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Es war in den ersten Tagen des Mai, aber schon hatte die »warme Jahreszeit« in den südlichen Staaten begonnen. Ein dunkelblauer, wolkenloser Himmel, spannte sich über die Täler aus, welche sich zwischen den Ausläufern der Alleghany-Gebirge, hinziehen. Kein Lüftchen regte sich, nichts Lebendes war auf den Feldern zu entdecken kein Laut wurde hörbar, und selbst die Blätter der Bäume schienen, überkommen von der erschlaffenden Wärme, eingeschlafen zu sein. Zwischen seinen hier oft so malerischen Ufern lag der Tennesseefluß regungslos und spiegelte das mannigfach schattierte Gebüsch wieder, wie in einem festen Glase.
Oben an einer der Landungen saß ein einsamer Neger, ebenso bewegungslos wie seine ganze Umgebung, und starrte den Fluß hinaus. Er war reinlich in dunkles, baumwollenes Zeug gekleidet, und mit einem breiten Strohhute versehen. Stunde auf Stunde verrann, die Sonnenglut schien keinen Einfluß auf sein Gehirn auszuüben, keine Ermattung oder Langeweile schien über ihn zu kommen, noch sein Blick etwas von der Aufmerksamkeit zu verlieren, mit welcher er den oberen Teil des Flusses beobachtete. Endlich gegen Abend begannen über den Hügelreihen, welche die östliche Aussicht verdeckten, sich einzelne kleine Wölkchen zu zeigen, welche wieder verschwanden, um bald durch neu aufsteigende ersetzt zu werden. Des Negers Aufmerksamkeit schien zu wachsen; eine Weile noch hielt er den Blick gespannt in die Ferne gerichtet, dann erhob er sich und verschwand in dem Walde, welcher das Flußufer säumte, um indessen nach kurzer Zeit wieder mit zwei gesattelten Pferden zu erscheinen. Er befestigte die Zügel an dem nächsten Baume und nahm dann seinen früheren Platz ein. Die Wölkchen waren verschwunden; bald aber brachen sie neu und kräftiger hinter einem der naheliegenden Hügel hervor, und wenige Minuten danach wurde in der nächsten Biegung des Flusses ein herbeikommendes Dampfschiff sichtbar. Der Neger schritt langsam das Ufer nach der Landung hinab, das Fahrzeug kam näher, und schon von fern konnte man einen einzelnen Reisenden am vorderen Buge desselben erkennen.
Der Neger verzog das Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen, daß die blendend weißen Zähne bis an ihre Wurzeln sichtbar wurden; er nahm den Strohhut ab, rieb sich den Wollkopf und bedeckte ihn wieder. Jetzt bog das Boot gegen das Ufer; eine Reisetasche, von dem Schwarzen aufgefangen, flog herüber, und ihr nach kam in keckem Sprunge, ohne auf das Niederlegen der Landungsbrücke zu warten, der Reisende.
»Wie geht's, Cäsar?« sagte er, dem Schwarzen die Hand reichend während das Boot seinen Lauf fortsetzte; »sonst niemand hier?«.
»Ich glaube nicht, Mr. Helmstedt.«
Der Ankömmling sah, die Augenbrauen zusammenziehend, einen Moment um sich und begegnete dann dem Blick des Negers, der erwartend an seinem Gesicht hing. »Es ist doch alles wohl, Cäsar, und nichts Besonderes vorgefallen?«
»Doch etwas, Sir! Alter Master Morton ist gestorben!« erwiderte der Neger, und in seinem Gesicht begann es sonderbar zu zucken.
Helmstedt sah ihm starr ins Auge; eine ganze Reihe von Gedanken schien ihm plötzlich durch den Kopf zu schießen. »Also wirklich ich ahnte fast so etwas!« sagte er endlich langsam. »Und was sonst noch, Cäsar?«
»Well, als sie Mr. Morton begraben hatten, kam der Vater von Mrs. Helmstedt und holte sie nach Oaklea – und die Sara nahm er auch mit. Nachher kam Ihr Brief, Sir, und ich mußte ihn nach Oaklea bringen, und dort sagte mir Mrs. Helmstedt, daß Sie heute mit dem Dampfboot ankommen würden, und daß ich Sie, mit den Pferden erwarten solle. Das ist alles, Sir!«
Helmstedt sah noch, immer unverwandt in des Schwarzen Gesicht. »Und weiter hat meine Frau nichts gesagt? Erzähle mir jedes Wort – besinne dich, Cäsar!«
»Nichts, Sir! Ich wartete in der Halle, als ich den Brief abgegeben hatte, da kam sie aus dem Parlor – sie war ganz, blaß und sagte mir, was ich tun solle. Im Parlor war Mr. Nelson, der manchmal unser Haus besucht, hat, und der Vater von Mrs. Helmstedt; ich hörte sie beide sprechen.«
Helmstedt wandte den Blick weg und biß die Zähne auf die Unterlippe.
»Soll ich die Pferde losbinden, Sir?« fragte Cäsar nach einer Weile.
»Warte noch einen Augenblick!« erwiderte der Angekommene und schritt, die Augenbrauen dicht zusammengezogen, das Ufer hinauf. Oben setzte er sich auf einen der Baumstümpfe am Wege und rieb sich die Stirn. Lange sah er vor sich ins Weite, und nur ein momentanes Zusammenpressen der Lippen ließ auf den Zustand seines Innern schließen. Cäsar hatte sich zu den Pferden gestellt und schien sich mit den Sattelgurten zu tun zu machen, ließ aber den ernsten Blick voller Verständnis nicht von seinem Herrn.
»Hast du den Schlüssel vom Hause mitgebracht?« begann endlich Helmstedt und richtete sich langsam auf.
»Er ist noch bei Mortons, Sir,« erwiderte der Schwarze herbeikommend; ich glaubte, Sie würden erst dorthin gehen: im Hause ist noch nichts zurechtgemacht.«
Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir beide können uns schnell genug einrichten,« sagte er; »eine Zeitlang werden wir jedenfalls unsere Wirtschaft allein führen müssen.« Er machte eine kurze Pause. »Es war derselbe Tag, als wir beide Hochzeit machten, Cäsar,« fuhr er dann mit mattem Lächeln fort; »jetzt sind wir unsere Frauen auch an einem Tage wieder losgeworden; wir müssen uns vorläufig darein ergeben.«
Der Schwarze verzog sein Gesicht, man wußte nicht, war es ein Ansatz zum Lachen oder zum Weinen. »O!« brach er dann los, »die Sara mag wegbleiben, ich gebe nichts drum – sie hat mehr böse Mucken als das Jahr Tage, und ich war ein Narr, als ich ihr noch jeden Abend nachlief. Der alte Mr. Morton – Gott segne ihn im Grabe – meinte es gut, als er mich an Mr. Helmstedt schenkte, damit ich Sara heiraten sollte. Sara hat mir's aber hinterher selber gesagt, daß sie mich nur genommen, weil mir der alte Isaak, als er starb, seinen ganzen Pedlarkasten voll Bänder und Kleider geschenkt habe. Jetzt hat sie den leergemacht, und nun will sie auch nichts mehr von mir wissen – mag sie laufen!«
Helmstedt schien kaum auf die Rede des Negers geachtet zu haben. Er war langsam nach den Pferden zurückgegangen, klopfte einem derselben, das den Kopf, nach ihm wandte und ihn beschnoperte den Hals, und löste den Zügel vom Baume. »Du reitest jetzt nach Mortons Haus, Cäsar,« sagte er, »bringst der Mistreß meine Empfehlung und fragst, ob sie mich morgen empfangen wolle. Dann nimmst du unseren Wagen, der dort steht, ladest deine Sachen und die Kleinigkeiten, die von mir noch da sein mögen, darauf und bringst alles zusammen nach unserem Hause. Ich werde dich in der Stadt im Globe-Hotel erwarten, wenn es auch etwas spät werden sollte.«
Der Schwarze nickte ein »Very well, Sir!«. Helmstedt bestieg sein Pferd und trabte auf dem wohlbekannten Wege davon. Jedes weiße Farmhaus, das aus seiner grünen Umgebung hervortauchte, grüßte ihn als alten Bekannten, aber Helmstedt hatte keinen Sinn zum Gegengruß. Seine ganze Zukunft war bei dem ersten Schritt auf heimatlichen Boden – denn das hatte ihm Alabama werden sollen – als ein ungelöstes Rätsel vor ihn getreten. Seine Frau war zu ihren Eltern gegangen und hatte sich dadurch von ihm losgesagt – sie war das verbindende Glied zwischen ihm und diesem Lande, auf ihr Festhalten, an ihm hatte er alle seine künftigen Pläne gebaut; und hatte er auch gesehen, daß er sich nie mit ihr so verstehen würde, wie er anfänglich geträumt, so war ihm, dem. Deutschen, doch der Begriff, der Ehe noch ein so, ehrwürdiger, ein so für das ganze Lehen bindender Akt, daß er Wohl auf Mittel und Wege, ihre beiderseitige Differenz auszugleichen, aber nie an eine. Trennung gedacht hatte. So hatte er wenige, Tage vor seiner Abreise von Neuyork einen Brief an die junge Frau geschrieben, in welchem er ihr seine Rückreise meldete. Es hatte ihn nach einem herzlichen Empfang zu Hause verlangt, und er hatte mit warmen Worten alles besprochen, was vor seiner Abreise von Alabama zwischen ihnen zu stehen schien, hatte ihr das Verhältnis zu ihren Eltern, in welches sie durch schnelle Heirat mit ihm getreten war, klar vor die Seele geführt und ihr versprochen, jede Anstrengung zu machen, daß ihr Vater selbst noch stolz auf ihre Wahl werden solle. Er hatte sie gebeten, ihn am Tage seiner Ankunft selbst an der Landung zu erwarten; jetzt hatte er die Antwort auf seine Zeilen, diese Zeilen, welche ihm das reinste Herz und der beste Wille diktiert hatten. Er wußte, als habe ihm es jemand erzählt, daß Mortons Tod nur ein Vorwand für die Eltern seiner Frau, vielleicht für diese selbst gewesen war, um einen Schritt zu tun, der unter den obwaltenden Verhältnissen und bei seiner ganzen Denk- und Gefühlsweise auch der erste Schritt zu einer Trennung zwischen ihnen beiden sein mußte. Er hätte seine Frau zurückfordern, hätte sie zwingen können, mit ihm weiterzuleben – aber was wäre dann sein weiteres Leben gewesen? Und sollte er sie den schnellen Schritt, der sie mit ihm vereinigt hatte, den sie vielleicht in Selbsttäuschung, aber doch im vollen Vertrauen zu ihm getan, für immer bereuen lassen? Der ganze Roman seiner Liebe ging noch einmal, Bild für Bild, an seiner Seele vorüber – er konnte, er mochte sie zu nichts zwingen, was ihr Herz ihr nicht selbst diktierte. Aber er wollte selbst auch keinen Schritt zur Lösung der Differenz tun, er wollte die stolze Familie an sich kommen lassen, hatte er sich doch nichts vorzuwerfen. Er wußte, daß er sich jetzt einen ganz neuen Plan für seine Zukunft entwerfen mußte; wußte, daß er allein niemals unter den reichen Pflanzern Alabamas Wurzel schlagen konnte, um eine Selbstständigkeit für sich zu erringen – aber so weit hinaus zu denken, war es noch nicht an der Zeit; die nächsten Tage allein schon mußten alle seine Gedanken in Anspruch nehmen. – Er dachte an Pauline, die er am folgenden Morgen besuchen wollte, um ihr, gemäß dem Versprechen, welches er dem verstorbenen Morton gegeben, seine Hilfe für alle nötigen Fälle anzubieten. Wie schnell sich doch die Stellung der Menschen zueinander ändern kann! Noch kein Jahr war es her, daß er sie als einzeln dastehendes Mädchen in Neuyork getroffen, daß sie ihre beiderseitige Kinderfreundschaft von Deutschland her gegen ihn hatte geltend machen und sich warm an ihn hatte anschließen wollen, daß er sich, ihr ganzes Wesen mißdeutend, steif von ihr gewandt – fast wollte es ihm scheinen, wenn er sich die damaligen Szenen und das weiche, lachende Mädchengesicht vergegenwärtigte, als habe er ein ganzes Paradies von sich gestoßen, um einem Phantom nachzujagen. Jetzt war sie eine reiche Erbin, eine junge, schöne Witwe, welcher überall die glänzendsten Partien zu Gebote stehen mußten – jetzt wollte er um die Gunst bitten, ihr dienen zu dürfen: Der kalte, jede Annäherung abweisende Gesichtsausdruck, mit welchem sie ihm vor seiner Reise nach Neuyork entgegengetreten war, stand wieder vor seiner Seele, und es wurde ihm, als müsse es ihm bis ins innerste Herz hinein wehe tun, müßte ihn demütigen wie noch nie zuvor, wenn sie ihm bei seinem morgenden Besuche in derselben Weise begegnen würde. Und doch hatte er kaum ein Recht, etwas anderes zu erwarten. Mochte es aber auch so sein, er war Mannes genug dazu, um sich selbst und seine Gefühle zu bezwingen; noch war Stolz genug in ihm, daß er sich nach keiner Seite hin eine Blöße zu geben brauchte; könnte er auch keine Zukunft von einiger Verheißung hier im Süden mehr für sich erblicken, so wollte er doch seine gegenwärtige Laufbahn mit Ehren gegen sich selbst zu Ende bringen; für das Weitere mochte dann das Schicksal sorgen.
Helmstedt hatte sich am Schlusse seines Gedankenganges straffer im Sattel aufgerichtet, und das Pferd fühlte zum ersten Male seine Schenkel. Die äußersten, zerstreuten Häuser des Städtchens lagen vor ihm; bald begegneten ihm einzelne Menschen, von denen fast jeder einen Gruß für ihn hatte. Mädchengruppen zu zweien und dreien blieben am Rande der Straße stehen und lachten ihm mit einem: »Wieder zurück, Mr. Helmstedt?« entgegen – es waren Schülerinnen der Akademie, und als er am Globe-Hotel abgestiegen war, dessen Piazza der abendliche Versammlungsplatz der männlichen Aristokratie des Ortes war, und ihm hier zehn »How do you do?« auf einmal entgegengerufen wurden, da war seine gedrückte Stimmung verschwunden, er wußte kaum selbst wie – er fühlte, er hatte bereits einen Boden unter sich, den nicht zufällige Beziehungen, sondern sein eigener Wert und seine Tätigkeit ihm geschaffen hatten. Bald saß er in der Mitte der Männer, gab das verunglückte Ergebnis seiner Reise und andere Neuyorker Neuigkeiten, wie sie ihm dort zu Ohren gekommen waren, zum besten; bald schlug unter den Anwesenden ein Witz und ein derber Scherz den anderen und als endlich Cäsar anlangte, um seinem Herrn zu melden, daß er alle Aufträge besorgt, wußte dieser kaum, wie schnell ihm die Zeit verstrichen.
Als er freilich sein Haus mit den geschlossenen Läden betrat, als Cäsar lange in der Küche umhersuchen mußte, ehe er ein Schwefelholz und ein Stümpfchen Licht aufgefunden hatte, als er endlich sein Schlafzimmer betrat, wo alles verschwunden war, was an den Aufenthalt einer Frau erinnern konnte, und ihm nur offene Kasten und Schranktüren entgegengähnten – da wollte wohl etwas von seiner früheren Stimmung wieder über ihn kommen; als aber sein Auge den Schwarzen an der Tür traf, dessen Gesicht ein sonderbares Gemisch von Teilnahme und Beobachtung ausdrückte, fühlte er auch, daß er sich nicht gehen lassen dürfe, daß die erste Notwendigkeit für seine künftige Stellung der Welt gegenüber Selbstbeherrschung sei. Er sandte den Neger weg, um Wasser und Lichte herbeizuholen, öffnete sodann die Fenster und brachte das Zimmer in Ordnung. Der zurückkehrende Schwarze fand ihn eine Zigarre rauchend, gemächlich in den Schaukelstuhl gestreckt. »Well, Cäsar,« sagte er,»laß uns kurz überlegen, wie wir unsere Einrichtungen machen, bis die Weiber wieder zurück sind; du bist Zimmermann und hast bis jetzt für dich selbst gearbeitet –.«
»Ja, Sir, und ich habe Ihnen noch die Miete für mich während der letzten Monate zu bezahlen; aber das Geld liegt bereit.«
»Behalte dein Geld! Solange ich deine Arbeit entbehren kann, gönne ich dir gerne den Verdienst«, winkte Helmstedt. »Ich erwähnte die Sache nur, weil du unter den jetzigen Verhältnissen täglich ein paar Stunden mehr für mich wirst haben müssen. Du nimmst deine gewöhnliche Schlafstelle wieder ein und magst morgens, wenn du die Pferde und die übrigen kleinen Hausgeschäfte besorgt hast, deinem Verdienste nachgehen. Ich nehme meine Mahlzeiten vorläufig im Hotel; von vier Uhr nachmittags an bleibst du im Haus, damit ich in vorkommenden Fällen jemand an der Hand habe.«
»Dank Ihnen, Sir, dank Ihnen,« erwiderte der Schwarze, »aber – wenn ich noch etwas fragen dürfte,« fuhr er fort und rieb sich wie in halber Verlegenheit die Hände, »könnte ich wohl, bis alles wieder in Ordnung ist, dann und wann nach Oaklea gehen, um die Sara zu sehen? Oder–«
Nur einen Augenblick ging ein Schatten über Helmstedts Gesicht, dann lächelte er im besten Humor: »Wenn dir die dreihundertfünfundsechzig Mucken deiner Sara nicht im Wege stehen,– ich werde dich nicht von ihr zurückhalten!« sagte er. »Benutze deine freie Zeit, wie du denkst und magst, nur sei da, wenn ich dich brauche. Jetzt besorge die Pferde und sieh dann nach deiner eigenen Lagerstelle.«
Der Schwarze verzog das Gesicht, als liege noch irgend etwas anderes auf seiner Seele; als sich aber Helmstedt erhob und ihm den Rücken kehrend, an das offene Fenster trat, zuckte er, wie sich selbst beruhigend, die Schultern und verließ das Zimmer.
Helmstedt brannte ein neues Licht an und warf sich dann auf sein Bett, um noch einmal die Eindrücke der letzten Stunden an sich vorübergehen zu lassen. Es war längst zehn Uhr vorüber, als er sich endlich entkleidete und das Licht löschte.
Am nächsten Morgen hatte er bereits bei beginnender Schulzeit in der Akademie den Wiederanfang seiner Musiklektionen für den nächsten Tag angezeigt. Er hatte nichts als freundliche Gesichter getroffen, niemand schien etwas von der Änderung seiner häuslichen Verhältnisse zu wissen oder davon Notiz genommen zu haben, und mit freier Seele hatte er sich auf den Weg nach Mortons Farm gemacht. Es war kaum zehn Uhr vorüber, als er an der Einzäunung, welche die nächste Umgebung des Hauses einschloß, von seinem Pferde stieg, um das Gittertor zu öffnen.
Auf der Treppe, welche nach dem Portico hinaufführte, saß ein Mensch in grober Kleidung mit gewaltigen Gliedmaßen und finsterem, dreistem Blick, der, ohne sich zu rühren oder Miene zu einem Gruße zu machen, dem Ankommenden entgegensah. Helmstedt band sein Pferd an einen Baum und ging dann mit leichtem Kopfnicken an ihm vorüber nach der offenen Halle. Seine Gedanken waren zu sehr mit dem Zwecke seines Besuchs beschäftigt, als daß er die einigermaßen auffallende Erscheinung hätte beobachten sollen. Er legte seinen Hut ab; eben aber als er sich vergebens nach einem der Schwarzen, der ihn hätte melden können, umgesehen und die Parlortür öffnen wollte, tat sich diese auf, und Mrs. Morton, die bei seinem unerwarteten Anblick einige Schritte zurückwich, befand sich vor ihm. Auch Helmstedt war zurückgetreten, und beide standen einen Augenblick wortlos einander gegenüber. Sie war in tiefer Trauerkleidung, aber diese zeichnete um so bestimmter ihre feinen, gerundeten Formen ab und verlieh ihrer ganzen Erscheinung einen Anstrich von vollendeter Aristokratie. Ihr tadelloser Teint, eben nur von dem Rot der Überraschung überhaucht trat zarter als je hervor, und der Anflug von Trauer um den weichen Mund erschien Helmstedt fast von noch größerem Reiz als das frische Lächeln, das er früher an ihr gekannt.
»Treten Sie ein, Sir, und seien Sie willkommen«, sagte sie, ihm die Hand bietend. »Sie finden unser Haus vereinsamter, als da Sie es verließen.«
»Ich habe alles vernommen, Ma'am, und machte deshalb meinen Besuch bei Ihnen zu einem meiner ersten Geschäfte,« erwiderte, er, ihre Finger leicht zwischen den seinigen drückend; »Sie wissen es wohl selbst, daß Morton eigentlich der einzige Freund war, den ich im ganzen Süden besaß, und daß seinen Tod sicher niemand aufrichtiger betrauert als ich.«
»Und er verdient das,« sagte sie, zu ihm aufsehend, während ihre Augen sich mit Wasser füllten; »er hat an Sie noch zwei Minuten vorher gedacht, ehe er entschlummerte. Es war wirklich nichts als ein sanftes Entschlafen« fuhr sie fort und trocknete sich die Augen; »ich weiß kaum, ob er selbst die unmittelbare Nähe des Todes, ahnte. Aber setzen Sie sich, Mr. Helmstedt!« Sie ließ sich auf einen der Diwans nieder, und Helmstedt wandte, sich nach einem Stuhle. So oft er auch schon in den Parlors von Mortons Hause gewesen war, so hatte er doch nie ein besonderes Auge für deren Einrichtung gehabt. Heute aber ließ er unwillkürlich einen beobachtenden Blick über die reiche, geschmackvolle Ausstattung gleiten, die im vollen Verhältnisse zu dem eleganten Hause und dem ausgedehnten Grundbesitz des Verstorbenen stand. Dieses alles gehörte jetzt, wenn er Mortons Worte, die dieser zu ihm über seine letztwillige Verfügung gesprochen hatte, richtig verstand, der jungen Frau, welche, vor ihm saß, und das drückende Gefühl, welches schon tags zuvor sich bei Betrachtung ihrer beiderseitigen Verhältnisse seiner bemächtigt hatte, überkam ihn wieder.
Er hatte sich ihr gegenüber niedergelassen. »Well, Ma'am,« begann er, »Sie sind jung, schön und jetzt auch reich –«
Die junge Frau schlug bei diesem Anfange das Auge mit einem so verwunderten Blicke zu ihm auf, daß er sich unwillkürlich unterbrach. »Warum sagen Sie mir das, Mr. Helmstedt?«
Dieser drückte einen Moment die Augen in seine Hand. »Vielleicht,« erwiderte er, »um Ihnen zu zeigen, daß ich Ihre jetzige Stellung vollkommen zu würdigen weiß, Mrs. Morton; aber«, fuhr er fort und sah ihr voll in das erwartende Gesicht, »ich wollte eigentlich nur bemerken, daß Sie jetzt auch allein stehen, und daß Ihre Stellung, vielleicht gerade ihrer Vorzüge wegen, einen Schützer mehr als je für Sie notwendig macht. Ich habe Morton versprechen müssen, Ihnen ein treuer Freund und jeden Augenblick zu Ihren Diensten zu sein – ich habe das mit ganzem Herzen versprochen, und jetzt bin ich hier, um Sie zu bitten, in irgendeiner Weise über mich zu disponieren.«
Das Auge der jungen Frau schien während Helmstedts Rede dunkler zu werden und an Tiefe zu gewinnen, ein leises Rot stieg in ihre Wangen, und ein weicher Zug, halb Schmerz, halb Innigkeit legte sich um ihren Mund. Es war derselbe Ausdruck, an welchen Helmstedt während der letzten Tage so oft hatte denken müssen, dasselbe Gesicht, mit welchem sie am Tage ihres ersten Zusammentreffens in Neuyork mit ihm an seiner Seite gekniet und zu ihm aufgesehen hatte – und eine stille Wärme, die alle seine Vorsätze von stolzer Zurückhaltung zu zerschmelzen drohte, begann in ihm aufzusteigen. Eine wortlose Sekunde lang hingen die Blicke beider ineinander; dann aber preßte sie mit einem tiefen Atemzuge die Hand auf die Herzgegend, wurde bleich und senkte langsam den Kopf. Als sie wieder aufsah, begegnete Helmstedts Auge einem Blicke so still und kalt, als er ihn in der letzten Zeit nur jemals an ihr hatte kennen lernen.
»Sie mögen recht, haben, daß ich fast ganz allein stehe,« begann sie leise, »aber Sie wissen wohl selbst, Sir, wie lange ich daran gewöhnt worden bin. Habe ich als armes Mädchen es schutzlos mit der Welt aufnehmen müssen, so möchte ich das auch einmal als reiche Frau, versuchen, ich habe mich so lange auf meine eigene Energie angewiesen gesehen, selbst während der letzten Monate vor Mr. Mortons Tode, daß ich in meiner jetzigen Stellung kaum etwas Ungewohntes finde. Ich danke Ihnen, bei alledem, herzlich für Ihr Anerbieten und verspreche Ihnen gern, in ungewöhnlichen Fällen Sie um Ihren freundlichen Rat zu bitten.«
Helmstedt verneigte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Eine Empfindung hatte ihn überkommen, als habe ein Nachtfrost einen ganzen Garten voll Frühlingsblüten in ihm getötet; und zugleich fühlte er, daß diesem kalten Auge gegenüber auch sein Stolz ihm keine Genugtuung mehr bieten konnte – traf doch jedes ihrer Worte so folgerecht und bestimmt seine frühere Haltung gegen sie, daß sie kaum anders hätte reden dürfen, daß er nur sich selbst die schiefe Stellung zuschreiben mußte, in die er sich nun durch sein jetziges Dienstanerbieten gebracht sah.
»Lassen Sie uns von Ihren Verhältnissen reden, da ich Ihnen vielleicht einige Einzelheiten der Vorfälle, während Ihrer Abwesenheit geben kann!«, fuhr sie fort. »Sie scheinen jedenfalls zu wissen, daß Ellen nicht mehr hier im Hause ist.«
»Ich weiß, Ma'am, daß sie ihrem Vater nach Oaklea gefolgt ist, und offen gestanden, ist mir die Tatsache so genügend, daß ich mich über das Wie oder Warum nicht weiter kümmern möchte.«
Sie sah ihm einen Augenblick aufmerksam ins Gesicht. »Und das ist alles, was Sie darüber zu sagen haben?« fragte sie dann.
»Ich wüßte nicht, was sonst noch, Ma'am. Jedes weitere Wort kann das Verhältnis zwischen mir und Ellen nur verwirren, statt es der Lösung näherzubringen Sie kennt genau die Deutung, welche ich einem Schritte wie dem jetzt von ihr getanen geben würde und sie hat ihn getan. Sie weiß, daß ich ihrer Eltern Haus, welches mir ihr Vater nach unserer Verheiratung deutlich genug verbot, nie betreten werde, wenn nicht eine Ausgleichung vorhergeht, zu welcher sich Elliot, wie ich ihn kenne, nie verstehen wird – also ist das Verhältnis so einfach, daß sich kaum noch etwas darüber sagen läßt.«
»Und Sie wollen keinen Schritt in der ganzen Angelegenheit tun, trotzdem Sie so glücklich in Ihrer Liebe zu Ellen waren?« erwiderte sie und bückte sich, um eine Falte ihres Kleides zu ordnen.
Helmstedt antwortete nicht; die Frage klang ihm in seiner jetzigen Stimmung und aus Paulinens Munde fast wie bitterer Hohn. Ein stiller, ernster Blick, mit dem sich Helmstedt erhob, traf die junge Frau, als sie aufsah. Lassen Sie uns abbrechen Ma'am!« sagte er ruhig und trug seinen Stuhl beiseite.
Sie sah ihm nach, als suche sie ein Verständnis für sein Benehmen, dann erhob sie sich ebenfalls. »Noch einen Augenblick, Mr. Helmstedt, ich habe einen letzten Auftrag von Mr. Morton an Sie auszurichten!« Damit ging sie nach einem eleganten Schreibtische an einer der Seitenwände des Zimmers und nahm einen starken Brief, der dort in Bereitschaft zu liegen schien, heraus, ihn dem jungen Manne, der ihr entgegenkam, übergebend. Helmstedts erkannte schnell seine Adresse, von Mortons Hand geschrieben.
»Ich werde die Öffnung für eine ruhigere Stunde aufsparen,« sagte er, »und falls sich Dinge darin vorfinden sollten, die sich auf mehr als meine eigenen Verhältnisse beziehen, so geben Sie mir wohl die Erlaubnis zu einem zweiten Besuche.«
»Sie scheinen mich irgendwie mißverstanden zu haben«, sagte sie, ihm forschend in das ernste Gesicht sehend. »Sie wissen, daß Mortons Haus Ihnen immer offen stehen wird, und daß ich mir auch vorbehalten habe, da, wo eine Frau nicht mehr allein durchkommen kann, mir Ihren Rat zu erbitten.«
Der junge Mann verbeugte sich schweigend und barg den erhaltenen Brief in seine Brusttasche.
»Sie werden doch in der Hitze nicht nach Hause reiten wollen und jedenfalls bei uns zu Mittag bleiben?« fuhr sie fort, als er Miene machte, sich zu verabschieden. »Sie finden niemand hier als den alten Doktor Ford, der seit Mr. Mortons Tode ein Zimmer bei uns eingenommen hat, weil er meinte, er dürfe mich und die weiße Wirtschafterin nicht allein im Hause lassen.«
»Ich danke Ihnen sehr, Ma'am, ich habe Schatten bis kurz vor die Stadt«, erwiderte er und warf einen Blick aus dem Fenster nach seinem Pferde: »Ich beginne morgen meine Lektionen wieder und kann den Nachmittag für meine Vorbereitungen nicht entbehren.«
Sie sagte nichts, aber das große Auge, das auf ihm ruhte, begann seinen Glanz zu verlieren, ihre Züge nahmen eine marmorne Unbeweglichkeit an, und als er sich nach ihr wandte, um Abschied zu nehmen, neigte sie nur mit einem kurzen »Good bye, Sir« den Kopf und trat an eine der Fenstertüren, welche sich nach dem Portico öffneten.
Helmstedt hatte kaum die kalte Entlassung beachtet; er fühlte sich verwundet; er sehnte sich, nach Hause zu kommen und mit allen Herzensforderungen abzuschließen. Auf der Porticotreppe saß der Mensch, welchen er bei seinem Eintritte bemerkt, noch in derselben Stellung, wie eine Stunde zuvor; aber Helmstedt hatte kein Auge für ihn. Nur als er sein Pferd losgebunden hatte, warf er halb unbewußt einen Blick auf das Haus zurück, und sein Auge blieb einen Moment an der schlanken Gestalt in Trauerkleidern haften, die hinter einer der Fenstertüren des Parlors stand und mit unbeweglichen Zügen ins Weite starrte. Er führte sein Pferd langsam nach dem Gittertore. Als er dies geöffnet hatte und beim Aufsteigen noch einen letzten Blick zurücksandte, sah er, wie Pauline aus der Halle trat, die Gestalt auf der Treppe sich langsam erhob und beide nach kurzem Gespräch miteinander in das Haus zurückgingen.
Eine Art Neugierde, was die Besitzerin von »Mortons Haus« mit einer solchen Erscheinung zu schaffen haben könne, wollte sich Helmstedts bemächtigen, aber was gingen ihn, dessen aufrichtiger Wille zurückgewiesen worden war, noch die ganzen Verhältnisse hier an? Er ließ sein Pferd die Schenkel fühlen und sprengte davon – bald aber zog er unwillkürlich die Schenkel wieder an. Zwei Bilder traten trotz seines Grolles immer unabweislich vor seine Seele: Pauline mit dem dunkeln Auge und dem süßen, innigen Lächeln, das einen ganzen Himmel verhieß – und Pauline, die starre, marmorweiße Büste in schwarzer Drapierung, wie er sie hinter dem Fenster des eben verlassenen Hauses gesehen.
Er erreichte seine Wohnung in einem Zwiespalte mit sich selbst, den er nicht zu lösen vermochte. Er schloß Mortons Brief, den zu lesen er sich am wenigsten in der Stimmung fühlte, in seinen Schreibtisch und ging nach dem Hotel, um seine Mahlzeit zu nehmen. »Teufelmäßig warm!« – »Zu früh für die Jahreszeit!« – »Wir werden viel Krankheit diesen Sommer haben!« das waren fast die einzigen Äußerungen, welche während des Essens um ihn her fielen, und Helmstedt kam endlich selbst zu der Idee, daß es das Wetter sein müsse, welches ihm den klaren Kopf nehme. Langsam ging er wieder nach seinem Hanse und nahm sich vor, alle belästigenden Gedanken aus seinem Gehirne zu verbannen und nur für das zu sorgen, was ihm am nächsten lag. Er holte seinen Vorrat von Musikalien und das Verzeichnis seiner Schülerinnen hervor, um morgen für alle Lektionen vorbereitet zu sein; er gab sich mit Eifer seiner Arbeit hin – bald stieß er auf den Namen einzelner Lieblingsschülerinnen, von deren Talent er sich viel versprach, und deren Unterricht Lichtstellen in seinen oft so ermüdenden Beruf warf – bald wieder stieß er auf die Namen von Hard Cases (schweren Fällen), für deren Unterweisung er sich ein eigenes System geschaffen – in kurzem hatte sich sein ganzes Interesse auf die vor ihm liegende Arbeit gerichtet, und als er endlich damit zu Ende gekommen war, hatte sich auch der feste Vorsatz in ihm gebildet, seine Befriedigung nur in den Erfolgen zu suchen, welche ihm sein jetziger Beruf bieten konnte, alle ungelösten Dissonanzen in seinem Leben aber ruhig der Zeit zu überlassen. Er brannte sich eine neue Zigarre an und warf sich in den Schaukelstuhl ans offene Fenster. Trotz seiner guten Entschlüsse währte es indessen nicht lange, so zogen dennoch an seinem Geiste alle Szenen des heute verlebten Morgens wieder vorbei; so grübelte er über Paulinens sonderbares Wesen und begann, sich den verschiedenartigen Ausdruck ihres Gesichtes zu vergegenwärtigen, bis er endlich mit einem tiefen Atemzuge aufsprang. »Bin ich denn ein Kind?« sagte er und rieb sich die Augen; »ich will mich aus diesen weichherzigen Gefühlsstimmungen herausreißen. Ist denn das für einen Menschen von Charakter nicht genug? Sie meint, ihre Zeit sei jetzt gekommen, und will Revanche haben, das ist alles! Very well, so sei ein Mann, August, und bewache dich selbst!«
Er war zwei- oder dreimal die Stube auf und ab gegangen, als sich die Tür öffnete und Cäsar eintrat. »Ein Brief, Sir!« meldete dieser, ihm ein geschlossenes Schreiben hinreichend. Helmstedt besah die Adresse, und ein leichtes Rot stieg in sein Gesicht. »Wer hat das gebracht?« fragte er, langsam das Kuvert öffnend.
»Dick von Oaklea, Sir!« erwiderte der Schwarze; »er will warten, im Fall Mr. Helmstedt wieder etwas zu bestellen hätte.«
Helmstedt hatte die Zuschrift entfaltet und die wenigen Zeilen, welche sie enthielt, gelesen, aber noch immer hielt er die Augen darauf geheftet. Sie lauteten:
»Wenn Mr. Helmstedt den Unterzeichneten zu sprechen wünscht, so wird er ihn morgen und übermorgen in Oaklea anwesend finden.
Elliot.«
»Dick soll einige Minuten bleiben,« sagte Helmstedt endlich; »ich werde ihm Antwort mitgeben.« Er wandte sich nach dem Schreibtische und ließ sich dort nieder; als aber der Schwarze das Zimmer verlassen hatte, stützte er den Kopf auf beide Arme und starrte sinnend auf das vor ihm liegende Papier. »Wenn irgend etwas wie eine Ausgleichung beabsichtigt würde,« begann er nach einer Weile und lehnte sich zurück, »wenn noch ein Funke von wirklicher Liebe in Ellens Herzen für mich wäre, so hätte si eine Zeile beigefügt. Was hier vor mir liegt, ist nichts als der ausgeprägte Pflanzerstolz, welcher ein drückendes Band abstreifen möchte, aber dem armen Ausländer gegenüber es unter seiner Würde findet, selbst einen Schritt dafür zu tun. Gut, wir werden sehen, wessen Stolz zuerst bricht.«
Er nahm Feder und Papier zur Hand und schrieb:
»Der Unterzeichnete ist sich keines Gegenstandes bewußt, über welchen er mit Mr. Elliot selbst zu verhandeln hätte. Will Mrs. Helmstedt, wie es einem treuen, gewissenhaften Weibe geziemt, in das Haus und unter die Obhut ihres Mannes zurückkehren, so wird sie offene Arme finden. Dies ist aber die unerläßliche Bedingung, ehe der Unterzeichnete auf irgendeine sie berührende Verhandlung eingehen könnte.
August von Helmstedt.«
Der Brief wurde geschlossen und abgesandt. Noch lange nachher aber saß Helmstedt vor seinem Schreibtische, den Kopf in beide Hände gestützt, und suchte sich ein Bild von dem jetzigen Leben in Oaklea zu schaffen und sich die Szenen zu vergegenwärtigen, welche seine Zeilen dort hervorrufen würden. Ein mehrmaliges Räuspern störte ihn endlich auf. Cäsar stand an der Tür.
»Bitt' um Verzeihung,« sagte der Schwarze und knetete seine Hände, als wolle er alle Knochen darin zerbrechen, »ich wollte nur fragen – ich habe nämlich Dick gesagt, daß mich Sara diesen Abend erwarten soll – ob ich mich vielleicht umsehen oder horchen soll, wie's drüben steht – ich meinte nur so – ich wollte schon gestern deswegen fragen – Mr. Helmstedt ist so gut, und ich möchte so gern etwas tun.«
Helmstedt hörte ihn an, bis er schwieg und nur noch verlegene Gesichter schnitt. »Du bist eine gute Haut, Cäsar,« sagte er dann, »und es wird schon einmal eine Zeit kommen, wo du mir deine Anhänglichkeit beweisen kannst. Drüben in Oaklea aber kümmere dich nur um deine eigenen Geschäfte; und so wenig ich von dort etwas hierher berichtet haben will, ebensowenig wünsche ich etwas von hier hinübergetragen.«
» All right, Sir!« lachte der Schwarze und nahm die Tür in die Hand; »sie sollen eher vor Neugierde blau werden, ehe sie von mir etwas erfahren.«
* * *
Es war eine Zeit der nüchternen, poesielosen Arbeit, welche jetzt für Helmstedt folgte. Es waren nur noch sieben Wochen bis zu der Zeit, in welcher die Akademie der heißen Jahreszeit wegen geschlossen wurde. Bei diesem Schlusse der Schule aber fand eine Examination statt, deren Hauptzierde die Musikschüler mit ihren Leistungen bildeten, und Helmstedt warf sich mit seinen ganzen Kräften auf die nötigen Vorbereitungen. Er gab Extra-Lektionen und widmete seine freie Zeit den Übungen seiner Schülerinnen; er fand darin das beste Mittel, um seinen eigenen Grübeleien zu entgehen. Abends unternahm er in der Regel einen Ritt in die Umgegend und sprach in dieser oder jener Farm ein, deren Besitzer er durch seine Stellung in der Akademie hatte kennen lernen, kam meistens erst mit beginnender Nacht wieder heim, wo er für alle seine Bedürfnisse von Cäsar aufmerksam gesorgt fand, und schlief den Schlaf der Ermüdung.
Vierzehn Tage waren auf diese Weise vergangen; Helmstedt hatte weder etwas von »Mortons Haus« noch von Oaklea, dessen Umgegend er stets auf seinen Ritten vermied, gehört, und wenn ihm sein Leben auch oft selbst so nüchtern und ohne eigentlichen Endzweck vorkam, daß ihm die Frage vor die Seele trat, wohin es in dieser Weise führen solle, so fühlte er doch auch, daß es ihm für den Augenblick den einzigen Halt bieten konnte.
Es war an einem Sonnabend, an welchem die Stadt meist voll von Pflanzern und kleineren Farmern der Umgegend war, als Helmstedt zur Mittagsstunde das Globe-Hotel betrat. Die geräumige Halle und der anstoßende Bar-Room waren gefüllt mit den hohen, kräftigen Gestalten, wie sie der Süden der Vereinigten Staaten erzeugt, und alle Arten von Anzügen, vom blauen Baumwollenfrack und geflochtenen Schilfhute bis zum Nankinghabit und dem modernen Panamahute, mischten sich bunt durcheinander. Helmstedt nahm eine Zeitung und wollte sich eben an ein Fenster setzen, um das Läuten für den Mittagstisch abzuwarten, als sein Blick auf einen Mann fiel, der an einem der Kaminsimse lehnte und dem Anscheine nach einem neben ihm stehenden Farmer zuhörte, aber das Auge unverwandt auf den Deutschen geheftet hielt. Es war Elliot. Helmstedt blickte ihm einen Moment voll ins Gesicht; als jener aber jetzt das Ohr zu dem Farmer an seiner Seite bog, als wisse er durchaus nichts von der Richtung seiner Augen, ließ sich Helmstedt auf einem Stuhle nieder und barg das Gesicht hinter seiner Zeitung. Er fühlte, daß dieses Anstarren, ohne doch von ihm Notiz zu nehmen, eine Demonstration von Nichtachtung vorstellen sollte, und er gab sich das Versprechen, sich diesem Hochmut gegenüber kein Haarbreit etwas zu vergeben. Seine ferneren Gedanken schnitt die Mittagsglocke ab; die Anwesenden stürmten in amerikanischer Manier nach dem Speisesaale, einer suchte den anderen zu überholen, um einen Stuhl an der Tafel zu gewinnen, und Helmstedt, der als ständiger Kostgänger seinen Platz reserviert wußte, war einer der letzten. Als er aber eben den Speisesaal betrat, hörte er neben sich Elliots Stimme: »Ich wünsche Sie nach Tische ein paar Minuten zu sprechen, Sir!« Helmstedt veränderte weder eine Miene noch antwortete er. Das ganze Wesen des Pflanzers traf seinen Stolz an der wundesten Stelle. Er nahm langsam und mit aufgerichtetem Kopfe seinen Platz ein, nickte einigen bekannten Gesichtern in seiner Nachbarschaft zu und ging auf die um ihn her fallenden Bemerkungen so unbefangen ein, als habe nichts Ungewöhnliches seine Seele berührt.
Die Tafel war zu Ende. Helmstedt nahm seinen Hut, zündete in dem Bar-Room eine Zigarre an und wandte sich, um das Hotel zu verlassen, als er den Vater seiner Frau dicht vor sich erblickte.
»Ich sagte Ihnen, Sir, daß ich einige Worte mit Ihnen zu reden hätte!« begann dieser mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Das ist möglich, Mr. Elliot,« erwiderte der junge Mann, dem Pflanzer frei ins Gesicht sehend; »ich spreche aber mit niemand, der nicht zu mir wie der Gentleman zum Gentleman redet. Sie mögen reicher sein als ich; in allem übrigen stelle ich mich mit Ihnen auf gleiche Stufe; auch bin ich mir nicht der kleinsten Handlung bewußt, welche mich hindern könnte, die nötige Achtung gegen mich zu fordern.«
Elliot sah ihn einen Augenblick finster an. »Sie sprechen mit der ganzen Keckheit der Jugend, Sir,« sagte er dann; »und statt zu suchen, hier, wo Sie nicht einmal einen Boden haben, sich Freunde zu erwerben, scheinen Sie durch einen übel angebrachten Stolz sich Ihren Weg recht absichtlich erschweren zu wollen.«
»Ich tue nur das, was jeder Mann von Ehre sich selbst schuldig ist,« erwiderte Helmstedt ernst, »und die Folgen dessen, Mr. Elliot, gut oder übel, trag' ich allein.«
»Gut, Sir, so erlauben Sie mir, ein paar Worte mit Ihnen zu reden!« sagte der Pflanzer, den Kopf zurückwerfend.
»Mit Vergnügen, Sir,« erwiderte der Deutsche, sich höflich neigend, »bestimmen Sie über mich!«
Elliot schritt nach einem der Seitenzimmer voran und untersuchte dort jede Tür, ob sie geschlossen sei. »Well Sir,« begann er dann, sich langsam auf einem der Stühle niederlassend, während Helmstedt seinem Beispiele folgte, »Sie haben mich nicht in meinem Hause sprechen wollen, und so habe ich die Gelegenheit dazu hier wahrnehmen müssen.« Er machte eine kurze Pause und sah finster vor sich nieder. »Es ist gekommen,« fuhr er dann fort, »wie ich es meiner betörten Tochter vorausgesagt: sie bereut den Schritt, den sie in einer Verblendung getan, welche ich mir heute noch nicht erklären kann, und will das elterliche Haus nicht mehr verlassen.« Er sah auf, wie eine Antwort erwartend.
»Sie meinen wahrscheinlich unter diesem Schritte Ellens Verbindung mit mir,« erwiderte Helmstedt, ihm ruhig ins Gesicht sehend; »reden Sie weiter!«
»Ich glaube, Sir, wenn Sie mich nicht absichtlich mißverstehen wollen, genug gesagt zu haben – und wenn Sie durchaus ein direktes Wort verlangen, so möchte ich Sie fragen: was soll jetzt werden?«
Helmstedt stützte Arm und Stirn auf die Lehne seines Stuhles.
»Worüber beklagt sich meine Frau, Mr. Elliot?« fragte er. »Hat sie Beschwerden gegen mich, oder gibt es andere triftige Gründe, welche es rechtfertigen können, daß sie nicht wieder in das Haus ihres Mannes zurückgekehrt ist?«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erwiderte der Pflanzer, ungeduldig auf seinem Stuhle rückend, »daß diese ganze Heirat ein Akt der Verblendung seitens meiner Tochter war, daß endlich ihre Vernunft zurückgekehrt ist, und daß also nur noch die Frage vorliegen kann, auf welche Weise das bestandene Verhältnis am einfachsten zu lösen ist. Ich habe Sie früher von mancher vorteilhaften Seite kennen gelernt, Sir, und traue daneben Ihrem offenen Verstand zu, daß Sie die vorliegenden Tatsachen richtig genug beurteilen können; ich frage Sie deshalb einfach: was soll geschehen? Und wenn meinerseits ein Opfer nötig ist, um ein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen, so stellen Sie ungescheut Ihre Bedingungen!«
Helmstedt setzte sich langsam aufrecht.
»In meiner Heimat, Sir«, begann er ernst, »gilt eine eingegangene Ehe als Vertrag für das ganze Leben, und ich habe immer gemeint, daß nur dadurch das Weib es vor ihrem eigenen Gefühle rechtfertigen kann, wenn sie sich ganz und gar dem Manne ihrer Wahl hingibt. Was sollte aus unserem Familienleben, aus unseren ganzen gesellschaftlichen Verhältnissen werden, wenn unter dem einfachen Vorgeben, ›verblendet‹ gewesen zu sein, sich Mann und Weib nach wenigen Monaten scheiden könnten, um dann eine andere Verbindung, eine dritte und so fort nach Gefallen einzugehen? Ich glaube Ellens weibliches Gefühl zu kennen, und, wenn sie im Augenblick mit Ihren Wünschen übereinstimmen sollte, so darf ich viel eher annehmen, daß sie jetzt verblendet ist, als daß dies früher der Fall gewesen, als sie mir Liebe für das ganze Leben gelobte.«
Elliot machte eine Bewegung zum Sprechen.
»Lassen Sie mich Ihnen noch zwei Worte sagen, und ich bin zu Ende!« fuhr Helmstedt angeregter fort. »Sie wissen, daß kein unreiner Beweggrund irgendeiner Art unsere Verbindung schuf, daß der Drang der Verhältnisse eins dem anderen in die Arme führte, und daß ich deshalb mit freiem Auge zu Ihnen reden darf. Wenn in dem letzten Monate Ellens Gefühle für mich ruhiger wurden, wenn sie sich, abgeschnitten von dem elterlichen Hause und allein in ihrer einfachen neuen Heimat, unbehaglich zu fühlen begann, so teilte sie wohl nur dasselbe Schicksal mit fast jeder jungen, früher verwöhnten Frau, die unter ähnlichen Verhältnissen einem Manne gefolgt ist, der noch für sein Brot arbeiten muß. Handelt es sich nur um Ellens Zufriedenheit, so ist dem Übel einfach dadurch abzuhelfen, daß Sie, Sir, unsere Verheiratung mit freundlicherem Auge ansehen, so daß Ellen nicht mehr gezwungen ist, die traurige Wahl zwischen Vater und Mann zu treffen, die einen von beiden stets ausschließt, und daß Sie mir Gelegenheit geben, Sie nach und nach ganz mit den Dingen, die doch nun einmal geschehen sind, auszusöhnen. Im anderen Falle«, fuhr er fort, als der Pflanzer heftig den Kopf schüttelte, »werde ich zwar meiner Frau nicht den geringsten Zwang antun, werde sie frei ihren Weg ziehen lassen, aber auch vorläufig zu keiner leichtfertigen Lösung unserer Ehe meine Hand bieten – ich glaube, dies Ellens Ehre und meiner eigenen schuldig zu sein, Mr. Elliot.«
»Ist das Ihr letztes Wort, Sir,« fragte der Pflanzer, wieder finster vor sich niedersehend, »oder gibt es irgendein Mittel, Sie kurz und bündig auf eine andere Weise zufriedenzustellen? Wenn Sie die hiesige Gegend verlassen und Ihre augenblicklichen Rechte aufgeben würden, so sollte Ihnen ein genügendes Kapital zur anderweitigen Gründung Ihrer Existenz nicht fehlen.«
»Ich glaube, Mr. Elliot, Sie erlassen es mir, auf einen solchen Vorschlag nur zu antworten,« sagte Helmstedt, sich langsam erhebend; »wir tun wohl am besten, ganz abzubrechen.«
»Nun, in des Himmels Namen, so sagen Sie mir, was Sie eigentlich wollen!« rief Elliot aufspringend. »Wenn Sie meine Tochter lieben oder geliebt haben, so kann Ihnen nichts daran liegen, sie für ihr ganzes Leben einen einzigen unbesonnenen Schritt bereuen zu machen; wenigstens werde ich, an dem ihre ganze Seele hängt, niemals meine Billigung zu einer Verbindung geben, die meinen Ansichten vom Leben und meinem innersten Wesen direkt entgegenläuft. Sie sagen, Sie wollen Ellen keinen Zwang antun – wollen aber auch das Band zwischen ihr und Ihnen nicht lösen; das heißt, dem armen, gefangenen Vogel die Freiheit geben, ihn aber mit einem Faden am Bein an das Fenster binden, damit er nicht entwische.«
Helmstedt schüttelte den Kopf.
»Sie beurteilen eben mein Verhältnis zu Ellen nach Ihren Ansichten, Sir!« sagte er, »und deshalb wird eine Verhandlung zwischen uns beiden auch stets unfruchtbar sein. Was ich will, ist einfach: daß Ellen, welche ihre Verbindung mit mir ohne ihren Vater schloß, sich auch selbst mit mir wieder auseinandersetze, falls sie wirklich auf einer Trennung besteht. Ich werde sie in diesem Falle nicht halten; ich habe aber ein Recht, ihr Vertrauen zu fordern; ich habe ein Recht, mich dagegen aufzulehnen, daß sie durch ein heimliches Verlassen ihres Mannes und ihrer neuen Heimat meine Ehre jeder beliebigen Deutung des Geschehenen bloßstellt. Ellen soll, da es jetzt noch Zeit dazu ist, zu mir zurückkehren, soll ihren Platz in unserem Hause wie früher wieder einnehmen, und dann wollen wir unsere Angelegenheit miteinander ordnen – einen anderen Weg zur Ausgleichung der jetzigen Differenz kenne ich nicht, Sir!«
»In Ihrer Forderung ist wenigstens Selbstgefühl genug,« erwiderte Elliot mit einem frostigen Lächeln, während er langsam der Tür zuschritt; »ich sehe, daß wir uns schwerlich verständigen werden; lassen wir also die Dinge ihren natürlichen Gang gehen. Noch eins will ich Ihnen aber sagen, junger Mann,« wandte er sich von der Tür zurück, »sollte der Fall eintreten, daß Sie es trotz Ihres Stolzes für gut befänden, auf ein Übereinkommen zu Ihrer Abfindung einzugehen, so gebe ich Ihnen zwei Monate, von heute an, Zeit: nach diesem Termin werde ich meine Tochter ohne jede weitere Rücksicht selbst frei zu machen wissen.«
Er nickte leicht und schritt aus dem Zimmer.
Helmstedt hatte, ihm nach, das Hotel verlassen und ging, den Kopf gesenkt, langsam nach seiner Wohnung. Es war Sonnabend, der freie Tag für alle amerikanischen Schulen, und er konnte über seine Zeit verfügen. Zwei Gefühle stritten sich in ihm und ließen keine rechte Befriedigung über die eben stattgefundene Szene in ihm aufkommen. Er hatte die Kränkung, welche ihm Ellen durch ihre Übersiedlung in das väterliche Haus angetan, zu tief empfunden, als daß er nicht auf ihre Rückkehr, als die einzige Genugtuung für ihn, hätte bestehen sollen, und seine Haltung ihrem stolzen Vater gegenüber erschien ihm schon durch die eigene Selbstachtung geboten. Im Hintergrunde seiner Seele aber wurde eine andere Stimme laut, die zweifelnd fragte, ob es nicht dennoch besser gewesen wäre, ein Verhältnis schnell zu lösen, in welchem die Grundbedingung, auf welche es gebaut worden: Ellens aufopfernde Liebe für ihn, geschwunden war, in dem er, selbst wenn eine neue Bereinigung möglich gewesen, wohl nie wieder seine ganze Befriedigung hätte finden können, ob es nicht besser gewesen sei, die alten Bande von sich zu streifen, lieber auf eine Genugtuung zu verzichten, aber berechtigt zu sein, in neuer Freiheit ein neues Glück zu suchen?
Er war an seinem Hause angelangt und schloß, noch mit sich selbst beschäftigt, die Tür auf, als er seinen Schwarzen von einem Holzstück, das zur Seite im Schatten lag, aufstehen und herankommen sah. »Ich habe auf Sie gewartet, Master,« sagte er, und Helmstedt bemerkte einen Ausdruck in seinen Augen, welcher ihm auffiel; »ich möchte Ihnen ein paar Worte sagen.«
»Komm herein, Cäsar, was ist es?« Helmstedt hatte den Parlor geöffnet und setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster, während der Neger an der Tür stehen blieb.
»Ich habe heute morgen einen von den Schwarzen aus Little Valley gesprochen,« begann der letztere, »Sie wissen, wo Little Valley ist, Sir?«
»Noch nicht einmal den Namen habe ich gehört, Cäsar.«
»Well es ist eine Farm, etwa vier Meilen von Mortons Hause nach den Bergen zu, und gehörte Mr. Morton. Es ist ein Aufseher dort für die Arbeit, und Mr. Morton ritt jede Woche ein paarmal hinaus. Mr. Bartlett, das ist nämlich der Aufseher, soll immer strenger gewesen sein als ein anderer, aber erst als Mr. Morton seit den letzten Monaten so kränklich war und nur selten hinkam, ist er so schlimm geworden, daß es jeden Tag blutige Rücken gegeben hat. Da hat nach Mr. Mortons Tod die Köchin in Little Valley das Elend der Köchin in Mortons Hause geklagt, und die hat es der jungen Mistreß, der jetzt das ganze Eigentum gehört, erzählt. Die Mistreß hat nun vor vierzehn Tagen den Mr. Bartlett kommen lassen und hat ihm scharf zugesetzt, wie die Köchin in Mortons Hause wissen will, und ihm gesagt, daß sie keine Grausamkeiten dulden werde, Mr. Bartlett aber hat alles abgeleugnet, ist böse nach Little Valley zurückgegangen und hat zwölf Schwarze einen nach dem anderen gehauen, bis er nicht mehr konnte, damit sie angeben sollten, wer über ihn geklagt habe. Aber keiner hat etwas gewußt. Die Köchin dort aber hat bald erfahren, was die junge Mistreß gesagt hat; es ist jetzt schon unter allen Schwarzen herum, denn die Köchin hat zwei Söhne mit auf dem Felde – und jetzt haben sie sich vorgenommen, bei dem ersten neuen Peitschenschlage Rebellion zu machen und den Aufseher totzuschlagen. Das ist es, Sir, und ich erzähle es Ihnen, weil Sie mit der jungen Mistreß gut bekannt sind.«
Helmstedt hatte gespannt zugehört; mehr aber als die Sache selbst befremdete ihn die Angabe der beabsichtigten Empörung durch den Schwarzen. »Nun?« fragte er, als Cäsar schwieg. »Willst du, daß der Aufseher gewarnt werde oder was sonst?«
Der Schwarze kratzte sich in seinem Wollhaar. »Ich gebe nichts um Mr. Bartlett, Sir,« sagte er endlich zögernd, »er ist ein böser Mensch, und nicht nur gegen die Nigger – es werden sonderbare Geschichten von ihm erzählt; aber es ist mir wegen der armen schwarzen Kerls. Jetzt schlagen sie ihn tot und denken wunder wieviel Recht sie dazu gehabt haben, und nachher werden sie alle, die mit Hand an ihn gelegt haben, gehängt. Und ich wollte noch das sagen, wenn Sie mir es erlauben, Sir: es tut nicht gut, die heimliche Klatscherei von den schwarzen Weibern; junge Mrs. Morton weiß das noch nicht so, aber sie sollte sich davor in acht nehmen – wo ein Master in seiner Stube ist, da hat die Köchin nichts zu tun und kann auch nicht horchen, Sir. Ganz ohne Strenge geht's wohl auf dem Felde nicht ab, Sir, ich muß das selber sagen; es ist manches faule Volk dort, das die Rüben und Süßkartoffeln roh äße, wenn sie nicht für alle gekocht würden, und das am liebsten den ganzen Tag auf dem Rücken läge – 's ist nicht ein Nigger wie der andere, Sir – und so kann die junge Mistreß mit ihrer Güte viel Unglück anrichten, Sir; sie sollte, wenn Sie's erlauben, Sir, vielleicht jemand zu sich nehmen, der hier recht Bescheid weiß – und Sie nehmen es nicht übel, Sir, was ein dummer Nigger da geredet hat, aber ich dachte, ich müßte es Ihnen sagen, Sir!«
Der Schweiß perlte in dicken Tropfen von des Redenden Gesicht, und, offenbar erleichtert, zu Ende zu sein, wischte er sich die Stirn mit dem Ärmel seiner Jacke.
Helmstedt war von seinem Stuhle aufgestanden und ging einige Male, nachdenkend das Zimmer auf und ab. »Du magst so unrecht nicht haben, Cäsar,« sagte er, vor dem Schwarzen stehen bleibend. »Glaubst du, daß in der nächsten Zeit etwas zu befürchten ist?«
»Heute ist Sonnabend, da ist der Aufseher meist in der Stadt, und morgen, am Sonntag, wird nicht gearbeitet,« erwiderte der Neger mit einem Gesichte voll Verstand; »aber am Montag früh, Sir, wo die Arbeit noch am wenigsten schmeckt und die Aufseher die Peitsche meist am lockersten haben, am Montag kann's etwas geben.«
»Es ist gut, Cäsar, sattle mein Pferd!« Der Schwarze verschwand mit befriedigter Miene, und Helmstedt setzte seinen Gang durch das Zimmer fort, bis er endlich am Fenster stehen blieb und, in Gedanken verloren, hinausstarrte. Er dachte nicht mehr an Cäsars Mitteilungen, es stand nur vor ihm, daß er wieder nach Mortons Haus reiten wollte, welches er seit vierzehn Tagen gemieden; er suchte sich den Gesichtsausdruck zu vergegenwärtigen, mit welchem ihn nach dem letzten sonderbaren Scheiden Pauline empfangen würde, und er mußte dabei tief aufatmen, um sich die Brust frei zu machen. Und wieder sprach die heimliche Stimme vom Nachmittag zu ihm, wie wunderschön es doch wäre, wenn er Elliots Scheidungsanerbieten kurz angenommen hätte, wenn er jetzt Paulinens beide Hände fassen und sagen könnte: »Ich bin ein Narr gewesen und blind dazu, aber ich bin sehend geworden und habe meine Bande von mir geworfen; hier bin ich, und nun tue mit mir, wie du willst. Stoße mich zurück, aber ich werde bei dir bleiben; fliehe mich, ich werde dir folgen, bis du mich erkannt hast und mir wieder zulächelst wie ehedem.«
»Wahnsinn!« sagte Helmstedt, sich gerade aufrichtend und mit der Hand über seine Augen fahrend. »Erst das alleinstehende Mädchen mit ihrem warmen Herzen zurückgewiesen und dann ihr als reiche Frau die Cour gemacht – ob sie nicht ein Recht hätte, mich zu verhöhnen? Ja, wenn jetzt ein Erdbeben ihre Plantagen und Neger verschlänge, wenn sie wieder so arm oder ärmer würde als zuvor, daß sie einsehen müßte, was aus mir spräche – aber Phantasie und Unsinn! Wende den Blick von dem Glücke, August, das du selbst verscherzt hast, und wahre dich vor einer neuen Demütigung!«
Er durchschritt wieder das Zimmer, bis der Schwarze sein Pferd vorführte und das Geräusch der Tritte auf dem Pflaster ihn aus seinen Gedanken weckte.
»Bleibe hier, Cäsar, bis ich zurückkomme, falls ich dich brauchen sollte,« sagte Helmstedt beim Aufsteigen und trabte davon.
Es war ein Tag wie im hohen Sommer, und die Sonnenglut, an welche der Deutsche noch nicht gewöhnt war, schien ihm nach kurzer Zeit fast unerträglich; er war froh, als er den Waldschatten erreicht hatte. Aber auch hier war der Ritt in der stillen Mittagshitze so unleidlich, daß alle müßigen Gedanken, die in ihm aufsteigen wollten, von selbst verschwanden, und daß er sich erschöpfter als jemals fühlte, als er Mortons Haus erreichte. Er band sein Pferd im Schatten an und ging nach der offenen Halle, wo ein leises Lüftchen hindurchzog, und ließ sich hier auf eine der Ruhebänke nieder, um sich einige Minuten abzukühlen, ehe er sich bei der Hausherrin melden ließ. Innerhalb des Hauses wie in seiner Umgebung schien kaum etwas Lebendiges vorhanden zu sein; eine Stille herrschte, daß Helmstedt das leise Rauschen der Blätter außerhalb vernehmen konnte, wenn ein Luftzug sie bewegte. Fast wirkte die Rast und die Kühle nach dem warmen Ritte einschläfernd auf ihn, und nach kurzer Zeit raffte er sich wieder auf, um in dem Hinteren Teile des Hauses nach einem der schwarzen Dienstboten zu sehen – aber nirgends ließ sich ein menschliches Wesen entdecken. Helmstedt öffnete endlich den Parlor, dessen Fenster durch grüne Jalousien vor der Sonne geschützt waren, und trat in den halbdunkeln Raum, auf dessen Boden nur einzelne helle Lichtpunkte sich wie hingestreutes Gold abzeichneten. Er sah um sich und wollte eben wieder zurücktreten, als sein Auge in einer Ecke des Zimmers ruhen blieb, wo sich ihm ein Bild bot, wie man es eben nur im Süden beim frühen Eintritt der heißen Jahreszeit antreffen kann.
Auf einen der Diwans leicht zurückgelehnt saß Pauline mit geschlossenen Augen. Der eine ihrer unverhüllten schönen Arme ruhte auf der Seitenlehne, während der andere, in ihren Schoß gesunken, einzelne Papiere hielt, mit deren Durchsicht sie beschäftigt gewesen schien. Ihr linker Fuß stützte sich auf einen niederen, weichen Schemel, während der rechte, unbedeckt von dem schwarzen Gazekleide, seine eleganten Formen bis über den feinen Knöchel zeigte. Zur Seite ihres Knies saß eine schlanke Mulattin, ein geschlossenes Kontobuch auf dem Schoße und den Kopf auf die Brust gesenkt. Beide schienen ohne ihr Wissen vom Schlaf überrascht worden zu sein.
Helmstedt stand eine Minute lautlos betrachtend. Das Märchen vom schlafenden Dornröschen in der hundertjährigen Stille, das der Ritter mit einem Kusse aus der Verzauberung weckte, kam in seinen Sinn. Sie lehnte da so mädchenhaft in ihrer Erscheinung und doch so alle Sinne aufregend, daß es eine Seligkeit hätte sein müssen, den erlösenden Ritter zu spielen. Kaum hatte er sich indessen zum geduldigen Warten in der Halle wieder niedergelassen, als auch Pauline in der geöffneten Parlortüre erschien. Ein leichtes Rot überflog sie, als sie Helmstedt, der von seinem Sitz aufsprang, erblickte.
»Wenn ich gestört habe, Mrs. Morton, so bitte ich von ganzem Herzen um Entschuldigung;« rief er, »aber es geschah ohne meine Schuld.«
»Ich glaube gern, Sir, daß es etwas Besonderes sein muß, was Sie einmal wieder nach Mortons Haus führt,« erwiderte sie, sichtlich noch in halber Verlegenheit; »der Tag scheint überhaupt ein eigentümlicher zu sein: es ist das erstemal, daß ich vom Klima überwältigt wurde, ohne etwas davon gewußt zu haben. Aber wollen Sie nicht eintreten?«
Eben schoß die Mulattin, das Gesicht zur Seite gewandt, zur Tür heraus, und Helmstedt folgte lächelnd der Hausherrin in das Zimmer.
»Ich war eben dabei, mir selbst etwas Einsicht in den Stand der Farm zu verschaffen«, sagte diese und räumte die umherliegenden Papiere beiseite, »und ich denke, ich werde auch mit der Zeit das Hauptsächlichste übersehen können. Aber welcher besondere Grund ist es denn, der mir einmal wieder die Ehre verschafft, Mr. Helmstedt bei mir zu sehen?« fuhr sie fort und ließ sich in dem Schaukelstuhle nieder. Es klang etwas wie halbe Ironie in ihrer Frage, aber Helmstedt mochte nicht darauf achten und nahm der jungen Frau gegenüber Platz.
»Sie haben früher wohl das Anerbieten meiner Dienste und meines Rates zurückgewiesen, Ma'am,« begann er ruhig; »demungeachtet muß ich mich heute noch einmal aufdrängen.«
»Aufdrängen, Mr. Helmstedt?« fragte sie, sich aufrecht setzend; »sind Sie denn wirklich noch so empfindlich, wie Sie es immer waren, daß Sie, vielleicht auf ein hastig gesprochenes Wort hin, einen solchen Ausdruck gebrauchen müssen? Lassen Sie mich offen zu Ihnen reden und unser beiderseitiges Verhältnis feststellen,« fuhr sie lebhaft fort. »Das wird uns manches Mißverständnis in der Zukunft ersparen. Sie glauben Mr. Morton einige Verbindlichkeiten schuldig zu sein, und da er Sie vor seinem Tode gebeten, mich künftig mit Rat und Tat zu unterstützen, so halten Sie es für eine Ehrensache, dieser Bitte nachzukommen. Es versteht sich nun von selbst, Sir, daß Sie zu jeder Zeit in Mortons Hause willkommen sind, und daß mir Ihre Ankunft stets eine besondere Freude machen wird – aber, Mr. Helmstedt, verpflichten mag ich Sie zu gar nichts mir gegenüber. Wir sind früher schon über unsere gegenseitigen Gefühle klar geworden. Sie waren zu stolz, auch nur die leiseste Hilfeleistung von jemand anzunehmen, für den Sie kein Interesse fühlten, wie von mir zum Beispiel, und es kann Sie niemand deshalb tadeln; ich aber habe in meiner Einsamkeit auch so viel gelernt, daß es mehr Befriedigung gewährt, sich selbst genug zu sein und nur auf die eigenen Kräfte zu bauen, als auf Hilfe zu rechnen, die nur des Anstandes und der Ehre wegen gewährt wird. So, Mr. Helmstedt, sind Sie mir als Gast und wohlmeinender Ratgeber immer hochwillkommen, ich möchte aber nicht, daß Sie sich auch nur unter der leisesten Verpflichtung gegen mich glaubten.«
Helmstedt sah in ihre glänzenden Augen, und es stieg bei dem leichten, unbefangenen Tone ihrer Worte ein Weh in seinem Herzen auf, gegen welches sein Stolz vergebens ankämpfte. »Nicht wahr, Pauline,« begann er nach einer Pause plötzlich Deutsch, »Sie wollen mich recht demütigen?«
Ein schwaches Rot trat in das Gesicht der jungen Frau. »Bleiben wir beim Englischen, Mr. Helmstedt,« sagte sie, und ihre Züge wurden ernster, »wir sprechen es beide gut genug, um uns zu verstehen. Ich habe mit allen meinen Erinnerungen abgerechnet, als ich zuerst Mortons Haus betrat, und will auch nicht eine wieder wachrufen. – Ist Ellen noch bei ihren Eltern?« fragte sie nach einer Weile, als wolle sie den Gegenstand des Gesprächs wechseln.
»Sie ist noch dort und wird auch wohl nicht wieder zurückkehren,« erwiderte Helmstedt und strebte umsonst, sich von einem inneren Drucke zu befreien. »Ihr Vater, den ich heute sprach, dringt auf eine Scheidung, die ich meines eigenen Rufes halber in dieser kurzen Weise nicht bewilligen mochte; indessen wird es wohl das beste sein, mich hier von allen den Täuschungen, die mir geworden, freizumachen, sobald ich es kann, und im Osten eine neue Karriere zu beginnen. – Aber ich muß Ihnen den Zweck meines Besuches mitteilen, Ma'am,« fuhr er fort, ohne den aufmerksamen Blick zu beachten, mit welchem ihn Pauline bei seinen letzten Worten betrachtete, und begann zu erzählen, was er von Cäsar gehört. »Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen,« setzte er hinzu, »so handeln Sie in bezug auf Ihre Schwarzen nicht, ohne mit jemand, welcher über die Plantagenverhältnisse ein gereiftes Urteil hat, sich besprochen zu haben. Unser deutsches Gefühl ist darin für die Praxis oft der übelste Ratgeber. Ich habe Ihnen die Tatsachen, die mir nicht ohne Gefahr scheinen, mitgeteilt, und kann ich Ihnen in bezug darauf in irgendeiner Weise dienen, so disponieren Sie über mich.«
Pauline war sichtlich betroffen. Ehe sie aber antwortete, öffnete sich die Tür, und der alte Arzt, welchen Helmstedt schon früher im Hause gesehen, trat ein.
»Da ist jemand, der uns raten wird!« rief die junge Frau aufstehend. »Doktor Ford – Mr. Helmstedt, wenn sich die beiden Herren noch nicht kennen. Das Kind scheint eine Torheit begangen zu haben, Doktor, und Sie sollen den Schaden wieder gutmachen helfen!«
»Hoffentlich wird sich den Folgen noch vorbeugen lassen,« sagte der alte Herr lächelnd, nachdem er Helmstedt begrüßt hatte, und nahm auf dem nächsten Stuhle Platz; »hat das Kind irgendwo ein scharfes Messer angefaßt und sich in den Finger geschnitten?«
»Es ist wirklich so etwas, Doktor – aber lassen Sie sich von Mr. Helmstedt erzählen, der mir soeben die erste Nachricht von dem, was ich angerichtet habe, gebracht hat.«
Der junge Mann begann von neuem zu berichten, und Pauline schien ängstlich das Gesicht des Arztes zu bewachen.
»Es ist jedenfalls eine unangenehme Geschichte,« begann dieser, nachdem Helmstedt geendet, und fuhr sich mit der Hand durch das buschige Haar; »ich glaube aber, daß, wenn die richtigen Schritte getan werden, kaum viel Gefahr zu befürchten ist. Ich werde heute abend selbst nach Little Valley reiten und ein wirksames Wort mit dem Bartlett reden – ich kenne ihn, aber ich mag ihn selbst nicht leiden, und es wird gut sein, wenn er, sobald ein anderer brauchbarer Mensch an seiner Stelle aufgefunden ist, entlassen wird. Zur Beruhigung der Schwarzen aber ist es am besten, Ma'am, Ihre Köchin sofort und spätestens morgen früh nach Little Valley zu versetzen, sollte es auch nur auf vier Wochen sein, die dortige Köchin aber während dieser Zeit mit auf dem Felde arbeiten zu lassen. Die Schwarzen dort kennen jedenfalls den Kanal, durch welchen sie Nachricht von der Stimmung ihrer Herrschaft hier erhalten haben, und die rasche, unerwartete Strafe für die stattgefundene Horcherei wird mehr auf sie wirken und ihnen die Rebellionsgelüste schneller vertreiben als irgendein anderes Mittel. Für alle künftigen Fälle aber wird es gut sein,« fuhr er lächelnd fort, »wenn das Kind nicht mehr zu hastig den Regungen seines weichen Herzens folgt und ihren getreuen Räten ein Wort gönnt, ehe sie handelt.«
»Sie reden gut, Doktor,« rief sie, den Mund zum halben Schmollen verziehend; »bin ich denn nicht in den meisten Fällen auf mich selbst angewiesen, und muß ich nicht Gott schon danken, daß Sie wenigstens hier im Hause zu unserem Schutze Ihr Quartier genommen haben, wenn ich Sie auch jeden Tag nur eine kurze Minute sehe? Aber ich verspreche Ihnen, vorsichtiger zu sein, Sie sollen noch an der festen Hand des Kindes, mit welcher es die Geschäfte leitet, Ihre Freude haben. Und damit Sie den guten Anfang sehen, Doktor, sollen heute noch Ihre Anordnungen befolgt werden.«
»Es ist unter allen Umständen das beste!« erwiderte der Arzt und erhob sich. »Ich werde nachsehen, welche Geschäfte mir heute etwa noch obliegen, und dann bin ich wieder bei Ihnen, ehe ich nach Little Valley reite.
Er grüßte und verließ das Zimmer, und auch Helmstedt stand von seinem Sitze auf.
»Sie gehen doch nicht auch schon, Sir?« fragte die junge Frau.
»Well, Ma'am, was soll ich noch hier?« versetzte er, und es klang wie halber Unmut in seiner Stimme. »Meiner Dienste bedürfen Sie nicht, und um bloße Redensarten kann es Ihnen nicht zu tun sein – ich glaube auch nicht, daß ich der Mann dazu wäre. Ich habe Ihnen meine Mitteilung gemacht, Sie haben Ihre Maßregeln getroffen, und so bin ich mit dem Zwecke meines Besuches zu Ende.«
»Ich hoffe nicht, Mr. Helmstedt, daß ich etwas getan habe, was Sie beleidigen konnte?« fragte sie und sah ihn mit großen Augen an.
»Beleidigen? Gewiß nicht, Ma'am!« erwiderte er; »Sie haben mir ja nur vor die Augen geführt, daß ich in früherer Zeit Ihre Teilnahme an meinem Schicksale zurückgewiesen hatte, und daß ich also auch kein Recht habe, jetzt nach dem Ihrigen zu fragen. Mir schien es damals, als ob Sie meine Zurückweisung schmerzte, und ich konnte doch nicht anders; jetzt schmerzt mich Ihr Verfahren, und Sie sind doch darin in vollem Rechte. Das ist alles! Aber ich rede da mehr, als ich wollte – entschuldigen Sie, Mrs. Morton, es soll nicht wieder geschehen, und nun leben Sie wohl!«
Pauline hatte sich während seiner Rede erhoben, in ihrem Auge lag ein Ausdruck wie stille Sorge. »Gehen Sie nicht so fort, Mr. Helmstedt,« sagte sie; »Sie sind bitter, und ich kann, offen gestanden, keinen rechten Grund dafür finden – fast ebenso verließen Sie mich das letztemal. Ich erkenne recht gut, daß Ihr jetziges Verhältnis zu Ellen Sie reizbar machen muß; kann ich aber etwas für Ihre Zufriedenheit tun, so sagen Sie es, und Sie werden mich bereit finden.«
Sie hatte ihm ihre Hand geboten, Helmstedt ergriff sie und hielt sie eine kurze Weile schweigend in der seinigen. »Sie wollen etwas für meine Zufriedenheit tun –« sagte er dann, und im Tone seiner Stimme wie im Ausdrucke seines Gesichts schienen die verschiedenartigsten Empfindungen miteinander zu kämpfen; »ich sollte fortgehen, Mrs. Morton, denn ich weiß, daß ich ein Narr bin – aber Sie haben mich aufgefordert, zu reden. Nun, so denken Sie einmal, das vergangene Jahr sei nicht in der Welt gewesen, reden Sie Deutsch zu mir und nennen Sie mich ›August‹ wie Sie es damals in Neuyork taten.«
In das Gesicht der jungen Frau schoß das Blut, dann wurde sie blaß – sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber Helmstedt hielt sie fest. »Ich glaube nicht, Herr von Helmstedt, daß Sie mich verhöhnen wollen,« sagte sie endlich Deutsch, und ein innerer Druck schien ihr fast die Stimme zu benehmen.
»Verhöhnen, Pauline?« erwiderte er, ihre Hand fester pressend, »warum fragen Sie nur so etwas? Ich mag mit meiner Forderung wirklich ein Narr sein, aber ich möchte jetzt die Seligkeit dieser Narrheit um keinen Preis der Welt hingeben. Sagen Sie nur einmal: ›August, wir wollen Freunde sein wie ehedem‹, und ich stelle mich zufrieden. Wollen Sie, Pauline?«
Sie hatte sich marmorbleich zurückgebogen und ihre Hand leicht aus der des jungen Mannes gewunden. »Sie wissen wohl nicht, Herr von Helmstedt,« sagte sie, und es zitterte eine tiefe Empfindung in ihrem Auge, »daß in einem Jahre der Mensch zehn Jahre älter werden kann? Die Zeit, von der Sie reden, liegt so weit hinter mir, daß ich kaum noch daran glauben würde, wenn Sie sie nicht zurückgerufen hätten. Mit Ihnen ist es anders gewesen, Sie sind einen Weg des inneren Glückes gewandelt, und was für Sie jetzt die Erlangung einer leichten Befriedigung sein mag, das heißt bei mir, Tote aus dem Grabe rufen. Lassen wir sie ruhen, Herr von Helmstedt!«
Helmstedts Erregung war geschwunden, wie der Wellenschlag unter dem eisigen Nordwinde erstarrt. »Ich darf Ihnen nichts entgegnen,« sagte er nach einer Weile langsam und preßte die Hand gegen die Stirn, »denn Sie haben in einem Punkte nur zu recht. Es ist so viel anders geworden in unseren gegenseitigen Beziehungen wie in unserer äußeren Lage – ich hatte mir das schon selbst vor die Augen gestellt – es mußte ja alles kommen, wie es soeben gekommen ist – mag es denn so sein! In einem süßen deutschen Liede heißt es:
Behüt' dich Gott, es wär' zu schön gewesen,
Behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein!
und so geben Sie mir noch einmal Ihre Hand, Pauline, ich werde Sie nicht wieder in Verlegenheit setzen!«
Er drückte leise ihre Finger und ging schweigend zum Zimmer hinaus; bald hatte er sein Pferd bestiegen und ritt, ohne sich umzusehen, davon.
Pauline aber setzte sich, halb hinter den Gardinen verborgen, ans Fenster, stützte Arm und Kopf auf die Stuhllehne und sah dem Davonreitenden sinnend nach, bis er hinter den Büschen verschwunden war.