Ferdinand von Saar
Wiener Elegien
Ferdinand von Saar

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V.

                      Mutet auch alles mich an im alten Bezirke der Städter,
    Auf der »Freiung« am »Hof« fühl' ich ergriffen mein Herz.
Dort spricht jeglicher Stein zu mir und weckt die Erinnrung –
    Längst vergangene Zeit drängt sich lebendig heran.
Sieh: da ragt sie ja noch, die schlichte, breitgieblige Kirche,
    Ragt der Schottenabtei menschendurchwandelter Bau.
Zweimal des Tages empfing er auch mich; die Bücher der Schule
    Unter dem schützenden Arm, eilt' ich zur Klasse hinauf,
Wo, in die Reihen der Bänke gepfercht, sich ein lärmendes Völklein
    Neckte und balgte und stieß, bis der Professor erschien.
Auf dem Haupt die Tonsur, umwallt von dunkler Soutane,
    Zum Katheder empor schritt er mit ernstem Gesicht.
Und nun ging es, o Qual! an lateinische, griechische Pensa,
    Bebenden Fingers gezählt ward des Hexameters Maß.
Marternde Sorgen des Schülers, die Angst vor der schlechteren Note –
    Jetzt noch fühl' ich sie nach, schreit' ich hier sinnend vorbei!
Aber die selige Lust auch, wenn endlich die schallende Glocke,
    Froh verkündend den Schluß, uns aus den Bänken entließ.
Hei, wie drängten wir fort! Erst still, in geschlossenen Reihen –
    Doch sie lösten gar bald jubelnd in Schwärme sich auf.
Lockte nicht dort auf bevölkertem Markt bei zarten Gemüsen,
    Duftenden Blumen das Obst, feilschend wie heute umdrängt?
Schon der Anblick entzückte des reichen, des köstlichen Segens,
    Wie er dem laufenden Jahr lieblich im Wechsel entsproß.
Ach, im Frühling die ersten, die rötlichen Kirschen – im Sommer
    Aprikosen wie Gold neben der Pfirsiche Samt;
Beeren in Hülle und Fülle – und saftige Birnen und Pflaumen,
    Bis sich die Mispel im Herbst leuchtenden Trauben gesellt.
Und die Äpfel sodann! In allen Formen und Größen –
    In der verschiedensten Pracht waren sie ringsum zu schaun;
Berge von Nüssen nicht minder – und trockene Feigen und Datteln,
    Wie sie Sankt Nikolaus artigen Kindern beschert.
O du herrlicher Winter mit lustigem Flockengewirbel!
    Und, o Weihnacht, du, schönstes, beglückendstes Fest!
Ha! Da standen sie schon, geräumig, die hölzernen Buden,
    Wo die Schätze sich all' wiesen in flitterndem Glanz.
Harzige Bäume und Bäumchen mit farbigen Ketten behangen,
    Kerzchen, niedlich und bunt, würziges Zuckergebäck;
Spielzeug jeglicher Art, Hutschpferde und knallende Peitschen,
    Schachteln mit bleiernem Krieg, Trommel und Seitengewehr:
Tand, der die Kleinen entzückte, und doch mit begehrlichem Auge
    Noch von den Größren gestreift ward bei der hastigen Schau.
Freilich, sie schreckte der »Krampus« nicht mehr, der mit drohender Rute,
    Fröhlich begafft und belacht, dunkel im Schimmernden stand.
Aber mit Andacht erfüllten uns alle die lieblichen Ställchen,
    Wo in der Krippe das Kind lag, von Maria bewacht;
Es'lein und Öchslein dabei, die Könige und auch die Hirten –
    Und aus Rauschgold ein Stern flimmerte über dem Bild.
Heilige Schauer der Kindheit! Unschuldige Wünsche des Knaben,
    Welche die Mutter ihm stets freudigen Herzens gewährt!'
Selige Zeit, wo bist du? – Ist sie denn wirklich entschwunden?
    Nein: wenn frostig der Platz mit dem sich neigenden Jahr;
Wenn der Kastanien Gedüft entsteigt den röstenden Pfannen,
    Und die Hökrin umhüllt sorglicher Busen und Haupt:
Stehen die Buden auch da, und durch die Nebel des Abends
    Schimmert das harzige Grün, leuchtet der heilige Christ.
Immer noch gibt es verlangende Kinder und liebende Mütter –
    Und im Kreislauf erhält ewig das Leben sich jung!

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