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2. Kapitel.
Die Klempnerstochter.

Schon mehr als ein ganzes Jahr seit Julians Abreise zur Armee war vergangen, aber er hatte noch immer nicht geschrieben und auch sonst war keinerlei Nachricht über das Schicksal des jungen Soldaten in die Rue Mouffetard zur Familie Roblot gelangt. Der Klempner war öfters auf das Kriegsministerium gegangen, um sich nach Julian zu erkundigen, doch da er sich weder auf die Empfehlung eines Senators noch eines Staatsrats noch irgendeiner andern einflußreichen Person berufen konnte, so hatte man ihn kurz abgefertigt, ein gewisser Julian d'Hervilly sei 1806 mit seinem Regiment von Straßburg abmarschiert, um den Feldzug gegen Preußen mitzumachen, sein Regiment habe öfters dem Feinde gegenübergestanden, und daher wäre es nicht ausgeschlossen, daß der betreffende Soldat auf dem Schlachtfelde geblieben, im Hospital gestorben sei, oder daß er auch vielleicht in Gefangenschaft geraten wäre. Doch man versprach dem Klempner, man wolle bei Gelegenheit Nachrichten über Julian d'Hervilly einziehen und sie ihm zustellen. Das war dem Klempner gegenüber eine besondere Aufmerksamkeit von seiten der Beamten.

Vater Roblot hatte sich über den wenig freundlichen und noch weniger tröstlichen Bescheid zum mindesten recht geärgert. Doch er hatte gut sagen, daß er ein alter Veteran von Valmy, Pensionist und dazu noch im Besitz eines höchst ehrenvollen Abschiedes nach langjähriger Dienstzeit sei. Die Bureaukraten am grünen Tisch des Ministeriums lachten ihm ins Gesicht, als er noch besonders hervorhob, daß der Kürassier, nach dem er sich erkundige, sein künftiger Schwiegersohn sei, sie kehrten ihm den Rücken zu und plauderten unter sich über die neuesten Vaudevilles der Herren Barré, Radet und Fontaines, oder von »Hektors Tod«, der Tragödie eines Herrn Lucius de Lanceval, die auf besonderen Befehl vom Théâtre français aufgeführt wurde, und deren wirklicher Verfasser kein Geringerer als Se. Majestät der Kaiser und König, Protektor des Rheinbundes, Vermittler der Schweiz usw., sein sollte und es auch tatsächlich war. Vater Roblot fühlte das Blut in seinen Adern kochen, seine Hand ballte sich, aber der angewöhnte Zwang der Kriegsdisziplin hielt ihn vor unbesonnenem Ausbruch zurück. Er fand sich damit ab, diesen Affen, die einen alten Braven wie einen fortgejagten Kutscher behandelten und denen es Spaß machte, eine besorgte Familie in fortwährender Angst schweben zu lassen, einen verächtlichen Blick zuzuwerfen und entfernte sich.

Der wackere Klempner kehrte aber in recht schlechter Laune nach Hause zurück, und als Therese, die ihn unter der Haustür erwartet hatte, ihm entgegensprang und eilig fragte: »Nun, Vater, wie steht's mit Julian?«, antwortete er kurz:

»Liebes Kind, die im Ministerium haben keine Nachrichten von ihm. Aber keine Nachrichten sind gute Nachrichten, sagt das Sprichwort. Wir müssen uns eben noch gedulden. Alles kommt am Ende doch zum Ziel, wenn man's nur abwarten kann. Das ist auch ein sehr empfehlenswertes Sprichwort.« – – –

Als aber anderthalb Jahre mit dieser Zuversicht vergangen waren, war die Geduld des jungen Mädchens erschöpft. Granatblüte befürchtete, Julian sei den guten Lehren ihres Vaters allzusehr gefolgt und gleich nach seinem Eintritt ins Regiment bei einem Duell geblieben.

Sie teilte diese Befürchtung auch ihrem Vater mit, und um sich gleichsam in dieser fixen Idee noch zu bestärken, fügte sie noch bei: »Denn wäre das nicht der Fall, so hätte er uns doch gewiß wenigstens einmal während der drei oder vier Monate geschrieben, die er in Straßburg zubrachte.«

»Therese,« entgegnete Vater Roblot, »es gibt etwas noch viel Wahrscheinlicheres als diese Vermutungen. Nichts ändert Herz und Gedanken mehr als Reisen und Garnisonleben. Es läßt sich zwar nicht leugnen, daß Pferde striegeln lernen, Kürasse blank putzen und dergleichen Dinge einem angehenden Kavalleristen genug Schweiß kosten und zu schaffen machen. Doch das hindert ihn noch lange nicht, hier und da mal ein freies Viertelstündchen zu finden, um seiner Braut zu schreiben. Dazu ist Julian mehr als ein anderer Meister des Wortes und der Feder. Ich glaube daher nicht anders, meine arme Tochter, als daß er dich vergessen hat und seine Abwesenheit benutzt, um Stillschweigen zu bewahren. Tröste dich also und mach' dir keine Sorgen um einen Undankbaren. Julian hat dich aus seinem Herzen und seinen Gedanken gestrichen.«

»O nein, mein Vater, gewiß nicht! Julian kann mich nicht vergessen haben, Julian ist kein Undankbarer. Sein Stillschweigen muß andere Gründe haben, die ich nicht erraten kann. Er muß entweder tot, verwundet oder gefangen sein. Sie sollten zufrieden damit sein, mein Vater, daß Sie das Unglück durch Ihr Verlangen herbeigeführt haben, und jetzt nicht noch Julian Unrecht tun.«

Bei dem Wort Verlangen runzelte der Klempner die Stirn. Als er aber in den abgemagerten Zügen seiner geliebten Tochter tiefen Schmerz und Ergebung sah, antwortete er majestätisch, wie Napoleon bei der von ihm niemals befohlenen Hinrichtung des Herzogs von Enghien:

»Was ich getan habe, mußte ich tun. Und hätte ich es nochmals zu tun, so würde ich wiederum so handeln.«

Indes war es einem beim Pfandhaus angestellten Verwandten Roblots, dem Herrn Renard, der ein guter Redner und ein ebenso großer Sachverständiger in Zivildingen war wie Vater Roblot in Kriegsangelegenheiten, gelungen, mit Hilfe der Köchin des Schwagers der Kammerjungfer der Mutter des Kriegsministers in Erfahrung zu bringen, daß das erste Kürassierregiment in dem Gefecht bei Deppen, hauptsächlich aber in der Schlacht bei Friedland, Wunder der Tapferkeit verrichtet, leider dabei aber auch zwei Drittel seiner Mannschaft verloren hatte. Renard bemühte sich, Granatblüte diese Nachricht möglichst schonend beizubringen, und in der Tat glaubte nun das junge Mädchen allmählich, ihr Liebster sei auf dem Schlachtfelde geblieben. Ihre Traurigkeit nahm zu, die Lilien und das Rosenrot ihrer Wangen, einst so rein und glänzend, hatten sich in die blassen Veilchen düsterer Melancholie verwandelt. Ihre Augen verloren Feuer und Glanz, ihre Lippen entfärbten sich und erblichen allmählich, und die bis dahin nur durch Mut und Stolz mühsam zurückgehaltenen Tränen brannten auf ihrem Herzen. Man hörte kein fröhliches Wort mehr von ihr, man sah sie sich nicht mehr schmücken. Die Arbeit nahm die Stelle der unschuldigen Freuden ein, denen sich ein siebzehnjähriges Mädchen hingibt. Granatblüte, die jenen stoischen Charakter besaß, den Plato einen königlichen nennt, suchte ihren Kummer durch unausgesetzte Beschäftigung zu unterdrücken.

Thereses Betragen konnte dem beobachtenden Blick einer Mutter nicht entgehen, und selbst Vater Roblot merkte die plötzliche Änderung im Wesen Granatblütes. Das völlig spartanische Leben ihres Kindes beunruhigte die Eltern, und sie befürchteten ein trauriges Ende. »Denn durch den Gebrauch der Scheide wird die Klinge stumpf«, sagte der alte Soldat zu seinem Freunde Renard.

Bei solchen Umständen hatten mehrere Freunde der Eltern den guten Rat gegeben, ihre Tochter wohl oder übel zu einiger Zerstreuung zu zwingen. Renard führte auch die Familie eines Nachmittags in den Florasaal, der unter dem Kaiserreich das beliebteste Vergnügungslokal des Militärs war. Das hieß Vater Roblot in sein Element versetzen, den Fisch in den Teich werfen. Kaum hatte er den Ort nur betreten, da stand sein Entschluß schon fest, jeden Sonntag mit Frau und Tochter hierher zu kommen.

»Meiner Treu, ich hätte nie geglaubt,« sagte der Klempner zu seinem Gevatter, der ihn einführte, »daß der Ball des Florasaals eine so schöne Gesellschaft von Soldaten und Damen vereine.«

»O gewiß, meine Freunde,« entgegnete Renard, der gern jede Gelegenheit benutzte, um sein Licht leuchten zu lassen, »der Besitzer dieses Lokals hätte den Ball nach der Bellona, der Pallas oder dem Herkules zu benennen. Doch das würde meilenweit nach Charlatanerie gerochen haben, und das Militär wäre nicht in die Falle gegangen. Dagegen steht die vorteilhaft bekannte Göttin Flora, der dieser Verein geweiht wurde, bei dem schönen Geschlecht im Rufe der Heiligkeit. Es ist dieselbe Göttin, die bei den Heiden als Beschützerin der Blumen und Haine galt. Sie aber wissen doch, Gevatter,« fügte der Soldat neckisch hinzu, »daß der französische Soldat sich stets geschmeichelt fühlt, wenn er den Schönen, den Blumen und dem Sieg den Hof machen kann.«

»Das ist wahr«, entgegnete der alte Krieger der Republik. »Die Schönen, die Flasche, den Sieg und die Pfeife, da haben Sie die vier Heiligen des Soldatenkalenders.«

»Das sind Ihre vier Evangelisten,« versetzte Renard, »sie haben mehr Verehrer in ihrem Gefolge als die, von denen die Heilige Schrift spricht.«

Man fragt uns vielleicht wie es kam, daß ein Pfandhausbeamter, ein Zivilist, mit einem Worte ein Pekin, Zutritt zu den Bällen im Florasaal finden konnte. Nun, Herr Renard hatte damals einen weitläufigen Vetter, einen Sergeanten bei den Sappeurs vom 10. Linienregiment, das in der Militärschule in Garnison lag. Der Vermittlung dieses Unteroffiziers verdankte die Familie Roblot den Zutritt zu diesem ausgesprochen militärischen Zirkel. Renard, ein Witwer, Flaneur und Schwätzer, aber der Familie des Klempners mit Leib und Seele ergeben, betrachtete es als Ehrensache, seinen Freunden etwas Zerstreuung zu verschaffen, die der Zustand Granatblütes erforderte. Durch einen jener Zufälle, wie sie manchmal im Leben vorkommen und dessen Widerwärtigkeiten tragen helfen, fügte es sich, daß der Sappeursergeant Bouffard ein ehemaliger Angehöriger des 57. Regiments war, bei dem, wie gesagt, Roblot lange als Grenadiersergeant gedient hatte. Der alte Soldat erkannte ihn bald, und diese Bekanntschaft hatte natürlich Gelage in Menge und unzählige Erklärungen, Vergleiche und Erinnerungen von seiten des alten Regimentskameraden zur Folge.

»Wie man sich doch so trifft«, rief Vater Roblot. »Julian d'Hervilly mußte abreisen, Granatblüte melancholisch werden und ich selbst daran verzweifeln, jemals meine gute Laune wiederzubekommen, da begegnen wir uns hier, du, Bouffard und ich! Du hättest hundertmal an meinem Laden vorübergehen können, ich würde dich bei deinem stattlichen Aussehen und deinem prächtigen Bart nicht mehr erkannt haben.«

»Beim Himmel, mein Alter,« antwortete Bouffard, »das wundert mich gar nicht! Denken Sie nur, wie lange das her ist, daß Sie das 57. Regiment verlassen haben. Sie gehörten damals schon zu den Alten, und ich war erst Rekrut.«

»Ach ja, du warst kaum ein Mann, aber ich sah damals schon voraus, daß du es zu etwas bringen würdest. Du hattest Lust am Handwerk und betrugst dich gut gegen deine Vorgesetzten.«

»Was Sie indes nicht hinderte, Vater Roblot, mich öfters als nötig nachexerzieren zu lassen, denn Sie waren gegen die Gelbschnäbel und Rekruten unerbittlich.«

»Geschah bloß, um die Disziplin aufrechtzuerhalten und dem Geist des jungen Soldaten die unbegrenzte Liebe zur Pflicht einzuprägen. Du siehst doch, daß meine Strenge dir nichts geschadet hat. Denn du bist jetzt dekoriert und hast es zum Sappeursergeanten in einem der berühmtesten Regimenter, wohlverstanden, nach dem 57., gebracht.«

»Nun, das ist schon wahr, und ich hätte es vielleicht auch schon weitergebracht, wenn ich korrekt lesen und schreiben könnte. Was ist aber da zu machen? Man muß sich eben mit seiner Ungeschicklichkeit trösten und mit den Sergeantenborten zufrieden sein, wenn man die Epauletten nicht erwischen kann.«

»Das ist wahre Philosophie, Bouffard, und daran muß man in allen Lebenslagen festhalten. Dort beim 57. habe ich auch längere Schlangen verschlucken müssen, als wie es der Stock unseres Regimentstambours war; ich mußte mehr Gelbschnäbel mit Offiziersrang an meinem Bart vorübergehen lassen als Schnapsgläser an meinem Gaumen. Aber die konnten eben lesen und schreiben, während ich nur mein Kreuz zu machen und mit Mühe meinen Namen zu kritzeln verstand. Dabei aber habe ich mir die Erfahrung gesammelt, was eine gute Erziehung wert ist, und daher nicht versäumt, meiner hier anwesenden Tochter sorgfältigen Unterricht erteilen zu lassen. Sie liest wie ein Schulmeister, schreibt wie ein Notar und rechnet wie ein Zahlmeister. Doch, apropos, Bouffard, solltest du denn meine Tochter Therese, das heißt Granatblüte, deinen alten Liebling, nicht wiedererkannt haben? Da, betrachte sie dir einmal.«

Bei diesen Worten errötete das junge Mädchen und blickte zu Boden. Der Sappeur wich vor Staunen und Bewunderung zurück, dann aber suchte er seiner Stimme einen freundlichen Ton und seinem Benehmen mehr Anstand und Würde zu verleihen und sagte endlich, nachdem er seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und seinen langen Vollbart mit der Hand geglättet hatte, zu Granatblüte:

»Entschuldigen Sie, mein Fräulein, Sie waren zu der Zeit, von der wir reden, kaum erst so groß wie eine Voltigeursgamasche. Aber Sie wurden damals schon sehr hübsch, weshalb unsere Vorgesetzten Sie nie anders als Mignonnette nannten. Jetzt ist das anders, Sie sind eine stattliche Person geworden, und ich hätte nicht mehr gewagt, zu Ihnen oder zu jemand anderem zu sagen: Da, seht die kleine Granatblüte vom 57. Regiment, die auf einem Grenadierstornister als Sattel Frankreich von einem Ende bis zum andern durchzogen hat. Seht das kleine Mädchen, das mit Musketenriemen spielte und alle Grenadiere an den Schnurrbärten zauste. Seht den kleinen Engel, mit dem wir Regimentskinder Suppe und andere Lebensmittel teilten, die uns die Regierung anwies, als wir noch nicht zu den Verwundeten und Kranken gehörten, die dem Regiment zu Wagen nachfolgten!«

Therese errötete noch mehr, als sie diese Einzelheiten aus ihrer Kindheit hörte. Aber ohne ihre gesetzte Haltung und ihr ernstes Wesen aufzugeben, antwortete sie dem Sappeur mit trübem Lächeln:

»Sie haben ein gutes Gedächtnis, Herr Bouffard, und ich kann mir dazu besonders Glück wünschen.«

»Aber Gott verzeih mir,« unterbrach sie der Klempner und wandte sich an Bouffard, »ich glaube gar, du hast auch Granatblüte auf den Schultern getragen?«

»Das will ich meinen,« antwortete der, »und dazu noch bei einer bekannten Gelegenheit. Es war, wenn Sie sich erinnern, beim Übergang über den Rhein, den wir damals etwas rascher überschritten als mit dem Stock in der Hand, denn der Feind war so höflich und begleitete uns mit schweren Kanonenschüssen. ›Komm her, Bouffard,‹ sagten Sie mir damals, ehe wir die langen Barken bestiegen, die in aller Eile höchst notdürftig gezimmert waren, ›komm her, mein Junge, da nimm Granatblüte und setze sie rittlings auf deinen Tornister.‹ – ›Recht gern, mein Sergeant,‹ antwortete ich, ›setzen Sie das Kind nur selbst hinauf.‹ – Und alsbald hoben Sie das Mädel auf meinen Tornister, der gar nicht groß war, denn wir hatten damals weder Brot noch Schuhe zum Einpacken. Das war gut, das Kind hatte seinen Sitz eingenommen. Aber ich mußte schießen, denn die verfluchten Kaiserlichen saßen uns auf dem Nacken. Ich fing an zu plänkeln wie die andern, und hütete mich dabei wohl, mich umzudrehen, um mein Gewehr zu laden, aus Furcht, wenn ich dem Feind nicht mehr ins Gesicht blickte, die Kugeln auf meinen Tornister und somit auf die kleine Granatblüte zu lenken, die, durch das fortwährende Stoßen beunruhigt, unaufhörlich weinte, schrie und jammerte, gerade wie etwa ein kleiner Amor auf einem optischen Telegraphen. ›Still, Mignonnette,‹ sagte ich zu ihr, ›und wenn das zweite Glied sich ruhig verhält, so hat es auch ein Anrecht auf etwas Gutes.‹ Dabei schob ich ihr einen Stengel Süßholz zu, den mir unsere Marketenderin aufgehängt hatte, um meinen Husten zu heilen. Mignonnette hörte auf zu weinen, sie saugte an ihrem Süßholz, und so gelangten wir wohlbehalten ans andere Ufer. Aber unsere Barke, die achtzehn Grenadiere aufgenommen hatte, landete deren nur noch sechs. Die übrigen waren unterwegs gefallen, denn die Kartätschenschüsse pfiffen laut, und die österreichischen Hanswurste von Kanonieren verstehen das Zielen.«

»Es scheint also,« meinte Renard gerührt, »wenigstens nach der schlichten Erzählung meines Vetters, daß Therese und er alte Bekannte sind, Vater Roblot!«

Bouffard sprang rasch auf, führte die Hand zum Gruß an die Stirn und entgegnete galant:

»Wenn mir unsere alte Bekanntschaft das Recht gäbe, Fräulein Therese einzuladen, den nächsten Kontertanz mit mir zu tanzen, so würde ich mich als den glücklichsten Sappeur unter allen Sterblichen betrachten.«

»Herr Bouffard, ich tanze nicht,« – Granatblüte dankte ihm mit der Hand – »ich fühle mich indes durch Ihre Einladung und Ihren Vorzug um nichts weniger geschmeichelt.«

»Nun, mein Fräulein,« entgegnete der Sappeur etwas enttäuscht, »wenn es heute nicht sein kann, so habe ich wohl ein andermal die Ehre, und es ist also nur aufgeschoben?«

»Sollte ich jemals tanzen und eine Ausnahme von der Regel machen, die ich mir auferlegt habe,« antwortete Therese, »so seien Sie überzeugt, Herr Sergeant, daß ich sie zu Ihren Gunsten mache.«

.

»Still, Mignonnette!«

»Da ich höre, daß Sie weder mit mir noch mit anderen tanzen, so habe ich kein Wort weiter zu sagen. Sprechen wir nicht länger davon. Es ist jedoch schade, daß ein so schönes Mädchen wie Sie sich nicht einem Vergnügen widmet, das, ich wage es zu behaupten, ein Vorrecht der Schönheit ist und –«

Vater Roblot ließ den Sappeur sein Kompliment nicht vollenden und befahl: »Sie muß tanzen.«

»Nein, mein Vater, ich tanze nicht,« erwiderte Therese entschlossen, »Sie haben mich, wie ich denke, hierher geführt, um mich zu zerstreuen, und nicht, um mich zu tyrannisieren. Lassen Sie mir also meine Laune, zumal ich es nicht an der Achtung fehlen lasse, die ich den Leuten schuldig bin, in deren Gegenwart ich mich augenblicklich zu befinden die Ehre habe.«

»Sie hat recht«, sagte Renard. »Man muß die jungen Mädchen gewähren lassen. Hätte Therese zum Tanzen Lust, so würde sie es gewiß von selbst tun. Ist es aber nicht nach ihrem Geschmack, so sehe ich gar nicht ein, weshalb man sie gegen ihren Willen dazu zwingen sollte.«

Da sich auch Madame Roblot der Ansicht des Freundes ihres Mannes anschloß, sah sich der Klempner genötigt, nachzugeben. Diesen Abend und auch am darauf folgenden Sonntag vermochte wirklich niemand, Granatblüte zum Tanzen zu bewegen. Vergebens umschwärmten die jüngsten, hübschesten und elegantesten Militärs den Tisch, an dem der Veteran von Valmy mit Bouffard und Gevatter Renard zechte, Granatblüte blieb taub gegen die honigsüßesten Einladungsformeln und antwortete immer nur: »Ich tanze nie, mein Herr.«

»Seht mal, das ist 'ne sonderbare Heilige«, sagten die abgeblitzten Tänzer zueinander. »Ich kann mir doch nicht denken, daß sie etwa hierher gekommen ist, um sich für den Stand der barmherzigen Schwestern vorzubereiten.«

Trotz der kleinen Wortwechsel, die Therese mit ihrem Vater über die Frage des Tanzens hatte, fand sie doch in ihren Besuchen des Floraballs etwas Erleichterung von dem Kummer, der so schwer auf ihrem Herzen lastete. Der Anblick der eleganten Uniformen und der munteren, lebhaften Tänze heiterte ihren Geist auf und bewirkte, daß ihre stets so trübsinnigen Gedanken wenigstens für ein paar Augenblicke einen anderen Lauf nahmen. Punkt neun Uhr gab Vater Roblot das Signal zum Aufbruch. Er nahm den Arm seiner Tochter, Renard bot den seinen galant Madame Roblot, und die ganze Familie schlug ihren Weg nach der Rue Mouffetard ein.

Hatte der gutmütige Sappeur Urlaub bis Mitternacht, was ziemlich oft der Fall war, so begleitete er die Familie bis zum Pont-Neuf, wo ihm dann Vater Roblot den Vorschlag machte, in der Weinstube Ecke der Rue Dauphine noch ein wenig Posto zu fassen. »Denn«, so meinte er, »Freunde dürfen sich nie anders gute Nacht sagen, als mit dem Glas in der Hand.« Und dies Sprichwort war auch eines von denen, die der Klempner in die Tat umsetzte.

Doch Bouffard beschränkte das Vergnügen, die Familie Roblot zu besuchen, bald nicht mehr auf dies nächtliche Ehrengeleite. Seine doppelte Eigenschaft als alter Regimentskamerad und als Verwandter Renards hatten Roblot bestimmt, ihm sein Haus zu öffnen. Der schüchterne Sappeur machte zwar von dieser Erlaubnis nur bescheidenen Gebrauch, aber er kam doch. Ein- oder auch zweimal in der Woche vereinten sich Renard und Bouffard mit der Familie Roblot an der Abendtafel bei einer Hammelkeule oder einer gebratenen Gans, die mit einem Glas Wein von Argenteuil hinuntergespült wurde, und womit des Klempners Keller stets versorgt war. Dabei plauderte, sang und erzählte man, und Vater Roblot vergaß bei diesen Liebesmahlen, die eine Mischung von Familienessen und -gelagen in der Marketenderbude oder in der Schenke waren, freiwillig seinen künftigen Schwiegersohn Julian und die Eide, die seine Tochter ihm geleistet hatte.

Gevatter Renard war vollauf damit zufrieden und freute sich aufrichtig, daß er seinen Vetter bei Roblot eingeführt hatte. Der Grund dazu war so einfach wie natürlich, wie wir gleich sehen werden.

Trotz seiner fünfzig Jahre hegte Renard für Granatblüte eine Zuneigung, die längst zur hellen Liebe entflammt wäre, hätte ihm sein Verstand nicht gesagt, daß er an eine Verbindung mit ihr nie denken dürfe, da er die kriegerischen Ideen Roblots genau kannte und auch wußte, daß dieser selbst die beste bürgerliche Partie für seine Tochter ausschlagen würde, wäre der Bewerber auch, wie er, Renard, des Alten Freund und abgesehen von seinem hübschen Einkommen als Angestellter beim Pfandhaus, Besitzer von 1500 Livres der auf das große Buch der Staatsschuld eingeschriebenen Renten. Allein obschon der Beamte die Unmöglichkeit einsah, daß für ihn etwas zu hoffen sei, so hatte er doch nicht ohne geheime Eifersucht die Liebe zu Julian d'Hervilly in dem Herzen des jungen Mädchens entstehen sehen, und sich innerlich über den Entschluß des Malers gefreut, daß dieser kein besseres Mittel gefunden hatte, um seine Geliebte zu bekommen, als sich bei der Armee totschießen zu lassen. Renard machte sich daher mit einer geradezu diplomatischen Gewandtheit die Vermutungen, die man über Julians Schicksal hegte, zunutze, um Granatblüte ihrem auserwählten Bräutigam, dessen Dasein von Tag zu Tag problematischer wurde, wegzufischen und sie seinem Vetter Bouffard zuzuschanzen, der nach seiner Ansicht alle Eigenschaften in sich vereinigte, die ihn zu Roblots Schwiegersohn befähigten. Der Beamte fand in diesem Plan drei Vorteile: der erste war, was man zu seiner Ehre sagen muß, Therese dem Trübsinn zu entreißen, der ihre Jugend zu zerstören drohte; der zweite, sich an Julian d'Hervilly zu rächen, daß er bei den Erörterungen, die sie abends miteinander am Kaminfeuer gehabt, sich rücksichtslos über seine pedantische Gelehrsamkeit lustig gemacht hatte; der dritte endlich, der Tochter seines Freundes eine Stütze und eine sichere Zukunft zu verschaffen, die ihr nach des Vaters Tod bestimmt entgehen mußten, da der gute Alte außer seinem Klempnerladen kein Vermögen besaß.

Dieses Heiratsprojekt bildete den Zweck mehrerer geheimer Zusammenkünfte zwischen dem Klempner, dem Sappeur und dem Beamten. Madame Roblot war zwar nie zu den Verhandlungen des Triumvirats herangezogen worden, allein als aufmerksame Mutter war sie der Wahrheit doch auf die Spur gekommen, und sie konnte sich nicht enthalten, eines Abends im Vertrauen zu ihrer Tochter zu sagen:

»Therese, es geht etwas vor. Das viele Flüstern und Geheimtun läßt mich vermuten, daß dein Vater dich zu verheiraten beabsichtigt.«

»Wenigstens wird er mich aber doch um meine Zustimmung fragen«, antwortete Granatblüte ruhig.

Die Mutter zuckte die Schultern. »Das kommt erst darauf an, im Notfall kann er das auch unterlassen.«

»Das wird er nicht wagen!« versetzte das Mädchen kalt, wie einst der Herzog von Guise im Schlosse zu Blois. – –


Seit Julians Abreise nach Straßburg brachte Granatblüte die Augenblicke, die sie nicht zur Unterstützung ihrer Mutter im Haushalt verwandte, allein in ihrem Stübchen zu. Und wie einfach und niedlich sind die Kämmerchen der Pariser Mädchen! Da triffst du höchst selten Möbel von Marmor und Mahagoni, prachtvolle Vorhänge und glänzende Spiegel begegnen unseren Blicken nicht; dagegen findest du eine kleine Bettstatt aus Nußbaumholz, ziemlich schmal und doch gerade groß genug, um die süßen Traumbilder, die goldenen Träume, die hinreißende Entzückung eines jungen Mädchens, in sich zu bergen. Weiße Musselinvorhänge an den Fenstern, eine hellpolierte Kommode, deren oberste Schublade die Briefe eines teuren Geliebten, einige unbedeutende Schmucksachen und ein wenig mühsam erspartes Geld enthält, zwei Stühle und ein kleiner Spiegel, der jeden Morgen, ohne es zu wollen und ohne daran zu denken, zu Rate gezogen wird, – dies sind die Gegenstände der bescheidenen Zimmerchen, in denen die Schönheit gleich dem Veilchen im Schatten in der Stille und fast immer in der Vergessenheit erblüht.

Therese fühlte sich in ihrer Einsamkeit wohl. Sie hatte sich einige Bücher, Geschichts- und Reisewerke, geliehen und las sehr viel. Manchmal hielt sie mitten im Lesen inne, um mit feuchten Augen das Medaillon zu betrachten, das ihr Julian anvertraut, oder um zwei kleine Porzellanvasen anzuschauen, die einzige Zierde ihres Kamins, auf die ihr Geliebter Bilder gemalt hatte. Stahl sich dann ein Sonnenstrahl zwischen den Falten der schneeweißen Vorhänge hindurch und verkündete schönes Wetter, dann öffnete Granatblüte die Fenster, um ein paar kümmerlich aufgeschossene Blumen, deren Stengel sich über Nacht gesenkt, der wohltätig erwärmenden Tagesluft auszusetzen, die sie wieder ins Leben zurückrufen sollte. Und die Blicke des armen, bereits in die Schmerzen der Seele und in die Aufregungen des Herzens eingeweihten Geschöpfes folgten den Wolken, wie sie unterm blauen Himmelsgewölbe dahinzogen, und sie seufzte:

»Wieder ein Tag verschwunden ohne Nachricht von ihm!« Sie richtete ihre Augen zum Himmel empor und fuhr dann fort: »Mein Gott, der du meine Liebe kennst und sie ohne Zweifel auch gutheißt, da sie mich nie zu einem Bruch deiner heiligen Gebote veranlaßte, habe du Mitleid mit mir und schenke mir die Gnade, daß ich nicht mehr an Julian denke, wenn er mich vergessen, oder gib, daß ich mich wieder mit ihm vereine, wenn es dein Wille war, ihn zu dir zu rufen.«

Oft flogen auch Schwalben zum Fenster herein und schäkerten über ihrem Haupte. Dann konnte das arme Mädchen sagen:

»Glückliche Vögel, wie beneide ich eure Wanderzüge! Wenn ich Flügel hätte, wie selig fühlte ich mich, könnte ich Julian in seinen fernen Himmelsstrichen aufsuchen. Ach, zur selben Stunde begrüßt auch er vielleicht wie ich mit seinen Blicken eure flüchtigen Gefährten, die ihm ein Andenken von mir bringen.«

Erwachte endlich die Hoffnung in Thereses Herzen wieder, dann sang sie mit leiser Stimme die damals so beliebte Romanze, welche die Königin Hortense von Holland in Musik gesetzt hatte, sie, die ja auch nicht glücklicher als Granatblüte war:

Du lässest mich, dem Ruhme nachzustreben,
Mein trauernd Herz folgt dir, mein einzig Leben!
So kämpfe kühn, erfülle deine Pflicht;
Sei brav, sei Held, doch mich vergesse nicht!

Und lang zurückgehaltene Tränen unterbrachen Thereses Gesang, die, in trübe Träumereien versunken, oft stundenlang in derselben Stellung sitzen blieb und ihre Phantasie allen fieberhaften Gedanken einer Liebe überließ, die hoffnungslos zu werden begann.

Granatblütes Zimmer war ein Heiligtum, in das niemand einzudringen wagte. Selbst ihre Mutter kam nur selten dahin, und der Klempner sah trotz seiner rauhen Soldatenmanieren ein, daß er wenigstens die Einsamkeit seiner Tochter achten müsse. Das Recht, Tränen ohne Zeugen zu vergießen, ist ein Trost, den selbst ein Vater seinem Kinde nicht rauben kann.

Eines Morgens war Therese nicht wenig erstaunt, als sie leise an ihre Tür pochen hörte.

»Wer ist da?« fragte sie.

»Ich bin es, Fräulein«, antwortete eine Stimme, die sich Mühe gab, sanft und einschmeichelnd zu klingen.

»Wer ist das Ich?«

»Andoche Bouffard, der Vetter des Herrn Renard ,...«

»Wie, Sie sind es, Herr Bouffard? Was wollen Sie denn von mir?«

»Öffnen Sie mir gefälligst, mein Fräulein, und fürchten Sie sich nicht vor mir. Ich bin nur mit besonderer Erlaubnis Ihres Herrn Vaters heraufgekommen.«

»Mein Zimmer wird nie von jemand Fremdem betreten, Herr Bouffard. Ich komme aber gleich hinunter in die Werkstatt, und da können Sie mir sagen, was Sie mir mitteilen wollen.«

»Aber gerade deshalb, weil niemand zu Ihnen kommt, hat man mich da herauf geschickt, Fräulein Therese. Öffnen Sie nur, ich bitte Sie. Sollten Sie denn gar Furcht vor mir haben?«

»Nicht im geringsten, Herr Bouffard. Sie sind ein viel zu rechtschaffener Mann, um einem Furcht einzuflößen; aber ich wiederhole Ihnen, daß ich hier niemand empfange. Im Augenblick werde ich bei Ihnen sein.«

»Dann will ich Sie nicht länger erzürnen, mein Fräulein, und da Sie mir nicht öffnen wollen, so begebe ich mich wieder hinunter.«

Diese Ergebung des Sappeurs ging Granatblüte zu Herzen, die während des Gespräches in ihrem Zimmerchen vollends aufgeräumt hatte. »Was habe ich eigentlich zu befürchten,« sagte sie zu sich selbst, »wenn ich den armen Bouffard eintreten lasse, der so gut, so sanft ist und mir schon so viele Sorgfalt erwiesen hat, als ich noch klein war? Vielleicht hat er mir damals das Leben gerettet ,... Ich öffne ihm.« Und das junge Mädchen schloß die Zimmertür auf.

»Herr Bouffard,« rief sie und steckte ihr Köpfchen vor, »Herr Bouffard!«

Der Sappeur war bereits ein paar Stufen hinuntergegangen. »Kommen Sie zurück, Herr Bouffard, ich will Sie in meinem Zimmer empfangen, wenn es auch noch nie ein Mann betreten hat, nicht einmal ,...« Sie hielt inne und errötete.

»Nicht einmal der selige Herr Julian, Ihr Bräutigam«, vollendete der zurückkehrende Sappeur den Satz.

»Nicht einmal Herr Julian,« wiederholte das Mädchen, »allein zu Ihren Gunsten will ich eine Ausnahme machen, um Ihnen zu beweisen, daß Therese das Süßholzstengelchen noch nicht vergessen hat, das Sie der Granatblüte beim Rheinübergang gaben.«

»Sie sind allzu gütig, mein Fräulein«, sagte der Sappeur, indem er sich bückte, um durch eine schmale und niedere Tür in das kleine Zimmerchen einzutreten.

Beim ersten Anblick war Bouffard erstaunt über die außerordentliche Niedlichkeit und Reinlichkeit, die um ihn herrschte, und als seine Blicke auf Therese zurückfielen, war er ganz geblendet von ihrer Schönheit, die in vollem Glanze strahlte, den die Nachtruhe noch wundervoller hatte hervortreten lassen.

»Setzen Sie sich, Herr Bouffard«, sagte das junge Mädchen und bot dem Sappeur einen Stuhl an.

Er nahm seine Bärenmütze ab, strich mehrere Male mit der Hand über seinen Bart und fuhr fort, sich bald nach rechts und bald nach links umzusehen, denn er fühlte sich Therese gegenüber verlegener als ein Schüler vor dem Professor der Beredsamkeit oder ein Dieb vor seinem Richter.

»Nun, Herr Bouffard, was haben Sie mir zu sagen?« fragte Therese, indem sie den Ellbogen auf den Kaminmantel stützte und den Stiel eines verwelkten Maßliebchens aufrichtete, »fangen Sie an, ich höre.«

»Sie müssen hier oben doch eine hübsche Aussicht haben, Fräulein Therese!« begann endlich der Sappeur, der sich wie ein Gefolterter vorkam.

»Ich habe die Aussicht über die Gärten,« antwortete Therese, »ich sehe die Blumen wachsen und welken ,... Ich sehe sie wohl, aber ihren Duft rieche ich nicht ,... sie sind zu weit von mir entfernt.«

»Sie lieben die Blumen, Fräulein Therese?« fragte der Sappeur entzückt, endlich einen Gesprächsstoff zu finden. »Ach, wenn ich das früher gewußt hätte!«

»Ja, Herr Bouffard, ich liebe die Blumen leidenschaftlich. Sehen Sie nur, habe ich nicht auch ein paar in meiner Nähe?«

»Beim 57. Regiment sangen wir eine Romanze«, meinte der Sappeur, »in der die Mädchen mit den Blumen und die Soldaten mit den Nachtigallen verglichen wurden. Das Lied fing, glaube ich, so an.«

Und Boussard sang mit zitternder Stimme:

»Flieg, Nachtigallchen,
Hin zu dem Dörfchen,
Richt aus ein Grüßchen fein
Bei meinem Schätzelein
Und sag dem lieben Kind,
Das wie ein Blümchen grünt,
Daß ich vor Samstag nacht
Nicht komme von der Wacht.

Ach, was bin ich aber für ein Dummkopf,« rief der
Sappeur und schlug mit beiden Händen an seine Bärenmütze,
»das ist ja gar nicht das Lied, das ich meinte. Kommt daher,
daß ich sonst so viele Lieder lernte, die mir jetzt alle im Kopfe
herumgehen. Die Klage der Soldaten und der jungen Mädchen,
die ich meinte, wurde von einem Furier des 57. Regiments
gedichtet, der ein prächtiger Gesellschafter war. Unser
Oberst war damit so zufrieden, daß er den stattlichen Soldaten

bloß deshalb zum Avancement vorschlug. Er wurde
auch dank zahlreicher Protektionen sechs Jahre später zum
Sergeanten bei den Voltigeurs befördert. So lautete sein
Lied:

Einst gab des Hauptmanns Mädchen
Zu trinken dem Sergeant – – –

Ach, tausend Donnerwetter! Das ist's ja wieder nicht. Ich weiß gar nicht mehr, was ich sage. Entschuldigen Sie doch ja, Fräulein Therese, es gibt eben Augenblicke, wo man nicht geistesgegenwärtig ist.«

»Sie sind vollkommen entschuldigt, Herr Bouffard«, entgegnete Therese sanft. »Sagen Sie mir nun den Grund Ihres Besuches, wenn ich bitten darf.«

Bei dieser Aufforderung schien der Sappeur noch viel verlegener zu werden. Er errötete, stammelte ein paar unverständliche Worte und biß sich in die Lippen, bis er zuletzt, wie man im Volksmunde sagt, das Herz in beide Hände nahm und einen tiefen Seufzer ausstieß, einen von denen, die verraten, daß man entweder mit einer tiefen Bewegung kämpft oder eine außerordentliche Freude empfindet.

»Nun, sehen Sie, Fräulein Therese,« begann er, »es ist dies, andere würden sagen, es ist das. Aber ich mache keine Umstände, ich bin Grenadier und spreche frisch von der Leber weg und sage: Sehen Sie, dies ist's!«

Der Sappeur schwieg.

»Aber was denn?« fragte Granatblüte ungeduldig.

»Wohlan, ich komme, Sie um Ihre Hand zu bitten.«

»Mich um meine Hand zu bitten ,... Sie ,... Herr Bouffard ,...?«

»Ja, mein Fräulein, Sie selbst in eigener Person und ich ebenfalls.«

»Sollten Sie denn nicht wissen ,...?«

»Oh, ich weiß alles. Ich habe die Zustimmung Ihres Vaters, Ihrer Mutter, meines Vetters Renard, die meines Obersten, kurz, die Zustimmung der ganzen Welt. Es fehlt mir bloß noch die Ihre, Fräulein Therese, denn ich bin ein viel zu ehrlicher Kerl, um ein schönes und braves Mädchen wie Sie gegen seinen Willen zu heiraten. Das Jawort achtungswerter Eltern genügt dem Zartgefühl eines Sappeursergeanten vom 57. Regiment, der wie ich die Ehre hat, das Kreuz zu tragen, noch nicht.«

»Ihr Antrag, Herr Bouffard, ist für mich im gleichen Maße schmeichlerisch und ehrenvoll. Allein ich erinnere mich, oft in Ihrer Gegenwart erklärt zu haben, daß ich nicht heiraten werde. Es wundert mich daher etwas, daß Sie, der Sie doch meine Gesinnung in dieser Angelegenheit kannten, sich trotzdem dazu hergaben, die Zustimmung meines Vaters zu erlangen, den ich wohl liebe und hochachte, wie es einer guten Tochter ziemt, der aber doch in dieser Hinsicht nichts anderes tun darf, als was ich haben will. Denn ich bin wohl sein Kind, nicht aber sein Sklave.«

»Ich begreife vollkommen, was Sie mir darüber sagen können, Fräulein Therese. Allein seien Sie so gütig, mich anzuhören, und urteilen Sie dann, ob die Schuld an mir liegt. Eines Tages, oder richtiger eines Abends, sagte ich zu meinem Vetter Renard, der der beste Mensch auf der Welt ist, es hätte mir viel Vergnügen gemacht, Sie wiederzusehen. Da, sehen Sie, meinte der alte Spaßvogel: ›Ah, Freund Bouffard, du hast wohl ein Auge auf die Granatblüte geworfen und möchtest sie gern auf immer durch Hymens Bande an dich knüpfen?‹ – ›Nicht ein Härchen in meinem Bart hat noch daran gedacht‹, erwiderte ich. ›Fräulein Therese, das ist wahr, ist zwar die Tochter eines alten Troubadours, aber dabei so schön, hat so viel Bildung, daß sie niemals von so einer Landratte wie mir etwas wollen wird, der ich über nichts anderes als über meine Pfeife und über mein Beil Bescheid weiß.‹ – ›Man sollte wirklich glauben,‹ versetzte Renard, ›du wärest so alt und hinfällig wie der selige Methusalem. Wie alt bist du denn?‹ – ›So an die Vierzig!‹ – ›Das ist gerade das schönste Alter zum Heiraten. Ich muß nur für dich selbst auf die Brautschau gehen!‹ – ›Ach, Vetter, mach keine Dummheiten!‹ antwortete ich ihm. ›Fräulein Therese hatte eine Liebschaft; sie hat sie noch und will auch nicht davon lassen. Ich will nicht den Verdruß verschulden, den sie vor dem empfinden müßte, der ihren alten Liebhaber zu verdrängen sucht.‹ – ›Du bist ein böser Gesell‹, meinte Renard. ›Julian d'Hervilly, Fräulein Roblots Bräutigam, ist schon längst tot, mausetot!‹ – ›Woher wissen Sie das?‹ – ›Von niemand. Aber es kann nicht anders sein, da er ja gar kein Lebenszeichen von sich gibt. Granatblütes Kummer wird wie der aller Frauen allmählich sich verlieren. Wärest du ein wenig gebildeter und kein Bouffard,‹ fuhr mein Vetter fort, ›so könnte ich dir tausend Beispiele von Frauen anführen, die sich getröstet haben, von der Matrone von Ephesus bis zur Gattin meines eigenen Hausherrn, die sich eben erst zum vierten Male verheiratete, gerade neun Monate und einen Tag nach dem Tode ihres dritten Mannes. Aber so bist du nur ein Sappeur, und da schweige ich besser. Nur das eine sage ich dir: wenn du Fräulein Roblot heiratest, so geschieht es zu deinem, zu ihrem, zu meinem, zu ihrer Familie und zu der ganzen Welt Vorteil.‹«

»Ah, ah, Herr Renard,« rief Therese und biß sich auf die Lippen, »das wollen wir doch erst sehen!«

»Hier haben Sie den ganzen Verlauf der Geschichte, wie sich alles zugetragen«, fuhr Bouffard fort. »Ich schwöre Ihnen bei allem, was Sie wollen, Fräulein Therese, daß ich niemals gewagt hätte, daran zu denken, Sie mit einer Zärtlichkeit zu belästigen, die sich trotzdem nicht erst von gestern her schreibt,« fügte er leise bei und blickte zugleich das Mädchen mit verliebten Augen an, »und die sich niemals verleugnen läßt. Ob Sie mich als Gatten annehmen oder nicht, ich werde Ihnen trotzdem bis in den Tod ergeben bleiben. Herr Roblot und mein Vetter Renard haben das alles so miteinander abgekartet, und erst diesen Morgen haben sie mich mit Gewalt hier heraufgenötigt, indem sie zu mir sagten: ›Wirb um ihre Hand.‹ Und ich muß Ihnen gestehen, mein Fräulein, daß ich diesen Gang mit weit größerer Furcht angetreten habe, als im vorigen Jahre mein Oberst mitten im Kartätschenhagel befahl: ›Bouffard, geh mit deinen Leuten vor und haue mir dort die Palisaden nieder, damit die Grenadiere Platz bekommen!‹ – Oh, sehen Sie, Fräulein Therese, das kommt davon, daß ich mich vorm Feind viel weniger fürchte als vor Ihnen!«

Granatblüte war stets unempfindlich gegen die Schmeicheleien, die ihr die Männer sagten, aber sie konnte dennoch das naive, freilich in wenig gewählten Ausdrücken vorgetragene Geständnis des Sappeurs, der dabei sein inniges und tiefes Gefühl offenbarte, nicht ohne Vergnügen anhören. Daher fiel auch ihre Antwort recht zart aus:

»Sie sind ein braver und ehrenwerter Mann, Herr Bouffard.«

»Warten Sie noch einen Augenblick, Fräulein Therese,« meinte der, »das ist noch nicht alles. Sie waren so gütig, mir soweit Gehör zu schenken, und so müssen Sie auch das Ganze bis zu Ende hören. Aufgemuntert durch meinen Vetter, der mir versicherte, Sie würden mich ganz bestimmt heiraten, habe ich auch bei meinem Oberst einen jener Schritte getan, die einem Soldaten ohne Ehrgeiz stets Überwindung kosten. Ich habe für Sie, Fräulein Therese, für meine künftige Gattin, um die augenblicklich freigewordene Stelle der Obermarketenderin im Regiment nachgesucht. Kaum hatte ich meinem Oberst die ganze Litanei vorgebetet, da sprach er: ›Ah, du willst dich verheiraten, Bouffard? Das ist recht, mein Junge. Ich gebe dir nicht bloß die Erlaubnis dazu, sondern ich bewillige dir auch für deine Braut die Stelle, die du für sie erbittest. Ein guter Posten, weißt du! Der bringt bei einem Regiment wie dem unsrigen Ruhm und Geld ein. Aber du verdienst diese Gunst mehr als jeder andere, denn du bist einer meiner ältesten und besten Soldaten. Heirate nur so schnell wie möglich und bring uns deine Frau, denn es ist zehn gegen eins zu wetten, daß in kurzem das 10. Regiment nach Deutschland aufbricht, und ohne eine Obermarketenderin kann es doch seinen Marsch nicht antreten. Wen heiratest du?‹ fragte mein Oberst nach einer Weile. – ›Ich reiche meine Hand der Tochter eines alten Sergeanten vom 57. Regiment, bei dem ich bis vor zehn Jahren gedient habe.‹ – ›Und ist deine Braut hübsch?‹ – ›Oh, die ist so schön wie unsere Fahne!‹ – ›Um so besser, Bouffard. Besitzt sie auch Mitgift?‹ – ›Das weiß ich nicht, mein Oberst. Ich weiß nur, daß ihr Vater in der Rue Mouffetard zu Paris gut eingerichtet ist. Und wenn sie auch gar nichts ihr eigen nennen würde, so meine ich doch, daß ich dank Ihrer Güte und meiner Ersparnisse genug für uns beide besäße.‹ – ›Gut, Bouffard, beeile dich nur mit der Heirat,‹ entließ mich der Oberst, ›ich bestreite die Hochzeitskosten, vergiß das nicht.‹ – So, Fräulein Therese, stehen Sie also ohne Ihr Wissen bereits an der Spitze des 10. Regiments, und man wartet nur auf Sie, um ins Feld zu ziehen.«

Granatblüte ward während der Erzählung des Sappeurs immer nachdenklicher; sie schien mit einem wichtigen Entschluß zu kämpfen. Als der Soldat sah, daß das Mädchen, anstatt ihm zu antworten, schwieg, fuhr er wieder fort:

»Nun, Fräulein Therese, denken Sie wohl nach. Es besteht zwar kein Zweifel, daß ich Ihnen keine Liebe einzuflößen vermag, dazu bin ich zu alt, zu häßlich und zu einfältig. Aber die Liebesheiraten sind auch nicht immer gerade die glücklichsten. Denken Sie mal an Ihre Zukunft. Vetter Renard sagte mir, Roblot besitze nichts als seine Pension und sein Geschäft. Kommen Krankheiten über ihn, was wird dann aus dem guten Alten und Ihrer lieben Mutter? Was wird aus Ihnen selbst? Reichen Sie mir dagegen Ihre Hand, so treten Sie in Verhältnisse, wo an schönen Talern kein Mangel ist. In meiner Heimat besitze ich auch ein kleines Kapital, das von Rechts wegen Ihnen gehört. Damit kann man ein angenehmes, sorgenfreies Leben führen und obendrein seine Eltern unterstützen. Im Felde vollends, Fräulein Therese, verdienen die Marketenderinnen Hunderte und Tausende, denn auf feindlichem Grund und Boden spart der Soldat nicht, er läßt sich's wohl ergehen, wenn er sich nicht schlägt. Wir machen gewiß gute Geschäfte, Fräulein Therese, denn Sie sind tätig, gewandt, sparsam und zuvorkommend. Haben die Kugeln noch ein paar Jahre Respekt vor mir, so quittieren wir den Dienst und verzehren unser redlich erworbenes Gut entweder hier oder in meiner Heimat oder sonstwo in Frieden. Bleibe ich im Felde, so hindert Sie das nicht, sich wieder zu verheiraten oder auch Witwe zu bleiben, wie's Ihnen zusagt. Auf alle Fälle aber, Fräulein Therese, denken Sie doch vielleicht ein wenig an Ihren armen Mann, der während seines ganzen Lebens kein anderes Ziel kannte, als Sie glücklich zu machen. Aber ich langweile Sie mit meinem Geschwätz. Könnten Sie aber in meinem Herzen lesen, so würden Sie sehen, daß ich noch lange nicht alles gesagt habe, was darin geschrieben steht.«

»O nein, Herr Bouffard, Sie langweilen mich nicht im geringsten,« antwortete Granatblüte, »aber Ihr Antrag, Ihre edlen Absichten, die Sie mir kundtun, die Zukunft meines Vaters und meiner Mutter, all das gibt mir reichlichen Stoff zum Nachdenken. Ehe ich Ihnen daher einen bestimmten Entschluß mitteilen kann, muß ich erst mit mir selbst zu Rate gehen.«

»Wohlan, Fräulein Therese, überlegen Sie es sich. Wie lange brauchen Sie dazu? Sie wissen, der Oberst eilt ,...«

»Morgen zur selben Stunde erwarte ich Sie wieder hier in meinem Zimmer, wo ich Ihnen dann meinen Entschluß verkünden will.«

»Also morgen, Fräulein Therese,« antwortete der Sappeur, »ich bitte Sie aber, suchen Sie, daß der Bescheid gut ausfällt, denn ich fühle es an dem Klopfen hier,« und seine Hand deutete auf die Herzgegend, »daß der arme Andoche kein Glück mehr hätte, wenn Sie ihm den Befehl gäben, das Patent der Obermarketenderin des 10. Regiments seinem Oberst zurückzustellen.«

Wie gewöhnlich verrichtete Therese auch an diesem Tage mit ihrer Mutter zusammen die Hausarbeit. Weder Vater Roblot noch Renard, der heute bei dem Klempner zu Gast war, sprachen mit ihr von dem Besuch, den sie am Morgen gehabt hatte. Ehe Bouffard das Haus verließ, hatte er noch bestimmt verlangt, es möchte niemand auf Thereses Entscheidung einwirken.

Als das Mädchen aber am Abend wieder allein in seinem Zimmer war, zog es das Medaillon, das letzte Andenken an den Geliebten, hervor und betrachtete es lange. Dann kniete es andächtig vor dem Kruzifix von Ebenholz nieder, das zu Häupten seines Bettes stand, und betete inbrünstig:

»Mein Gott, habe du Erbarmen mit einem armen Mädchen, das keine andere Zuflucht hat als dich. Erleuchte mich, welchen Weg ich gehen soll. Du weißt ja, guter Gott, wie sehr ich Julian liebe, aber du kennst auch meine Liebe zu den Eltern und weißt, daß sie ebenso innig ist. Mein Gott, verlaß mich nicht!«

Nach dem Gebet legte sich Granatblüte nieder, aber in dieser Nacht vermochte sie kein Auge zu schließen. Am andern Morgen war sie kaum angekleidet, als schon der Sappeur pünktlich an die Tür klopfte.

Bouffard trat schüchtern in Thereses Zimmer und setzte sich nach kurzem, militärischem Gruß, ohne ein Wort zu reden, auf den angebotenen Stuhl. Er sah bleich und angegriffen aus, und man konnte leicht merken, daß er eine ruhelose Nacht hinter sich hatte. Die ruhige und gefaßte Miene des Mädchens schien ihm nichts Gutes zu bedeuten. Nach kurzem Schweigen fragte er endlich seufzend:

»Nun, Fräulein Therese, Sie sehen mich hier, Ihrem Befehl gemäß ,... Haben Sie inzwischen über die Sache nachgedacht und Ihren Entschluß gefaßt?«

»Ja, Herr Bouffard«, antwortete Granatblüte kurz und gemessen, daß der Sappeur erzitterte.

»Und ,... Ihre Entschlüsse ,... sind sie günstig für mich ausgefallen?« fragte er ängstlich weiter.

»Gut oder schlecht, wie Sie's nehmen. Es wird ganz davon abhängen, wie Sie ihn auffassen.«

»Oh, Fräulein, erklären Sie sich doch, ich bitte Sie darum! Braucht es, um Ihre Hand zu erlangen, weiter nichts als Beweise meiner Ergebenheit gegen Sie und Ihre Eltern, so wird dies bald geschehen sein. Wollen Sie das kleine Hochzeitsgeschenk, von dem ich gestern sprach, für Ihren Vater und Ihre Mutter bestimmen? Dann schreibe ich nach Hause, und das Geld wird Ihnen sogleich zugestellt werden. Oder ,...«

»Herr Bouffard,« unterbrach ihn Granatblüte, »Sie verstehen mich ganz und gar falsch, wenn Sie auch nur einen Augenblick daran denken konnten, daß gemeiner Eigennutz die Triebfeder meiner Handlungen sei. Wenn ich Sie heirate, so geschieht es weder um Ihres Geldes noch um der Vorteile willen, die Sie mir verheißen. Es geschieht nur um Ihrer selbst willen, Herr Bouffard, allein Ihretwillen, weil ich mit Vergnügen annehme, daß Sie ein braver und würdiger Mann seien ,...«

»Sie sind allzu gütig, mein Fräulein«, verbeugte sich der Sappeur.

»Weil«, fuhr Granatblüte fort, »Ihr Herz gefühlvoll ist und Sie einer schlechten Behandlung Ihrer Frau nicht fähig sind. Es geschieht schließlich, weil Therese Roblot sich einer Schuld entledigen will, die Granatblüte an den Ufern des Rheins eingegangen und die sie jetzt durch sorgfältige Pflege und Freundschaft abzutragen gedenkt.«

»Wie, Fräulein Therese, Sie wollen mich wirklich so ohne weiteres heiraten?« rief der Sappeur außer sich vor Freude und sprang vom Stuhl auf.

»Geduld, Herr Bouffard! Beruhigen Sie sich und seien Sie nicht allzu voreilig,« erwiderte Therese, indem sie sich nun selbst setzte und den Sappeur ebenfalls dazu einlud, »noch habe ich Ihnen nicht bestimmt gesagt, ob ich einwillige, Sie zu heiraten.«

»O Fräulein Therese, ich beschwöre Sie, lassen Sie mich nicht so lange in Ungewißheit schweben. Ich stehe ja wie auf einem glühenden Rost und weiß nicht, welchen Fuß ich zuerst aufheben soll. Sprechen Sie sich so aus, daß ich Sie auch richtig verstehen kann und weiß, woran ich bin.«

»Sie haben recht, Herr Bouffard, und es war nicht schön von mir, so lange mit dem zu zögern, was ich Ihnen zu sagen habe. Schenken Sie mir also Ihre Aufmerksamkeit und suchen Sie zu erraten, was ich Ihnen nicht sagen kann.«

»Beginnen Sie, Fräulein Therese, ich höre.«

»Herr Bouffard, ich bin achtzehn Jahre alt, und in diesem Alter hat man schon seine Betrachtungen über die Ehe angestellt und sich seine eigenen Bemerkungen dazu gemacht. Man vermutet ,... man sieht voraus ,... man stellt sich endlich vor, daß ,... Verstehen Sie mich, Herr Bouffard?«

Der Sappeur machte große Augen. Vor Spannung hatte er kaum geatmet, und doch vermochte er nicht den Sinn der plötzlichen Unterbrechungen in Granatblütes Rede zu begreifen. So antwortete er:

»So wahr ich Andoche Bouffard heiße und dekorierter Sappeursergeant beim 10. Regiment bin, verstehe ich Sie nicht. Ich versichere Ihnen aber, Fräulein Therese, daß es nicht aus Mangel an gutem Willen dazu geschieht.«

»Nun, ich sehe schon, daß ich deutlicher reden muß. Mein Gott, wie schwer aber wird mir das! Kommen Sie, Herr Bouffard, und helfen Sie mir ein wenig. Sagen Sie mir, weshalb man sich heiratet.«

Diesmal kratzte sich der Sappeur an der Nase und mußte zu Umschreibungen seine Zuflucht nehmen, um seine Gedanken in Worte zu bringen.

»Meiner Treu, Fräulein Therese, man heiratet sich ,... um glücklich zu sein ,... um sich zu lieben ,... um sich so oft wie möglich zu sagen: Ich liebe dich, du liebst mich, wir lieben uns ,... um es sich zu beweisen, endlich noch um vieler anderer Dinge willen, die ich hier nicht nenne.«

»Ah, da haben wir's ja!« erwiderte Granatblüte. »Man heiratet also, um sich zu sagen: Ich liebe dich, du liebst mich, wir lieben uns, und um es sich zu beweisen, nicht wahr?«

»Mein Gott, das finde ich nun ganz natürlich.«

»Das leugne ich auch nicht, Herr Bouffard. Was aber mich anlangt, so ist dies eben der Grund, weshalb ich nicht heiraten will.«

»Wie, mein Fräulein? Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich sage und wiederhole Ihnen, daß ich nicht heiraten will, um zu sagen: Ich liebe dich, du liebst mich, und wir lieben uns.«

»Aber man sagt sich in der Ehe nicht nur das allein ,...«

»Gleichviel, das ist die Hauptsache. Da ginge ich lieber ins Kloster, ehe ich mich solchen Bedingungen fügte.«

»Wirklich?« sagte der Sappeur verblüfft, der nun allmählich Granatblütes zusammenhanglose Reden verstand.

»Doch es gibt ein Mittel, um sich über all diese Dinge zu verständigen«, fügte das Mädchen eilig hinzu.

»Was für eines, Fräulein Therese?«

»Hören Sie«, begann Granatblüte und verlieh ihren Zügen jene kalte Würde, die meist züchtige Vorsätze begleitet. »Wir heiraten uns, aber wir leben wie Bruder und Schwester. Wir tragen Freud und Leid, Hoffnungen und Beschwerden gemeinschaftlich, aber sonst nichts. Ich bewahre Ihnen unverletzliche Treue. Der Schwur, den ich vor Gott und vorm Gesetz abzulegen habe, wird mir ebenso wahr wie heilig sein; ich werde ihn nie verletzen. Sie dagegen fordern von mir nie mehr, als die Aufmerksamkeit und Zuneigung einer Schwester oder einer Freundin. Genügt Ihnen das, Herr Bouffard, ja oder nein?«

»O Fräulein Therese, was ist das für ein Einfall!« rief der Sappeur und schlug seine Hände krampfhaft zusammen.

»Sie irren sich, Herr Bouffard, das ist gar kein Einfall, sondern ein unabänderlicher, feststehender, wohlüberlegter Entschluß, von dem ich nie und unter keinen Umständen ablassen werde. Merken Sie sich das. Nun überlegen Sie sich, ob Sie glauben, auf die Bedingungen, die ich Ihnen vorschlug, eingehen zu können. Fühlen Sie nicht Mut genug in sich, das Versprechen, das ich von Ihnen fordere, zu leisten, so gehen wir gar nicht weiter. Ich erkläre dann meinem Vater bestimmt, daß ich nicht heiraten werde. Und sollte er mich deshalb auch mißhandeln, so werde ich dennoch nicht von meinem Entschluß lassen.«

»Erlauben Sie mir aber eine Bemerkung, Fräulein Therese. Es könnte nämlich vorkommen, daß Sie mit der Zeit Ihre Ideen über die Rechte der Ehe änderten, denn Sie sind ebensowenig aus Holz wie ich. Durch Geduld und Ergebenheit gelingt es mir vielleicht, Ihre Bedenklichkeiten ,... Ihren Widerwillen, um es offen zu sagen, zu besiegen ,...«

»Meinen Widerwillen ,... gegen Sie, Herr Bouffard?« unterbrach ihn Therese. »Oh, ich habe keinen Widerwillen gegen Sie! Die Bedingungen, die ich Ihnen vorschlage, würde ich jedem anderen ebensogut stellen wie Ihnen ,...«

»Der selige Herr Julian ausgenommen«, sagte der Sappeur leise.

Granatblüte tat, als habe sie die Worte nicht gehört, und fuhr weiter fort:

»Dieser Entschluß ist durchaus keine vorübergehende Laune eines jungen Mädchens, es ist der feste Vorsatz einer Frau, sage ich Ihnen. Ich will Sie nicht täuschen, mein Charakter kennt die Züge nicht, als daß ich Ihnen nicht jetzt erklärte, daß niemals ein Mann, wer es auch sei, mich besitzen werde ,... wie Sie das auch verstehen mögen.«

»Ausgenommen der selige Herr Julian, wenn er noch am Leben wäre«, murmelte der Sappeur noch leiser als vorher.

»Und wenn Sie meinen Worten keinen Glauben schenken, so glauben Sie wenigstens dem Schwur, den ich vor diesem heiligen Bilde ablege.«

Granatblüte streckte den Arm nach dem Kruzifix an der Wand aus und rief:

»Ich schwöre, zu leben und zu sterben als ,...«

»Halten Sie ein, mein Fräulein,« rief der Sappeur und eilte auf sie zu, »jetzt schwört man nicht; man weiß nicht, was kommen kann. Hören Sie mich an: Ihre Bedingungen sind sehr hart und ebenso außergewöhnlich, aber ich will sie annehmen, denn«, er legte seine Hand aufs Herz, »hier drin lebt, wie ich Ihnen schon gestern sagte, ein Gefühl, das mich gewaltsam zu Ihnen hinzieht. So sei es! Bruder und Schwester, Fräulein Therese, ich gehe darauf ein und füge mich in alles, was Sie verlangen.«

»Ohne Vorbehalt?« fragte Therese.

»Ohne Vorbehalt«, wiederholte der Soldat.

»Und Sie, Herr Bouffard, versprechen mir, daß Sie niemals die Rechte beanspruchen wollen, die Ihnen das Gesetz einräumt, um zu verlangen, was ich nicht gestatten kann?« fügte Granatblüte mit niedergeschlagenen Augen hinzu.

»Ich verspreche Ihnen, Fräulein Therese, Sie niemals zu etwas zu zwingen ,... was Sie mir nicht selbst bewilligen.«

»Wollen Sie mir das beschwören, Herr Bouffard?«

»Ja, mein Fräulein, ich schwöre es Ihnen bei diesem Kreuze hier, das ich niemals befleckt habe.«

Der Sappeur führte seine Hand so lebhaft ans Herz, daß sich seine Dekoration loslöste und zu Boden fiel. Schneller als der Soldat bückte sich Granatblüte, hob das Kreuz auf und befestigte es mit einer Stecknadel auf Bouffards Brust. Dann beugte sie das Knie und drückte ihre Lippen auf das Bild des Kaisers.

Diesen Kuß der Begeisterung erteilte sie so lebhaft und ungezwungen, daß der Sappeur gerührt seine Braut mit feuchtem Auge anblickte und zu ihr sprach:

»So lieben Sie wenigstens den kleinen Korporal, Fräulein Therese?«

»Ach ja, Herr Bouffard, wär' ich ein Mann, so hätte der Kaiser keinen besseren Soldaten als mich«, rief das Mädchen begeistert aus.

»Das ist gar nicht nötig,« meinte der Soldat weich, »Sie sind groß, schön und stark gebaut; Sie geben eine stattliche Obermarketenderin.«

»So sei es!« rief Granatblüte und reichte dem Sappeur ihre beiden zierlichen Händchen, die er sogleich ergriff, »unser Kontrakt ist abgeschlossen, ich werde Madame Bouffard, wann Sie es wollen.«

»Oh, das soll nicht lange anstehen,« erwiderte der Sappeur voll Freude, »aber, Fräulein Therese, ohne Ihnen etwas vorschreiben zu wollen, wäre es wohl jetzt schon zu viel verlangt, wenn ich um die Erlaubnis bäte, Sie umarmen zu dürfen?«

»Das ist das Recht des Eheherrn,« lächelte Therese und bot ihm ihre Wange, »und da Sie dieser doch bald sein werden, so muß ich Ihnen das Recht wohl einräumen.«

»Ich könnte freilich sagen,« meinte Bouffard und strich seinen Schnurrbart schmunzelnd in die Höhe, »daß sich das bewußte Recht des Eheherrn noch etwas weiter erstreckt, allein ich begnüge mich für jetzt dabei, mein liebes, mein schönes Fräulein Therese. Denn von diesem Augenblick an sind und bleiben Sie mein Vorgesetzter und mein Flügelmann bis zu meinem letzten Seufzer.«

Nachdem der Soldat Therese auf beide Wangen geküßt hatte, verabschiedete er sich und stieg eilig die Treppe hinab, um Vater Roblot und Vetter Renard, die im Hinterstübchen bei einer Flasche Wein auf ihn warteten, von dem glücklichen Ausgang seiner Unterredung in Kenntnis zu setzen.

Bouffard stürzte atemlos in das kleine Zimmer.

»Sieg auf der ganzen Linie!« rief er begeistert.

»Die Festung hat kapituliert?« fragte der Klempner.

»Ja, Schwiegervater, der Sieg ist unser«, war die Antwort.

»Das soll doch wohl heißen, daß Granatblüte dein ist?« warf Renard ein.

»Nun ,... sozusagen«, erwiderte Bouffard.

»So laß hören,« meinte Vater Roblot zu seinem künftigen Schwiegersohn, »erzähl uns die Kapitulationspunkte. Hat's viele Tränen gekostet, sind dir viele Bedingungen abgerungen worden? Hat sich Therese im Anfang doch wohl recht gegen die Ehe und gegen die ganze Sache gesträubt? Das sollte mich nicht wundern, denn sie ist mein leibhaftiges Ebenbild, wie ich mit zwanzig Jahren war. Meine Tochter ist ein echter Dragoner.« ( Dragon = Drache.)

»Ja, ein Tugenddrache«, lächelte Renard.

»Ihre Tochter, Vater Roblot,« entgegnete der Sappeur, »war sanft wie ein Lamm, und Sie sollen gleich hören, wie die Angelegenheit freundlich erledigt wurde.«

Darauf erzählte Bouffard die ganze Unterredung, die er mit Therese hatte, ohne auch nur ein Wort wegzulassen.

»Und da hast du eingewilligt?« rief der Klempner, als der Sappeur zu dem Versprechen kam, wie ein Bruder mit seiner Frau zu leben.

»Allerdings. Sie begreifen wohl, daß ich nicht so alt geworden bin, ohne zu wissen, wie es mit den Launen des schönen Geschlechts beschaffen ist. Ich heirate nicht deshalb, um eine Frau zu meiner Verfügung und zu meinem Willen zu haben, sondern um des Vergnügens ihrer Gesellschaft willen. Und was für eine Gesellschafterin ist Granatblüte, Vater Roblot!«

»Bomben und Granaten,« rief der alte Soldat und schleuderte seine Mütze mit dem Fuchsschweif auf den Tisch, »wenn zu meiner Zeit eine Frau, ein Mädchen oder eine Witwe mir solche Bedingungen vorgeschrieben hätte, so hätte ich sie zum Henker gejagt. Da du dich aber einmal darauf eingelassen hast, so sieh du selber zu, mein Junge. Aber der Teufel hole solche Ideen!«

»Bouffard wird ein Ehemann in partibus sein«, meinte Vetter Renard boshaft.

»Trotzdem muß Therese eine tiefe Zuneigung zu dir besitzen, denn ich hätte nie gedacht, daß sie sich so schnell entscheiden würde. Aber die Zeit ist der Hauptmeister im Kriege wie in der Liebe, und sie wird dir auch sicher die Fähigkeit verschaffen, in deine Rechte einzutreten.«

»Zudem«, ließ sich Renard hören, »ist Versprechen und Halten zweierlei. Ist Bouffard erst mal verheiratet, dann kann er machen, was er will. Hat doch schon Molière vor langer Zeit gesagt: ›Auf der Seite des Bartes ist die Allmacht‹, und in deiner Eigenschaft als Sappeur hast du in dieser Allmacht noch etwas voraus.«

»Oh, Ihr Herr Molière mag sagen, was er will, Vetter Renard. Was ich Fräulein Therese einmal versprochen habe, das werde ich auch zu halten wissen. Sie hat sich mir anvertraut, und ich müßte mich verachten, wollte ich ihr das mit Gewalt rauben, was sie mir nicht geben will. In keinem Fall darf der Mann seine Frau bestehlen.«

»So wird die große Armee eine neue Jeanne d'Arc bekommen?« spottete Renard. »Doch das sind deine Angelegenheiten und nicht die unsrigen. Aber du kannst dich rühmen, die Kathedrale der Frauen geheiratet zu haben. Nun, wann soll Hochzeit sein?«

»Ja, wann soll die Hochzeit sein?« fragte auch der Klempner. »Du weißt, daß alles, was die betreffenden Sachen anlangt, von mir und Renard ins reine gebracht wird.«

»Seit unser Regiment hier in Garnison liegt, Vater Roblot, habe ich meine Papiere von zu Hause kommen lassen. Sehen Sie, die sind ganz in Ordnung. Besorgen Sie nur mit dem Vetter die Sache, aber beeilen Sie sich, denn mir ist es lieber, es geschieht heute als morgen. Ich will aber schnell alles meinem Oberst mitteilen.«

»Ah, du befürchtest vielleicht, Granatblüte werde dir wieder absagen?« fragte Renard.

»Oh, das keineswegs. Ich fürchte nur, vor allzuviel Wonne zu sterben.«

Von diesem Tage an machten sich Vater Roblot und sein Gevatter Renard ans Werk, und nachdem alle Formalitäten erledigt, einige auch durch Geschenke abgekürzt waren, kündigten sie den Verlobten an, daß die Hochzeit in zehn Tagen stattfinden könne.

Das Gerücht von der bevorstehenden Verheiratung Thereses mit einem Sappeursergeanten und Legionär vom 10. Linienregiment hatte sich mit wunderbarer Schnelligkeit in der Vorstadt Saint-Marceau verbreitet. Es darf übrigens nicht geleugnet werden, daß der Klempner der Verbreitung der Nachricht neue Flügel und Trompeten verliehen hatte, da er es jedermann erzählte und sich selbst die Mühe nahm, seine Nachbarschaft zur kirchlichen Einsegnung einzuladen, die in der Saint-Medardus-Kirche stattfinden sollte.

An diesem Tage schien die Kirche wirklich zu klein zu sein, um die Menge der Neugierigen zu fassen, die sich hineindrängten. Die Handwerker hatten ihre Werkstätten, die Klatschbasen ihre Küchen, die Soldaten ihre Kasernen und die Ladenmädchen ihre Geschäfte verlassen, um ein junges Mädchen zu bewundern, dessen Schönheit im ganzen Stadtviertel sprichwörtlich geworden war und dessen Tugend die Mütter ihren Töchtern als Vorbild zur Nachahmung hinstellten.

In Erwartung der Wagen, die die Braut, ihre Familie und die Zeugen bringen sollten, hatten sich vor der Kirche kleine Gruppen gebildet, die sich abgesondert recht lebhaft unterhielten.

»Vater Roblot ist nur halb zufrieden,« sagte ein Gerber, »ich glaube nicht, daß der Kaiser heute sein Vetter ist. Er verheiratet seine Tochter an einen dekorierten Sappeuroffizier.«

»Ein Sappeuroffizier, hört nur,« ließ sich einer vernehmen, »seit wann gibt's denn bei den Sappeuren auch Offiziere?«

»Da haben wir halt mal wieder einen, der eben nichts weiß«, wiederholte der Handwerker.

»Bist du fertig? Ich sage dir, daß die Sappeure bei den Regimentern keine Offiziere haben. Es ist ein einfacher Sergeant, damit basta! Hab' ihn diesen Morgen noch selbst gesehen, wie er sich beim Friseur herausputzen ließ.«

»Gerechter Himmel,« rief jetzt eine alte Frau, »sollte Mademoiselle Roblot den bärtigen Sappeur heiraten, der so oft in die Werkstatt ihres Vaters kommt?«

»Denselben, Mutter Baligorne,« bestätigte eine Gevatterin, »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, der ist's!«

»Was soll er denn mit dem langen Bart anfangen?«

»Ihn einfach abschneiden lassen«, antwortete Mutter Baligorne.

»Ei,« versetzte die Gevatterin, »warum sollte denn ein Bart am Heiraten hindern? Im Gegenteil!«

»Na, Sie haben ihn gewiß nicht gesehen, den Bräutigam! Der gleicht ja einem Bären, man sieht von seinem ganzen Gesicht nur die Nasenspitze. Ich möchte mich lieber mit einer Grenadiermütze verheiraten als mit dem da. Gütiger Gott, was für ein Unterschied zwischen ihm und meinem Seligen, der mich gar nicht zu küssen wagte, wenn sein Bart nur drei Tage alt war.«

»Das kommt daher, daß Sie eine Kokette waren, Mutter Baligorne. Heute würden Sie auch nicht mehr so viel Umstände machen.«

»Gehen Sie,« rief Mutter Baligorne verächtlich, »Sie verstehen das ja gar nicht zu beurteilen.«

In einer anderen Gruppe rühmte man die geselligen Eigenschaften Vater Roblots, aber über diesen Punkt lauteten nicht alle Ansichten übereinstimmend.

»Herr Roblot«, meinte ein alter Flickschuster, »war seinerzeit ein gewichtiger Kerl. Bei Valmy hat er ganz allein eine Fahne erobert, und die Regierung hat ihm dafür eine Rente ausgesetzt.«

Ein ungläubiger Schreiner, denn ungläubige Leute finden sich überall, rief verdutzt:

»Wie? Eine Fahne? ,... Er ,... Vater Roblot? Wo denken Sie hin!«

»Jawohl, er, eine wirkliche Fahne! Im Invalidendom über dem Hochaltar können Sie sie aufgehängt sehen.«

»Ich sage Ihnen aber, daß Vater Roblot keine Fahne allein erobert hat. Wenn er Ihnen das gesagt, so hat er Ihnen eben einen Bären aufgebunden; haben Sie aber das Märchen selbst erfunden, um Vater Roblot herauszustreichen, so taten Sie unrecht daran.«

In einer dritten Gruppe schätzte man die Mitgift der Braut ab.

»Herr Roblot soll seiner Tochter achtzehntausend Franken mitgegeben haben«, sagte eine fette Obstverkäuferin, um die sich die Klatschbasen wie um einen Pfeiler geschart hatten.

»Achtzehntausend Franken! Entschuldigen Sie, aber ich glaube, da haben Sie sich doch ein wenig verstiegen, Nachbarin«, versetzte eine aus der Menge.

»Bei Gott, ich habe mir's sagen lassen.«

»Nun, da haben Sie sich etwas sagen lassen, was gar nicht möglich ist. Wo sollte denn der gute Alte das Geld hernehmen? Soll ihm wohl gar sein Kramladen so viel eingebracht haben?«

»Ich kann es bestätigen, daß Vater Roblot seiner Tochter eine anständige Mitgift gegeben hat,« sagte eine andere, »denn meine Nichte ist Köchin bei dem Notar, der den Ehekontrakt entworfen, und da hat sie es sagen hören. Was gibt es da überhaupt zu schauen, wenn die braven Leute, die nur das einzige Kind haben, das sie wie ihren Augapfel hüten, sich ein wenig schröpften, um die Tochter gut unterzubringen? Das Mädchen macht eine gute Partie. Man hat eben davon gesprochen, daß der Soldat außer seinem Sold und dem Kreuz noch von Hause ein hübsches Vermögen hat.«

»Das kann man nicht so genau wissen,« beschwichtigte Frau Boulard, »man spricht gar viel, und ich glaube nicht, daß beide viel haben. Das einzige ist, daß er ein stattlicher Mann von fünf Fuß und sechs Zoll ist, mit einem Bart, der einen halben Fuß lang ist und den er zum Zeichen seines Grades trägt, und daß sie ein so hübsches Mädchen ist, das selbst einem Fürsten Ehre machen würde. Doch da kommen sie ja!«

In der Tat machte die Ankunft der vier Fiaker, in denen das Brautpaar, die Zeugen, die Eltern und die Gäste saßen, den Gesprächen ein Ende. Die Gruppen verteilten sich, um dem Hochzeitszug eine Gasse zu bilden.

Granatblüte war nie so schön gewesen. Das seit langem für Hochzeitsfeste übliche weiße Musselinkleid stand ihr zum Entzücken, und ihr schlanker, schmiegsamer Wuchs verlieh ihrer einfachen Kleidung noch einen besonderen Reiz. Der Strauß von Orangenblüten, dies herrliche Symbol christlicher Jungfräulichkeit, strahlte unter den Flechten ihres blonden Haares wie eine Perle unter goldenem Diadem hervor. Therese aber hatte noch eine Immortelle, diese bescheidene Blume, die nie stirbt, und ein Stiefmütterchen mit in ihre Brautkrone flechten lassen.

Dadurch machte das junge Mädchen diejenigen, die aus dem Kelch einer Blume das geheimnisvolle Schicksal einer Frau zu lesen verstehen, zu Vertrauten ihrer keuschen Entschlüsse.

In einem kastanienbraunen Rock mit Metallknöpfen, in Beinkleidern von zeisiggrünem Kaschmir und einer weißen Weste führte Vater Roblot seine Tochter an der Hand und bezog bescheiden einen Teil des Lobes, das man Therese spendete, auf seine Wenigkeit. Mit dem Ernst eines Richters schritt er an der Spitze seiner Schöffen. Der Sappeur Bouffard in Paradeuniform führte Madame Roblot, und Vetter Renard folgte mit den Freunden und Bekannten der Familie nach.

Nach vollzogener Feier bestieg die Hochzeitsgesellschaft wieder ihre Wagen, um nach der Militärschule zu fahren, denn dort sollte nach dem Versprechen des Obersten Bouffards Hochzeitsmahl stattfinden, und nach der ernsten Feier des Tages sehnte sich jedermann nach der Freude. Vater Roblot schnürte es fast die Kehle ab, daß er seit dem Morgen niemand finden konnte, um mit ihm von seinen Feldzügen und vom Kaiser zu plaudern. Auch Renard ertrug nur ungeduldig das lange Stillschweigen, und der Bräutigam, der überglücklich war, Granatblüte endlich Madame Bouffard nennen zu können, unterlag beinahe der Sehnsucht, sich des einzigen Vorrechts zu erfreuen, das ihm die Ehe zugestand, nämlich seine Frau nach Herzenslust küssen zu dürfen.

Als der Hochzeitszug in den ersten Hof der Militärschule eingetreten war, ließ sich ein lauter, nicht enden wollender Ruf hören: »Seht, da kommt die neue Marketenderin des 10. Regiments! Seht, Bouffards Frau!« Und alsbald eilten Infanteristen, Reiter und Kanoniere aus ihren Zimmern, Ställen und Wachtstuben herbei, um die Neuvermählten zu betrachten. Bald folgte diesem ersten Trieb der Neugierde ein Gefühl der Bewunderung. »Wie schön sie ist!« riefen die Soldaten. Und diese Worte, von munteren Witzen begleitet, in denen der französische Soldatengeist so besonders glücklich ist, waren das erste Lob, das Granatblüte beim Antritt ihrer neuen Laufbahn begrüßte.

Man setzte sich zu Tisch, und mehr als sechzig Gäste nahmen an einem Gelage teil, das mit dem Belsazars nichts weiter gemein hatte als die Einfachheit der Speisen und den Überfluß an Wein. Ein paar durch die Verschiedenheit der Waffengattungen und der Regimenter entstandene Streitigkeiten – ein Umstand, der unter dem Kaiserreiche oft zu blutigen Händeln führte, aber zugleich auch einen trefflichen Korpsgeist nährte, der dem Ganzen wieder zugute kam, – hatten die Aufmerksamkeit der Korpschefs auf sich gelenkt. Die Hochzeit Granatblütes mit dem Sappeur Bouffard hatte den Obersten auf den Gedanken gebracht, allen Streit dadurch zu schlichten, daß man zu diesem Fest die ältesten Unteroffiziere aller in der Militärschule liegenden Regimenter einlade. Dies war auch geschehen, und so fanden sich denn alle Waffengattungen an der Tafel vertreten und vereint, was Vater Roblot besonders befriedigte, da er unter diesen alten Schnauzbärten mehr als einen Kameraden von Valmy und Jemappes fand. Granatblüte eröffnete also ihren Eintritt in die Armee durch eine brüderliche Versöhnung zwischen den Verteidigern ihrer gemeinsamen Mutter, des Vaterlandes.

Der Oberst des 10. Regiments wollte die gute Eintracht durch seine persönliche Anwesenheit befestigen, und er war einer der ersten, die der Schönheit und dem Charakter der neuen Marketenderin ihre Huldigung darbrachten. Beim Nachtisch trat er mit mehreren Offizieren seines Regiments in den Festsaal.

»Bouffard,« wandte er sich an den Sappeur, »ich halte mein Wort. Ich komme hierher, um auf die Gesundheit des Kaisers und auf euch alle, meine Kameraden, zu trinken.«

Bei diesen Worten erhoben sich alle Anwesenden und grüßten militärisch.

»Ach, mein guter Oberst,« rief Bouffard, »Sie erfüllen mein Herz mit Freude. Es steht geschrieben, daß heute alles Glück über mich ausströmen soll. Mein Oberst, erlauben Sie der Braut, meiner Gattin, Sie selbst zu bedienen.«

Granatblüte verließ ihren Platz, um dem Obersten ein Glas Wein mit einem Anstand und einer Anmut ohnegleichen einzuschenken. Ein beifälliges Gemurmel durchlief eine Zeitlang die Gruppe der Offiziere und die Reihen der Gäste.

»Das ist ein Glückspilz, der Bouffard!« sagten die jungen Offiziere unter sich. »Seine Frau ist viel schöner als die des Obersten, des Oberstleutnants und des Majors zusammen.«

»Nur gut,« flüsterte leise ein junger Unterleutnant, »daß eine Marketenderin keine Lukretia ist und wir früher oder später doch auf die Ehre ihrer Huld rechnen dürfen.«

»Verlassen Sie sich darauf nicht allzusehr,« lenkte der alte Kapitän Paqueville ein, »in dieser Person steckt etwas ganz anderes als Koketterie.«

»Meine Freunde, auf das Wohl des Kaisers!« rief der Oberst, sein Glas erhebend.

»Auf das Wohl des Kaisers!« wiederholten alle.

Dieser von den Gästen mit einer beinahe an Wahnsinn grenzenden Begeisterung ausgebrachte Toast wurde von außen durch den Wirbel der Tamboure vom 10. Regiment und durch einen Trompetentusch der Reiterei begrüßt.

»Mein Oberst,« sagte Roblot, als sich der frohe Lärm etwas gelegt hatte, »erlauben Sie dem Vater der Braut, einem alten Soldaten von Jemappes, auch ein Glas auf die große Armee und auf alle in der Militärschule liegenden Korps auszubringen.«

Wie auf einen Schlag erhoben sich alle Hände, und das Klirren der Gläser, der Säbel und Sporen heiligte gewissermaßen den patriotischen Wunsch des alten Soldaten.

Der Oberst und die Offiziere zogen sich zurück. Nun gaben sich die Gäste einer ungezwungenen und lauten Freude hin. Man sang aus voller Kehle, trank in vollen Zügen, und die Toaste auf die Neuvermählten, mehr oder minder geistreich ausgebracht, folgten einander Schlag auf Schlag. Vater Roblot war beinahe närrisch vor Glück und fühlte sich ebenso zufrieden mit sich selbst wie mit den übrigen.

Die Uhr auf dem großen Pavillon schlug elf. Das war die vom Oberst zum Schluß des Festes bestimmte Stunde. Die Soldaten zogen sich in ihre Schlafsäle zurück, und die Verwandten und Zeugen verließen die Militärschule, um sich nach Hause zu begeben. Nur Vater Roblot, seine Frau und Vetter Renard blieben noch, um Therese unter ihr eheliches Dach zu begleiten.

Wie groß aber war ihr Erstaunen, als sie in das für die Neuvermählten bestimmte Zimmer traten, das gerade über der Kantine lag, und hier ein kleines, niedliches und mit Geschmack eingerichtetes Gemach antrafen. Zwei mit Vorhängen verdeckte Betten nahmen die beiden Ecken ein, ein Sekretär von Mahagoni stand gegenüber einem mit Marmoraufsatz versehenen und mit einem hübschen Spiegel geschmückten Kamin, eine Kommode und Sessel, ebenfalls von Mahagoni, zu beiden Seiten des Fensters, das auf einen Hof der Militärschule ging, endlich bedeckte ein Teppich die Ritzen des alten Fußbodens. Auf dem Kamin stand eine Alabasteruhr, zu beiden Seiten kleine Porzellanvasen mit Blumen, und auf der Kommode ein Kästchen von Ebenholz, angefüllt mit hunderterlei kleinen Überflüssigkeiten, die für die Frau so unentbehrlich sind.

»Welche Torheit!« rief der Schwiegervater aus, nachdem er die niedliche Wohnung aufs eingehendste inspiziert hatte, »welche Torheit, mein Schwiegersohn! Wo haben Sie jemals gesehen, daß eine Unteroffiziersfrau so vornehm eingerichtet war?«

»Vater Roblot,« erwiderte der Sappeur und betrachtete sich im Spiegel, »wenn man einen so schönen Vogel besitzt wie Therese, so trachtet man auch danach, seinen Käfig zu verzieren. Das habe ich denn getan; Sie werden mir darum auch nicht böse sein.«

»Schon recht, Bouffard, aber dein Regiment kann heute oder morgen marschieren müssen, und dann verlierst du mindestens fünfzig Prozent an den Sachen, wenn du sie verkaufen willst.«

»Sie urteilen wie ein echter Quartiermeister, Schwiegervater. Aber ich antworte Ihnen, wenn wir die Militärschule verlassen, so wird das Mobiliar aufbewahrt, bis ich mit meiner Frau wieder zurückkomme, um mit Ihnen von unseren Renten zu leben.«

»Ja, dann ist's was anderes,« sagte der Klempner, »und ich tadle dich nicht mehr, obschon das wirklich Torheiten sind. Und ich wette, meine Tochter, deine Frau, wollte ich sagen, denkt wie ich.«

»Meiner Treu, lieber Vater,« erwiderte Granatblüte, »mir gefällt diese Pracht, und ich bin im Gegenteil Herrn Bouffard, meinem Mann«, fügte sie rasch hinzu, »Dank schuldig, daß er so gehandelt hat.«

»Zum Teufel!« murmelte der alte Soldat, »da sieh mal einer mein Töchterlein, das sein Spiel so wohl zu verbergen weiß! Ich hielt das Mädchen für so einfach, – da, kaum ist es verheiratet, so singt es schon ein anderes Lied. Nun, 's ist gut, meine Kinder, macht's, wie ihr wollt, Freiheit muß sein. Ich wasche meine Hände.«

Nun verabschiedeten sich die Eltern und Vetter Renard, der nichts gesagt hatte, obwohl Frau Roblot sich dem Gebrauch gemäß angeboten hatte, dem Zubettegehen der Braut beizuwohnen. Aber Granatblüte antwortete:

»Das ist überflüssig, Mama. Ich brauche niemand, um mich schlafen zu legen.«

Als Bouffard und Therese allein waren, folgte langes Schweigen auf die überströmenden Abschiedsgrüße. Der Sappeur unterbrach diese ernste, geheimnisvolle Stille zuerst.

»Madame Bouffard,« sagte er mit weicher Stimme, »Sie sehen, daß ich Ihre Bedingungen achtete; hier stehen zwei Betten, das eine für Sie, das andere für mich. Niemals, ich wiederhole meinen Schwur, werden Sie ein Wort von mir hören, das Ihre Ruhe stören könnte.«

»Ich glaube Ihnen,« sagte Therese und reichte ihrem Mann die Hand, »ich erwarte es von Ihrem Zartgefühl nicht anders. Sie werden mein bester Freund, meine Stütze, mein Bruder sein, Bouffard,« und mehrmals wiederholte sie leise die Worte: »trefflicher Mann.«

»Ich nehme den Titel da an, Mademoiselle – Madame, wollte ich sagen,« entgegnete der Sappeur seufzend, »bis es Ihnen beliebt, mir einen anderen einzuräumen.«

Granatblüte nahm ihren Brautkranz ab und hing ihn mit dem Medaillon, das sie beständig um ihren Hals getragen, zu Häupten ihres Bettes auf. Dann verschwand sie wie ein gespenstischer Schatten hinter den Vorhängen und sagte zugleich ernst, aber auch wohlwollend:

»Gute Nacht, Bouffard!«

»Gute Nacht, Therese«, antwortete der Sappeur mit einer Stimme, die seine inneren Gefühle verriet.

Er selbst ging nun daran, ein wenig Ruhe zu suchen, denn der Tag war ermüdend gewesen. Da sagte Granatblüte nochmals: »Gute Nacht, Bouffard!«

Und wie der Sappeur sich umwandte, sah er einen kleinen, weißen Arm zwischen den Vorhängen hervorkommen und am Ende des Armes ein niedliches, weißes Händchen, das sich sanft bewegte, als wolle es ihm sagen: »Komm näher!« Bouffard verstand den Wink. Er kam eilig herbei, beugte seine Knie und preßte seine Lippen wie wahnsinnig darauf.

»Ewig, ewig, Therese,« stammelte er, »werde ich Ihre Person achten, wie man den Adler seiner Fahne achtet. Hab' ich's Ihnen nicht auf mein Kreuz geschworen?«

.

Bouffard kam eilig herbei, beugte seine Knie und preßte seine Lippen wie wahnsinnig auf Thereses weißes Händchen.

Und rasch eilte er zu seinem Bett zurück. Ein paar Augenblicke später glaubte der Sappeur an den taktmäßigen und ruhigen, aber doch etwas bedrückten Atemzügen zu bemerken, daß Therese eingeschlafen sei. Er legte sich nun ebenfalls ohne Geräusch nieder, und den Kopf auf beide Hände gestützt, murmelte er vor sich hin:

»Bomben und Granaten, was für ein Los habe ich! Sagen zu müssen, daß ich in der Brautnacht an der Seite eines Mädchens von achtzehn Jahren, das schön und keusch wie Susanne und geistreich wie Venus ist, friedlich schlafe! Ach, wenn das mein Oberst wüßte, wenn das jemals meine Kameraden erführen! Aber halt, Bouffard, laß dir den Kopf nicht verdrehen, denn es hilft dir nichts, das Reglement spricht dagegen. Du mußt dein Wort halten, wieviel es dich auch koste, und müßtest du auf einem Rost braten wie der heilige Laurentius. Geh, denk nicht länger daran. Was scheren uns die Bagatellen der Ehe, denken wir etwa an den Tod, wenn wir in den Laufgräben sind. Gute Nacht, Kompagnie!«

Und bald schlief der wackere Sappeur den Schlaf des Gerechten, während Therese sich nur stellte, als ob es bei ihr auch der Fall sei.

Am anderen Morgen mit Tagesanbruch war die Kantine mit den Spaßmachern des Regiments angefüllt, die begierig waren, die Neuvermählten zu sehen. Bouffard antwortete heiter auf die Kasernenwitze, die ihm galten, aber sagte doch abseits zu sich:

»Sapperlot! Wenn ich daran denke, was sich die Schlingel einbilden ,...! Doch, was schadet es, es ist besser, sie reißen ihre Witze, als daß sie die Wahrheit wissen.«

Bald darauf stellten sich alle Sappeure des 10. Regiments ein, um mit Bouffard ein Gläschen zu leeren.

»Sergeant,« wandte sich der Korporal der Mannschaft an ihn, »meine Kollegen und ich wünschen auf Ihre Gesundheit sowie auf die Ihrer allerliebsten Ehehälfte zu trinken, der Sie gestern angetraut wurden. Zugleich wollen wir Ihnen unsere Glückwünsche zu den Freuden darbringen, die Sie ,...«

»Danke, Korporal, danke«, unterbrach ihn Bouffard eilig.

Und den Ellenbogen in Augenhöhe erhoben, leerte er das dargebotene Glas Branntwein auf einen Zug, nachdem er zwischen den Zähnen gemurmelt:

»Er ist schwer zu verschlucken ,... der Trost!«


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