger empfinden wir vor ihm (der Sünde gegenüber) ein ehrliches Grauen. Die Sünde ist für uns etwas, womit wir nicht spassen; wir nehmen sie ernst, furchtbar ernst; wir haben das Sprichwort, dass man den Teufel nicht an die Wand malen solle. Das darf man ungestraft nur in den römischen Ländern. Der Jesuit Coloma darf in seinen spanischen Romanen die geheimsten Laster so verführerisch schildern als er will, er wird von seinem Orden und der ganzen Kirche approbiert; in Deutschland fände er keinen katholischen Verleger, der ihm seine Bücher druckte, und wenn ein Nicht-Jesuit ähnliche Bücher herausgäbe, die noch gar nicht so stark zu sein brauchten, so würde der ganze katholische Klerus in Deutschland nach der Polizei schreien. Denn die katholische Kirche in Deutschland steht ethisch ganz unter protestantischem Einfluss.
Die Sünde um ihrer selbst willen zu malen, mit der Sünde als etwas Reizendem zu spielen, wenn auch mit heimlich süssem Grauen in der Seele, scheint in der That kein deutscher Hang, und selbst der tugendhaft-derbe Humor, womit unsere Vorfahren bis ins 15. Jahrhundert dem Teufel allerlei Schabernack spielten, ist uns durch die Reformation gründlich ausgetrieben worden. So wenig Zauber als in Deutschland gab es nicht leicht irgendwo, und so viel Zauberinnen oder Hexen sind doch nirgendwo verbrannt worden. Und diese Hexenverbrennungs-Wut ist bis heute keinesweg erloschen.
Ich sagte vorhin, dass die ernstesten Franzosen oft, und gerade wo sie in ihrer Art religiös sind, von uns als frivol empfunden werden.
Aber diese Frivolität ist oft nichts als Naivetät. Sie entspringt ihrem innersten Wesen nach aus jenem volkstümlich-naiven Verhältnis des Menschen zur Religion, das dem romanischen Katholiken eigen ist, dem Religion und Kirche gleichbedeutend sind – jenem Verhältnis, das sein Bild und Gleichnis hat in dem Verhältnis des Kindes zur Mutter. Bei einer solchen naiven Erfassung der Religion ist denn die Sünde nicht sowohl das Böse als eben das Verbotene, nicht sowohl etwas Verabscheuungswürdiges als vielmehr etwas sehr Begehrenswertes, das uns (Kindern) nur leider nicht gegönnt ist. Da wird dann die Schlange leicht zur »Muhme« und der Teufel zum alten Onkel, der uns hinter dem Rücken der strengen Mutter seine lieben Süssigkeiten zusteckt und vielleicht, als Humorist, eine Grimasse dazu schneidet. An der Grimasse merken wir, dass wir uns den Magen verderben werden; aber was thut's, die Sachen sind so süss ...
Der Katholizismus ist unstreitbar die naivere Religion.
Und er ist darum die Religion der naiveren Rassen.
Aber ungetrübt ist diese Naivetät nur im italienischen Volke. Der Volkscharakter in Frankreich, wo ja die Reformation mit Gewalt unterdrückt werden musste, ist schon fast halb protestantisch. Hier hat man eine Ahnung vom Bösen, vom Bösen als solchem, das etwas anderes ist als nur ein Verbotenes. Aber man hütet sich, dieses Böse (oder auch den »Bösen«) immer ernst zu nehmen. Das ewige Ernstnehmen verdürbe ja das bischen Spass am Leben. Wer jedoch das Böse ahnt, aber nicht ernst genug ist, um es ernst zu nehmen, dem bleibt nichts anders übrig, als es zu maskieren und zu karrikieren und seinen Hohn und Spott mit ihm zu treiben, mit andern Worten: aus der ernsten Tragödie (die in Frankreich immer langweilig war) eine Komödie zu machen, wenn auch stellenweise eine gruselige Komödie.
Und in der Komödie waren die Franzosen immer gross, immer genial – wobei man aber ja nicht ausschliesslich an Molière denken darf, sondern noch mehr an Rabelais und Balzac, an Montaigne und Saint-Simon. und nicht zum wenigsten an Voltaire und Renan, die beiden nicht sowohl als Schriftsteller wie als Persönlichkeiten genommen.
* * *
Dreimal, in drei aufeinanderfolgenden Jahrhunderten, hat es die französische Komödie zu einem höchsten klassischen Ausdruck gebracht, im XVI. Jahrhundert mit Rabelais, im XVII. Jahrhundert mit Molière, im XVIII. Jahrhundert mit Watteau, Boucher, Fragonard. Und jedesmal hatte sie einen dem Jahrhundert entsprechenden Charakter. Bei Rabelais war sie genial-burlesk und cynisch, bei Molière war sie geistreich-kühn und voll Feinheit; bei dem Maler-Triumvirat des XVIII. Jahrhunderts war sie hinreissend, bestrickend, sinnlich reizvoll. Nur die beiden erstenmale war sie satyrisch, die gemalte Komödie des XVIII. Jahrhunderts war, wenn man das Wort nicht engmoralisch verstehen will, voll kindlicher Unschuld, voll heiligen Glaubens an ihre Welt als die beste aller Welten. Die historische Pompadour hat vielleicht das Wort gesprochen: Après nous le déluge; die gemalten Pompadours des Boucher denken nicht daran. Das Jahrhundert der grössten Sittenverderbnis, wie man zu sagen pflegt, hat Werke gezeitigt von so hoher künstlerischer Naivetät und Unschuld wie kein anderes zuvor.
Im XIX. Jahrhundert schien es dann mit der Komödie vorüber zu sein. Die Revolution schien auf die französischen Geister ähnlich gewirkt zu haben wie die Reformation auf die deutschen. Da kam zunächst der Romanticismus, als dessen Vater der düstere Rousseau zu betrachten ist, der geschworene Feind Voltaires und aller Komödie. Schon Diderot, Rousseaus falscher Freund, hat Boucher nicht verstanden, hat überhaupt die Komödie nicht mehr verstanden, sondern hat den sentimentalen Greuze höher geachtet und hat die »bürgerliche Tragödie« erfunden. Der ganze Romanticismus war, im tollen Widerspruch zu seinem Namen, eine Reaktion des germanischen Blutes oder Geistes gegen den keltoromanischen und antikisierenden Geist der vorausgegangenen Jahrhunderte. Er war auch eine Reaktion der Tragödie gegen die Komödie, die auf einmal in Misskredit kam; er war eine Auflehnung des tragischen Ernstes, dessen man in der Revolution und ihren Nachwirkungen ein Hauch verspürt hatte, gegen die Frivolität und alle verwandten Geister der Komödie ...
Eine Befreiung, im Sinn der Komödie, bedeutete Balzac. Aber unmittelbar auf ihn folgte der Naturalismus: Courbet, Zola; Courbet mit seiner schmutzig grauen Tristigkeit, Zola mit seinem fast plumpen Ernst, mit seiner Verleumdung aller heitern Kunst, mit seiner Verherrlichung der Wissenschaft, dieser Todfeindin der Kunst und aller Heiterkeit des Geistes, Zola der Spätromantiker, der grosse Schöpfer neuer tragischer Symbole, der Tragiker im Reiche der Banausität.
Man sagt immer: Kunst und Wissenschaft. Als ob das zwei durchaus zusammengehörige Dinge wären. In Wahrheit sind die beiden sich feindlich. Viktor Hugo hat die lakonische Formel gestempelt: ceci tuera ceça. Er meinte das geschriebene Wort und die Kathedrale. Das Sprüchlein gilt aber auch für die Wissenschaft und Kunst im Allgemeinen. Immer, durch die ganze Weltgeschichte, hat die Wissenschaft die Kunst getötet, und wir Deutschen sind schon deshalb kein künstlerisches Volk, weil wir ein wissenschaftliches sind.
Zola hat auch in seinen theoretischen Schriften immer die Komödie verleumdet. Und ganz in seinem Fahrwasser segelten die Brüder Goncourt. Der poetischere und mehr auf Rührung bedachte Daudet wirkte, trotz seines Tartarin, ebenfalls in dieser Richtung.
Da lief die Komödie nur so nebenher. Aber tot zu kriegen war sie dennoch nicht: Grandville (von der deutschen Grenze) schrieb eine phantastische, Gavarni, eine rein satyrische, Armand Sylvester eine cynisch-burleske, Catule Mendès eine raffinirt lüsterne, und Lemaître rettete die Komödie in die Kritik, (womit beileibe nichts abfälliges gesagt sein soll).
Doch all diese ragen nicht auf zu der Höhe der grossen Tragiker und Epiker, der Hugo und Zola, der Millet und Puvis de Chavanne. Mit ihnen könnte sich das XIX. Jahrhundert in der Komödie nicht ebenbürtig neben seine Vorgänger stellen.
Aber Frankreich wäre ja nicht mehr Frankreich, wenn ihm seine Kunst des Lachens und Verlachens, seine Lust an der Teufelei, sein Genie das Ernsteste nicht ernst zu nehmen, abhanden gerathen wäre. Und in der That, während ein pessimistischer Naturalismus in tragischen Allüren seine Orgien des banausischen Ernstes feierte, war der Komödie bereits, auch einer pessimistischen Komödie diesmal, ein heimlicher Kaiser erstanden, der nun endlich öffentlich proklamiert und von allen Kronwächtern der Kunst freudig als solcher anerkannt worden ist: Felicien Rops.
Ich lasse es dahin gestellt sein, ob Rops zu der göttlichen Komödie des Dante und zu der menschlichen (allzumenschlichen!) des Balzac eine dritte, eine teuflische Komödie geschrieben hat, wie einige wollen; aber in die Komödie gehört sein Werk auf alle Fälle. Es gehört hinein, so gewiss wie alle Satyre hinein gehört, und alle Groteske, und alle Grimasse und Karrikatur, so gewiss wie die Mysterien des Mittelalters zur Komödie gehören. Denn mehr als an Balzac, und mehr als an Molière und Rabelais, erinnert Rops in seinen bedeutendsten Blättern an jene Mysterien und an Dante selber, den göttlichen, der eben diese Mysterien zum sublimsten Ausdruck gebracht hat und der (bei aller Göttlichkeit) doch auch vor allem Zeitsatyriker war.
Aber nur keine Angst, lieber Ernst Wohlerzogen, ich werde diesen Vergleich nicht zu weit treiben und alle nöthigen Abstände respektieren.
Vor allem ist zu sagen: es giebt verschiedene Rops. Es giebt zunächst einen Naturalisten Rops, der oft an Millet erinnert. Man machte Rops sogar zum Schüler von Millet. Aber man sollte einen grossen Meister nicht so leichthin zum Schüler erklären. Wenn zwei Meister Aehnliches schaffen und sich sozusagen begegnen in ihrem Werk, so können sie doch ganz unabhängig von einander sein. Und das behauptet ein so strenger Kenner wie Arsène Alexandre von Rops. Für ihn ist mehr als eine Radierung von Rops nach ländlichen Typen oder Scenen ebenso ergreifend als die »Aehrenleserinnen« und ergreifender als der »Angelus«. Das ist vielleicht das schmeichelhafteste was von Rops ausgesagt worden ist. Alexandre findet übrigens die Bäuerinnen von Rops, dem Naturalisten und Veristen Rops, weniger dumpf und stumpf als die von Millet; er sieht in ihren unruhigen Zügen bereits die Anzeichen von des Künstlers späterer Entwicklung zum Satyriker.
Um nur wenige dieser Blätter zu nennen. Da ist die »Kennerin in Spitzen«, und das »Milchmädchen aus Antwerpen«, dann »das Dorf-Orakel« dann »Mein Onkel Claes und meine Tante Johanna«, sämtlich Radierungen; da ist dann das Oelgemälde »Die Alte aus Antwerpen« und das weltberühmte Aquarell »Der Skandal«, das durch Bertrands farbige Radierung eine weite Verbreitung gefunden hat.
Man braucht diese Blätter nur anzusehen und man glaubt sich mitten hinein versetzt in eine jener weltverlorenen und weltvergessenen Städte im Bereich der Schelde, »wo die Frauen Goldplatten vor der Stirne tragen«. Ein einziges Blatt erweckt sofort in unserer Phantasie das ganze schlummerige Leben jenes abseitigen Volkes mit seiner grossen Geschichte.
Brügge steigt vor uns auf, la Bruges Morte des Georges Rodenbach, »dieses alte Venedig des Nordens, wie Rops selber schreibt, das nur noch ein Grab ist, wo unter den alten gothischen Palästen mit dem melancholischen Aussehen die Wasserlilien in den Kanälen blühen, wo alte Weiber, Gestalten aus Memling, auf den längst verödeten Steindämmen sich hinschleppen als seien sie die Klageweiber der grossen Vergangenheit dieser Stadt«.
Von dem »Milchmädchen« sagt Eugen Demolder mit Recht, dass die keusche und delikate Linie seines Profils fast an die strenge Gothik erinnert. Und vor der »Experte en dentelles« weiss sich der niederländische Kritiker in Bewunderung gar nicht genug zu thun. Diese Radierung, meint er, ist eben so reich und warm von Leben durchzittert, trotz der ruhigen Physiognomie des Gegenstandes, als andere Blätter, wo Rops bemüht war, den verführerischen Blick einer Pariser Courtisane zum Ausdruck zu bringen. Und welche Harmonie der verschiedenen Halbdunkel, in wunderbarer Abstimmung bis ins tiefste Schwarz hinein, über das Ganze hinflutend, und belebt durch die hellen Lichter der Hände und der Haube, welche wie Diamanten aufleuchten aus dem dunklen Sammt dieses reichen und einschmeichlerischen Colorits. In einem solchen Blatt, ruft de Molder aus, offenbart sich Rops als ächter Nachkomme der alten flandrischen Meister mit ihrer ruhigen Kraft, mit ihrem überraschend wahren Fleischton – leur charnu extraordinaire.
Aber da ist eine andere kleine Radierung. Vieille gouge nennt sie Rops, ein Weib mit breiten dicken Lippen und dem Lachen einer Faunin, »qui a dû faire l'orgueil lascif de maint cabaret«. Dieses Blatt, wie die Absinthtrinkerin und der Gehenkte, weist bereits auf den spätem Rops, den Satyriker, den Schilderer des Pariser Nachtlebens, den Darsteller depravierter Thierinstinkte im Menschen, woran bei Nennung seines Namens vor allem gedacht wird.
Doch soll von diesem Rops noch nicht sogleich die Rede sein. Der Künstler, der als Naturalist anfing, womit er sich als Kind seiner Zeit auswies, entpuppte sich im Handumdrehen als Meister einer Kunst, für welche die naturalistische Strömung todbringend schien, nämlich der schmückenden Kunst.
Nicht Wände schmückte Rops sondern Bücher. In der Geschichte des Bücherschmucks, der freilich in Frankreich nie so tief gesunken war wie in Deutschland, nimmt Rops im 19. Jahrhundert unstreitig die erste Stelle ein. Der hohe Aufschwung, den diese Kunst neuerdings wieder nimmt, beruht zum guten Teil auf seinen Anregungen.
* * *
Die berühmten Titelblätter von Rops, frontispices, wollen nicht in erster Linie einen Inhalt darstellen, sondern wollen eben Schmuck sein. Freilich sollen sie Bezug haben auf den Inhalt des Buches. Aber sie suchen das nicht damit zu erreichen, dass sie eine Scene oder mehrere Scenen herausgreifen und realistisch darstellen, sondern indem sie synthetisch durch freie Erfindungen, durch mehr oder weniger symbolische Gestalten den Gesammtcharakter, die Gesammtstimmung des Buches zum Ausdruck bringen.
Und so verfährt Rops auch, wo er, wie bei den Diaboliques des Barbey d'Aurevilly, ein Buch ganz durchillustriert. Das sind keine Illustrationen, wie sie vor 30 Jahren gang und gäbe geworden waren. Sie stellen nicht einzelne Vorgänge des Buches getreu dar, indem sie einfach noch einmal sagen (und meist schlechter), was der Dichter schon in seiner Sprache gesagt hat. Sondern sie wollen zu dem, was der Dichter sagt, etwas anderes eigenes sagen. Der Zeichner will nicht für Menschen, die aller Phantasie bar sind, das noch einmal mit seinen Mitteln darstellen, was der Dichter schon dargestellt hat, sondern das, was der Dichter in ihm anregt, seine eigenen Spiele der Phantasie, die des Dichters Gestalten umgaukeln, seine eigenen tausend Nebengedanken, die um die Gedanken des Dichters herum aufblühen gleich einem üppigen Rankenwerk um einen Stamm; er will die Stimmung, die besondere Stimmung, die der Dichter auf jeder Seite erweckt, mit seinen besondern Kunstmitteln gleichsam zur Sichtbarkeit verdichten in Arabesken und vieldeutig symbolischen Figuren; er will um das Gedicht des Dichters herum ein neues Gedicht flechten, das dem des Dichters nicht unebenbürtig zu sein braucht.
Und so wird der Bücherschmuck, so weit er sich nicht mit der ornamentalen Linie begnügt, heute wieder überall verstanden. In diesem Sinn hat Rops aus dem allegorischen Titelblatt des XVIII. Jahrhunderts die lebendigere und bewegtere, die vieldeutigere, mit einem Wort die poetischere moderne Symbolik, die synthetische Symbolik entwickelt; in diesem Sinn sind seine Illustrationen, noch mehr aber seine Frontispice epochemachend; sie verleugnen nicht die nationale Tradition des vorausgegangenen Jahrhunderts, sind aber doch, als von neuem Leben beseelt, etwas ganz neues.
* * *
Bei den Titelblättern von Rops zeigt es sich deutlich, wie die schmückende Kunst ihrer Natur nach zu Symbolen neigt. Da sie, ihrer Aufgabe gemäss, sich mit einem realen Inhalt nicht zu schleppen hat, so werden naturgemäss ihre Gestaltungen, sobald sie mehr als gefällig sein wollen, einen allgemeinen Sinn wenn nicht auszudrücken so doch anzudeuten suchen. Und so ist es gerade diese Kunstgattung, die den Formen und selbst den Linien eine symbolische Bedeutung einprägt.
Es giebt Blätter dieser Art von Rops, die, äusserlich genommen, kaum aus der Tradition des XVIII. Jahrhunderts heraustreten: eine mehr oder weniger allegorische Figur ist zu einer Titelschrift oder sonstigen Inschrift in Beziehung gebracht.
Aber auch diese Blätter sind dennoch ganz modern durch die Behandlung der Form, durch ein erhöhtes Gefühl für lebendiges Fleisch, durch einen stark individuellen Ausdruck von Leben.
Hierher gehört z. B. die elegante Trocken-Nadel-Radierung, wo ein geradezu klassisch gezeichnetes Weib mit lorbeergekröntem Haupt den Spruch des Augustinus, Diaboli virtus in lombis, auf eine Marmortafel schreibt, hinter der ein kleiner Teufel hervorgrinst. Diese Composition diente einer ganzen Reihe von Neuausgaben älterer Werke als Titelblatt. Ferner ist hier zu nennen der Frontispice zu den Rimes de Joie des Brüsseler Lyrikers T. Hannon, eine moderne weibliche Nacktheit, die den Griffel spitzt, während um sie herum ein Gewimmel von faunischen Putten ihr ausgelassenes Wesen treiben. Und diesem wieder verwandt ist das Titelbatt zu den Oeuvres badines des Abbé de Grecourt. Die Muse trägt den Kopfputz der Kammerzofe des galanten Jahrhunderts und die nackten Fäunchen sind mit Galanteriedegen und abbé-mässigen Dreispitzhütchen geschmückt. Einer dieser wenig himmlischen Putten liegt auf dem Rücken und spielt Fangball mit dem geistigen Dreispitz, wobei er statt der Arme die Beine benutzt. Die ganze frivole aber elegante Lüderlichkeit der feinen Gesellschaft des XVIII. Jahrhunderts ist uns hier in einer ebenso lustigen wie grandiosen Synthese vor die Augen gestellt.
Und daneben ein Blatt ganz strengen Stils: ein Weib von idealer Schönheit vor einer Marmortafel, mit dem Citat aus Alfrède de Musset: Qui dit ce qu'il sait, qui donne ce qu'il a, qui fait ce qu'il peut, n'est pas tenu à davantage. Damit schmückte Rops die Propos d'un peintre seines Freundes Henry Detouche. Seine eigene Muse aber, eine Trocken-Nadel-Radierung, gab er für den Nachtrag zu dem Catalogue descriptif et analytique de l'oeuvre gravée de Félicien Rops, par Erastène Ramiro. Neben der Muse stehen die Worte des grossen Landsmannes und Mystikers Ruysbroeck: Il faut que je me réjouisse audessus du temps, quoique le monde ait horreur de ma joie, et que sa grossièreté ne sache point ce que je veux dire. Huysmans, in A Rebours, hatte diese Stelle bereits zitiert und sie unterzeichnet: Ruysbroeck l'admirable.
Die Muse, wie sie Rops sich denkt (und sich zeichnet) ist ein nacktes Weib von lebenstrotzenden aber untadelhaften Formen, voll Siegesgefühl und Siegesglück. Sie hält eine Mappe und einen Zeichenstift. Der Körper dieses Weibes, mit den wenig Strichelchen der Trocken-Nadel herausmodelliert, athmet in seinem Fleisch eine solche Wärme, eine solche quellende, schwellende, zitternde Fülle des Lebens, dass man – diesen siegesgewissen Blick ihres Auges wohl begreift.
Et son sourire d'enfant mutin
Qui brave les années moroses
Est toujours une fleur éclose
Sous les baisers du matin.
Es ist das keine heilige Muse, aber es ist auch keine unwürdige.
Diese und andere Titelblätter von Rops machen, wenn man von gewissen äusserlichen Betonungen der Modernität und des Zeitkostüms absieht, fast einen klassischen Eindruck. Aber daneben giebt es nun solche von ausgesprochenem Symbolismus, von geradezu mystischer Vieldeutigkeit und Tiefsinnigkeit, Blätter allermodernsten Stils: so die seltsam blickende Sphynx mit den grausigen Augen, die einen Band Verse von Verlaine schmücken sollte; so das Titelblatt zu der »Initiation sentimentale« des Josephin Péledan, das zu beschreiben ich mich wohlweislich hüte; so das Blatt, genannt La Grande Lyre, der Titelschmuck zu den Werken des Stephan Mallarmé.
Dieses Blatt lässt sich wenigstens beschreiben. Auf einem hieratischen Thron, dessen Lehne ein Fragezeichen bildet, sitzt die Muse in schlanker strenger Nacktheit. Zwischen ihren Knieen richtet sich eine übernatürliche Lyra empor, deren Saiten sich in den Himmel verlieren. Zwei wirkliche Hände greifen machtvoll in die Saiten, während, wie aus einem Ocean hervor, sich andere schemenhafte Hände ohnmächtig nach der Leier empor recken, ohne sie zu erreichen. Ein Haufen von Schädeln ehemaliger Akademiker und offiziell gekrönter Dichter ist auf dem Sockel unter dem Throne der Muse gelagert, und die Muse setzt ihren Fuss darauf ...
Solcher mystischer Blätter wären noch eine Anzahl zu nennen.
Aber ob Rops in seinen Buchtiteln (frontispices) durch die blose schöne Form einer weiblichen Gestalt wirkt oder aber eine mystische Tiefsinnigkeit aussprechen will, immer offenbart er darin ein sicheres architektonisches Gefühl, ohne welches die Sache nicht das wäre, was sie sein soll; immer behält er im Auge, dass der nächste Zweck solcher Blätter der ist, ein Schmuck und eine Zierde zu sein.
Mit diesem sichern Gefühl überragt Rops die meisten Künstler seiner Zeit, besonders seiner ersten Zeit. Damit hat er, und er zuerst, den Naturalismus überwunden; damit ist er vorbildlich geworden für die schmückende Kunst, die heute wieder stark und selbstbewusst wird.
* * *
Ich habe bis jetzt die Titelblätter von Rops nur unter formalen und rein künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet; aber bei Rops ist neben der ästhetischen auch die ethische Seite seiner Werke keineswegs gleichgültig. Es wird ja bei ihm oft genug der Künstler neben dem Moralisten übersehen.
Man braucht aber, um die moralische Richtung seiner Titelblätter zu kennzeichnen, nur die Bücher zu nennen, denen sie als Schmuck dienen.
Erbauungsschriften sind es nicht gerade.
Es sind zunächst einige moderne Poeten der ausgesprochensten Dekadenz, so Verlaine, so Baudelaire, so Malarmé; dann einige noch jüngere wie Hannon und Uzanne; dann der berühmte Barbey d'Aurevilly mit seiner Mischung von katholischer Mystik und spiritualistisch-sinnlicher Ausschweifung. Und es sind besonders Neudrucke älterer Werke, und zwar ausschliesslich solcher, die gewisse Dinge nicht allzuernst, ja oft gar nicht ernst nehmen, die frivol genug sind, sich gelegentlich selber als oeuvres badines, oder gar als oeuvre inutiles et nuisibles zu bezeichnen, die frech, dem Goetheschen Wort zum Trotz, vor keuschen Ohren nennen, was keusche Herzen nicht entbehren können, die diese Dinge aber nicht so nennen wie Zola, nicht mit aufrichtig moralischer Absicht, nicht tragisch, sondern die daran nur die lächerliche, die komische Seite hervorkehren und sie nur heuchlerisch manchmal mit ein wenig Moral verbrämen, ohne jedoch zu wünschen, dass wir unsererseits ihre Heuchelei allzu ernst nehmen.
Solche Werke, offen gestanden, scheint Rops zu lieben.
Er schafft eben selber solche Werke. Und wie er technisch und stilistisch, so knüpft er darin auch ethisch an das XVIII. Jahrhundert an, an das Jahrhundert Voltaires, des frivolsten aller grossen Geister, an das Jahrhundert der Du Barry und der galanten Abbés, der Grecourt, Crébellion und Casanova, an das Jahrhundert der Boucher, Watteau und Fragonard, an das Jahrhundert mit seinem après nous le déluge; an das Jahrhundert, wo Monsieur Prud'homme noch nicht das grosse Wort führen durfte, der Philister, unter dessen Händen die Komödie zum seichten oder sentimentalen Rührstück geworden ist.
Diesen Philister hasst Rops. Denn der Philister ist der Todfeind der Komödie. Dem Philister zum Trotz schuf Rops sein Werk, das eine Erneuerung der Komödie bedeutet.
Er hasste ihn nicht allein. Gustave Flaubert und d'Aurevilly hassen ihn gleichermassen. Flaubert hat ihm in seinem Apotheker Homais am Pranger ein Denkmal gesetzt, und auf einem Blatt von Rops hält ein nacktes Weib, das diesmal sogar an Pallas Athene erinnert, den abgeschlagenen Kopf des Erzphilisters Thiers in der ausgestreckten Hand, und darunter steht zu lesen: Ecce Homais!
Den Philister hasst Rops; denn der Philister nimmt nur eins nicht ernst: die Kunst. Und was der Philister ernst nimmt, daraus macht Rops, wie alle freien Geister seiner Verwandtschaft, seine grosse Komödie. In diesem Sinn nennt ihn Octave Uzanne den Enkel von Rabelais, von Béroalde de Verville, von Cyrano de Bergerac. In diesem Sinn ist Rops der Wiedererneuerer und Fortsetzer des ausserromantischen und ausserklassischen esprit gaulois der französischen Komödie.
* * *
»Je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen ... und – – dass die Geschlechtsverhältnisse den leichtesten, jederzeit bereitliegenden ... Stoff zum Lachen abgeben, ... könnte nicht sein, wenn nicht der tiefste Ernst gerade ihnen zu Grunde läge.
... Daher kann der Dichter (der Künstler) so gut die Wollust wie die Mystik besingen, Anakreon oder Angelus Silesius sein ...«
Das war die Meinung des morosen Schopenhauer, der, bei all seinem Pessimismus, den Sinn der Komödie besser begriffen hat als die meisten deutschen Philosophen.
Romeo und Julie ist die reine Tragödie der Liebe, wenn man näher zusieht, des reinen Geschlechtstriebs mit seinem starken Zuchtwahl-Instinkt. Dass sich dasselbe Thema auch als Komödie behandeln liesse, wird niemand leugnen. Ja die Tragödie selber streift mehr als einmal hart an die Grenze wo das komische anfängt. Die Komödie ist überhaupt nichts als eine bewusste Auflehnung des frei gewordenen Geistes gegen die mächtigen aber dumpfen Gewalten der Seele, die wir Leidenschaften nennen; sie ist, um mich hier schopenhauerischer Terminologie zu bedienen, ein Götterlachen des Intellekts über den mächtigen aber tölpelhaften Willen, ein Triumph des feinen Ulysses über den starken aber blinden Polyphem. Sie ist immer eine Art Bubenstreich des Menschen gegen Gott, d. h. ein Nasendrehen des sich im Augenblick emanzipierenden Individuums gegen die ewig-individuumsfeindlichen Zwecke der Gattung.
In nichts aber stehen sich Individuum und Gattung so feindlich gegenüber, ist das Individuum so sehr der Spielball des Gattungswillens, als in der Geschlechtsfunktion. Und so liegt hier die tiefste Quelle nicht nur der Tragödie, sondern auch der Komödie.
Und so möchte Tieck »unserem witzigen Jean Paul« gerade daraus einen Vorwurf machen, dass er, »der das Seltsamste, Wildeste und Tollste in seinen humoristischen Ergiessungen aussprechen will«, in diesen Regionen des Witzes und der Laune ein Fremdling blieb.
Rops hat sich eine Devise gezeichnet: unter einem Feigenblatt (feuille de vigne) kommt eine Katze hervor und darunter steht als Legende: J'appelle un chat un chat.
Das ist im höchsten Grade geistreich und es ist auch klar was Rops damit sagen wollte. Aber bezeichnend für seine Art ist die Devise keineswegs. Nur die grosse naive Kunst nennt eine Katze ohne weiteres eine Katze. Von Rops gilt das gar nicht.
Seine Art besteht darin: Wenn er eine Katze nennt, so meint er damit einen moralischen Werth und ist sich dessen vollständig bewusst, nur dass er, im Gegensatz etwa zu Zola oder Hugo, den bewussten Wert nicht eben sehr hoch anschlägt, sondern darüber lachen und spotten muss.
Und noch etwas sagt er, wenn er Katze sagt, nämlich »Gefahr« d. h. Mäusegefahr, Mäuseverderben, Mäusetod. Aber bei allem Bewusstsein, auch zum Geschlecht der Mäuse zu gehören, muss er doch wieder lachen und spotten und mag sich's um keinen Preis nehmen lassen, der Katze ein wenig um den Bart zu gehen, das ist so ein kitzeliges Gefühl.
Ich weiss keine andere Formel für sein Werk, wenigstens für den Teil seines Werkes, den ich hier im Auge habe, wo Rops zwar die Wollust geisselt, aber sie auch malt mit Lust, wenn auch in die Lust sich manchmal ein Grauen einschleichen sollte.
Sich immer wieder über dieses Grauen hinweg zusetzen, und sei es auch mit einer Zote, das eben ist der Charakter seines Geistes und seiner Kunst in einer grossen Anzahl seiner Schöpfungen, wo das Lachen, wo die Komödie triumphiert. Sein Geist, seine Kunst weisen noch andere Seiten auf – wovon gleich nachher die Rede sein soll – aber seine Muse, von ihm selbst gezeichnet, ist ein fesches Frauenzimmer mit einer Miene, die nicht nach Moralpredigermiene aussieht, aus deren Auge es eher ironisch blitzt, und deren Zeichenstift uns ebenso ironisch anblickt, weil er mit seiner Gestalt – auch an etwas anders erinnern könnte. Und so wenig sie bekleidet ist, so hat sie doch einen modernen Hut auf, und hat hochgehende seidene Strümpfe an, wahrscheinlich damit wir sie ja nicht für eine Göttin oder gezeichnete Statue halten, sondern uns ihrer warmblütigen Menschlichkeit jeden Augenblick bewusst bleiben sollen.
* * *
Von Napoleon dem Grossen erzählt sein jüngster Geschichtschreiber, dass er sich über Fräulein Mars empörte, als sie ihre Strümpfe nicht auszog; er hielt das für ein Eingeständnis hässlicher Füsse und liess die berühmte Tragödin sich auch ihre übrigen Sachen wieder anziehen.
Der Geschichtschreiber Napoleons knüpft daran keine Moral, aber der wahre Pariser von heute wird in dieser Anekdote nur einen Zug korsischer Ur-Barbarei entdecken können. Und diesen Pariser von heute und seine Art Sinnlichkeit und seine Art Weib will eben Rops charakterisieren. Er weiss nur zu gut, dass in dieser modernen Pariser »Liebe« die intime Toilette eine ungeheuere Rolle spielt, eine grössere als die körperlichen Reize an sich, und er zieht seinen Geschöpfen die Strümpfe nicht aus, so zierliche Füsschen sie auch haben mögen.
Es könnte ein rein künstlerisch-koloristisches Motiv sein, warum er die Strümpfe beibehält. Denn Fleisch im Gegensatz zu Stoff, und aus dem Stoff hervorquellend, wirkt doppelt so stark als Fleisch, und den Glanz der Haut in seiner Besonderheit neben dem Glanz der Seide zu charakterisieren, ist noch für keinen Künstler eine verächtliche Aufgabe gewesen.
Die Sache ist Rops aber auch an sich nicht zuwider. Er ist darin ganz und »gar moderner Pariser. Und was er in dieser Richtung darstellt, hat bei ihm weit mehr den Sinn der Bejahung als der ablehnenden Satyre. Er kann sehr optimistisch sein.
Doch oft mag auch de Molder, mit seiner pessimistischen Auffassung, recht behalten, wenn er meint, Rops habe, indem er dem nackten Weibe einzelne galante Fetzen der Bekleidung liess, die erotische Verkommenheit der Zeit gebrandmarkt, und er habe gerade damit der »grauenhaften Dirne« die Unschuld der Nacktheit erst recht von Leibe gerissen.
Das letztere hat er gewiss gethan. Aber mir fällt da eine Stelle ein, die ich mir in einem Aufsatz, Philosophie de la danse, von Jules Lemaître angestrichen habe. Le costume de nos danseuses d'Opéra, heisst es dort, est extactement le contraire de celui des aimées. Le tutu et la jupe forment un nuage blanc, comme celui dont s'enveloppait la pudique Junon, où disparaissent le ventre et la croupe, toute la partie mauvaise et brutale de ce »corps feminin qui tant est tendre, poly, souëf, et précieux«. Mais les peuples obscènes couvrent soigneusement la gorge et les jambes de leurs danseuses, et découvrent le reste.
Nach Jules Lemaître sind die Franzosen also auch die keuscheste Nation. Das braucht bei ihm nicht zu verwundern. Ein Patriot seines Schlags kann nicht anders, als in allem und jedem sein Volk erhaben zu sehen über alle Völker.
Rops dagegen scheint gefunden zu haben, dass, was Lemaître als obscön brandmarkt, in Paris nicht selten sei, ja dass es charakteristisch sei für Paris.
Er scheint manchmal sogar ein wenig verliebt gewesen zu sein in den »perversen« Zug der Zeit.
Die Wahl der Bücher, zu denen er Titelblätter lieferte, lassen nicht auf einen Bussprediger schliessen. Und so hat er gewiss nicht einzig aus künstlerischer Neugierde »fureté dans les boudoirs étranges pour y découvrir les finesses mystérieuses de la vie de Paris et les hasards des poses surprises – wie er selbst sich ausdrückt.
Jene berühmte Trocken-Nadel-Radierung mit dem daraufgekritzelten Vers
Lasse enfin de l'âpre parure,
A tes pieds, en monstre dompté,
Tu fis se coucher ta fourrure,
Invincible en ta nudité,
ist gewiss auch nicht aus Abscheu vor dem dargestellten Weib entstanden! Auch jene stark erotischen Blätter des »Parnasse satyrique« verraten gerade keinen starken sittlichen Ekel an der Sünde, weder jene bockbärtige Herme, die von winzigen Bachantinnen in gewissen Körpergegenden umkrabbelt ist, noch jene ausgestreckte Faunin ohne Arme mit ihrem Schwarm von kleinen Aegypamen.
Aus einer höchst kuriosen Anrede an seine Muse (ma Mye) klingt ebenfalls nichts weniger als sittliche Entrüstung. Schon die Sprache, in der Rops zu seiner Muse redet, die Sprache des Rabelais und des Balzac der Contes drôlatiques klingt nicht nach Strafe und Busse.
»Vère, ma Mye, lässt der sehr litterarische Rops sich hier vernehmen – ne sont en ma paouore cervelle, que hannetons voletants, flourettes prime: verdières et folles avènes, ce qui est grand pitié pour yceulx qui moyennant force patards, laborent es-Académyes, le gésier tout aorné, paulmé d'or, et enchargié de mesdailles, avec un chief vilainement cathareux branlant et besicleux ... Gens sans vergogne, qui dysent aux chouses de la création: Ce cy n'est point de bon labeur, je fays mieux. Alors Monseigneur Dieu va se musser en grande honte de n'avoir point esté aussi aux académyes«. Das ist doch sicher ein sich rühmen der reinen »gauloiserie«.
Dieser Herrgott, der sich grämt und schämt nicht auf Akademie gewesen zu sein, welch ein wunderbares Wort!
Es giebt noch einmal einen ähnlichen Text von dem gelehrten Rops, der in der gleichen Sprache die gleiche Weltanschauung ausspricht. Es ist das ein Epigraph zu einer Zeichnung, einer Sirene mit dem Meer hinter sich, und der Legende: Non hic piscis omnium. Dieses Epigraphium giebt quasi eine Naturgeschichte der Sirenen und fährt dann, von ihnen redend, also fort: Ne les peuvent ouyr et vésir sans dangier, et faire avec elles beaux devis, que les gens très doctes et bons phycicians, aussy les ménestrels et les tailleurs de belles imaiges et ceux qui ont rapports avec Génies fadesques et herméteux. Ne les peuvent en ryen comprendre les soudards, tabellions, chats fourrés et aultres de même séquelle. Ne plus ceux qui ne sont pas grands clercs en leurs mestiers et n'ont point belle cervelle en leurs chiefs.
C'est pourquoi les sudits sçavants et devyns les nomment en leur languaige de latin: Non hic piscis omnium, dont la signifiance est que ces chauldes sireines ne sont point le poisson des villains. Ce qui m'est avis et bien dit.
Und dennoch ist die »gauloiserie«, die bis jetzt so stark betont werden musste, nur die eine Seite der Medaille; der Revers sieht ein wenig anders aus, und es wird sich fragen, welche der beiden Prägungen wir für die stärkere halten wollen.
Die Wollust der Creatur ist gemenget mit Bitterniss, sagt der Meister Eckhard, der das Wort tief empfunden haben muss. Rops aber ist sein Landsmann. Rops ist von Haus aus kein Gallo-Romane. In Rops fliesst ein Tropfen reinen germanischen Blutes.
Eines vor allem, sagt de Molder, fällt auf in einer Sammlung von Rops, das flandrische Blut des Künstlers und, unter der romanischen Aeusserlichkeit, der germanische Urgrund seiner Kunst.
Er ist oft sehr versteckt, dieser Urgrund, und dem oberflächlichen deutschen Beobachter zeigt er sich kaum. Auch in Karl Huysmans liegt das deutsche Element, so stark es ist, nicht oben auf, sondern wird durch seine besondere Art von Katholizismus fast bis zur Unkenntlichkeit maskiert. Deutlicher schon erkennen wir es in Georges Rodenbach und noch deutlicher in Maeterlink.
Sie alle aber sind Landsleute.
Und sie sind zugleich Landsleute von Thomas a Kempis, von Ruysbroeck, von Gerhard Groote.
Sie alle sind Mystiker.
Wenn es Rops nicht immer ist, wenn bei ihm oft genug der reine »Gaulois« herauskommt, so ist er es dafür in einzelnen Werken um so stärker. Auch in Rops steckt ein germanischer Christ, der die Sinnlichkeit verneinen muss, der die Sinnlichkeit als Werk des Teufels empfinden muss und dem, wie oft er gelacht und gespottet und gehöhnt hat, in tiefster Seele ein unendliches Grauen vor der Sünde wohnt. Und diese zweite Seele in seiner Brust muss, wie oft sie sich auch verleugnet, sehr stark sein; es ist sogar wahrscheinlich seine erste Seele. Denn aus ihrer Kraft und Eigenart floss das Leben seiner unstreitbar genialsten Werke, seiner mystisch-symbolischen Schöpfungen, seiner Sataniques, in denen er manchmal an Goya, viel häufiger aber an den alten Höllen-Breughel, ja an Albrecht Dürer erinnert.
Doch macht sich diese »germanische Seele« bereits in andern Werken geltend, wo Rops die Wollust noch realistisch darstellt. Auch hier tritt schon oft genug das Grauen an die Stelle des Wohlgefallens, die Verhässlichung an die Stelle der Verschönerung und Idealisierung, die Verneinung an die Stelle der Bejahung, die tragische Färbung an die Stelle der komödischen.
Wie Shakespeare seine Tragödie nie rein hält, sondern stets mit komischen Elementen untermischt, so spielt bei Rops die Tragik in die Komödie hinein, und dadurch unterscheidet sich Rops auffallend von seinen Vorgängern in der französischen Komödie, die eben alle von reinerem gallischem Blute waren. Man muss bis auf die Mysterien des Mittelalters zurückgehen, um etwas den Sataniques verwandtes zu finden.
* * *
Interessant ist das Verhalten der Kritiker in diesem Punkt. Je mehr sie Rops durch Landsmannschaft verwandt sind, desto stärker empfinden sie den verneinenden und tragischen Gehalt seiner Werke, und umgekehrt. Der Marseillaiser Pradelle sieht fast nur Bejahung und Komödie in der Rops'schen Kunst. Nach ihm ist das Idol, das Leben, der Zweck dieser Kunst allein das Weib, und nicht sowohl das Weib als Abstraktion, das Weib als Seele, als Poesie, als Ideal, nein das Fleisch, der Körper des Weibes, dieses »süssen Menschenthiers«. Die Domaine dieser Kunst, so unendlich sie sein mag, beschränkt sich dennoch, nach Pradelle, auf den Körper des Weibes, des modernen Weibes, des Weibes, das er liebt, et qui est devenue sa conquête, sa proie, sa force.
Rops ist für Pradelle ein Teufel von einem Künstler, ein muskulöser und nervöser Teufel zugleich, ein grosser Lacher, voll von lustigen Spässen, der eine entzückende, zierlich-heitere Welt auf seine Kupfertafeln zaubert, eine Welt, qui pétille de grâce, de gaieté, de fine robustesse. Nach eben diesem Kritiker giebt es nichts was so verführerisch wäre, so farbenschillernd, so einschmeichlerisch, »als dieses plastische Dekamerone der galanten Pariserin, die Rops nimmt, wo er sie findet, die er um und umwendet, die er auskleidet, der er aber, in der äussersten Nacktheit, immer noch einen Fetzen lässt, einen seidenen Strumpf, ein berstendes Korset, einen hochgestöckelten Pantoffel, alles, um ihre Nacktheit noch prickelnder zu machen«. Man öffne eine Mappe von Rops, ruft Pradelle aus, und entgegen blüht uns die Blume des Fleisches, die Blume der Wollust, deren Duft die Versuchung und – vielleicht das Verderben der Gesellschaft ist!
Für Pradelle ist Rops l'artiste le plus absolument parisien, der zugleich die Natur liebt mit religiöser Verehrung, mit altheidnischer Vergötterung.
Der Provençale sieht also in Rops nur die eine Seite der Medaille, die heitere, wo die Komödie lacht und scherzt und spottet, ja blasphemiert, wenn es darauf ankommt, auf alle Fälle aber jeder Art Ernst eine Nase dreht oder auch etwas anderes weist als die Nase.
Die andere Seite wird von Pradelle nur eben berührt.
Die gleiche Auffassung teilt Oktave Uzanne. Er kennt Rops nur im blumigen Gewand der Jugend, enrichi de joyeuses arabesques. Er nennt ihn den gesundesten Pantheisten unserer Zeit, der mit der Natur unter tausend Formen kommuniziert, aber – sans la moindre lithurgie diabolique. Er sagt von der Gesamtheit des Rops'schen Werks, qu'elle se ressent des vertes et vigoureuses amours des Jupiter-Sonnengott-Menschen, der da anbetet, alles was lebt, alles was wächst, alles was blüht, alles was athmet unter dem blauen Himmel.
Auch Uzanne sieht in Rops nur die Bejahung des Lebens.
Schon anders fasst Arsène Alexandre den Künstler. Er betrachtet Rops nicht ausschliesslich als Verherrlicher des Fleisches und der Fleischeslust sondern er kennt auch den andern Rops, in welchem der Christ zum Durchbruch kommt, der Christ und der Germane, als Strafer des Fleisches und der Fleischeslust, als Brandmarker der Ueppigkeit, als Betoner der Sünde.
Keiner wie Rops hat, nach Alexandre, die moderne Dirne so an den Pranger gestellt, die Dirne mit dem knochigen Körper, mit dem zugleich starren und von Alkohol wirren Blick, mit den vorstehenden Kinnladen, diese Dirne, deren ungeheure Macht, unbegreiflich den Keuschen und Gesunden, sich grausig zusammensetzt aus Gemeinheit, aus demonstrativer Magerkeit, aus Hässlichkeit, aus Dummheit und Kloakengeruch ...
Und keiner wie Rops hat ihn schimpflicher gebrandmarkt den Kumpan dieser Dirne, den lendenlahmen Wüstling mit den Hängelippen, der, wenn man ihm seine äusserliche strenge Correktheit, wie er sie dem Schneider verdankt, plötzlich vom Leibe risse, da stünde als eine Ruine von Mensch, »un squelette couvert de peau flasque, les membres grelottants et s'entre-choquant dans une fièvre de gâtisme«.
Und so ist für Arsène Alexandre das Werk von Rops ein offenbarungsgewaltiges Denkmal von Menschen mit gemeiner Genussucht, mit elender Gesundheit, mit überhitzten oder gelähmten Gehirnen.
Oktave Mirbeau, aus Lothringen, äussert sich ähnlich.
Wie August Rodin, schreibt Mirbeau, mit dem Rops allein verglichen werden kann in dieser Zeit der ängstlichen Talente und der allgemeinen Ideenarmut, so häuft auch Rops auf das Haupt des Mannes den unendlichen Schmerz der Menschheit. Er zeigt uns den Menschen, der gestachelt von seinen Sinnen, unter der fleischlichen Lust röchelnd zusammenbricht.
Das ist nicht mehr der idealisierte Amor, der zwischen Blumen flattert, der Amor mit den rosigen Pausbacken und seinem ewigen Lächeln auf den stupid-gesunden Lippen ... C'est l'amour avec son masque satanique qui vous terrasse, vous étreint de ses genoux de fer, vous écrase de ses ruts qui d'échirent, vous vide le coeur, le cerveau, les moelles, et vous laisse brisés, anéantis, souillés ...
Die sündhafte Heiterkeit, die Frivolität, die altfranzösische Komödie fangen an, ihr Gesicht zu verhüllen.
Der Pessimismus hisst seine Fahne auf.
Schwarz, weithin flatternd, unheimlich, eine ganze Welt verfinsternd, hisst er sie auf mitten in dem Werk, mitten in der Komödie von Félicien Rops.
* * *
Karl Huysmans, der geniale Landsmann von Rops, lässt überhaupt nur diesen lebenverneinenden, diesen pessimistischen Rops gelten. Er, der naturfeindliche Verfasser von A Rebours, der Schilderer des Satanismus und der Schwarzen Messen in Là bas, der spätere Büsser und Benediktiner, er sieht in Rops überhaupt nichts anderes als den Schwinger der schwarzen Fahne, als den finstern Apokalyptiker, als die Posaune des jüngsten Gerichts ...
Alle übrigen Werke schlägt er nicht sehr hoch an im Vergleich zu den mystischen. Wo Rops die Wirklichkeit einfach und mit unerbittlicher Wahrheit darstellt, liebt Huysmans ihn wenig. Wenn Rops, ganz unsymbolisch, die Pariser Dirne der alltäglichen Wirklichkeit schildert, bleibt er, so findet Huysmans, weit zurück hinter der Wahrheitswucht, dem überraschenden Lebensodem, dem – cri méchant de ce prodigieux Degas.
Den Vorzug vor Rops giebt Huysmans auf diesem Gebiet auch dem Zeichner Forain, dont le sens parisien est autrement sûr. Und in seinen realistischen Bäuerinnen findet Huysmans ihn zu sehr abhängig von Millet. Ueber die Titelblätter äussert er sich fast verächtlich. Der Germane Huysmans, so sehr er in gewissem Sinn »Franzose« und so sehr er Katholik ist, kann in Rops doch nur dem germanischen Element vollkommen gerecht werden. Ueber die Gauloiserie seines Freundes geht er hinweg. Die Komödie grossen Stils in Rops sucht er zu übersehen.
Gegenüber dem mystischen und symbolistischen Rops schlägt er dann um so höhere Töne an. Da hat Rops »Célébré ce spriritualisme de la luxure qu'est le Satanisme, peint, en d'imperfectibles pages, le surnaturel de la perversité, l'au delà du Mal«.
Sobald Rops das Weib synthetisiert und symbolisiert und es über alle Wirklichkeit hinaushebt, ist er für Huysmans unvergleichlich in der ganzen Geschichte der Kunst. Er stellt ihm hier als ebenbürtig nur seine ausgesprochensten Antipoden zur Seite, die Symbolisten der höchsten himmlischen Reinheit und Heiligkeit, den Fra Angelico und Memling. Und sein Werk ist für ihn einfach la dernière expression de l'art catholique chez les modernes.
O grand vice biblique, o sublime luxure,
Axe, pivot du monde et moteur des grands rois,
Salut à toi, puissance infernale, qu'assure
Un triomphe si grand, qu'il fait naître l'effroi.
So dichtet, ganz im Sinne Huysmans der Vicomte de Colleville in einer Huldigung an Rops.
Denn Rops hat, wie Huysmans sich ausdrückt, die Idee der Unzucht, die so lang in der Anekdote eine kleinlich alberne Zustutzung und gemeinpöbelhafte Auffassung erfahren musste, wieder begriffen in ihrer ewigen mystischen Allmächtigkeit, und er hat sie, mit wahrhaft religiösem Geiste, wieder in den Rahmen der ewigen Dinge hineingestellt. Darum ist sein Werk nicht obscön und materialistisch, sondern christlich und schrecklich, umloht von den Flammen des Gerichts. Er hat die teuflische Exstase gemalt wie andere die himmlische Vision.
»In einem Jahrhundert, sagt Huysmans wörtlich, wo die materialistisch gewordene Kunst nichts sieht als hysterische Weiber mit entzündeten Ovarien und Nymphomanen, deren Gehirn ausschliesslich in den untern Regionen des Körpers funktioniert, in dieser Zeit hat Rops nicht etwa das Weib unserer Tage, nicht etwa die Pariserin von heute monumental dargestellt, sondern das ewige Wesen des Weibes, das giftige nackte Thier, die grosse Hure der Apokalypse, das willige Werkzeug des Teufels ...«
Und das klingt freilich schauderhaft mittelalterlich.
Man kann überhaupt nur staunen über den Geist der Litteratur, die sich um das Werk von Rops herum gruppiert. Keiner von all diesen Franzosen nimmt die Wollust im antik-heidnischen Sinne als Geschenk und Gunst der Götter, als Gabe und Gnade der reichen Königin Natur, sondern alle haben – was der Protestantismus, wenn nicht in der Praxis, so doch in der Theorie abgeschafft hat – alle haben ein mittelalterlich-christlich-asketisches Gewissen, und die »Wollust der Kreatur« ist ihnen ganz naiverweise eine Emanation des Teufels. In dem Gedicht eines jungen Poeten an Rops, lässt der Dichter den Teufel also sprechen:
Mais il faut que la Terre adore Lucifer.
Je suis grand comme Dieu: moi, j'invente La Chair,
La volupté des seins et la splendeur des hanches.
Und dann fährt der Dichter weiter:
Gloire au Ventre, hurla chaque démon laché,
Et depuis lors la femme, à sa proie attachée,
De son corps précieux fait un nid de péchés.
Das klingt doch gewiss mönchisch-mittelalterlich!
Oder es klingt eben katholisch. Es klingt romanisch.
Das Verhältnis zum Weibe bildet auch einen tiefen Wesensunterschied zwischen Germanen und Romanen. Der Romane ist auch in diesem Punkt naiver, d. h., er ist ungerechter. Er bringt es fertig, seine eigene Schwäche und Lasterhaftigkeit dem Weibe als Schuld anzurechnen. Er braucht die Verderbtheit des Weibes, er schafft sie sich; aber in seiner Naivität findet er, dass das alles der Teufel gethan hat. Und das Weib selbst wird ihm, ganz im mittelalterlichen Stil, zu einem Köter des Teufels, zur Teufelin selber.
Nicht der tausendste Teil ist in germanischen Ländern Böses über das Weib ausgesagt worden als in den romanischen. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan, sagt Goethe. »Zieht uns hinab«, sagt der Romane, der galante Romane. Galanterie ist eben blosse Form.
Huysmans aber hätte nicht zu der besondern Spezialität von Katholizismus kommen können, zu der er in der That gekommen ist, wenn der germanische Kern in ihm nicht doch sehr stark, vielleicht seit längeren Generationen, romanisiert gewesen wäre. Und darin besteht diese Spezialität: sich, aus lauter Religiosität, eben so gern mit dem Teufel oder noch lieber mit dem Teufel als mit Gott selber zu beschäftigen. Man lese nur den Roman Là bas.
Und Rops, der Liebling, ich hätte fast gesagt, der Heilige des Dichters von Là bas scheint allerdings an dieser selben Spezialität stark teil zu haben. Es ist das, was Huysmans an ihm das apokalyptische nennt.
* * *
Leugnen lässt sich nicht, dass die Sataniques und oft auch die Diaboliques von Rops eine Sprache führen, die wohl an die Apokalypse erinnern kann. An ungeheuerlicher und schauerlicher Phantasie stehen sie ihr nicht nach, und in rücksichtslosem Cynismus lassen sie die Bibel weiter hinter sich. Einzelne unter den Blättern können in der deutschen Litteratur nicht beschrieben werden (was aber wahrhaftig kein Compliment ist für die deutsche Litteratur). Ein unheimlicher religiöser Schauer, mit wollüstigem Grausen gemischt, weht uns aus den meisten Blättern entgegen. Kitzelig wirken sie gewiss nicht. Sie wirken grausig.
Aber wie schon in der Apokalypse hart neben dem Sublimsten das Groteske steht, und wie heute viele bedeutende Männer, ohne gerade Banausen zu sein, nicht übermässig hoch von diesem Buche denken, so könnte auch ein »frivoler« Geist die Sataniques von Rops als eine phantastisch-tolle bewusste Posse, also eben auch für Komödie erklären, vielleicht im ästhetisch besten Sinn des Wortes.
Ich wüsste nicht, was dagegen einzuwenden wäre. Will doch Schopenhauer sogar in der Göttlichen Komödie des Dante überall Ironie spüren und deren Titel durchaus in unserem Wortsinn aufgefasst wissen!
* * *
Soll ich aber eine Vorstellung zu geben versuchen von den einzelnen Blättern der Sataniques?
Das erste Blatt heisst: Der Teufel der Unkraut säet.
In der Nacht, über dem schlafenden Paris, erhebt sich, den ganzen Himmel ausfüllend, ein gigantischer Säemann. Seine Füsse mit den ungeheuern Holzschuhen stehen, der eine auf den Dächern der grossen Oper, der andere auf den Thürmen der Notre-Dame. Unter dem ungeheuern gothischen Spitzbogen, den seine magern Beine bilden, wälzt die Seine ihr träges Wasser, von dem ein bleicher Schein zurückfällt. Die Mondscheibe selber ist von den Wolken bedeckt. Mit dem einen Arm hält der Säemann seine Schürze auf, die erfüllt ist von weiblichen Larven, und mit dem andern Arm fährt er gerade aus, weithin über das Firmament, um seinen Samen alles Uebels über der ahnungslosen schlafenden Stadt auszustreuen. Er ist als Bauer gekleidet und trägt einen breitkrämpigen Schlapphut. In seinem knochigen Gesicht brennen ein paar Augen wie Kohlen, und um seinen Mund liegt die Grimasse eines erbarmungslosen sardonischen Lächelns.
Das zweite Blatt heisst die Entführung. Eine nackte Hexe fährt auf ihrem Besenstiel durch die Lüfte; aber der Teufel fasst den Stiel und schleudert seine Beute kopfüber hinaus in die Unendlichkeit des Raums.
Ich habe schon hervorgehoben, dass man nicht alle diese Blätter in deutscher Sprache beschreiben darf. »Le sacrifice« ist dieser Art.
Que m'importent la mort, l'éternité future,
Dieu, l'ineffable espoir, l'indicible torture!
Rien ne peut de tes bras me distraire un instant;
Car en ta chair ardente où se dissout mon âme,
J'ai savouré, caresse ou brûlure de flamme,
Et le Ciel que je brave et l'enfer qui m'attend!
Diese Worte legt José-Maria de Hérédia dem »Opfernden« in den Mund.
Unbeschreiblich ist auch »le Calvaire«. Den Vorgang auf diesem Blatt auch nur in dürren Worten anzugeben, wäre nach deutschem Gesetz, auch ohne die famose »lex Heinze«, schon ein Gipfel der Gotteslästerung. Für Huysmans aber und Péledan, auch für Oktave Mirbeau, ist es ein Werk von tiefsittlichem, von tiefreligiösem Charakter. Und ihnen hat niemand in Frankreich widersprochen, auch kein kirchliches Organ.
So können die Begriffe des Sittlichen und Religiösen bei zwei engbenachbarten Nationen auseinandergehen, die sich doch beide rühmen, christliche Nationen zu sein.
Ebenso wenig lässt sich an dieser Stelle über das andere Blatt der Santaniques reden, das »Idol«. Noch in keinem Werk der Welt, sagt Huysmans ist die Heftigkeit der fleischlichen Lust zu so starkem Ausdruck gekommen; noch niemals ist es gesehen worden, dass ein Ausdruck von Exstase das menschliche Angesicht in so sublimer Weise verzerrt hat. Das dargestellte Weib ist für Huysmans »une sainte satanisée en prière«, »une Sainte Thérèse diabolique«.
* * *
An die Sataniques lassen sich einige Werke verwandter Natur anreihen. Da ist zu nennen: »Pornokrates« oder »la Femme au cochon«. Sie hat eine Binde vor den Augen, und ausser ihrem Hut und den eleganten schwarzen Handschuhen, die bis zu den Ellenbogen gehen, und den schwarzseidenen hohen Strümpfen, ist sie nackt, schamlos nackt, und schön, und von strotzender Gesundheit, von plebeischer, herausfordernder, brutaler Gesundheit. Sie wird von einem Schwein, das sie an der Leine hält, geführt. An dem wolkigtrüben Himmel sieht man erschrockene Amoretten voll Entsetzen die Flucht ergreifen, und zu ihren Füssen, in einem Fries, reihen sich weinend die allegorischen Figuren der Skulptur und der Malerei, der Musik und der Poesie.
Ein kurioses Blatt ist die »Organistin des Teufels«. Ihr Instrument hat seltsame Orgelpfeifen. Und was sie spielt, ist die triumphierende Symphonie der ungestümen Begierde.
Selbst ein Oelgemälde ist hier zu verzeichnen: Die Versuchung des heiligen Antonius. Das Werk ist durch seine Reproduktion bei Muther in weiteren Kreisen bekannt. Jedermann hat es in der Vorstellung, das üppige Weib, das an Stelle des armen Gekreuzigten, der schmählich zu Boden sinkt, dem Heiligen seine schamlose Nacktheit anbietet und mit Triumpfessicherheit auf den entsetzten Asketen, herunterblickt, während hinter dem Kreuz der Teufel und das Schwein mit Bosheit oder mit Gleichmut der Dinge harren, die da kommen sollen. Camille Lemonier sagt von dieser Erfindung: elle est l'éclat de rire d'un Aristophane merveilleusement infusé de malice diabolique; mais elle contient aussi (und das ist sehr wichtig) la sevère douleur d'un esprit trempé dans la souffrance humaine.
Verwandt damit ist die farbige Radierung Evocation ou Incantation, wo vor dem staunenden Faust, durch die geborstene Leinwand eines christlichen Heiligenbildes, vielleicht einer Madonna, die schöne Helena in heidnischer Nacktheit hervorbricht. Das Blatt beweist zugleich, dass Rops, der grosse Moderne, auch das historische Kostüm meisterhaft beherrschte, wenn er es gerade brauchte.
* * *
Viele Moderne, die sich besonders laut so nennen, setzen ihre Modernität darein, von der Vergangenheit nichts wissen zu wollen, oder auch wirklich nichts zu wissen. Die französischen Kritiker, die in Rops die Modernität betonen, begreifen die Sache anders.
Modern sein, so ungefähr drückt sich einer von ihnen aus, das heisst zu allererst sich der ganzen Vergangenheit bewusst sein, von Niniveh und Nimrud bis Theben und Memphis, von Babylon und Persepolis bis Athen, von Ellora und Madura bis Jerusalem, von Rom bis Byzanz, von Florenz bis Paris und London ... das heisst der Zeitgenosse sein aller Jahrhunderte, der Mitbürger aller Nationen und doch wieder ganz besonders ein Kind seiner eigenen Zeit und seines eigenen Volkes.
Modern sein, das heisst alles gesehen zu haben vom Indus bis zum Jordan, vom Euphrat und Tigris bis zum Nil, vom Tiber bis zur Themse ... das heisst alles gelesen zu haben, Upanischad und Zend-Avesta, Moses und Confucius, die Edda und die Kritik der reinen Vernunft.
Ein Moderner, der etwas bedeuten will, hat tausendmal mehr Arbeit zu leisten, als einer der alten Zeit.
* * *
Zusammen mit den Sataniques sind vor allem die Diaboliques zu nennen, die sich ihnen zum grossen Teil würdig anschliessen, nämlich die Illustrationen zu dem gleichnamigen Werk des Barbey d'Aurevilly. Das Blatt, das dem Buche vorgesetzt ist, gehört zu den tiefsinnigsten Schöpfungen des Künstlers.
Eine Sphynx ist ausgestreckt in streng hieratischer Haltung, die Brüste hart, starrend, die Tatzen in strenger Parallele nach vorn gerichtet, der Kopf steif und hoch. Ein nacktes Weib, diesmal ohne verringerndes Attribut der Toilette, schmiegt sich, mit dem Rücken, an die Sphynx an, sie umfasst ihren Hals, sie streckt sich zu ihrem Ohre hin, sie fleht sie an, ihr doch endlich ihr Geheimnis zu offenbaren, das übernatürliche Geheimnis von einer ungeahnten Lust, von einer neuen unerhörten Sünde. »Lasterhaft, einschmeichlerisch reibt sie ihr Fleisch an dem granitenen Ungeheuer, sucht es zu verführen, bietet sich ihm an, wie sie sich sonst dem Manne anbietet, dem sie sein Geld statt seines Geheimnisses entlocken möchte, verrät die Dirne auch in dieser erhabenen unantastbaren Nacktheit einer Göttin oder Eva – – –«
... Dieses Weib, ruft Mirbeau aus, welch ein wunderbares Symbol der Sünde! Und wo ist heute der Maler, der einen Körper, wie den Körper dieses Weibes zeichnen und modellieren könnte ... qui pourrait donner à ces chairs qui s'offrent un tel frémissement de passion, une telle intensité de vie amoureuse ...
Nur Rops, meint Huysmans, konnte die »Diaboliques« illustrieren, qu'un artiste foncièrement chrétien comme Barbey d'Aurevilly était, seul aussi, apte à écrire.
Huysmans nimmt also d'Aurevilly ernst, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als katholischen Christen. Herman Bahr ist ja auch seiner Meinung. Aber selbst in Frankreich giebt es Leute, für die dieser »dandy de la littérature« eigentlich ein Hanswurst ist.
Ich lasse dahingestellt, welche der beiden Auffassungen der Wahrheit am nächsten kommt. Aber ich bin auch der Meinung, dass Rops kaum einen kongenialeren Autor finden konnte als Barbey d'Aurevilly, der jedenfalls, wie Rops, trotz allem Satanismus, der Komödie näher steht als der Tragödie, besonders jener Komödie, die auch insofern Komödie ist, dass sie sich gern mit ihrer eigenen Eierschale maskiert und dann gelegentlich das vorstellt, was sie, in der christlichen Zeitrechnung, ursprünglich war, ein kirchlich-religiöses Mysterium – welches eben, wie Rops oder Aurevilly, im Protestantismus undenkbar ist, selbst wenn man von den grotesken Partien absehen wollte.
* * *
Von den zusammenfassenden Urteilen über Rops als Künstler weiss ich keins, das so knapp und zugleich so erschöpfend wäre, als das seines Freundes Oktave Mirbeau.
Ich kenne keinen Künstler, schreibt dieser Kritiker und Dichter, der uns das Leben mit einer solchen Wahrheit und ausserordentlichen Kraft zum Bewusstsein bringt und dessen Werk durch Tiefe der Gedanken so sehr unser Nachdenken herausfordert. Ich kenne keinen, dessen Zeichnung bewunderungswürdiger, persönlicher, strenger wäre, und reicher an Schönheit, jener geheimnisvollen Schönheit, die den Dingen erst einen Sinn und eine Seele giebt. Rops ist alles: Maler und Schriftsteller, Philosoph und Gelehrter, und seine Radierungen, seine Aquarelle und Gemälde tragen alle den Stempel eines wunderbaren Geistes, dem nichts menschliches fremd ist, und eines feurigen Herzens, in dem aller Schmerz und alle Lust der Menschheit einen Widerhall gefunden hat.
Ein Artikel über Rops, der nur von seiner »Kunst« und nicht auch von seinem Handwerk spräche, wäre in lächerlicher Weise unvollständig. Denn Rops ist ein Handwerker wie selten einer. Die handwerkliche Seite der Kunst steht ihm nicht weniger hoch als die »ideelle«. Mit Verachtung spricht er von Leuten, die als offizielle Hüter der Kunst fungieren und vom Handwerk nicht eine Ahnung haben. »Dass ein Galerie-Direktor, schreibt er einmal ironisch, oder ein Professor der Aesthetik, der Jahr aus Jahr ein seine Gemeinplätze vorträgt, eine Photogravüre nicht von einem »vernis mou« oder einer Schab-Aetzung oder manière noire unterscheiden kann, das hat natürlich nichts zu sagen, das gehört nicht zu seinem Amt ...«
Rops der geniale Künstler, der grosse Maler und Poet, der diese unendliche Reihe von Lebensgestalten und Traumbildern geschaffen hat, sagt Léon Maillard, er ist auch als handwerklicher Arbeiter ohne Gleichen ... vertraut mit allen Geheimnissen des intensiven Schaffens.
Sein Streben nach Vollkommenheit in der plastischen Darstellung finde ich am besten bei Pradelle gewürdigt.
Zwei Kardinaltugenden sind es, nach dem Ausdruck dieses Kritikers, aus denen sich die Originalität des belgischen Künstlers zusammensetzt und die gleichsam sein Mark und seine Knochen sind: sein unaufhörliches Hinterhersein hinter dem Leben, sein ewig unbefriedigtes Trachten nach immer grösserer Lebendigkeit, und sein gleich grosses Streben nach formaler Vollendung.
Diese doppelte Tendenz spricht aus jeder Seite seines Werkes. Sei es Zeichnung oder Lithographie, Radierung oder Aquarell, jedes Blatt trägt, lesbarer als seine Unterschrift, diesen Doppelstempel seiner Faktur. Seine Laune hat gut sich in den tollsten und unwahrscheinlichsten Phantasien ergehen; durch seine Träume können, noch so wirr, die unglaublichsten und skandalösesten Ausgeburten fieberhitziger Gehirne ziehen und in unheimlichen Spuk ausarten: seine Zeichnung wird, bei aller Nervosität, bei allem innern Leben, äusserlich fest und sicher bleiben und wird die Linie und Körperlichkeit, die dem Gegenstand eigen ist, fehlerlos wiedergeben ...
Dieser Träumer beobachtet langsam, geduldig, tief, und er macht nichts, wo sich sein heller Geist, sein geübtes Auge, seine sichere Hand nicht auf den ersten Blick verrieten. Das schwierigste, »die epileptische Convulsion, das trunkene Auge, die Zuckungen der Wollust, die Schamhaftigkeit, die Schamlosigkeit, die Heftigkeit der Brunst, die Poesie der Ekstase, eine überraschte Haltung des menschlichen Körpers, so seltsam sie sei: er zeichnet sie, setzt sie hin, bringt sie in Beziehung zu einander und das mit einer Kraft, einer elektrischen Verve, einer Wucht des Ausdrucks, die unvergleichlich sind. Die Seele seines Werkes ist oft genug die Seele der Pariser Dirne, die Seele der »Rosenkränze des Teufels«, die Seele der Verdammten; aber der unbeirrbare Zeichner bringt diese Tollheiten, die hysterischen Phantasie-Ausgeburten, diese ganz verrückten Fieberträume in ein klares Relief, in einen sichern Contour. In seinem Kopf scheint manchmal die ganze moderne Unzucht zu tanzen, zu wirbeln, ein Bachanal zu feiern; sein Gehirn scheint entzündet zu sein und Flammen scheinen hervorzubrechen wie bei einer Feuersbrunst: aber seine Künstlerhand bleibt kühl und ruhig; sie hält den Stift und den Stichel, oder den Wischer, wie die Hand des Operateurs das Skalpel ...
Diese Antinomie – eine Seele von Feuer unter einer eisernen Disciplin – fügt Pradelle hinzu, enthält die ganze Erklärung der Rops'schen Originalität. Sie erklärt seine besondere Form, – cette forme, l'antipode du banal, du poncif, de l'académique; cette forme si moderne qu'elle paraît être une forme nouvelle, étant faite de pondération, de mesure, de santé ... et qui est pourtant classique par excellence.
Ueber seinen angestrengten Fleiss, seine minutiöse Gewissenhaftigkeit, aus denen allein eine solche Meisterschaft erwächst, äussert sich Rops selber zu verschiedenen Malen. Um etwas zu machen was Wert hat, und sei es auch nur die grösste Kleinigkeit, sagte er zu einem Freund, muss ich mich einschliessen mit meinem Modell, muss ich allein sein mit meinen Schwächen, mit meinen Aengsten vor dieser ... cette sacrée cochonne de Nature, qui me flanque le truc, comme si j'étais un débutant. Und das bei jeder Sitzung! Wenn mein Modell mir sagen lässt, dass es verhindert ist zu kommen, stosse ich einen Ruf der Erleichterung aus. Denn Sie haben keinen Begriff, wie mühsam ich arbeite; es ist manchmal mitleiderregend.
Aehnliche Aeusserungen that bekanntlich Gustave Flaubert.
Zu Mirbeau sagte Rops einmal: Ich komme mir vor wie ein fabelhaftes Wesen, das der Teufel geschwängert hat; ich fühle tausend Ungeheuer in mir ihr verruchtes Wesen treiben, und dieses Zeug muss ich, mit Güte oder mit Gewalt, aus mir herausschaffen, ou j'y crèverais.
Er verstärkt das Bild noch in einem Brief an Eugène Champsaur. Er kommt sich vor wie – dans la position de ces femmes qui sont grosses d'êtres singuliers procréés par Démonialité, peut-être étonnants, peut-être simplement hydrocéphales, mais qui ne peuvent sortir par les vagins normaux ... Dussé-je m'ouvrir le ventre comme un Japonais, fährt er fort, il faudra bien que tout cela isse à la vie ... et vienne en bonne lumière. Et si ce n'est qu'une souris, ce ne sera pas la souris de tout le monde, non hic mus omnium.
Ich habe noch kein Talent, schreibt Rops mit 28 Jahren, j'en aurai à force de volonté et de patience.
Von Vauvenarques ist das Wort: la netteté est le vernis des maîtres, und in diesem Sinn kann, man sagen, Genie sei Fleiss.
In diesem Sinn sagte Théophile Gautier: wer einen Gedanken im Augenblick, wo er ihm kommt, nicht vollendet niederschreiben kann, der ist kein Schriftsteller. Und sagte Delacroix: wer einen Menschen nicht malen kann in der Zeit, wo er vom Dache fällt, der ist kein Maler.
Der letztere Ausspruch sähe auch Rubens gleich, und so waren alle grossen Meister ebenso stolz auf ihre Vollkommenheit und Sicherheit im Handwerk wie auf ihr schöpferisches Vermögen.
* * *
Wer sich nur auf seinen »Geist« verlässt und seine Einfälle, wer, in diesem Sinn, das Kameel allein aus der Tiefe seines Gemüts malen zu können glaubt, ist noch nie ein grosser Künstler geworden. Rops hat zwar als Symbolist aufgehört, aber er hat – das kann man für gewisse »Symbolisten« nicht genug unterstreichen – er hat nicht als Symbolist angefangen. Ich kann, schreibt er 1863, nur ausschliesslich nach der Natur malen. Und ich bin bestrebt, das ehrlich und einfach wiederzugeben, was ich mit den Nerven fühle und mit den Augen sehe. Das ist meine ganze künstlerische Theorie.
Die Kunst an und für sich selbst ist edel, führt Goethe aus, deshalb fürchtet sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja indem er es aufnimmt, ist es schon geadelt, und so sehen wir die grössten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht ausüben.
Der Satz hätte Rops gefallen. Er bekennt sich begeistert zu dem Gedanken des Barbey d'Aurévilly, der auch von Zola sein könnte: Die epische Poesie ist bei jedem Gegenstand möglich, ob es sich um einen Ochsentreiber in einer obskuren Herberge handelt oder um ein Waschweib, das seine Wäsche am Bachufer klopft ... der Ochsentreiber braucht nicht der Rob-Roy des Walter Scott und das arme Waschweib nicht die Nausikaa des Homer zu sein. Es handelt sich nur darum, meint Rops, jeden Stein, wie sehr er auch vom Abwasser besudelt sei, richtig anzuschlagen, dass das heilige Feuer der Poesie daraus hervorspringe. Aber um diesen Zauberschlag mit Erfolg auszuführen, bedarf es der göttlichen Sicherheit des Instinkts, was man Genie heisst, oder jener andern Sicherheit von geringerem Rang, die durch Uebung erworben wird und die man Talent zu nennen pflegt.
Und da wir nun einmal, fährt Rops fort, die Sicherheit des Genies nicht haben können, so müssen wir eben bemüht sein, wenigstens im zweiten Rang zu den Künstlern zu gehören, die treffen, aux esprits »frappeurs«. Aber wie viele Lithographien, wie viele Bilder, wie viele Radierungen, wie viele Zeichnungen werden dazu nöthig sein, ihr guten Götter!!! ... und so werde ich also diesen Winter zu Paris meinen Kreuzweg der Kunst antreten; möchte Gott, dass ich nur dreimal unterläge!
Rops starb am 24. August 1897. Und an diesem Tag, und schon lange zuvor, ist er, wenn er auch im einzelnen wirklich öfter unterlegen sein sollte, von der Welt als Sieger angesehen worden.
Dieses Farbenklexen auf unendlichen Leinwänden ... Je weniger einer zu sagen hat, desto grösser nimmt er die Leinwand. Mir steht es bis oben dieses Handwerk. Es ist so tötlich langweilig. Es kommt so gar nichts dabei heraus. Wie sollte auch! Man braucht sich nur die Leute anzusehen, die es treiben ... Ein Kohlenstift und ein weisses Blatt Papier, damit kann man alles ausdrücken, eine Welt von Gedanken. Es ist die einzige Kunst, die mich noch reizt ...
So ungefähr – es ist lang her, dass ich das Buch gelesen habe – äussert sich ein Maler bei Oktave Mirbeau in dessen Roman »Calvaire«. Rops könnte zu diesem Maler Modell gestanden sein, die obigen Sätze stammen wahrscheinlich aus seinem Munde.
Und so meint auch Arsène Alexandre, dass das Ausdrucksmittel nur für den naivsten Laien den Rang eines Kunstwerks bestimmen könne.
Rops hat das schwere und schwerfällige Handwerk der Oelmalerei so gut gelernt wie einer seiner Zeit. Allein er gab es frühzeitig auf.
Er hat dann zuerst lithographiert. Er that es im Dienste illustrierter Blätter zu Brüssel, wovon er einige, wie den Uylenspiegel, selber gegründet hat. Die Originale dieser Art sind längst sehr selten. Der Catalogue descriptif et analytique von Erastène Ramiro (Eugène Rodriques) zählt 131 Nummern auf. Rops ist der erste, der die Lithographie wieder zu künstlerischen Originalschöpfungen verwendet hat, und Arsène Alexandre setzt ihn au premier rang de cet art si profond, si regrettable. Doch regrettable brauchen wir nicht mehr zu sagen, wir Deutschen besonders; hier hat die Entwicklung der neuen Kunst korrigierend eingegriffen.
Rops selber aber hat, ebenfalls ziemlich früh, den Stein mit dem Kupfer vertauscht. Er machte zunächst wie Andere, Radierungen in der herkömmlichen Aetzmanier. Aber nicht lang überliess er sich, wie Léon Maillard es ausdrückt, aux variations fantastiques de l'acide, der bösen Säure, die in ihrer gefrässigen Wut oft genug über die gesteckten Grenzen hinüber frisst und gerade die allerfeinsten Intensionen des Künstlers zu schanden macht. Er griff zu einer Methode, die zwar nicht ganz unbekannt, aber wenig im Gebrauch war, und welcher die technischen Abhandlungen der Zeit kaum Erwähnung thun, obwohl sie eigentlich die einfachste aller »Methoden« ist: er griff zur »Trockenen Nadel«, d. h. er zeichnete mit der Nadel auf die nackte Metallfläche.
Mit diesem Verfahren konnte er persönlicher sein als mit der Aetzung. Das leiseste Leben der Linie, ihre unmerklichsten Schwingungen konnte er damit auf die Platte bringen. Er konnte damit den Ausdruck der Empfindung in unverwischtem Blütenschmelz wiedergeben.
Avec ce frêle burin, sagt Maillard, les entailles du métal gardent entière la fécondation qui les anime venue tout droite de la pensée.
Aber Rops konnte sich dennoch mit der Trockenen Nadel allein nicht begnügen. Er wandte sie ebenso oft an in gleichzeitiger Verbindung mit der Aetzung, um deren grösseren oder kleineren Willkürlichkeiten nachträglich abzuhelfen und so Tiefe des Tons und Sauberkeit der Zeichnung zugleich heraus zu bringen. Und ebenso kombinierte und komplizierte er, um noch mehr in die Tiefe zu gehen, die geätzte Radierung mit der Schabmanier und der Aquatinta-Technik.
Es lag ihm überhaupt unendlich an der höchsten technischen Vollkommenheit seiner Blätter. Das beweisen schon die vielen Probedrucke in verschiedenen Stadien der Ausarbeitung (états), die er von allen seinen Blättern selber, auf eigener Presse, herzustellen pflegte, wobei er so lange auf der Kupferplatte korrigierte, touchierte und retouchierte, bis ihm der Probedruck genügte. Unklare, verwaschene, in alles verschluckende schwarze Nacht getauchte Blätter giebt es darum von Rops nicht.
Und immer sucht er nach neuen Ausdrucksmitteln und nach manigfaltiger und niedagewesener Verschmelzung und Combination der Methoden. »Le terrible voyageur à travers les Continents et à travers les mondes de la Passion, ne peut pas admettre que toutes ces images, ces apparences visuelles et idéales subissent un identique groupement, et que cette formidable somme d'aspects puisse se traduire aisément d'un seul style cursif.«
Er gelangte mit seinem Suchen und Versuchen, man könnte fast sagen, zu einer neuen Technik. Denn das Verfahren, das er zuletzt mit der stärksten Wirkung und mit besonderer Liebe kultivierte; das Vernis-mou-Verfahren war seit lange so gut wie vergessen. Unter den Holländern des XVII. Jahrhunderts hatte diese Technik geblüht; auch die Mannheimer Kupferstecherschule unter Karl Theodor hat vielleicht noch Blätter dieser Art aufzuweisen, und in England war das Verfahren, wenn ich recht unterrichtet bin, ununterbrochen in Brauch. Aber für Frankreich und damit für die moderne Kunst überhaupt wurde Rops sein Erneuerer.
Der Vernis-mou-Technik verdankt er, nach dem Ausdruck von Arsène Alexandre, des effets brouillés, des tonalités lugubres, des atmosphères saturées d'humidité malsaine.
Wie alle Künstler, sagt Rops selber, welche mehr Zeichner und Maler sind als Radierer im engen Sinn des Wortes, so war auch ich stets darauf aus, mir ein Ausdrucksmittel zu suchen, welches das Aussehen eines Kohlenstrichs oder einer Tuschzeichnung am täuschendsten wieder geben könnte.
In der Manier der Trockenen Nadel und besonders im Vernis-mou hat er das äusserste in dieser Beziehung erreicht. Toutes fois, meint Léon Maillard, un vernis mou a un aspect matelassé, mollissant, penombré tout à fait de grasses enveloppes que l'on ne trouve pas dans l'eau-forte. Diese Technik hat Rops erlaubt, »de bien marquer certains cas léthargiques d'état de veille, d'assoupissement ténébreux de la Chair ...«
Rops hat selber die Technik des Vernis-mou eingehend erklärt in einem Briefe an seinen Spezial-Drucker Delâtre, den dieser in einer besondern Abhandlung veröffentlicht hat. Der Brief ist in einer wenig schulmässigen Sprache abgefasst und man bekommt den Eindruck, als ob es Rops nicht besonders darum zu thun gewesen sei, sein Geheimnis allzu deutlich auszuplaudern; er untermischt seine technischen Erklärungen besonders gern mit satirischen Ausfällen gegen gewisse Leute, professeurs de tout poil et de toute médaille, doctrinaires, prédicants, pontifs à toge et à toque.
* * *
Hier ist vielleicht der Ort, an Max Klinger zu erinnern, der sich mit Rops wohl vergleichen lässt, sowohl nach der ideellen wie nach der technischen Seite hin. Leider ist dieser Vergleich nur zu oft angestellt worden von Leuten, die weit entfernt waren Rops genügend zu kennen. Klinger ist wohl von Rops beeinflusst worden. Und beide zusammen stehen auf den Schultern Goya's, dem sie technisch gewiss manches verdanken. Doch in ihrer Bedeutung als Maler-Poeten, als schöpferische Geister, überragen sie beide ihren spanischen Vorgänger.
Welcher von ihnen der bedeutendere ist? Klinger hat jedenfalls für sich die grössere und pathetischere Geste. Aber hohes Pathos braucht nicht notwendig mehr wert zu sein als gemeinmenschliche Natürlichkeit oder als Scherz und Spiel; und die Tragödie ist gewiss nicht immer ein höheres Kunstwerk als die Komödie. Ueber die subtilere Kunst, das Wort im strengsten Sinne genommen, verfügte Rops.
Dafür hat unserem Klinger aber auch die »Griffelkunst« auf die Dauer nicht genügt und er hat zum wuchtigeren Meissel gegriffen, und hat bewiesen, dass ein reiner und mächtiger Drang des Bildens und Formens in ihm lebendig ist wie in wenig Neueren. Seine grösste Schwäche als Radierer bestand, wie ich andern Orts eingehend, erörtert habe, in seinem Hang zur Erzählung, in seiner novellistischen Tendenz, womit er allzu oft, bis er der grosse Bildhauer geworden ist, die Grenzen seiner Kunst in störender Weise durchbrach. In diesen Fehler ist Rops nie verfallen; alle seine Werke sind, wo sie über den einfachen Realismus hinausgehen immer ornamental oder symbolisch, oder sie sind beides zusammen.
Viel Interessantes wäre auch über den Menschen Rops zu berichten. Schon seine streng-katholische und philologisch-wissenschaftliche Erziehung bei den Jesuiten giebt für die Auffassung seiner Werke einen bedeutsamen Wink. Den ernsten Schuljahren, wo Rops die Kirchenväter fast auswendig lernte, folgte die ausserordentlich wichtige Zeit seiner »Odyssee«, seiner oft geradezu phantastischen Fahrten durch Länder und Meere. Wie später Maupassant besass Rops seine eigene Yacht und auf der Yacht – seinen eigenen Harem.
Rops auf dem blauen Meer des Südens mit seinem exotischen Blumengarten von schönen Mädchen aller Rassen und Farben, das ist ein wahrhaftiges Fresko. So ungefähr sagt ein Mitarbeiter des Pan. Gewiss. Aber wenn der Verfasser jenes Pan-Artikels meint, dass diese Fresko-Vorstellung eine notwendige Voraussetzung sei zum Verständnis der Rops'schen Werke, so kann man dem nicht beistimmen. Jenes Fresko giebt vielmehr durchaus nicht die wahren Farben für Rops. Das Land der Heimat, das er mit seiner Seele suchte, mit seiner Künstlerseele, war das Land Rembrandt's und Salomon Ruysdael's, das Land der gebrochenen Farben und der gedämpften Lichter. In seiner Naturempfindung und Farbenempfindung war er Niederländer, Nordländer. Man muss ihn nur selber hören.
Er spricht in einem Freundesbriefe von Chateaubriand, Lamenais, Renan, für die er schwärmt. Denn alle drei sind Kinder nördlicher Küsten. Aber alles das, fährt er fort, ist nichts gegen das Entzücken unserer Künstlerseelen und Künstleraugen, wenn wir unsere flandrischen Schwestern im Bade sehen, von den Wogen umspühlt und geliebkost, während zwischen den weissen Schaumwellen ihre roten Haare wie griechische Feuer aufflammen, des feux grégeois brûlant en l'honneur de la grande Vénus, mère des accouplements humains.
Die südlichen Meere und Gegenden liebte Rops kaum, im Gegensatz zu Maupassant.
Er spricht fast mit Verachtung »des bleus secs aciérés de la Méditerranée«. Seine Geliebte ist die Nordsee. Sie liebt er mit einer unerhörten Leidenschaft, sie, »die von Island kommt und auf Perlmuttersand ihr schillerndes Gewand nach sich schleppt«. Wenn er nach langer Abwesenheit sie einmal wieder besucht, wie öffnen sich gierig seine Nüstern, um ihren Hauch zu athmen, ihren berauschenden, ihren ganz besondern Duft, ses dessous de bras tout pimentés par les varechs, le sel, les coquillages et les fucus de ses grèves. Dann scheint ihm, dass eine geheimnisvolle Wahlverwandtschaft ihm das Herz anschwellt, dass diese Nordsee ihn schon als Kind geliebt und behütet und mit ihren düstern Gesängen eingelullt hat.
Eine geheimnisvolle Wahlverwandtschaft. Wahrlich, das ist das richtige Wort. Rops ist keine homerische, keine heidnisch-griechische Natur sondern, zum guten Teil wenigstens, eine germanisch nordische. Er ist keine naive Natur. Er stellt mit Vorliebe die Nacktheit dar, aber nicht naiv, nicht in unschuldsvoller Freude an ihrer Schönheit sondern mit bösem Gewissen, mit dem Bewusstsein, dass das schöne Spiel, das er treibt, eigentlich Sünde ist; er schreibt nicht eine Epopöe der Schönheit und des unschuldvollen Lebens in Heiterkeit und Genuss, er schreibt vielmehr die Komödie der Sünde, wo man lacht und lustig ist, nicht in Unschuld, sondern trotz der Schuld, trotz der Sünde, trotz des Teufels, den man im Nacken fühlt, also eine christliche Komödie, die oft genug in ein mittelalterliches Mysterium umschlägt.
Seine Liebe zur düstern Welt des Nordens erklärt mir sein Werk mehr als alles andere.
Man muss nur nicht ausser Acht lassen, dass das nordisch germanische Wesen in Rops nur ein Ingrediens ist, dass von seiner Mutter her ungarisches Blut in seinen Adern fliesst und dass auch seine väterliche Generation schon keine rein germanische ist sondern ein Produkt aus germanischer und spanischer Vermischung, de ce mariage de la neige et du soleil, wie Rops sich selber ausdrückt.
Es ist ziemlich viel Sonne in ihm. Und viel Lachen. Seine Freunde haben ihn nicht umsonst den ewigen Jüngling genannt, »un véritable prototype de jeunesse«. Er hat zwar den Vorhang gelüftet, hinter dem das Bild von Saïs, eine mystische Sphinx, unheimliche Wahrheiten kund thut; aber das Lachen ist ihm darüber nicht vergangen und er hat die Lust nicht verloren an seiner Komödie vor dem Vorhang.
Die christlich-mystische Naturverneinung und Lebensverneinung spricht in seinem Werk ihr Wörtchen mit, aber kaum in seinem Leben. Er hat selber den Wesenskern seiner Natur parabolisch zum Ausdruck gebracht.
Einige Freunde, so lautet seine Parabel, machen sich in der Frühe auf den Weg. Ihre lustigen Lieder erfüllen die Luft. Alle zusammen haben sie auf den Lippen ein frohes Lachen und im Herzen eine ungetrübte Heiterkeit. Um Mittag singen sie noch. Aber der Aufstieg ist steil, die Sonne brennt. Da lassen einige die Köpfe hängen, da verstummt manch ein Mund. Dann kommt der Abend und ein düsteres Schweigen bemächtigt sich aller. Ihre Seelen sind müd geworden, gebückt schleichen sie weiter. Ein einziger singt noch; er preist in Liedern die Schönheit der Abenddämmerung, wie er die feuriggoldene Pracht des Mittags besungen hat und den frisch belebenden Hauch des Morgens.
Und so wird er fortfahren, und preisen wird sein Mund laut die Süssigkeit der blauen Nächte. Seine Freunde aber fangen an, die Achsel über ihn zu zucken, und vorüberkommende späte Wanderer halten ihn für einen Betrunkenen ...
So schildert Rops sich selber.
Anekdoten giebt es über Rops mehr als über irgend einen modernen Künstler. Sie beziehen sich besonders auf seine Scheu vor der Publicität und Popularität sowie auf seine Verachtung derjenigen Käufer und Sammler, die seine Blätter nicht als Kunstwerke schätzten sondern als Pikanterien. In ersterer Beziehung wandte er gern die Stelle bei Montaigne auf sich an: Et comme on lui demandait à quoi faire il se peinait en un art qui n'était à la cognoissance de guère de gens: J'en ai besoin de peu, dit-il, j'en ai besoin d'un, j'en ai besoin de pas un.
Ich habe einen Abscheu vor aller Popularität, schreibt er in einem Briefe an Félicien Champsaur, und einen unüberwindlichen Eckel vor den Küssen der grossen Fama, si doux aux lèvres des »Honnêtes Gens«.
»Ich bin ein Unbekannter, heisst es in einem andern Briefe, und ich kokettiere sogar ein wenig damit, es zu sein in einer Zeit, où les peintres sont tous notoires et notaires ...«
Und dem entspricht seine Verachtung für die populäre Kunst seiner Zeit. Wenn ich einmal, schreibt er in dem angeführten Brief, zufällig eine Schwächeanwandlung verspüre der Akademie gegenüber, so öffne ich eine alte Mappe und betrachte die »Melancholie« und den »Ritter, Tod und Teufel« von Albrecht Dürrer, den Hundertguldenstich von Rembrandt, oder den alten Höllen-Breughel, und sofort entsteht in mir das richtige Gefühl de l'art macairesque, macaronique et simiesque qui est le nôtre à nous tous.
Eine naturalistische Kunst, die nicht mehr zu sagen hat als die Natur selber, findet er unnötig. Au fond, tout cela ne vaut pas le chant glorieux de l'alouette au premier matin ou le bouquet de fleurs blanches que la viorne amoureuse jette au rebord de ma fenêtre.
Ein Herr machte Rops ein Compliment wegen seiner »pikanten Sachen«. Ja, meinte Rops, solche Dinge mach ich manchmal, pour abaisser ma fesse au niveau de votre face.
Rops liebte als Mensch die gesunde Natur. Und ebenso liebte er, wie alle hervorragenden Geister, die gesunden und einfachen Naturen. Er hätte sonst nicht die Perversität in jeder Gestalt mit solcher Kraft darstellen können. Einem einfachen Fischer, der oft auf dem stürmischen Meer sein Begleiter war, schickte Rops eine Zeichnung mit folgender Dedikation.
Dir, lieber Hans, Kind der Armut und des Meeres ..., treue Seele, warmes Herz, dir widme ich diese Zeichnung in Erinnerung der schönen Tage und der herrlichen Nächte, die wir zusammen auf dieser Nordsee zubrachten, dieser wunderbaren See, die zum Entzücken aller wahren Maleraugen geschaffen und mit keiner andern auf dieser Erde zu vergleichen ist ...
Fern von den Menschen, die mit Ordensternen und Dummheit von Staatswegen geziert sind, fern von den blendenden Gewalthabern und den andern, die sich so gern vergewaltigen lassen, fern von den Bummelplätzen und Bummlern der Grossstadt, fern von allen Klavieren und Klavierspielern, fern von Priestern und Seelenhütern jeden Schlags und jeder Färbung: fern von all dem lebte ich mit dir in Fluten von Licht und fühlte mich freien Geistes und frohen Gemüts ...
Hänge diese Zeichnung an die Wand deiner Hütte und lass sie zeugen von meiner Freundschaft zu dir ... Und an den langen Abenden im Dezember, wenn der Südwest an deinem Dache rüttelt, dann sage dir, dass ich in meinem traurigen und schmutzigen Paris, wo mich meine Bestimmung zu leben zwingt, oft mit schmerzlicher Sehnsucht an unsern kleinen Schooner denke mit seinen gelbbraunen Segeln, und an deine vernünftigen Reden und dein freies Lachen und besonders an das Glück, erlöst zu sein von der tötlichen Langenweile dieser »korrekten« Menschen, dieser Menschen mit »feinem Kunstverständnis,« dieser Species des Thierreichs, die wir noch nie in unsern Netzen fingen, wo doch oft ganz närrische Ungetüme hängen blieben, und die nicht den kleinsten Tropfen Schiedam wert sind, von dem uns deine gute und tapfere Frau grosse Gläser voll einschenkte. Küsse sie in meinem Namen auf ihre schönen frischen Wangen, glücklicher Mann der du bist, alter Seekamerad.
* * *
Ein schöneres Zeugnis hätte sich Rops nicht ausstellen können. Und so sehen wir von neuem, mit freudiger Genugthuung, die Thatsache sich bestätigen, dass der wahre Künstler immer ein guter Mensch ist, ein besserer Mensch notwendigerweise als der Philister, der sich gern gedrungen fühlt, die Moral des Künstlers zu verdächtigen. Sogar der grosse Michel-Angelo hat es für nötig gefunden, dies zu betonen. Tausend alberne Vorwürfe, sagt er, bringt man gegen bedeutende Künstler auf ... aber niemand, im Gegenteil, kann so natürlich und menschlich sein als gerade grosse Künstler.
Darum hat Karl Huysmans mit Recht die Annahme zurückgewiesen, als ob gewisse Blätter von Rops Episoden aus seinem intimen Leben darstellten. Er hielt dies schon psychologisch für unmöglich; car du moment que la débauche effective s'affirme, l'art exténué s'endort dans le coma des roquentins et meurt.
Jeder, der im Leben und zugleich in der Geschichte der Künste erfahren ist, wird dem beistimmen. Denn »nicht vor die Tugend allein, auch vor die Schönheit haben die Götter die Mühe gesetzt und den Schweiss«.