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Schlußwort

Die neue Ausgabe dieser »Glückseligkeitslehre« ist aus dem Wunsche entstanden nach einer brauchbaren Ethik für den katholischen Laien. Eine solche besitzen wir noch nicht. Von allen Versuchen dazu ist der vorliegende immer noch der beste, auch für die Menschen der Jetztzeit, trotz seines Titels und anderer Aeußerlichkeiten, in denen der Verfasser sich als Kind seiner Zeit erweist. Unabhängig von diesen Zufälligkeiten ist der sittliche Ernst und die nie verzagende Liebe, mit denen der Verfasser auf dem bleibenden Fundamente seiner tiefen Glaubensüberzeugung, seiner innigen Frömmigkeit, seiner vornehmen Denkungsart und seiner hervorragenden pädagogischen Begabung diese Ethik aufbaut und jene Grundsätze echt christlicher Gesinnung und verantwortungsbewußten Handelns darlegt, die für alle Menschen aller Zeiten Geltung haben, die es ernst nehmen mit der in ihrer natürlichen und übernatürlichen Berufung verankerten Daseinsaufgabe und Wesensbestimmung. Das, was Sailer so gern in die Worte kleidet: »Sei Mensch« und »Sei Christ« umreißt das Wesentliche seiner Glückseligkeitslehre und gibt damit zugleich uns das Recht, sie von jenen Zufälligkeiten loszulösen, mit deren Hilfe er den Menschen seiner Tage, in ihrer Sprache, dienen wollte, um das Bleibende zu finden, das sein Buch allen Menschen, allen Christen zu geben hat und gibt. Die » stete Hinsicht auf die Urkundendes Christentums«, die ihm als einem der gläubigsten Katholiken aller Zeiten eine Selbstverständlichkeit war, gibt uns die Sicherung, daß der Versuch dieses erfahrenen und vielleicht größten Meisters der Pädagogik, den die katholische Kirche in den letzten zweihundert Jahren uns geschenkt hat, eine » Glückseligkeitslehre aus Gründen der Vernunft« zu geben, wahrhaft eine Frucht der durch den Glauben erleuchteten Vernunft ist, die, wie sie von Gott stammt, so auch wirklich zu Gott führt.

Diese Ausgabe gab sich Mühe, die erste knappere Fassung, die Sailer selbst seiner Glückseligkeitslehre in der »Einleitung zur gemeinnützigeren Moralphilosophie« gab, überall da zu Grunde zu legen, wo nicht die erweiterte eigentliche »Glückseligkeitslehre«, die bald jener ersten Einleitung folgte, der größeren Anschaulichkeit und Klarheit wegen zur Verdeutlichung herangezogen werden mußte. Diese eigentliche »Glückseligkeitslehre« ist zuletzt unter Anleitung des Verfassers neu herausgegeben worden als »dritte, durchaus revidierte, neu bearbeitete und vermehrte Auflage« von Joseph Widmer (Sulzbach 1830), dem verdienten Schüler und Herausgeber der gesammelten Werke und Schriften Sailers. Ist sie auch an manchen Stellen eine Erweiterung der ursprünglichen Sailerschen Fassung, so ist diese Erweiterung doch nie anders geschehen denn durch solche Gedanken und Ausführungen, die von Sailer selbst stammen und in anderen seiner Schriften niedergelegt sind. – Die vorliegende neue Ausgabe glaubte im gleichen Sinne Sailers zu handeln, wenn sie solche Kürzungen und leichtere Umschreibungen vornahm, die das Buch unserem sprachlichen Empfinden und dem Verständnis des heutigen Leserkreises näher bringen. Doch tat sie dies mit aller Zurückhaltung und voll Ehrfurcht. Vor allem wurden solche Aenderungen, die mit der sprachlichen Form zugleich den Inhalt treffen konnten, nur an ganz wenigen Stellen vorgenommen, nur da, wo es des höheren Zieles wegen unumgänglich notwendig schien. Ist ja diese Ausgabe vorzüglich für den Mann des Volkes bestimmt und es ging nicht an, schon wegen der höheren Unkosten nicht, sie durch gelehrten Ballast und viele und ausführliche Anmerkungen zu beschweren. Darum mußten jene geringfügigen Aenderungen vorgenommen und Weitschweifigkeiten vermieden werden, immerdar aber unter peinlichster Schonung auch des sprachlichen Charakters der ursprünglichen Ausgabe. Ist ja die Sprache des Schriftstellers ein Kennzeichen seines Geistes, das man nicht entbehren mag, auch nicht, wenn sie uns heute ungewohnt klingt. Sailer hat seine Sprache, die zu ihm gehört und die man – und damit ihn, seine Art und seinen Geist – liebgewinnt, wenn man sich ein wenig in sie einlebt.

Der »herrliche« Sailer, wie ihn Clemens Brentano nennt, der »heilige« Sailer, wie wir heute immer mehr erkennen, ist nicht tot, wenn er auch schon (geb. 1751, Universitätsprofessor in Ingolstadt und Landshut) 1832 als Bischof von Regensburg die Augen für diese Welt schloß. Er lebt weiter durch den geistigen Einfluß, den er als Erzieher auf das katholische Deutschland ausübt, er lebt fort für uns in seinen Schriften. Immer mehr Leser kehren zu ihnen zurück. Immer tiefer wirken sie auf alle, die in Deutschland noch etwas von echter katholischer Art spüren. Diese neue Ausgabe eines seiner bekanntesten Werke möchte ihren Teil dazu beitragen, daß das, was unsterblich ist an Sailer und ihn hinaushebt über alle Eigenheiten, auch alle Fehler und Mängel seiner Zeit und seiner Schriften, immermehr als der Weg zu wahrer Freude und echtem Frieden erkannt werde, zu jener Glückseligkeit, die der edle bischöfliche Führer meinte, wenn er dazu anleiten wollte: Glaube in Liebe.

In dieser Hinsicht ist Sailer selbst das beste Beispiel seiner eigenen Lehre. Und so stehe denn hier, statt eines ausführlichen Lebensbildes von ihm, das Wort, das sein Lieblingsschüler, der spätere Kardinal-Fürstbischof von Breslau, Melchior Diepenbrock, vom Jahre 1852 über ihn niederschrieb:

»Sailer genoß weithin bei den Edelsten und Besten den wohlverdienten Ruf und Ruhm eines ausgezeichneten Lehrers und eines beredten Predigers, gelehrten Theologen und fruchtbaren Schriftstellers, erleuchteten Seelenführers,. frommen Priesters und apostolischen Bischofs, kurz: eines trefflichen großen Mannes. Er. war dies alles in hohem Grade; aber noch viel größer erschien er mir im täglichen vertrauten Umgang als Mensch, als Christ. Ich kann vor Gott versichern, ich habe ihn nie klein, nie sich ungleich, nie stolz oder eitel, nie gereizt, nie entmutigt, nie erzürnt oder verdrießlich, und wenn auch zuweilen tief verletzt und betrübt, doch nie außer Fassung, nie leidenschaftlich bewegt, stets seiner selbst würdig gefunden, habe ihn stets als ein Musterbild vor mir stehen sehen, an dem man sich erheben, erbauen und lernen konnte: ein Mann, ein Christ zu sein.«

J. M. Nielen.


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