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Herta Bär und Selma Wolf galten als die hübschesten Frauen in Basel, nicht allein unter den Jüdinnen. Man sah sie immer beisammen, und es gab Leute, welche behaupteten, daß Beide sehr gut wußten, daß sie sich gegenseitig als Folie dienten.
Herta war blendend weiß, üppig, blond, und Selma hatte jenen warmen Teint, der an den Orient mahnte, die schlanken Glieder der Braut des hohen Liedes und schwarze Haare, die in das Blaue schimmerten.
Ihre Männer, der Weinhändler Wolf und der Kaufmann Bär waren gleichfalls Freunde.
Da kam ein jugendlicher Dichter auf den unglücklichen Einfall, Selma in einem kleinen Journal zu besingen und fortan war die Rivalität unter den beiden Frauen geweckt. Sie kämpften um die Palme auf Kosten ihrer Männer, sie überboten sich in Bezug auf Toiletten und Schmuck, in Bezug auf die Einrichtung ihrer Wohnungen, jede wollte die andere durch die Kunst der Küche in Schatten stellen und jede pries die Intelligenz, die Talente, die Schönheit ihrer Kinder auf Kosten jener der Anderen.
So entstand aus Neigung Widerwillen, und endlich sogar Haß.
Herta, welche gleich jeder jüdischen Frau für Litteratur und Kunst schwärmte, wurde zu unrechter Zeit von einer etwas übertriebenen Begeisterung für einen Schauspieler erfaßt, den sie als Faust, Egmont, Karl Moor, Marquis Posa und Tempelherr in Lessing's Nathan bewundert hatte, und eines Abends, als er den Romeo spielte, warf sie ihm einen Kranz auf die Bühne.
Selma machte sich über sie lustig und gab ihr den Spitznamen Julia, den die bösen Zungen von Basel bereitwillig annahmen und verbreiteten. Herta vergoß zahllose Thränen und Bär brach alle Beziehungen mit Wolf ab.
Einige Zeit wich man sich gegenseitig aus, dann begann die scheinbare Gleichgültigkeit in Feindseligkeit auszuarten.
Bär erzählte in seinen Kreisen, daß Wolf seinen Wein verfälsche, daß er seinen Kunden ein langsam, aber sicher wirkendes Gift gebe, und Wolf blieb die Antwort nicht schuldig. Er verbreitete seinerseits, daß Bär geknetetes Brod als Kaffee verkaufe und Nußbaumblätter als chinesischen Tee, daß er gestoßene Ziegel unter den Zimmt mische und Kreide unter das Mehl.
Man glaubte Beiden, und Beide litten unter der gehässigen Verleumdung, welche immer weiter um sich griff, und die Reihen ihrer Kunden mehr und mehr lichtete.
*
In diesem gegenseitigen Hasse war fast ein Jahr vergangen und wieder nahte Rosch haschonnah, das jüdische Neujahr.
An einem trüben Herbsttage fanden sich die jüdischen Männer bei Tagesanbruch im Tempel zusammen und beteten hier bis zehn Uhr morgens. Jetzt erschien der Rabbiner Goldschmidt, öffnete die Lade, nahm die Thora heraus, bestieg die Estrade, rollte das geheiligte Pergament auf, und der Sänger begann in hebräischer Sprache die Geschichte Abrahams und das Opfer Isaak's vorzutragen.
In einer bilderreichen Predigt erinnerte der Rabbiner daran, daß an diesem Tage das erwählte Volk einen Bund mit Gott geschlossen habe und rief dann den frommen Nathan auf, um den Sophar, das Widderhorn, zu blasen.
Nathan bestieg langsam die Estrade. Nachdem er und der Rabbiner ihr Haupt mit dem Thaleth verhüllt hatten und das Gebet gesprochen war, senkten alle den Blick zur Erde, denn Niemand darf es sehen, wenn das heilige Horn geblasen wird.
Mit einer wahrhaft erhabenen Bewegung setzte Nathan dasselbe an den Mund und jedesmal, auf die rituelle Aufforderung des Rabbiners ließ er dasselbe laut ertönen.
Nachdem der letzte schauerliche Ton, an die Posaune des jüngsten Gerichts mahnend verklungen war, wurde die Thora in die Lade zurückgebracht, und der Sänger erhob von Neuem seine Stimme. Die Versammlung warf sich zur Erde nieder, die Barmherzigkeit Gottes zu erstehen.
Die Kaduscha schloß die erhebende Feier, das dreimalige Hasannah!
Als Bär aus der Synagoge trat, erwartete ihn der Schames und bat ihn, zu dem Rabbiner zu kommen.
Dieser empfing ihn wohlwollend, fragte nach dem Befinden seiner Frau und Kinder und sagte endlich: »Sie wissen, mein lieber Bär, daß wir in zehn Tagen den Versöhnungstag feiern.«
Bär nickte.
»Haben Sie bereits daran gedacht, diese kindische Feindschaft mit Wolf zu beenden?« »Ich kann nicht den ersten Schritt thun«, sagte Bär, »Selma Wolf hat meine Frau beleidigt.«
»Und Sie haben zuerst Wolf verleumdet.«
Bär schwieg und betrachtete verlegen seine glänzenden Stiefel.
»Sie wissen«, fuhr der Rabbiner fort, »daß Gott am Jom Kipur nur jene Sünden vergibt, welche wir gegen ihn, nicht aber jene, die wir gegeneinander begangen haben. Sie müssen am Col Nidre zu Wolf gehen und ihn um Vergebung bitten, und Selma Wolf wird zu Ihrer Frau kommen.
*
Die neun Tage der Einkehr und Buße, die dem Jom Kipur vorangehen, hatten Bär mürbe gemacht.
Als die Männer um zwei Uhr im Tempel erschienen, um das Gebet zu sprechen, war er bereits entschlossen, zu seinem Feinde zu gehen. Vorher that er noch reumüthig Buße. Vor dem Tempeldiener niedergekauert, empfing er noch die traditionellen neunundreißig Streiche mit der Geißel auf den Rücken und kehrte dann still und ernst nach Hause zurück.
Nach dem Abendessen segnete er die Seinen, zog sich an und ging wieder zur Synagoge. Es war schon dunkel in den Straßen und überall sah man durch den Herbstnebel gespensterhafte Gestalten schreiten, ernste Männer mit gesenktem Haupt, mit dem weißen, silbergeränderten Sterbegewand und der weißen Kappe angethan. Wenn zwei sich begegneten, baten sie sich gegenseitig um Vergebung. Die Schritte Bär's wurden langsamer, dort an der Ecke glänzte das Weinfaß Noah's, dort war das Haus seines Feindes.
Noch einmal hielt Bär inne, dann aber beschleunigte er seine Schritte umsomehr und trat in das Haus.
Wolf kam eben die Treppe hinab.
»Ich bin gekommen!! ....« begann Bär, er konnte nicht weiter, Thränen erstickten seine Stimme.
»Ich bitte Dich um Vergebung«, rief Wolf, »ich bin der Schuldige – meine Frau ....«
»Nein, ich habe Dir Unrecht gethan«, sagte Bär und schon lag Wolf in seinen Armen.
Als die beiden Freunde Hand in Hand in den Tempel traten, lief ein beifälliges Murmeln durch die Versammlung.
Der große Tag begann, wo Israel zerknirscht vor seinem Gott im Staube liegt und zu dem Allerbarmer steht, wo keine Speise, nicht einmal ein Tropfen Wasser über die Lippe des frommen Juden kommt, wo Handel und Arbeit ruhen, und ein Jeder nur seiner Sünden gedenkt und der Stunde, wo er vor dem Throne des Ewigen erscheinen wird.
*
Während die Männer noch büßten und beteten, kehrten die Frauen langsam aus dem Tempel nach Hause zurück.
Herta Bär brachte ihre Kinder zu Bett und setzte sich dann in eine kleine Stube, die neben ihrem Schlafzimmer lag und in der sie zu arbeiten und zu lesen pflegte. Heute weihte sie die Abendstunden der Betrachtung und der Andacht.
Der kleine Raum war nur durch das Feuer, das in dem großen grünen Kachelofen loderte, erhellt. Herta's Augen hafteten an dem rothen Wiederschein, der um die exotischen Pflanzen der Tapete an der Wand gauckelte, und ihre Lippen bewegte ein leises Murmeln. Da klopfte es furchtsam an die Thüre.
Wer konnte es sein?
Herta erhob sich und öffnete. Eine tief verhüllte, weibliche Gestalt trat über die Schwelle, und als sie langsam den Schleier fallen ließ, blickte Herta erstaunt und verwirrt in das schöne, vor Aufregung und Scham geröthete Gesicht Selma's.
»Ich komme, Dich um Vergebung zu bitten«, begann die Arme.
»Du hättest Dir diese Demüthigung ersparen können«, erwiderte Herta mit einem Blick voll Härte und Hohn, »Du hast meine Ehre angegriffen, Du hast mich, ein treues, tugendhaftes, jüdisches Weib, der schwersten Sünde verdächtigt, nein, ich kann Dir nicht vergeben, ich kann nicht.«
»Ich habe bereut....«
»Phrasen!«
»Ich will jede Buße auf mich nehmen, die Du mir auferlegst.«
Herta sah sie an und schien zu überlegen.
»Strafe mich«, murmelte Selma, indem sie sich zu den Füßen ihrer Freundin niederwarf, »ich darf nicht unter das Dach meines Gatten zurückkehren, ohne Deine Vergebung. Tritt mich mit Füßen, aber nimm die Sünde von mir.«
»Ja Selma«, erwiderte Herta mit vor Rachelust bebenden Lippen, »ja, ich will Dich treten, ich will Dich geißeln, vielleicht kann ich Dir dann vergeben.«
Stumm warf sich die Unglückliche vor ihr nieder, wie vor einer zürnenden Gottheit, und Herta setzte den kleinen Fuß auf sie, ohne Erbarmen, und nachdem sie sich an der Erniedrigung ihrer Feindin genügend geweidet hatte, ergriff sie die Peitsche, mit der sie die große Dogge ihres Mannes zu strafen pflegte. Ruhig, stumm entblößte Selma ihre schönen Schultern und neigte das Haupt vor Herta, und diese hatte wirklich den Muth, sie zu schlagen.
Die Peitsche zog einen glühenden Strich über Selma's Rücken und dieses Mal brachte Herta zur Besinnung. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann laut zu schluchzen. »Was habe ich gethan!« rief sie, »ich Wahnsinnige! am Tage der Reue und der Versöhnung.«
Selma hatte sich erhoben, sie schlang die Arme um Herta und suchte sie zu trösten. »Ich habe verlangt, daß Du mich strafen sollst«, sagte sie sanft, »Du hast mir nicht zu viel gethan.«
»Nicht zu viel?« erwiderte Herta, »gut dann wirst Du mich aber gleichfalls strafen, Selma, denn ich bedarf der Buße mehr als Du, Du gute, großmüthige, einzige Frau.«
Sie riß mit einer fieberhaften Hast den türkischen Schlafrock, den sie trug, herab, und das Hemd und kniete vor Selma nieder.
»Strafe mich«, bat sie, »schone mich nicht.«
Selma nahm die Peitsche und gab ihr drei sanfte Streiche, nicht anders, als wenn sie ihre Schultern mit einer Blume berühren würde.
»Selma!« rief Herta aus, »Du hast mich mehr gedemüthigt, als ich Dich. Kannst Du mir vergeben?«
»Statt ihr zu antworten, zog Selma die Knieende an sich und küßte sie, Herta aber machte sich los, ergriff Selma's Fuß und preßte ihre Lippen auf denselben.
Der Tag verrann, der lange Tag, der kein Ende zu nehmen scheint und wieder waren die jüdischen Männer im Tempel vereint, das letzte Gebet zu dem Throne des ewigen Richters emporzusenden.
Während die Nehila erklang, flackerten die Kerzen zu Ende, mehr als eine erlosch, der geheiligte Raum wurde düsterer und düsterer.
Endlich sprach der Rabbiner die erlösenden Worte, dieselben, welche der fromme Jude angesichts des Todes spricht.
»Höre, Israel! Der Herr ist unser Gott! es ist nur ein Gott!«
Nachdem er diese Worte siebenmal ausgesprochen, erklang zum letzten Mal das Widderhorn, und dann verließen die Männer still und ernst den Tempel.
Vor dem maurischen Thor der Synagoge trafen sich Bär und Wolf. Schweigend gingen sie nebeneinander dem Hause zu. Ueber ihnen erglänzte milde der schöne Stern, der Bote des Sabbath, der Bote des Friedens und der Versöhnung.