Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wieder stampfte und dröhnte unser Zug und ließ seine weiße Fahne über die Hügel und Wälder rollen – aber zu ihr! zu ihr! ratterten die Räder. Zu dreißig saßen wir in einem Güterwagen, frisch fegte die Luft durch die offenen Türen, voll schien die Sonne herein, und er stampfte und stieß und dröhnte und schaukelte und rollte, er ächzte und stöhnte in seinen Fugen, aber – fahr zu! fahr zu! sie wartet! sie steht ja schon lange da! Herrgott, ist das eine süße Geschichte!
Des Nachmittags langten wir endlich an und zogen gebückt unter der Last des Tornisters und steif von der langen Fahrt im hallenden Gleichschritt durch die Straßen; aber ich ging an ihr vorbei und sah sie nicht. In Aufregung und hastigem Suchen sah ich über sie hin, die mich mit der Hand hätte berühren können. Ein Sonnabend war es, ein solcher wie er sich für den Pfingstsonnabend gehört, unter schattigen Bäumen marschierten wir, sahen Blumen und lachende Mädchengesichter und der Urlaub winkte – aber weswegen wartete sie nicht auf mich? weswegen hält sie nicht ihr Wort?
Die Schenken und Quartierwirte haben in unserer Straße geflaggt, Wirte und Kellner und Dienstmädchen stehen vor den Türen, unter den dichtbelaubten Ulmen geht es sich wie unter einer Laube und wie zwei Mauern umsäumt uns der liebe Pöbel; mißfarbig und grau hat er ausgesehen als wir fortzogen, jetzt leuchtet und lacht er mit seinen hellen Hütchen und Fähnchen und die Musik tobt und schreit – aber weswegen war Claire nicht da? Nachdenklich suchte ich meine Wohnung auf.
Wo früher am Nachmittag die pralle Sonne gelegen hatte, empfängt mich jetzt ein grünes Dämmern, seltsam traut und anheimelnd sind meine Zimmer und mein Wirtstöchterlein hat Fliedersträuße aufgestellt. – Aber weswegen wartete sie nicht auf mich? weswegen hält sie nicht ihr Wort?
Auf dem Tisch liegt ein in Seidenpapier eingeschlagenes Bukett und aus den Maiglöckchen fällt mir ein Kuvert entgegen, das ich aufreiße und lese –
Herzlich willkommen! ruft dir deine Claire zu.
Da fällt alles, was mich mit der Welt verbindet und sie mir unerträglich macht, von mir ab: ihre Herzlosigkeit und eisige Gleichgültigkeit, ihr unüberwindliches Mißverstehen und ihre viehische Lust an der Anderen Leid und hilflosen Ratlosigkeit, ihre unbedingte Vielheit und nie zu heilende Zerrissenheit, ihre nicht auszudrückende Nichtigkeit und nicht zu beschreibende Sinnlosigkeit, all ihre Fragwürdigkeit, all ihre Rätselhaftigkeit, all ihre Qual sinkt ins Wesenlose, ein warmer roter Schauer strudelt in mir und ich fühle, als wäre ich neu geboren, meine makellose Reinheit und dann ist es, als drückte der Konvallarienduft mich weich und süß in einen Sessel und raunte mir zu: das ist das Glück.
Ich weiß nicht, wie lange ich so gesessen habe. –
Dann habe ich ein Bad genommen und bin lange bei meinem Friseur geblieben und dann – wir haben nicht die Zeit verabredet noch Ort, fliegen wir auf einander zu. –
Da haben sie einen Klub gegründet, sie nennen sich die Positivisten. Die haben auf ihre Fahnen geschrieben und haben viel Lärm dazu gemacht: die Welt ist unsere, d. h. des gewöhnlichen Mannes Wirklichkeit, die uns nichts Anderes zeigt als Beziehungen der Dinge zu einander, und diese Dinge sind Eigenschaften, die sich gegenseitig tragen ohne einer stützenden materiellen Substanz zu bedürfen.
Das ist wie ein Meer, ohne Ufer und ohne Grund; wer mag in ihm schwimmen!
Und sie zerblasen dir die Substanz und das Ding und die ganze Metaphysik und lassen sich nicht widerlegen, wenn du an die Logik glaubst – das ist wie das Meer! das ist wie ein Blatt im Orkan!
Da habe ich einen Riß durch mein Leben getan und bin gläubig geworden und glaube an die Substanz und lache über meinen Glauben, und glaube an die Welt als Vorstellung, trotzdem ich weiß, daß das Ding an sich Chimäre ist, und glaube an die Materie als an die Schöpfung meiner Sinne und des Dinges an sich, trotzdem ich weiß, daß es dreimal bewußte Lüge ist. Aber ich muß die Lüge glauben, muß eine Insel im Meer haben, will ich nicht der ratlose Schwimmer und das Blatt im Orkan sein.
Denn – obwohl ich skeptisch bin wie es sich gehört, bin ich doch zu schwach, die Konsequenz meiner Skepsis zu ziehen; und seh ich sie gezogen, so flüchte ich wieder in die Schatten Gottes, die ich vorher bekämpfte, zurück und – sehne mich wieder aus ihnen heraus.
Ich glaube an die Substanz, mag ich sie kraftbegabten Stoff, Energie oder Geist und ihre Einheiten Atome, Dynamiden oder Monaden nennen: in jener unendlichen Nacht, in jenem schweigenden Ozean pendelnder Atome ballt sich eine Anzahl Einzelheiten zu einem Komplex zusammen. Die Wellen, die dieser ewig in sich zitternde und pendelnde aussendet und empfängt, dieses Wellenbad, in dem er stetig schwimmt, das ist seine Welt. Da kommt von irgendwo auf jenem Ozean ein anderes Gekräusel und die beiden Wellensysteme, diese zwei zitternden und schlagenden Etwas um einen kompakteren Kern, berühren sich, durchkreuzen und verfangen sich – zwei Welten, so bunt und märchenhaft, nähern sich und gehen in einander über und flammen zu einer lodernden Fackel hoch und leuchten und glänzen, um schnell wieder in die ewige Nacht zurück zu fallen.
Und wir spielen mit diesem Außerordentlichen, wir werden uns dieses flammenden Wunders nicht einmal bewußt, wir Kinder und blinde Augenblicksnarren nennen es Liebe und lüsteln und spielen damit. –
In dieser Stunde haben wir nicht viel reden können. Claire hing schwer in meinem Arm, ihr Gesicht war bleich und sie schwankte und kam mir vor, als habe ihr Körper Halt und Kraft verloren. Ich hatte Mitleid mit ihr und mir. Und von dem Abend weiß ich nichts mehr, als daß sie mir erzählte, sie habe sich sagen lassen, in welcher Himmelsrichtung unser Übungsplatz läge, und sei dann des Nachmittags, wenn die Sonne schon hinter die Linden ging, täglich weit nach Westen hinaus gewandert.
Oh, ich war nicht bei Sinnen, ich wollte zu dir!
Gern aber möchte ich wissen, was wir an diesem Abend gedacht haben ohne daß es uns zum Bewußtsein kam, wir Kinder und Narren, wir Fackel in der Nacht. Oder schlief auch unser Denken an dem Tag und wir waren nichts als eine rote Flamme Glück?
Denkst du an diesen Tag? Leuchtet er nicht wie ein schönes Licht durch dein armes zerfahrenes Leben, du schöne gischtende Welle, du Leben ohne Seele, du Sehnsucht nach einer Seele?
Ich denke an ihn, und in der Flamme, die da in der Nacht tanzt und zuweilen so märchenschöne Welten in sich baut, glüht nur noch der Gedanke an die, die einmal ihre Welt mit der ihren mischte. Dann flackert sie nicht mehr, dann brennt sie ruhig und stet, denn sie hat ein Ziel.
Und wie dieses Ziel zu mir kam und der Wille zu diesem Ziel? – Gestern war es, als ich in den Nebel sah, der wieder da draußen hängt – o ich weiß, weswegen er da hängt, dieser Bauch der Schwermut, dieser lauernde Sarg – da hörte ich, wie die Stille, die um mich war, eine absolute Grabesstille, immer näher und drohender gegen mich rückte, so daß ich kleiner und kleiner wurde und es mir war, als schrumpfte ich zu einer braunen Fratze zusammen, die aus weiten entsetzten Augen ins Leere stierte – und da flüsterte die Grabesstille mir zu:
Siehe, so wirst du nun immer und ewig wieder hier sitzen und in den Nebel sehen, du wirst immer wieder in deinen Erinnerungen graben und immer wieder an deine Schläfen fassen – o setz dir ein Ziel! Es gilt die Ewigkeit!
Ich sehe mein Ziel.
Und das für alle Ewigkeit?
Ja, das für alle Ewigkeit. –
Siehe, unter Nebelwolken, unter dem Bauch der Schwermut und unter dem lauernden Sarg kam mir mein Mittag. –
Flieder- und Maiblumenduft liegt in meinem Zimmer, es geht gegen Morgen und das Licht ist unnötig geworden. Zwischen Schlaf und Wachen liegst du mir im Arm, du küßt mich wohl und beginnst zu plaudern, dann lächelst du und schmiegst dich wie eine schnurrende Katze an mich. Da hebst du dein Gesichtchen mit dem wirren Haar:
Du! Was ist das?
Das sind die Ulmen, sie sind grün geworden und nun rauschen ihre Blätter im Wind.
Da schlingst du wieder einen Arm um mich und legst dein Raubtiergesichtchen an meine Brust.
Dann habe ich dich heim gebracht, durch den Duft und Gesang des Pfingstmorgens brachte ich dich heim. Weißt du, wie wir am frühen Morgen durch den Jahrmarkt strolchten, der da am Strand aufgebaut war? – Als ich zurück gekommen war, lehnte ich mich ins Fenster und sah dem Blühen da draußen zu und lauschte den Amseln, die unaufhörlich von ihrer kleinen Liebe in den Morgen schrien. Auf der Straße gingen Leute meiner Kompagnie vorüber, sie fuhren auf Urlaub und winkten zu mir herauf, ein wenig bedauernd, ein wenig schadenfroh, denn mir waren wegen wiederholter Dienstversäumnis zwei Tage vom Urlaub gestrichen worden. Ich lächelte ihnen nach und hörte weiter den Amseln zu und konnte an diesem Morgen des Wunderns und Staunens nicht satt werden über meine farbige klingende Welt. Mir war wie dem Schwimmer, der ein bergendes Gestade gefunden hat und zwischen Blumen und Gräsern liegend in das Branden und wilde Wogen schaut.
Es ist Abend und wir sitzen in einem Garten am Strand. Die Wellen plätschern dicht an unseren Fuß und die Boote kehren zurück. Müde rollen die Segel herab, träge schaukelt der Kahn, aber die Augen der Heimkehrenden leuchten nach See und Unendlichkeit. Es ist kühl geworden und die letzten Gäste gehen. Da setze ich mich neben dich und fasse deine Hände und du lehnst dich an mich, müde und schwer. Wir blicken in den Abend hinaus, in den goldbraunen Himmel und die schimmernden Wasser, über die wie große traurige Schwäne die letzten Segel gleiten; von ferne, von irgendwo ferne über den Wassern kommt ein weicher Gesang und da beginnen wir von unserer Liebe zu reden. Die erste Freude, die uns lähmte und sprachlos machte, ist vorüber und jetzt können wir die Fülle unseres Glückes nicht mit Händen fassen und möchten weinen vor Seligkeit. Kühler wird es und dunkler wölbt sich der Himmel über den dunkleren Wassern.
Du weißt nicht, was es heißt, wenn unser Gott das Nichts wird und dann in unser Leben die Liebe fällt. Wenn die Worte alle zerfallen und die Grenzen alle verschoben sind und es uns im Haltlosen umhertreibt und wir nicht wissen wohin? wozu? Wenn Alles Lüge wird und Sinnlosigkeit und Fragwürdigkeit und Nichtigkeit und Alles weniger als Staub – nur du! nur du! Du weißt nicht, was es heißt, den Grund unter sich verlieren, über dem Bodenlosen hängen, wo das schwarze Nachtgevögel der Zweifel und Rätsel um uns huscht, kein Grund, kein Ziel – nur du! nur du! Du weißt nicht, was es heißt, vor sich selber fliehen müssen, du weißt nicht, was Zerrissensein heißt, nicht glauben können und doch mit hungerndem Herzen glauben müssen an ein Festes in diesem wüsten Meer, das Urälteste und Gewisseste, das was stand wie Granit, herab gerissen und an seiner Stelle ein grinsendes Rätsel, ein schauerliches Nichts sehn müssen – nur du! nur du!
Da schwindet wie durch Zauber das Grauen und entsetzliche Verlassensein, die Fragwürdigkeit und das ewige Rätsel sinkt, der Abgrund, das gähnend Bodenlose, das schwarze Nachtgevögel ist nicht mehr, die Flucht hat ihr Ende erreicht und ich bin geborgen, ich habe Grund und Ziel und suche nicht mehr. Ich bin nicht mehr ich, ich bin vielleicht du? oder ein seliges Nichts? ich bin verloren in schluchzender Glückseligkeit, ich bin ein Hauch, der dich umspielt, der nichts weiß als dich zu umspielen und ewig zu umgaukeln. O du! O du!
Du weintest leise an meiner Brust, am Himmel begannen die Sterne zu funkeln und zu unseren Füßen plätscherte und schmeichelte das Meer mit seinem schwarzen Wellengezottel. – –
Aber am nächsten Morgen – zweifelte ich plötzlich an meinem Glück, ich zweifelte plötzlich an meinem Rauschtrank. Ich hielt es mit einem Male für Genuß und dessen höchste Stufe für erreicht, so daß ich mich jetzt von ihr trennen müßte, um die Schönheit der Erinnerung zu bewahren. Denn wenn sie auch ein Weib war, das sich herzlich geliebt glaubte und das der Neid der anderen zu immer neuer Liebe trieb, dauern konnte ihre Liebe doch nur, wenn ich täglich einen neuen Fels, einen kleinen neuen Eigenwillen und Stolz, eine trotzige Gleichgültigkeit und Untreue aus mir wachsen ließ, die sie mit ihrer Liebe bestürmen und in sich begraben könnte. Aber ich war schwach und müde und weich, ich wollte den stillen Ruheort, ich war einmal von der Welle niedergerissen und wollte nun weiter in ihrem weichen Schoß ruhen.
War das Rausch, war das Genuß? Ich glaubte mir nicht und traute mir nicht und wollte ein Ende machen. Und zudem war es mir, als sei trotz unserer Zärtlichkeit etwas Unwahres an unserer Liebe, als stehe sie auf einem falschen und morschen Grund.
Aber am Abend, da ich in einem obskuren Tanzlokal Patrouille stand, kam sie plötzlich und setzte sich still in eine Ecke und half mir bis Mitternacht über die drei Stunden in solchem Lokal und unter solchem Pöbel hinweg.
Mein Mißtrauen raunte mir zu:
Weswegen kommt sie? Hat sie Furcht vor sich, sie könnte mir untreu werden und mich dadurch verlieren?
Weswegen fürchtet sie es? Des angenehmen Neides der anderen wegen, den sie damit einbüßen wurde? Weswegen liebt sie denn sonst gerade mich?
Aber ich mochte meinem Mißtrauen nicht trauen, und war doch plötzlich schwankend, und als ich dies merkte, befangen und ratlos geworden.
Weil ich aus irgend einem Grunde mich von ihr trennen wollte und doch meine Unfähigkeit dazu fühlte? Und nun einen Trennungsgrund suchte?
Am Ende aber kam aus meiner Ratlosigkeit, meinem Mißtrauen und meinem Ärger über dieses Mißtrauen, meinem Entschluß, mich von ihr zu trennen, und dem Gefühl, ihn doch nicht ausführen zu können, und meiner Dankbarkeit, daß sie ungebeten mir hier Gesellschaft leistete, ein merkwürdiges, aufregendes Stimmungsgemisch hervor, das sich nach außen in einer närrischen lauten Verliebtheit zeigte.
Den Anlauf aber zu einem Versuche, mich von ihr los zu lösen, habe ich doch getan. Mich von ihr los zu lösen, aber nicht durch eine einfache Trennung, sondern durch eine Überwindung. Welcher Art jedoch diese Überwindung werden sollte?
Als wir kurz nach Mitternacht jenes Tanzlokal verlassen hatten und zur Kaserne gingen, um uns auf der Wache abzumelden, ging Claire auf dem Bürgersteig nebenher; sie wartete vor meiner Wohnung, bis ich mich in Ruhe umgekleidet hatte, und darauf machten wir einen Rundgang durch die Restaurants und Cafés der Stadt, und kamen erst nach einigen Stunden heim.
Und in dieser Nacht war es das erste Mal, daß ich ihre übergroße Zärtlichkeit beobachtete; daß sie mir, wie ich sie beobachtete, peinlich wurde und ich mich ihr zu entziehen suchte. Es war nicht ein körperliches oder ästhetisches Mißbehagen, das mich dazu trieb, sondern der schlichte Gedanke: du bist nicht wert, ganz das Sinnen und Denken eines Menschen auszumachen.
Aber da sah sie mich mit einem seltsam halb fragenden, halb drohenden Blick an und fiel, als ich mit Absicht eine kalte und abweisende Miene aufsetzte, mit einer mänadischen Wildheit über mich. Ich aber lag gelassen da und ward – traurig ob ihres leidenschaftlichen Tobens und zärtlichen Rasens. Dann nahm ich sie in meinen Arm und sie legte ihren Kopf wieder in meine Schulter und begann mit offenen Augen zu träumen, während ich in einer wundersamen Melancholie ins Licht starrte, die sich rasch verstärkte zu dem Gefühl eines namenlosen unermeßlichen Leidens, das mir Tränen in die Augen trieb.
Draußen raschelte und rauschte der Wind in den Ulmen, ein einzelner Stern flackerte unruhig durch das Laub und ein verspäteter Zecher taumelte und sang durch die Nacht – wie traurig klang mir das einsame Gegröhle dieses Trunkenen! Da schwand der Stern, der Pfingstwind atmete leise und leiser und der Zecher hatte sich irgendwo hin verloren – – das Fenster klinkt! Etwas Schattiges steigt vor ihm hoch, etwas Faltiges, Nächtiges – es steigt und steigt, es klinkt gemächlich das Fenster auf, es schiebt bedächtig die Flügel auseinander – jetzt steigt es vom Fenster herab, stützt sich auf den Stuhl und – sieht mich an! Da reiße ich dich schreiend an mich und berge meinen Kopf an deiner Brust. – –
Die Einsamkeit hatte mich angesehn.
Als ich wieder aufblickte, brannte die Lampe fahl und gelb, aber die Ulmen raschelten und rauschten wieder und ein gelbgrauer Morgenhimmel schimmerte durch das Laub. Da faßte ich mit beiden Händen in dein Haar:
Nun lösche das Licht! Deine Haut sieht im Dämmern am weißesten aus, nun lösche das Licht und hab mich lieb! –
Nein, wie ich nicht zur Erkenntnis tauge, tauge ich auch nicht zur Liebe und zum Genuß. Es ist weder Liebe, noch Genuß, es ist Flucht und Vergessen-Wollen.
Wäre es Liebe, so hätte ich die Kraft gehabt, sie durch eine Art Selbstüberwindung zu vertiefen, dadurch daß ich mich von der Geliebten trennte. Denn Liebe, wie ich sie will, wird beschmutzt durch den Genuß und sucht das Geliebte auf einem himmelstürmenden Gedanken-Staffelbau unerreichbar hoch zu heben. Und gerade der Blick auf die blendende Höhe und die unendliche Entfernung, die ich selbst zu ihr gebaut habe, das ist das, was für mich der Rausch der Liebe sein könnte.
Wäre es Genuß, wäre ich ein Lebenskünstler, ein Genießer wie er sich gehört, dann hätte ich jetzt eine Trennung herbei geführt, ich hätte meinen Schmerz und um des Schmerzes willen acht Tage lang brennen lassen, um ihn dann in den Armen einer Anderen zu vergessen. –
Als sie mich um elf Uhr des Morgens verließ, verabredeten wir, daß sie mich nach dem Essen wieder treffen sollte. Ich mußte bei ihr sein, ich mußte ihre blauen Augen mich streicheln fühlen, ich mußte mich weiter von ihr lieben lassen.
Aber worin bestand mein Rausch? Ich finde nichts anderes, als in dem Bewußtsein von ihr geliebt zu werden und der Ruhe in Geist und Gemüt, die damit über mich kam.
Hätte ich sie geliebt und meine Liebe bis zur Selbstüberwindung der Liebe gesteigert, so wäre das auch ein Rausch gewesen, aber aktiver Art. Wie der Gläubige sich berauscht an seinem Gott, der nichts ist als sein in immer weitere Ferne projiziertes Ich. Aber ich bin passiver und nicht aktiver Natur, ich bin ein Höhlengrübeltier eigener Art; ich flüchte in die Höhle, nicht um mich meinem Grübeln und meinen Meditationen ungestört hingeben zu können, sondern um in ihrem Dämmerlicht das Gefühl zu genießen, von ihnen befreit zu sein, und mich kindlich freuen zu können: nun bin ich dem bösen Tag da draußen endlich entflohn! Nun lockt er mich nicht mehr mit seinen schillernden Rätseln und funkelnden Fragen, der gleißende Versucher, der lockende Verderber, der böse leuchtende Tag!
Sie und ihre Liebe, das sind für mich Weihrauch und Klosterzelle und einlullende Litanein. Ich bin ein moderner Anachoret, und meine Zelle und mein Gott ist der Leib und die Liebe eines Dirnchens. Seltsame Sätze, aber wegen ihrer Seltsamkeit wahr, wenigstens für mich – nun, das versteht sich von selbst, du Narr. –
Auch in der Nacht, die diesem Nachmittag folgte, schliefen wir zueins. Aber es lag eine eigentümliche Trauer und Scham über unserer Lust, und als sie mich des Mittags verließ, meinte sie:
Du bist so seltsam zu mir. Du hast mich nicht lieb. –
Zwei Tage darauf betrog sie mich, ich aber reiste zu Verwandten und schrieb ihr von da aus einen Bettelbrief. –
Wenn der Nebel noch länger so vor meinem Fenster hängt, schieße ich mir eine Kugel durch den Kopf. Alles was mich von Claire ablenken könnte, habe ich fort getan. Ich fasse kein Buch an, ich halte meine Gedanken im Zaum, nur in jenem Sommer dürfen sie mir grasen; ich richte meine Spaziergänge ein, daß ich den Menschen nicht begegne, ich spreche in diesen acht Wochen kein Wort, ich bin in diesen acht Wochen stumm, in Heiden und Moore nur gehe ich und auch nur auf Schleichwegen in einen dichten Fichtenbestand, durch den ein Moorbach fließt, den ich liebe, weil er mir mein tägliches Bad gibt. Ich grabe mich wie eine Wühlmaus in meine Erinnerung ein, denn in ihrer Liebe und der Art, wie ich sie verlor, muß auch der Weg vorgezeichnet sein, wie ich sie wiedergewinne. Aber der Nebel soll fort! Das ist, als rückten seine Wände näher auf mich von Tag zu Tag, das ist, als sarge es mich schon bei Lebzeiten ein, das ist, als hörte ich schon die Hammerschläge! Ohne Form und Bild, ohne Grenzen und Ruhepunkte liegen sie um mich, diese Nebel-Leichentücher. Darin mag es einem weisen Winkel-Grübelwesen behagen, dessen Rausch ein abstrakter Begriff und eine blutlose Formel ist, aber das ist Gift für mich, der ich darnach dürste, den wildesten wütendsten urwüchsigsten Trieb, den Sturm, der die Wellen formt und vorwärts peitscht, wieder auf mich zu lenken, damit ich – in ihm Ruhe finde. O wenn dieser Nebel nicht bald vor meinem Fenster schwindet, jage ich mir eine Kugel durch den Kopf.
Ein wolkenloser Sonnentag lag schläfrig über dem uckermärkischen Landstädtchen, das mich für einige Tage beherbergte. Ich hatte mich soeben in Helm und Mantel bei dem Reiterregiment angemeldet, das dort liegt, hatte mir das Schloß angesehen, das inmitten seiner altertümlichen Gartenanlagen eingeschlafen ist und von selbstherrlichen Markgrafenvergangenheiten träumt, war in den schattigen Laubengängen des hundertjährigen Gartens umher gewandelt und saß nun träumend und still wie das Schloß und sein hundertjähriger Garten auf einer Bank. Vor mir floß breit und vom Schilf umsäumt die Oder, so ruhig und träg, daß man im Zweifel sein konnte, wohin sie floß. Am Horizont aber räkelten sich weiche Höhen und blinzelten verschlafen und sonnenmüde aus weißen Sandflecken herüber und stachen mit ihren Kirchturmspitzen wie mit kleinen neugierigen Fingern in die Luft und rings im stillen Garten schmetterten die Finken – ich aber hatte nichts zu tun als geruhsam meine Zigarette zu rauchen und mich auf ein gutes Mittagessen zu freuen.
Und nach dem Essen wird zur besseren Verdauung geschlafen und nach dem Schlafen wird der Kaffee getrunken, und nach dem Kaffee wird Konversation seichte seichte gemacht und darnach – gehen wir zu Geheimrats, wo ich ein junges hübsches Mädchen kennen lernen werde. Aber da darfst du nicht wieder von solchen philosophischen Sachen reden – hast du nicht gestern gesehn, wie der Oberlehrer ironisch lächelte, der arbeitet nämlich in Philosophie und macht vielleicht sogar seinen Doktor darin! Und morgen früh gehst du dann mit Vetter in den Park – in die Kirche gehst du Schlingel ja nicht – und da bestimmt ihr Vögel; es gibt so viele Vögel in dem alten königlichen Park. Und mittags gibt es denn – –
Ach ja. Das ist aber auch ein Rausch, nur ist er behördlich und kirchlich empfohlen, erlaubt und kultiviert! Und die Oder fließt so ruhig und träg, man weiß wahrhaftig nicht, wohin sie fließt.
Aber ich passe nicht in eure Welt und mir widersteht euer Rauschaufguß. Ich sah mit zu hellen Augen ins Leere und Haltlose, ich brauche einen schärferen Trank, einen der etwas nach – Hautgout und Laster? riecht.
Ist das ein neuer Faden in meinem Tintenstrichgewirr? Untreu ward sie mir schon und ein Dirnchen ist sie immer gewesen, aber deswegen brauchte ich unsere Liebe, vielmehr mein notwendiges Behagen an ihrer Liebe, nicht Laster nennen. Ich tat soeben nur, nachdem ich alle Kultur und herkömmliche Sittlichkeit von ihr abgestreift und das triebhaft-unschuldige Tier habe so wie ich es brauche, als Würze zu meinem Trank einen Tropfen Lasterbegriff, eine kleine abschreckende Dosis Lasterchen hinzu. Um den meinen ganz von dem euren zu trennen? Um ihm das Air des Verbotenen und Absonderlichen und – Krankhaften zu geben? Und tat ich das – aus Schamgefühl?
Dann müßte ich ihr den Seitensprung schon verzeihen und, wollte ich konsequent sein, sogar mich über ihn freuen.
Schweigen nicht die Vögel in dem stillen Garten? Sie sollten mich auslachen, daß ich mich durch die alten Jahrhunderte, die hier noch zwischen den Baumen hängen geblieben sind, habe düpieren lassen und mich meines Rausches und meiner Welle habe schämen wollen.
Nun nun, ich verzeihe dir schon, denn eben war ich feige. Aber wer wird nicht feige, wo so ehrwürdige Gespenster über einem in den Bäumen hängen!
Als ich den Brief geschrieben hatte, einen Brief, von dem mir ein Bekannter sagte, ich hätte mich in ihm prostituiert, blieb ich noch einige Tage in diesem Städtchen und saß jeden Vormittag in dem stillen Garten, an dem die Oder vorbeifließt, so träge, daß man nicht weiß, wohin sie fließt.
Und als ich ging, blieb, ich hätte es nicht geglaubt, eine kleine Wehmut zurück und ich mußte an die Jahrhunderte denken, die da zwischen den alten Bäumen hängen.
Wie es einem Opiumraucher und Äthertrinker zu Mute ist, wenn er einen Musensohn seinen Kummer im braunen Bier ertränken sieht, habe ich mir erzählen lassen, aber daß ein christlicher Missionar nicht mit der gleichen Wehmut sondern mit Entrüstung den Fetisch betrachtet, der auf der braunen Haut seiner Jüngerin hängt, verstärkt mich in meiner Verachtung der Lehre, die zerlumpte Fischerknechte und epileptische Fanatiker asiatischen Auswurfs auf die Akropolis und das Forum Roms zu tragen wagten. –
Aber als die Dampfbahn wieder über die Felder rollte und die Räder wieder ratterten, schalt ich auf den stillen Garten und die Oder, die so träge fließt, und fragte mich nur, ob ich sie wiedergewinnen würde.
Im Jahrmarktstrubel war sie untergetaucht und mitten in ihm erreichte sie mein Brief. Da hatte sie sich losgerissen und sich eine Stellung besorgt. Hinter dem Bahnhofsbüfet stand sie, zierlich und blond, eine Glutwelle stieg ihr in die Wangen, als sie mich erblickte. Da atmete ich auf und zu Hause fand ich Briefe von ihr mit Bitten und Beteuerungen. So hatte ich sie wiedergewonnen und sie hatte mich lieber als zuvor.
Weil sie mir ein Opfer gebracht hatte, da sie sich ihrer Freiheit begab und die Nächte hindurch in einem rauchigen Wartesaal stand?
Weil ihre Untreue ihr die Gefahr, mich zu verlieren, deutlicher gemacht hatte?
Jedenfalls nicht aus Reue, und sicherlich nicht, weil ich ihr verziehen hatte.
Sie hatte mir ein Opfer gebracht und die Stellung genommen, aus Furcht, anderenfalls mir wieder untreu werden zu können. Das war's. Und ihre neue Liebe beruhte auf dem Glauben, jetzt ein gewisses Recht auf mich zu haben.
Und daß dem so war, fühlte ich bald und – fühlte mich so wohl dabei: ein Ding sein, das einem Anderen gehört, das ist das feinste Untertauchen und der feinste Rausch.
Jetzt gehörst du mir! Daher ihre Eifersucht, ihre täglichen Briefe und stündlichen Karten, daher die Glut von Zärtlichkeit, in die sie mich hüllte. Ich war ein eigenartiges Spielzeug, das sie sich erworben hatte und das sie Tag und Nacht nicht aus den Händen ließ.
Bis sie es in- und auswendig kannte, bis sie sich bewußt ward, daß es ihr Spielzeug war und nichts weiter und ihr nichts Neues mehr sagen konnte? Bis die Welle den Felsen zermürbt hatte und er weich in ihrem Schoß lag, und sie dann ausging, einen anderen zu suchen, an dem sie wollüstig zerschellte und den sie wieder zerreiben und in sich begraben konnte?
Jetzt aber noch rankte sie sich so an ihrer Liebe hoch, daß wir die Rollen vertauschten und sie die Gebende wurde. Sie legte Gefühl und Innigkeit in unser Verhältnis, sie träumte Tag und Nacht von den wenigen Stunden, die wir wöchentlich zusammen sein konnten, und spielte in diesen mit mir wie ein Knabe mit einem blanken Kiesel, ein Mädchen mit seiner geliebtesten Puppe, eine junge Mutter mit ihrem Kind spielt. Ich wollte einmal Seelenschenker sein und ich weiß jetzt, weswegen ich es sein wollte, und noch besser weiß ich, was ich ihr damals geschenkt habe: ich gab ihr das Selbstgefühl und die Spannkraft zurück; die Welle wurde elastisch und schön – aber würde sie, wenn sie mich überwunden hatte, nicht wieder aufschnellen und einen anderen Felsen suchen? Es war ein gefährliches Geschenk, was ich ihr und mir da gab. – Aber jetzt hatte sie zu verzeihen, denn ich ward gleichgültig und begann, die Äußerungen ihrer Liebe hinzunehmen wie jeden anderen Genuß.
Nur der Augenblick und die intensive körperliche Lust beglückt und Maßhalten ist nur soweit erlaubt, als es zum Zweck der Erhaltung der Genußfähigkeit erforderlich ist. – Es wird zwar nur so sein, daß jeder unserer Zustände, mag er relativ noch so leidensvoll sein, den höchstmöglichen Genuß darstellt, den der Körper in diesem Augenblick erreichen kann, weil er ihn erreichen muß. Aber – eßt, liebt und trinkt! Ja, ich bin wieder in der Garnison und ›spiele den Lustigen, den Trinker, den Possenreißer, den Bonvivant, den Narren, den Pousseur, treibe mich in verliebten Abenteuern umher und mache Schulden, gelte als Nihilist und bin Nihilist und habe im Grunde auch alle zum Narren‹ – aber nitschewo! das macht nichts.
Woher kam dieser Umschwung in mir?
Weil ich sie nicht liebte, sondern nur von ihr geliebt sein wollte und mich über die Maßen geliebt sah. Und was ihr Gleichgültigkeit und Nicht-Liebe schien, war, daß ich ihrer Liebe aus Sinnlichkeit und Trieb höchstens eine solche aus Dankbarkeit entgegen bringen konnte, die nicht in dem Maße wie jene nach der Lust strebte, die für sie die Krone der Liebe, die Liebe an sich war. Sie merkte es wohl und ward oft traurig darüber.
Und ich trank und würfelte und spielte den Narren und überfiel sie zuweilen mit stürmischen Forderungen meiner Sinnlichkeit, weil ich – meinem Rausch noch immer nicht glauben wollte; ich – schämte mich seiner und betäubte mich über meinen Rausch. Nur wenn die Gefahr kam, sie zu verlieren, mußte mein Wille, sich diesen Ruheort und Ruhegarten zu bewahren, wieder erwachen, das heißt: für sie meine Liebe wieder sichtbar werden.
Meinem Stabilitätsbedürfnis war genügt, ich schämte mich meines Genügens und vertrank meine Scham. –
Die Hammerschläge sind verklungen, der Nebel-Sargdeckel fiel dröhnend zu und die Schwermut hämmerte ihn fest. In ihm trieb ich über die Schwelle des neuen Jahrs und merkte es nicht – war doch ein Tag so neblig wie der andere. Und ich zerpflücke und zerdeutele mir meine Liebe, es tut so wohl. Ich bin ja nur mein eigener Anatom, um den größeren Schmerz der bunten Erinnerung zu fliehen, ich suche ja nur objektiv zu sein, um nicht subjektiv bleiben zu müssen.
Aber heute hat es der Nebelsarg und Regen da draußen, der aus den feuchten Sargdeckeln tropft, darauf abgesehen, mir so bunte Liebes- und Sonnentage herauf zu beschwören, daß ich die quälenden Zauberinnen nicht anders überwinden kann, als dadurch daß ich sie in Tinte verwandele, nur müssen es helle farbige Kleckse sein und nicht die schwarzen Striche, in die ich sie sonst zu zerlegen pflege.
Der zweite Juli war es; am Morgen machten wir einen Marsch über Warnemünde und Doberan, und jetzt saß ich im Vorgarten meiner Wohnung und blätterte in einem Seglerhandbuch. Das waren mir damals die liebsten Bücher; Skifahrer-, Luftschiffer-, auch wohl solche rein technischer Art. Ich erinnere mich, in der Zeit ein Buch über Wasserkraftmaschinen gelesen zu haben. Und da es gerade an dem Tag ein Segelwetter war, wie es sich gehört, vertiefte ich mich in die Theorie und die mechanischen Grundlagen des Segelns. Dabei trank ich, denn soeben hatte mich Claire durch ein Telegramm gebeten, sie des Abends zu erwarten, und ich hatte mir angewöhnt, angetrunken zu unserem Stelldichein zu kommen.
Wollte ich verhindern, daß ich Einzelheiten sah oder hörte, Kleinigkeiten, die eine – Illusion zerstören konnten? Ist es denkbar, daß ich, so sehr ich sie gerade so haben wollte wie sie war, doch einer Illusion bedurfte? Das klingt paradox, das ist es deswegen aber noch nicht.
Es ist 8 Uhr Abends und das Seil zittert durch die Straßen; unsichtbar, unstofflich? wer weiß! aber es hängt da und zittert und wartet, elastisch wie ein Gummiseil. Nun schlägt es seine Angelhaken in uns und zieht und zieht, bis ich sie kommen sehe, wiegend, ein wenig schlenkernd, im weißen flachen Hut. Acht Tage haben wir uns nicht gesehn! Wir geben uns nicht die Hand, aber wie wir uns erreicht haben, schmiegt sie sich mit Schulter und Hüfte an mich, für einen Augenblick nur; das war auf der belebtesten Straße, aber ich weiß, es hat keiner gesehn, denn es konnte keiner sehn, das war schnell wie ein Blitz und durchschlug uns wie ein warmer roter Schlag. Dann gehen wir ins Freie und gehen unter Linden, die in ihrer letzten Blüte stehen.
Du hast wieder getrunken, Liebling.
Verzeih! aber der Nachmittag wurde so lang. – –
Sieh! nun hattest du doch keinen Dienst und wir treffen uns am Abend erst. O du, das ist nicht recht von dir. Ich freue mich so unbändig auf dich und nun knauserst du mir noch von den paar armseligen Stunden ab. – O, du bist garnicht wert, daß ich dich so liebe. Ich weine oft die ganze Nacht um dich. Warum weine ich nur immer, wenn ich an dich denke? Ich bin überhaupt immer traurig, wenn ich mit dir gehe. Warum nur? Du! warum? Du hast mich doch so lieb, da brauchte ich doch nicht traurig sein. Aber ich glaube, wenn man einen so recht lieb hat, dann ist man eigentlich traurig. Komisch.
Vielleicht bist du traurig, weil ich traurig bin.
Du und traurig! Aber weißt du, was ich wohl möchte? Wenn du mich so ganz lieb hast – du weißt! – dann möchte ich mit einem Male sterben.
Wollen wir uns heute Nacht totschießen, Claire?
O ja!
Wäre es aber nicht schade um uns beide?
Nun, wenn wir beide zusammen tot sind, dann ist es doch gerade so, als ob wir lebten. – Aber wenn wir aufhören uns lieb zu haben, nicht? Bitte, bitte!
Aber sage mir, weswegen denn jetzt schon?
Ich fürchte, ich bleibe dir nicht treu. Ich weiß nicht, woher das kommt. Du bist so merkwürdig. Ich glaube öfter, du hast nur dich lieb und mich hast du lieb, weil ich dich lieb habe. Du hast mich eigentlich garnicht meinetwegen lieb, sondern nur deinetwegen. Aber das ist ja Unsinn! Denn wenn du mich deinetwegen lieb hast, dann hast du doch auch mich meinetwegen lieb. Du? – Sieh, auf so dumme Gedanken kommt man. Ach! das kommt von den dummen Bäumen, die riechen so. Und dann habe ich immer eine reine Angst, daß ich dir wieder untreu würde. O, es ist so traurig, daß ich dich nicht so lieben kann, wie ich möchte. Ich glaube, du bist zu gut zu mir. Aber ich bin schlechter als du denkst, und ich – will auch schlechter sein!
Komm Claire, die Linden machen uns toll.
Aber einen Zweig laß uns für die Nacht mitnehmen
Wozu denn?
Das ist so ein schönes Gefühl, wenn Nachts welke Blumen auf dem Tisch liegen. –
Wie? ist sie auch kompliziert? Es wird der Lindenduft gewesen sein. Es hört sich so an, als ob sie etwas Richtiges ahnte, aber es war nur eine sentimentale Plauderei. Es wird der Lindenduft gewesen sein. –
Siehst du, sagte sie als sie des Nachts sich über mich geworfen hatte und mein Gesicht in beide Hände nahm, wie sie es gern tat, ich möchte nun so anfangen, dich aufzuessen. Zuerst deine Augen; nein, nicht deine Augen! Oder noch lieber, du wärst mein Kind, wenn es noch nicht geboren ist. Dann gehörtest du ganz mir.
Aber Claire!
Was ist denn dabei? Das kann man doch ruhig sagen. Oder darf man das nicht?
Das dürfen nicht alle sagen; das darfst nur du sagen, mein kleines Lieb.
Nicht wahr? Und wenn du dann geboren wärst, siehst du, dann dürftest du mir nur denken, was ich denke! Dann würden wir beide nur über dich denken. Ach du! –
Und als sie des Morgens um Sieben, da die Sonne schon heiß auf den Straßen lag, ging, verabredeten wir, daß sie zu den Schießständen hinaus fahren und mich dort treffen sollte.
Dort wollen wir uns ins Gras und in die Sonne legen. –
Die Sonne glüht und hebt den Horizont, in dem wie ein weißer Strich der Leuchtturm von Warnemünde steht. Ein kühlender Wind kommt von der See und über ihm und ihm entgegen segeln die krausen Wolken. Ich aber habe mein Haupt in deinen Schoß gelegt, da warfst du meine Feldmütze weit ins Gras und spieltest in meinem Haar. Und die Sonne steigt und glüht, von den Schießständen fällt Schuß auf Schuß und immer noch steht wie ein weißer Strich der Leuchtturm am Horizont; eine Hummel läutet im Gras und eine Esche will uns nicht stören und raschelt nur leise mit ihrem ruhlosen Laub.
Claire, ich weiß, du hast mich unglaublich gern und ich war oft häßlich zu dir. Nun verspreche ich dir, dich immer mehr zu lieben.
Da beugtest du dich herab und küßtest mein Haar, und so bin ich denn eingeschlafen. Mitten in der hohen Sonne und dem Duft von Gräsern und Klee schliefen wir ein. Ein Lächeln war auf unseren Lippen, das nahm der Wind und zerstreute es über die Welt und segnete sie.
Lotus procumbens und corniculatus wuchsen dort und viel blaßgelbes Leinkraut, und ein bunter Eichelhäher, glaube ich, lachte aus der Tiefe des Waldes, an dessen Rand wir schliefen. –
An einem Abend jedoch, als sie mich bat, die Nacht bei mir bleiben zu dürfen, da sie sonst nicht wüßte, wohin? schlug ich es ihr ab. Durch eine trunkene Laune von mir, da ich sie eines Abends nicht von mir gehen ließ, hatte sie ihre Stellung verloren und scheute sich, zu ihren Eltern zu gehen. Nun mußte sie mich durch Drohungen zwingen, sie mit mir zu nehmen. Es war dieses der Tag vor einer Felddienstübung, die früh morgens begann und uns erst am übernächsten Mittag zurückbrachte.
Sie liebt mich und ich gehöre ihr, das war ja mein Rauschbeerentrank.
Und sie? Sie erwartete mich am übernächsten Tag draußen vor der Stadt und besuchte mich des Nachmittags in meiner Wohnung, wie sie mich nach jenem Scharfschießen besucht hatte. Ich ließ es geschehen und dankte ihr nicht.
Aber als ich sie verlieren sollte und sie gereizt durch meine störrische Gleichgültigkeit, trunken und auf Anstiften ihrer Freundin im Begriff war, mit einem Andern vom Tanzboden zu gehn, riß ich sie mit Gewalt zurück und schleppte sie mit und bat sie mit Tränen und heißen flehentlichen Beteuerungen, mich nicht zu verlassen.
Du nimmst ja meine Seele, meinen Garten mit!
Und die Stunden, die diesen Tränen und wilden Bitten und der endlichen Versöhnung folgten, waren so voll von leidenschaftlicher Wut, daß meine Wirtin und mein Putzer, mein Korporal und Feldwebel, nicht viel hätte gefehlt und der Leutnant kam, vergeblich an meiner Türe klopften, ich hatte sie wieder und – schlief und wurde am nächsten Tage mit zweiundsiebzig Stunden Arrest bestraft, und während ich in meinem Arrestzimmer die Blätter einer Linde zählte, deren Wipfel und ein Stück blauen Himmels ich durch das vergitterte Fenster sah, der Schlaf auf der hölzernen Pritsche mich floh und Hunger und Kälte kam und ich allmählich begann mit einer kaum noch niederzuhaltenden Wut zwischen den vier Wänden zu rasen, trank und tanzte sie und lächelnd überreichte ich ihr nach den drei Tagen die zwei Knöpfe mit den mecklenburgischen Ochsenköpfen – va banque der Possen! ich will meinen Rausch.
Nach einigen Tagen erhielt ich einen Brief, in dem sie mir schrieb, es sei ihr, »als wäre eine Wand zwischen uns getreten; was ist das nur?« Ich wußte es mir so wenig zu erklären wie sie.
Sie hatte wegen meiner »Bestrafung«, zu der sie den indirekten Anlaß gegeben hatte, von mir Zorn und Vorwürfe erwartet und – damit von einem neuen Felsen geträumt, den sie durch ihre Liebe würde besiegen können. Aber nun lächelte ich und verzieh.
Und wir wußten es nicht und staunten, daß wir uns hiernach nicht noch lieber hatten als zuvor. – –
Es ist Nacht, die Uhr geht auf Zwölf und ich sitze oben auf der Mauer, die die Kasernengebäude umschließt; denn meine Strafe besteht außer dem dreitägigen Arrest und dem Verlust der »Gefreitenknöpfe« in der Einkasernierung. So muß ich mich allnächtlich, wenn alles schnarcht und schläft, aus der Stube, in der ich zusammen mit meiner Korporalschaft schlafen soll, heraus stehlen, muß sachte über den Hof schleichen und heimlich über die Mauer ins Freie klettern. Dann steht sie draußen hinter einer Ulme und wartet auf mich.
In weißgrauen Lachen und Seen liegt der Nebel rings und wie eine blankgeputzte Ampel hängt über mir der Mond. Die Kaserne schläft, aus ein, zwei Zimmern dringt durch die Vorhänge ein rötliches Licht und die nägelbeschlagenen Stiefel der vier patrouillierenden Posten stapfen hart und hallen dumpf und monoton über den öden Platz, während wie rote tückische Kakerlakenaugen die Lichter einer Bahn aus den weißen Nebelleibern glummen. Da schwinge ich mich über die Mauer und lasse mich vorsichtig an ihr nieder fallen. –
Was kommst du spät? Ich warte schon so lange und es ist kalt und unheimlich hier. Aber ich friere und bin müde, laß uns schlafen gehn! –
Ich habe vorher Wein bestellt und zwei Wachskerzen brennen auf dem Nachttisch neben uns, und es ist warm und schwül im Zimmer. Im blauen Waffenrock, mit rotem Kragen, roten Aufschlägen und blanken Knöpfen, liege ich auf dem Bett; dann entkleidete sie sich, ganz und nackt, und setzte sich rittlings auf mich. Ich nehme ihre Hände und biege sie mit leiser Gewalt zurück, bis ich ihre Augen gefunden habe –
Ist es nicht wie in einer Kirche, wenn vor den Heiligenbildern die Wachskerzen brennen und der Weihrauch sich wie eine süße Wolke in den dämmernden gotischen Bogen verfängt? Siehst du nicht das tiefe unheimliche Leuchten in dem roten Wein?
Sahst du, wie draußen der Mond gleich einer leuchtenden Ampel in der Nacht hing? So hänge auch ich, ratlos und einsam, in der Welt, in ihrem Rätsel und ihrer ewigen Brutalität. Ich fluche ihr nicht, weiß ich doch, mein Fluch ist bedingt, und ich bin zu klug und zu schwach zum Fluchen; ich bin zu helläugig geboren und mein Wille zergeht in dem Licht meiner Augen, er verliert seine freudige Blindheit und damit seine Wucht; ich baue mir aber auch nicht auf diesem Fundament von zerflatternden Rätseln und harten Brutalitäten ein hohes helles Haus – ich gehe abseits und suche einen Garten, ich vergesse die Fragwürdigkeit der Welt im Rausch und finde ihn in dir, in dem Aufgehen in deinem nackten weißen Leib.
Willst du nicht trinken? Sieh, der Wein ist so rot! Rot und herb wie die purpurnen Knäufe deiner Brüste.
Mein Garten bist du, in dem wie eine letzte, allerletzte blaue Aster die Möglichkeit für mich blüht, mich an der Welt zu erfreuen als an einem Gemälde, dessen Farbenglanz ich auf mich wirken lasse, ohne nach seinem Schöpfer, einem Zweck und Sinn und der Zusammensetzung der Farben zu fragen.
Du süße Aster, du meine Geliebte, du roter Wein und schwerer Rausch!
Da ließ ich deine Hände, die ich noch immer mit sanfter Gewalt zurück bog, los und da sankst du über mich, so, daß mein Kopf gerade zwischen deinen Brüsten zu liegen kam. – –
Sieh! da im Westen hat einer in den Himmel gestochen und nun fließt das Blut, das rote rotgoldne goldene Blut. Über die welligen Höhn und Zacken der blauen Wolkengebirge rollt es hin, um die Inseln dort im grünlichen Meer und die Nehrungen, die auslaufen wie Nadeln fein, schäumt es auf und kräuselt über sie. Sieh! in Flocken und Schaum stäubt es über das ganze Firmament!
So verbrennt sie Tag für Tag in stiller unnahbarer und gleichgültiger Pracht, wirft Gold über die Welt und achtet es wenig und nichts, achtet des nichts, was sie schuf, ihr Werk sind wir, sind nichts ohne sie, sie aber schwindet gelassen, als ging's sie nichts an.
Sie, des alten Orients Gott und Rausch und Garten und Ruhepunkt, und meiner – ein Aufgeben meiner selbst an ein Dirnchen. Das ist die Reihe. –
Jetzt sehen wir uns noch sieben arme Mal und dann reise ich fort.
Und ich reise dir in fünf mal sieben Tagen nach.
Du willst mich besuchen? O tue es nicht, tue es nicht! Ich weiß nicht, aber es ist mir, als ob ich dich warnen sollte. Du hast mich zu lieb. Ich kann das nicht ertragen. Das ist, als ob mich das oft zerreißen wollte.
Wie die Abendwolken dort die Abschiedsglut der Sonne, die sie in sich aufgenommen haben, nicht ertragen können und deswegen zerflattern und zerreißen?
So mag's wohl sein. O komme nicht nach! tu es nicht! tu es nicht!
Da küßten wir uns und unsere Lippen wollten sich nicht trennen, während das Abendrot sein letztes rotes Gold über uns warf und traurig wurde, daß es sein letztes war und es alles andere schon vergeudet hatte.
Als wir uns getrennt hatten und ich heimwärts ging, prägte ich ein Wort – oder tat ich's erst heute? – für das, was mir als letzte und höchste Stufe übrig blieb, ich nannte es meine Selbstauflösung in ihr.
Von nun an gingen wir täglich hinaus, die Abendröte zu sehen, sieben Male gingen wir hinaus.
Und da wir zum siebenten Mal hinausgingen und auf einem Hügel standen, der dort frei aus der Ebene ragt, fiel schon die Sonne steil zum Horizont und schickte sich an, unter den Mittelpunkt des sie umgebenden hellen Scheines zu gleiten; des Scheines, dessen oberer und seitlicher Rand, ma chère, in zarteren Rosafarben schimmert als der erste Gedanke einer neuen Liebe, der sich auf Ihre Wangen malt, während sein der Erde zugewandter Teil in goldbraunen Tinten schwimmt, die sogar den Schimmer Ihres unvergleichlichen Haares an samtener Sättigung übertreffen.
Aber gelassen durchsinkt die Sterbende den farbig umrandeten Schein; vom frühen Nachmittag an hat er sie getragen, nun aber, wenn sie als gewaltige, doch schon nicht mehr leuchtende Scheibe von einem tiefen Orangerot in die dem Horizont auflagernde Nebelbank einsinkt, zieht sich dieser vorher noch einmal hell Aufschimmernde und sich breit Ausdehnende in ein gelblich glänzendes Oval zusammen und schwebt so gleich einem Sarge, o ma chère, aus dem die Leiche fiel, verlassen und einsam über der Gruft, in die jene versank.
Nun sehen Sie, nun lauschen Sie – nun wird es klingen! Nun gelangen die Trauerlieder, die der Himmel anstimmt, an Ihr Ohr! Hören Sie, wie aus der Nebelbank Ton auf Ton auf goldenen Stufen emporsteigt? Das ist kein schwarzer Mönchs-Raben-Grabgesang, das ist ein gemessen schreitendes, goldgeschichtetes Lied, das sich gelassen und wuchtig vertieft zu einem brausenden Rot, das von Stufe zu Stufe steigt, um gehalten auszuklingen in der weißblauen Wölbung der Abendkuppel.
Aber Sie hören schon das Lied, das die Erde singt? Sie wenden sich und hören den tiefblaugrauen Streifen, Sie lauschen dem Schattenlied, das die Erde klagend an den Osthimmel wirft? Und hören Sie nicht – o wenn Sie lauschen wollten! – wie die Gegendämmerung hellrosenrot aus dem Schattenlied der Erde aufsteigt und jetzt, jetzt mit schnellen rosafarbigen Fingern in den Himmel greifend tönt? Hörte je einen solchen Ton Ihr kleines Ohr?
Aber Sie wenden sich wieder? Sie haben schon das rauschende Leuchten im Westen gehört? Ihre märchenschönen Augen weiten sich, um das tote Brausen zu trinken? Ihre stolzen Brüste dehnen sich – knistert nicht die Seide über ihnen? Ihr ranker Leib reckt sich – umschwebt mich da nicht ein Duft wie von blühenden Tamarinden? Oder ist es nicht der blühender Edelkastanien? O ma chère, der Sarg, der weiße Sarg, aus dem die Sonne fiel! Hören Sie denn, hören Sie denn nicht die süße Mollserenade seines weißen hellen Gelbs? Wird es nicht um einen Hauch dunkler? Wie ein Primelngelb? Empfinden Sie denn nicht – o öffnen Sie Ihre Augen weit! –, wie die Luft erfüllt ist wie von dem Sammetduft eines Primelnstraußes? Sehen Sie, in das goldne Stufenlied sind rauschende Orgeltöne gedrungen! Hören Sie, flammend rot steigen sie über die langgestreckten Stufen! Sehen Sie, aus dem dämonischen Ockergelb quillen sie hoch, aus der gelben glummenden Schicht, die gleich zusammengeschweißten Gewittern über den bräunlich schwälenden Dunst des Horizontes lagert! Hören Sie die gebändigten Donner? Sehen Sie die gefesselten Blitze? O ma chère, ma chère, Ihr Atem stockt und zwischen Ihre junonischen Brauen hat ein Blitz eine zürnende Falte geschlagen!
Aber glätten Sie Ihre kleine Stirne getrost –: sehen Sie nicht die Antistrophe? Sehen Sie den herben meergrünen Streifen, wie er widerstreitet dem rauschenden warmen Rot und dieses und die gebändigten Donner zugleich abschließt von dem weißen klagenden Dämmerungsschein, der über dem ganzen Westen liegt? Hören Sie das Alles zueins und fühlen Sie auch, wie die rosenfarbige Gegendämmerung nach ihrem letzten lauten Aufleuchten in einem schwachen blaßen Violett leise schnell verklingt, nachdem schon der Erdschatten in dem Getöse der düster heraufrollenden Nacht versunken war?
Still! hörten Sie den ersten Fanfarenklang? Sehen Sie, wie er dort oben hoch hoch im hellen Blau, hoch über den Stufen des Goldliedes und über den Orgeltönen, die wuchtig über sie schreiten, auf roten Wogen heranschwimmt? Sehen Sie, hören Sie schon den kommenden – Purpur aus ihm? Oh! nun wird die knisternde Seide über Ihren stolzen Brüsten reißen! Nun werden Ihnen Schauer auf Schauer über den göttlichen Schwung Ihres marmornen Nackens rinnen! Das Purpurlied! Oh! meine Göttliche, das Purpurlied! Sehen Sie, wie es sich leuchtend und unter brausenden Fanfaren niedersenkt? Auf den Sarg, aus welchem die Sonne fiel! Oder fuhr vielleicht die brausende Flamme aus dem Sarg hervor? Der Sarg brennt! Der Sarg sinkt donnernd hinab hinter den Stufen des Goldlieds und ihren tobenden Orgelklängen! Und aus seinen klaffenden Spalten – fährt nicht das Feuer in roten Fetzen hervor? Und wandelt das goldne Gelb in glühendes Orange, das Orange in heißes Zinnoberrot und das Rot in düster karmoisinrote Glut! Die flammt und schleudert: ihre zischende Lohe heulend hoch – der Himmel brennt! –
Marienkäferchen, flieg!
dein Vater ist im Krieg,
dein' Mutter ist im Holda-Land,
Holda-Land ist abgebrannt:
Marienkäferchen, flieg! –
Aber Claire!
Ich weiß nicht, ich mußte das singen, das kam so über mich. – O, sei mir nicht böse deshalb!
Dann gingen wir heim, schweigend und befangen. Sie schämte sich ihres Liedes – o du süße Törin! O wie sehr kenne ich den Grund meiner Selbstauslösung in dir! –
Am nächsten Morgen, denn es war der erste September, an einem Sonntag, ging ich mit Rosen zur Bahn, deren Blätter der Meltau befallen hatte; es ist nämlich eine Eigentümlichkeit des Meltaues, daß er gerade die Blätter der dunkelroten Rosen befällt. So fuhr sie hin und nahm meine Rosen mit, ich aber begann an das Manöver zu denken, denn die Manöver sollten in diesem Jahr im östlichen Holstein abgehalten werden – sie aber fuhr an jenem Morgen nach Kiel.
»Die Wolken fliehn, der Wind saust durch die Blätter, ein Regenschauer zieht durch Wald und Feld,« kahl schon werden die Ulmen und die Rosen verblühn und gelbe Ulmen- und rote Ampelopsisblätter knäuelt der Wind und rollt sie hin, dunkel ist's noch und der Regen stiebt und nach Holstein! rattern die Räder; und Holstein ist Wind und See und kalte Höhe und fegende Regenfransen; zur Rechten ein See, die Wolken gehn tief und der Wind hat über Nacht die Pappeln gebrochen an unserem Weg; zur Linken ein See, wir kommen aus Plön, Nacht ist's und es knattert und prasselt der Regen; und Stoppelfelder und schwälende Biwaksfeuer und die Zähne klappern in der feuchten Nacht in der Buchenwaldschlucht, und Hunger und Durst und Marschieren, immer Marschieren; da steht sie in Kiel, ein Trupp zieht vorüber, noch einer und mehr, sie steht auf dem Stuhl auf dem Bürgersteig und sucht nach mir und winkt und schreit nach mir, uns trommelt indes der Regen auf dem Helm – im Süden, in Oldesloe; Marschieren, Marschieren; da schneuzt sich ein Stern; da duckt sich das Lager vor dem Arm, der eisig aus dem Weltenraum langt – der Arm ist Gottes! Eiszapfen sein Haar, sein Blick ist Hohn und wehrlos glimmt in seiner Hand die Kugel Welt; Kältetod ist sein Name; der frißt den Raum, den dein Auge durchblitzt und dein Geist umfliegt und die Zahl bezwingt, samt seinen Sonnen und Erden und irrem Weltenstaub, in einer Sekunde dir auf; der Frostpolyp, der Kältekrake, der den Raum umkrallt und in ihn seine eisigen Arme streckt, ich fühl seinen Arm und schauere und krümme mich gleich dem Wurm – die Kraft ist ewig? wo alles zum Ausgleich strebt und die Kälte lauert? Wärme ohne Gefälle ist keine Kraft, »ein Klumpen Tod, ein Chaos harten Tons«.
Es ist grimmig kalt. Zu zehn oder zwölfen liegen wir dicht aneinander gepreßt um das schwälende Feuer; zuweilen wälzt sich stöhnend und leise fluchend einer von uns herum und dreht der Glut eine andere Seite zu. Auf den verkohlenden und verglimmenden Scheiten steht ein mächtiger rußiger Kessel; es brodelt in ihm und ein beißend aromatischer Geruch steigt von ihm hoch; es sollen am Morgen die Feldflaschen aus ihm gefüllt werden. Nun bricht eines der Scheite mit einem leisen Knistern zusammen, Funken stieben und gefährlich neigt sich der Kessel, als wollte er seinen braunen kochenden Inhalt über mich gießen. Aber er wird schon stehen bleiben. – Nun dreht sich der Wind und treibt mir den stechenden Rauch in die Augen; da wälze ich mich langsam herum und lasse meinen Rücken braten. Den Kopf stütze ich in die Hand, schmiege meinen Leib fest gegen die Seite eines schlafenden Reservisten, platt liegt er auf der Erde und schnarcht, und blicke in die Nacht. Es ist dunstige Luft; ein paar Sterne zähl ich, ein paar wulstige Baumschatten kauern am Horizont und rings um mich glühen trübrot die Feuer und werfen, wenn der Nachtwind die schweren bläulichen Rauchfahnen zur Seite schiebt, ihre düsteren Lichter über die Zelte; dann tritt ein unförmiger schwarzer Klumpen aus der Nacht hervor, ein dumpfes Stimmengewirr schallt dann wohl herüber und die Lichtscheine huschen über eine wagerechte Reihe gespenstisch geröteter Gesichter – der Marketender-Wagen und ein paar nimmermüde Zecher; die Narren. Einige Schatten stehen hier und da, schwarz und verschwommen, wie aus der Erde gewachsen; wenn sie eine Zeit lang gestanden haben, fangen sie an schwerfällig zwischen den Zelten hin und her zu tappen – das Stiefelleder ist hart wie Holz und die Füße sind wund –; dann stehen sie plötzlich vor einem Feuer, dösen stumpfsinnig in die Glut, wackeln wieder auf ihrem Patrouillengang fort und verschwinden lautlos, als hätte sie die Nacht gefressen.
Ich möchte wohl Soldat bleiben; man vegetiert so hin. Und diese prächtige Müdigkeit nach jedem Tag und diese herrliche Massensuggestion; man ist nie selbst, man kommt nie zu sich. Man nimmt niemals Gifte ein, man scheidet niemals Gifte aus. – Was habe ich damals in Lockstedt für dummes Zeug geredet; ich habe mich wohl sogar ereifert. Wozu? Ich Narr. –
Was soll nun nächstens aus mir werden? – Arbeiten? Ich könnte ja wohl einmal ein Buch schreiben, über die zum Glück zureichende Dummheit, denn daraufhin läuft schließlich alle Schreiberei hinaus; wenigstens die ehrliche. – Aber wozu? Ich habe ja Claire. Ich will mich noch ein paar Jahr von ihr lieben lassen, ich will noch ein paar Jahr ein herziges Spielzeug sein. Bis ihre feine Haut welk wird. – Und dann will ich das Extrakt meines Lebens ziehn. In einem Sonett, einem einzigen Sonett, einem braunen Sonett. Das soll sich anfühlen so weich und fremd wie brauner Zunderschwamm. Ein ganzes Jahr will ich an ihm arbeiten. Das soll ein Sonett werden! Alles, alles soll es aus mir ausscheiden, was sich in diesen langen toten Jahren angehäuft hat; jede Zeile ein Buch. Und dann? – Dann kommt die Probe aufs Exempel: vielleicht könnte ich dann leben – leben! – Oder dieser Eindringling, dieses aberwitzige Sehnen nach einer definitiven Wahrheit, vor dem ich schon Rettung suchte im Rausch der Liebe, hätte mich zu Grunde gerichtet, und damit – würde auch aus dem Sonett nichts werden; die Drüse ist erstickt, sie sekretiert nicht mehr.
Aber es ist kalt, grimmig kalt, und der Wind hat sich wohl schon wieder gedreht. Hoppla! schnarchen Sie nur weiter! –
Marschieren, Marschieren und schwälende Biwakfeuer, und ein Brief fliegt herüber, ein süßer, ein wilder, und jetzt noch drei Tage die Stiefel nicht aus und das Koppel nicht ab und die Gesichter sind – schwarz, und die Bärte sind – wild, und die Augen sind – rot und das Manöver ist aus.
Das riecht nach verdörrtem Sommerlaub, das riecht auf den Straßen nach Herbst und meine Ulmen sind kahl, doch mein Herz ist still, mein ruhiges müdes Herz ist still, wie der goldene Herbst und zählt und zählt die Tage, dann rufen die Räder zu ihr! zu ihr! Der Dienst ist – aus, das Jahr ist – um.
Ich lieb unendlich diese blauen Nebel,
die herbstlich still den Wald umgeben
wie wenn ein Bahrtuch einen Sarg umwebt.
ich lieb unendlich diese goldnen Schimmer,
die über Stoppelfeldern schweben
wie eine Krone über Toten schwebt,
ich lieb unendlich diese bleiche Sonne,
ich seh in ihren müden Blicken
das goldne Glück, das auch aus meinen blickt.
Der ruhlose wilde Spuk, der Geist ist unendlich und reitet auf seinen Ziffern und Buchstaben in seine Unendlichkeit; die Welt ist endlich, ist eine Kugel, die in der Kälte schwimmt und ihr Inhalt ist Herbst, ist ein Kunstwerk, das sich selber anschaut, wie heute der Tag sich nicht genug tun kann, in sich selber zu sehn und zu schluchzen vor seinem kleinen goldnen Glück: o herbstendes Glück, o Lächeln im Winkel, o rote goldne Euthanasie!
In den Nächten aber trank ich und hockte in Bars, mit einem roten Holsteiner, der eines Abends so gewaltig Rheinwein und Burgunder trank, daß ihm über den hilflos ins Leere starrenden Augen der Schweiß in hellen Perlen auf der Stirne stand, und kam alltäglich erst am hellen Vormittag heim. Suchte ich den Rausch, den der Tag mir geboten hatte, mit gröberen Mitteln fortzusetzen? Oder – ich trage ungern goldne Geschenke in mein Zimmer; ich zerpflücke sie mir da zu leicht, ich gehe mit ihnen unter Menschen und spiele da heimlich mit dem Glück, wie es leise in mir klingt; so fühle ich es mehr, so weiß ich, daß es mein und mein eigen ist, – und trinke, um dieses Gefühl und die Traumstimmung und das leise Schaukeln zu verstärken und fest zu halten?
Eines Tages aber war ich in Zivil und trug eine Aster im Knopfloch.
Der Himmel ist tiefviolett und die Hügel, auf denen die versprengten Kiefern wie Pinien stehn, sind ziegelrot und die Buchen und Eichen huschen wie glimmende Feuer vorüber. Jetzt steigt ein Rot wie von Heckenrosen gestreift in das tiefe Violett, das umstreichelt mich wie weicher Samt, und der Zug wiegt so leicht und federt so sanft und die Eichfeuer und Buchen mit ihren herbstenden Goldblättern leuchten so rot und die Birken so gelb – so fahr ich zu ihr, so fahr ich nach Kiel. –
Der Sarg zerbarst! Der Nebel ist fort! Eisblumen hat die Nacht an mein Fenster geworfen und nun heult der Ost. Tot ist die Welt und mein Herz ist leer, da nimmt es der Wind und wirbelt es über die Gassen, zermürbt's zerkrümelt's. Staub auf staubigen Straßen.
Aber weißt du, der Schmerz der Hoffnungslosigkeit ist auch ein Rausch. Doch der taugt nicht für dich, denn er ist nicht skeptisch genug und bejaht ein Ideal und findet am Ende den Grund für dessen Nichterfüllbarkeit in der Metaphysik. Und lange genug saßest du in Buddhas windstillem Hain: dort wächst die Moral. Aber nicht als moralische, als künstlerische Erscheinung erträgst du die Welt.
Aber glaubst du, daß dein Selbstzergrübeln und schmerzlich buntes Erinnern allein den Garten dir wiederbringt, in dem jene Blume wächst?
Und warst du nicht in diesen Nebelwochen schon daran, aus deinem – Nihilismus dir einen Rausch zu brauen? Ganz sachte und heimlich über Nacht die Grundlagen einer eigenartigen Metaphysik zu legen, die das Ding an sich im Nichts und der Hoffnungslosigkeit sieht? Und fühlst du nicht, welche Moral dir da erblühen würde? Das Mitleid mit allen, das Erbarmen mit allen, mit den allen, die du doch so herzlich und von Grund aus verachtest! Dann wärst du mir bald in Kirchen und Klöster gelaufen! Zwinge dich zu deinem echten Rausch! Hänge deinen Garten dir hoch! Male ihn dir so märchenschön – du weißt, alle Malerei übertreibt, denn sie setzt das Geschilderte als etwas Eindeutiges, Unabhängiges und Fürsichbestehendes. In jeder Schilderei steckt ein Wunsch.
Hänge deinen Garten hoch! Denk an den Lenz! Er kommt, er kommt – und dann?
Hinter den Werften und Docks, den angelnden Riesenarmen der Kräne und den dröhnenden Eisengerüsten verblassen die letzten Fetzen des Morgenrots und gelbrote Reflexe laufen über die opalisierenden Wasser und spielen um die stählernen Kriegskolosse – weißgrau, eisengewordener Wille und Wucht liegen sie da. Kühl ist's, von den alten Linden fallen die letzten Blätter und lang war die Nacht.
Habe ich dir schon erzählt, was ich in dieser Nacht geträumt habe? Du warst wohl noch wach, da fiel mitten in einem Kuß, den ich auf eine deiner Brüste drückte, der Schlaf auf mich. Da löste sich meine Seele aus mir und stieg an seiner Hand durch deine linke Brust, Stufe über Stufe, hinab in dein Herz. Hier in dem purpurnen Zimmer setzte ich mich auf einen sammetbeschlagenen Thron, und während ich dort saß und den Strömen deines Blutes lauschte, wie es draußen sang und brauste, öffneten sich die Türen des Zimmers und Kobolde, die sich in gelbroten Taffet gekleidet hatten, traten herein und trugen auf silbernen Schüsseln deine Gedanken. Sie stellten sich im weiten Kreis um mich her und ihr Sprecher trat vor und sagte: Hier bringen wir dir, du König unserer Gebieterin, unseren Tribut. Und aus seiner Schale erhob sich jeder Gedanke und sprach zu mir und sagte, wer er sei. – – So hast du mich lieb? – – Aber mit einem Male flogen donnernd die Türen des Zimmers auf und eine schäumende Flut Blutes brach herein, riß die Kobolde fort, stürzte den Thron und ich schwamm und kämpfte in den gischtenden Blutwogen, bis sie mich in einem ekelhaften warmen schweren Tod erstickten.
Sie schwieg und krauste die Stirne.
Laß uns frühstücken gehn. Wie kannst du nur so etwas träumen? –
Am Abend fiel eine kalte Luft auf den Hafen und breitete eine Bank von Dunst über ihn; und da die Sonne ihre Glut in ihn warf, lag er über ihm wie ein – feinkörniger roter Dampf. Bäume und Masten verschwanden in ihm, die Erde verflog und es war, als habe ein Gott uns in eine Abendwolke gehüllt und trüge uns fort.
Da lehntest du dich an mich und drücktest meine Hand:
Wie wunderbar! Sieh! und nun beginnen die Schiffe zu sprechen. Was mögen die sich wohl erzählen? O du in Kiel? Du bei mir? –
Deinen Garten – o hänge ihn hoch! Es kommt der Lenz – und dann?
Wie der Ostwind das strähnige Zigeunerhaar der Birken peitscht! Aber im Nebel und Wind – sie rüsten sich zum Lenz! Und was für sie die blinkenden Stärkekörner sind, die sie hinverfrachten, wo es ein Grünen und Blühen werden soll, das ist für dich – – das stoffgewordene Mittel, der stoffgewordene Geist, die stoffgewordene Macht ist Geld! Blinkende Stärkekörner und – Geld! –
Es nebelte den Tag, und da es begann zu dämmern, bestellte ich Wein und lehnte meinen Kopf auf deinen Schoß.
Nun bist du schon acht Tage hier, acht Tage schon wohnen wir hier und wissen von nichts und kümmern uns um nichts. Ich glaube, wenn wir länger beisammen blieben, vergäßen wir die Welt.
Da kam die Sonne hinter einem Haus hervor und warf abermals Gluten in den Nebel, der da auf der Straße lag.
O sieh den Nebel! Wieder roter Nebel! Das sieht aus wie rotes Blut.
Da zog ich dich nieder und haspelte so lange in deinem Haar, bis es als goldne Welle über mich fiel und mich begrub und ich begraben lag in einem Sarg von Frauenhaar und Blut. –
Acht Wochen nur – dann kommt der Lenz!
Ich muß eine Erfindung machen. Eine Erfindung, wie sie sich gehört, ist das zielbewußte Suchen und Finden einer neuen Nutzbarmachung einer der vorhandenen Kräfte. Eine Kraft wird nutzbar durch Umwandlung latenter in bewegte Kraft und durch Schaffung eines Gefälles. Alle Erscheinungen der Kraft, soweit sie mechanisch sind, nutzen wir aus; vom chemischen Prozeß und elektrischen »Strom« bis zu Wasser und Wind, ausgenommen den Luftdruck und die Schwerkraft im engeren Sinne. Diese aber scheidet aus – sie ist das physikalische Rätsel an sich, vielleicht nur ein metaphysisches Problem – wir können kein – Gefälle für sie schaffen, keinen schwerkraftlosen Raum. Und jener tritt nur, abgesehen von den meteorologischen Erscheinungen, in Wirkung gegenüber dem luftleeren Raum. Der, als die Bedingung des Gefälles, müßte dauernd gewahrt bleiben. In ihm treibt er das Wasser zehn Meter hoch, und aus dieser Höhe muß ich es entfernen, ohne daß ich den luftleeren Raum, der sein Heraufsteigen ermöglicht, vernichte. Die Frage ist's. Zwei Monate nur! –
Als ich heute Morgen mein Bad in dem Moorbach nahm, dort wo er durch das Tannendickicht über gelbroten eisenhaltigen Sandboden rollt, formte ich weiter an meiner Frage, während das eiskalte Wasser meine Knie umspülte und ich gemächlich das Eis zerschlug, das wie fein durchbrochene Spitzenmanschetten von den Ufern über das Wasser gewachsen war.
Das ist keine Phantasterei und kein perpetuum mobile, das stetig die Kraft aus sich erneut, das will die gegebene Kraft des Luftdrucks wirksam werden lassen. Wie Wärme nur wirksame Wärme ist bezogen auf einen weniger warmen Körper, so der Druck der Luft nur bezogen auf einen Raum von geringerem Druck. Dieser muß bewahrt bleiben und trotzdem das Wasser, dessen neun Meter starkes Gefälle ich haben will, aus ihm in dieser Höhe entfernt werden.
Und das muß geschehn durch seine eigene Kraft, und diese Kraft muß größer sein als der Druck der Luft, der es sonst wieder in das Vakuum zurücktriebe.
In einem luftleeren neun Meter hohen Rohr, das in seinem oberen Ende zweimal umgebogen ist, steigt das Wasser hoch und fällt darauf in einen Behälter, der sich an dem nach unten gebogenen Ende des Steigrohres befindet: aus diesem Behälter muß ich es entfernen, wozu ich entweder die bewegte Kraft des aus dem Rohrende fallenden Wassers benutze oder den Druck der gesamten oder eines Teiles der gesamten schon in dem Behälter ruhenden Wassermasse.
Da begann es zu schneien und ich wanderte durch den stöbernden Schnee, stundenlang; durch den Wald, durch das schilfbraune Moor, über die Heidehügel und gleich einem alten Zaubermeister zeichnete ich in den Schnee, dort wo er glatt und eben lag wie eine Tafel, Röhren und Würfel und Schaufelräder und Kugelventile. Und warf mir der Wind, der sich nach Süden drehte, seine Flocken in die Augen –
Du Narr! leg dich hin, ich decke dich zu; lege dich nur hin, es sieht schon keiner! –
so suchte ich mir eine dichte Kiefer, wie sie
windgedrückt auf den Hügelhöhen stehen, einen Wacholderring oder ein Rotdorngestrüpp, in deren Windschatten ich wie auf einer weißen Riesen-Schiefertafel weiter meine Kreise zog. Es muß! Es muß!
Auf der Landstraße hatte der Wind, der schnurstracks über ihr blies, dort wo Gebüsch zu beiden Seiten war, Schneewellen gebaut. Vier gute Schritte waren von Berg zu Berg und eine starke Hand breit waren sie hoch. Und dort, wo das Gebüsch zurücktrat und der Schnee über den freien Feldern wie ein Nebel flog, war auf der Höhe der basaltgewalzten Straße eine Rille freigeblieben, über die der stäubende Schnee in schmalen schlängelnden Strähnen lief, als ob zahllose kleine Dampffähnchen vor mir her huschten. Ich versuchte, Schritt mit ihnen zu halten, aber schnell wie kleine Schlangen liefen sie mir fort:
Wir sind lustiger und leichter als du, du Tölpel und Grübeltor, der sich sein schönes Leben selber zerschneidet und unsere Mutter besiegen will, weil ihm sein lockeres Glück entflog, so ein lockeres loses Dirnchenglück! Wir Schneeeidechsen und kristallenen Kinder der Luft, wir huschenden Flämmchen von stiebendem Schnee! –
Nachmittag war's, als ich heimkehrte, verschneit und verklammt, aber eines brachte ich mit: es wird eine Art selbsttätiger Druckpumpe sein müssen, die das Wasser aus dem Behälter preßt, und auf deren freiem Hebelarm wirkt als Kraft der Druck des aus dem Steigrohr fallenden und auf dem Hebelarm in einem Gefäß aufgefangenen Wassers.
Nun habe ich Linien um Linien gezogen, phantastische Pumpen und rollende Ventile gezeichnet und viel Zahlen- und Formelnkrams dazu gemalt, jetzt will es dämmern und zögernd fallen die Flocken. Wir sprachen damals oft vom Schnee – jetzt sitzt sie mit dem Andern in einer Dorfschenke und schäkert mit ihm und freut sich auf die Heimkehr und Schlittenfahrt. Und ich vergrabe mich hier und schreibe, schreibe von Dingen, die nicht mehr sind und doch noch sind und vielleicht jetzt erst das sind, was sie damals schienen; denn jetzt erst sind sie eindeutig, fest und in sich rund, damals waren sie ein Hauch der vorüberjagenden Wirklichkeit. Ich bilde und schaffe sie, ich umschlinge mit des Kältekraken Armen die Welt, die Kugel glimmenden Staubs, ich reite verwegen über sie hinaus ins Nichts und atme auf, wenn der Nachtwind mahnend an mein Fenster klopft, – um mich wieder zu finden in einer absoluten Einsamkeit. Eben noch genoß ich mich in einem gefährlichen Spiel und nun bin ich nichts als ein trauriges Taumeln zwischen dem glühenden schmerzlichen Wunsch nach ihr und dem Gedanken an den Tod, der immer verführerischer zu locken und zu flöten weiß. Und kein Ruhepunkt ist zwischen ihnen, kein stützender ablenkender tröstender Gedanke – und die Menschen? Ich sprach schon seit zwei Monden kein Wort, ich weiß nicht mehr wie meine Stimme klingt, ich bin ja stumm, bin ein helläugiger Spuk und ein kluges Gespenst – nur mein Name.
Zwei Tage darauf, da der rote Nebel sich zu Regen verdichtet hatte, fuhr sie nach ihrer Heimatstadt zurück, wo ich sie nach den Universitätsferien wieder treffen wollte. Ich konnte aber nicht so lange von ihr getrennt sein, ich reiste nicht in meine Heimat, sondern blieb noch einige leere, wüste Tage in Kiel und fuhr ihr schließlich nach und suchte sie am gleichen Abend auf.
Ich bin dir untreu geworden; in der Trunkenheit geschah's. O verzeih!
Ich verzieh und acht Tage lebten wir noch zusammen. Mir gingen die Mittel aus und wir lebten auf Borg. In einem Hotel, in dem wir übernachteten, ließ ich eines Morgens meinen Mantel als Pfand. Dann mietete ich mir eine Wohnung in ihrer Nähe und Nachmittags kam sie zu mir; wir taten sehr verliebt und schmiedeten Pläne, es lag aber etwas über uns, das uns hinderte, uns und unseren Plänen recht zu glauben, und des Abends kam es regelmäßig so, daß wir uns betranken. Die Grundlüge, die in unserer Liebe lag, da jeder im Anderen Anderes suchte, drängte sich aus irgend einer Ursache hoch, meine Geldnot verstärkte das Mißbehagen, das uns, ohne daß wir seinen Grund klar sahen, quälte, und so suchten wir es im Trinken zu vergessen, um wenigstens unsere, plötzlich gewaltsam und roh aufschießende, Sinnlichkeit ungetrübt genießen zu können.
Mißbehagen und Betäubung darf ich über diese acht Tage schreiben.
Bis ich eines Abends, da ich nicht mehr das Porto für meine Briefe bezahlen konnte, ihr meine Lage gestand. Sie versprach mir, Geld zu besorgen, und kam nicht zurück.
Da ging ich in ein Lokal, dessen Wirt ich kannte, und nach einigen Stunden kam sie in Begleitung von vier Herren in dasselbe Lokal. Ich sah, daß sie betrunken gemacht wurde, und ging zu ihrem Tisch hinüber und rief sie heraus. Sie folgte mir, da sie sich aber weigerte, sofort mit mir nach Hause zu gehen, gingen wir wieder hinein und tranken weiter, ich und sie. Nach einer Stunde ging ich abermals hinüber und fragte sie, ohne mich um die dasitzenden auch schon betrunkenen Kavaliere zu kümmern. Da sie tat, als hörte sie mich nicht, setzte ich mich wieder an meinen Tisch und wir tranken weiter, sie und ich. Als sie mit ihren Herren, mit ihren vier patenten selbstgefälligen Nichtsen, ging, trottete ich hinterher. Als einer dieser Herren in seine Wohnung ging, um einen Schirm zu holen, und sie vor seiner Türe wartete, wartete ich mit. Aber als ich sie mit mir ziehen wollte, drohte sie zu schreien. Dann kam der Herr mit dem Schirm und nahm ihren Arm und brachte sie nach Haus; sie aber lehnte ihren Kopf zärtlich an seine Schulter und ich lief wie ein Trottel nebenher. Als sie sich vor ihrer Haustüre, die beiden Trunkenbolde, küßten, stand ich dabei und sah zu und rührte nicht die Hand. Dann entschuldigte ich mich bei dem Herrn mit dem Schirm, blieb noch vor ihrem Hause stehen und rief, da auf ihrem Zimmer Licht angezündet wurde, dreimal laut ihren Namen, und als daraufhin sofort das Licht erlosch, ging ich in eine Bar und betrank mich bis zur Besinnungslosigkeit.
Am nächsten Morgen kam sie und bat mich, sie freizugeben – hätte ich es getan, dann säße ich jetzt nicht hier und lauschte dem Wind, wie er an den Telegraphendrähten pfeift, sondern läge warm in ihrem Arm. –
Laß mich doch frei! Ich kann dir nicht mehr treu bleiben.
Liebst du mich nicht mehr?
Ich glaube, nein.
Also alles, alles gelogen?
Ich hatte dich einmal sehr lieb –, aber jetzt – sie zuckte die Achseln und schnippte mit den Fingern.
Schämst du dich nicht?
Muß es gleich sein?
Du liebst mich doch noch! Du weißt es nur nicht! Das ist garnicht anders möglich! Das kann, das darf garnicht anders sein! Du täuschst dich hier über dich selbst! Du weißt nicht, was du sagst! Du bist nicht bei Sinnen! Du bist garnicht du! Du bist noch betrunken! O mein liebes Lieb – –
Hier begann ich zu bitten, zu betteln, bis sie nachdenklich wurde und mir versprach, am Nachmittag wieder zu kommen. –
Sei ruhig, liebes Herz! Sie war nur betrunken, sie wird sich wieder zurückfinden. Wäre es doch erst Fünf! Weswegen habe ich sie denn jetzt nur gehen lassen? Nur ruhig! ruhig! –
Als sie nicht kam, rannte ich im Trab durch die Hafengassen zu ihrer Wohnung und schickte einen Jungen hinauf. Sie war nicht zu Hause. Da rannte ich im Trab – Herrgott! wenn sie inzwischen bei mir gewesen ist! – zurück. Es regnete damals, glaube ich. Da sah ich jemanden durch das Dunkel und den Regen kommen, in einem wiegenden losen und etwas schlenkernden Gang. Da wartete ich auf sie vor meiner Tür und ging mit ihr auf mein Zimmer.
Hier weinte sie und legte den Kopf an meine Brust.
Vergib! Ich weiß nicht, wie das kam. Vergib mir nur, und gib acht, es wird alles wieder gut. Ich gehe jetzt nach Hause, und um Elf, wenn sie schlafen, komme ich zu dir. Dann wollen wir alles bereden.
Ich verzieh ihr und glaubte ihr, sie blieb noch eine Zeit, dann ließ ich sie gehen – weswegen ließ ich sie nur gehen? – und legte mich früh zu Bett und wartete. Ich verschränkte die Arme hinter den Kopf und lauschte dem Stieben des Regens draußen und dem leisen Summen der Lampe und sah zu, wie sich eine Spinne an ihrem Faden langsam langsam von der Decke herunter ließ, aber mein Blut strömte und brauste und gärte in mir, als wollte es mich jeden Augenblick wie einen Ballen aus den Betten schleudern. Die Uhr schlägt Elf! Da fahre ich hoch und lehne mich im Nachthemd ins Fenster, eine geschlagene Stunde, bis die Turmuhren eine nach der andern Zwölf schlagen. Noch einmal tasten meine Blicke durch das Dunkel, an den Straßenlampen vorbei, die mich aus dem Nebelregen wie große verweinte Augen anstieren, – ich schauerte vor Kälte, ich schloß das Fenster, ich ließ das Licht brennen, ich legte mich wieder hin.
Wenn man gerne weinen möchte und das salzige Naß will und will nicht kommen, dann muß man den Rücken krümmen und die Knie anziehen und nicht vergessen, die Zehen einzukrallen, dann grabe man die drei äußersten Finger jeder Hand in den Daumenballen und presse die Zähne aufeinander, besser noch, man zerreißt mit ihnen die Kissen, und spanne alle Muskeln krampfhaft an – dann pressen sich vielleicht doch drei Tränen aus den Augen.
Es mag richtig sein, daß »bei jeder lebhaften Erregung der Hirntätigkeit ein Strom von positiven oder negativen Wirkungen mittels der vegetativen und motorischen Nerven durch den ganzen Körper läuft und wir erst, indem wir von den dadurch in unserem Organismus bewirkten Veränderungen mittels der sensiblen Nerven wieder Rückwirkung erhalten, unsere eigene Gemütsbewegung empfinden«, es mag richtig sein, daß ich durch jenes bewußte krampfhafte Zusammenreißen aller Muskeln jene Veränderungen in meinem Organismus betäuben und ersticken will, – jedenfalls braucht man sich zu solchen Erregungen der Hirntätigkeit nur dreimal zu zwingen, zu zwingen durch ein unausgesprochenes kleines Wort, sechs Buchstaben nur, und sich nur dreimal zu zwingen zu diesem gewaltsamen Erstickungsversuch, und die sympathischen, motorischen und sensiblen Nerven haben es satt, und du liegst da wie ein Klumpen Blei – der plötzlich beginnt, tief, tiefer mit rasender Geschwindigkeit ins Bodenlose zu fallen – –
Am nächsten Morgen war ich wieder vor ihrer Wohnung und schickte einen Jungen hinauf. Sie war nicht zu Hause gewesen. Gott weiß, wo sie gewesen ist.
Dreimal lief ich an dem Tage zu ihrer Wohnung, im Trab durch die Hafengassen, die Straßenjungen kannten mich schon, und die Hafenarbeiter grinsten vor Hohn und viehischem Vergnügen, drei Stadttelegramme schickte ich ihr an dem Tage ins Haus, beim zweiten sah mich der aufnehmende Beamte an und lächelte, beim dritten zog er die Brauen zusammen und blickte mich argwöhnisch an – dann betrank ich mich. Zwanzig Stunden lang, und am nächsten Vormittag sah man mich geschmückt mit einem Kranz von Stechpalmblättern und Immortellen auf dem Roß eines Abfuhrwagens durch die Straßen reiten.
Und gerade in dieser Nacht hatte sie mit Steinchen, die sie an mein Fenster warf, mich zu wecken gesucht. Polizisten, denen sie sagte, sie wohne hier, hatten ihr dabei geholfen und erzählten es mir, als sie mich am nächsten Mittag wegen Unfugs zur Stadtwache bringen wollten.
Als ich das hörte, gab ich ihnen meinen Namen und fand dabei meine Taschen voll von Visitenkarten von Leuten, die ich in der Nacht angerempelt und geohrfeigt hatte, und lief zu ihrer Wohnung, und da ich sie da nicht fand, begann ich wieder zu trinken und suchte sie in allen Kneipen. Der müde Pessimist und Seelenschenker auf der Suche nach seiner verschenkten Seele! Ihre Seele wollte ich ihr wiedergeben, nun habe ich ihr meine gegeben, und trinke und suche sie von Kneipe zu Kneipe. Meine arme Seele, meinen stillen Garten, meine müde Aster, meine Möglichkeit, das Leben zu ertragen als künstlerisches Phänomen – in einem Tanzlokal fand ich sie.
Betrunken saß sie da mit einer betrunkenen Null, die mich höhnisch und doch ängstlich aus ihren kleinen Augen angrinste. Er fühlte sich seiner Beute noch nicht sicher, war höflich, o so zuckerhöflich, zu mir und ließ ihr Glas nicht leer werden. Aber ich hatte mich zu ihnen gesetzt und blieb bei ihnen und trank auf sein Wohl, ich war so klein und ratlos und feig und reichte ihr einen Brief, den ich vorher geschrieben hatte. Sie zerriß ihn, ohne ihn geöffnet zu haben, vor meinen Augen. Aber ich blieb bei ihnen und trank mit ihnen, sie sprach nicht mit mir, aber ihre Augen ruhten mit einer seltsamen Starrheit auf mir.
Dann taumelte ich heim und – krallte die Zehen und zerbiß die Kissen. Lacrimae Christi, das waren Tränen des Glücks und ein wohlfeiles Naß; er gab sein Leben für sein Idol, wenn es auch im Grunde sein Leben nahm und ihn verdarb, aber er war so glückhaft blind und fühlte sich stark und freute sich und genoß sich doppelt, da er es zu geben wähnte.
Und ich – es ist mir in diesen Tagen nicht der Schatten eines Gedankens gekommen, sie der »Untreue« zu zeihen – weil ich sie nicht als Einzelwesen liebte, sondern als die typische und nackte Vertreterin des eindeutigen unkomplizierten Triebs. So konnte ich ihr aus ihrer »Untreue« keinen Vorwurf machen, denn Treue ist das Festhalten und immerwährende Betonen des eigensten Selbst, und das mußte ich ihr absprechen. Sie war personifizierter Trieb, aber deswegen noch keine Persönlichkeit, als welche allein sie hätte Treue bewahren können. Sie war ihrem Triebe treu.
Ich haderte in diesen Stunden nicht mit ihr, sondern mit jenem Trieb und der unseligen Tatsache, daß in ihm mein Garten blühen mußte. Ich haderte mit der Welt und mir. –
Der wilde Schmerz, der mich hinwarf und ins Bodenlose fallen ließ wie einen Klumpen Blei, ist vorüber, aber es zittert noch in mir der Groll: warum warf mich das in eine Welt, die zu erkennen mir unmöglich ist? Und warum nimmt mir das dann den Ort, von dem aus ich sie als Bild ansehen kann?
Aber der Garten soll wieder blühen, die Abendröten sollen wieder leuchten, so sicher wie die Luft, von deren Stärke die spöttischen Schneezünglein sprachen, bezwungen werden wird. –
Am nächsten Tag trabte ich wieder durch die Hafengassen, ich weiß nicht, wie oft? Ich war nichts als fiebernder, rasender Wunsch. Lief ich nicht, so lag ich im Fenster und spähte aus, lag ich nicht im Fenster, so stürmte und robte ich in meinem Zimmer wie ein gekäfigtes Tier. Suchte ich meine Bekannten auf, dann stieß sie mein ruhloses, bald brütendes, bald exaltiertes Wesen zurück; so fanden sie einen Grund und drückten sich – der Pöbel! Freunde – Freunde habe ich nie gehabt, ich bin nicht nach der Schablone; zu der Dirne gehöre ich, und die Dirne mag mich nicht, so wüte ich gegen mich selbst, und es ist mir, als sollte mein Leib, der mich nun schon fast dreißig Jahre getragen, schreiend in Fetzen auseinander fliegen. – Wo ist sie? Au Hause war sie nicht, man wußte nicht, wo sie war. Am Abend erfuhr ich's. Bei einer Freundin war sie, deren Einfluß auf sie ich kannte. Blieb sie länger bei der, so war sie, auch ohne ihren neuen Kavalier, für mich verloren.
So lief ich hin zu der und erfuhr, sie sei soeben zu ihren Eltern gegangen, um sich Wäsche zu besorgen. So blieb ich und wartete. Nach einer Weile kam ihr Kavalier von gestern, nichtssagend, unfrei und dick und blond; er ging etwas gebückt und den Kopf in die Schultern gezogen, einen niedrigen Klappkragen, sie waren damals »Mode«, trug er um seinen feisten Hals, und ein Grinsen lag auf seinem schwammigen Gesicht. Ich begrüßte ihn und reichte ihm die Hand und fragte nach seinem Befinden. Er sah mich erstaunt an, und ich – wußte nicht, was ich tat. Ich hatte das dumpfe Gefühl, du machst dich unglaublich lächerlich und benimmst dich Leuten gegenüber, die du sonst mit einer Handbewegung zur Seite geschoben hättest, wie ein Kind und markloser Kastrat; aber dann kam wieder der Gedanke an sie und die unheimliche Furcht, sie zu verlieren, und wischte alles fort.
Jetzt warteten wir beide. Zum Lachen war's, er saß breitbeinig und sorglos auf dem Sofa, ich lief ruhlos von Zimmer zu Zimmer und redete vom Wetter.
Als sie kam, sah sie mich groß an, setzte sich der blonden Null auf den Schoß und tätschelte und küßte sein rundes Gesicht. Ich sah zu. Dann ging ich zu der Freundin in ein Nebenzimmer und redete, ich weiß nicht, was?
Mein Herr, tun Sie, was Sie nicht lassen können.
Ich habe ihr wahrscheinlich von Giften und Pistolen geredet. Als ich in das erste Zimmer zurücktrat, ging Claire heraus und tuschelte mit der anderen nebenan. Dann kamen sie beide zurück, sie setzte sich wieder der Null auf den Schoß und küßte sein Mondgesicht, und die Freundin höhnte mich fort. –
Dann darf ich wohl Adieu sagen?
Bitte.
Die Null machte eine tiefe Verbeugung, die Freundin grinste, wie nur ein schadenfrohes Weib grinsen kann, und sie sah mich starr aus großen blauen Augen an.
Kein Zweifel, sie war noch betrunken. Betrank sie sich mit Absicht, oder wurde sie mit Absicht betrunken gemacht?
Ich aber torkelte wie ein Trunkener heim und lief und rannte und hastete ruhlos, sinnlos in meinen Zimmern. Und die Nacht? Ich weiß nicht, wie ich sie überwand. Vielleicht betrank ich mich, vielleicht krümmte ich meinen Rücken und spannte alle Muskeln krampfhaft an, vielleicht bat ich auch ihre Schwester, ein gutes Wort für mich zu reden. Vielleicht auch tat ich dieses alles zusammen und hing über dem Nichts. –
Das schneit und stöbert wieder den ganzen Tag, der Wind ist nach Norden zurück gesprungen und bläst nun wie ein Frostriese in den stiebenden Schnee. Ich gehe ihm entgegen und freue mich, wie er mit seinen leise singenden Kristallen meine Haut peitscht. Oben auf einem Hügel bin ich gestanden, der da verschneit aus verschneiten Feldern ragt, rund und weiß wie eine volle Frauenbrust. Hier rüttelte und riß die Luft auf ihrer brausenden Fahrt vom Pol zum Süd an mir, als wollte sie mich aufnehmen und mit fliegendem Mantel in die verschlafenen Felder tragen.
Aber ich meistere dich doch! Gerade du, die du mich jetzt in zorniger Wut umfegst, sollst mir Sklave sein, meinen Lenz und Garten zu bauen. – O, ich sehe sie in einem Zimmer, wohin sie nicht gehört, es ist Morgens gegen Elf, da kämmt sie ihr blondes Haar oder breitet über den liebesmüden Liebsten, zu dem sie nicht gehört, die Decken und spreitet und glättet sie.
Aber braust nur und tobt und lächelt und glättet, ich zwinge euch doch!
Dann zog ich mein Notizbuch hervor und schrieb, während meine Augen zeitweise vom Schnee verklebt waren und ich ihn entfernen mußte, und dem Sturm prüfend in die Augen sah, wie er Wolke auf Wolke gegen mich schickte:
Der Behälter, in den das Wasser aus dem Steigrohr fällt, besteht aus zwei Teilen, die durch ein Rohr, in welchem zwei Kugelventile lagern, verbunden sind.
Im oberen Teil ist eine Druckpumpe angebracht, an deren kürzerem Hebelarm ein Kolben in dem in den unteren Behälterteil hineinragenden Pumpenrohr hängt, und dessen Gewicht allein genügt, um das Wasser aus dem unteren Raum gegen den auf der Ausstoßöffnung liegenden Druck heraus zu pressen.
Auf dem anderen mehrere Male längeren Hebelarm befindet sich ein Auffanggefäß für das aus dem Steigrohr stürzende Wasser, so, daß das Gewicht des aufgefangenen Wassers multipliziert mit der Länge des Hebelarmes gleich dem Gewicht des Druckkolbens multipliziert mit der Länge seines Hebelarmes ist.
Bei weiterem Zufluß sinkt das Auffanggefäß unter die Gleichgewichtslage und hebt den Kolben, bis bei einem gewissen Tiefpunkt die Wände des Gefäßes sich automatisch öffnen und das aufgesammelte Wasser entlassen, das erleichterte Gefäß hochschnellt und gleichzeitig der niederfallende Kolben mit seinem Gewicht das im unteren Raum befindliche Wasser, das die Kugelventile hindern, in den oberen Behälterteil zu dringen, wieder durch ein Ventil in einen Nebenbehälter preßt, aus dem es ein Heber entfernt.
Während der Kolben von dem sich in dem Auffanggefäß wieder ansammelnden Wasser gehoben wird, strömt das in dem oberen befindliche Wasser durch die Ventilöffnungen des Verbindungsrohres in den unteren Behälterteil.
Der Kreislauf ist geschlossen. Die Luft ist bemeistert, und die Macht kommt zu mir. Einen Niagara bau ich an jedem Ort.
Da brüllte der Wind und faßte mich und hob mich und hüllte mich in eine stiebende Wolke Schnees und warf mich herab von der weißen Hügel-Frauenbrust. Und der Schnee, der mich in kompakten heulenden Massen heimbegleitete, höhnte mir zu:
Das Dings, mit dem du uns meistern willst, ist nur ein Gedankending, ein Bild und Wunsch.
Ich bau ein Modell.
So? spottete der Wind, blendete mich mit seinem stäubenden Schnee und trieb mich blindlings durch rostbraune Gageln und Heckenrosen, durch wirr verfilztes Kreuzdorngestrüpp und langfingrige Holunderbüsche und ihr dürres vorjähriges Hopfen- und Winden- und zähes Waldrebengeschlinge tiefer und tiefer in raschelndes Schilf. Da verblaßte das Bild des Niagara an jedem Ort, und mein Garten schwand, und triumphierend brüllte der Schneesturm über mir, der ich starr und ratlos in dem gespenstischen Klingeln des braunen Rohres stand.
Dort hinten, hinter den peitschenschlanken Binsen, wo im Sommer die Mummeln und Seerosen blühen – nun, warum denn nicht? Der See ist tief und plaudert nicht und sein Eis einen Strohhalm stark – nun, warum denn nicht?
Aber ich riß mich fort und ging und lief und arbeitete mich eilends zurück durch das jetzt unheimlich klingelnde Schilf und durch die Gageln und widerspenstigen Heckenrosen.
Und als ich wieder auf meinem Zimmer saß und meine Zeichnungen betrachtete und in ihren Briefen blätterte, und dann meiner Flucht gedachte, die mich in dieses Nebelland verschlagen hat, verzweifelte ich an allem und sah todmüde zu, wie draußen der Schnee die zum Überwintern umgebogenen Rosen begrub.
Weswegen bin ich nicht zu den Mummeln und Seerosen gegangen! –
Aber wenn der Garten verblaßt und das Ziel mich nicht mehr selber treibt, soll etwas Anderes auf meinem Rücken die hurtige Peitsche schlagen. Ich grabe nicht umsonst in meiner Erinnerung, ich bohre nicht zwecklos in meiner Wunde.
In den drei folgenden Tagen lief ich vergeblich durch die Hafengassen und suchte Tanzlokale und Schenken ab. Sie blieb verschwunden. Und zu der Freundin, bei der sie wahrscheinlich Tags über steckte, wagte ich mich nicht hin. Ich trieb mich wahllos umher, planlos, seelenlos. Eines Tages bändelte ich mit einer Dirne an und nahm sie mit auf meine Wohnung. Aber als sie anfing zärtlich zu werden, warf ich sie auf die Straße.
Ich war nun von allen Mitteln entblößt, ich konnte es aber nicht über mich bringen, die Stadt zu verlassen. Schickte man mir Reisegeld, so vertrank ich es in einer Nacht; und sonst wußte ich mir auf andere Weise Geld zu verschaffen. In den Augen der Welt, was man so Welt nennt, war ich ein moralischer Lump; in meinen nichts als ein elender Stümper. Ich hatte eben den Halt verloren und ward nun auch in dieser Beziehung zum Blatt im Orkan.
Wäre ich damals zum Totschläger geworden, um sie mir, wenn auch nur für Stunden, wiederzugewinnen, ich hätte ja! zu mir gesagt. Aber was ich jetzt tat, hatte keinen Sinn und führte zu nichts, das machte mich klein und häßlich und »schlecht« und entfernte mich damit nur mehr von ihr und meinem Ziel.
Auf das einzig Richtige jedoch, auf das, was so nahe lag und das jeder Knecht und Straßenfeger getan hätte, ihrem Geliebten die Faust unter die Augen zu halten: du oder ich! – darauf kam ich nicht. Und es war nicht Feigheit, was mich davon abhielt. Es war das ratlose, tatlose Staunen und Starrwerden, das uns vor dem unerwartet Unabänderlichen ergreift. Wir fragen nicht einmal: wie kam das? wie konnte das kommen? wir staunen es an und sind starr und stumm.
Dieses plumpe Wegangeln eines betrunkenen Mädchens eine eherne Tatsache und etwas Unabänderliches und Hände-Lähmendes? Nicht für alle, aber für mich. Nun, das versteht sich wohl von selbst, du Narr! Denn ich bin zu sehr Gedankenmensch, trotzdem ich den Gedanken hasse; es fließt zu viel Hamletblut in mir, und mein Handeln kommt spät. Und besonders spät mußte es hier kommen, weil ich als denkender und nicht als im reinen Sinne liebender Mensch dieser – Liebestatsache gegenüber trat. Hätte ich nur geliebt, so hätte die Liebe schon, ohne daß ich überlegte und wollte, mich, über mich hinweg, zu Taten fortgerissen. Und ich hätte dir dann nicht wünschen mögen, mein Bürschchen, mir unter die Finger zu kommen! –
Und plötzlich einbrechenden ehernen Tatsachen gegenüber bleibt als einziges dem bangen Herdenvieh und der ratlosen Masse der Glaube, eine noch stärkere eherne Tatsache durch Bitten zu ihrem Beistand zwingen zu können. Und ich – konnte nicht warten, bis die Starrheit in mir nachließ und mir Raum zu Fragen und Überlegungen gab, ich sank hinab in diese Masse:
Ich habe in einer dieser Nächte gebetet.
Gib mir ihre Liebe wieder, und ich glaube fortan an dich.
Das war das Blatt im Orkan katexochen, das war intellektuelle und moralische Verkommenheit, das war seelischer Bankerott.
Und als ich das erkannte, wuchs mir der Preis meines Gartens – o meines stillen Gartens! – riesengroß.
Und fragst du mich hier, du neugieriger Leser, dem der, Gott mag wissen welcher, Zufall dieses Blatt in die Hände gespielt hat – aber faß es vorsichtig an, es ist mein blutiges Blut, meine nackte Seele! –: was stellte deinen Garten dar, bevor dich dieses Dirnchen liebte?
Da war mein Rausch und Garten, in den ich flüchtete vor dem Zwiespalt meiner Welt, der Glaube an die endliche Erkennbarkeit dieser Welt. Der aber schwand.
Denn – ich verbessere mein Wort von damals, wo der müde Wind unter den leichenfahlen Wolken taumelte und die Maschinengewehre unaufhörlich ihre feurigen Zungen in die Nacht spukten: auch jenes Verfolgen der feinsten Fäden der Kausalität, auch die pure allerobjektivste Wissenschaft ist Rausch, denn sie glaubt.
Der rauschlose Mensch, der freie Mensch, wie er sich gehört, ist der, der der Unerklärbarkeit und vollkommenen Haltlosigkeit lachend ins Auge sieht, der sie keinen Augenblick vergißt, der ihr zum Trotz lebt, der in uferlosen Meeren mit Freuden schwimmt, der keines Ruheortes für sein kurzes Sonnendasein, der keines Glückes bedarf, es müßte denn gerade sein Trotz und sein Wandern auf Eis sein Glück sein. Aber er nennt es nicht Glück, er ist zu stolz, man verschwendet ihm dieses Wort auf zu Vieles, und er verachtet Abendröten und Astern und blaue Veilchenglücke. Er sagt: gebt mir noch uferlosere Meere, noch kälteres Eis. – In sein Auge möchte ich sehen, aber wo gäbe es solchen – Herrn der Welt?
Wie würde er höhnen über das violette Glück meiner vegetativen Seele, das sich in windstille Gräben und Winkel drückt! Wie würde er es mit seinen Füßen beiseite stoßen und mit seinen Augen nach Firneneis und Gletschern suchen!
Ich mache mich schon so klein und werde vor mir kleiner mit jedem Tag. Aber das ist einmal die Peitsche, die mich treiben soll – ich will wenigstens das blaue Veilchen sein und nicht untergehen und verschwinden im Volk der Gräser und in Rübenfeldern – und zum andern, das ist, wie wenn ein Pilot sein Flugzeug zerlegt, um den Fehler zu finden, der ihn vorzeitig zur Erde brachte.
Ich mache noch einen Flug und mitten in die Abendglut hinein. –
Da kam sie eines Mittags zu mir; ich weiß nicht, ob auf Zureden ihrer Schwester oder bestimmt durch einen Brief von mir, die ich ihr täglich ins Haus schickte. Ich war in den Tagen abgemagert und sah wüst und verkommen aus. Sie ist frisch und unbekümmert wie stets. Wann sieht eine liebende Frau auch wohl schlecht aus? Das Leben ist schön, daran ist garnicht zu deuteln, nur darf man eben nicht selber drin stecken, oder muß – über ihm schweben; doch das ist mir eben versagt. Ich muß, in seinem Angelpunkt sitzend, mich selber erst vergessen und verlieren, um seine Schönheit überhaupt bemerken zu können. –
Ich komme, um dir Adieu zu sagen. Wir wollen als Freunde auseinander gehen.
Als Freunde? Hahaha! Als Freunde! Du mein Freund? Laß dich nicht auslachen! – Aber sei wieder mein Lieb! O Claire, laß dich bestimmen, komm zur Vernunft! Denk doch einmal über dich nach!
Was ist da viel nachzudenken? Nein, wir müssen uns trennen, es muß sein! Es ist etwas geschehn – – ich könnte, auch wenn ich wollte, nicht mehr zu dir zurück.
Ich habe dir immer noch verziehn.
Du warst eben viel zu gut zu mir.
Da begann ich zu bitten, zu betteln, zu betteln wie ein Hund; und erzählte von der haltlosen Welt und dem Chaos in mir. –
Du Armer! wie kann man nur? Es gibt doch so viele Weiber, und sie laufen dir nach. Warum denn gerade mich? So 'n dummes Mädchen!
Da begann ich die Schleusen meiner Beredsamkeit aufzuziehen wie ein sich eine fette Pfründe erpredigender Pfaff – –
Aber es ist doch etwas geschehen! Ich kann und darf es dir nicht sagen – –: wir dürfen nie, nie mehr so ganz zusammen sein. Und – ich hab ihn auch gerne!
Er sagte es mir auch gleich nachher. Er hat mich doch so lieb.
O du kleines Schaf! Das hat er nur gesagt! Gesagt, um dich an sich zu binden.
Meinst du? Nein, nein! Es ist so. –
Und deine Briefe? Deine tausend Beteuerungen? Dein ganzes – Glück und neues Leben, von dem du mir immer schriebst?
Ja, jetzt liebe ich doch ihn!
Wenn du so fortfährst, bist du bald wieder auf der Straße.
Du! ich bin ihm treu; geradeso wie ich dir treu war.
O, so wirst du noch dem Hundertsten treu sein!
Aber ich kann doch nicht anders! Es tut mir selber oft leid, daß ich so sein muß. Ich – muß zu ihm. Du – und er hat mich auch so lieb. Herzchen sagt er. Sieh, das ist eine Locke von ihm. O komm, komm, es ist Zeit! Laß mich gehn. Und zu den Andern sagen wir einfach, wir hätten uns beide erzürnt. Nicht? Komm!
Da versuchte ich, sie zu küssen und begleitete sie dann nach der Wohnung ihres neuen Geliebten. Vor seiner Tür verabschiedete ich mich von ihr. –
Mannrausch nannten unsere Alten das Weib; die Verführerin zum Mit-Füßen-Treten jeder Distanz, zur Selbsterniedrigung par excellence nenn ich's.
Und doch ist dieses Kriechen im Kot die Hyperbel aller Weltbejahung. Ein famoses Leben, das sich so bejaht und weiter führt!
Ich verneine das Leben und doch benutze ich die Liebe, die Bejaherin des Lebens, dazu, um mir das Leben ertragbar zu machen. Darin steckt der tragische Knoten! Und ist das Leben denn überhaupt wert, daß wir nach seiner Ertragbarkeit streben? – Doch das sind törichte Worte.
Aber wie löse ich jenen Knoten? Ich müßte mich zwingen, sie so zu lieben, wie sie mich liebte. Aber dadurch würde ich das Leben bejahen und – sieh! will ich vielleicht das Leben verneinen? will ich es als unerklärbar sehn? will ich im Haltlosen hängen? – –
Ich frage nicht weiter, das könnte mich zu bösen Schlüssen führen. Ich lasse die Hand davon. –
Ich bin über den Stadtwall gegangen, wo ich zuweilen an Sommerabenden mit ihr ging; nun bin ich zurückgekehrt und sitze auf meinem Zimmer, in dem noch das Parfüm liegt, das sie mit einem Mal in diesen Tagen trug; und mein Geburtstag ist just. Sieh! kam sie deswegen zu mir?
Aber ich will mir eine kleine Feier machen. Ich will mich ein wenig mit mir unterhalten. Und weswegen sollen es nicht einmal Verse sein? – – –
Aber das sind ineinander gefilzte und sich jagende Gedanken; das sind mir zu viel Interpunktionen, die klettern mir an ihren Fragezeichen in zu krause Labyrinthe. Das sind mir miserable Verse.
Merkwürdig, wenn mich das einmal packt was sich Denken heißt, dann läßt mich das nicht mehr los, und ich grabe mich wie ein Maulwurf ein.
Gewiß; er ist ein griesgrämiger Gesell und mag die Sonne nicht sehn. Das Volk sagt, er ist blind, und es hat so unrecht nicht.
Und ebenso merkwürdig ist es, daß mich das stets zu Schlüssen führt, die mich verkleinern.
Gewiß; vielleicht die Verzweiflung um der Verzweiflung willen, oder das Machtgefühl und der wohlfeile Selbstgenuß, auf Trümmern zu stehen.
So?
Gewiß; vielleicht auch die letzten Folgerungen der Begriffe selbst, die zu einer Zeit geschaffen wurden, die mit der deinigen wenig gemein hat, und die jetzt, aus irgend einem Grunde schärfer angefaßt und zu Ende gedacht, sich in Nichts auflösen. Und du fühlst dich verkleinert, weil du den Gefühlswert, der ihnen anhing, nicht mit überwinden konntest.
Und du meinst, in diesem Gefühlswert liegt eine Bejahung?
Gewiß. Aber lassen wir das. Du zählst heute siebenundzwanzig Jahr; ein Fazit wollen wir nicht ziehen – es soll ja eine Geburtstagsfeier sein – und in die Zukunft wollen wir auch nicht sehen – es soll ja eine Feier sein –: wir wollen von einem echten Geburtstagsthema plaudern, von der Ewigen Wiederkehr.
Ich beginne, an ihr zu zweifeln.
Gelt? ein verschämter Wunsch?
Sie ist nur als Lehre und Erziehungsmittel, als metaphysische Grundlage eines Wertsystems von ihrem Lehrer aufgenommen und neu gepredigt.
Gewiß.
Und wenn letzten Endes sich alle Bewegung in Wärme verwandelt, so ist es unzweifelhaft, daß schließlich die Kälte des Raumes sie frißt. Woher sollte der neue Anstoß kommen?
Gewiß.
Und wäre sie auch die Wahrheit an sich, sie bliebe immer eine menschliche Wahrheit. Wir könnten mit der gleichen Berechtigung das Gegenteil vermuten –
Gewiß; und wenn wir unsere Vermutung nur glauben, auch beweisen; meinst du.
So meinte ich's; wir Wortanbeter und Tagsgespenster, deren Geist nichts als ein grundsuchender Anker ist.
Nun, dann ziehe den Schluß und durchhaue den Knoten, den du dir da aus Liebe und Verneinen geschlungen hast.
Gib mir Zeit! Einmal noch möchte ich in meinem Garten stehen. Gib mir ein viertel, ein halbes Jahr Zeit und dann – dann soll mir kein Gemsenjäger oder Osterglockengeläute hindernd in den Weg treten.
So? Und wenn du dann so faul und weich mitten in deinem Garten liegst?
Vielleicht – vielleicht auch dann. Aber einmal noch möcht ich die herbstende Welt sehn. Laß mir die Hoffnung. Es ist ja mein Geburtstag just. –
Ich verlobe mich mit ihr! Ich schreibe ihr, ich biete ihr meine Hand! Ich heirate sie, ich gehe noch heute mit ihr aufs Standesamt und, wenn sie will, mache ich den Mummenschanz mit und lasse mich mit ihr trauen!
Und ich schrieb den Brief. –
Und es liegt nicht an mir, daß ich zur Stunde nicht Hausvater und Winkeladvokat bin, sondern in einsamen Nächten versuche, in meiner heiligen Narrenseele zu lesen, und nebenbei die Luft bezwinge. Aber es ist gut, daß es so kam. Denn ich war im Begriff, eine Sünde wider den heiligen Geist zu begehen. Denn jetzt begehrte ich nicht ihre Liebe, welche für mich den Rausch darstellte, sondern ihren gesetzlich bestätigten körperlichen Besitz. Geblendet und betäubt durch die Furcht, sie zu verlieren, griff ich nach etwas, was sie gar nicht war. Ich wollte den Trieb und griff nach einer menschlichen Klausel, ich wollte heiße, mich wie eine wilde Welle überstürzende Liebe und rief jene Institution zu Hilfe, die ich, der preußische Referendar, nicht genug zu verachten weiß, die menschliche Gerichtsbarkeit.
Ich habe mir nicht vorgesungen und vorgelogen, daß mit der Zeit ihre Liebe wieder erwachen würde; ich wußte zu gut, daß die jenem Bleichgesicht nachflattern würde, aber in der Verzweiflung ward ich zum Betrüger gegen mich selbst.
Ich hätte sie gewiß auf Händen getragen und wäre aus Sorge für sie zur unheimlichen Winkelspinne geworden, die den verschämten Klienten, die sich in ihre Höhle wagten, den letzten roten Heller aus der Tasche gezogen hätte. Aber ob ich ihr liebes Spielzeug, ihr Eigentum und Ding wieder geworden wäre?
Und daß sie sich nicht fortwarf, daß sie meine Hand, die tausende ihrer und nicht nur ihrer Art mit Freuden ergriffen hätten, ausschlug, beweist, daß sie der Trieb und die Welle war, als welche ich sie liebte.
Nun muß ich warten, bis sie den Felsen, den sie jetzt umschäumt, zermürbt hat, und werde dann vor sie treten als ein Neuer, als einer der die Luft bezwungen hat und in seinen Händen die stoffgewordene Macht trägt, das Geld.
Denn als Schwächling ging ich von ihr und ein Weib, wie ich es will, kann den nicht mehr lieben, den sie um ihre Liebe winseln sah wie einen Hund.
Fange ich nicht allmählich an, auch dieser Episode meines taumelnden Lebens dankbar zu sein? Fange ich nicht allmählich an, zu gestehen: es ist gut, daß alles so gekommen ist? Denn blickte ich nicht tief hinein in mich? fand ich nicht fest und klar umrandet den Ort, auf dem allein mein Glück blühen kann? wuchs nicht in mir die Kraft, schnurstracks und unbeirrt auf mein Ziel zu gehen? und – bezwang ich nicht die Luft?
Sehe ich nicht wieder, daß nur der Schmerz der Freund des Menschen ist? Oh mein närrisches, zerrissenes und immer wieder verharschtes heiliges Herz, halte fest an dich und gehe deinen Weg! –
An diesem Abend blieb ich zu Hause und ging früh zu Bett. Eine kleine Ruhe war über mich gekommen, ein kleiner Hoffnungsschimmer schien und die Starrheit wich. Und jetzt drängten sich die Fragen hoch nach den Ursachen des Ereignisses, das uns so unerwartet überfallen hatte.
Wie kam es, daß sie jenen lieben und mich verlassen mußte? Verließ sie mich, weil sie ihn liebte, oder liebte sie ihn, weil sie mich verlassen konnte?
Mit großen Flügeln flatterte wieder die Einsamkeit über mir und die Nacht, die draußen unter den Geißelhieben des Windes stöhnte, und das Licht, das träumerisch singend auf meinem Nachttisch stand, erbarmten sich meiner und sprachen mit mir und halfen mir –:
Sieh, du bist niemals eifersüchtig gewesen. Begann jemand, den du liebtest, einen Anderen zu lieben, so hieltest du es für eine Dummheit, deswegen jenem Anderen zu grollen. Und für ebenso dumm hieltest du es, ihm zu zürnen, wenn er den von dir geliebten Gegenstand sich gewinnen wollte.
Weil ich dann der ganzen Welt hätte zürnen müssen, in deren Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen, oder in deren Bedingtheiten und Funktionen es lag, daß er ihn zu gewinnen suchen mußte. Und ich würde auch durch das Interesse, das ich ihm mit meinem Argwohn und Zorn gewidmet hätte, sein unfreiwilliger Bundesgenosse gegen mich geworden sein.
Und für ebenso sinnlos hieltest du es, deiner Geliebten gram zu sein, wenn sie begann, einen Anderen zu lieben.
Dann schloß er nämlich so: sie ist jetzt nicht mehr die, als welche ich sie liebte. Ich liebte sie als die mich Liebende; nun aber müßte mir eigentlich ihre neue Liebe und damit sie selber gleichgültig sein.
Aber jedes liebende Weib verlangt die Eifersucht, riefen mir beide unisono zu.
Und ihr seht, daß ich nicht eifersüchtig sein kann.
Sieh! das ist wieder eine Verhedderung, die aus dem Knoten folgt, den du dir knüpftest aus Liebe und Verneinen, aus Denken und Gefühl.
Darum sah ich es nie, wenn sie neben mir mit dem und jenem kokettierte.
Außer, wenn du zu viel getrunken hattest.
Wenn der Alkohol deine Überlegung eingeschläfert hatte, liebtest du wie der Pöbel.
Dann liebte er geschlechtlich und da erwachte die Eifersucht.
So ließest du es geschehen, daß sie an dem Abend, da du aus Kiel kamst, mit jenem Mondgesicht, das da irgendwo vor seinem Bierkrug kauerte, Blicke tauschte. Du fühltest dich ja so sicher.
Und in jenen Tagen, wo er sagte er ging seine arme Seele suchen und sich betrank, hat jener Andere irgendwo seine Liebste getroffen und der Bursche –
mit seinem pfiffig dummen Bauerngesicht –
seinem strohgelben Haar –
und seinem fetten Bauch –
und seinem Klappkragen und mecklenburger Hals – wußte das, was ihm sonst an Anziehendem fehlte, zu ersetzen, dadurch daß er sich als den Bemitleidenswürdigen gab.
Er bestach nicht, wie du Hansnärrchen so gerne tust, er rührte sie.
Er hat sie –
die inzwischen unter dem Einfluß ihrer neidhündischen Freundinnen in jenen mißbehagten Tagen an ihrer Liebe irre ward –
gleich gefesselt, indem er ihr gestand, daß er wegen einer widrigen Sache aus seiner Verbindung gestoßen sei –
bei den Mädchen kein Glück habe und von seinen Freunden gemieden werde –
und nun völlig einsam dastände.
Einsam! riefen wir da im Chor, als ob Einsamkeit verscheucht werden könnte, wenn man Menschen um sich sammelt! Einsamkeit – rühre uns keiner mit profanen Händen an dieses Wort! Der meisten Einsamkeit ist Langeweile.
Dann hat er sie betrunken gemacht und mit sich genommen –
und ihr am anderen Morgen gebeichtet, er sei krank und durchseucht.
Aber nur seine große Liebe habe ihn verleitet, sich so weit zu vergessen.
Das war alles so pöbelhaft plump und so maßlos gemein –
aber für ein Mädchen wie sie ebenso maßlos interessant.
Denn weißt du, »man rühmt das Mitleid als die Tugend der Freudenmädchen.«
Und weißt du, mit der Möglichkeit, Mitleid zu üben, gab er ihr schneller eine Seele als du, du Seelenschenker!
O wie war er rührend interessant!
Und ich war zu schwach, dieses Interesse, das er ihr eingeflößt hatte, zu übertrumpfen.
Hättest du diesen miserablen Lumpen mit Fußtritten bedacht und wärst dadurch als der Stärkere und noch Interessantere und wieder Neue vor sie getreten, so wäre sie dir selig in die Arme gefallen.
Er erregte ihr Interesse und deine Schwäche war schuld, daß dieses Interesse zur Liebe ward.
Und erst recht zur Liebe ward, wo er routinierter Weise ihr die Wahl gab zwischen sich und dir; dir, der um ihre Liebe bettelte und winselte, und ihm, der trotz seiner Liebe und Verlassenheit zurücktreten und auf den Genuß verzichten wollte, denn – du hättest sie ja so lieb.
So liebte sie ihn also, weil sie mich verlassen konnte.
So ist's. Er war der neue Fels. – –
Da schwiegen wir drei, eine Turmuhr schlug und ein Schiff heulte im Hafen. Dann ward es still, gespensterhaft still – mit einem Schreck fuhr ich hoch – da begann wieder die Nacht zu stöhnen und träumerisch summte das Licht. –
Aber blieben denn gar keine Erinnerungen und Mahnungen in ihr?
Die machte sie schweigen durch den Gedanken des Mitleids. Sie sagte sich: ich will dem armen Verstoßenen Stütze und Trost sein –
er hat so wenig Glück bei den Mädchen und dir laufen die Weiber ja nach.
Und er?
Alles Berechnung! Alles Manöver! –
Aber hatte nicht vielleicht auch er ein Bedürfnis nach Rausch? War er nicht vielleicht auch ein Sucher nach stillen Gärten? Dann müßte ich dem glücklicheren Leidensbruder, der sich in allem Wirrwarr und Rätselsturm die unangekränkelte Freiheit und skrupellose Rigorosität des Handelns bewahrt hätte, die Hand drücken
und still beiseite gehen. Aber Gerechtigkeit um jeden Preis –
das ist auch ein
Vacciniumtrank, und zwar recht vulgärer Art.
Nein, der Garten, den sie für mich darstellte, war sie nicht für ihn. Dazu war er –
zu dumm.
Sein Rausch lag da, wo Pöbelräusche liegen, als da sind –
Liebe, Gott und Vaterland –
Bildung und Bier –
und anderes mehr –
und vieles andere mehr.
Er war aus seinem Kreis gestoßen –
und zwar aus dem gleichen Grund, weswegen du ihn hättest mit Fußtritten bedenken sollen –
nun gewann er sich mit diesem Grund ein neues Weib! –
und suchte bei ihr nichts als Unterhaltung und Vergessenheit. Aber nicht Vergessenheit, wie ein ruhloses Gespenst sie sucht, nicht Flucht und Rettung aus einem uferlosen Meer –
nein, dieser perfide Hohlkopf = Hohltopf war kein Blatt im Orkan.
Ein trauriges Resultat, das wir zu dreien hier finden.
Aber wenn du nicht lieben kannst, wie der Pöbel liebt, mit Wut und Eifersucht, so laß die Hand davon! trommelte der Regen an die Scheiben und höhnte die stürmische Nacht und glotzte mich aus vergrämten Augen an.
Aber ich brauche diese Liebe und – kann sie nicht halten. Der plumpste Tölpel, der schmutzigste Idiot stiehlt sie mir und ich stehe dabei –
und bitte: gib mir sie wieder!
und frage: wie kam es, daß du sie mir nehmen konntest?
und finde: sie ging zu ihm, weil sie zu ihm gehen mußte.
Eine wohlfeile Weisheit! lachte die Nacht und klatschte mit einem Regenguß gegen das Glas.
Da löschte ich das Licht und wühlte mich in die Kissen und hörte noch, wie die Nacht vor dem Fenster flüsterte:
Und ist dein Rettungsplan für dich nicht ebenso perfid, wie der, mit dem sich jener bleiche Lump deinen Garten stahl? Du rechnest darauf, sie sei auch nicht frei von der kalten Berechnung und Hochschätzung fauler Bequemlichkeit, die ihr euren Weibern angezüchtet habt? Du hältst dich an dieses Ankertau? Gib acht, es reißt! Sie wird schon der Advokatenfrau die Geliebte eines interessanten und skrupellosen Ausgewiesenen, eines dummpfiffigen Lumpen vorziehen. Gib acht!
Da fuhr ein heulender Schrei durch die Nacht, über die Dächer an den Türmen vorbei durch den Sturm und Regen und die glotzende Dunkelheit, fuhr dreimal laut um die Stadt, um hoch über ihr in einem schmerzlichen Wimmern und Winseln zu enden. –
Am Vormittag kam ihre Schwester zu mir –:
Sie ist zu Hause! Geh hin, aber mach schnell, daß du sie triffst, und laß sie dann nicht los. Wenn sie den Anderen wieder sieht, ist alles aus.
Da kleidete ich mich eilends an und lief durch die Hafengassen.
Ihre Mutter öffnete mir.
Verzeihen Sie, daß ich so bei Ihnen hereinstürme! Sie wissen, weswegen ich komme? Haben Sie den Brief gelesen, den ich Ihrer Tochter schrieb?
Ja, aber – –
Sie meinen, meine Verwandten würden dagegen sein? Das wird sich schon machen! Doch! Doch! Das geht! Geben Sie mir Ihre Tochter! Sie soll es gut haben! Wo ist Claire?
O sagen Sie ihr, sie soll schnell machen! Ich muß sie sehen! Und das andere – das geht! Das geht bestimmt! O glauben Sie mir doch!
Da sah sie mich mit einem merkwürdig klugen und bedauernden Blick an und ging in ein Nebenzimmer und ich hörte, wie sie drinnen mit Claire sprach.
Wird sie? wird sie nicht? Sie wird! sie wird! Du Narr, sie wird dich auslachen! –
Nach einer Weile kam sie, nachlässig angekleidet, im Unterrock und mit offenem Haar, über die Schultern und bloßen Arme hatte sie ein Tuch geworfen. Ihr Gesicht war gelblich und bleich, graublaue Schatten lagen unter den Augen und die obern Fingerglieder ihrer linken Hand waren nußbraun vom Zigarettenrauchen.
Claire!
'n Tag.
Sie lächelte und setzte sich auf das Sofa, ich saß auf einem Stuhl nebenan und wollte ihre Hand ergreifen.
Bitte, nicht anfassen.
Hast du meinen Brief gelesen? Und was sagst du darauf?
Sie lächelte wieder und schüttelte den Kopf.
Claire, willst du nicht meine Frau sein? Stoß dein Glück doch nicht mit Füßen fort!
So? lachte sie und stieß einen Gummiball, der auf dem Boden lag, mit dem Fuß fort.
Nein, nichts zu machen. Und, hör mal, du mußt nun aufhören mit solchen Sachen. Es wird Zeit, daß du an zu arbeiten fängst.
Bist du verrückt?
Du verbummelst mir sonst. Ja, sieh einmal, er ist erst drei Semester – so jung! Du, der weiß noch von nichts! Und du? Was denkst du eigentlich vom Leben? Du kannst dich doch nicht immer amüsieren.
Ich mich amüsieren?
Hast du vielleicht bis jetzt etwas anderes getan?
Herrgott! ich will ja für dich arbeiten, Tag und Nacht –
Ja, um dich mit mir amüsieren zu können. Nein nein, es ist aus. Tut mir leid.
Dann nestelte sie an einer Schnur ein Medaillon hervor, das an ihrer Brust hing, und spielte damit, indem sie es hochwarf und auffing und öffnete und den gelben Haarbüschel küßte, der darin lag.
Du, jetzt singen sie – – und sie nannte irgend einen Operettentext oder was es war und begann, ihn vor sich hin zu trällern.
Claire, denk an unseren Sommer! An Kiel! Wie kann man das nur vergessen?
Ich habe es nicht vergessen, ich werd es auch nie vergessen; aber jetzt – – nein doch! Es gibt doch tausend Weiber und ganz andere als mich.
Da hast du recht.
Aber es ist besser, Sie gehen jetzt. Es hat ja keinen Zweck.
Du weißt nicht, was du tust – aber ich fahre morgen, komm noch einmal zu mir! Heute Nachmittag, ich bitte dich.
Ja, ich komme. Adieu.
Als ich die schmale Treppe hinunterging, kam mir die grimmige Lächerlichkeit meiner verunglückten Werbung nicht zum Bewußtsein. Ich dachte überhaupt nichts, ich kam mir merkwürdig frei und leicht vor, denn – ich war wohl auf dem Wege wahnsinnig zu werden. – –
Als ich des Nachmittags an ihrer Wohnung vorüber ging, stand sie am Fenster und rief mir zu, ich möchte sie in einer Stunde bei mir erwarten.
Und als sie kam, schlang sie die Arme um meinen Hals und legte ihren Kopf auf meine Schulter.
Nein, ich darf dich nicht verlassen. Aber willst du mich jetzt noch? So wie ich jetzt bin? Deine Frau werden? Laß es, Liebling, ich mache dich unglücklich. Du hast ja nun gesehen, was für eine ich bin. Aber ich kann einmal nicht anders sein, es ist ja gräßlich, daß ich so sein muß; das ist oft so, als wäre ich garnicht ich, als risse mich etwas mit – aber ich will auch nicht anders sein. Sieh, das war immer so; wenn ich an dich denke, dann muß ich weinen. Das war meine ganze Liebe. Mach es doch wie es alle machen; die amüsieren sich und nachher werden sie vernünftig.
Ja, mein Amüsement und Vernünftigwerden ist eben eigener Art. Mein Vernünftigwerden ist gerade der Entschluß, nie aufzuhören »mich zu amüsieren«. Ach! daß du mich nicht verstehen kannst! Aber du darfst mich ja nicht verstehen, ich will dich ja ganz so wie du bist.
Aber dann trieb mir die Hoffnung des Glücks die Worte wie die Wasser eines Springbrunnens hoch, und sie lag wieder mit träumenden Augen wie sonst an meiner Brust und küßte mich wie sonst und vergoß viel Freuden- und Reuetränen und versprach mir alles, was ich wollte, und gab alles zu und wir verabredeten, daß ich am nächsten Morgen fahren und sie mir in vier Tagen nachkommen sollte.
Aber was wird Herzchen sagen? Der weint sich tot. Du! ich muß ihn um acht Uhr treffen.
Claire!
Doch! das muß ich.
Gut, dann bereite ihn langsam vor.
Sie küßte mich und da es acht Uhr wurde, ging sie und ich war so dumm und ließ sie gehen. –
Nun bin ich wieder allein, die Nacht liegt schwarz und lauernd vor dem Fenster und die Lampe will jeden Augenblick ihren monotonen Singsang in bittere Worte verdichten.
Aber ich zünde mir eine Zigarette an, da verschwindet das beängstigende Lauern der Nacht und der monotone Singsang der Lampe ist nichts als ein glimmender, Petroleum fressender Docht.
Aber der narkotische Rauch verfliegt und nach einer Stunde packen sie mich doch:
Sollte das wirklich keine Berechnung sein? Sollte das Liebe sein aus – Mitleid?
Aus Mitleid geliebt – bis dahin fiel ich nicht, das danke ich mir. Aber es ist ein bitterer Dank.
Aber hätte ich's ihr denn wehren können? Hätte sie nicht, wenn ich diese Liebe aus Mitleid abgewiesen hätte, mich noch mehr geliebt? Und mich am Ende doch bezwungen wie die Welle den Fels?
Oder sollte sie mich doch noch lieben wie einst, ihre Reue echt und meine Überlegung von gestern und was die hämische Nacht und dies neidische Licht mir einflüsterte, Wortkram, nichts als Wortkram sein?
Am Ende wußte ich mich aus den Fragen und spinnfadenfeinen Abwägungen nicht anders zu retten, als daß ich mich an die vier Worte klammerte und sie gleich einem irrsinnigen Lamaisten, gleich einem Gebetfähnlein, das auf einer steinigen Halde ruhlos seine vier heiligen Worte in die Winde knattert, ewig wiederholte: ich habe dich lieb – om mani padme hum!
Das war auch ein Rauschtrank, aber einer, der nicht recht trunken macht, von ihm aus kann ich keine Abendröten bauen; aber er war von dem Tage an mein Halt, bis heute, wo ich die Luft bezwang und nun bald ausgehen werde, mir meinen echten schweren Trank zu holen – du wilde sprühende gischtende, mich weich begrabende Welle, du wirst mich schon finden, denn ich fange an, das »ich habe dich lieb« zu überwinden und wieder ein Fels zu sein! –
Nun liegen die Zeichnungen fertig vor mir, die Patentansprüche für jeden Teil, auch für den Nebenbehälter, in den die Druckpumpe das Wasser preßt und aus dem es ein Heber entfernt, sind aufgestellt; an einen Feinmechaniker wandte ich mich schon, der soll mir das Modell bauen, und dann suche ich mir Kapitalisten und Banken zu gewinnen. Und dann – halte still, mein Herz! – –
Das war heute des Morgens um Acht und totenstill. Dunst umlagerte den Himmel und Dunst lag über dem Schnee, über den das Auge streifte kaum einen Steinwurf weit. Die Stille aber, die hinter dem Dunst lauerte und ihn und mich umkrallte wie eine Schlange oder ein Ring, langte zuweilen mit der Hand hervor und stieß einen Kiefernzweig an, auf daß er eine Hand voll Schnee mit einem unterstickten dumpfen Ton und einem nachfolgenden heimlichen Rascheln fallen ließ und wir ihre Nähe nicht vergäßen.
Das war des Morgens um Acht und so totenstill wie damals, als die Einsamkeit in mein Fenster kletterte.
Die Quecksilbersäule mag einen Strich unter dem Nullpunkt gezeigt haben, aber die Luft deuchte mir warm und der Schnee reichte mir stellenweis bis zum Knie. Ich watete und watete in ihm und wollte nicht fort kommen vom Ort, meine Glieder waren wie von Blei und mein Atem ging schwer und ich wußte nicht wohin? wozu?
Ich blieb stehen, ich zeichnete mit dem Stock in den Schnee, und als ich hinsah, war's ein großes N; da zuckte es in meinem Arm, der Ring der Stille stieß mich wohl an, und als ich wieder hinsah, stand da ein großes NICHTS. Da legte ich mich in den Schnee, und lag so lange da, bis die Stille leise zu mir trat. Hinter dem Stamm einer Kiefer, unter der ich lag, trat sie hervor, weiß und vergrämten Gesichts und sah mich sinnend an. Dann begannen wir miteinander zu reden, müde und gleichgültig wie zwei Greise von einer fernen Zukunft reden.
Soll ich? Soll ich nicht?
Wir führten gelassen Gründe und Gegengründe vor, aber da ich gegen die drei Gründe: Das ist das Leben, das den Rausch erfordert und dir die Kraft nicht gibt, den Rausch zu halten, und weißt du denn, ob du nun trotz allem der Fels sein wirst, und wenn, wie lange du der Fels sein wirst, und weißt du denn, ob du überhaupt für sie noch der Fels sein magst und – kannst? – da ich gegen die nichts aufzuführen wußte, streckte ich mich aus und wollte die Augen schließen.
In dem Augenblick trat die Sonne aus den Dünsten, trüb und orangerot, und sah mich an. Lange sahen wir beide uns an, nachdenklich wie man vor dem Abschiednehmen nachdenklich ist.
Ich zürne dir nicht. Ich bitte dich nur, fortan mich schlafen zu lassen; hörst du, ewig schlafen zu lassen. Du mißfarbene Apfelsine. – –
Von der Kiefer, unter der ich einzuschlafen begann, fiel ein Ballen Schnee auf meine Nase. Eine Hand voll weißer kalter Kristalle, von dem frohen Gesang eines Zaunkönigs aus der Ruhe gebracht und von der Schwerkraft bewegt – diese plumpe Tatsache und elegante Formulierung des Rätsels, das hinter Allem liegt und lauert und wie ein Harlekin lacht, führte mich dem Leben zurück.
Danke ich's ihr? Dank ich's ihr nicht?
Und müde stapfte ich wieder durch den Schnee; der reichte mir stellenweise bis zum Knie. Es war so still und meine Glieder waren schwer wie Blei.
Ein Schwarm Krähen zankte sich um einen Fleischbrocken, den der Jagdaufseher zum Vergiften der Füchse ausgelegt hatte, und die Spuren der Hasen und Wiesel, die über den Weg in die Felder liefen, sahen hellrot in der orangefarbenen Sonne aus. –
Jetzt bin ich heimgekehrt und fahre in meiner Erzählung fort; es ist nicht mehr viel zu erzählen.
Ich fuhr am nächsten Tage nicht, sondern ging nach dem Mittagessen zu ihr. Ihre Schwester und deren Liebhaber waren im Zimmer, und sie stand vor dem Spiegel und machte sich fertig zum Ausgehen.
Du noch hier? Ich dachte dich schon lange fort.
Ich mußte dich noch einmal sehen. Kannst du nachher – –
Nein nein, ich habe keine Zeit.
Und gestern?
Ja ja. Ich gebe dir mein heiligstes Ehrenwort, daß ich nachkommen werde. In vier Tagen. Aber jetzt laß mich.
Da pfiff jemand unten, wie man einem Hund pfeift.
Da ist er schon!
Und ich trat mit ihr ans Fenster, und sah meinen Gartendieb und Practicus lumpacius, der mit verlorenen Couleurringen und Spirochäten sich ein Weib gewinnt, auf der Gasse stehen. Im schwarzen Überzieher, den Kopf zwischen die Schultern gezogen und rund und feist wie ein sorgloses Schwein, stand er da und blinzelte herauf.
Der ist doch nicht hübsch! sagte ihre Schwester.
Ich finde ihn aber hübsch!
Dann hastete sie und eilte, ohne mich eines Blickes zu würdigen, fort.
Kein Zweifel, sie »liebt« ihn.
Ich blieb noch eine Weile und sprach mit ihrer Mutter und Schwester und deren Liebhaber und ließ mir von ihnen versichern, alles für mich zu tun. Dann ging ich auch.
Und fuhr nach jenem Gehölz, wo die Schießstände sind und im Sommer das blaßgelbe Leinkraut blühte, dessen Unterlippen so rot und trotzig sind wie reiner Frauen Lippen. Ein Gartenlokal lag dort und es sollte da an dem Abend getanzt werden. So hoffte ich, sie hier noch einmal zu sehen.
Und als der Tanz begann, setzte sich ihr Geliebter auf eine Rampe, die da im Saal war, hockte dort krumm und zusammengekauert, freute sich diebisch und sah ihr aus seinen Schweinsäuglein nach, wenn sie an ihm vorübertanzte.
Als sie beide herein kamen, hatte er mich tief begrüßt, während sie mich erstaunt ansah und leicht mit dem Kopf nickte. Dann setzten sie sich so, daß sie mir den Rücken zuwandten, sie lehnte ihren Arm auf den seinen und er vergaß nicht, unaufhörlich neuen Likör für sie anfahren zulassen.
Ich sah zu und blieb tatlos sitzen.
Noch einmal tanzte sie an mir vorbei; sie tanzt so leicht. Ich trank noch einen Blick aus ihren Augen, die mich in diesen Tagen so starr ansehen, und log mir vor, heute etwas wie Kummer in ihnen zu lesen: vergiß mich doch! ich muß ja so handeln, ich bin wie die Welle –. Dann ging ich fort und wußte: sie wird nicht kommen, denn sie kann es nicht; hier ist etwas, gegen das alles Bitten und Lieben und Wollen machtlos ist. –
Die Herbststürme waren auf dem Meer erwacht und streiften nun mit ihrem tobenden Wirbel die Küsten und holten sich das letzte braune Laub und spielten Fangball mit ihm auf den Feldern. Aus den zerrissenen Wolkenbrocken lugte der Mond und glitzerte auf den Pfützen wie Katzengold. Ich grub die Hände in die Taschen und ging fürbaß. Der Lindenweg war's, auf dem wir an jenem Juliabend gingen und sterben wollten.
An einer Weghöhe, wo der Wind gleich einem jagenden Reitergeschwader über ihn setzte, blieb ich stehen und sah ihm ins Gesicht. In dem bleichen Licht dämmerte zur Linken der Wald, wo damals der Sommer um uns duftete und der Leuchtturm von Warnemünde wie ein kleiner weißer Strich am Himmel stand. Jetzt tastete er mit seinen langen Lichtfingern über die schwarze See, die fahlen Wolken und die windzerzausten Wälder und spielte auf ihnen seine wüste Rhapsodie. –
Dröhnender setzte das Reitergeschwader an mir vorüber, Regenböen ihre flatternden Fahnen und unter ihren brausenden Hufen stoben die Blätter. Mir war's, als stöbe und rollte und flatterte ich mit, ein verdorrtes zerknittertes windzerfressenes Blatt.
Ein trübes Licht, rot und drohend, hing und zuckte über der Stadt. Das wird eine böse Nacht, die wird keinen braunen Mohnsaft auf mich gießen. –
Ich irrte noch manche Stunde in den Straßen umher, bis ich merkte, daß ich vor dem Hause ihres Geliebten stand, in dessen Zimmer bis in den Morgen das Licht brannte.
Des Vormittags um Zehn, da es leicht gefroren hatte, fuhr ich ab. –
Es war inzwischen November geworden. In einer westdeutschen Universitätsstadt schlug ich mein Heim auf und wußte in den Tagen nichts Besseres zu tun als Tag für Tag ihr zu schreiben. Viel unglaublich närrisches Zeug schrieb ich da. Und sonst sah man mich ruhlos auf den Straßen laufen oder stumpfsinnig in Cafés hocken, oder ich brütete schwermütig auf meinem Zimmer und war nichts als ein Spuk und mein Name.
Als der vierte Tag kam, wußte ich, daß er sie mir nicht bringen würde. Aber ich schmückte mein Zimmer mit Blumen und putzte sogar einen alten Schläger blank, dann erwartete ich sie zu dem Zuge, den ich ihr angegeben hatte. Sie kam nicht und auch keine Antwort kam. Ich schrieb und schrieb; in diesen Tagen hing der Wahnsinn über mir und betastete stündlich mit seinen weichen Fingern mein Haupt. – Von ihrer Schwester erfuhr ich schließlich, daß sie krank bei jener Freundin läge. So war es denn aus. Aber ich schrieb weiter, Tag um Tag, und stärkte dadurch nur ihre Liebe zu jenem Andern. Und da keine Antwort kam, schickte ich auch diesem einen Brief, in dem ich an seinen Edelmut appellierte und ihn bat, sie frei zu geben, da ich sie zu meiner Frau machen wolle.
Aber als ich mich am nächsten Morgen im Spiegel sah, kaufte ich mir eine Hundepeitsche und reiste mit dem nächsten Zug ab, um in dem Anblick der Striemen, die ich in sein Gesicht peitschen wollte, mich wieder vor mir rein zu waschen. Doch in Bremen stieg ich aus und fuhr mit dem andern Zuge, der da schon wartete, wieder zurück.
Ich sehe mich ja in diesem Handel mit den Augen an, mit denen jener Lump mich ansehen muß, und erhöhe ihn noch mehr, wenn ich mich in den seinigen rehabilitieren wollte. Der Erfolg dieses Briefes, der nichts ist als ein ratloses Flehen an ein imaginäres Ding von Edelmut, der nichts anderes ist als jenes Gebet gegenüber einer ehernen Unerbittlichkeit, und der nichts anderes ist als das Zeichen meiner völligen Vernichtung, wird nur der sein, daß ich ihre Liebe zu ihm nun zu hellen Flammen geschürt habe.
Aber als ich von dieser Fahrt heimgekehrt war, konnte ich nicht mehr mit mir allein sein, ich mußte meine Bekannten aufsuchen und des Nachts verbannte ich meine entsetzliche Einsamkeit durch das Lesen von Spukgeschichten und lasziver Literatur.
Und die Antwort auf dieses Alles war, daß mir eines Abends ein Kuvert gebracht wurde, in dem auf einem halben Briefbogen mit Bleistift wörtlich geschrieben stand:
»Möchte dich bitten, nicht mehr zu schreiben. Ich habe mich gestern so mit mein Verhältnis verkracht und möchte mich doch nicht erzürnen. So lieb du mich hattest, so unglaublich bin ich jetzt in Herrn ... verliebt. Es ist so schlecht von mir, aber ich kann nicht anders. Also unterlaß das Schreiben.«
Als ich das gelesen hatte, kniff ich die Lippen zusammen und begann, da ich das Gefühl hatte, als müßte ich jeden Augenblick aufbrüllen wie ein gequälter Stier, unaufhörlich zu trinken; aber ich ward nicht trunken, es war als hätte ich ein Viperngift eingenommen. Am nächsten Tage flüchtete ich in dieses Dorf jenseits der Hyperboreer und vergrub mich hier, während der Dezembernebel vor meinem Fenster hing und nicht rücken und weichen wollte, dieser Bauch der Schwermut. Und ward stumm wie ein Fisch und unfaßbar wie ein Gespenst. Bis der erlösende Frost und Schnee kam und mit ihnen der Gedanke, Herr zu werden über die Luft, und der Wille, wieder ein Fels zu sein. Geschrieben habe ich ihr in diesen Tagen nicht mehr; ich will den Felsen nicht weiter stärken und die Welle bei ihrer Arbeit nicht hindern. –
Zwei Monde sitz ich nun hier, und in einem Mond bezwang ich die Luft. Während ich mich selbst zerschnitt, erkannte ich mein Ziel und im Schmerz fand ich den Weg zu ihm.
Mit Wissen und Willen gehe ich nun abseits. Ich kenne nicht das, was auf den Straßen schreit, ich kenne nicht das, was von den Kathedern fließt, ich kenne nicht das, wovon die Weisheit der Welt träumt, ich kenne nicht das, was der Gedanke spinnt, was der Zweifel glaubt und der Glaube zweifelt, ich kenne nur das, was der Körper fühlt und das Auge sieht. Am Meer wollen wir wohnen, dort, wo es am reinsten ist, und dort will ich dein sein, dein süßes Spielzeug und lieber Tand. Unter einem Ölbaum in unserem Garten wollen wir sitzen und auf das Meer sehen, das noch blauer ist, als der Himmel über ihm. Des Nachts aber soll dein Haupt wieder in meiner Schulter ruhen und kein häßlicher Traum über deine kleine Seele gehn. Und leise rauscht das Meer, der Himmel wölbt sich über ihm Stern an Stern und eine weiße Möwe schwimmt zwischen Himmel und Erde –: still ist die Welt und schön wie ein Traum. –
Nun sind die ersten lauten Briefe über meine Erfindung in die Welt geschickt! Ein Mechaniker ist mit seiner Werkstatt nebenan und baut das Modell! –
Heute Mittag langten die Antworten an: das Geld liegt bereit! Die Arbeit, die widrige beginnt. Das Reden und Überlegen mit Menschen, deren Reden und Überlegen mir fremd ist, das Anstrengen und Rechnen und Tüfteln und Kombinieren, das Erwerben um des Erwerbens willen, das mir alles von Herzen widersteht. Aber im breiten Strom strömt schon die Macht zu mir, leise hör ich ihr Rauschen.
Und diese Blätter, die ich in zwei Monden schrieb, um acht böser Wochen Herr zu werden, die werden wir am Ostersonntag, wenn sie lachend und weinend in meinem Arm liegt, Bogen auf Bogen zu einem Scheiterhaufen aufbauen und mit ihnen das halbe Jahr verbrennen, das über unsere Liebe fiel wie ein Spuk und Reif. Sie sollen nicht leben bleiben, denn ich fürchte, es ist neben der Narrheit zu viel Selbstbetrugs in ihnen; sie sind wahr, wie nur ein Ding wahr sein kann, aber nur für den, der sie schrieb, und nur in den Stunden, in denen sie geschrieben sind. Schon jetzt, wenn ich in ihnen blättere, kommen sie mir vor, wie eine fremde unheimliche Welt. –
Der Januar geht, die Tage werden schon länger und unter dem Schnee lauert der Lenz – er kommt! er kommt!
Und nun die Frage, die über mich entscheiden soll und die ich bisher niederhielt, weil ich sie niederhalten mußte:
Wie ist es mit dem Rausch? Sollte die Möglichkeit, die Fragwürdigkeit der Welt zu vergessen in interesseloser Anschauung und passivem Genießen, das ist mein Rausch, wirklich für mich gebunden sein an das Bewußtsein, von einem Dirnchen geliebt zu werden, von dem ich fürchten muß, daß es mich in jeder freien Stunde betrügt?
Sollte diese Verkettung wirklich vorhanden und notwendig oder – gar nur möglich sein? Könnte da nicht eine Selbsttäuschung liegen, ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, das ich mir kausal gedeutet habe?
Ich will nur nach der Möglichkeit dieser Verknüpfung fragen.
Mein Wille kommt in ihr, als in dem entgegenkommenden eindeutigen Trieb, zur Ruh. Aber auch mein fragender suchender Geist?
Flüchtet auch er vor dem Vieldeutigen zu ihr? Der Geist zum Trieb? Zum Willen? Sollte er nicht vielmehr Ruhe finden in einer Formel, einem Symbol und Bild? Und sollte sie, der unzweideutige und in seinen Äußerungen doch so mannigfache und rätselhaft schillernde Trieb, für ihn ein Symbol sein?
Ein Symbol für die Eindeutigkeit der vieldeutigen Welt, an deren Buntheit und unendlichen Rätselhaftigkeit er sich nun, da er sich ihrer Eindeutigkeit bewußt bleibt, erst erfreuen kann?
So kann es sein.
Ein Fehler bleibt trotzdem. Denn ich sehe keinen Grund, weswegen der Geist, den ich – zwar nicht ohne Absicht – zum Diener des Willens gemacht habe, gerade in demselben Gegenstand sein Symbol sehen muß, in dem sein Herr zur Ruhe kam. Er könnte in jedem fremden Gewächs und Tier das Symbol sehen. Warum gerade in ihr? Warum gerade in dem liebenden Weib? Warum gerade im Trieb? Warum gerade im konzentriertesten Leben?
Und bedarf er überhaupt des Symbols? Ist für ihn dieser Umweg nötig? Kann nicht für ihn die einfache Erkenntnis, wenn sie in ihrem Ausdruck – und nicht nur in ihrem Ausdruck – auch immer bildlich bleibt, genügen?
Und bedarf er des Symbols doch, so kann ich höchstens ein zufälliges Zusammentreffen beider Richtungen, des ruhesuchenden Willens und symbolsuchenden Intellekts, in jenem einen Wesen annehmen – ein zufälliges Zusammentreffen im Knotenpunkt des Lebens!
Aber zufällig – das heißt hier und in meinem Mund soviel wie eine Flucht zum Glauben und Wunder. Hier steckt der Fehler. Die Möglichkeit der Verknüpfung ist da, aber meine Deutung dieser Möglichkeit ist – falsch.
Und der Fehler steckt in der Trennung von Körper und Geist, von Wille und Intellekt, wie er ebenso steckt in jenem Knoten, den ich mir geknüpft haben wollte aus Denken und Gefühl – ich brauche ihn garnicht so gewaltsam mit Pulver und Blei zu durchhauen – er steckt in meiner Trennung von Ich und Welt, er steckt in meinem Rausch und meinem Bedürfnis nach Rausch, er steckt in meiner Müdigkeit, die doch zugleich etwas Aktives, heftig Abwehrendes ist, er steckt in meiner Schwäche, die doch auch meine Stärke ist, in meiner Krankheit, die doch zugleich meine Gesundheit ist, in meinem Pessimismus, der andererseits Optimismus ist, er steckt in meiner ganzen Haarspalterei der Liebe, in dem Sich-selbst-Aufgeben und -Auflösen, das doch gerade so gut ein gewaltsames Zusammenraffen und Konzentrieren ist, in meinem Wunsch geliebt zu sein, der aber seinerseits keine Liebe sein will, in meiner Liebe, die keine sinnliche sein will, aber doch Liebe ist zu der mich sinnlich Liebenden, er steckt in allen Begriffen, mit denen ich bisher operierte, – denn er steckt in der Sprache selbst, die willkürlich trennt und Grenzen setzt, wo alles grenzenlos ist und fließt, die die Dinge meistern will, während sie von den Dingen getrieben wird, die Dinge haben eben keine Grenzen, es ist alles Bedingtheit, Verkettung und Strom –: das Denken ist Stückwerk und Dunst und ewige Gefahr, das Wort ist Trug und die Schrift ist Gift, der Satz ist eine Schlange und giftige Verführerin und das Buch ein Knäuel von ihnen. Bild und Körper, das ist's, und die goldne Ruh.
Und so ist es gut, daß ich nicht nötig habe – weil es zwecklos ist –, über die Möglichkeit dieser Verknüpfung und die Tatsächlichkeit des Rausches weiter nachzugrübeln. Zwei Augen blau wie die See, die Locken blond wie Gold und ein Gesichtchen geschnitten zart wie das einer Gemme, das sei das Ziel, der Wunsch, der Trieb, das Glück, die Ruh – der Frieden!
Über den verschneiten Feldern schwindet der Tag und hinter dem letzten Hügel, der da aufragt wie eine volle Frauenbrust, ging die Sonne und wirft flockigen Schaum auf. Der stäubt in bleichem Pfirsichrot über das Meergrün des Himmels. Der Wind schweigt und die Kälte kommt, still ist die Welt – schläft sie? stirbt sie vielleicht? Aber auf purpurnen Fittichen leuchtend und brausend fliegt mein Sehnen über ihr, mein leuchtendes brausendes Sehnen: die wieder zu umarmen, die meines Lebens Glück und Elend ist!
Am Tage vor Ostern fuhr er nach seiner früheren Garnison. Aber er sah sie nicht mehr, die er suchte; sie hatte sich und ihren Geliebten, nachdem sie auch ihm untreu geworden war, vor einigen Wochen erschossen. So irrte er den Tag über in den Straßen umher und erhängte sich gegen Sonnenuntergang draußen in einem Gestrüpp. – Dort fand man ihn. Seine Taschen waren voll von Wertpapieren und zu seinen Füßen lagen diese Blätter, vom Nachtwind über das Gras gestreut, an dessen Halmen der Tau in hellen Tropfen hing.
Dann rollte die Sonne herauf und die Drehorgel ging ihren alten Gang.
Ende