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Nachdem die beiden jungen Leute sich noch mehr mit einander bekannt gemacht hatten, indem sie sich über ihre beiderseitige Lage das Nähere in freundschaftlichem Gespräche mittheilten, überlegten sie gemeinschaftlich wie sie ihre weitere Reise nach Wien am vorsichtigsten und zweckmäßigsten einrichten könnten. Das Erste war, daß sie ihre Börsen hervorzogen und ihr Geld überzählten. Consuelo war noch die reichste von ihnen beiden; aber ihre vereinigten Mittel reichten hin, um zu Fuße den Weg ganz angenehm zurückzulegen, ohne daß sie zu hungern oder unter freiem Himmel zu schlafen brauchten. Weiter war nichts nöthig und Consuelo war darüber schon mit sich einig. Indessen war Joseph ungeachtet des frischen Muthes, den sie in dieser Hinsicht zeigte, nachdenklich und sorgenvoll.
– Was haben Sie? fragte sie ihn. Fürchten Sie vielleicht durch meine Gesellschaft aufgehalten zu werden? O, ich wette, daß ich noch besser marschire als Sie.
– Gewiß können Sie alles besser als ich. Nein, das ist es nicht, was mich beunruhigt. Mir ist nur bange, wenn ich bedenke, daß Sie jung und schön sind, daß Sie die Blicke aller Leute auf sich ziehen müssen; und ich bin so klein und schwach, daß ich bei allem guten Willen mein Leben für Sie zu lassen, vielleicht nicht stark genug sein werde, um Sie zu beschützen.
– Was besorgen Sie denn, liebes Kind? Wäre ich auch schön genug, um die Blicke der Vorübergehenden auf mich zu ziehen, so denke ich doch, daß eine Frau die auf sich hält, immer im Stande ist, durch ihr Benehmen, Jeden in Schranken zu halten ...
– Häßlich oder schön, jung oder im Abnehmen, frech oder sittsam sind Sie auf diesen mit Soldaten und Gesindel aller Art bedeckten Straßen nicht sicher. Seit der Frieden geschlossen ist, findet man überall Kriegsvolk das in seine Garnisonen zurückkehrt und besonders viele Abentheurer und Gelegenheitsritter, die jetzt ohne Beschäftigung sind, auf andere Art Glück suchen, Straßenraub treiben, das offne Land brandschatzen und die Provinzen wie erobertes Gebiet behandeln. Unsere Armuth ist uns nun freilich Geleitsbrief genug gegen dergleichen Unternehmungen; aber als Frau werden Sie der Brutalität solcher Menschen nicht entgehen.
Ich denke ernstlich daran, einen andern Weg einzuschlagen. Statt über Pisek und Budweis zu gehen, wo Garnisonplätze sind und die verabschiedeten Truppen und Andere die nicht viel mehr taugen, beständig einen Vorwand haben die Straßen zu passiren, können wir uns an das Moldauufer halten und über die öden Gebirgswege gehen, wo diese Herren nichts vermuthen was ihre Habgier und ihr Diebsgelüst reizen könnte. Wir bleiben dann an der Moldau bis Reichenau und gehen über Freistadt gleich ins Oesterreichische hinein, wo wir unter dem Schutze einer Polizei stehen, die nicht so ohnmächtig wie die böhmische ist.
– Sie kennen also diesen Weg.
– Nein, ich weiß nicht einmal, ob es einen da giebt, aber ich habe eine kleine Karte bei mir, und ich habe es mir schon ausgedacht, als ich von Pilsen weggegangen bin, mir einen Weg über das Gebirg zu suchen um Abwechslung zu haben und neue Gegenden zu sehen.
– Gut! sagte Consuelo, Joseph's Karte betrachtend, welche er aufgeschlagen hatte, Ihr Gedanke gefällt mir. Wege für Fußgänger giebt es überall, und Hütten auch wohl, wo mäßige Leute für Geld und gute Worte unterkommen können. Ich sehe hier in der That einen Bergzug aufgezeichnet, der bis zu den Moldauquellen reicht und am Ufer des Flusses hinzieht.
– Es ist der große Böhmerwald, der hier seine höchsten Gipfel hat, und die Grenze zwischen Böhmen und Baiern macht. Wir werden uns leicht zurecht finden, wenn wir uns immer auf der Höhe halten; rechts und links steigen die Thäler in beide Länder hinab. Da ich, Gott sei Dank, auf diesem nicht zu findenden Schloß Riesenburg nichts mehr zu thun hab', so will ich Sie schon richtig führen, und Sie sollen keine unnützen Wege machen.
– Brechen wir auf, sagte Consuelo; Ich bin völlig ausgeruht. Der Schlaf und Ihr gutes Brot haben mir wieder Kräfte gegeben und ich kann heut recht gut noch ein Paar Meilen machen. Es ist mir übrigens auch darum zu thun, bald aus dieser Gegend zu kommen, wo ich jeden Augenblick einem bekannten Gesichte zu begegnen fürchte.
– Warten Sie, sagte Joseph, ich hab' da einen närrischen Einfall, der mir durch den Kopf läuft.
– Nun!
– Wenn es Ihnen nicht zuwider wär', Männerkleider anzuziehen, so könnten Sie hier ganz sicher sein, unerkannt zu bleiben und würden zugleich der Unannehmlichkeit entgehen, daß sich die Leute über ein junges Mädchen das mit einem jungen Menschen allein reist, allerlei Gedanken machen.
– Der Einfall ist nicht übel, aber Sie vergessen, daß wir nicht Geld genug haben, um Kleider zu kaufen. Und wo sollen wir auch welche finden, die mir passen?
– Hören Sie! mir wäre die Sach' halt schon gar nicht beigefallen, wenn ich nicht zufällig aushelfen könnt'. Wir haben ganz einerlei Größe, was Ihnen mehr Ehre macht als mir, und ich hab' in meinem Reisesack einen nagelneuen vollständigen Anzug, der Sie ganz unkenntlich machen wird. Mit diesem Anzug verhält es sich so.
Meine gute Mutter will mir ein recht schönes und nützliches Geschenk machen, und denkt, ich müßt' doch was Anständiges auf dem Leib haben, wenn ich dem Herrn Botschafter die Visite mach' und den jungen Damen Stunden geb': nun, da läßt sie mir vom Dorfschneider einen completen Feiertags-Anzug machen, wie man ihn halt bei uns trägt und schickt ihn mir. 's ist ein ganz malerisches Kostüm, das ist halt schon wahr, und die Farb' hat sie hübsch gewählt; Sie werden sehen.
Aber denken's einmal, was für eine Figur ich auf der Gesandtschaft gespielt oder wie sich dem Herrn von Metastasio seine Nichte krank gelacht hätt', wenn ich mich mit meinen Pluderhosen und der Bauerjacke hätt' präsentiren wollen. Ich hab' meiner armen Mama schön gedankt, und hab' mir vorgenommen, den Anzug wo möglich an einen Bauern oder an einen reisenden Schauspieler zu verkaufen; deshalb hab' ich ihn eingesteckt: zum Glück aber hat sich noch keine günstige Gelegenheit dazu gefunden. Die Bauern in hiesiger Gegend sagen, das wär' wohl altmodische Tracht, oder auch polnisch, oder türkisch.
– Schön! die Gelegenheit ist nun da! sagte Consuelo lachend. Ihr Einfall ist herrlich und die reisende Schauspielerin zieht ihr Türkenkostüm an, das auch einem Unterröckchen nicht ganz unähnlich sieht. Ich kaufe es Ihnen ab, natürlich auf Borg, oder besser, unter der Bedingung, daß Sie Rendant unserer Schatulle sein wollen, wie der König von Preußen seinen Schatz nennt, und daß Sie mir die Kosten meiner Reise nach Wien gefälligst vorstrecken.
– Das wird sich finden, sagte Joseph, die Börse einsteckend und entschlossen, für seinen Anzug nichts bezahlt zu nehmen. Jetzt kommt es nur darauf an, ob das Zeug Ihnen bequem sitzt. Gehen Sie hier zwischen die Felsen, die Ihnen ein ganz sicheres und geräumiges Ankleidezimmer darbieten; ich will unterdessen im Walde spaziren gehen.
– Wohlan, Sie treten auf, antwortete Consuelo und wies in den Wald; ich ziehe mich in die Kulisse zurück.
Sie begab sich zwischen das Gestein, während ihr bescheidener Reisegefährte sich gewissenhaft tief in den Wald verfügte, und schritt unverzüglich zum Werke. Die Quelle diente ihr als Spiegel, als sie aus ihrem Verstecke trat und nicht ohne ein gewisses Vergnügen sah sie den niedlichsten kleinen Bauer erscheinen, welchen je der slawische Stamm hervorgebracht.
Ihre schlanke Taille spielte biegsam wie ein Rohr in einer großen rothwollenen Binde, und ihr zierliches Bein blickte etwas über dem Knöchel aus den weiten Faltenhosen bescheiden hervor. Ihre schwarzen Haare, die sie sich niemals entschlossen hatte dem Puder Preis zu geben, waren ihr in ihrer Krankheit abgeschnitten worden und fielen in natürlichen Locken um ihren Kopf. Sie fuhr mit den Fingern hindurch, um ihnen ganz die bäuerische Nachläßigkeit zu geben, welche sich für ihre Rolle schickte, und da sie sich mit Theatergewandtheit in dem Anzuge bewegte und vermöge ihres mimischen Talents ihrem Gesichte einen Ausdruck von bäuerischer Einfalt zu geben wußte, so fand sie sich so vollkommen verstellt, daß Muth und Selbstvertrauen ihr im Augenblicke zurückkehrten.
Wie es den Schauspielern zu gehen pflegt, sobald sie in ihrem Costüme sind, fühlte sie sich in ihrer Rolle und dachte sich so ganz in den Charakter hinein, den sie darstellen sollte, daß ihr wirklich so leicht ums Herz, so lustig zu Sinne, so flink und rührig in den Gliedern wurde wie einem jungen Buben, der hinter die Schule läuft.
Sie mußte dreimal pfeifen, ehe Haydn wieder zu ihr kam, der sich weiter als nöthig in den Wald vertieft hatte, sei es aus Schicklichkeitsgefühl, oder damit er nicht doch in Versuchung käme, ein wenig nach dem Felsspalt hinzuschielen. Er schrie vor Ueberraschung und Bewunderung, als er sie erblickte, und obgleich er erwartet hatte, sie gut verstellt zu finden, so hatte er doch im ersten Augenblicke Mühe, seinen Augen zu trauen. Diese Umwandlung verschönte Consuelo wunderbar, und verwandelte zugleich das Bild, das sich in seiner Vorstellung der junge Musiker schon von ihr machte.
Die Art Vergnügen, welches Frauenschönheit in einem Jünglinge wirkt, ist immer mit Furcht gemischt, und die Kleidung, welche selbst in den Augen des minder Keuschen das Weib zu einem verschleierten, geheimnißvollen Wesen macht, trägt zu dem Gefühle von Schüchternheit und Scheu nicht wenig bei.
Joseph war eine reine Seele und, was auch einige Biographen sagen mögen, ein keuscher und schüchterner Jüngling. Er war geblendet von Consuelo's Anblick, als er sie von den Sonnenstrahlen überströmt, am Rande der Quelle schlafend, und wie eine schöne Bildsäule unbeweglich sah. Als er dann mit ihr sprach, als er sie reden hörte, hatten sich in seinem Herzen neue Gefühle geregt, welche er nur der Freude, dem Entzücken über dieses glückliche Zusammentreffen beimaß.
Aber während der Viertelstunde, die er entfernt von ihr im Walde zubrachte, während dieses geheimnißvollen Umkleidens hatte er sein Herz heftig klopfen gefühlt. Die erste Regung hatte sich wieder eingestellt, und er nahete ihr, entschlossen, die tödtliche Unruhe, welche sich seiner Seele bemeisterte, mit aller Anstrengung unter einer gleichgültigen und heiteren Miene zu verbergen.
Die Verwandlung der Tracht, eine so gelungene, daß wirklich das Geschlecht verwandelt schien, verwandelte im Nu auch die Gemüthsstimmung des Jünglings. Er glaubte nun nichts weiter für sie zu fühlen als die brüderliche Herzlichkeit der zwischen ihm und seiner angenehmen Reisegefährtin aus dem Stegreife geschlossenen Freundschaft. Dieselbe Lust zu wandern und neue Gegenden zu sehen, die selbe Furchtlosigkeit in Betracht der möglichen Gefahren, dieselbe heitere Zuthunlichkeit, welche Consuelo in diesem Augenblick beseelten, bemächtigten sich auch seiner, und sie machten sich auf, leicht wie zwei Wandervögel Wald und Feld zu durchstreifen.
Indessen nach einigen Schritten vergaß er schon wieder, daß sie ein Junge war, als er sie ihr Bündel durch die ausgezogenen Frauenkleider vergrößert, an einem Stöckchen auf der Schulter tragen sah. Es entspann sich zwischen ihnen ein Streit hierüber. Consuelo behauptete, daß Joseph an seinem Reisesack und seinem Gradus ad Parnassum genug zu tragen hätte. Joseph dagegen betheuerte, daß er ihr ganzes Bündel noch mit in seinen Sack stecken könnte, und daß sie gar nichts zu tragen brauchte. Sie mußte nachgeben; aber um die Wahrheit der Charactermaske nicht zu beeinträchtigen, und um eine scheinbare Gleichheit zwischen ihnen herzustellen, ließ er es zu, daß sie seine Violine am Bande tragen sollte.
– Wissen Sie, sagte Consuelo, um ihm dies Zugeständniß abzunöthigen, ich muß wie Ihr Bursche aussehen, wenigstens wie Ihr Führer. Denn ich bin ein Bauer, dagegen läßt sich nicht streiten, und Sie sind ein Städter.
– Ein saubrer Städter! sagte Haydn lachend. Ich seh so ziemlich, wie einer von Meister Kellers Perückenmacherjungen aus.
Bei diesen Worten fühlte er sich aber ein wenig beschämt, daß er sich Consuelo nicht in einem gefälligeren Aufzuge als in seinen verblichenen und von der Reise abgenutzten Kleidern zeigen konnte.
– Nein, Sie sehen aus, sagte Consuelo, die ihm diesen kleinen Verdruß verscheuchen wollte, wie ein verlorener Sohn, der mit seinem Gärtnerjungen, dem Gefährten seiner Streiche und Abentheuer, endlich in das väterliche Haus zurückkehrt.
– Ich glaub, es wäre besser, sagte Joseph, wenn wir Rollen übernähmen, welche zu unserer Lage passen. Wir können nur vorstellen, was wir wirklich sind (Sie wenigstens für jetzt), arme wandernde Musikanten; und da es Handwerksbrauch ist, sich zu kleiden, so gut man kann, jenachdem man die Sachen kriegt oder Geld hat, wie man denn oft Troubadours unseres Gelichters in einem abgelegten Gallakleide oder in einem Soldatenrock herumziehen sieht, so könnten wir wohl, ich den abgeschabten schwarzen Anzug eines armen Professors und Sie die hier zu Lande ungewöhnliche ungarische Bauerntracht zufällig erlangt haben. Wir werden sogar wohl thun, zu sagen, wenn man uns fragt, daß wir eben von dorther kommen. Ich werde von dem berühmten Dorfe Rohrau, das hier kein Mensch kennt, und von der prächtigen Stadt Haimburg, nach der kein Mensch fragt, recht ex professo erzählen können. Und Sie, da Ihr allerliebster Accent Sie doch immer verräth, werden wohl thun, nicht zu leugnen, daß Sie aus Italien und Sänger von Profession sind.
– Apropos. Wir müssen angenommene Namen haben, das gehört zu unserer Kriegslist. Den Ihrigen weiß ich schon; ich nenne Sie, wie es zu meinen italienischen Manieren paßt, Beppo: das ist die Abkürzung von Joseph.
– Nennen 's mich, wie es Ihnen gefällt. Ich hab den Vortheil, daß ich unter dem einen Namen so wenig bekannt bin, als unter dem anderen. Mit Ihnen ist es etwas anderes. Sie müssen allerdings einen Namen haben. Nun, wie wollen Sie heißen?
– Ich nehme die erste beste venetianische Abkürzung, Nello, Maso, Renzo, Zoto ... Oh! nein, diesen nicht, rief sie, nachdem ihr aus Gewohnheit der abgekürzte Name Anzoleto's entfahren war.
– Warum nicht den? fragte Joseph, dem die Heftigkeit auffiel, mit welcher sie diesen Namen zurückwies.
– Es«wäre für mich ein Unglücksname; es soll dergleichen geben.
– Nun, aber wie taufen wir Sie?
– Bertoni. Es ist doch immer ein italienischer Name und eine Art Umbildung von Albert.
– Signor Bertoni! Ei, das macht sich gut, sagte Joseph, indem er sich zu lächeln zwang, aber Consuelo's Andenken an ihren edeln Verlobten gab ihm einen Stich ins Herz. Er sah sie leichtfüßig und munter vor sich hergehen.
– Ja so! sagte er sich tröstend, ich hab vergessen, daß es a Bub' ist.
Sie fanden in kurzer Zeit den Waldpfad und schlugen die Richtung gegen Südost ein. Consuelo ging barhaupt und Joseph sah, wie die Sonne ihre weiße, glatte Haut erhitzte, aber getraute sich nicht, sein Bedauern auszusprechen. Der Hut, welchen er selbst trug, war nicht neu, so daß er ihn ihr nicht anbieten durfte, und er wollte den Uebelstand, dem er nicht abhelfen konnte, lieber unerwähnt lassen. Aber er riß seinen Hut vom Kopfe, um ihn unter den Arm,zu nehmen, und so hastig, daß es seiner Gefährtin auffiel.
– Was für ein wunderlicher Einfall! sagte sie. Sie thun ja, als ob wir unter bedecktem Himmel oder im Schatten gingen. Sie erinnern mich daran, daß ich nichts auf dem Kopfe habe; aber da es mir nicht immer geboten wurde, meine Bequemlichkeiten gleich überall zu finden, so habe ich mich daran gewöhnt, mir leicht zu helfen.
Bei diesen Worten brach sie einen Zweig von wildem Weine ab, flocht ihn zusammen und machte sich einen Blätterhut daraus.
– Nun schaut sie wie eine Muse aus, dachte Joseph, und mit dem Buben ist's halt wieder aus.
Sie kamen durch ein Dorf; er sah dort einen jener Kramläden, wo man alles feil hat und ging geschwind hinein, ohne daß sie seine Absicht ahnte: mit einem breiträndigen Strohhütchen, über dem Ohre aufgesteckt, wie es die Bauern dort zu Lande tragen, trat er wieder heraus.
– Wenn Sie gleich damit anfangen, uns in Luxus zu stürzen, sagte sie, indem sie den neuen Kopfputz versuchte, so bedenken Sie hübsch, daß es uns auf die Letzt an Brot fehlen könnte.
– Ihnen an Brot fehlen? rief Joseph eifrig. Da wollt' ich ja lieber um Almosen bitten oder auf den Kirchmessen Faxen machen um ein Paar Kreuzer. Machen Sie Ihnen keine Gedanken, es soll Ihnen bei mir an nichts fehlen.
Und da er sah, daß Consuelo über seinen Eifer ein wenig stutzig wurde, setzte er hinzu, indem er sich herabzustimmen suchte: Vergessen's halt nit, Signor Bertoni, daß meine Zukunft in Ihrer Hand ist, und daß mir daran liegt, Sie gesund und frisch zu dem Meister Porpora zu schaffen.
Daß sich ihr Reisegefährte mir nichts dir nichts in sie verlieben könnte, kam Consuelo gar nicht in den Sinn. Einem züchtigen und unbefangenen Frauenzimmer kommt selten solch ein Gedanke, welcher einer Kokette immer der nächste ist, vielleicht schon deshalb, weil diese stets darauf ausgeht, verliebt zu machen. Ueberdies ist es selten, daß nicht ein junges Frauenzimmer einen jungen Mann von ihrem Alter wie ein Kind betrachte und Consuelo war sogar um zwei Jahre älter als Haydn und dieser so klein und mager, daß man ihm kaum funfzehn hätte zutrauen sollen.
Sie wußte wohl, daß er nicht so jung war, allein es fiel ihr nicht ein, zu denken, daß sich schon Sinnlichkeit und Liebesverlangen in ihm regen könnten. Indessen merkte sie ihm doch eine ungewöhnliche Bewegung an, als sie einmal plötzlich stehen blieb, um Athem zu schöpfen und eine der schönen Aussichten zu betrachten, welche sich dort in der hochgelegenen Gegend bei jedem Schritte darboten, sie sah, daß Josephs Blicke wie schwärmerisch an den ihrigen hingen.
– Was ist Ihnen, Freund Beppo? fragte sie unbefangen. Sie scheinen unruhig, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß meine Gesellschaft Ihnen lästig ist.
– Wie Sie nur so reden können! sagte er betrübt. Heißt das nicht, recht schlecht von mir denken, und mir Ihr Zutrauen und Ihre Freundschaft versagen, für die ich doch mein Leben hingeben möcht.
– Nun wohl, sagte sie, so sein Sie auch nicht traurig, Sie müßten denn eine besondere Ursach zum Kummer haben, von der ich nichts weiß.
Joseph versank in ein düsteres Schweigen und sie gingen lange neben einander her, ohne daß er die Kraft fand, es zu brechen. Je länger er schwieg, desto verlegener fühlte er sich, er fürchtete sich zu verrathen. Aber es wollte ihm durchaus nichts schickliches einfallen, um die Unterhaltung wieder aufzunehmen. Endlich nahm er sich mit Gewalt zusammen.
– Wissen 's, sagte er, woran ich jetzt denken thu?
– Nein, ich errathe es nicht, erwiderte Consuelo, die unterdessen ihren eigenen Gedanken nachgehangen und sein Schweigen nicht befremdend gefunden hatte.
– Ich hab mir so gedacht, während wir gegangen sind, daß Sie mir, wenn's Ihnen nicht langweilen thät', ein Bissel Italienisch lernen könnten. Ich hab es diesen Winter aus Büchern angefangen, aber weil ich Keinen gehabt habe, der mir die Aussprach hätt' lernen können, so hätt' ich nicht die Courag', auch nur ein einziges Wort vor Ihnen zu sprechen. Ich versteh halt schon, was ich les und wenn Sie unter Wegens so gut wären, mich zu zwingen, daß ich meine falsche Scham ablegen müßt', und mich bei jeder Silbe zu verbessern, so glaub' ich, weil ich ein ziemlich musikalisches Ohr hab, daß Ihre Mühe nicht verloren sein würd.
– O, von Herzen gern, entgegnete Consuelo. Ich liebe es auch, keinen einzigen von den kostbaren Augenblicken des Lebens hingehen zu lassen, ohne etwas zu lernen, und da man im Lehren selber lernt, so kann es nur uns allen beiden gut sein, wenn wir uns üben, die Sprache, die so recht eigentlich die musikalische ist, gut auszusprechen.
Sie halten mich für eine Italienerin; das bin ich aber nicht, wiewohl ich das Italienische mit nur wenig fremdem Accent spreche. Jedoch ganz rein spreche ich es nur aus, wenn ich singe, und um Ihnen den italienischen Klang recht fühlbar zu machen, werde ich Ihnen alle Worte, die Sie schwierig finden, vorsingen. Ich bin überzeugt, daß man nur deshalb schlecht spricht, weil man schlecht hört. Haben Sie erst die Abstufungen der Laute vollkommen ins Ohr gefaßt, so wird es für Sie eine bloße Gedächtnißsache sein, sie richtig wiederzugeben.
– Da werde ich also Sprach- und Singestunde zugleich haben, rief Joseph. Und eine funfzig Meilen lange Stunde, dachte er dazu in seinem Entzücken. Mein Gott! 's giebt halt keine so ungefährliche und dankbare Amur als die Kunst. Vivat die Kunst!
Die Stunde wurde sogleich begonnen. Consuelo mußte sich Anfangs mit Gewalt zusammennehmen, daß sie nicht bei jedem italienischen Worte, das Joseph hervorbrachte, laut auflachte; aber bald erstaunte sie über die Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher er sich verbesserte.
Der junge Musiker war indeß voller Begierde die Stimme der Sängerin kennen zu lernen, und da sich ein Anlaß dazu nicht geschwind genug finden wollte, führte er ihn durch eine kleine List herbei. Er stellte sich, als ob es ihm nicht gelingen wollte, das A in aller erforderlichen Reinheit zu articuliren, und Beispielshalber sang er einen kurzen Satz von Leo, worin das Wort felicità mehrmals vorkommt.
Sogleich sang ihm Consuelo, ohne abzusetzen und so wenig außer Athem, als ob sie ruhig vor ihrem Claviere säße, die nämliche Stelle ein Paarmal nach einander vor. Als Joseph diesen edeln und ergreifenden Klang vernahm, mit dem sich damals kein anderer auf der Welt vergleichen ließ, lief ein Zittern durch seinen ganzen Körper, er rieb seine Hände krampfhaft an einander und schrie vor Jubel.
– Nun, versuchen Sie! sagte Consuelo, die seine Extase nicht bemerkte.
Haydn versuchte und machte es so gut, daß seine junge Lehrerin ihm Beifall klatschte.
– Bravo, bravissimo! sagte sie mit dem Tone der größten Aufrichtigkeit und Herzensgüte. Sie lernen geschwind und haben eine prächtige Stimme.
– Sie mögen nur über mich sagen, was Ihnen gefällt, antwortete Joseph, ich weiß aber recht gut, daß ich Ihnen nichts über Ihnen sagen kann.
– Warum nicht? fragte Consuelo.
Aber sich zu ihm wendend, sah sie, daß er die Augen voll Thränen hatte und noch mit den Flächen seiner Hände, die er gefaltet hatte, gegen einander schlug wie ein jauchzendes Kind oder ein Enthusiast.
– Singen wir nicht mehr! sagte sie, es kommen uns da Reiter entgegen.
– Ei ja! mein Gott, ja! rief Joseph ganz außer sich. Daß sie Sie nicht hören, denn sie würden absteigen und Sie auf den Knien anbeten.
– Ich fürchte keine solche Musiknarren; es sind Fleischer, welche Kälber hinten auf gebunden haben.
– O, bücken 's den Kopf, schauen 's nicht hin! sagte Joseph, sich ihr mit einem Gefühl von übersprudelnder Eifersucht nähernd. Daß sie Sie nicht sehen, nicht hören; daß Sie Keiner seh und hör als ich!
Der Rest des Tages ging mit Studien und kindischem Geplauder hin. Joseph empfand bei aller seiner inneren Unruhe eine berauschende Freude und wußte selbst nicht, ob' er der zitterndste Anbeter der Schönheit oder der entzückteste Kunstfreund war. Bald strahlende Gottheit, bald köstlicher Kamerad füllte ihn Consuelo ganz aus, nahm sein ganzes Wesen hin.
Gegen Abend bemerkte er, daß sie sich nur mühsam fortschleppte und daß die Ermüdung es über ihre Fröhlichkeit davon trug. Schon seit mehreren Stunden hatte sie sich ungeachtet der häufigen Rasten, welche an schattigen Stellen des Weges gemacht wurden, sehr erschöpft gefühlt: das war es gerade, was sie wollte. Auch wenn es nicht dringend nothwendig gewesen wäre, sich so schnell als möglich aus dieser Gegend zu entfernen, würde sie dennoch in körperlicher Anstrengung und in der Selbstbetäubung einer etwas gezwungenen Lustigkeit Linderung ihres Seelenleidens und Zerstreuung von ihrer innern Pein gesucht haben.
Die ersten Schatten des Abends, Schwermuth über die Landschaft hauchend, erweckten in ihr von neuem die schmerzlichen Gefühle, welche sie so muthig bekämpfte. Sie stellte sich die traurige Abendmahlzeit vor, welche jetzt auf Riesenburg begann, und die vielleicht schreckliche Nacht, die Albert haben würde. Von diesem Gedanken überwältigt blieb sie unwillkürlich am Fuße eines großen hölzernen Kreuzes stehen, das eine kleine kahle Anhöhe als den Schauplatz irgend eines in der Ueberlieferung lebenden Wunders oder Verbrechens bezeichnete.
– Ach! Sie sind müder als Sie es sagen wollen, sagte Joseph; aber unser Tagewerk ist bald geschehen: ich seh dort unten in der Schlucht schon Lichter schimmern. Sie meinen vielleicht, daß ich nicht Kraft genug hätt', Sie zu tragen, aber, wenn Sie nur wollten ...
– Ei Kind, antwortete sie lächelnd, wie stolz auf Ihr Geschlecht! Thun Sie mir den Gefallen und verachten nicht so das meine, und glauben Sie nur, ich besitze noch mehr Kraft, als Sie übrig haben, um sich selbst zu tragen. Ich bin etwas außer Athem vom Bergansteigen, nichts weiter! und deshalb ruhe ich ein wenig, denn ich habe Lust zu singen.
– Gott sei Dank! rief Joseph. Singen Sie nur am Fuße des Kreuzes. Ich knie' ... aber ach! wenn es Sie nun noch mehr ermüden thät'!
– Es wird nicht viel werden, sagte Consuelo. Mir ist nur eingefallen, ein spanisches Liedchen zu singen, das mich meine Mutter als Kind Morgens und Abends immer singen ließ, wenn wir auf dem Felde waren und bei einer Kapelle oder einem solchen Kreuze wie hier vorbeikamen.
Consuelo's Einfall war noch romantischer als sie es eingestand. An Albert denkend, hatte sie sich der gleichsam übernatürlichen Fähigkeit erinnert, die er oft besaß, in der Ferne zu sehen und zu hören. Sie stellte sich lebhaft vor, daß er in dieser Stunde an sie dächte, vielleicht sie sähe, und indem sie etwas zur Beschwichtigung seines Wehs zu thun glaubte, wenn sie in einem gewissermaßen sympathetischen Gesange durch Nacht und Ferne zu ihm redete, stieg sie auf die Steine, welche um den Fuß des Kreuzes angehäuft lagen, und sang, der Himmelsgegend zugekehrt, in welcher Riesenburg liegen mußte, mit der vollen Kraft ihrer Stimme, die spanische Hymne:
O consuelo de mi alma &c .
– Gott! Gott! sagte Haydn mit sich selbst redend, als sie geendet hatte, ich hab früher noch nie singen hören, ich hab noch gar nicht gewußt was Singen ist. Giebt es denn noch Menschenstimmen, welche dieser gleichen? Werde ich je etwas dem, was sich heut mir offenbart hat, Aehnliches vernehmen? O Musik, heilige Musik! Geist der Kunst! Wie durchzuckst du, wie durchzitterst du mich.
Consuelo trat von ihrem Steine herunter, wo sich wie ein Madonnenbild ihr schlanker Umriß auf dem durchsichtigen Blatt der Nacht abgezeichnet hatte. Nun ihrerseits nach Albert's Art verzückt, bildete sie sich ein, durch Wald, Berg und Thal hindurch ihn still, ergeben, frommer Hoffnung voll auf dem Schreckenstein sitzen zu sehen. Er hat mich vernommen, dachte sie, er hat meine Stimme und das Lied, das ihm lieb ist, erkannt. Er hat mich verstanden und nun wird er in das Schloß zurückkehren, wird seinen Vater umarmen, und vielleicht ruhig einschlafen.
– Es geht alles gut! sagte sie zu Joseph, ohne auf sein Außersichsein zu achten. Dann kehrte sie noch einmal zu dem Kreuze zurück und drückte einen Kuß auf das rohe Holz. Vielleicht war es in diesem Augenblick, daß Albert, durch einen wunderbaren Rapport, eine gleichsam electrische Erschütterung empfand, welche die Triebfedern seines finsteren Willens außer Spannung setzte und seine Seele bis in die geheimsten Tiefen mit dem Behagen himmlischer Ruhe erfüllte. Vielleicht war es genau derselbe Augenblick, in welchem ihn der tiefe, wohlthätige Schlaf befing, worin ihn sein Vater, unruhiger und früher auf als gewöhnlich, zu seiner großen Freude am nächsten Morgen noch beim Grauen des Tages fand.
Die Lichter, welche sie in der Dunkelheit der Schlucht bemerkt hatten, gehörten einem großen Meierhofe an, wo sie gastliche Aufnahme fanden. Die Bauerfamilie saß vor der Thür und aß ihr Abendbrot an einem grob zusammengeschlagenen Tische, an welchem man ihnen bereitwillig, und ohne sich stören zu lassen, Platz einräumte. Man fragte nicht, wer sie wären, man sah sie kaum an. Die braven Leute, müde von ihrem langen, heißen Tagewerk und hungrig, nahmen schweigend ihre einfache Kost zu sich, die ihnen trefflich schmeckte und ihre ganze Thätigkeit in Anspruch nahm.
Auch Consuelo fand das Mahl köstlich und langte fleißig zu. Joseph vergaß zu essen, er betrachtete nur immer Consuelo's edelgeformtes, blasses Gesicht, mitten unter den breiten, braunen Gesichtern der Bauersleute, die so gutmüthig und so dumm aussahen wie ihr Rindvieh, das dicht dabei weidete und langsam wiederkäuend kein größeres Geräusch mit seinen Kinnbacken machte als jene mit den ihrigen.
Jeder stand auf, sobald er satt war, machte sein Kreuz und ging schlafen. Als die Mannsleute alle aufgestanden waren, setzten sich die Weiber, welche den Tisch bedient hatten, mit den Kindern zum Essen. Regsamer und neugieriger als die Männer hielten sie die jungen Reisenden noch zurück und fragten sie aus. Joseph nahm es über sich, ihnen die Geschichte zum Besten zu geben, die er zu ihrer Befriedigung bereit hielt und wich im Grunde nicht allzu sehr von der Wahrheit, als er ihnen sagte, daß er und sein Kamerad herumziehende Musikanten wären.
– Schade, daß es nicht Sonntag ist, sagte eine der jüngsten, da hättet ihr uns aufspielen können.
Sie guckten viel nach Consuelo, die ihnen ein sehr hübscher junger Bursch däuchte, und die ihrerseits, um ihre Rolle zu behaupten, sie mit kecken, munteren Augen ansah. Einen Augenblick hatte sie geseufzt, indem sie den patriarchalischen, stillen Lebenslauf dieser Leute mit ihrem unstäten Dasein verglich; aber als sie dann die Weiber in ihren knechtischen Beschäftigungen sah, erblickte sie in ihnen nichts als Sklaven des Hungers und der Noth, die Männer gefesselt an die Scholle, Acker- und Viehknechte, die Weiber gefesselt an ihren Herrn, d. h. den Mann, Gefangene des Hauses, zu ewigem Magddienst, zu unablässiger harter Arbeit als Zugabe zu allen den Schmerzen, Aengsten und Sorgen der Mutterschaft verdammt. Dort der Grundherr, der den armen Hörigen drückt und aussaugt, daß ihm von dem Ertrage seiner sauern Arbeit kaum bleibt, was zur Befriedigung seiner Nothdurft dient; hier Geiz, die Habsucht, die elende Furcht, die von dem Eigner auf den Eigenen übergehen und diesen wieder zum Despoten in seinem Kreise machen während sie ihn zum eingeschränktesten Leben zwingen.
Nun erblickte sie in diesem scheinbar friedlichen Dasein nur noch Abstumpfung durch viehische Arbeit und Verhärtung, durch unablässiges Elend, und sie sagte sich, daß es doch besser wäre, Künstlerin oder Zigeunerin zu sein als Herr oder Bauer, da sich an den Besitz eines Grundstücks so gut als eines Bündels Halme theils die Ungerechtigkeit der Tyrannei und theils die unselige Knechtschaft der Habgier hängt.
– Viva la liberta! rief sie Joseph zu, dem sie ihre Gedanken italienisch redend mittheilte, während die Frauen mit vielem Geräusche das Geschirr abwuschen und an seinen Ort stellten und eine schwache Alte maschinenmäßig ihr Spinnrad trat.
Joseph bemerkte zu seiner Verwunderung, daß einige dieser Bäuerinnen ein gebrochenes Deutsch sprachen. Von diesen erfuhr er, daß das Haupt der Familie, ein Mann, den er zuvor in Bauertracht gesehen hatte, adeliger Herkunft war und in seiner Jugend einiger Erziehung genossen, auch ein kleines Vermögen geerbt hatte; aber während des Successionskrieges gänzlich herunter gekommen, hatte er zur Erhaltung seiner zahlreichen Familie kein Mittel vor sich gesehen, als die Pachtung eines Meierhofs, der zu einer benachbarten Abtei gehörte. Die Abtei drückte ihren Pächter fürchterlich; dieser hatte z. B. außer allen übrigen Leistungen, bei jedem Abtwechsel die Kosten der Investitur zu tragen. Die Knechte des Meierhofs waren Grundholde (Leibeigene) und schätzten sich in der That nicht unglücklicher als der Pächter, dem sie dienten.
Der fiskalische Pächter war ein Jude und von der Abtei, die er drückte, auf die Pächter angewiesen, die er noch ärger drückte, war er diesen Morgen gekommen und hatte eine Summe beigetrieben, welche das Ersparniß mehrerer Jahre war. Zwischen beiden in der Klemme, wußte der arme Landmann nicht, welche von ihnen er mehr zu hassen und zu fürchten hätte, die katholischen Priester oder den jüdischen Zinsheber.
– Sehn Sie, Beppo, sagte Consuelo zu ihrem Gefährten, sagte ich Ihnen nicht, daß wir allein reich sind in dieser schlimmen Welt, wir, die wir auf unsere Stimmen keine Abgaben zu zahlen haben und nur nach unserem Gefallen arbeiten?
Es war Zeit zum Schlafengehen; Consuelo war so ermüdet, daß sie auf einer Bank vor der Hausthür einschlummerte. Joseph nahm diesen Augenblick wahr, um die Pächterin nach Betten zu fragen.
– Betten, mein Kind! antwortete sie lächelnd; wenn wir euch Eines geben könnten, so wäre das viel, und damit müßtet ihr euch beide behelfen.
Diese Antwort trieb dem armen Joseph das Blut ins Gesicht. Er blickte nach Consuelo hin, und da er sah, daß sie von dem Gespräche nichts hörte, überwand er seine Bewegung.
– Mein Kamerad ist sehr müde, sagte er, und wenn Ihr ihm ein Bett geben könnt, so wollen wir zahlen, was Ihr haben wollt. Für mich ist ein Winkel auf dem Heuboden oder im Stall gut genug.
– Nu, wenn's ein krankes Kind ist, so woll'n wir ihm aus Menschlichkeit ein Bett in der gemeinschaftlichen Stube geben. Die drei Dirndeln können schon zusammen schlafen. Aber sagt's euerem Kamerad, daß er sich wenigstens ruhig verhält und sich decent beträgt, denn mein Mann und mein Schwiegersohn, die auch mit in der Stuben schlafen, würden ihn sonst zurechte bringen.
– Ich steh' für meinen Kameraden gut; es ist nur die Frag', ob er nicht auch lieber in dem Heu schlafen will als in einer Stuben, wo ihr schon so viele seid.
Der gute Joseph mußte nun schon den Signor Bertoni wecken, um ihm diese Abrede vorzutragen. Consuelo war darüber nicht so betroffen, als er erwartet hatte. Sie fand, daß sie in der gemeinschaftlichen Stube, da außer dem Vater und dem Schwiegersohne, die Töchter des Hauses darin schliefen, sicherer als sonst wo sein würde, und nachdem sie Joseph eine gute Nacht gewünscht hatte, schlüpfte sie hinter die vier Vorhänge von braunem Wollenzeuge, welche das bezeichnete Bett umgaben, warf sich darauf, indem sie sich fast nicht die Zeit nahm, sieh auszukleiden, und schlief sogleich fest ein.
Jedoch nach den ersten Stunden festen Schlafes wurde sie durch das beständige Geräusch im Zimmer aufgeweckt. Auf der einen Seite hustete und röchelte die alte Großmutter, deren Bett fast an das ihrige stieß, so scharf und wimmernd als nur möglich; auf der andern Seite säugte eine junge Frau ihr Kind und sang, um es wieder in Schlaf zu bringen; das Schnarchen der Männer glich einem Gebrülle; ein anderes Kind, das mit noch dreien in Einem Bette lag, balgte sich mit den anderen und weinte; die Frauen sprangen auf, um es still zu machen, und machten mit ihrem Schelten und Drohen nur noch mehr Lärm.
Diese immerwährende Unruhe, das Kindergeschrei, die Unreinlichkeit, der üble Geruch, die Hitze und die dunstige, erstickende Luft der Stube wurden Consuelo so widrig, daß sie es nicht länger aushalten konnte. Sie kleidete sich ganz leise wieder an, benutzte einen Augenblick wo alles fest eingeschlafen war, um aus dem Hause zu schlüpfen und suchte sich einen Winkel, wo sie bis zum Morgen, der noch nicht herauskam, schlafen könnte.
Sie hoffte im Freien besser zu ruhen. In der vorigen Nacht, welche sie auf dem Marsche zubrachte, hatte sie die Kälte nicht gemerkt; sie war, als sie Riesenburg verließ, in einem aufgeregten Zustande, jetzt aber in einem Zustande von Abspannung und außerdem war das Klima dieser hochgelegenen Gegend schon um vieles rauher.
Ein Frösteln durchlief ihren Körper und sie fühlte sich so unwohl, daß sie eine Folge von Marschtagen und schlaflosen Nächten so unbehaglich als sie sich bei diesem ersten Male ankündigten, nicht überstehn zu können fürchtete. Umsonst, daß sie sich selbst schalt, solch eine Prinzessin unter den Bequemlichkeiten des Schlosses geworden zu sein, sie hätte in diesem Augenblick den Rest ihres Lebens für eine Stunde sanften Schlafs hingeben mögen.
Da sie aber nicht wieder in das Haus gehen wollte, um ihre Wirthe nicht zu wecken und zu stören, suchte sie nach einer Scheunenthür: sie fand einen Stall halb offen und tastete sich hinein. Eine Todtenstille herrschte. Sie meinte, der Ort sei unbesetzt, und legte sich in eine Krippe voll Stroh, dessen Wärme und gesunder Duft ihr köstlich dünkte.
Eben begann sie einzuschlafen, als sie auf ihrer Stirn einen warmen, feuchten Athem fühlte, der augenblicklich mit heftigem Schnaufen und einer Art erstickter Verwünschung zurückwich. Als der erste Schreck vorüber war, bemerkte sie in der Dämmerung, welche anbrach, die lange Gestalt eines Kopfes und zwei furchtbare Hörner über ihm: es war eine Kuh, welche den Hals über die Raufe gestreckt und nachdem sie die Schläferin mit Verwunderung berochen hatte, sich erschreckt zurückzog. Consuelo drückte sich in die Ecke, so daß sie der Kuh nicht im Wege war und schlief nun sehr ruhig. Ihr Ohr war bald an das verschiedene Geräusch des Stalles gewöhnt, an das Rasseln der Ketten, das Summen der Hornisse und das Reiben der Hörner gegen die Krippen.
Sie erwachte nicht einmal als die Mägde kamen um das Vieh hinauszulassen und im Freien zu melken. Der Stall war leer; die Ecke, in welcher Consuelo lag, war so dunkel, daß man sie nicht bemerkt hatte, und als sie von neuem die Augen öffnete, war die Sonne schon aufgegangen. In das Stroh eingewühlt, genoß sie noch einige Augenblicke der Behaglichkeit ihrer Lage und war froh, sich erfrischt und gestärkt und rüstig genug zu fühlen, um den Weg ohne Beschwerde und ohne Besorgniß wieder anzutreten.
Als sie von der Krippe heruntersprang, um Joseph aufzusuchen, war das erste, was ihr in die Augen fiel, Joseph selbst, der dicht vor ihr auf der gegenüber stehenden Krippe saß.
– Sie haben mir viel Unruhe gemacht, lieber Signor Bertoni, sagte er zu ihr. Als mir die Madel im Haus gesagt haben, daß Sie nicht mehr in der Stuben wären und daß sie nicht wüßten, was aus Ihnen geworden wär, suchte ich Sie überall und nur weil ich zuletzt gezweifelt hab, Sie zu finden, bin ich wieder hierher gegangen, wo ich die Nacht zugebracht hatte, und wo ich Sie zu meiner Verwunderung gefunden hab. Ich bin schon früh, als es noch dunkel gewesen ist, hinausgegangen, und hab mir's nicht einfallen lassen, daß Sie da mir gegenüber im Stroh vergraben lägen unter der Nase dieser Thiere, die Ihnen hätten leicht Schaden thun können. Meiner Treu, Signora, Sie sind waghalsig und bedenken halt nicht, was für Gefahren Sie sich aussetzen.
– Gefahren, lieber Beppo? sagte Consuelo lächelnd, und reichte ihm die Hand. Die Kühe sind ja nicht gar so wilde Thiere und ich habe ihnen mehr zu fürchten gemacht, als sie mir hätten Leides thun können.
– Jedoch Signora, sagte Joseph leiser sprechend, Sie gehn da mitten in der Nacht an den ersten besten Ort. Leicht hätt' ein Anderer im Stalle sein können, irgend ein Vagabund, der nicht so ehrfurchtsvoll ist wie Ihr getreuer und ergebener Beppo, irgend ein grober Lümmel. Wenn Sie nun statt der Krippen, in welcher Sie geschlafen haben, die andere gewählt hätten, und wären statt auf mich auf einen Soldaten oder einen Knecht gestoßen ...!
Consuelo erröthete bei dem Gedanken, so dicht bei Joseph und allein mit ihm in der Dunkelheit geschlafen zu haben, aber ihre Scham vermehrte nur ihr Zutrauen zu dem guten Jüngling und ihre Freundschaft für ihn.
– Beppo, sagte sie, Sie sehen, daß mich der Himmel in meinem Leichtsinn nicht verläßt, da er mich in Ihre Nähe geführt hat. Er ließ mich Sie gestern bei der Quelle finden, wo Sie mir Ihr Brot, Ihr Vertrauen, Ihre Freundschaft schenkten; er ist es auch, der heute Nacht meinen sorglosen Schlaf unter Ihre brüderliche Obhut gestellt hat.
Lachend erzählte sie ihm, was für eine schlechte Nacht sie in der gemeinschaftlichen Wohnstube mit der geräuschvollen Familie des Meierhofes gehabt und wie glücklich und ruhig sie sich dann unter den Kühen gefühlt hätte.
– Ist es denn wahr, sagte Joseph, daß die Thiere besser hausen und gefälligere Sitten haben, als der Mensch, welcher sie abwartet.
– Ich dachte daran in der That, antwortete Consuelo, als ich in dieser Krippe einschlummerte. Diese Thiere erregten mir keine Furcht, keinen Ekel, und ich machte mir im Stillen Vorwürfe darüber, in eine so aristokratische Gewohnheit verfallen zu sein, daß ich die Gesellschaft meiner Nebenmenschen und die Berührung mit ihrem kümmerlichen Leben schon nicht mehr ertragen konnte. Wie geht das zu, Joseph? Wer selbst in Elend geboren ist, sollte doch, wenn er wieder hineinfällt, nicht solch einen hochmüthigen Abscheu davor empfinden als es mir wirklich geschah. Und wenn doch das Herz nicht verdorben ist in der Luft der Ueppigkeit, warum gewöhnt man sich so empfindlich und wählerisch als ich es heut Nacht war, da ich den Dunst, die Hitze und den Wirrwarr dieser armen Höhle floh?
– Weil ohne Zweifel Reinlichkeit, gesunde Luft und gute Ordnung im Hause allen auserkorenen Geistern gerechte und unabweisbare Bedürfnisse sind, versetzte Joseph. Wer zum Künstler geboren ist, hat Gefühl für das Schöne und Gute, Abscheu vor dem Rohen und Häßlichen. Und das Elend ist häßlich. Ich bin ja auch ein Bauer und in einer Hütten geboren, aber meine Eltern waren Künstlerseelen, unser Haus war arm und klein, aber Sauberkeit und Ordnung herrschten darin. Freilich gränzte unsere Art Armuth schon zunächst an Vermöglichkeit, und es kann schon sein, daß der größte Mangel Einem sogar den Sinn für alles Bessere raubt.
– Arme Leute! sagte Consuelo. Wenn ich reich wäre, würde ich ihnen gleich ein Haus bauen lassen; und wenn ich die Königin wäre, ich schaffte ihnen diese Lasten vom Halse, und diese Mönche und Juden, die sie auffressen.
– Wenn Sie reich wären, würden Sie nicht daran denken, und wären Sie als Königin geboren, würden Sie's nicht wollen. So geht es in der Welt.
– So geht es sehr schlecht in der Welt.
– Ja leider! und wär' nicht die Musik, welche die Seele in eine andere Welt entführt, so müßt man sich das Leben nehmen, wenn man für alles, was in dieser Welt vorgeht, Gefühl hat.
– Es ist freilich das Kürzeste, sich das Leben zu nehmen, hilft Einem aber nur selbst. Nein, Joseph, man muß reich werden und doch ein Mensch bleiben.
– Oder da das nun einmal, wie es ausschaut, nicht geht, so müssen wenigstens alle Armen Künstler werden.
– Sie haben da keinen so übeln Gedanken, Joseph! Wenn die Unglücklichen alle Sinn für Kunst und Liebe zur Kunst hätten, um das Leiden poetisch aufzufassen und sich das Elend zu verschönen, so würde es keine Unreinlichkeit, keine Muthlosigkeit, keine Selbstvergessenheit geben und die Reichen würden es sich nicht erlauben, die Armen so zu verachten und mit Füßen zu treten. Man hat doch immer noch einige Achtung vor dem Künstlergemüthe.
– Schau, daran hab' ich noch nicht gedacht, sagte Haydn. So könnt am Ende wohl die Kunst gar einen ernsten Zweck haben und den Menschen sehr nützlich sein?
– Haben Sie sie denn bisher nur für eine Ergötzlichkeit gehalten?
– Nein, aber für eine Krankheit, eine Leidenschaft, einen Sturm in der Seele, ein hitziges Fieber, das in uns wüthet und womit wir die andern anstecken ... Wenn Sie wissen, was sie eigentlich ist, so sagen 's.
– Ich will es Ihnen sagen, wann ich es selbst begriffen haben werde. Aber sie ist etwas Großes, daran zweifeln Sie nicht, Beppo! Nun aber auf und fort! Vergessen wir die Violin nicht, Ihre einzige Habe, Freund, die Quelle Ihres künftigen Wohlstands.
Sie fingen an, einige Vorräthe zum Frühstück einzusacken, welches sie im Grünen an irgend einer romantischen Stelle genießen wollten. Als aber Joseph den Beutel zog und bezahlen wollte, lächelte die Pächterin und lehnte es ohne Ziererei, aber mit Festigkeit ab. So viel auch Consuelo bat, sie wollte nichts annehmen und behielt ihre Gäste so im Auge, daß sie auch den Kindern nicht das kleinste Geschenk in die Hände stecken konnten.
– Vergeßt nicht, sagte sie endlich zu Joseph, der noch immer nicht nachließ, mit einigem Stolze, daß mein Mann von edler Geburt ist, und denket nicht, daß ihn die Armuth so gemein gemacht hat, um Gastfreundschaft zu verkaufen.
– Dieser Stolz scheint mir etwas übertrieben, sagte Joseph zu seiner Gefährtin, als sie sich auf den Weg gemacht hatten. Es ist mehr der Hochmuth als die Menschenliebe, was sie gastlich macht.
– Ich will nur Menschenliebe darin sehen, entgegnete Consuelo, und mir wird das Herz schwer von Scham und Reue, wenn ich denke, daß ich die Unbequemlichkeit dieses Hauses nicht ertragen mochte, welches kein Bedenken trug, sich mit der Gegenwart des Landstreichers, den ich vorstelle, zu belasten und zu besudeln. Ach! verwünschte Mäkelei! abgeschmackte Zimperlichkeit der verderbten Kinder dieser Welt! eine Krankheit bist du immer, denn du bist Gesundheit für die Einen nur zum Schaden der Andern.
– Für eine große Künstlerin, wie Sie sind, sagte Joseph, scheinen Sie sich die irdische Misere ein Bissel sehr zu Herzen zu nehmen. Ich bild' mir ein, daß ein Künstler alles, was nicht seine Kunst angeht, mit etwas mehr Gleichmuth und leichtem Sinn anschauen muß. In dem Klattauer Wirthshaus, wo ich von Ihnen und der Riesenburg erzählen gehört hab', hat man gesagt, Graf Rudolstadt wär bei allen seinen Narrheiten ein großer Philosoph. Sie haben nun gesehen, Signora, daß man nicht Philosoph und Künstler zu gleicher Zeit sein kann; denn deswegen sein Sie ja davon gegangen. Denken 's also nicht weiter an den menschlichen Jammer, lassen 's uns lieber unsere Stunde von gestern fortsetzen!
– Recht gern, Beppo! Aber erst muß ich Ihnen noch sagen, daß Graf Albert, so sehr er Philosoph ist, es als Künstler mit uns allen beiden aufnehmen kann.
– Wirklich! Es fehlt ihm also nichts um geliebt zu werden? sagte Joseph seufzend.
– Nichts in meinen Augen, entgegnete Consuelo, als daß er nicht arm und von niederer Herkunft ist.
Und unvermerkt gewonnen durch die Aufmerksamkeit, welche Joseph ihr schenkte, angeregt durch noch viele Fragen, die er in Unschuld und zitternd vorbrachte, ließ sie sich verleiten, ihm vieles und mit Freude von ihrem Verlobten zu erzählen. Jede Antwort führte zu einer weitern Erklärung und indem eines das andere gab, theilte sie ihm nach und nach alle einzelnen Umstände mit, unter denen sich ihre Zuneigung zu Albert entwickelt hatte. Dieses unbedingte Vertrauen wäre einem jungen Menschen gegenüber, den sie erst seit gestern kannte, in jeder andern Lage vielleicht ungehörig gewesen. Und wohl nur eine so ganz absonderliche Lage konnte es herbeiführen. Wie dem auch sei, Consuelo empfand ein unwiderstehliches Bedürfniß, das Andenken an den Werth ihres Verlobten sich selbst zu erneuen und in ein Freundesherz niederzulegen.
Und so im Sprechen, fühlte sie mit einer Befriedigung, wie man sie, nach schwerer Krankheit seine Kräfte versuchend zu empfinden pflegt, daß sie Albert mehr liebte, als sie damals selbst zu hoffen gewagt hatte, wo sie ihm versprach, sie wolle danach trachten, keinen zu lieben als ihn. Ihre Begeisterung für ihn stellte sich immer reiner und ungestörter in ihrer Einbildungskraft her, je weiter sie sich von ihm entfernte; alles Schöne, Große, Achtungswürdige, was in seinem Character lag, erschien ihr in einem glänzenderen Lichte, seitdem sie nicht mehr fürchtete, einen entscheidenden Entschluß in Uebereilung fassen zu müssen.
Ihr Stolz litt nicht mehr bei dem Gedanken, daß man ihr ehrgierige Absichten unterlegen könnte, denn sie war entflohen, sie hatte gewissermaßen den äußeren Vortheilen entsagt, welche sich an diese Verbindung knüpften; sie konnte sich nun ungezwungen und ohne sich beschämt zu fühlen, der Neigung hingehen, die ihr Herz beherrschte. Anzoleto's Name kam nicht ein einziges mal über ihre Lippen und sie bemerkte selbst, und wiederum mit Freude, daß es ihr nicht einmal eingefallen war, in der Geschichte ihres böhmischen Aufenthalts seiner gegen Haydn zu gedenken.
Diese Herzensergießung, wie übel und leichtsinnig angebracht sie sein mochte, hatte die günstigsten Folgen. Joseph sah ein, daß Consuelo's Seele ernstlich eingenommen war, und die unbestimmten Hoffnungen, welche sich seiner unwillkürlich bemächtigt haben mochten, verschwanden wie Träume, deren Erinnerung selbst er zu zerstreuen sich bemühete. Nach einem Schweigen von einer oder zweien Stunden, welches auf diese Unterhaltung folgte, war er fest entschlossen, keine schöne Sirene mehr, keinen doppelsinnigen, verführerischen Kameraden in ihr zu sehen, sondern nichts als eine große Künstlerin und eine edle Frau, deren Freundschaft und deren Rathschläge einen glücklichen Einfluß auf sein ganzes Leben haben konnten.
Sowohl um ihr Vertrauen zu erwidern als um gegen seine verwegenen Wünsche eine doppelte Schranke aufzurichten, eröffnete er ihr sein Herz und erzählte ihr, wie auch er in einem Verhältniß stehe und so gut als verlobt sei. Seine Herzensgeschichte war minder poetisch als Consuelo's, aber für den welcher alles weiß, was er seiner Gefährtin noch verschwieg, nicht minder rein und edel.
Er hatte nämlich eine Neigung zu der ältesten Tochter des Friseurs Keller gefaßt, der er Unterricht im Klavierspielen gab. Keller sah das unschuldige Verhältniß und sagte zu Haydn: Joseph, du hast mein Vertrauen. Du scheinst meine Tochter zu lieben, und ich sehe, daß du ihr nicht gleichgültig bist. Wenn du ein rechtschaffner Künstler geworden sein und dein sicheres Brot haben wirst, will ich sie dir zur Frau geben.
Haydn betrachtete sich von Stund' an als Keller's Schwiegersohn, aber die gewünschte Verbindung wurde unmöglich: das Mädchen begeisterte sich für den Gedanken, der Welt zu entsagen und ging in ein Kloster. Nun redete Keller dem jungen Freunde zu, sich mit seiner zweiten Tochter anstatt der ersten zu verloben und Haydn in überschwänglicher Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter sagte Ja, und, obgleich er dieses Mädchen nicht liebte, sah er sich doch durch das übereilt gegebene Wort als unabänderlich gebunden an.
Er sprach von seinem Verhältnisse mit einer Schwermuth, die er nicht überwinden konnte, wenn er in Gedanken seine wirkliche Lage mit den berauschenden Träumen verglich, denen er kurze Zeit nachgehangen hatte. Consuelo nahm seine Traurigkeit für Sehnsucht, denn sie bildete sich ein, daß er seine Braut wirklich liebte. Er wagte nicht, sie zu enttäuschen und ihre Achtung, das vollkommne Vertrauen, das sie in Beppo's Rechtschaffenheit und reine Gesinnung setzte, wurde nur noch größer.
Ihre Reise ward daher von keinem jener Stürme unterbrochen, die man vielleicht prophezeiht hätte, wenn man ein Paar junger, liebenswürdiger, für einander eingenommener Leute zu einer vierzehntägigen Reise allein mit einander und unter Umständen die alles entschuldigen konnten sich anschicken sah.
Obgleich Joseph sein Herz noch manchmal aufwallen fühlte, wußte er sich doch so gut zu beherrschen, daß seine züchtige Gefährtin, wann sie tief im Walde auf dem Rasen schlief, von ihm wie von einem treuen Hunde bewacht, wann sie an seiner Seite weite Einöden, jedem menschlichen Blicke fern durchstrich, wann sie bisweilen Nachts mit ihm in einer und derselben Scheune oder Höhle schlief, auch nicht ein einziges mal seinen inneren Kampf und das Verdienstliche seines Sieges wahrnahm.
Als Haydn in seinem späten Alter die ersten Bücher der Confessions von Jean Jacques Rousseau las, lächelte er mit thränenfeuchten Augen, indem er sich erinnerte, wie er durch den Böhmerwald mit Consuelo in der Hut zitternder Liebe und frommer Unschuld gereist war.
Einmal jedoch wurde die Tugend des jungen Musikers auf eine harte Probe gesetzt. Wenn das Wetter schön, der Weg eben und heller Mondschein war, so hielten sie sich an die rechte Art des Fußreisens, ohne sich der Gefahr eines schlechten Unterkommens für die Nacht auszusetzen. Sie machten es sich an einem einsamen und geschützten Orte bequem, und brachten den Tag mit Plaudern, Schmausen, Musiciren und Schlafen hin. Sobald es Abends kühl zu werden anfing, aßen sie zur Nacht, packten zusammen und wanderten bis an den Morgen. Sie vermieden dadurch das ermattende Gehen in der Sonnenhitze, die Gefahr, von Neugierigen belästigt zu werden und die Unreinlichkeit und Kostspieligkeit der Herbergen.
Wann aber der Regen, welcher nichts Seltenes ist in dieser höheren Gegend des Böhmerwaldes, wo die Moldau ihren Ursprung hat, sie zwang ein Obdach zu suchen, so nahmen sie, so oft sich die Gelegenheit darbot, entweder zu einer Bauerhütte oder zu den Wirthschaftsgebäuden eines Edelhofs ihre Zuflucht: die Wirthshäuser, wo sie freilich leichter hätten unterkommen können, vermieden sie sorgsam, aus Furcht vor schlechter Gesellschaft, pöbelhaften Auftritten und Geräusch.
Eines Abends, als es stürmisch wurde, traten sie in den Verschlag eines Ziegenhirten, der seine Gastlichkeit nicht besser zu beweisen wußte, als indem er gähnend seinen Arm nach der Streu ausstreckte und ihnen zurief: Nur aufs Heu!
Consuelo schlüpfte in einen ganz finstern Winkel, wie sie gewöhnlich that, und Joseph legte sich entfernt von ihr in eine andere Ecke: er stieß aber dort an die Beine eines schlafenden Menschen, der fluchend auffuhr. Auf das Donnerwetter des Mannes antworteten andere Flüche, und Joseph voll Schreck über eine solche Schlafgesellschaft, rückte, dicht an seine Gefährtin und ergriff ihren Arm um sicher zu sein, daß sich Niemand zwischen ihnen beiden niederlegte. Im ersten Augenblicke dachten sie daran, wieder fort zu gehen, aber der Regen rasselte auf das Bohlendach nieder und alle Welt war wieder eingeschlafen.
– Wir wollen nur da bleiben, sagte Joseph leise, bis es zu regnen aufhört. Schlafen Sie ohne Furcht, ich werde kein Aug zuthun und ich bleibe bei Ihnen. Kein Mensch kann vermuthen, daß hier eine Frau ist. Sobald das Wetter wieder leidlich wird, will ich Sie wecken und wir schleichen hinaus.
Consuelo war nicht gerade beruhigt, aber es war gefährlicher, plötzlich fortzugehen als still am Orte zu bleiben. Der Ziegenhirt und seine Gäste konnten die Furcht, in ihrer Gesellschaft zu verweilen, bemerken, Vermuthungen machen, entweder wegen des Geschlechtes der Ankömmlinge, oder wegen Geldes das sie etwa bei sich führten, und waren diese Menschen schlechter Handlungen fähig, so konnten sie ihnen ins Freie folgen und sie anfallen.
Consuelo stellte diese Betrachtungen an, und verhielt sich mäuschenstill, aber sie schlang ihren Arm fest in Joseph's Arm, aus einer Regung von Furcht die gewiß sehr natürlich war, und aus wohlbegründetem Vertrauen zu seinem guten Willen sie zu schützen.
Sobald der Regen nachließ, schickten sie sich an, hinauszugehen, denn beide hatten sie nicht geschlafen; da hörten sie, daß ihre unbekannten Schlafgesellen sich rührten, aufstanden, und in einem unverständlichen Jargon mit einander flüsterten, nachdem sie schwere Ballen vom Boden aufgehoben und auf ihre Rücken geladen hatten. Sie wechselten noch mit dem Ziegenhirten einige deutsche Worte, aus denen Joseph abnahm, daß sie Pascher und mit ihrem Wirthe in Einverständniß waren, und gingen dann hinweg.
Es war erst Mitternacht, der Mond ging; auf und beim Leuchten eines Strahles welcher schräg auf die halboffene Thüre fiel, sah Consuelo ihre Waffen blitzen, während sie damit beschäftigt waren, dieselben unter ihren Mänteln zu verbergen. Zugleich bemerkte sie, daß sich außer ihr und Haydn Niemand mehr in dem Verschlage befand, denn auch der Hirt es war hinausgegangen, um den Paschern zum Führer zu dienen und sie aus einem, ihm allein, wie er sagte, bekannten Fußsteig an die Grenze zu bringen.
– Wenn du uns ferbst »Ferben« – betrügen (Rothwälsch)., sagte ein stämmiger und finsterer Mann zu ihm, so wie ich nur was Unrechts merk', brenn' ich dir vor die Stirne.
Dies war das letzte Wort, welches Consuelo vernehmen konnte. Einige Augenblicke hörte man noch ihren abgemessenen Schritt auf dem Kies rasseln. Dann bedeckte das Rauschen eines nahen Bergwassers, welches vom Regen angeschwellt war, das in der Ferne verhallende Geräusch ihrer Tritte.
– Wir hatten nichts von ihnen zu fürchten, sagte Joseph, ohne daß er jedoch Consuelo's Arm, welchen er gegen seine Brust gepreßt hielt, fahren ließ. Es sind Leute die noch mehr als wir die Blicke Anderer scheuen.
– Eben deswegen, entgegnete sie, glaube ich, daß wir in einiger Gefahr gewesen sind. Es war sehr gut, daß Sie auf das Fluchen des Einen, als Sie an seinen Fuß stießen, nicht geantwortet haben; er glaubte, es wäre einer von seinen Kameraden. Sie würden uns sonst vielleicht für Spione gehalten haben und es wäre uns schlimm ergangen. Gott sei Dank, jetzt ist nichts mehr zu fürchten, und wir sind endlich allein.
– Ruhen Sie doch noch, sagte Joseph, während er zu seinem Leide Consuelo's Arm aus dem seinigen sich zurückziehen fühlte. Ich werde wach bleiben und mit Tagesanbruch gehen wir weiter.
Consuelo war mehr von der Angst als vom Gehen ermüdet; sie war schon so daran gewöhnt unter der Hut ihres Freundes zu schlafen, daß sie sich ruhig dem Schlummer ergab. Aber Joseph, der sich nach manchem Kampfe ebenfalls daran gewöhnt hatte neben ihr zu schlafen, konnte diesesmal keiner Ruhe genießen. Consuelo's zitternde Hand, welche er zwei Stunden lang in der seinigen gehalten hatte, die Regungen von Furcht, von Eifersucht, mit denen seine ganze Liebe wieder erwacht war, und noch ihr letztes Wort, das sie zu ihm im Einschlafen gesprochen: wir sind endlich allein! das alles zusammen entzündete eine Fieberglut in ihm.
Anstatt sich in die Tiefe des Verschlags zurückzuziehen, um ihr seine Achtung wie gewöhnlich zu beweisen, blieb er, da er sah, daß sie selbst nicht daran dachte, sich von ihm zu entfernen, neben ihr sitzen, und sein Herz klopfte so heftig, daß es Consuelo hätte hören müssen, wenn sie nicht so fest geschlafen hätte. Alles regte ihn auf, das melancholische Rauschen des Gießbachs, das Aechzen des Windes in den Fichten und das Mondlicht welches sich durch eine Spalte der Bedachung stahl und einen matten Schein auf Consuelo's blasses und von ihrem schwarzen Haar eingefaßtes Gesicht warf, endlich auch jener unbeschreibliche wilde Schauer welcher von der äußeren Natur in wilder Umgebung auf das Herz des Menschen übergeht.
Er fing endlich an sich zu beruhigen und zu entschlummern, als er etwas wie Hände auf seiner Brust fühlte. Er sprang auf der Streu empor, griff zu, und hielt in seinen Armen ein junges Zicklein, das sich dahingehockt hatte und sich an seiner Brust zu wärmen suchte. Er liebkoste das Thier und bedeckte es, ohne zu wissen warum, mit Thränen und mit Küssen. Endlich wurde es Tag, und als er Consuelo's edle Stirn und ihre ernsten, reinen Züge deutlicher sah, schämte er sich seiner Qualen. Er ging hinaus, um Gesicht und Kopf in dem eiskalten Wasser des Gießbachs zu baden. Als wollte er sich von den strafbaren Gedanken rein waschen, welche sein Hirn entflammt hatten.
Consuelo fand sich bald ebenfalls ein, und unternahm dieselbe Abwaschung, um die Schwere die vom Schlafe zurückblieb, zu zerstreuen und sich, wie sie fröhlich alle Tage that, in die Temperatur des frischen Morgens sogleich mit Muth hineinzuversetzen. Sie war erstaunt, Haydn so niedergeschlagen und traurig zu finden.
– Nun diesmal, Bruder Beppo, sagte sie zu ihm, ist's klar, daß Sie Anstrengungen und Gemüthsbewegungen nicht so gut als ich aushalten. Sie sind ja so blaß wie die Blümchen da auf dem Wasser, die so aussehen, als weinten sie.
– Und Sie so frisch wie die schönen wilden Rosen da an dem Ufer, die so aussehen als lachten sie, antwortete Joseph. Ich denke, daß mir Anstrengungen nicht viel thun, trotz meines kümmerlichen Aussehens, aber Gemüthsbewegungen allerdings, Signora, die kann ich nicht so gut ertragen.
Er war den ganzen Morgen über traurig, und als sie auf einer schönen abschüssigen Bergwiese unter einem Laubdach von wildem Wein Halt machten, um ihr Brot und Nüsse zu verzehren, drang sie auf so ungezwungene Weise mit Fragen in ihn, ihr die Ursach seiner Verstimmung zu gestehen, daß er nicht umhin konnte, ihr eine Antwort zu geben, in die hinein er seine bittere Unzufriedenheit mit sich und seinem Schicksal legte.
– Nun gut, sagte er, wenn Sie's durchaus wissen wollen, ich denk' daran, daß ich recht unglücklich bin, denn nun komm ich Wien alle Tag näher, wo mein Leben verschenkt ist, und mein Herz nicht. Ich liebe meine Braut nicht, ich fühle, daß ich sie nie lieben werde, aber, ich habe mein Wort gegeben, ich werde es halten.
– Ist es möglich! rief Consuelo aus. In diesem Falle, mein armer Beppo, ist unser Schicksal, das mir in den meisten Punkten so übereinstimmend schien, ganz und gar verschieden, Sie eilen einer Braut entgegen, welche Sie nicht lieben und ich fliehe einen Bräutigam den ich liebe. Wunderliche Vorsehung! Den Einen giebst du was sie nicht mögen, um den Andern zu nehmen was ihnen lieb ist.
Sie drückte ihm bei diesen Worten liebreich die Hand und Joseph sah wohl, daß sie ihm nicht so antwortete, weil sie seine Kühnheit gemerkt hätte und ihm eine Lehre geben wollte. Aber die Lehre war nur desto wirksamer. Ihr Mitgefühl für sein Unglück und das Beileid, das sie ihm bezeigen wollte, hatte ihr einen tiefen, innigen Herzenslaut entlockt, der ihm bewies, daß sie einen Anderen unabwendlich und mit ungeschwächter Wärme liebte.
Es war die letzte Thorheit, deren sich Joseph gegen sie schuldig machte. Er nahm seine Geige und kräftig darauf arbeitend brachte er sich diese stürmische Nacht aus dem Sinne. Als sie sich wieder auf den Weg machten, hatte er seiner unmöglichen Liebe vollständig entsagt, und bald traten Ereignisse ein, welche nur Gefühle der Ergebenheit und Freundschaft in ihm aufkommen ließen. Wenn Consuelo eine Wolke über seine Stirn ziehen sah und diese durch sanften Zuspruch zerstreuen wollte, entgegnete er:
– Sein Sie unbesorgt um mich. Wenn ich das Unglück habe, meine Frau nicht lieben zu können, so werde ich ihr wenigstens ein treuer Freund sein, und Freundschaft kann wohl um Liebe trösten, ich fühle das lebhafter als Sie glauben.
Haydn hatte niemals Ursach, diese Reise zu bereuen, trotz der Leiden mit denen er auf ihr zu kämpfen hatte; denn er gewann den besten Unterricht im Italienischen und sogar auch die beste musikalischen Kenntnisse, welche ihm noch jemals zugänglich geworden.
Während der langen Rasten, welche die jungen Künstler an schönen Tagen auf schattigen Plätzen des Böhmerwaldes machten, theilten sie einander alles mit was sie an Geist und Kunstverstand besaßen. Joseph Haydn hatte zwar eine schöne Stimme und wußte im Chore guten Gebrauch davon zu machen, er spielte angenehm Violine und allerlei Instrumente, aber er überzeugte sich doch bald, nachdem er Consuelo öfter singen gehört, daß sie als Virtuosin ihm bedeutend überlegen war und allein, auch ohne Porpora's Hülfe, ihn zu einem guten Sänger hätte bilden können.
Aber Haydn wurde von seinen Anlagen über diesen Kunstzweig hinaus getrieben, und da ihn Consuelo in der Ausübung so wenig fortgeschritten und doch, sobald er sich theoretisch vernehmen ließ, so voll von hohen und treffenden Gedanken fand, sagte sie eines Tages lächelnd zu ihm:
– Ich weiß nicht, ob ich wohl thue, Sie mit den Gesangstudien zu befreunden, denn wenn Sie sich der Liebe zum ausübenden Gesange zu sehr hingäben, könnten Sie ihr leicht höhere Anlagen, die in Ihnen sind, zum Opfer bringen. Lassen Sie mich doch einmal sehen, wie Sie componiren. All mein angestrengter Fleiß, den ich so lange Zeit auf den Contrapunkt gewendet habe und unter der Leitung eines so großen Meisters wie Porpora, hat mich doch nur in den Stand gesetzt, Schöpfungen des Genius zu verstehen; wollte ich aber selbst größere Werke schaffen, so würde ich, wenn ich auch dreist genug dazu wäre, doch nicht mehr die Zeit dazu finden. Wenn dagegen Sie ein schöpferisches Talent besitzen, so müssen Sie diesen Weg verfolgen, und die Singkunst sowie die Behandlung der Instrumente nur als Mittel zu Ihrem Zwecke ansehen.
In der That hatte Haydn seit seinem Zusammentreffen mit Consuelo an nichts anderes gedacht, als sich zum Sänger auszubilden. Immer mit ihr ziehen und bei ihr sein, ihr überall auf seinem Wanderleben begegnen, dies war während der letzten Tage sein Traum und heißes Verlangen.
Er machte nun Schwierigkeiten, ihr sein letztes Manuscript zu zeigen, obgleich er es bei sich hatte, denn er hatte noch auf dem Wege nach Pilsen die letzte Hand daran gelegt. Er fürchtete eben so sehr, ihr auf diesem Gebiete mittelmäßig zu erscheinen, als ihr ein Maß von Fähigkeit zu verrathen, welches sie bewegen könnte, seine Lust zum Singen zu bekämpfen. Nach vielem Weigern gab er nach und ließ sich halb gern, halb mit Gewalt das geheimnißvolle Heft entreißen.
Es war eine kleine Claviersonate, die er für eine Schülerin gemacht hatte. Consuelo durchlief sie mit den Augen und Joseph sah mit Erstaunen, daß sie durch das bloße Lesen so gut faßte als ob sie sie spielen gehört hätte. Sie ließ sich sodann einige Stellen von ihm auf der Geige vorspielen; andere, welche für die Stimme ausführbar waren, sang sie.
Ich weiß nicht, ob Consuelo aus diesem Pröbchen schon den zukünftigen Dichter der »Schöpfung« und so vieler andern herrlichen Musikwerke errieth, aber gewiß ist, daß sie in ihm einen guten Meister ahnte, und sie sagte, ihm das Heft zurückgebend:
– Muth, Beppo! Du bist ein ächter Künstler und kannst ein großer Componist werden, wenn du fleißig sein willst. Du hast Ideen, daran ist nicht zu zweifeln. Mit Ideen und Wissenschaft ist viel zu machen. Die Wissenschaft erwirb dir: wir wollen Porpora's Verdrießlichkeit schon besiegen; das ist der Lehrer, den du haben mußt. Aber denke nicht mehr an die Kulissen, dein Platz ist anderswo, deine Feder ist dein Feldherrnstab. Du bist nicht bestimmt zu gehorchen, sondern zu gebieten. Wenn man die Triebfeder des Werkes sein kann, wie mag man daran denken, ein Rad in der Maschine zu sein? Auf, Maestro in spe, studire du die Triller und Cadenzen nicht mehr mit der Kehle; lerne, wo man sie anbringen, nicht wie man sie machen muß. Das Letztere überlassen Sie Ihrer demüthigen Magd, der Ihnen unterthänigen, die Ihnen die erste Frauenrolle zusagt, so Sie für einen Mezzosoprano zu schreiben geneigt sein werden.
– O Consuelo de mi alma! rief Joseph, zitternd vor Freude und Hoffnung. Für Sie schreiben, von Ihnen verstanden und ausgedrückt werden! wie ruhmvoll! welche ehrgeizige Gedanken fachen Sie in mir an! Aber nein, es ist ein Traum, eine Thorheit. Lehren Sie mich singen. Ich will mich lieber üben, nach Ihrem Sinn und Geschmack fremde Gedanken wiederzugeben, als auf Ihre göttlichen Lippen Melodien legen, welche Ihrer nicht würdig sind.
– Wir wollen doch sehen! sagte Consuelo; hinweg die Complimente! Improvisiren Sie einmal, wie Sie wollen, auf der Violin, mit der Stimme! So tritt die Seele auf die Lippen und in die Fingerspitzen. Und ich werde gleich merken, ob Sie den göttlichen Funken in sich tragen oder ob Sie nichts als ein geschickter Schüler sind, der sich mit Reminiscenzen vollgestopft hat.
Haydn that ihr zu Willen. Sie sah mit Freuden, daß nichts Gelerntes in ihm war, daß seine ersten Ideen etwas Jugendliches, Frisches, Ungesuchtes hatten. Sie feuerte ihn immer mehr an, und wollte ihm nichts mehr vom Gesange lehren, als um ihm, sagte sie, zu zeigen, wie man dafür arbeiten müsse.
Dann im Laufe des Tages belustigten sie sich damit, kleine italienische Duetten zu singen, die sie ihm zuerst stimmenweise vorsang, bis er sie auswendig wußte.
– Wenn uns vor Ende unserer Reise das Geld ausgehen sollte, sagte sie zu ihm, so werden wir nun wohl auf den Straßen singen müssen. Uebrigens könnte es ja auch der Polizei einfallen uns auf die Probe zu stellen, um sich zu überzeugen, ob wir nicht Herumtreiber und Beutelschneider sind, wie es leider deren genug giebt, die das Handwerk schänden. Man muß sich auf alle Fälle gefaßt machen. Meine Stimme wird in tiefer Lage immerhin für eine Knabenstimme vor dem Wechseln gelten können. Sie müssen auch ein Paar Canzonetten lernen, die Sie mir auf der Violin begleiten. Sie werden sehen, es ist gar keine schlechte Uebung. Diese volksthümlichen Kleinigkeiten sind voller Leben und natürlicher Empfindung, und in meinen alten spanischen Liedern steckt das pure Genie, es sind lauter ungeschliffene Diamanten. Maestro, machen Sie sich das Zeug zu Nutze; Ideen geben Ideen.
Diese kleinen Studien fand Haydn köstlich Es ist gar möglich, daß ihm von ihnen her der Anstoß zu jenen niedlichen, kindlichen Erfindungen kam, die er später für das Marionettentheater des jungen Fürsten Esterhazy ausführte. Consuelo legte so viel Anmuth, Laune, Heiterkeit und Leben in diese Uebungen, daß der gute Jüngling, wieder ganz in die unschuldige Keckheit und sorglose Fröhlichkeit der Kinderjahre zurückversetzt, an keine Liebessehnsucht, kein versagtes Glück, keine Gemüthsunruhe dachte und nur immer wünschte, daß doch diese peripatetische Schule nimmer enden möchte.
Wir wollen nicht etwa ein Itinerarium von Consuelo's und Haydn's Wanderung liefern. Wir sind nicht sehr vertraut mit den Fußsteigen im Böhmerwalde und unsere Angaben könnten leicht ungenau ausfallen, wenn wir eine Beschreibung des Weges aus den verworrenen Aufzeichnungen, in denen uns die Kunde davon aufbehalten ist, herzustellen versuchten. Es wird genug sein, zu sagen, daß die erste Hälfte der Reise im Ganzen eher angenehm als beschwerlich war, bis zu dem Eintritte eines Abentheuers, welches wir nicht übergehen dürfen.
Die beiden Wanderer waren dem nördlichen Moldauufer gefolgt, weil es ihnen das unbesuchtere und malerischere schien. Sie waren einen ganzen Tag lang stets bergab in einem Passe gegangen, dessen Fortsetzung sich in einerlei Richtung mit dem Donauufer schnell zur Ebene hinabsenkt. Als sie nun auf der Höhe von Schönau anlangten und die Bergkette abfallen sahen, bedauerten sie, daß sie nicht das andere Moldauufer gewählt hätten und den anderen Gebirgsarm, welcher gegen Baiern hin emporstieg. Die bewaldeten Höhen dort mußten ihnen mehr natürlichen Schutz und poetischere Lagerplätze darbieten als die böhmischen Thäler.
Im Walde pflegten sie, wenn sie bei Lage Rast hielten, sich die Lust zu machen, kleine Vögel an Leimruthen und Schlingen zu fangen, und wenn sie nach ihrer Siesta die Fallen mit dem kleinen Wildpret besetzt fanden, richteten sie sich mit trockenem Reisig einen Kochherd im Freien ein, der ihnen sehr prächtig dünkte. Nur den Nachtigallen wurde das Leben geschenkt, indem sie diese musikalischen Vögel für ihre Collegen erklärten.
Unsere armen Kinder liefen also, eine Furt zu suchen, fanden aber keine: der Fluß war reißend, eingeengt, tief und von dem Regen der letzten Tage angeschwollen. Sie entdeckten endlich eine Landestelle, und dabei einen kleinen Kahn, den ein Knabe hütete. Sie zauderten ein wenig, sich zu nähern, denn sie sahen mehre Personen vor sich, welche eher anlangten und schon die Ueberfahrt behandelten. Diese Leute trennten sich aber, nachdem sie von einander Abschied genommen. Drei von ihnen gingen weiter an dem Nordufer der Moldau hinab, während die noch übrigen Zwei in das Fahrzeug traten. Dieser Umstand bestimmte Consuelo's Entschluß.
– Hier Leute, dort Leute, sagte sie zu Joseph. Es ist nun einerlei, ob wir hinüber fahren oder nicht, fahren wir, so erreichen wir wenigstens unsern Zweck.
Haydn zögerte noch, indem er behauptete, die Leute in der Fähre sähen wie nichts Gutes aus, hätten grobe Manieren und machten sich sehr laut: da ließ Einer von Jenen, gleich als wollte er diese ungünstige Meinung Lügen strafe, den Fährmann halten und wendete sich an Consuelo mit den Worten:
– Nun, mein Kind, nur näher! der Kahn ist noch nicht schwer beladen, und ihr könnt immer noch mit, wenn ihr hinüber wollt. Er begleitete diese Worte mit einer freundlich einladenden Geberde.
– Sehr obligirt:, mein Herr! antwortete Haydn. Wir werden von Ihrer Erlaubniß Gebrauch machen.
– So macht denn! rief der, welcher gesprochen hatte, und den sein Begleiter Herrn Meyer nannte, hopp, herein!
Joseph bemerkte, als er sich kaum niedergesetzt hatte, daß die beiden Unbekannten abwechselnd Consuelo und ihn sehr aufmerksam und neugierig betrachteten. Indessen verrieth Herrn Meyers Gesicht nur Gutmüthigkeit und heitere Laune. Er hatte eine angenehme Stimme, höfliche Manieren, und Consuelo faßte Vertrauen zu seinen ins Graue übergehenden Haaren und seiner väterlichen Miene.
– Ihr seid Musikant, Freundchen? sagte er zu der letzteren.
– Ihnen zu dienen, mein guter Herr! antwortete Joseph.
– Ihr auch? sagte Meyer zu Joseph, und setzte, auf Consuelo zeigend hinzu: das ist vermuthlich Euer Bruder?
– Nein, mein Herr, es ist mein guter Freund, sagte Joseph, wir sind keine Landsleute, und er spricht nicht viel Deutsch.
– Woher ist er denn? fuhr Meyer fort, Consuelo immer ansehend.
– Aus Italien, entgegnete wieder Haydn.
– Venetianer, Genueser, Römer, Neapolitaner, Calabrese? fragte Herr Meyer, jeden dieser Namen mit außerordentlicher Leichtigkeit so betonend, wie es im Lande selbst gebräuchlich ist.
– O mein Herr, ich sehe daß Sie mit jeder Art Italienern reden können, antwortete endlich Consuelo, welche aufzufallen fürchtete, wenn sie noch länger schwiege; ich bin aus Venedig.
– Ach, ein schönes Land! versetzte Meyer, indem er sogleich den venetianischen Dialect annahm. Seid Ihr schon lange von da fort?
– Seit sechs Monaten erst.
– Und Ihr lauft durchs Land und spielt Geige?
– Nein! Der da begleitet, antwortete Consuelo auf Joseph zeigend, und ich singe.
– Versteht Ihr denn kein Instrument? Oboe, Flöte, Tambourin?
– Nein! wozu das?
– Wenn Ihr aber recht musikalisch seid, so würdet Ihr wol leicht eines lernen, nicht?
– O, gewiß, wenn's sein müßte!
– Aber Ihr habt keine Lust?
– Nein, ich singe lieber.
– Bravo, allein Ihr werdet doch bald daran denken müssen, oder Euer Gewerb aufgeben, wenigstens eine Zeit lang.
– Warum, mein Herr?
– Weil Eure Stimme wechseln wird, wenn sie nicht schon angefangen hat. Wie alt seid Ihr, vierzehn, funfzehn Jahr höchstens?
– Ungefähr so.
– Nun seht Ihr, es wird kein Jahr dauern, so werdet Ihr quaken wie ein kleiner Frosch, und es ist nicht ausgemacht, daß Ihr wieder zur Nachtigall werdet. Der Schritt aus der Kindheit ins Jünglingsalter ist immer ein zweifelhafter Uebergang: man verliert manchmal die Stimme, wenn man den Bart bekommt. An Eurer Stelle lernte ich die Querpfeife, damit kann man immer sein Brot verdienen.
– Ich will sehen, wenn es so weit sein wird.
– Und Sie! sagte Herr Meyer sich zu Joseph wendend, spielen's halt bloß die Geigen?
– Halten's zu Gnaden, antwortete Joseph, der nun auch Zutrauen gewann, da er sah, daß des guten Meyers Unterhaltung Consuelo nicht verlegen gemacht hatte, ich spiele ein wenig auf vielen Instrumenten.
– Zum Exempel?
– Clavier, Harfen, Flöten, von allem etwas, jenachdem ich Gelegenheit zu lernen gefunden hab'.
– Wenn's so viel können, so ist's nicht gescheut, daß Sie so im Land herumziehen; das Herumlumpen thut kein Gut und ist ein hartes Metier. Ich sieh, daß Ihr Kamerad, der noch jünger und zärtlicher, schon nit mehr weiter kann, er hinkt.
– Sie haben das bemerkt? sagte Joseph, der es ebenfalls nur zu wohl bemerkt hatte, obgleich seine Gefährtin nicht wollte merken lassen, daß ihre Füße geschwollen waren und sie schmerzten.
– I hab gemerkt, wie er sich mit Müh an das Schiff geschleppt hat, antwortete Meyer.
– Was will man machen, lieber Herr! bemerkte Haydn, indem er seine Besorgniß unter einem Schein von philosophischer Gleichgültigkeit zu verstecken suchte; man kann schon nicht immer seine Commodität beisammen haben, und wenn man Leiden hat, so leidet man.
– Wenn man aber zufrieden und honett leben kann, sobald man sich wo niederläßt! Es gefallt mir nicht, wenn ich so zwei saubere Buben, wie es seid, herumlaufen seh. Glaubt's einem ehrlichen Manne, der auch Kinder hat, und der enk wahrscheinlich nicht wiedersehen wird. Es geht zu Grund, wenn es auf Abentheuer lauft. Denkt's an das was I enk jetzt gesagt hab'.
– Wir sind Ihnen sehr verbunden für Ihren guten Rath, antwortete Consuelo freundlich lächelnd, wir machen ihn uns vielleicht noch zu Nutze.
– Gott geb's, mein kleiner Gondolier! sagte Meyer zu Consuelo, die ein Ruder ergriffen hatte und ganz mechanisch, wie sie es von Venedig her als ein Kind des Volks gewohnt war, das Wasser schlug.
Der Kahn stieß ans Land, nachdem er der etwas heftigen Strömung wegen, eine bedeutend schräge Linie beschrieben hatte. Herr Meyer sagte den jungen Künstlern ein freundliches Lebewohl, wünschte ihnen glückliche Reise und sein Begleiter verhinderte sie, dem Fährmann ihren Antheil zu bezahlen. Consuelo und Joseph bedankten sich geziemend und schlugen dann einen Fußweg ein, der bergauf führte, während die beiden Fremden in derselben Richtung an dem ebenen Ufer des Flusses ihren Weg fortsetzten.
– Der Herr Meyer scheint ein ganz ordentlicher Mann, sagte Consuelo, indem sie ihm von oben noch einmal nachsah. Er ist gewiß ein guter Vater.
– Neugierig ist er und eine Plaudertaschen, sagte Joseph, ich bin ganz froh, daß Sie seine Fragen los sind.
– Er plaudert gern, wie alle vielgereisten Leute. Er ist ein Kosmopolit, nach der Leichtigkeit zu urtheilen, mit der er alle Dialecte spricht. Wo mag er nur her sein?
– Sein Ton war sächsisch, obschon er den niederösterreichischen Dialect sprach. Er ist vermuthlich ein Norddeutscher, vielleicht ein Preuße.
– Desto schlimmer für ihn; ich liebe die Preußen nicht und den König Friedrich noch weniger als sein Volk; nach allem was ich über ihn auf Riesenburg gehört habe.
– Wenn das ist, so wird's Ihnen in Wien gefallen; da hat dieser König Soldat und Philosoph nirgend Freund, weder bei Hofe noch in der Stadt.
Unter solchem Geplauder vertieften sie sich in den dichten Wald und gingen einen Pfad, der sich bald unter Fichten verbarg, bald an einem Amphitheater von Bergen hinlief. Consuelo fand diese hyrcanisch-böhmischen Höhen eher anmuthig als erhaben; da sie mehrmals über die Alpen gekommen war, so theilte sie Josephs Entzücken nicht, der so majestätische Gipfel noch nie gesehen hatte. Während daher Joseph in Bewunderung schwelgte, war seine Gefährtin mehr in einer träumerischen Stimmung; auch fühlte sich Consuelo an diesem Tage äußerst matt und mußte sich sehr anstrengen, ihre Hinfälligkeit zu verbergen, um Joseph nicht zu ängstigen, der sich ohnehin schon genug darüber ängstigte.
Sie schliefen ein Paar Stunden, und nachdem sie noch Mahlzeit gehalten und musicirt hatten, nahmen sie bei Sonnenuntergang ihren Weg wieder auf. Consuelo hatte zwar ihre zarten Füße wie die Heldinnen der Idylle lange in klarem Quellwasser gebadet, aber dennoch fühlte sie bald ihre Sohlen von den Steinen des Weges zerschnitten und mußte gestehen, daß sie ihren Marsch für diese Nacht nicht durchführen könnte. Zum Unglück war in dieser Gegend alles öde: kein Gehöfte, kein Kirchlein, keine Hütte. Joseph war in Verzweiflung. Es war eine zu kalte Nacht, um im Freien zu schlafen.
Endlich als sie eine Oeffnung zwischen zwei Höhen erreichten, sahen sie Lichter am Fuße des gegenüberliegenden Abhangs. Das Thal, in welches sie niederstiegen, war baierisches Land. Aber die Ortschaft, deren Lichter sie gesehen hatten, war entfernter als sie dachten; es kam Joseph vor, als ob sie sich immer mehr entfernte, je weiter sie gingen.
Um das Unglück vollzumachen, zog sich Gewölk zusammen und es dauerte nicht lang, so fiel ein feiner, kalter Regen herab, welcher die Luft so undurchsichtig machte, daß die Lichter verschwanden und unsere Reisenden, als sie mit Noth und Mühe den Fuß des Abhanges erreicht hatten, die Richtung derselben nicht wiederfinden konnten.
Sie befanden sich jedoch auf einer ziemlich glatt hinablaufenden Straße und schleppten sich auf dieser fort, als sie das Geräusch eines Wagens hörten, welcher ihnen entgegen kam. Joseph besann sich nicht, lief hinzu und fragte nach dem Weg, und ob in der Nähe nicht ein Unterkommen zu finden wäre.
– Wer da? rief eine starke Stimme, und zugleich hörte er den Hahn einer Pistole schnappen. Fort, oder ich jag' euch eine Kugel durch den Kopf!
– Wir sind halt nicht sehr zu fürchten, rief Joseph, ohne sich irre machen zu lassen. Schaun's, wir sind ein Paar Kinder und bitten blos um Bescheid.
– Blitz! rief eine andere Stimme, an welcher Consuelo sogleich den guten Herrn Meyer erkannte, das sind ja meine kleinen Schelme von heut Morgen. Ich erkenne wenigstens den Aelteren an der Mundart. He! seid Ihr auch da, Gondolier? fügte er auf Venetianisch hinzu, Consuelo meinend.
– Ja wohl! antwortete sie in demselben Dialect. Wir haben uns verirrt, und wollen Sie nur fragen, guter Herr, ob nicht ein Palazzo oder ein Stall in der Nähe ist, wo man unterkommen könnte. Sagen Sie es uns, wenn Sie es wissen.
– Je, meine armen Kinder, sagte Meyer, ihr seid zwei Meilen von jeder Art Wohnung entfernt. Ihr findet kein Hundeloch den ganzen Berg hin. Aber ihr dauert mich; steigt herein zu mir! ich kann euch zwei Plätze geben, ohne daß es mich genirt. Ohne Umstände, steigt ein!
– Sie sind tausendmal zu gut, Signor! sagte Consuelo von der Gefälligkeit dieses Mannes gerührt; allein Sie fahren nach Norden zu und wir wollen nach Oesterreich. – Nein, ich fahre gegen Osten zu. In einer Stunde höchstens setz' ich euch in Bibereck ab ... Da bleibt ihr die Nacht und könnt euch morgen auf den Weg ins Oesterreichische machen. Ihr kommt so noch näher hin. Geschwind entschließt euch, wofern es euch nicht Spaß macht, im Regen zu stehen und uns aufzuhalten.
– Nun wohl. Muth und Vertrauen! sagte Consuelo ganz leise zu Joseph und sie stiegen in den Wagen.
Sie bemerkten daß drei Personen darin waren, zwei auf dem vordern Sitz, von denen die eine fuhr, und die dritte, welches Herr Meyer war, auf dem Hintersitze. Consuelo setzte sich in die Ecke und Joseph in die Mitte zwischen ihr und ihm. Es war eine geräumige und feste sechssitzige Chaise. Das Pferd, ein großes starkes Thier, ging von kräftiger Hand gepeitscht, wieder in Trab über und ließ die Schellen seines Geschirrs klingen, indem es ungeduldig mit dem Kopfe schüttelte.
Nun was sagt' ich euch! fing Herr Meyer an, sein Gespräch da wieder aufnehmend, wo er es am Morgen gelassen hatte: giebt es ein härteres und kümmerlicheres Metier als das eurige? Bei Sonnenschein nimmt sich schon alles gut aus, aber es ist nicht immer Sonnenschein, und euer Schicksal ist just so veränderlich wie das Wetter.
– Wessen Schicksal wäre nicht veränderlich und ungewiß? sagte Consuelo. Wann der Himmel ungnädig ist, so schickt uns die Vorsehung gute Seelen in den Weg, die sich unser annehmen; gerade jetzt haben wir kein Recht, über sie zu murren.
– Ihr habt Verstand, mein junger Freund, antwortete Meyer; Ihr seid aus dem schönen Lande, wo ihn alle Welt hat. Aber glaubt mir nur, mit all Eurem Verstand und Eurer schönen Stimme werdet ihr doch in diesen armen österreichischen Districten verhungern müssen. Wäre ich wie Ihr, so suchte ich mein Glück in irgend einem reichen und civilisirten Lande, unter dem Schirm eines großen Monarchen.
– Welches Monarchen aber? fragte Consuelo, von diesem Vorschlage betroffen.
– Je nun, was weiß ich! Es giebt ihrer manche.
– Aber ist denn unsere Königin von Ungarn nicht ein großer Monarch! rief Haydn aus. Lebt man in den kaiserlichen Staaten nicht wohl behütet?
– Zweifelsohne, antwortete Meyer, aber ihr wißt nicht, daß Ihre Majestät die Kaiserin Maria Theresia die Musik haßt, und daß man euch aus Wien hinausbringen wird, wenn ihr euch so als wandernde Sänger auf den Straßen zeigt.
In diesem Augenblicke bemerkte Consuelo auf einem dunklen Grunde in einiger Tiefe unter dem Wege ziemlich in Ihrer Nähe wieder die Lichter, welche sich ihnen zuvor schon gezeigt hatten und machte Joseph darauf aufmerksam, der sich sogleich an Herrn Meyer mit dem Wunsche wendete, auszusteigen, um in diesem näher gelegenen Orte ein Unterkommen zu suchen.
– Dort? sagte Meyer; das haltet ihr für Lichter? Nun ja, Lichter sind es, aber sie leuchten nur dem Reisenden in gefährliche Sümpfe hinein, wo schon Mancher umgekommen ist. Habt ihr noch keine Irrlichter gesehen?
– O ja, auf den Lagunen in Venedig, sagte Consuelo, und auch auf den kleinen böhmischen Seen.
– Nun, Kinder, dann wißt ihr was für Lichter diese da unten sind.
Herr Meyer kam immer wieder darauf zurück, daß sie sich irgendwo niederlassen müßten und sprach dann immer wieder von der Unmöglichkeit, ihr Fortkommen in Wien zu finden, ohne ihnen jedoch einen Ort vorzuschlagen, wo sie seiner Meinung nach ihr Glück machen könnten.
Joseph, dem diese Beharrlichkeit auffiel, fürchtete Anfangs, daß der Fremde Consuelo's Geschlecht errathen habe, beruhigte sich aber wieder, da er ihn seine Gefährtin ganz treuherzig als einen jungen Burschen behandeln sah (denn Meyer ging so weit, daß er ihr rieth, lieber den Militairstand zu ergreifen, sobald es die Jahre erlaubten, als im Lande umher zu streichen), und er suchte endlich die Sache dadurch zu erklären, daß er den guten Herrn Meyer für einen jener Tröpfe hielt, die sich von einer einmal ergriffenen Idee nicht losreißen können und den ganzen Tag das wiederholen, was ihnen am Morgen zuerst durch den Kopf gefahren ist.
Consuelo dagegen hielt ihn für einen Schulmeister oder für einen protestantischen Geistlichen, der an nichts weiter dächte als gute Sitten zu predigen und die Leute zu ermahnen.
Nach Verlauf einer Stunde erreichten sie Bibereck. Die Nacht war so finster, daß man nicht die Hand vor Augen sah. Der Wagen hielt im Hofe eines Wirthshauses, wo zwei Männer Herrn Meyer sogleich in Beschlag nahmen, um heimlich mit ihm zu reden. Als diese in die Küche traten, wo Consuelo und Joseph sich am Feuer trockneten und wärmten, erkannte letzterer in den beiden Männern sogleich zwei von Jenen, welche sich bei der Moldauüberfahrt von Herrn Meyer getrennt hatten. Der eine war einäugig, der andere hatte zwar seine beiden Augen, sonst aber auch kein empfehlendes Gesicht. Auch der welcher mit Herrn Meyer über den Fluß gefahren war und mit in dem Wagen gesessen hatte, gesellte sich zu ihnen: nur jener Vierte, welcher am Morgen mit dabei gewesen war, erschien nicht wieder.
Sie sprachen lange mit einander in einer Sprache, von welcher auch Consuelo, die so viele Sprachen kannte, kein Wort verstand. Herr Meyer schien eine Art Vorgesetzter zu sein oder wenigstens bestimmend auf die Andern einzuwirken; denn nach einer ziemlich lebhaften Unterredung, welche leise geführt wurde, sagte er ihnen einige Worte, worauf Zweie von ihnen sich sogleich entfernten; nur der, welcher Herrn Meyer nicht verlassen hatte, und den Consuelo, um ihn zu bezeichnen, den Stummen nannte, blieb zurück.
Haydn schickte sich an, für sich und seine Gefährtin an einem Ende des Küchentisches ein bescheidenes Abendbrot auftragen zu lassen, als Herr Meyer zu ihnen trat und sie einlud, mit ihm zu essen: er nöthigte sie auf so verbindliche Weise, daß sie es nicht abschlagen konnten. Nun führte er sie in den Speisesaal, wo sie ein wahres Gastmahl in Bereitschaft fanden, wenigstens kam es den armen Kindern so vor, die seit den fünf Tagen einer ziemlich beschwerlichen Fußreise jede Annehmlichkeit dieser Art entbehrt hatten.
Consuelo machte es sich indessen nur mit Zurückhaltung zu Nutze: der gute Tisch, den Herr Meyer führte, der Eifer mit welchem er bedient wurde, die Masse Wein, welche er, ebenso wie sein stummer Gefährte verschlang, das alles nöthigte sie, die hohe Meinung, welche sie von seinen Puritanersitten gefaßt hatte, ziemlich herunterzustimmen. Besonders war es ihr anstößig, daß er sich viel Mühe gab, Joseph und sie selbst über den Durst trinken zu lassen und daß er sie mit sehr gemeinen Späßen abhielt, Wasser unter den Wein zu gießen. Mit noch größerer Unruhe bemerkte sie, daß Joseph, sei es ohne sich etwas dabei zu denken oder weil er wirklich eine Stärkung bedurfte, mehr trank und redseliger und munterer wurde als ihr lieb war.
Sie konnte endlich ihre Verstimmung nicht mehr bergen, als alle ihre Stöße mit dem Ellenbogen nichts fruchteten, um Joseph an die Pflicht der Mäßigkeit zu erinnern, und sein Glas wegnehmend, als es Herr Meyer eben wieder füllen wollte, sagte sie:
– Nein, mein Herr! gestatten Sie uns, daß wir es Ihnen nicht gleichthun: es paßt nicht für uns.
– Ihr seid mir Musikanten! rief Meyer lachend. Musikanten die nicht trinken! Ihr seid die ersten eures Schlages, die ich so kennen lerne.
– Und Sie, Herr von Meyer! sagte Joseph, sind Sie Musiker? Ich wollt' darauf wetten. Sie sind gewiß Kapellmeister bei einem der sächsischen Fürsten.
– Kann sein, antwortete Meyer lächelnd; eben deswegen nehm' ich viel Interesse an euch, Kinderchen.
– Wenn der Herr Kapellmeister ist, entgegnete Consuelo, so ist der Abstand zwischen ihm und uns armen Straßenmusikanten zu groß, als daß er an uns viel Interesse nehmen könnte.
– Es giebt der Straßenmusikanten, sagte Meyer, die mehr Talent haben als man denkt, und es giebt der großen Meister, sogar Kapellmeister der ersten Souveraine Europas, die damit angefangen haben auf den Straßen zu singen. Wenn ich z. B. erzählte, daß ich heut morgen zwischen neun und zehn Uhr am linken Moldauufer aus einer Bergschlucht hervor zwei allerliebste Stimmen ein hübsches italienisches Duett singen hörte und dazu ein artiges sogar gearbeitetes Ritornell auf der Geige, he? In der That, das ist mir begegnet, während ich auf einem Hügel sitzend mit meinen Freunden frühstückte. Und als ich nachher die beiden Musiker, die mich entzückt hatten, vom Gebirg herunterkommen sah, siehe da waren es zwei arme Kinder, das eine in ungarischer Bauertracht, das andere ... Also, schämt euch nicht und wundert euch nicht, daß ich euch gern was zu Gute thäte, und thut mir den Gefallen, den Musen, unser Aller Schutzheiligen ein Glas darzubringen.
– Herr! Maestro! rief Haydn ganz selig und ganz gewonnen, ich will ein Glaserl trinken auf Ihre Gesundheit. Ja, Sie sind ein rechter Musikus, das ist keine Frage, weil Sie so entzückt gewesen sind von der ... von der Stimme meines Kameraden, des Signor Bertoni.
– Nein! Du trinkst nicht mehr, sagte Consuelo ungeduldig, ihm das Glas entreißend. Und ich auch nicht, setzte sie hinzu, indem sie das ihrige zurückzog. Wir müssen von unsern Stimmen leben, Herr Professor! und der Wein verdirbt die Stimme. Sie sollten uns lieber anhalten, mäßig zu sein, anstatt uns zur Unmäßigkeit aufzufordern.
– Nun gut! sagte Meyer, Sie haben Recht; und schob die Flasche, welche er hinter sich gestellt hatte, wieder mitten auf den Tisch. Ja, man muß die Stimmen in Acht nehmen, es ist wahr. Sie haben mehr Verstand, als Ihre Jahre vermuthen lassen, Freund Bertoni! und ich freue mich wahrhaftig, daß ich Ihre wackere Gesinnung kennen lerne. Sie werden es weit bringen, mit Ihrem verständigen Wesen und mit Ihrem Talent. Sie werden es weit bringen, und ich will mir die Ehre und das Verdienst erwerben, auch ein wenig dazu beizutragen.
Hierauf setzte sich der vermeintliche Professor bequem zurecht und begann mit der wohlwollendsten Miene und in einem Vertrauen erweckenden Tone ihnen auseinanderzusetzen, daß sie am besten thäten, nach Dresden zu gehen; er wolle sie dahin mitnehmen und wolle ihnen den Unterricht des berühmten Hasse und die besondere Protection der Königin von Polen und Kurfürstin von Sachsen verschaffen.
Diese Fürstin, Marie Josephine, Kaiser Josephs I. von Oesterreich Tochter, die Gemahlin des Königs von Polen August des III., war eine Schülerin Porpora's. Zwischen dem letzteren und dem Sassone (wie die Italiener Hasse nannten) hatte sich an dem Dresdner Hofe eine Nebenbuhlerschaft um die Gunst der fürstlichen Dilettantin entsponnen, welche den ersten Grund zu der Feindschaft der beiden berühmten Meister legte. Selbst wenn Consuelo Lust gehabt hätte, ihr Glück in Norddeutschland zu versuchen, würde sie doch nicht an diesem Hofe debütirt haben, wo sie mit der Schule und Cotterie des Mannes, der über ihren Lehrer den Sieg davongetragen, in Berührung gewesen wäre. Sie hatte von Porpora, wenn er in bitterer und rachsüchtiger Stimmung sich über Hasse und den Dresdner Hof aussprach, genug gehört, um sich auf alle Fälle nicht im Mindesten versucht zu finden, dem guten Rathe des Herrn Meyer zu folgen.
Joseph war in ganz anderer Lage. Erhitzt von dem Gelage, gab er sich sogleich mit Lebhaftigkeit der Einbildung hin, einen mächtigen Beschützer und Beförderer seines künftigen Glückes gefunden zu haben. Es kam ihm nicht in den Sinn, Consuelo zu verlassen, um sich dem neuen Freunde anzuschließen, aber in seinem etwas benebelten Kopfe gestaltete sich sogleich die Hoffnung, ihn schon noch eines Tages wieder anzutreffen. Er dankte ihm also mit Wärme für sein Wohlwollen und in seinem Freudentaumel griff er zur Violine und kratzte kreuz und quer darauf herum. Herr Meyer applaudirte ihm nichts desto weniger, entweder um ihn nicht zu kränken, oder, wie Consuelo dachte, weil er nur ein schlechter Musiker war. Der Irrthum, in welchem er sich wirklich über ihr Geschlecht befand, ungeachtet er sie hatte singen hören, bewies ihr, daß er kein geübtes Ohr haben und am wenigsten ein Dirigent sein konnte.
Herr Meyer redete ihnen unablässig zu, mit ihm nach Dresden zu gehen. Joseph sagte zwar immer Nein, war aber augenscheinlich von dem Vorschlage geblendet und ließ sich auf so ernstliche Versprechungen ein, sobald als möglich dorthin zu kommen, daß sich Consuelo genöthigt sah, Herrn Meyer den Glauben an die Ausführbarkeit der Sache zu benehmen.
– Vor der Hand, sagte sie mit festem Tone, ist gar nicht daran zu denken. Joseph, Du weißt, es geht nicht und Du hast selbst ganz andere Pläne.
Meyer wiederholte seine verlockenden Anerbietungen, und war erstaunt, sie und auch Joseph, der wieder zu sich kam, sobald Signor Bertoni das Wort nahm, unerschütterlich zu finden.
Sie waren noch mit diesen Unterhandlungen beschäftigt, als der Stumme, welcher beim Abendessen nur kurze Zeit zugegen gewesen war, hereintrat und Herrn Meyer abrief. Consuelo nahm den Augenblick wahr und schalt Joseph, daß er sich so leichtsinnig den schönen Worten des ersten besten Reisenden und den Eingebungen seiner Weinlaune überließe.
– Habe ich etwas verrathen? fragte Joseph erschrocken.
– Nein, antwortete sie, aber es ist schon unklug, so lang in Gesellschaft zu bleiben. Wer mich viel ansieht, kann leicht erkennen oder wenigstens auf die Vermuthung kommen, daß ich kein Mann bin. Wenn ich mir auch die Hände geschwärzt habe und sie so viel als thunlich unter dem Tische hielt, ihre Schwäche würden diese beiden Herrn doch wohl bemerkt haben, es ist kaum anders denkbar, wenn sie nicht zum Glück beide zu beschäftigt wären, der eine mit der Flasche und der andere mit seinem Geschwätz. Das Klügste würde jetzt sein, uns sacht zu drücken, und in einem andern Wirthshause zu übernachten, denn ich fühle mich gar nicht wohl bei dieser neuen Bekanntschaft, die sich, wie es scheint, an uns hängen will.
– Warum nicht gar! sagte Joseph, schändlich ausreißen wie Lotterbuben und uns bei diesem ehrlichen Manne nicht bedanken, der vielleicht ein berühmter Kapellmeister ist! Wer weiß, vielleicht gar der große Hasse selber.
– Nein, dafür stehe ich Ihnen, und wären Sie bei Sinne gewesen, so würden Sie bemerkt haben, daß er eine ganze Masse elender Gemeinplätze über Musik vorbrachte. Ein Meister spricht nicht auf diese Art. Es ist höchstens Einer von den Untersten aus dem Orchester, ein guter Gesell, ein großer Schwätzer und ziemlicher Trunkenbold. Ich weiß nicht warum, aber sein Gesicht sieht aus, als hätte er Lebenslang in Blech geblasen und er hat einen Querblick, als ob er immerfort nach dem Taktstock schielte.
– Corno oder Clarino secondo, rief Joseph laut auflachend. Er ist wenigstens ein angenehmer Gesellschafter.
– Sie aber gar nicht, antwortete Consuelo mit einiger Heftigkeit. Machen Sie, daß Sie nüchtern werden und sagen Sie ihm Adieu, aber nur fort!
– Es gießt in Strömen. Hören Sie wie der Regen an die Fenster schlägt.
– Sie werden doch aber nicht hier auf dem Tisch einschlafen wollen? sagte Consuelo, ihn schüttelnd, um ihn munter zu machen.
In diesem Augenblick trat Herr Meyer ein.
– Nun ist's eine schöne Geschichte! rief er mit gutem Humor. Ich rechnete darauf, heut Nacht hier zu bleiben und morgen früh nach Cham zu fahren; meine Freunde aber machen mir einen Querstrich und verlangen durchaus, daß ich eines wichtigen Geschäfts wegen mit ihnen nach Passau gehe. Nun, Kinder! nach Dresden kann ich euch also nicht bringen, aber wenn ich euch rathen soll, so nutzt die Gelegenheit. Ich kann euch noch immer zwei Plätze überlassen, denn diese Herrn haben einen besonderen Wagen. Passau ist nur sechs Meilen von hier, und wir sind morgen früh dort. Wir trennen uns da, denn ihr seid hart an der österreichischen Grenze und könnt sogar, wenn ihr wollt, ganz bequem und wohlfeil auf der Donau nach Wien hinunterfahren.
Joseph fand dieses Anerbieten Consuelo's armer Füße wegen herrlich. Die Gelegenheit schien in der That sehr günstig und die Donaufahrt bot ein Hülfsmittel dar, an welches sie noch gar nicht gedacht hatten. Consuelo nahm daher den Vorschlag an, zumal da sie sah, daß Joseph nicht dahin zu bringen sein würde, Vorsichtsmaßregeln für die Sicherheit ihres diesmaligen Nachtlagers zu ergreifen. Im Finstern in die Ecke des Wagens gedrückt hatte sie von den Beobachtungen der Reisegefährten nichts zu fürchten und sagte doch Herr Meyer, daß man Passau vor Tagesanbruch erreichen würde. Joseph war entzückt, daß sie einwilligte. Indessen empfand Consuelo eine geheime Abneigung und auch das Aussehen der Meyerschen Freunde mißfiel ihr immer mehr. Sie fragte, ob diese ebenfalls Musiker wären.
– Mehr oder minder, antwortete er kurz.
Sie fanden die Wagen angespannt und die Kutscher auf ihrem Sitze; die Dienerschaft des Wirthshauses, mit Herrn Meyers Trinkgeldern überaus zufrieden, drängte sich, ihm bis auf den letzten Augenblick ihren Diensteifer zu zeigen. Während einer Stille, die unter dem Getümmel zufällig einen Augenblick eintrat, hörte Consuelo ein Wimmern, welches aus der Mitte des Hofes zu kommen schien. Sie wendete sich zu Joseph um, der aber nichts bemerkt hatte. Noch einmal der wimmernde Ton; ein Schauder lief durch ihre Adern. Indessen schien Niemand Acht darauf zu haben, und sie konnte ihn einem Hunde zuschreiben, der vielleicht an seiner Kette ungeduldig wurde.
Was sie aber auch that, um nicht weiter daran zu denken, sie konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren. Dieser erstickte Schmerzenslaut aus Nacht, Wind und Regen hervor, mitten aus einer Gruppe geschäftiger oder gleichgültiger Personen, ohne daß sich recht sagen ließ, ob es eine menschliche Stimme oder ein eingebildetes Geräusch war, erregte ihr Furcht und Grausen. Sie dachte augenblicklich an Albert, und als hätte sie sich fähig geglaubt, an seinem geheimnißvollen Ahnungsvermögen Theil zu nehmen, zitterte sie vor irgend einer Gefahr, die über seinem oder ihrem eigenen Haupte schwebte.
Der Wagen war indessen schon im Gange. Mit einem frischen, noch stärkeren Pferde als das vorige ging es vorwärts. Der andere Wagen, welcher ebenfalls rasch gezogen wurde, war bald vorn bald hinten. Joseph fing sein Geschwätz mit Herrn Meyer wieder an und Consuelo suchte einzuschlafen, während sie, um ihr Schweigen zu rechtfertigen, so that, als schliefe sie schon.
Ihre Müdigkeit besiegte endlich ihre Traurigkeit und ihre Unruhe und sie schlief fest ein. Als sie erwachte, schlief Joseph ebenfalls und Herr Meyer war endlich still. Der Regen hatte aufgehört, der Himmel war heiter und der Tag fing an zu grauen. Die Gegend hatte für Consuelo ein ganz fremdartiges Ansehen. Nur von Zeit zu Zeit erschienen am Horizont die Gipfel eines Höhenzuges, welcher dem Böhmerwalde glich.
Als sie sich aus ihrer Schlaftrunkenheit allmählig erholt hatte, entdeckte Consuelo mit Erstaunen, daß diese Berge, die sich ihr zur Linken hätten zeigen müssen, zur Rechten erschienen. Die Sterne waren verschwunden, aber die Sonne, welche vor ihr aufgehen mußte, ließ sich noch nicht erblicken. Sie dachte was sie sähe, müßte wohl eine andere Bergkette als der Böhmerwald sein. Herr Meyer schnarchte und den Anderen, welcher die Pferde lenkte, den einzigen im Wagen, der in diesem Augenblicke wach war, wagte sie nicht anzureden.
Der Wagen befand sich auf einem ziemlich steilen Anberge, das Pferd ging im Schritt und das Geräusch der Räder erstarb in dem nassen Sand der Geleise. Da hörte Consuelo sehr deutlich denselben halberdrückten Schmerzenslaut, den sie aus dem Hofe des Wirtshauses von Bibereck vernommen hatte. Die Stimme schien dicht hinter ihr auszugehen. Sie wendete sich unwillkürlich um und sah nichts als den Lederüberzug des Polsters, an welches sie ihren Rücken gelehnt hatte.
Sie glaubte sich in einem Zustande des Hellsehens zu befinden, und da ihre Gedanken immer wieder auf Albert zurückkamen, bildete sie sich in schmerzlicher Angst ein, daß er mit dem Tode ränge und daß sie in Folge einer unbegreiflichen Fernwirkung der Liebe, welche diesen wunderbaren Mann zu ihr hinzog, den jammervollen, herzzerreißenden Laut seiner letzten Seufzer erhaschte. Diese Einbildung bemächtigte sich ihrer mit solcher Gewalt, daß ihr fast die Sinne vergingen, und indem sie vor Angst ersticken zu müssen glaubte, bat sie den Wagenführer, welcher eben anhielt und sein Pferd ein wenig verschnaufen ließ, um Erlaubniß auszusteigen und zu Fuße bis zum Gipfel zu gehen. Er ließ es gern zu, sprang selbst von seinem Sitze und ging pfeifend neben dem Pferde her.
Dieser Mann war zu gut gekleidet, um ein Fuhrmann seines Gewerbs zu sein. Bei einer Bewegung, welche er machte, glaubte Consuelo zu bemerken, daß er Pistolen im Gurte trug. In der öden Gegend, welche sie durchreisten, hatte eine solche Vorsicht nichts auffallendes, und überdies verrieth die Form des Wagens, den Consuelo jetzt neben den Rädern hergehend genau betrachtete, daß er Waaren führte. Er war zu tief, um nicht hinter dem Hintersitz einen Doppelboden zu enthalten, nach Art derer, in welchen man Werthsachen und Depeschen zu bergen pflegt. Aber er schien nicht schwer beladen, da ihn ein einziges Pferd ohne Mühe zog. Auffallender war der Umstand, daß der Schatten des Wagens nach vorn fiel; Consuelo wendete sich um und sah die Sonne schon völlig über den Horizont emporgestiegen, gerade gegenüber derjenigen Seite, wo sie sich hätte befinden müssen, wenn man auf dem Wege nach Passau gewesen wäre.
– Wohin gehen wir denn? fragte sie den Wagenführer, indem sie hastig zu ihm lief: wir kehren ja Oesterreich den Rücken.
– Allerdings, auf ein halbes Stündchen, antwortete er sehr ruhig; wir haben umgewendet, weil die Brücke, über welche wir müßten, zerbrochen ist; wir müssen einen Umweg von einer halben Stunde machen, um zu einer andern Brücke zu gelangen.
Consuelo war durch diese Antwort einigermaßen beruhigt, stieg wieder in den Wagen und wechselte ein Paar gleichgültige Worte mit Herrn Meyer, der aufgewacht war, aber gleich wieder einschlief. Joseph hatte sich noch immer nicht ermuntert.
Der Gipfel war erreicht. Consuelo sah vor sich einen langen steilen und vielgewundenen Weg ausgebreitet; der Fluß, von welchem der Wagenführer gesprochen hatte, zeigte sich in einer Schlucht; so weit das Auge reichte, war keine Brücke zu sehen und man fuhr immer vorwärts. Erstaunt und beunruhigt konnte Consuelo nicht wieder einschlafen.
Es ging sogleich wieder bergan; das Pferd schien ermüdet. Die Reisenden stiegen sämmtlich aus und nur Consuelo, die noch Schmerzen an ihren Füßen hatte, blieb im Wagen. Plötzlich ließ sich das Seufzen wieder vernehmen, aber so deutlich und in bestimmten Absätzen, daß sie an keine Sinnentäuschung mehr denken konnte: es kam ohne Zweifel aus dem hinteren Kasten. Sie sah sich aufmerksam um und bemerkte in der Ecke, welche stets Herr Meyer eingenommen hatte, eine kleine lederne Klappe, die ein Fensterchen des Kastens zu bedecken schien. Sie versuchte, diese Klappe zu lüften, aber es gelang nicht. Sie war mit einem Schlosse versehen, und der Schlüssel vermuthlich in der Tasche des vermeintlichen Professors.
Consuelo, die bei solchen Abentheuern stets voll Eifer war, zog aus ihrer Tasche ein breitklingiges scharfes Messer hervor, womit sie sich bei ihrer Abreise versehen hatte, vielleicht von einer Regung ihrer Schamhaftigkeit geleitet, in unbestimmter Furcht vor Gefahren, denen im äußersten Falle der Selbstmord eine entschlossene Frau immer noch entreißen kann. Sie nahm einen Augenblick wahr, wo die Reisenden insgesammt weit voraus waren, selbst der Wagenführer, der von zu großer Hitze seines Pferdes nichts mehr zu fürchten hatte. Mit rascher, sicherer Hand erweiterte sie die enge Spalte, welche sich zwischen dem Rande der Klappe und dem Wagenpolster befand und es gelang ihr, sie so weit aus einander zu treiben, daß sie ihr Auge anlegen und in das Innere des geheimnißvollen Kastens blicken konnte.
Wie erstaunt, wie erschrocken war sie, als sie in dem engen, finsteren Behältniß, welches nur durch eine Spalte in seiner Decke Luft und Licht empfing, einen Mann von riesiger Größe sah, der blutbedeckt, den Mund verstopft, an Händen und Füßen hart gebunden und geknebelt, zusammengekrümmt in der gezwängtesten und peinlichsten Lage saß. Sein Gesicht war, so viel man davon sehen konnte, leichenblaß und er schien mit dem Tode zu ringen.
Außer sich vor Entsetzen sprang Consuelo aus dem Wagen und lief zu Joseph, den sie verstohlen am Arme drückte, um ihn zu veranlassen, daß er sich mit ihr von den Uebrigen entfernte. Als sie einen kleinen Vorsprung gewonnen hatten, sagte sie leise zu ihm:
– Wir sind verloren, wenn wir nicht im Augenblicke die Flucht ergreifen; diese Menschen sind Räuber, Mörder. Ich habe den Beweis davon. Laß uns die Schritte verdoppeln und querfeldein laufen; sie haben guten Grund, uns so zu betrügen, wie sie thun.
Joseph glaubte, daß ein böser Traum seine Gefährtin verwirrt habe. Er verstand kaum, was sie wollte. Er fühlte in seinen Gliedern heut eine ungewohnte Schwere, und ein damit verbundenes Magenweh hatte in ihm schon den Verdacht erweckt, daß der Wirth von gestern Abend seinen Gästen verfälschten, mit schädlichen berauschenden Substanzen vermischten Wein vorgesetzt hätte. Er hatte in der That nicht so unmäßig getrunken, um sich von gutem Weine dermaßen ermattet und beschwert zu fühlen, als es der Fall war.
– Liebe Signora, entgegnete er, Sie haben Alpdrücken gehabt und mir ist bei dem was Sie da erzählen, als ob ich es selbst hätte. Gesetzt auch, diese braven Leute wären Banditen, wie Sie es sich in den Kopf setzen, was für einen reichen Fang könnten sie sich wohl an uns versprechen?
– Ich weiß es nicht, aber ich bin in Angst. Und hätten Sie, wie ich, einen ermordeten Menschen in dem Reisewagen liegen sehen, worin wir fahren ...
Joseph konnte sich nicht enthalten aufzulachen, denn diese Behauptung Consuelo's schmeckte doch zu sehr nach einem Traumgesichte.
– Aber sehen Sie denn wenigstens nicht, daß wir auf falschem Wege sind! fing sie mit Eifer wieder an; daß sie uns nach Norden führen, während Passau und die Donau in unserm Rücken bleiben? Sehen Sie doch nur die Sonne, und sehen Sie die öde Gegend an, in der wir reisen, anstatt uns einer großen Stadt zu nähern.
Die Richtigkeit dieser Bemerkungen leuchtete Joseph sogleich ein und fing an die fast schläfrige Sicherheit, in welcher er sich befand, zu zerstreuen.
– Wohlan! sagte er, kommen Sie vorwärts. Und wenn sie Miene machen, uns mit Gewalt zurückzuhalten, so werden wir gleich sehen, wie wir mit ihnen daran sind.
– Und wenn wir ihnen nicht gleich entwischen können, dann Joseph, kaltes Blut! verstehen Sie? Wir müssen ein feines Spiel machen und einen günstigeren Augenblick erwarten.
Sie zog ihn hierauf beim Arme, indem sie zum Scheine noch stärker hinkte, als es der Schmerz ihrer Füße nöthig machte, aber stets dabei immer mehr Vorsprung zu gewinnen suchte. Sie hatten kaum zehn Schritte in dieser Weise gethan, als Herr Meyer sie zurückrief, erst mit freundschaftlichem Tone, dann nachdrücklicher, und da sie nicht darauf achteten, so stimmten seine Begleiter mit derben Flüchen ein. Joseph drehte den Kopf um und sah mit Schrecken, daß der Wagenführer, welcher hinter ihnen herlief, eine Pistole auf sie angeschlagen hatte. Sie werden uns tödten, sagte er zu Consuelo, seinen Schritt mäßigend.
– Sind wir außer Schußweite? fragte sie kaltblütig, indem sie ihn immer nach sich zog und zu laufen anfing.
– Ich weiß nicht, sagte Joseph, der sie zurückzuhalten suchte; glauben Sie mir, es ist nicht der rechte Augenblick. Sie schießen auf uns.
– Steht, oder ihr seid des Todes! schrie der Wagenführer, welcher schneller lief als sie und mit vors gestrecktem Arm das Pistol auf sie hielt.
– Nun gilt es sich unbefangen zu stellen, sagte Consuelo und blieb stehen; Joseph, machen Sie es ganz wie ich. Nun wahrhaftig! rief sie laut, sich umwendend und mit der täuschenden Manier einer gewandten Schauspielerin lachend, wenn mir meine Füße nicht zu weh thäten, um noch weiter zu laufen, so solltet Ihr schon sehen, daß der Spaß nichts hilft.
Und da sie Joseph anblickte und ihn todtenbleich sah, lachte sie noch stärker und wies den übrigen Reisenden, die herangekommen waren, sein verstörtes Gesicht.
– Er hat es geglaubt! rief sie mit täuschend nachgeahmter Lustigkeit. Er hat es geglaubt, der arme Bub'! O Beppo, für solch' einen Hasen hätt' ich dich nicht gehalten. Nun, sehet einmal diesen närrischen Beppo, Herr Professor! bildet sich in ganzem Ernste ein, daß ihn der Herr todtschießen wollte.
Consuelo sprach geflissentlich venetianisch, während sie den Mann mit der Pistole, der ihre Worte nicht verstand, durch ihre Lustigkeit im Schach hielt. Herr Meyer stellte sich nun auch, als ob er lachte. Dann wendete er sich zu dem Wagenführer.
– Aber was für ein schlechter Spaß! sagte er, mit dem Auge winkend. Was soll es, den armen Kindern einen Schreck einzujagen!
– Pah, ich wollt' einmal sehen, ob sie Herz hätten, sagte der andere, seine Pistole wieder in den Gurt steckend.
– Haha! sagte Consuelo spottend, nun wird der Herr eine schöne Meinung von dir haben, Freund Joseph! Ich wenigstens hab' mich nicht gefürchtet, das müsset Ihr sagen, Herr Pistola!
– Ihr seid ein beherzter Bursch, antwortete Herr Meyer, Ihr würdet einen braven Tambour abgeben, Ihr würdet mitten im Kugelregen den Marsch vor dem Regimente schlagen, ohne mit dem Auge zu zwinken.
– Das weiß ich nun nicht, entgegnete Consuelo; vielleicht hätte ich mich gefürchtet, wenn ich geglaubt hätte, daß der Herr wirklich auf mich schießen würde. Aber wir Venetianer wissen recht gut, was Spaß ist, und man führt uns nicht so leicht hinter's Licht.
– Gleichviel, es war ein thörichter Spaß, sagte Herr Meyer.
Er redete darauf mit dem Wagenführer, indem er so that, als ob er mit ihm schmollte, aber Consuelo ließ sich nicht irre führen; sie merkte an dem Tone des Gesprächs, daß es eine Verständigung war, welche darauf hinauslief, daß man sich über ihre Absicht, zu entfliehen, getäuscht haben müßte.
Als wieder Alle im Wagen saßen, sagte Consuelo lachend zu Herrn Meyer:
– Ihr müsset doch sagen, daß der Herr mit den Pistolen ein närrischer Kauz ist; ich will ihn von nun an Signor Pistola nennen. Aber bei alle dem, Herr Professor, müsset Ihr auch sagen, daß es nicht eben etwas Neues war, dieser Spaß.
– Es war ein deutscher Spaß, sagte Herr Meyer; nicht wahr, in Venedig sind die Leute gescheuter?
– O, wisset Ihr, was ein Italiener an Euerer Stelle gethan hätte, um uns einen rechten Possen zu spielen? Er hätte den Wagen in den ersten besten Busch hineingefahren, und alle hätten sich verstecken müssen. Wenn wir dann umgekehrt wären, hätten nichts mehr gefunden und hätten glauben müssen, daß der Teufel alles geholt hätte, wer wäre dann angeführt gewesen? Ach, ich besonders, der ich nicht mehr vom Flecke kann. Und Joseph auch, der so ein Hans Hasenfuß ist und sich in dieser großen Einöde verlassen geglaubt hättet!
Herr Meyer belachte diese kindischen Einfälle, und übersetzte sie dem Signor Pistola ins Deutsche, der sich nicht weniger an der Einfalt des »Gondoliers« ergötzte.
– Ja, ja, Ihr seid pfiffig! sagte Meyer. Es wird Niemanden mehr einfallen, sich mit Euch zu necken.
Consuelo, welche nun den argen Schalk unter Meyers ehrbarer und väterlicher Maske durchscheinen sah, fuhr fort, ihrerseits den Pinsel der sich für einen großen Schlaukopf hält zu spielen, wie er aus jedem Melodrama als Nebenfigur bekannt ist.
Ihr Abentheuer war freilich sehr ernsthafter Natur und während Consuelo ihre Rolle mit aller Gewandtheit durchführte, fühlte sie Fieberglut in ihren Adern; aber zum Glücke ist man im Fieber aufgelegt zum Handeln, während Erstarrung dazu unfähig macht.
Sie zeigte sich also jetzt so ausgelassen, als sie zuvor schweigsam gewesen war, und Joseph, der seine Kräfte inzwischen wieder gesammelt hatte, stand ihr wacker bei. Sie thaten als ob sie nicht daran zweifelten, auf dem Wege nach Passau zu sein, und da Herr Meyer wieder auf seinen Vorschlag, ihn nach Dresden zu begleiten, zurückkam, stellten sie sich, als ob sie darauf einzugehen anfingen.
Sie gewannen dadurch sein ganzes Zutrauen und setzten ihn in Stand, auf irgend ein Mittel zu denken, um mit guter Manier einzugestehen, daß er sie schon ohne ihre Einwilligung auf den Weg dahin gebracht hätte. Das Mittel war bald gefunden. Herr Meyer war kein Neuling in derartigen Entführungen. Es fand ein sehr lebhaftes Gespräch in der fremden Sprache zwischen den Dreien, nämlich Herrn Meyer, dem Signor Pistola und dem Stummen statt.
Plötzlich singen sie an Deutsch zu sprechen, und als ob sie nur die begonnene Unterhaltung fortsetzten, sagte Herr Meyer:
– Ich zweifle nicht daran, daß wir fehlgefahren sind; der beste Beweis ist, daß sich der andere Wagen nicht blicken läßt. Es sind nun fast zwei Stunden, daß er hinter uns zurückgeblieben ist, und ich mag mir die Augen aussehn, ich entdecke nichts von ihm.
– Ich auch nicht, sagte der Wagenführer, sich aufrichtend und über das Verdeck hinausschauend.
Consuelo hatte schon bei dem ersten Anberge das Verschwinden des andern Wagens, der mit ihnen von Bibereck abgefahren war, recht gut bemerkt.
– Ich hab' mir's halt schon lang gedacht, daß wir verirrt wären, bemerkte Joseph, aber ich hab' nichts sagen wollen.
– Zum Teufel! Warum sagten Sie es nicht? rief der Stumme, der sich sehr verdrießlich über diese Entdeckung stellte.
– Weil es mir Spaß gemacht hat! sagte Joseph, den Consuelo's unschuldiger Machiavelismus befeuerte. Es ist spaßig sich in der Kutsche zu verirren! Ich hab' immer geglaubt, daß Einem das nur zu Fuß geschehen könnt'.
– Es macht mir auch Spaß, sagte Consuelo. Ich wollte jetzt, wir wären auf dem Wege nach Dresden.
– Wenn ich wüßte, wo wir sind, entgegnete Herr Meyer, so würde ich mich mit euch freuen, Kinder! denn ich will's nur gestehen, es war mir gar nicht erwünscht, meinen Herrn Freunden zu Gefallen nach Passau zu reisen, und es wäre mir ganz recht, wenn wir so weit vom Wege abgekommen wären, daß wir einen Vorwand hätten, um unsere Gefälligkeit gegen sie nicht weiter zu treiben.
– Meiner Treu, Herr Professor, sagte Joseph, das werden 's halt schon machen, wie es Ihnen gefallt. Wenn wir Sie nicht incomodiren und Sie wollen uns noch mitnehmen nach Dresden, so gehen wir schon halt mit hinab. Was meinst', Bertoni?
– Ich mein' auch, antwortete Consuelo! Man muß mit dem Wind segeln.
– Ihr seid brave Jungen! sagte Meyer, indem er seine Freude unter einer nachdenklichen Miene zu verbergen suchte. Aber wissen möcht' ich doch, wo wir sind.
– Seien wir, wo wir wollen, hob der Wagenführer an, wir müssen halten. Das Pferd kann nicht mehr aus der Stelle. Es hat seit gestern Abend nichts zu fressen gehabt und ist die ganze Nacht gelaufen. Und wir werden es alle, denk' ich, nicht bitter finden, ein Paar Bissen und einen Schluck zu uns zu nehmen. Hier ist gerade ein Stückchen Wald und wir haben ja Proviant mitgenommen. Halt!
Das Pferd wurde ausgespannt. Joseph und Consuelo boten eifrig ihre Dienste an, die auch ohne Mißtrauen angenommen wurden. Die Chaise wurde auf ihre Gabel niedergelassen, und weil die Erschütterung vermuthlich die Lage des unsichtbaren Gefangenen schmerzhafter machte, hörte ihn Consuelo wieder stöhnen; auch Meyer hörte es und blickte Consuelo scharf an, um zu sehen, ob sie es bemerkt hätte. Aber ungeachtet des Mitleids, das ihr Herz zerriß, wußte sie sich taub und stumpf zu stellen. Meyer ging um den Wagen herum und Consuelo sah ihn, nachdem sie sich entfernt hatte, eine kleine Hinterthür außen am Kasten öffnen, hineinblicken, wieder schließen und den Schlüssel in die Tasche stecken.
– Hat die Waare Schaden gelitten? rief der Stumme Herrn Meyer zu.
– Alles in Ordnung, antwortete dieser mit fühlloser Gleichgültigkeit und ließ Anstalt zum Frühstück machen.
– Jetzt, sagte Consuelo in Hast zu Joseph, folge mir und thu' was ich thue. Sie half die Vorräthe auf dem Grase ausbreiten und die Flaschen öffnen. Joseph that desgleichen und stellte sich sehr lustig; Herr Meyer ließ sich mit Vergnügen von diesen freiwilligen Kellnern bedienen. Er liebte seine Bequemlichkeit und machte sich sammt seinen Begleitern über Speise und Getränke her, noch gieriger und mit noch roherer Manier als am vorigen Abend. Jeden Augenblick hielt er seinen neuen Pagen das geleerte Glas hin; jeden Augenblick sprangen diese auf, setzten sich wieder, standen abermals auf und liefen bald hierhin, bald dorthin, auf Gelegenheit spähend ein für allemal zu entlaufen und nur noch wartend, bis der Wein und die Verdauung die scharfen Sinne ihrer gefährlichen Wächter ein wenig abgestumpft haben würden.
Endlich streckte sich Herr Meyer auf dem Grase aus und brachte, den Rock aufknöpfend, seine breite mit Pistolen geschmückte Brust zu Tage; der Wagenführer sah nach dem Pferde und der Stumme suchte an dem Ufer des schlammigen Wassers, bei welchem sie sich gelagert hatten, nach einer Stelle wo man das Pferd könnte trinken lassen.
Dies war das Rettungssignal. Consuelo that, als ob sie ihm suchen hülfe. Joseph schloß sich ihr an und beide schlüpften in das Gebüsch. Sobald sie sich unter dem Schutze des Laubwerks sahen, fingen sie an wie ein Paar aufgeschreckte Hasen durch das Holz zu laufen. Sie brauchten sich in diesem Dickicht nicht vor Kugeln zu fürchten, und als sie sich rufen hörten, glaubten sie schon Vorsprung genug zu haben, um ohne Gefahr weiter zu kommen. Es ist aber doch besser, noch zu antworten, sagte Consuelo indem sie stehen blieb; das wird den Verdacht abwenden und uns Zeit verschaffen, noch ein Stück mehr zu gewinnen.
– Hier, hier! Wassers rief Joseph.
– Eine Quelle, eine Quelle! rief Consuelo.
Augenblicklich bogen sie unter rechtem Winkel ab, um den Feind irre zu führen und eilten in der neuen Richtung weiter. Consuelo vergaß ihrer kranken, geschwollenen Füße und Joseph war des Schlaftrunks, den ihm Herr Meyer am vorigen Abend beigebracht hatte, Herr geworden. Die Angst gab ihnen Flügel.
Sie liefen seit etwa zehn Minuten in ihrer jetzigen Richtung fort, und nahmen sich nicht Zeit nach den Stimmen zu horchen, welche sie von zwei verschiedenen Seiten riefen, als sie den Saum des Waldes erreichten und vor sich einen mit üppigem Rasen bedeckten Abhang, der sich nach einer Landstraße hinuntersenkte und eine mit dichten Baumgruppen bestandene Heidestrecke sahen.
– Nicht aus dem Holz! rief Joseph. Sie kommen hierher und können uns dann von hier oben sehen, wohin wir auch laufen.
Consuelo zauderte einen Augenblick, überschaute in Hast das Terrain und sagte:
– Das Gehölz ist zu klein, um uns lange zu verbergen. Vor uns ist eine Landstraße und Hoffnung Jemanden zu begegnen.
– Ach! rief Joseph, es ist die Straße, auf der wir eben gefahren sind. Schauen Sie! sie krümmt sich um den Berg und steigt rechter Hand nach dem Ort hinauf, von dem wir ausgelaufen sind. Lassen Sie einen von den dreien zu Pferde steigen, so holt er uns ein, ehe wir unten die Straße erreichen können.
– Es kommt darauf an, erwiederte Consuelo. Berg ab läuft es sich schnell. Ich sehe dort auf der Straße etwas Dunkles, etwas das sich heraufbewegt. Vielleicht erreichen wir's, ehe wir selbst eingeholt werden. Kommen Sie!
Es war keine Zeit zu langen Ueberlegungen. Joseph vertraute sich Consuelo's glücklichen Eingebungen an; in einem Augenblick waren sie den Hügel hinunter, und hatten die ersten Baumgruppen erreicht, als sie die Stimmen ihrer Feinde hinter sich am Saume des Waldes hörten. Dieses Mal hüteten sie sich zu antworten, und liefen noch unter dem Schutze der Bäume und Büsche vorwärts, bis sie an einen Waldstrom kamen, den ihnen die Bäume bis jetzt verborgen hatten. Ein langes Brett diente als Brücke. Sie liefen hinüber und warfen hinter sich das Brett ins Wasser.
Am andern Ufer liefen sie weiter bergab, noch immer von dichtem Gebüsch beschützt. Da sie nicht mehr rufen hörten, so glaubten sie, man habe entweder ihre Spur verloren oder man täusche sich nicht länger über ihre Absicht und wolle sie überrumpeln. Bald wurde das Buschwerk lichter und sie wagten sich wieder nicht weiter, aus Furcht gesehen zu werden.
Joseph steckte den Kopf vorsichtig durch die letzten Büsche und gewahrte einen der Räuber auf der Lauer am Ausgange des Waldes, einen zweiten (wie es schien, den Signor Pistola, dessen Ueberlegenheit im Laufen sie schon erprobt hatten) unten am Fuße des Hügels, nicht weit von dem jenseitigen Ufer des Waldstroms.
Während Joseph die Stellung des Feindes beobachtete, hatte sich Consuelo nach der Seite der Landstraße gewendet. Plötzlich kam sie zu Joseph zurück.
– Ein Wagen! rief sie ihm zu. Wir sind gerettet. Wir müssen ihn erreichen, ehe der welcher uns verfolgt über das Wasser kommt.
Sie liefen daher in gerader Linie auf die Straße zu, ohne sich durch die Offenheit der zwischenliegenden Strecke abschrecken zu lassen; der Wagen kam ihnen im Galopp entgegen.
– Mein Gott! rief Joseph, wenn es der andere Wagen wäre! der mit ihren Spießgesellen.
– Nein! antwortete Consuelo, es ist eine Berline mit sechs Pferden, zwei Postillions und zwei Reitern. Wir sind gerettet, sage ich dir. Noch einen Augenblick Muth!
Es war höchste Zeit, daß sie die Landstraße erreichten; der Pistola hatte ihre Fußspur auf dem Sande am Ufer entdeckt. Er war stark und schnell wie ein Eber. Im Nu entdeckte er wo die Spur verschwand und sah die Pfosten, auf denen das Brett geruht hatte. Er errieth die List, schwamm durch das Wasser, fand die Spur am andern Ufer wieder und gelangte, diese verfolgend, bis an den Ausgang des Gebüsches. Er sah die beiden Flüchtlinge über die Heide laufen ... aber er sah auch den Wagen. Er verstand ihre Absicht, und da er die Aufführung derselben nicht mehr verhindern konnte, zog er sich in den Busch zurück und hielt sich dort auf der Lauer.
Auf das Geschrei der beiden jungen Leute, welche für Bettler gehalten wurden, hielt die Berline nicht sogleich an. Die Reisenden warfen ihnen einige kleine Münzen hinaus, und die berittenen Diener, welche sie, anstatt das Geld aufzuheben, immerfort mit Geschrei neben dem Kutschenschlag herlaufen sahen, sprengten auf sie ein, um ihre Herren von dieser Zudringlichkeit zu befreien. Consuelo athemlos und entkräftet, wie es fast immer im Augenblicke des Gelingens der Fall ist, konnte keinen Laut hervorbringen und folgte nur, die Hände mit flehenden Geberden faltend den Reitern, während Joseph, der sich an den Kutschenschlag geklammert hatte, mit Gefahr seinen Anhalt zu verlieren und von den Rädern zermalmt zu werden, mit keuchender Stimme schrie:
– Hülfe! Hülfe! wir sind verfolgt. Diebe! Mörder!
Einer der beiden Reisenden, welche in der Berline saßen, hörte endlich diese abgerissenen Worte und winkte einem der Reiter, welcher die Postillione halten ließ. Consuelo ließ nun den Zügel des andern Reiters fahren, an welchen sie sich gehängt hatte, ungeachtet das Pferd sich bäumte und der Reiter ihr mit der Peitsche drohte. Sie kam zu Joseph an den Schlag. Ihr von dem Laufen glühendes Gesicht fiel den Reisenden auf. Sie ließen sich in Gespräch ein:
– Was soll das heißen? fragte einer derselben. Ist das eine neue Art zu betteln? Man hat euch gegeben. Was wollt ihr noch? Könnt ihr nicht antworten?
Consuelo war halb todt. Joseph, außer Athem wie er war, konnte nichts hervorbringen als die Worte:
– Retten Sie, retten Sie uns!
Er wies dabei mit den Händen nach dem Gehölz und dem Hügel.
– Sie sehen aus wie gehetzte Füchse, sagte der andere Reisende. Wir wollen warten, bis sie wieder zu Athem kommen.
Und mit einer Kaltblütigkeit, welche gegen die Aufgeregtheit der armen Flüchtlinge sonderbar abstach, sahen diese prächtig gekleideten Herren sie mit lächelnden Mienen an.
Endlich glückte es Joseph, abermals die Worte: Räuber! Mörder! hervorzustoßen. Sogleich ließen sich die beiden vornehmen Reisenden den Schlag öffnen und traten auf den Kutschentritt. Sie schauten nach allen Seiten aus und waren erstaunt, nichts zu erblicken was einen solchen Allarm rechtfertigen konnte. Die Spitzbuben hielten sich versteckt, und alles umher war todtenstill.
Endlich erholte sich Consuelo so weit, daß sie das Folgende sagen konnte, aber mit Pausen nach jedem Satze, um Athem zu schöpfen:
– Wir sind zwei arme umherziehende Musikanten. Männer, die wir nicht kennen, haben uns entführt, haben uns unter dem Vorgehen, uns einen Dienst zu leisten, in ihren Wagen genommen und wir sind die ganze Nacht gefahren. Als es Tag wurde, haben wir gemerkt, daß sie uns betrogen, daß sie uns nach Norden führten, anstatt uns auf den Weg nach Wien zu bringen. Wir wollten entfliehen; sie verfolgten uns mit der Pistole in der Hand. Zuletzt machten sie Halt dort im Gehölz, wir entwischten ihnen und rannten dem Wagen entgegen. Wenn Sie uns hier verlassen, sind wir des Todes, sie sind zwei Schritt vom Wege versteckt, der, eine in den Büschen, der andre oben im Wald.
– Wie viel sind ihrer? fragte einer der Reiter.
– Mein Freund, sagte einer der Reisenden, der welcher Consuelo angeredet hatte, weil er ihr der nächste auf dem Kutschentritte war, zu ihm auf Französisch, merkt Euch, daß Ihr danach nicht zu fragen habt. Wie viele ihrer sind? Eine schöne Frage. Euere Pflicht ist, Euch zu schlagen wenn ich es Euch heiße, und ich habe Euch nicht aufgetragen, die Feinde zu zählen.
– Wahrhaftig, wollt Ihr zum fahrenden Ritter werden und auf Abentheuer ausgehen? sagte ebenfalls auf Französisch der andere Herr; bedenket, Baron, daß das Zeit kostet.
– Es wird nicht lange dauern, und wird uns wenigstens ein Bißchen erwärmen. Wollt Ihr von der Partie sein, Graf?
– Immerhin, wenn es Euch Vergnügen macht.
Und mit majestätischer Lässigkeit nahm der Graf seinen Degen in die eine und zwei Pistolen, deren Schafte mit Edelsteinen verziert waren, in die andere Hand.
– O, Sie thun wohl, meine Herrn! rief Consuelo, die in der Aufwallung ihres Herzens einen Augenblick ihre demüthige Rolle vergaß und mit beiden Händen den Arm des Grafen drückte.
Der Graf, erstaunt über eine solche Vertraulichkeit von Seiten eines kleinen Buben dieses Gelichters, sah auf seinen Aermel mit einer Miene, welche spöttisch seinen Ekel ausdrückte, schüttelte ihn und erhob dann mit verächtlicher Langsamkeit seine Augen wieder auf Consuelo, die sich nicht enthalten konnte zu lächeln, indem sie augenblicklich an die Beeifrung dachte, mit welcher sonst Graf Zustiniani und so viele andere Illustrissimi von Venedig sich die Gunst ausgebeten hatten, diese Hände küssen zu dürfen, deren Zudringlichkeit jetzt eben so ekel abgewiesen wurde.
Sei es daß ein Strahl von stillem sanftem Stolz über ihr Antlitz fuhr, welcher den Anschein ihrer Niedrigkeit Lügen zieh, sei es, daß die Leichtigkeit, mit welcher sie sich in der Sprache der Gebildeten auszudrücken wußte, die Vermuthung erregte, ob sie nicht etwa gar ein verkleideter junger Mann von Stande wäre, oder sei es endlich daß der Zauber ihres Geschlechtes sich unwillkürlich fühlbar machte, genug, der Graf veränderte plötzlich seine Miene und warf ihr statt eines verächtlichen ein freundliches Lächeln zu.
Der Graf war noch jung und ein schöner Mann; man hätte von seinen persönlichen Vorzügen geblendet sein können, wenn ihn der Baron nicht noch an Jugend, Regelmäßigkeit der Züge und Ueppigkeit des Wuchses übertroffen hätte. Es waren die beiden schönsten Männer ihrer Zeit, wie man von ihnen wirklich sagte und wahrscheinlich noch von vielen anderen.
Consuelo sah, daß auch der junge Baron auf sie seine ausdrucksvollen Augen heftete, in denen sich Ungewißheit, Verwunderung, Theilnahme malte; sogleich suchte sie seine Aufmerksamkeit von ihrer Person abzulenken, indem sie sagte:
– Gehen Sie, meine Herren! oder vielmehr kommen Sie! wir werden Ihre Führer sein. Diese Banditen halten einen Unglücklichen in einem Kasten des Wagens verborgen, eingeschlossen wie in einem Käficht. Er liegt da an Händen und Füßen gefesselt, blutig, verröchelnd, mit einem Knebel im Munde. Eilen Sie, befreien Sie ihn; so geziemt es edeln Herzen, wie die Ihrigen sind.
– So wahr Gott lebt, ein allerliebstes Kind! rief der Baron. Ich sehe, lieber Graf, wir haben unsere Zeit nicht verloren, indem wir ihm Gehör schenkten. Vielleicht ist es ein guter Edelmann, den wir diesen Spitzbuben aus den Krallen reißen.
– Dort, sagt ihr, halten sie sich versteckt? fragte der Graf, auf das Gehölz deutend.
– Ja, versetzte Joseph; aber sie sind zerstreut, und wenn Ew. Gnaden meinem unterthänigen Rath folgen wollen, so theilen Sie den Angriff. Sie fahren in Ihrem Wagen so geschwind als möglich den Weg da hinauf, so werden Sie, wenn Sie um den Hügel wenden, oben auf der Höhe, wo der Wald dort anfängt und gleich wenn Sie hineinkommen, den Wagen sehen, worin sich der Gefangene befindet; ich werde unterdessen die Herren Berittenen von der andern Seite quer durch die Büsche führen. Es sind der Räuber nur dreie; sie sind gut bewaffnet, aber wenn sie sich von zwei Seiten angegriffen sehen, so werden sie keinen Widerstand leisten.
– Der Rath ist gut, sagte der Baron. Graf, bleibet im Wagen und behaltet Euren Bedienten bei euch. Ich werde sein Pferd nehmen. Eines von diesen Kindern wird Euch zum Führer dienen, damit Ihr erfahret, wo Ihr halten müßt. Diesen da und meinen Jäger nehme ich mit. Wir wollen uns sputen, denn wenn unsere Spitzbuben Witterung haben, wie wahrscheinlich, so werden sie uns den Vorsprung abgewinnen.
– Der Wagen kann Ihnen nicht entgehen, bemerkte Consuelo, das Pferd ist zum Umfallen.
Der Baron schwang sich auf das Pferd des Bedienten und der Bediente des Grafen stieg hinten auf den Wagen.
– Steige Er ein! sagte der Graf zu Consuelo, indem er sie zuerst in den Wagen steigen ließ, ohne sich selbst über diesen Höflichkeitsbeweis Rechenschaft zu geben.
Indessen setzte er sich doch in den Fond, und sie blieb auf dem Rücksitze. Ueber den Schlag hinausgebeugt, während die Postillione die Pferde in Galopp setzten, verfolgte er seinen Gefährten mit den Augen. Dieser ritt durch das Wasser; sein Jäger, der Joseph hinten aufgenommen hatte, folgte ihm. Consuelo war nicht ohne Sorge um ihren armen Kameraden, der dem ersten Feuer ausgesetzt war; aber mit Achtung und Beifall hatte sie ihn zu diesem gefährlichen Posten sich erbieten sehen.
Sie sah ihn jetzt den Hügel hinansteigen, den beiden Reitern voran, welche ihre Thiere spornten, dann im Gehölz verschwinden. Zwei Schüsse wurden gehört, gleich darauf ein dritter ...
Die Berline lenkte um den Hügel. Consuelo, die nicht wußte was geschehen war, erhob ihre Seele zu Gott, und der Graf, den eine gleiche Unruhe um seinen Freund ergriff, rief den Postillionen fluchend zu:
– Mehr Galopp, verdammte Canaillen! Carrière! zum Wetter! ...
Der Signor Pistola, dem wir keinen anderen Namen geben können als diesen mit dem ihn Consuelo beschenkt hatte, denn wir haben ihn nicht interessant genug von Person gefunden, um in dieser Hinsicht genauere Nachforschungen anzustellen, hatte von der Stelle aus, wo er versteckt war, die Berline auf das Geschrei der Flüchtlinge halten sehen. Der andere Anonymus, den wir, ebenfalls mit Consuelo, den Stummen nennen, hatte oben von dem Hügel dieselbe Bemerkung gemacht. Er war sogleich zu Herrn Meyer gelaufen und beide dachten auf Mittel sich zu retten.
Während die Reiter das Wasser passirten, hatte Pistola einen kleinen Vorsprung gewonnen und sich tiefer im Holze eingenistet. Er ließ sie vorüber und schoß von hinten seine beiden Pistolen auf sie ab; der eine Schuß ging durch den Hut des Barons, der andere streifte das Pferd des Jägers. Der Baron machte eine halbe Wendung, sah ihn, sprengte auf ihn ein und streckte ihn durch einen Pistolenschuß nieder. Er ließ ihn dann sich fluchend in den Dornen wälzen, und folgte Joseph, der fast gleichzeitig mit dem Grafen bei Meyer's Wagen anlangte.
Der Graf war schon ausgestiegen. Meyer war mit dem Stummen und dem Pferde verschwunden; den Wagen zu verstecken hatten sie sich nicht Zeit genommen. Die Sieger ließen es ihre erste Sorge sein, den Kasten aufzubrechen, in welchem der Gefangene eingeschlossen war. Consuelo half mit Entzücken die Stricke und den Mundknebel des Unglücklichen zerschneiden, der sich nicht sobald befreit sah, als er sich vor seinen Rettern auf die Erde warf und Gott dankte.
Kaum aber hatte er den Baron angeblickt, so glaubte er sich aus der Charybdis in die Scylla gefallen.
– O, mein Herr Baron von Trenck! rief er, ruiniren Sie mich nicht, liefern Sie mich nicht aus. Gnade, Gnade einem armen Deserteur, einem unglücklichen Familienvater. Ich bin nicht mehr Preuße, Herr Baron! ich bin österreichischer Unterthan und ich bitte Sie fußfällig, lassen Sie mich nicht arretiren. O, pardoniren Sie mich.
– Begnadigen Sie ihn, Herr Baron von Trenck! rief Consuelo, ohne zu wissen, mit wem sie redete und um was es sich handelte.
– Gut, sagte der Baron, ich will dich laufen lassen, aber unter der Bedingung, daß du dich mit heiligem Eid verpflichtest, niemals zu sagen wem du Leben und Freiheit verdankst.
Bei diesen Worten zog der Baron sein Taschentuch heraus und bedeckte sich sorgfältig damit das Gesicht, so daß nur Ein Auge frei blieb.
– Seid Ihr verwundet? fragte der Graf.
– Nein! entgegnete er, seinen Hut ins Gesicht drückend, aber wenn wir diesen vermeintlichen Räubern noch begegnen sollten, so ist mir nicht damit gedient, erkannt zu werden. Ich bin schon nicht gar zu gut angeschrieben bei meinem allergnädigsten Könige und Herrn. Es fehlte mir nur gerade das noch!
– Ich verstehe, sagte der Graf! aber seid ohne Furcht! ich nehme alles auf mich.
– Das kann diesen Deserteur wohl vor den Spießruthen und dem Galgen retten, aber nicht mich vor einer Ungnade. Immerhin! Man kann nicht in die Zukunft sehen, jedenfalls muß man seinem Nebenmenschen beispringen. Probir' einmal, Kerl, kannst auf den Beinen stehen? Nicht recht, wie ich sehe! Bist du blessirt?
– Ich hab' freilich viel Prügel gekriegt, aber ich fühl' sie nicht mehr.
– Nun dann, hast du Kraft genug, um auszukratzen?
– O ja, Herr Adjutant.
– Nenn' mich nicht so, Sappermenter! halt's Maul! Mach' daß du fortkommst. Und wir, werther Graf, thun wir desgleichen! Ich will Gott danken, wenn ich aus diesem Holze heraus bin. Ich hab' einem von den Werbern das Licht ausgeblasen. Wenn es der König erführ', hätt' ich mir eine gute Suppe eingebrockt. Im Grunde kann mir's auch einerlei sein, setzte er achselzuckend hinzu.
– Ach! sagte Consuelo, während Joseph seine Feldflasche dem Deserteur hinhielt, wenn man ihn hier hülflos zurückläßt, wird er bald wieder eingefangen sein. Die Füße sind ihm von den Stricken angeschwollen, und er kann kaum die Hände gebrauchen. Sehen Sie nur, wie blaß und hinfällig der arme Mensch ist.
– Er soll nicht hülflos gelassen werden, sagte der Graf, seine Augen auf Consuelo heftend. Franz, sagte er zu seinem Bedienten, steig' Er vom Pferde! Dann wendete er sich zu dem Deserteur und sagte: Sitz auf, ich schenke dir das Thier. Da, und das auch, fügte er hinzu, ihm seine Börse zuwerfend. Hast du soviel Kräfte, um das Oesterreichische zu erreichen?
– Zu Befehl, Ew. Gnaden.
– Willst du nach Wien gehn?
– Zu Befehl, Ew. Gnaden.
– Willst du wieder Dienste nehmen?
– Zu Befehl, Ew. Gnaden, nur nicht in Preußen.
– Gehe zu Ihrer Majestät, der Kaiserin: sie giebt einen Tag in der Woche offene Audienz für alle Welt. Sage ihr (merk' dir das), der Graf Hoditz mache ihr einen schönen Grenadier, ganz preußisch abgerichtet, zum Geschenke.
– Ich werd's thun, Ew. Gnaden.
– Und untersteh dich nicht, des Herrn Barons gegen irgend einen Menschen zu erwähnen, sonst laß ich dich aufgreifen und schicke dich wieder nach Preußen.
– Ich will lieber gleich den Tod auf der Stelle haben. Hätten mir die Kerle nur die Hände freigelassen, so hätte ich mir das Leben genommen, als sie mich wieder fingen.
– Pack' dich fort!
– Zu Befehl, Ew. Gnaden.
Er trank den Rest aus Josephs Flasche, gab sie ihm zurück, umarmte ihn, ohne zu wissen, daß er ihm noch einen viel wichtigern Dienst verdanken sollte, warf sich vor dem Grafen und dem Baron auf die Knie, und da der letztere ein Zeichen der Ungeduld machte, welches ihm das Wort abschnitt, bekreuzigte er sich, küßte die Erde und stieg mit Hülfe der Bedienten, da er sich nur mühsam bewegen konnte, auf das Pferd. Kaum aber saß er im Sattel, als er wieder Muth und Kräfte fühlte: er setzte beide Hacken ein und flog mit verhängtem Zügel gegen Süden.
– Nun, das wird mir das Garaus machen, sagte der Baron zum Grafen, wenn es jemals heraus kommt, daß ich Euch habe gewähren lassen. Mag es doch, setzte er mit lautem Gelächter hinzu, es ist ein zu köstlicher Einfall, Marie-Theresien einen Friederichschen Grenadier zum Geschenk zu schicken. Dieser Kerl, der auf die Uhlanen Ihrer Kaiserlichen Majestät geschossen hat, wird ebensogut auf die Füseliere Sr. Königlichen Majestät schießen. Das heiß' ich mir treue Unterthanen, das heiß' ich mir auserlesene Mannschaft.
– Die Monarchen sind darum nicht schlechter bedient. Nun aber was fangen wir mit diesen Kindern an?
– Wir könnten wie der Grenadier sagen, antwortete Consuelo, wenn Sie uns hier hülflos lassen, so sind wir des Todes.
– Ich denke nicht, antwortete der Graf der in allem was er that und sagte eine Art Ritterlichkeit zur Schau trug, daß wir euch bisher Ursach gegeben haben, unsere humane Gesinnung in Zweifel zu ziehen. Wir werden euch mitnehmen und euch so weit von hier bringen, daß ihr nichts mehr zu fürchten haben sollt. Mein Bedienter, der ohne Pferd ist, soll sich auf den Bock setzen, sagte er zu dem Baron und fügte leiser hinzu: Ist es Euch nicht auch lieber, diese Kinder in den Wagen zu nehmen, als einen Bedienten, vor dem wir uns nur noch mehr geniren müßten?
– Ganz gewiß! antwortete der Baron. Künstler, mögen sie immerhin arm sein, sind überall an ihrem Platze. Wer weiß, ob dieser da, der eben seine Violin im Busch gefunden hat und sie voll Freude an sein Herz drückt, nicht ein junger Tartini ist? Holla, Troubadour! rief er Joseph, zu, der wirklich seinen Reisesack und sein Instrument vom Schlachtfelde geholt hatte, komm' mit und beim ersten Male daß wir Halt machen, sollst du uns diese glorreiche Affaire besingen, bei der wir auf Niemanden gestoßen sind, der ein Wort mit sich reden ließ.
– Macht Euch nur über mich lustig, sagte der Graf nachdem sie in dem Fond der Berline und die beiden jungen Leute ihnen gegenüber Platz genommen hatten (die Berline rollte schon rasch gegen Oesterreich zu), Ihr habt einen Von diesen Galgenvögeln erlegt.
– Ich fürchte sehr, daß ich ihm nicht den Rest gegeben habe, und daß ich ihn eines Tages an Friedrichs Kabinettsthür wiederfinde: ich wollte Euch daher von Herzen gern diese Heldenthat cediren.
– Ich, der ich nicht einmal den Feind zu Gesichte bekommen habe, bin dennoch neidisch auf die Heldenthat, glaubt mir nur. Das Abentheuer war pikant und ich hätte mir das Vergnügen gegönnt, diese Schurken nach Verdienst zu züchtigen. Nach Deserteurs und Rekruten bis in Baiern hinein zu streifen, das jetzt Marie-Theresiens getreuer Bundesgenosse ist: nein, es ist eine unerhörte Impertinenz.
– Es wäre gleich ein Grund, den Krieg zu erklären, wenn man nicht des Schlagens müde wäre und für den Augenblick einmal Frieden haben wollte. Ihr werdet mich also verpflichten, Herr Graf, wenn Ihr von dem Abentheuer keinen Lärm macht, nicht allein wegen der Verdrießlichkeiten, die es mir bei meinem Souverain zuziehen würde, sondern auch wegen der Mission, die ich bei euerer Kaiserin habe. Ich würde sie gewiß sehr wenig gestimmt finden, mir Gehör zu schenken, wenn ich mich auf frischer That nach einer solchen Impertinenz unsererseits an sie wendete.
– Verlaßt Euch auf mich, entgegnete der Graf. Ihr wißt, daß ich kein dienstbeflissener Unterthan bin, denn ich bin kein ehrgeiziger Höfling.
– Und welchen Ehrgeiz könntet Ihr, mein bester Graf, noch hegen? die Liebe, das Glück haben Euere Wünsche gekrönt; während ich ... ach, wie ungleich ist jetzt unser Schicksal, bei aller Aehnlichkeit die es auf den ersten Anblick zu haben scheint.
Bei diesen Worten zog der Baron ein mit Diamanten besetztes Portrait aus seiner Busentasche und fing an dasselbe zärtlich zu betrachten, wobei er so große Seufzer ausstieß, daß Consuelo nicht wenig Lust zu lachen hatte; sie fand eine Leidenschaft, die sich auf solche Art zur Schau trug, äußerst abgeschmackt und machte sich in ihrem Inneren über diese vornehme Marotte lustig.
– Theurer Baron, hob der Graf leise wieder an (Consuelo that als hörte sie nicht hin und leistete darin das Mögliche), ich bitte Euch inständigst, das Vertrauen, mit welchem Ihr mich beehrt habt, keinem Anderen zu schenken, und besonders dieses Portrait Niemanden außer mir sehen zu lassen. Steckt es wieder in sein Futteral, Baron, und denket, daß dieser Knabe so gut als wir beide französisch versteht.
– Apropos, rief der Baron, das Portrait wieder schließend, auf welches Consuelo sich wohl gehütet hatte, einen Blick zu werfen, was zum Teufel wollten unsere Werber mit diesen beiden Jungen anfangen? Sagt einmal, was für Anerbietungen machten sie euch, um euch zum Mitgehen zu bewegen?
– In der That, sagte der Graf, ich habe noch gar nicht einmal daran gedacht, und ich kann mir wirklich den Einfall nicht erklären, da sie sonst nur starke Männer in der Blüte der Jahre und von ungewöhnlicher Statur aufsuchen? Was konnten sie mit diesen Kindern vorhaben?
Joseph erzählte nun, daß der angebliche Herr Meyer sich für einen Musikus ausgegeben und ihnen unaufhörlich von Dresden und von einem Engagement bei der dortigen Kapelle gesprochen habe.
– Haha! nun hab' ich's, rief der Baron. Dieser Meyer, ich wette darauf, ich kenne ihn. Es muß ein gewisser N. sein, der ehemals Stabstrompeter war und jetzt herumreist, um für die preußische Regimentsmusik zu werben. Bei uns sind die Bauerburschen nicht so leicht dazu zu bringen, daß sie rein und taktmäßig spielen, und unser König, der ein feineres Ohr hat als sein hochseliger Herr Vater, läßt sich die Regimentspfeifer und Trompeter lieber aus Böhmen und Ungarn holen. Unser guter Spectakelprofessor hat zweifelsohne gedacht, seinem Herrn ein angenehmes Cadeau zu machen, wenn er ihm außer dem auf Euerem Grund und Boden aufgefischten Deserteur auch noch ein Paar talentvolle kleine Musikanten zuführte und die Lockspeise, ihnen Dresden und das Vergnügen des Hoflebens vor der Hand zu versprechen, war gar nicht übel ausgedacht. Aber von Dresden, meine Kinder, hättet ihr nichts zu sehen bekommen, und wäret bon gré mal gré in das Musikcorps irgend eines Infanterieregiments eingestellt worden, nur blos auf Lebenszeit.
– O, ich begreife nun vollkommen, welch ein Loos uns bevorstand, sagte Consuelo. Ich habe genug erzählen hören von den Abscheulichkeiten dieses Militairregiments, von der Treulosigkeit und Grausamkeit des Rekrutenmachens. Und an der Art, wie der arme Grenadier von diesen Schurken behandelt wurde, sehe ich, daß man mir nichts Uebertriebenes gesagt hat. Oh, der große Friederich! ...
– Sie müssen aber wissen, sagte der Baron mit ironisch feierlichem Tone, daß Se. Majestät von den Mitteln deren man sich bedient, keine Ahnung hat und nur die Resultate erfährt ...
– Die Allerhöchst dieselbe sich zu Nutze macht, ohne an das Uebrige zu denken, fiel Consuelo ein, von einem Unwillen erfüllt, den sie nicht zurückhalten konnte. O, ich weiß, Herr Baron, Könige sündigen niemals, und sind unschuldig an allem Bösen, das ihnen zu Gefallen gethan wird.
– Der Bub' hat Verstand! sagte der Graf lachend. Aber hübsch vorsichtig, mein charmanter kleiner Tambour, vergiß nicht, daß Du mit einem Oberoffizier des Regimentes redest, in welches Du vielleicht eingesteckt worden wärest.
– Ich weiß zu schweigen, Herr Graf,und deshalb zweifle ich auch nie an der Discretion Anderer.
– Ihr höret es, Baron! er verspricht Euch sein Stillschweigen, das Ihr ihm abzufordern nicht einmal Bedacht genommen habt. Bravo! 's ist ein kapitaler kleiner Mann.
– Und ich vertraue mich ihm von ganzem Herzen an. Graf, Ihr solltet ihn anwerben, Ihr, und solltet ihn Ihrer Hoheit als Pagen anbieten.
– Abgemacht, wenn er 's zufrieden ist, sagte der Graf lachend. Steht Dir dies Engagement an, mein Kind? Es ist wenigstens viel angenehmerer Natur als der preußische Dienst. Ja, mein Kind, da heißt es nicht, unter die Feldkessel blasen, Appell vor Tagesanbruch schlagen, Schläge kriegen, Kommisbrot fressen, sondern nur die Schleppe und den Fächer einer höchst liebenswürdigen und bewundernswürdig schönen Dame tragen, in einem Feenpallast wohnen, an Spielen und geselligen Freuden Theil nehmen und in Concerten mitwirken, die sich wohl allenfalls neben denen des großen Friederich sehen lassen dürfen. Hast Du Lust? Aber halt' mich nicht für einen Meyer.
– Wer ist denn diese liebenswürdige und herrliche Hoheit? fragte Consuelo lächelnd.
– Die verwitwete Markgräfin von Bayreuth, die Prinzessin von Culmbach, meine durchlauchtigste Gemahlin, antwortete der Graf Hoditz; sie hält gegenwärtig auf dem Schlosse Roswald in Möhren Hof.
Consuelo hatte hundertmal von dem Stiftsfräulein Wenceslawa von Rudolstadt die Genealogien, die Verbindungen und die Anekdoten-Chroniken aller fürstlichen Häuser und aller Familien des hohen und niederen Adels in Deutschland und den angrenzenden Ländern sich erzählen lassen; manche dieser Geschichten hatten ihre Theilnahme erregt, und unter anderen die des Grafen Hoditz-Roswald, eines sehr reichen Herrn in Mähren, der von seinem Vater, weil dieser über seine Aufführung entrüstet war, weggejagt und verstoßen wurde, lange Zeit an allen europäischen Höfen abentheuerte und endlich Oberstallmeister und Liebhaber der verwitweten Markgräfin von Bayreuth wurde, die er zuletzt heiratete, entführte und nach Wien brachte, von da aber nach Mähren, wo er sie, nach dem Tode seines Vaters, neuerlich an die Spitze einer glänzenden Erbschaft gestellt hatte.
Das Stiftsfräulein war häufig auf diese Geschichte zurückgekommen, welche sie sehr scandalös fand, weil die Markgräfin eine souveraine Fürstin war, und der Graf ein bloßer Edelmann, und welche sie daher gern zum Text für ihre Predigten gegen Mesallianzen und Heiraten aus Liebe wählte.
Consuelo, welche die Vorurtheile des Adelstandes gründlich kennen zu lernen suchte, hatte sich diese Mittheilungen zu Nutze gemacht und nichts davon vergessen. Als sich Graf Hoditz zum ersten Male in ihrer Gegenwart nannte, war ihr eine undeutliche Erinnerung aufgestiegen, jetzt aber waren ihr im Augenblicke alle Lebensumstände und die romantische Heirat dieses berühmten Abentheurers gegenwärtig. Von dem Baron Friedrich von Trenck, der damals noch im ersten Stadium seiner denkwürdigen Ungnade war und seine schreckliche Zukunft nicht ahnte, hatte sie noch nie etwas vernommen.
Sie hörte nun den Grafen mit einiger Prahlerei das Bild seines neuen Wohlstandes ausmalen. An den kleinen stolzen deutschen Höfen verspottet und verachtet, hatte Hoditz lange zu seiner größten Beschämung für einen armen Teufel gegolten, den seine Frau unterhielte. Jetzt Erbe unermeßlicher Güter, glaubte er sich zu rehabilitiren, indem er eine königliche Pracht auf seinem mährischen Grafensitze entfaltete und seine neuen Rechte mit Selbstgefälligkeit zur Schau tragend, suchte er die Achtung oder den Neid der kleinen Souveraine, die viel weniger als er hatten, auf sich zu lenken.
Voller Zuvorkommenheiten und zarter Rücksichten für seine »erhabene Gemahlin« machte er doch nicht gerade Fait von einer unverbrüchlichen Treue gegen eine Frau, die viel älter als er war, und sie ihrerseits, sei es, daß sie den guten Grundsätzen und dem guten Tone der Zeit gemäß ein Auge zudrückte, sei es, daß sie der Ueberzeugung lebte, der durch sie emporgehobene Gatte könnte niemals für die Abnahme ihrer Reize ein Auge haben, genug, sie genirte ihn in seinen Privatvergnügungen nicht im mindesten.
Nachdem einige Meilen zurückgelegt waren, fand man ein für die edlen Reisenden im Voraus bestelltes Relais in Bereitschaft. Consuelo und Joseph wollten nun aussteigen und von den Herren Abschied nehmen, aber diese ließen es nicht zu, indem sie vorgaben, daß die jungen Leute noch immer Anfechtungen von Seiten der im Lande umherstreifenden Werber ausgesetzt sein würden.
– Ihr wisset nicht, sagte Trenck, (und er übertrieb nicht) wie geschickt und schlau das Gesindel ist. Gehet wohin ihr wollt im civilisirten Europa, wenn ihr arm seid und keine Beschützer habt, seid ihr mit einiger Leibesstärke oder irgend einem brauchbaren Talent der Hinterlist oder der Gewaltthat dieser Menschen Preis gegeben.
Sie kennen alle Schleifwege nach den Grenzen, alle Gebirgsstege, alle zweideutigen Wirthshäuser, alle Hallunken, von denen sie im Nothfalle Aushülfe und Beistand erwarten können. Sie sprechen alle Sprachen, alle Patois, denn sie ziehen beständig in allen Ländern umher und treiben alle möglichen Gewerbe. Sie sind geschickte Reiter, schnelle Läufer, tüchtige Schwimmer, springen über Abgründe wie gebotene Banditen. Sie sind gewöhnlich unternehmend, tapfer, an Beschwerden gewöhnt, in Lügen bewandert, schlau, dreist, rachsüchtig, geschmeidig und hartherzig. Es ist der Auswurf der menschlichen Gesellschaft.
Der Militairdespotismus des vormaligen Königs hat an ihnen sehr nützliche Werkzeuge zur Unterhaltung der Truppenmacht und unentbehrliche Stützen der Disciplin besessen. Sie wären im Stande einen Deserteur aus dem äußersten Winkel Sibiriens zurückzuholen, und würden sich nicht bedenken ihn unter den Kugeln der feindlichen Armee festzunehmen, blos um des Vergnügens willen ihn einzubringen und Exempels halber aufhängen zu lassen.
Sie haben einen Priester vom Altare weggerissen, wo er Messe las, weil der Unglückliche 10 Zoll hatte; sie haben der Kurfürstin einen Arzt weggestohlen; sie haben wohl zehnmal den alten Markgrafen von Bayreuth in Wuth gebracht, indem sie ihm seine ganze Armee, die aus 20 oder 30 Mann bestand, entführten, ohne daß er sich offen darüber zu beschweren wagte; sie haben einen französischen Edelmann, der seine Frau und seine Kinder in der Nähe von Straßburg besuchte, zum Soldaten gemacht; sie haben der Czarin Elisabeth Unterthanen weggefangen, dem Marschall von Sachsen Uhlanen, der Kaiserin Maria Theresia Panduren, ungarische Magnaten, polnische Herren, italienische Sänger und Frauen aller Nationen, moderne Sabinerinnen, die mit Gewalt an gemeine Soldaten verheiratet wurden.
Alles ist ihnen gerecht; sie haben außer ihrem Solde und ihren Reisediäten eine Prämie von So und so viel für den Kopf, was sage ich, für den Zoll und die Linie der Statur ...
– Schön! sagte Consuelo, sie verkaufen Menschenfleisch lothweise. O, Ihr großer König ist ein Währwolf! ... Aber sein Sie unbesorgt, Herr Baron, sprechen Sie frei. Sie haben ein gutes Werk gethan, indem Sie unsern armen Deserteur befreiten; und ich wollte lieber alle Martern aushalten, die ihm bestimmt waren, als ein einziges Wort sagen, das Ihnen Nachtheil bringen könnte.
Trenck, dessen stürmisches Wesen sich mit keiner Vorsicht vertrug und der durch Friedrichs unbegreifliche Härte und Ungerechtigkeit gegen ihn schon gereizt war, fand ein bitteres Vergnügen darin, sich gegen den Grafen Hoditz über die gewaltthätigen Regierungshandlungen zu verbreiten, von denen er in glücklichen Tagen, wo er noch nicht so gerecht und streng darüber dachte, Zeuge und Genoß gewesen war. Jetzt im Geheimen verfolgt, obgleich er anscheinend mit dem Vertrauen seines Monarchen beehrt und einer wichtigen diplomatischen Sendung an den Hof der Kaiserin ging, hatte er angefangen seinen Herrn zu hassen und legte seine Stimmung mit zu großer Rücksichtslosigkeit an den Tag.
Insbesondere schilderte er dem Grafen die Leiden, die Sklaverei, die Verzweiflung, die unter den zahlreichen preußischen Truppen herrschte, einer im Kriege unschätzbaren, aber im Frieden gefährlichen Masse, die man, um sie kurz zu halten, mit furchtgebietender Strenge und beispielloser Härte behandelte. Er erzählte, daß sich in der Armee die Wuth des Selbstmords epidemisch verbreitet habe, daß Soldaten, sonst ehrliche und gottesfürchtige Leute, schwere Verbrechen begingen, um durch die Todesstrafe dem grausamen Schicksal, das sie ihm im Leben nicht abschütteln konnten, zu entrinnen.
– Solltet Ihr glauben, daß die überwachten Glieder gerade die gesuchtesten sind? Ihr müßt nämlich wissen, daß die Surveillé's aus jenem Gemisch von ausländischen Rekruten, gewaltsam entführten Menschen oder auch jungen ausgehobenen Preußen (Kantonisten) bestehen, die beim Beginn einer militärischen Laufbahn, welche nur mit dem Leben enden soll, gewöhnlich während der ersten Jahre in eine schreckliche Muthlosigkeit und Niedergeschlagenheit versinken. Man stellt diese reihenweise vor andern Reihen von erprobter Mannschaft auf, und wenn Einer von den Vordern sich widerspenstig oder zum Desertiren geneigt zeigt, so wird er von seinem Hintermanne niedergeschossen. Wiederum ist die dritte Reihe dazu angewiesen, die mittlere auf entsprechende Weise im Zaume zu halten; das dritte Glied besteht daher aus den hartherzigsten, fühllosesten Kreaturen, wie es deren unter den alten abgehärteten Soldaten und den Freiwilligen, die meist Verbrecher sind, genug giebt. So geht es fort.
In Schlachtordnung hat also jedes Glied den Feind vor sich und den Feind an den Hacken, nirgends Freunde, anhängliche Kameraden, Waffenbrüder. Ueberall Gewalt, Tod und Todesfurcht. So, sagt der große Friedrich, hat man eine unüberwindliche Armee. Nun wohl! Die vorderste Reihe also ist die beneidete und gesuchte für den jungen Kantonisten, und dorthin gestellt, wirft er in seiner Trostlosigkeit und Verzweiflung die Waffen weg, indem er gewiß ist, von den Kameraden, die hinter ihm stehen, niedergeschossen zu werden. Manche rettet die Eingebung ihrer Verzweiflung, indem sie, alles für alles einsetzend und unübersteiglich scheinenden Gefahren trotzend, glücklich entkommen und oft zum Feinde übergehen.
Der König weiß recht gut, mit welchem Abscheu die Armee sich unter sein eisernes Joch beugt, und Ihr habt vielleicht gehört, was für ein Wort er zu seinem Neffen, dem Herzog von Braunschweig sagte, als dieser einer großen Revüe beiwohnte und nicht aufhören konnte, die treffliche Haltung und die herrlichen Manöver der Truppen zu bewundern.
»Die Vereinigung und das Ensemble so vieler schönen seht Ihr mit Erstaunen?« sagte Friedrich. »Es ist Etwas dabei, was mich noch mehr in Erstaunen setzt.«
»Was denn?« sagte der junge Herzog. »Daß wir beide mitten unter ihnen sicher sind,« antwortete der König.
– Baron, theuerster Baron, entgegnete Graf Hoditz, Ihr liefert uns die Kehrseite des Schaustücks. Nichts geschieht in menschlichen Dingen auf wunderbare Weise. Wie könnte Friedrich der größte Feldherr seiner Zeit sein, wenn er eine Taubensanftmuth besäße? Genug! reden wir nicht weiter davon. Ihr würdet mich wahrlich verpflichten, wenn Ihr seine Partie nähmet, mich, der ich sein natürlicher Feind bin, Ihr, der Ihr sein Adjutant und Günstling seid.
– Nach der Art, wie er seine Günstlinge behandelt, wenn er die Laune hat, entgegnete Trenck, kann man sich vorstellen, wie er mit seinen Sklaven umgeht. Reden wir nicht mehr davon, Ihr habt Recht, denn, wenn ich daran denke, so packt mich ein teuflisches Gelüst, wieder zu dem Wäldchen umzukehren und seine dienstwilligen Seelenverkäufer, die ich aus verrückter und elender Vorsicht verschont habe, mit diesen meinen Händen zu erwürgen.
Consuelo freute sich über die edelmüthige Ereifrung des Barons; sie war seinen lebendigen Schilderungen des Soldatenlebens in Preußen mit Spannung gefolgt, und da sie nicht wußte, daß ein wenig persönliche Erbitterung an seinem kühnen Zorne Antheil hatte, so glaubte sie darin das Merkmal eines großen Charakters zu erkennen.
Nichts desto weniger lag etwas wirklich Großes in der Seele Trencks. Dieser schöne, stolze Jüngling war nicht zum Kriechen geboren. Es war in dieser Hinsicht ein großer Unterschied zwischen ihm und seinem auf der Reise improvisirten Freunde, dem reichen und prahlerischen Hoditz.
Dieser, der in seiner Jugend der Schrecken und die Verzweiflung seiner Lehrer gewesen war, fand sich endlich sich selbst überlassen, und obwohl über die Flegeljahre längst hinaus, hatte er noch im vierzigsten Jahre in seinen Manieren und Reden etwas Jungenhaftes behalten, das gegen seine herkulische Gestalt und sein schönes, obwohl von langjährigen Strapazen und Ausschweifungen etwas welkes Gesicht seltsam abstach. Er hatte die oberflächlichen Kenntnisse, welche er gelegentlich zur Schau trug, nur aus Romanen, aus der Modephilosophie und aus Theaterstücken geschöpft. Er wollte gern für einen Kunstkenner gelten, obgleich es ihm in diesem Zweige wie in allen übrigen an wahrer Einsicht und an Urtheil gebrach.
Indessen bestach er durch das vornehme Ansehen, welches er sich zu geben wußte, durch seine ausgesuchte Leutseligkeit und durch seine ergötzlichen und zierlich gewendeten Einfälle den jungen Haydn, der ihn dem Barone vorzog, vielleicht auch wegen der sichtlicheren Aufmerksamkeit, die Consuelo diesem letzteren schenkte.
Der Baron dagegen hatte sich wirklich Kenntnisse erworben, und wenn ihn der Taumel des Hoflebens und jugendlicher Uebermuth bisweilen gegen eine wahre Schätzung dessen was groß und nachahmungswerth ist verblendet hatte, so war doch im Grunde seiner Seele eine Unbefangenheit des Gefühls und ein Sinn für das Gute und Rechte zurückgeblieben, wie beides sich durch frühe Ausbildung edler Anlagen und durch wohlbenutztes Lesen erwirbt. Seinen hochstrebenden Geist einzuwiegen, hatten Huldbeweise und Gunstbezeigungen eines Mächtigen wohl vermocht, aber nicht ihn so zu beugen, daß er nicht bei der geringsten ungerechten Kränkung in jugendlicher Hitze wieder aufgelodert wäre. Friedrichs schöner Page hatte genippt an dem betäubenden Kelche, aber die Liebe, eine unbeschränkte, verwegene, überschwängliche Liebe hatte seine Kühnheit und seine Beharrlichkeit wieder entzündet. An der empfindlichsten Stelle seines Herzens getroffen, hatte er sein Haupt wieder emporgerichtet und bot dem Tyrannen offen Trotz, der ihn in den Staub drücken wollte.
Zu der Zeit, in welcher unsere Geschichte vorgeht, schien er fünf und zwanzig Jahr alt. Ein Wald von braunen Haaren, welche er der Spielerei des preußischen Dienstreglements nicht hatte opfern wollen, beschattete seine hohe Stirn. Sein Wuchs war prächtig, sein Auge blitzend, sein Schnurrbart schwarz wie Ebenholz, seine Hand weiß wie Alabaster, obgleich nervig wie die eines Athleten, und seine Stimme frisch und männlich wie sein Gesicht, sein Denken und seine Liebeshoffnung.
Consuelo sann darüber nach, wie es wohl käme, daß er seine heimliche Liebe jeden Augenblick auf den Lippen trug und dies schien ihr immer weniger lächerlich, je mehr sie in allem was er ausströmte und was er zurückdrängte, das Gemisch von angeborenem Ungestüm und nur zu gegründetem Argwohn gewahrte, durch welchen er in einen stäten Kampf mit sich und seinem Schicksal verwickelt war. Sie empfand, indem sie den so schönen jungen Mann betrachtete, wider ihren Willen eine lebhafte Neugier, die Dame seines Herzens zu kennen, und ertappte sich auf angelegentlichen, romantischen Wünschen für das Glück und den Triumph der beiden Liebenden.
Der Tag kam ihr nicht lang vor, wie sie ihn allerdings von dem Zwange eines so nahen Beisammenseins mit zwei Unbekannten von einem dem ihrigen so überlegenen Range erwartet hatte. Sie hatte in Venedig Bekanntschaft gemacht und auf Riesenburg sich selbst geübt in der geselligen Artigkeit, den angenehmen Sitten und der gewählten Unterhaltungsweise, welche die schöne Seite dessen ausmachten was man in jener Zeit ausschließlich die gute Gesellschaft nannte. Obgleich sie sich allerdings zurückhaltend benahm und nur sprach, wann sie angeredet war, fühlte sie sich daher doch vollkommen unbeengt und stellte im Stillen über alles was sie hörte, Betrachtungen an.
Weder der Baron noch der Graf schienen ihre Verkleidung zu merken. Der erstere achtete gar nicht auf sie und Joseph. Wenn er einige Worte an sie richtete, setzte er sogleich zum Grafen gewendet seine Rede fort, und bald dachte er im eifrigen Sprechen auch an diesen nicht mehr und schien sich mit seinen eigenen Gedanken zu unterhalten.
Was den Grafen betrifft, so war er bald gemessen wie ein Monarch, bald semillant wie eine französische Marquise. Er zog seine Schreibtafel hervor und notirte sich irgend etwas mit der Ernsthaftigkeit eines Gelehrten oder eines Diplomaten; dann durchlas er das Geschriebene trällernd, und Consuelo konnte bemerken, daß es süße, galante französische Verschen waren. Manchmal las er sie auch dem Baron vor, der sie admirables fand, obgleich er kein Wort davon angehört hatte. Manchmal zog er mit einer huldreichen Miene Consuelo zu Rathe und fragte sie mit verstellter Bescheidenheit: »Wie scheint Ihm das, mein kleiner Freund? Er versteht Französisch, nicht?«
Consuelo, geärgert von dieser erheuchelten Herablassung, die dazu bestimmt schien, ihr eine hohe Meinung von ihm beizubringen, konnte der Lust nicht widerstehen, ihm ein Paar Fehler, die er in einem Quatrain »An die Schönheit« gemacht hatte, aufzustechen. Sie hatte schon von ihrer Mutter in den verschiedenen Sprachen, in denen diese selbst mit Leichtigkeit und einer gewissen Eleganz zu singen verstand, Sylben richtig eintheilen gelernt. Fleißig wie sie war und in allem die Harmonie, das Maß und die Reinlichkeit suchend, die ihre musikalische Anlage forderte, hatte sie nach dem Schlüssel und der Regel des Versbaus in diesen verschiedenen Sprachen geforscht und sich aus Büchern Aufklärung verschafft. Sie hatte sich mit der Prosodie eifrig beschäftigt und zu ihrer Uebung Gedichte aus einer Sprache in die andere übertragen oder Volksmelodien fremde Worte untergelegt. So war sie dazu gelangt, in mehren Sprachen die Grundsätze der Versbildung zu kennen und richtig anzuwenden, und es war für sie nicht schwer, dem mährischen Poeten seine Fehler aufzudecken.
Erstaunt über ihr Wissen, aber nicht sehr bereitwillig, an seinem eigenen zu zweifeln, zog Graf Hoditz den Baron zu, der, allerdings ein kompetenter Richter, dem jungen Musikanten Recht gab. Von Augenblick an beschäftigte sich der Graf mit ihr ausschließlich, aber ohne daß er ihr wahres Alter und Geschlecht zu vermuthen schien. Er fragte sie, wo Er denn seinen Unterricht gehabt hätte, daß ihm die Gesetze des Parnasses so genau bekannt wären.
– In der Freischule für Kirchengesang zu Venedig, antwortete sie kurz.
– So scheint es, daß man in Venedig besseren Unterricht ertheilt als bei uns in Deutschland. Und wo hat sich Sein Kamerad gebildet?
– In dem Kapellhause zu Wien, antwortete Joseph.
– Meine Kinder, sing der Graf wieder an, mich däucht, ihr seid beide gescheut und wohl unterrichtet. Sobald wir einkehren, will ich euch in der Musik examiniren, und wenn ihr so bestehet, wie es euer Aeußeres und euer Benehmen erwarten läßt, so engagire ich euch für mein Concert oder für mein Theater in Roswald. Ich will euch ganz im Ernst meiner fürstlichen Gemahlin präsentiren. Was meint ihr, he? Es wäre doch ein Glück für junge Leute euerer Art.
Consuelo hätte gar zu gern laut aufgelacht, als sie hörte, daß der Graf sich vornahm, Haydn und sie in der Musik zu examiniren. Sie konnte unter großer Anstrengung ernsthaft zu bleiben, nur eine ehrfurchtsvolle Verbeugung machen. Joseph, der mehr als sie darauf dachte und es für sehr vortheilhaft hielt, eine neue Protection zu gewinnen, sagte Dank und lehnte das Anerbieten nicht ab.
Der Graf griff wieder nach seiner Schreibtafel und las Consuelo die Hälfte einer kleinen italienischen Oper vor, die er selbst in Musik zu setzen beabsichtigte, um sie am Geburtstage seiner Gemahlin von seinen Schauspielern, auf seinem Theater, in seinem Schlosse, oder besser gesagt, in seiner Residenz (denn er drückte sich im Gefühle seiner fürstlichen Würde, da doch seine Gemahlin Markgräfin war, nicht anders aus) aufführen zu lassen: es war ein merkwürdig abgeschmacktes Machwerk, voll abscheulicher Barbarismen.
Consuelo stieß von Zeit zu Zeit Joseph mit dem Ellbogen an, um ihn auf die lächerlichen Schnitzer in dem gräflichen Producte aufmerksam zu machen, und halb todt vor langer Weile, dachte sie bei sich, daß doch die berühmte Markgräflich Bayreuthisch apanagirt fürstlich Culmbachische Schönheit, trotz aller ihrer Ansprüche, Galanterien und Jahre mit einer guten Portion Seichtigkeit ausgestattet sein müßte, daß sie sich von solchen Madrigalen verführen lassen konnte.
Im besten Lesen und Declamiren lutschte der Graf Bonbons, um sich die Kehle anzufeuchten und bot davon den jungen Reisenden an, die auch, da sie seit vorigen Abend nichts gegessen hatten und vor Hunger umkamen, dieses Naschwerk, das mehr ihn zu täuschen als zu stillen geeignet war, in Ermangelung eines Besseren annahmen, bei sich freilich denkend, daß des Grafen Süßigkeiten eine ebenso fade Kost wie seine Verse wären.
Endlich gegen Abend tauchten am Horizont die Thürme und Mauern von Passau empor, die jemals zu erreichen Consuelo an diesem Morgen schon die Hoffnung aufgegeben hatte. Dieser Anblick dünkte ihr nach so vielen Gefahren und Aengsten fast so süß als es unter andern Umständen der Anblick von Venedig gethan hätte, und als sie über die Donau fuhren, konnte sie sich nicht enthalten, Joseph einen Schlag mit ihrer Faust zu geben.
– Ist er Sein Bruders fragte der Graf, der bis jetzt noch nicht daran gedacht hatte, sich hiernach zu erkundigen.
– Zu dienen, Ew. Gnaden, antwortete Consuelo aufs Geradewohl, um sich seiner Neugierde zu entziehen.
– Aber ihr gleicht einander gar nicht, sagte der Graf.
– Es giebt viele Kinder, die ihrem Vater nicht gleichen! erwiderte Joseph heiter.
– Ihr seid wohl nicht zusammen erzogen?
– Nein, Ihro Gnaden. Bei unserem umherziehenden Leben wird man erzogen, wo und wie es geht.
– Ich weiß nicht, warum ich mir einbilde, sagte der Graf mit etwas gesenkter Stimme zu Consuelo, daß Ihr von guter Geburt seid. In Eurer Erscheinung und in Eurer Sprache verräth alles eine gewisse natürliche Distinction.
– Ich weiß ganz und gar nicht, Ihro Gnaden, wie ich geboren bin, entgegnete sie lachend. Ich muß aber wohl musikalisch geboren sein, denn ich liebe nichts auf der Welt so sehr als die Musik.
– Warum seid Ihr wie ein mährischer Bauer angezogen?
– Weil sich meine Kleider unterweges abgenutzt hatten und ich auf einer Kirchmeß da zu Lande diese gekauft habe.
– Ihr seid also in Mähren gewesen? wohl gar in Roswald?
– Ganz nah dabei, Ihro Gnaden, antwortete Consuelo schalkhaft; von weitem hab' ich, denn ich wagte mich nicht näher, Dero prächtige Residenz gesehen, Dero Statuen, Dero Cascaden, Dero Gärten, Dero Berge, was sag' ich? Dero Wunderwerke, einen wahren Feenpallast!
– Das habt Ihr alles gesehen? rief der Graf voll Erstaunen, daß er früher noch nichts davon erfahren hatte, und ohne zu merken, daß Consuelo, der er zwei Stunden lang die Herrlichkeiten seiner Residenz beschrieben hatte, ihm die Beschreibung derselben in aller Sicherheit zurückgeben konnte. Nun, wahrhaftig! das muß Euch Lust machen, dahin zurückzukehren!
– O, ich brenne vor Lust, seitdem ich die Ehre habe Sie zu kennen, antwortete Consuelo, die es sich nicht versagen konnte, ihn aus Rache für die Vorlesung seines Operntextes zum Besten zu haben.
Sie hüpfte leichtfüßig aus der Fähre, auf welcher man den Fluß passirt hatte, und rief mit übertriebenem deutschen Accent:
– O Passau, ich grüße dich!
Die Berline trug sie zur Wohnung eines dem Grafen befreundeten reichen Herrn, der für den Augenblick abwesend war, sein Haus jedoch dem Grafen zur Disposition gestellt hatte. Man erwartete die Gäste, die Bedienten beeilten sich und das Souper war schnell servirt. Der Graf, der an der Unterhaltung mit seinem kleinen Kammermusikus (wie er Consuelo nannte) ein außerordentliches Gefallen fand, hätte sie gar zu gern zur Tafel gezogen, aber weil er eine Inconvenienz zu begehen fürchtete, welche dem Baron mißfallen könnte, that er es nicht.
Consuelo und Joseph waren ganz damit zufrieden, an dem Officiantentische zu essen. Haydn hatte von den großen Herren, welche ihn bei ihren Feten zuließen, noch niemals eine ehrenvollere Behandlung erfahren, und obschon das Künstlergefühl ihm genug das Herz gehoben hatte, daß er das Schimpfliche dieser Behandlungsart empfand, erinnerte er sich doch ohne falsche Scham, daß seine Mutter bei ihrer Gutsherrschaft, Grafen Harrach, Köchin gewesen war. Sollte doch Haydn in viel späterer Zeit noch, da sich sein Genie schon glänzend entfaltet hatte, als Mensch nicht höherer Ehre von seinen Gönnern gewürdigt werden, während ihm als Künstler ganz Europa die höchste zollte. Er stand dreißig Jahre im Dienste des Fürsten Esterhazy, und wenn wir sagen im Dienste, so meinen wir damit mehr als die bloße Anstellung bei der fürstlichen Kammermusik. Paer sah ihn, eine Serviette über dem Arme und den Degen an der Seite, hinter dem Stuhle seines Herrn stehen und als Haushofmeister fungiren, d. h. als oberster Bedienter, wie es dazumal und dort zu Lande Brauch war Griesinger erzählt über Haydn's Dienst beim Fürsten Esterhazy (vom 19. März 1760 bis zum Tode des Fürsten, 28. Sept. 1790) unter Anderem folgendes: »Haydn hatte 400 Gulden Gehalt und andere Emolumente. Dafür hatte er die Hände voll zu thun, komponirte eine Masse Stücke für den Baritono, das Lieblingsinstrument des Fürsten, Messen und Kirchenstücke, Opern, Trios, Quartette, Concerte, Symphonien, Lieder u.s.w., mußte alle Musiken dirigiren, alles einstudiren, Reisen, Unterricht geben, sogar sein Klavier im Orchester selbst stimmen. Er war meist zu Eisenstadt in Ungarn mit seinem Fürsten und nur im Winter kam er auf zwei bis drei Monate nach Wien. Er wußte gar nicht, wie berühmt er im Auslande war. Durchreisende Fremde, auch Gluck, riethen ihm oft, nach Italien und Frankreich zu reisen; aber seine Furchtsamkeit und seine beschränkte Lage hielten ihn zurück; und wenn er gegen seinen Fürsten ein Wort davon fallen ließ, so drückte ihm dieser ein Dutzend Dukaten in die Hand und nun ließ er wieder alle solche Projekte fahren.« Erst nach dem Tode des Fürsten nahm er eine Einladung nach London an. – D. Uebers..
Consuelo hatte seit jenen Reisen, die sie als Kind mit ihrer Mutter, der Zingara machte, nicht mit Bedienten gegessen. Sie ergötzte sich sehr an dem vornehmen Ansehen, das sich diese Domestiken eines großen Hauses gaben, welche sich durch die Gesellschaft zweier kleinen Landstreicher sehr beschimpft fanden und denselben einen abgesonderten Platz ganz an der Ecke des Tisches gaben, ihnen auch nur die schlechtesten Stücke hinschoben.
Consuelo und Joseph waren hungrig genug und hinlänglich an Mäßigkeit gewöhnt, um nichts besseres zu verlangen; und da ihr heiteres Wesen die hochmüthigen Seelen entwaffnete, bat man sie zu singen und zu spielen, um das Dessert der Herren Lakaien zu würzen. Joseph nahm eine edle Rache für ihr verächtliches Betragen, indem er ihnen mit großer Gefälligkeit auf der Violin vorspielte und sogar Consuelo, die von der Aufregung und Pein des Morgens fast keine Folgen mehr spürte, hatte eben zu singen angefangen, als man ihnen bestellte, daß der Graf und der Baron zu ihrer eigenen Unterhaltung Musik verlangten.
Das ließ sich nicht ablehnen. Nach dem Beistande, den ihnen diese beiden Herren geleistet, würde Consuelo jede Weigerung für eine Undankbarkeit angesehen haben, und überdies wäre es eine schlechte Ausrede gewesen, sich mit Müdigkeit und Heiserkeit zu entschuldigen, da jene Herren die hellen Töne, die in den Saal hinaufklangen, schon vernommen hatten.
Sie ging also mit Joseph, der ebenso wie sie im besten Zuge war, alle Folgen ihrer Wanderschaft mit Freuden auf sich zu nehmen; und als sie in einen schönen Saal eingetreten waren, wo, beim Scheine von zwanzig Wachskerzen, die beiden Herrn mit aufgestemmten Armen eben bei ihrer letzten Flasche Tokaier saßen, blieben sie an der Thür stehen, wie Musikanten des untersten Ranges und fingen an die kleinen italienischen Duetten zu singen, welche sie auf dem Gebirge einstudirt hatten.
– Gieb recht Acht! sagte noch Consuelo schelmisch zu Joseph, ehe sie anfingen; denk daran, daß der Herr Graf uns in der Musik examiniren will. Wir müssen also unsere Sache gut machen.
Der Graf fand sich durch diese Erinnerung sehr geschmeichelt. Der Baron hatte auf seinem umgestürzten Teller das Portrait seiner geheimnißvollen Dulcinea vor sich und schien nicht aufgelegt zuzuhören.
Consuelo nahm sich wohl in Acht, mit ihrer Stimme und ihren Mitteln herauszugehen. Ihr angenommenes Geschlecht litt solche Sammettöne nicht und das Alter, welches sie in ihrer Verkleidung zu haben schien, ließ keine ausgebildete Behandlungsweise erwarten. Sie ahmte daher eine etwas rohe und gleichsam durch den über-mäßigen Gebrauch in freier Luft angegriffene Knabenstimme nach. Es machte ihr unsägliches Vergnügen, auch die naiven Ungeschicklichkeiten und kecken Versuche in abgestutzten Coloraturen anzubringen, welche sie von den Kindern aus den Gassen Venedigs unzählige Male gehört hatte.
Aber obgleich sie diese musikalische Parodie mit unvergleichlicher Gewandtheit durchführte, wurde das Duett doch mit solchem Feuer und Ensemble vorgetragen, und das Stück selbst war so volksthümlich frisch und originell, daß der Baron, der voll ausgezeichneter Begabung für die Kunst und ein guter Musiker war, sein Portrait in die Brusttasche steckte, den Kopf aufrichtete, auf seinem Stuhle hin- und herrückte und zuletzt mit Lebhaftigkeit applaudirte, indem er ausrief, daß das die wahrste und gefühlteste Musik wäre, die er je in seinem Leben gehört hätte.
Der Graf Hoditz, der ganz voll von Fuchs, Rameau und seinen klassischen Autoren war, goutirte dieses Genre und die Manier der Execution weniger. Er nannte den Baron einen nordischen Barbaren, und seine beiden Schützlinge, sagte er, wären allerdings sehr fähige Anfänger, aber er würde sie erst durch seine Unterweisung aus der gröbsten Unwissenheit herausziehen müssen. Er hatte die Manie, selbst seine Künstler zu bilden, und kopfschüttelnd sagte er im gewichtigen Lehrton:
– Manches Gute ist allerdings nicht zu verkennen. Aber es ist noch sehr viel zu bessern. Nun! nur so fort! Wir wollen das schon kriegen.
Er bildete sich ein, daß Joseph und Consuelo bereits ihm und seiner Kapelle angehörten. Er bat nunmehr Haydn, ihm etwas auf der Geige vorzuspielen, und da dieser keine Ursach hatte, mit seinem Talent zurückzuhalten, trug er ein Stück von seiner Composition, welches ausnehmend gut für das Instrument geschrieben war, auf's Sauberste vor. Der Graf war dieses Mal sehr zufrieden.
– Vor Ihn, sagte er, habe ich ausgesorgt, Seine Stelle ist gefunden. Ich stelle Ihn bei meiner ersten Violin an, Er ist gerade der Mann, den ich brauche. Aber Er muß sich auch noch auf der Viole d'Amour exerciren, denn die Viole d'Amour ist mein Leibinstrument. Ich will Ihm schon die Griffe beibringen.
– Ist der Herr Baron ebenfalls mit meinem Kameraden zufrieden? sagte Consuelo zu Trenck, der wieder in Gedanken vertieft war.
– So zufrieden, entgegnete er, daß ich, wenn ich mich einige Zeit in Wien aufhalten sollte, keinen Andern zum Lehrer haben will als ihn.
– Ich will Euch auf der Viole d'Amour Lectionen geben, Baron, und ich bitte mir den Vorrang aus.
– Ich ziehe die Violine und diesen Lehrer vor, versetzte der Baron, der in seiner Zerstreuung von unvergleichlicher Freimüthigkeit war.
Er nahm die Geige, und spielte aus dem Gedächtniß einige Stellen aus Josephs Sonate sehr rein und ausdrucksvoll. Dann gab er das Instrument zurück und sagte mit durchaus wahrer Bescheidenheit:
– Ich wollte Euch nur zeigen, daß ich es noch nöthig habe von Euch zu lernen, aber daß ich ein gelehriger Schüler bin.
Consuelo bat ihn etwas zu spielen, und er that es sogleich, ohne sich zu zieren. Er besaß Talent, Geschmack und Kunstverstand. Hoditz spendete der Composition des Stückes übertriebene Lobsprüche.
– Es ist nichts Besonderes, antwortete Trenck, denn es ist von mir; aber es ist mir lieb, weil es der Prinzessin gefallen hat.
Der Graf machte ihm ein fürchterliches Gesicht, um ihn zu erinnern, daß er seine Worte wägen möchte. Trenck achtete gar nicht darauf und ließ in Gedanken verloren den Bogen einige Augenblicke über die Saiten irren; dann warf er die Geige auf den Tisch, sprang auf und ging mit starken Schritten durch das Zimmer, indem er mit seiner Hand über sein Gesicht fuhr. Endlich kam er auf den Grafen zu und sagte zu ihm:
– Gute Nacht, theurer Graf. Ich muß vor Tage reisen, ich habe mir den Wagen um drei Uhr hierher bestellt. Da Ihr den Vormittag hier zubringen wollt, so werde ich Euch vermuthlich erst in Wien wiedersehen. Ich werde mich glücklich schätzen, Euch da zu finden und Euch abermals für das angenehme Stück Weges zu danken, das Ihr mir in Euerer Gesellschaft zu machen erlaubtet. Ich bin Euch für meine Lebenszeit aus aufrichtigem Herzen ergeben.
Sie drückten sich zu wiederholten Malen die Hände, und der Baron trat in dem Augenblicke, als er das Zimmer zu verlassen im Begriff war, zu Joseph, drückte ihm einige Goldstücke in die Hand und sagte:
– Es ist eine Abschlagszahlung auf die Lectionen, die ich mir in Wien ausbitten werde. Fragt nach mir auf der Preußischen Gesandtschaft.
Dann sagte er zu Consuelo, ihr zunickend:
– Und Dir will ich nur sagen, wenn ich Dich als Tambour oder Pfeifer in meinem Regimente finde, so desertiren wir zusammen, verstehst Du?
Damit ging er hinaus, nachdem er den Grafen nochmals gegrüßt hatte.
Als Graf Hoditz sich mit seinen Musikern allein befand, fühlte er sich erst in seinem Behagen und ließ sich ganz und gar gehen. Es war seine Lieblingsthorheit, den Kapellmeister zu machen und einen Impresario vorzustellen. Er wollte nun Consuelo's Ausbildung auf der Stelle beginnen.
– Komm näher und setz' dich, sagte er zu ihr. Wir sind unter uns und man hört nicht mit Attention, wenn man eine Meile von einander entfernt ist. Setz' Er sich auch, sagte er zu Joseph, und such' Er von der Lection zu profitiren. Du kannst noch gar keinen Triller machen, fing er wieder an, indem er sich zu der Sängerin wendete. Höre recht zu, man macht ihn so.
Hieran sang er einen trivialen Gang, worin er ein Paar Triller auf die allergewöhnlichste Weise anbrachte. Consuelo machte sich das Vergnügen, ihm den Gang nachzusingen und dabei den Triller falsch auszuführen.
– Nein, das ist nichts! rief der Graf mit Stentorstimme, und schlug auf den Tisch. Du hast nicht recht hergehört.
Er fing nun wieder von vorn an und Consuelo verrenkte die Zierrat noch weit verzweifelter und toller als das erstemal, während sie ganz ernsthaft blieb und sich stellte, als ob sie sehr viel Mühe und guten Willen daran setzte. Joseph erstickte und suchte sein Gelächter unter einem verstellten Husten zu verstecken.
La la la trala trala trala! sang der Graf, indem er seinem ungeschickten Schüler nachäffte und auf seinem Stuhle aufhüpfte mit allen Geberden einer schrecklichen Wuth, von der nicht die Probe in ihm war, durch welche er aber sein Lehreransehen und die Wirkung seiner Unterrichtsmethode unterstützen zu müssen glaubte.
Consuelo neckte sich eine gute Viertelstunde mit ihm, und als sie es satt hatte, sang sie den Triller mit aller Sauberkeit, deren sie fähig war.
– Bravo! Bravissimo! rief der Graf, indem er sich auf dem Stuhle hinten über warf. Endlich! das war ganz vollkommen! Ich wußte wohl, daß ich es ihm beibringen würde. Gebt mir den ersten besten Bauerbuben, ich bin gewiß, daß ich ihn formire und daß ich ihm in einem Tage applicire, was Andere nicht in einem Jahre zu Stande bringen würden. Nun noch einmal dieses Exercitium, und alle Noten leicht, nur antippen so, das war encore mieux, on ne peut mieux! Wir werden Etwas aus Dir machen!
Der Graf trocknete sich die Stirn ab, obgleich nicht ein Tropfen Schweiß darauf war.
– Jetzt noch einen vollständigen Triller auf der Cadenz! hob er wieder an.
Er machte die Verzierung mit jener maschinenmäßigen Geläufigkeit, welche der geringste Chorist erwirbt, der es den Solosängern nachzuthun sucht, indem er an ihnen nichts als die Kehlfertigkeit bewundert und sich für ebenso geschickt wie sie hält, wenn er ihre Manieren nachäfft. Consuelo ergötzte sich noch einmal daran, den Grafen zu einem jener Ausbrüche von kaltblütigem Zorn zu treiben, die er gern veranstaltete, wenn er sein Steckenpferd ritt und schmetterte zuletzt einen so vollkommenen und so anhaltenden Triller, daß er schrie:
Genug, genug! Halt! Es geht schon, es ist gut. Du kannst es jetzt. Ich war meiner Sache gewiß. Wir wollen nun zur Roulade übergehen. Du begreifst mit admirabler facilité, und ich wünschte wohl, daß ich immer solche Eleven hätte.
Consuelo fühlte indessen, daß Abspannung und Schläfrigkeit es über sie davontragen und kürzte die Läuferübung sehr ab. Sie machte alles was der vornehme Lehrer von ihr verlangte, wie geschmacklos es war, und trug auch kein Bedenken mehr, ihre schöne Stimme unverstellt zu gebrauchen: sie durfte nicht mehr fürchten, sich zu verrathen, da der Graf fest darauf beharrte, alles, sogar den Glanz und die himmlische Reinheit, welche ihr Organ von Augenblick zu Augenblick mehr entfaltete, sich selber beizumessen.
– Wie das klar wird, weil ich ihm zeige, wie man den Mund öffnen und die Stimme tragen muß! sagte er zu Joseph, indem er sich mit triumphirender Miene zu diesem wendete. Eine faßliche Methode, Ausdauer, Exempla, das sind die drei Sachen, womit man in kurzer Zeit Sänger und Déclamateurs bildet. Morgen nehmen wir wieder eine Lection; wir haben ihrer zehn zu nehmen, und dann wirst du singen können. Wir haben das Gruppetto, den Mordente, die Appogiatura, die Volate und Volatine, die Martellata, die Gorgheggi voccalizzati, das Sdrucciolo enarmonico Statt der französischen Namen von Verzierungen ( agréments), welche sich im Texte finden, habe ich die Namen von Abbellimenti der italienischen Gesangschulen gesetzt, da diese letzteren wohl auch vor 100 Jahren die in Deutschland üblichen waren. – D. U. u. s. w. u. s. w. Nun ruhet euch aus. Ich habe euch Zimmer in diesem Schloß anweisen lassen. Ich muß meiner Geschäfte wegen bis Mittag hier bleiben. Ihr sollt mit mir frühstücken und dann mit mir nach Wien fahren. Ihr könnt euch als in meinem Dienst stehend betrachten. Um gleich anzufangen, gehe Er, Joseph und sage Er meinem Kammerdiener, daß er mir in mein Zimmer leuchten soll. Du, sagte er zu Consuelo, bleib' noch und mache noch einmal die letzte Roulade; ich war nicht ganz damit zufrieden.
Kaum war Joseph hinausgegangen, als der Graf mit sehr ausdrucksvollen Blicken Consuelo's beide Hände ergriff und das Mädchen an sich zu ziehen suchte. In ihrer Roulade unterbrochen, sah ihn Consuelo voll Erstaunen an; sie glaubte zuerst, er wolle sie den Takt schlagen lassen, aber hastig entriß sie ihm ihre Hände und wich bis an das Ende des Tisches zurück, als sie seine erhitzten Augen und sein buhlendes Grinsen sah.
» Allons! Sie will die Prüde spielen? sagte der Graf, indem er seine nachlässige und stolze Miene wieder annahm. Eh bien! ma mignonne, wir haben einen petit amant? Er ist sehr häßlich, der arme Schlucker, und ich hoffe, daß Sie von nun an auf ihn renonciren wird. Ihr fortune ist gemacht, wenn Sie sich nicht bedenkt, denn ich liebe keine lenteurs. Sie ist ein charmantes Mädchen voller intelligence und douceur, Sie gefällt mir ausnehmend wohl und bei dem ersten coup d'oeil, den ich auf Sie geworfen habe, sah ich gleich, daß Sie nicht dazu gemacht ist, mit diesem kleinen Hallunken herumzulungern. Ich werde mich indessen für ihn interessiren, ich schicke ihn nach Roswald, und nehme sein sort auf mich. Was Sie betrifft, so bleibt Sie in Wien. Ich werde Sie convenablement logiren und wenn Sie sich mit prudence und modestie aufführt, gedenke ich Sie sogar in der Welt zu produciren. Wenn Sie Musik genug haben wird, soll Sie meine primadonna werden, und Sie wird dann auch Ihren petit ami gelegentlich wiedersehen, wenn ich Sie nach meiner Residence führe. Bleibt's dabei?
– Allerdings, Herr Graf! antwortete Consuelo sehr ernst und mit einer tiefen Verbeugung, dabei bleibt es.
Joseph trat in diesem Augenblick mit dem Kammerdiener ein, welcher zwei Leuchter trug und der Graf entfernte sich, indem er Joseph einen kleinen Schlag auf die Backe gab und Consuelo mit einem Blick des Einverständnisses anlächelte.
– Er ist ein ausgemachter Narr, sagte Joseph zu seiner Gefährtin, als sie mit einander allein waren.
– Noch ausgemachter als du glaubst, antwortete sie mit nachdenklicher Miene.
– Gleichviel, es ist der beste Kerl von der Welt, und er wird mir in Wien sehr nützlich sein.
– Ja, in Wien, so viel du willst, Beppo! aber in Passau nicht im Mindesten, das sage ich dir. Wo sind unsere Sachen, Joseph?
– In der Küche, ich will sie gleich in unsere Stuben hinauftragen; die sind, sagen sie mir, allerliebst. Werden wir doch endlich zur Ruhe kommen!
– Guter Joseph, sagte Consuelo achselzuckend ... Mach' geschwind, fing sie wieder an, hole dein Bündel, und verzichte auf deine allerliebste Stube und auf das gute Bette, worin du herrlich zu schlafen dachtest. Wir verlassen dieses Haus unverzüglich, verstehst du? Spute dich, denn man wird gewiß bald zuschließen.
Haydn glaubte zu träumen.
– Nun gar! rief er aus. Diese vornehme Herren werden doch nicht auch Werber sein?
– Ich fürchte Hoditz mehr als Meyer, sagte Consuelo ungeduldig. Spute dich, lauf! Zaudre keinen Augenblick, oder ich lasse dich hier und gehe allein.
Consuelo sagte dies mit solcher Entschiedenheit in Ton und Haltung, daß Haydn, bestürzt und beunruhigt, ihr in Eil gehorchte. In zwei Minuten kam er mit seinem Sack, worin die Hefte und Kleider waren, zurück und wieder in zwei Minuten waren sie unbemerkt zum Hause hinaus und erreichten bald das äußerste Ende der Vorstadt.
Sie traten in ein armseliges Wirthshaus und mietheten zwei Kammern, welche sie zum Voraus bezahlten, um, so früh es ihnen anstehen würde, ohne Verzug aufbrechen zu können.
– Wollen Sie mir nicht wenigstens sagen, was diesen neuen Allarm veranlaßt hat? fragte Haydn, als er Consuelo an der Schwelle ihres Zimmers gute Nacht wünschte.
– Schlafe ruhig, antwortete sie und vernimm in zwei Worten, daß wir jetzt wohl nichts mehr zu fürchten haben. Der Herr Graf hat mit seinem Adlerblick erkannt, daß ich nicht seines Geschlechtes bin, und hat mir die Ehre einer Declaration angethan, die für meine Eigenliebe überaus schmeichelhaft war. Gute Nacht, Freund Beppo! vor Tage machen wir uns aus dem Staube. Ich werde an deiner Thür klopfen, um dich zu wecken.
Den andern Morgen beschien die aufgehende Sonne unsere jungen Freunde auf der Donau, welche sie mit einer Freude so lauter und mit Herzen so leicht wie die Wellen des schönen Flusses hinabschifften. Sie hatten sich auf dem Fahrzeug eines alten Flußschiffers eingemiethet, welcher Waaren nach Linz führte. Er war ein braver Mann, mit dem sie sehr zufrieden waren und vor dem sie sich in ihrer Unterhaltung keinen Zwang aufzulegen brauchten. Er verstand kein Wort Italienisch, und da sein Kahn hinlänglich beladen war, hatte er außer ihnen keine Passagiere weiter mitgenommen: dies verschaffte ihnen die Sicherheit und die körperliche und geistige Ruhe, deren sie bedurften, um das herrliche Schauspiel, welches die Fahrt ihren Blicken unausgesetzt darbot, vollkommen zu genießen.
Das Wetter war wunderschön. Das Schiffs hatte eine reinliche Kajüte, in welche Consuelo sich zurückziehen konnte um ihre Augen von dem Glanze des Wasserspiegels auszuruhen, aber sie hatte sich in den vergangenen Tagen schon so an Luft und Licht gewöhnt, daß sie vorzog, die ganze Zeit oben zuzubringen, auf Waarenballen hingestreckt und mit Entzücken Felsen und Bäume der Ufer vorüberfliehen sehend. Sie konnte mit Haydn nach Herzenslust musiciren, und die Erinnerung an den Musiknarren Hoditz, dem Joseph den Spitznamen »der Maestromane« gab, mischte Scherz und Gelächter in ihre fröhlichen Gesänge. Joseph wußte ihm vortrefflich nachzuäffen und konnte nicht aufhören sich über seine Abführung lustig zu machen.
Ihr Gelächter und ihr Gesang machte den alten Schiffer, der wie alle gemeinen Leute der Gegend ein großer Musikfreund war, ganz seelenvergnügt. Auch er sang ihnen Lieder vor, die, sagte Consuelo, nach dem Wasser schmeckten, und die sie ihm sammt den Worten ablernte. Sie gewannen sein Herz vollends, als sie ihn bei der nächsten Landung, wo sie Mundvorräthe für den Tag einkauften, nach besten Kräften regalirten und dieser Tag war der friedlichste und angenehmste, den sie seit dem Beginne ihrer Reise verlebt hatten.
– Trefflicher Baron von Trenck! sagte Joseph, als er eines der glänzenden Goldstücke umwechselte, die ihm dieser Herr gegeben hatte: ihm verdanke ich es, daß ich endlich die göttliche Porporina vor Ermüdung, Hunger und allen Gefahren, welche die Armuth mit sich führt, behüten kann. Und diesen edeln, großmüthigen Baron habe ich zuerst nicht leiden mögen!
– Ja, sagte Consuelo, Sie zogen ihm den Grafen vor. Jetzt bin ich ganz glücklich, daß dieser sich auf Versprechungen beschränkt hat und unsere Hände nicht mit seinen Wohlthaten besudelte.
– Alles gerechnet, sing Joseph wieder an, sind wir ihm nichts schuldig. Wer hat zuerst den Gedanken und den Entschluß gefaßt, die Werber anzugreifen? Der Baron; dem Grafen lag nichts daran, und er war nur aus Gefälligkeit und Höflichkeit mit dabei. Wer hat sich der Gefahr ausgesetzt und eine Kugel in den Hut, dicht am Schädel bekommen? Wieder der Baron. Wer hat den niederträchtigen Pistola verwundet und vielleicht todt geschossen? Alles der Baron. Wer hat den Deserteur gerettet, vielleicht zum eigenen Schaden und auf Gefahr, sich den Zorn eines furchtbaren Herrn zuzuziehen? Endlich, wer hat Ihr Geschlecht respectirt und nicht gethan, als ob er etwas merkte? Wer hat die Schönheit Ihrer italienischen Gesänge und Ihren geschmackvollen Vortrag begriffen? ...
– Und Meister Haydns Genie? fügte Consuelo lächelnd hinzu; der Baron, alles der Baron.
– Ja wohl, antwortete Haydn, um ihr eine boshafte Bemerkung zurückzugeben, und es ist vielleicht ein großes Glück für einen edlen und theuern Abwesenden, von dem ich reden gehört hab', daß der göttlichen Porporina die Liebeserklärung von dem lächerlichen Grafen kam und nicht von dem gescheuten und verführerischen Baron.
– Beppo! entgegnete Consuelo mit schwermüthigem Lächeln, nur in undankbaren, schlechten Herzen hat der Abwesende Unrecht. Deshalb konnte der Baron, der ein edles aufrichtiges Herz hat und der in eine Schöne heimlich verliebt ist, nicht daran denken, mir den Hof zu machen. Ich frage Sie selbst: würden Sie so leicht die Liebe zu Ihrer Verlobten und Ihre Treue der ersten besten Caprice opfern?
Beppo seufzte tief.
– Sie können für Niemanden eine erste beste Caprice sein, sagte er, und der Baron wäre sehr zu entschuldigen, wenn er bei Ihrem Anblick alle seine früheren und gegenwärtigen Liebschaften vergessen hätte.
– Sie werden ja galant und süß, Beppo! Ich sehe, daß Sie in der Gesellschaft des Herrn Grafen profitirt haben. Aber möchten Sie nie eine Markgräfin heiraten und nie erfahren, wie man die Amour behandelt, wenn man eine Geldparthie gemacht hat!
Am Abend erreichten sie Linz und schliefen dort endlich einmal ohne Unruhe und ohne Sorgen um den nächsten Tag. Sobald Joseph erwacht war, ging er aus, um Schuhzeug, Wäsche, mehre Toilettengegenstände für sich und besonders für Consuelo einzukaufen, damit sie sich, wie er scherzend sagte, putzen und schön machen könnte, um in der Stadt und Umgegend herumzustreifen.
Der alte Schiffer hatte ihnen gesagt, er wollte sie, falls sich Ladung für ihn nach Melk fände, am folgenden Tage wieder an Bord nehmen und sie so noch ein zwanzig Meilen weiter die Donau hinunterschaffen. Sie brachten daher diesen Tag in Linz zu, vertrieben sich die Zeit damit, die Höhe zu ersteigen, das feste Schloß von unten und von oben in Augenschein zu nehmen, wo sie einer Aussicht auf die majestätischen Windungen des Stromes durch Oesterreichs fruchtbare Ebenen genossen.
Sie hatten dort auch noch einen Anblick, der ihnen großes Vergnügen gewährte: es war die Berline des Grafen Hoditz, welche triumphmäßig in die Stadt einzog. Sie erkannten den Wagen und die Livree und belustigten sich, ihm aus zu weiter Ferne, um bemerkt zu werden, tiefe Reverenzen bis zur Erde zu machen.
Endlich am Abend begaben sie sich wieder an das Ufer und fanden das Schiff mit Waaren für Melk befrachtet. Vergnügt schlossen sie von neuem mit dem alten Schiffer ab. Sie schifften sich vor Tage ein und sahen an dem heitern Himmel über ihren Häuptern die hellen Sterne blitzen, deren Wiederschein sich in weiten Silbernetzen auf der kräuselnden Fläche des Flusses schaukelte. Dieser Tag war nicht minder angenehm als der vorige. Joseph hatte nur Einen Kummer, nämlich den, daß Wien immer näher rückte und daß diese Reise, deren Leiden und Gefahren er vergaß, um nur an die köstlichen Augenblicke zu denken, schnell zu Ende ging.
In Melk trennten sie sich, nicht ohne Bedauern, von ihrem braven Schiffer. Die Schiffsgelegenheiten, welche sich hier darboten, um sie weiter zu bringen, hätten ihnen nicht dieselben Vortheile des Alleinseins und der Sicherheit gewährt; außerdem mußten die Krümmungen der Donau von dort bis nach Wien hin die Reise beträchtlich verlängern und Consuelo trug Verlangen ihr Ziel zu erreichen. Sie fühlte sich ausgeruht, erfrischt, gegen alle Unfälle gestählt. Sie machte daher Joseph den Vorschlag, wieder zu Fuße zu reisen bis sich eine neue Gelegenheit fände.
Sie hatten noch ein zwanzig Meilen zu machen, und es war also in der That keine Abkürzung der Reise, wenn sie den Weg zu Fuße machten. Aber die Sache war diese, daß Consuelo, während sie sich selbst einredete sich nach ihrer gewohnten Kleidung und nach der Lebensweise zu sehnen, die sich für ihren Stand schickte, die Wahrheit zu gestehen, im Grunde ihres Herzens eben so wenig als Joseph das Ende dieses Feldzuges herbeiwünschte. Sie war zu sehr Künstlerin durch und durch, um nicht die Freiheit, die Abentheuer, die Gelegenheiten Muth und Geschicklichkeit zu entwickeln, das beständig wechselnde Naturschauspiel, das nur der Fußreißende ganz genießt, kurz all den Zauber des herumschweifenden Lebens und der Einsamkeit zu lieben.
Ich sage Einsamkeit, Leser, um damit an einen gewissen Schauer zu erinnern, den man leichter empfinden wird, als ich ihn beschreiben kann. Ihr müßt ihn kennen, wenn ihr einmal zu Fuße weit, entweder ganz allein, oder allein mit einem andern Selbst, oder endlich wie Consuelo mit Einem frohherzigen, munteren, gefälligen, gleichgestimmten Gefährten gereist seid. Ihr müßt dann Augenblicke gehabt haben, wo ihr jeder unmittelbaren Sorge enthoben, von allen beunruhigenden Gedanken frei, eine eigene vielleicht ein wenig egoistische Seligkeit empfandet, wenn ihr euch sagtet:
In diesem Augenblick macht sich Niemand mit mir zu schaffen und ich mir mit Niemanden. Niemand weiß wo ich bin. Die mein Leben beherrschen, würden mich vergebens suchen. Sie können mich nicht suchen in diesem aller Welt unbekannten, mir selbst neuen Elemente, in welches ich mich geflüchtet habe. Die welche unter dem Einflusse meines Lebens stehen, haben Ruhe vor mir, wie ich vor ihnen. Ich gehöre ganz mir, bin nur mein eigener Herr und Sklave; denn es ist keiner von uns, der nicht im Verhältniß zu gewissen Andern abwechselnd und gleichzeitig, mag er wollen oder nicht, auch wenn er das eine sich verhehlt und das andere verschmäht, halb Sklav halb Herr wäre.
Niemand weiß, wo ich bin! Gewiß ein Gedanke der Vereinsamung, der seinen Reiz hat, einen unaussprechlichen, dem Anscheine nach wilden, aber in Wahrheit wohlberechtigten und sanften Reiz. Wir sind dazu da, um in Gegenseitigkeit für einander zu leben. Der Weg der Pflicht ist lang, mühevoll und hat keinen Horizont als den Tod, der vielleicht kaum die Ruhe einer Nacht ist. Gehen wir ihn denn und denken nicht daran, unsere Füße zu schonen! Wenn aber in seltenen wohlthätigen Lagen, wo die Ruhe unschädlich und die Abschließung ohne Reue möglich ist, ein grüner Pfad sich vor unsern Füßen aufthut, nutzen wir die wenigen Stunden der Einsamkeit und der Versenkung in uns selbst! Solche Stunden lässiger Muse sind dem muthigen und arbeitsamen Menschen nothwendig um seine Kräfte zu erneuen; und ich sage, je mehr euer Herz verzehrt ist von dem Eifer um das Haus des Herrn (welches kein anderes als das der Menschheit ist), desto mehr seid ihr geschickt, ein Paar Augenblicke der Abgeschlossenheit werth zu schätzen, um euch selber wieder zu gewinnen.
Der Eigensüchtige ist immer und überall allein. Seine Seele spannt sich nimmer ab mit Lieben, Leiden und Harren. Er ist träg und kalt und bedarf nicht mehr als ein Leichnam des Schlummers und der Seelenruhe. Wer Liebe hat, der ist nur selten allein mit sich und es thut ihm wohl, wenn er es ist. Seine Seele kann sich einer Unterbrechung ihrer Arbeit freuen, wie der gesunde Leib des Schlafes genießt. Dieser Schlaf ist das gute Gewissen der überstandenen Mühsal und der Vorläufer neuer Prüfungen, zu denen es der Stärke bedarf. Ich glaube nicht an den wahren Schmerz Derer, die sich nicht zu zerstreuen suchen, noch an die aufopfernde Hingebung Derer, die nie der Erholung bedürfen. Entweder ist ihr Schmerz eine Betäubung, welche anzeigt, daß sie innerlich zerbrochen, zernichtet sind und nicht mehr die Kraft haben würden das was ihnen verloren ist zu lieben; oder ihre unermüdliche und unablässige Hingabe verbirgt irgend ein unreines Trachten, eine geheime Schadloshaltung durch selbstische, sträfliche Zwecke, ein Etwas, dem ich mißtraue.
Diese Betrachtungen sind ein wenig zu lang, aber sie sind nicht am unrechten Orte in der Lebensgeschichte Consuelo's, einer gewiß so thätigen und aufopferungsfähigen Seele, wie nur je eine war, die aber doch der Selbstsucht und des Leichtsinns Mancher beschuldigen könnte, der nicht fähig ist, sie zu begreifen.
Als am ersten Tage der neuen Wanderung unsere Reisenden auf einer hölzernen Brücke über ein kleines Wasser gingen, sahen sie eine arme Bettlerin, die ein Kind auf dem Arme trug und sich auf das Geländer stützte, während sie ihnen die Hand hinhielt. Das Kind sah bleich und krank aus, das Weib abgezehrt und vom Fieber geschüttelt. Consuelo wurde von tiefem Mitleid ergriffen für diese Arme, welche sie an ihre Mutter und an ihre eigene Kindheit erinnerte.
– So waren wir bisweilen, sagte sie zu Joseph, der sie mit halbem Worte verstand und mit ihr stehen blieb, die Bettlerin zu betrachten und zu befragen.
– Ach! sagte diese, ich war noch vor wenigen Tagen eine sehr glückliche Frau. Ich bin eine Bäuerin aus Harmanitz in Böhmen. Vor ungefähr fünf Jahren hatte ich einen Vetter von mir geheiratet, einen schönen, großen Menschen, so einen fleißigen und guten Mann. Nachdem wir ein Jahr verheiratet waren, ging mein armer Karl in die Berge, um Holz zu holen und kam nicht wieder; kein Mensch wußte, was aus ihm geworden war. Ich kam in Kummer und Elend. Ich dachte, mein Mann wäre in einen Abgrund gestürzt, oder die Wölfe hätten ihn aufgefressen. Ich hatte wohl Gelegenheit mich wieder zu verheiraten, aber ich wollte nicht, weil ich immer noch an ihn denken mußte und nicht wußte, ob er todt war oder noch lebte. Und dafür wurde ich belohnt, Kinderchen!
Im vorigen Jahre klopft es eines Abends an meine Thür. Ich öffne und falle zu Boden, mein Mann steht vor mir. Aber in welchem Zustand, guter Gott! er sah wie ein Gerippe aus; abgemagert, gelb, die Augen stier, die Haare voll Eiszapfen, die Füße ganz blutig, seine armen bloßen Füße, mit denen er ich weiß nicht wie viel hundert Meilen auf den abscheulichsten Wegen und im strengsten Winter gemacht hatte. Aber er war so glücklich, sein Weib und sein armes Töchterchen wieder zu haben, daß er bald wieder Muth faßte und wieder gesund wurde und arbeitete und sein gutes Aussehen wieder bekam.
Er erzählte mir, daß ihn Raubgesindel weggeführt hätte, weit weg bis an das Meer, und dann hätten sie ihn an den König von Preußen verkauft, um ihn zum Soldaten zu machen. Drei Jahre hatte er in dem größten Elend gelebt und von Morgen bis Abend Schläge gekriegt. Endlich war es ihm geglückt zu entwischen, zu desertiren, meine guten Kinder! Er hatte sich wie ein Verzweifelter gewehrt gegen die, welche ihn verfolgten, Einen hatte er getödtet, einem Andern hatte er mit einem Stein ein Auge ausgeworfen; dann war er Tag und Nacht marschirt und hatte sich in den Morästen und Wäldern verkrochen wie ein wildes Thier; er war glücklich durch Sachsen und Böhmen gekommen; er war gerettet; ich hatte ihn wieder.
Ach, wir waren so glücklich den ganzen Winter, obgleich wir so arm sind und die Jahreszeit so streng war! Wir hatten nur Eine Angst; nämlich, daß diese Raubvögel wieder in unsere Gegend kommen könnten, die an allem unsern Unglück Schuld waren. Wir hatten vor, nach Wien zu gehen, zur Kaiserin, ihr unser Schicksal zu erzählen, sie um ihren Schutz zu bitten, um einen Dienst für meinen Mann als Gemeiner in der Armee und etwas zu leben für mein Kind und mich; ich wurde aber krank von der großen Gemüthsbewegung, die ich hatte, als ich meinen Karl wiedersah und wir mußten den ganzen Winter und den Sommer in unserm Gebirge bleiben und immer warten, bis ich Kräfte genug hätte, um die Reise vorzunehmen; wir waren auf unserer Hut und getrauten uns kaum zu schlafen.
Endlich war es so weit, ich war wieder rüstig genug, um zu gehen, und die Kleine, die auch elend gewesen war, sollte der Vater auf dem Arme tragen. Aber als wir aus dem Gebirge herauskamen, erwartet uns schon unser Unglück. Wir gingen langsam und ruhig am Rande eines einsamen Weges und gaben gar nicht Acht auf einen Wagen, der seit einer Viertelstunde immer neben uns her den steilen Weg hinauffuhr. Auf einmal hielt der Wagen, und drei Männer sprangen heraus. Er ist es doch? schrie der Eine. Ja! sagte der Andere, der einäugig war, er ist es ganz gewiß. Sassa!
Mein Mann sah sich bei diesen Worten um und sagte zu mir: Ha! es sind die Preußen. Es ist der, dem ich das Auge ausgeschlagen habe. Ich erkenne ihn.
– Lauf, lauf'! rief ich ihm zu, rette dich!
Er fing an zu fliehen, als Einer von diesen schändlichen Menschen sich auf mich warf, mich zu Boden riß und mir und meinem Kinde die Pistole vor den Kopf hielt. Ohne diese teuflische List wär mein Mann davongekommen; denn er konnte besser laufen, als diese Straßenräuber und hatte den Vorsprung. Aber als Karl das Geschrei hörte, das ich ausstieß, sobald ich die Mündung der Pistole an der Stirne meines Kindes sah, kehrte er sich um, und schrie, indem er zu uns zurücklief, sie sollten einhalten. Als der Bösewicht, der seinen Fuß auf mich gesetzt hatte, Karl nahe genug sah, rief er: Ergieb dich, oder ich schieße sie todt. Noch einen Schritt zur Flucht, so ist es vorbei!
– Ich ergebe mich, schrie mein armer Mann, ich komme schon!
Und noch geschwinder kam er zurück, als er hinweggelaufen war, ungeachtet meiner Bitten und der Zeichen, die ich ihm machte, er sollte mich nur sterben lassen. Als ihn diese Unthiere in ihren Klauen hatten, schlugen sie ihn ganz blutig. Ich wollte sie abhalten, sie mißhandelten mich auch. Ich sah ihn binden, ich schrie, ich bettelte. Sie riefen mir zu, daß sie mein Kind todtmachen würden, wenn ich nicht still wäre; sie hatten es mir schon aus den Armen gerissen, da sagte Karl: – Halt's Maul, Weib, ich will es haben; denke an unser Kind!
Ich gehorchte; aber ich mußte mir solche Gewalt thun wie ich meinen Mann schlagen und binden sah und wie die Ungeheuer sagten: »weine du nur! du kriegst ihn nicht wieder, er wird gehangen!«, daß ich für todt auf den Weg hinfiel. Ich weiß nicht, wie lange ich da im Sande gelegen habe. Als ich wieder zu mir kam, war es Nacht! mein armes Kind lag auf mir und wand sich und schrie, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen. Es war nichts auf dem Wege zu sehen als das Blut von meinem Mann und die Spur des Wagens, der ihn weggeschleppt hatte.
Ich blieb noch eine Stunde oder zween liegen und suchte meine Marie still zu machen und zu wärmen, die ganz erstarrt und halbtodt vor Furcht war. Endlich, als ich wieder zu Gedanken kam, überlegte ich, was ich thun sollte; den Räubern nachzulaufen hätte mir doch nichts geholfen. Ich ging nach Wiesenbach, was die nächste Stadt war, und machte bei der Obrigkeit Anzeige von dem Vorfall. Dann wollte ich nach Wien gehen und vor Ihrer Majestät einen Fußfall thun und sie bitten, sie sollte wenigstens machen, daß der König von Preußen meinen Mann nicht hängen ließ. Ihre Majestät konnte ihn doch als ihren Unterthanen zurückfordern, wenn die Werbeofficiere nicht mehr einzuholen wären.
In der Gegend von Passau, wo ich mein Unglück erzählte, haben mir gute Leute etwas Geld geschenkt; damit konnte ich auf einem Karren die Donau erreichen und dann hat mich ein Kahn bis nach Melk mitgenommen. Aber jetzt habe ich nichts mehr. Die Leute, denen ich mein Schicksal erzähle, wollen es nicht glauben, und weil sie mich für eine Lügnerin halten, geben sie mir so wenig, daß ich zu Fuße weiter muß. Ich werde von Glück sagen können, wenn ich in fünf oder sechs Tagen nach Wien komme und nicht unter Weges vor Schwäche sterbe. Denn die Krankheit und die Verzweiflung haben mich ganz ausgesogen. Nun, meine guten Kinder, wenn ihr mir ein kleines Almosen geben könnt, thut es geschwind; ich darf nicht länger ruhen, ich muß noch weiter, und immer weiter, weiter wie der ewige Jude, bis ich Gerechtigkeit finde.
– O gute, arme Frau! rief Consuelo, sie an ihre Brust drückend und vor Mitleid und Freude weinend, habe Sie Muth und hoffe Sie! beruhige Sie sich. Ihr Mann ist gerettet. Er trabt nach Wien auf einem guten Pferde und mit einer wohlgefüllten Börse in der Tasche.
– Was? was? schrie die Frau des Deserteurs, deren Augen roth wie Blut wurden und deren Lippen krampfhaft bebten. Sie wissen von ihm? Sie haben ihn gesehen? Mein Gott! Großer Gott! Gütiger Gott!
– Um Himmels willen! Was machen Sie? sagte Joseph zu Consuelo. Wenn Sie ihr eine falsche Freude erregten, wenn der Deserteur, den wir retten halfen, ein anderer wäre als ihr Mann!
– Er ist es, Joseph! ich sage dir, er ist es. Denk' doch an den Einäugigen, denk' doch an Pistola's Benehmen. Erinnere dich, daß der Deserteur uns sagte, er wäre Familienvater und österreichischer Unterthan. Man kann ja übrigens leicht zur Gewißheit kommen. Wie sieht Ihr Mann aus, liebe Frau?
– Rothe Haare, grünliche Augen, groß gewachsen, fünf Fuß acht Zoll, die Nase ein Bißchen eingedrückt, eine kleine Stirn, ach ein herrlicher Mensch.
– Das trifft zu! sagte Consuelo lächelnd, und was hatte er an?
– Eine alte grüne Jacke, braune Hosen, graue Strümpfe.
– Das trifft auch. Und die Werber, hat Sie die wohl angesehen?
– Was werde ich nicht? Heilige Jungfrau! Ihre schrecklichen Gesichter werden mir ewig nicht aus dem Sinne kommen.
Die arme Frau beschrieb nun den Pistola sehr genau, und ebenso den Einäugigen und den Stummen.
– Es war noch, sagte sie, ein vierter dabei, der bei dem Pferde blieb und sich um nichts kümmerte. Er hatte ein dickes, gleichgültiges Gesicht, das mir noch fürchterlicher vorkam als die anderen; denn während ich schrie und weinte und sie meinen Mann schlugen und ihn mit Stricken banden wie einen Mörder, trällerte dieser immer vor sich hin und trompetete mit seinem Munde: Bum berum, bumberum. Hu, was für ein Herz von Stein!
– Nun, das ist der ganze Meyer, sagte Consuelo zu Joseph. Zweifelst du noch? Hatte er das nicht an sich, immer zu trällern und jeden Augenblick die Trompete zu machen?
– Es ist wahr, sagte Joseph. Also war es wirklich Karl, den wir befreien sahen. Gott sei Dank!
– Ja, Gott sei Dank, dem lieben Gott sei Dank! sagte die arme Frau und fiel auf die Knie. Nun, Mariechen, sagte sie zu ihrer kleinen Tochter, küss' die Erde mit mir, um den heiligen Schutzengeln und der gelobten Jungfrau zu danken. Dein Vater ist wiedergefunden und wir werden ihn bald wiedersehen.
– Saget mir doch, liebe Frau, hob Consuelo wieder an, hat Karl auch die Gewohnheit, so die Erde zu küssen, wenn ihm etwas Freudiges widerfährt!
– Ja, mein Kind, das unterläßt er nie. Als er zurückkam, wie er desertirt war, wollte er nicht ins Hans treten, ehe er nicht die Schwelle geküßt hatte.
– Ist das hier Landessitte?
– Nein, es ist so eine Eigenheit von ihm; er hat es uns gewiesen, und wir sind immer gut dabei gefahren.
– Er ist es also gewiß, den wir gesehen haben, entgegnete Consuelo, denn wir sahen ihn die Erde küssen, als er denen, die ihn befreit hatten, dankte. Du hast es bemerkt, nicht wahr, Beppo?
– Ja wohl. Es ist kein Zweifel mehr möglich, er ist es.
– O kommt, ich muß euch an mein Herz drücken, rief die arme Frau, ihr Engel vom Himmel, die ihr mir eine solche Nachricht bringt. Aber erzählen Sie mir doch, wie alles gekommen ist.
Joseph erzählte es ihr, und nachdem die arme Frau ihrem Jubel und ihrer Erkenntlichkeit gegen ihn und Consuelo, die sie mit Recht als die ersten Retter ihres Mannes ansah, Luft gemacht hatte, fragte sie, was sie nun wohl thun sollte, um ihn wiederzufinden.
– Ich glaube, sagte Consuelo, Ihr werdet gut thun, Euere Reise fortzusetzen. In Wien werdet Ihr ihn finden, wenn Ihr ihn nicht unter Weges antrefft. Gewiß läßt er es seine erste Sorge sein, die Kaiserin von seinem Schicksal in Kenntniß zu setzen und bei der Polizei anzutragen, daß man nach Euch forsche und Euch von seinem Aufenthalt Kenntniß gebe. Vermuthlich wird er auch in allen Städten, durch welche er kommt, sich nach Euch erkundigt haben. Wenn Ihr eher nach Wien kommt als er, so versäumt nicht, bei der Behörde sogleich Anzeige von Eurer Ankunft zu machen, damit Karl gleich benachrichtigt werde, wenn er eintrifft und sich in Wien meldet.
– Aber an wen soll ich mich wenden? Was ist das für eine Behörde? Ich verstehe von allen diesen Dingen nichts. Solch eine große Stadt! Wie soll ich arme Bauerfrau mich zurecht finden?
– Wartet! sagte Joseph, wir wissen auch nicht gerade Bescheid, aber fragt nur den ersten Besten nach der preußischen Gesandtschaft, und da geht hin und erkundigt Euch nach dem Herrn Baron von ...
– Halt, Beppo, nimm dich in Acht! sagte Consuelo leise zu ihm, um ihn zu erinnern, daß man den Baron aus dem Spiele lassen müßte.
– Es ist wahr, aber wie mit dem Grafen Hoditz? antwortete Joseph.
– Der Graf, ja! er wird aus Eitelkeit thun, was der andere aus Menschenliebe thun würde. Erkundigt Euch nur nach der Wohnung der Frau Markgräfin von Bayreuth, und an ihren Gemahl lasset das Billet abgeben, welches ich Euch jetzt zustellen will.
Consuelo riß ein leeres Blatt aus Josephs Notizenbuch und schrieb mit Bleistift in französischer Sprache das Folgende:
»Consuelo Porporina, Prima Donna des Theaters San Samuel in Venedig, Ex-Signor Bertoni, wandernder Musikant zu Passau, empfiehlt dem edeln Herzen des Grafen Hoditz-Roswald die Frau Karls des Deserteurs, den Se. Gnaden aus den Händen der Recrutirer gerissen und mit Wohlthaten überhäuft haben. Die Porporina behält sich vor, dem Herrn Grafen für seine Protection in Gegenwart der Frau Markgräfin ihren Dank abzustatten, wenn der Herr Graf ihr die Ehre erzeigen will, zu verstatten, daß sie in den petits apartements Ihrer Hoheit singe.«
Consuelo machte die Addresse mit Sorgfalt und sah Joseph an; er verstand sie und zog seine Börse. Ohne sich erst mit einander zu berathen und dem gleichen Antriebe folgend, gaben sie der armen Frau die beiden Goldstücke, welche ihnen von Trencks Geschenk noch übrig waren, damit sie zu Wagen nach Wien gelangen könnte; sie brachten sie in das nächste Dorf und halfen ihr dort ein bescheidenes Fuhrwerk miethen. Nachdem sie ihr Essen hatten geben lassen und ihr einige Kleidungsstücke gekauft hatten, wobei der Rest ihrer kleinen Baarschaft darauf ging, nahmen sie von dem glücklichen Geschöpf Abschied, das sie dem Leben wiedergeschenkt hatten.
Consuelo fragte Joseph lachend, was sie zu ihrem Auskommen übrig behalten hätten. Joseph nahm seine Violine, schüttelte sie vor seinem Ohr, und antwortete:
– Nichts als Klang!
Consuelo versuchte ihre Stimme, indem sie einen brillanten Lauf ins freie Feld hinaus schmetterte, und rief:
– Es ist noch viel Klang da!
Dann reichte sie ihrem Gefährten vergnügt die Hand, drückte sie ihm herzlich und sagte:
– Du bist ein guter Junge, Beppo!
– Und du auch! antwortete Joseph, indem er eine Thräne wegwischte und ein lautes Gelächter aufschlug.
Ende des sechsten Theils.
Die Schilderung des unseligen Soldaten- und Werbewesens in Friederichs Zeit hat George Sand einem erbitterten Diener des großen Königs in den Mund gelegt. Indessen ist doch die Lage der Sachen nicht weniger schlimm gewesen, als Trencks obige Schilderung sie darstellt.
Erst noch ein Wort über Trenck. Er wurde 1726 in Königsberg in Preußen geboren und 1744 Adjutant des Königs. Eines geheimen Liebeshandels mit einer hohen Dame erwähnt die Selbstbiographie, welche Trenck (»weil er Geld brauchte« sagt er selbst) zuerst in Wien 1786, dann als vermehrte und verbesserte Auflage in Berlin bei Vieweg 1787 herausgab, und welche er selbst auch ins Französische übersetzte und 1789 in Paris erscheinen ließ; zwar nennt Trenck diese Dame nicht, allein die Andeutungen welche er giebt sind doch so bezeichnend, daß Jedermann damals die Prinzessin Amalie, Friedrichs des Großen Schwester erkennen konnte.
Die Ungnade seines Herrn mag Trenck durch mancherlei Unvorsichtigkeiten verschuldet haben, den Ausschlag gab wohl der Verdacht, daß er mit seinem Vetter, dem Pandurenobersten Franz von der Trenck in geheimem Einverständnis stände. Aus der Festung Glatz, in welcher er gefangen gehalten wurde, entkam er und trat in österreichische Dienste. Er fiel aber wieder in Friedrichs Hände, als er einer Erbschaftsangelegenheit wegen nach Danzig gekommen war und erlitt in Magdeburg die bekannte schwere Gefangenschaft, die immer härter wurde je mehr verwegene und gefährliche Versuche auszubrechen und sogar die Festung in feindliche Gewalt zu liefern er unternahm.
In welchen Farben der schwer mißhandelte und leidenschaftliche Mann zu der Zeit, als er sein Leben beschrieb, die Regierungsweise und den Character Friedrichs schildern mußte, läßt sich denken, und wenn George Sand von der Erbitterung, die Trenck's ganzes Wesen damals erfüllte, schon in Jener früheren Epoche, wo er noch als Friedrichs Adjutant auftritt, die ersten Keime durchblicken läßt, so ist auch dies nicht gegen die historische und psychologische Wahrscheinlichkeit.
Indessen brauchte der erbittertste Feind des großen Königs nichts zu übertreiben, um in dessen Heerwesen und in vielem Anderen was Friedrich einrichtete oder beibehielt, grausame Härte, Unmenschlichkeit, Despotismus nachzuweisen: es genügte, ein getreues Bild des Wirklichen zu geben. Um Friedrich den II. in dieser Hinsicht gerecht zu beurtheilen, muß man die Zeit in der er lebte bedenken und die damaligen Verhältnisse nicht mit dem Maßstabe heutiger Anfoderungen messen.
Ich kann mich nicht enthalten, hier folgende Stelle aus Thiebaulds »Erinnerungen« ( Mes souvenirs &c. &c. Paris 1804. Th. 1 S. 307 f.) anzuführen: »Wird man ihn hart und grausam nennen wollen, diesen König, der nur den Grundsätzen der Festigkeit und Standhaftigkeit treu war, welche er sich hatte vorzeichnen müssen? Wer hat jemals mehr als er die Härte der Gesetze zu mildern gesucht? Er strafte nur mit unbeugsamer Strenge wenn er es für unerläßlich hielt, um die militairische Disciplin, die Treue in der Finanz-Verwaltung und die Discretion in politischen Verhältnissen aufrecht zu erhalten. Von diesen drei Punkten abgesehen, in denen er sich auch noch manchmal nachsichtig erwies, hat gewiß kein Souverain jemals weniger Härte gezeigt als er. Er schien gern alles zu verzeihen, sofern nur die öffentliche Ordnung dabei nicht litt.«
Man kann aber die Roheit der damaligen Zustände, wie weit man davon entfernt sei, sie dem Könige zur Last zu legen, nicht ohne Mitleid und Abscheu betrachten. Nirgend trat die Barbarei der Zeit crasser hervor als in dem Militairwesen. Sie offenbart sich nicht allein in der Heeresverfassung selbst, in dem Prügelregiment, in der Sittenlosigkeit und den Leiden des gemeinen Soldaten, in der Grausamkeit und Gewaltthätigkeit der Recrutirungen, sondern ebenso sehr in dem Drucke, welchen die Kriegseinrichtungen auf das bürgerliche Leben übten. Man darf nur des einen Umstandes erwähnen, daß die Cavalleriepferde, laut Cabinets-Ordre vom 15. Feb. 1763 jährlich vom 1. Juni bis 16. September zur Grasung auf die Wiesen der Dorfgemeinden vertheilt wurden, denen nicht nur dies, sondern auch die Futter- und Kornlieferungen und die häufigen Leistungen von Vorspann nicht blos zu Kriegesfuhren sondern auch zu Dienstreisen der Civilbeamten, eine kaum erschwingliche Last verursachten.
Daß man sehe, wie Trenck's Darstellung oben im Texte kaum irgend eine Uebertreibung enthält, setze ich einige Notizen aus der »Statistischen Uebersicht« hierher, welche von Preuß im 4. Bande seines Werks Friedrich der Große (Berl. 1834) geliefert hat.
»Wie die Kompagniewirthschaft, so veranlaßte auch das Kantonwesen, bei dem weiten Spielraume für die Willkür, grobe Mißbräuche, welche die Sittlichkeit der Officiere untergruben und das Volk bedrückten.«
»Nach dem damaligen Zeitgeiste war der Kriegsdienst für den gemeinen Mann keine Ehrensache. Fremdlinge, der Auswurf vom Inlande und die armen Klassen vorzugsweise wurden zum Waffenhandwerk unter Führung der adligen Officiere herangezogen.«
»Schon 1693 gestattete man den Behörden, das unnütze Gesinde vornehmlich der Miliz anzuweisen, und so ist es gewesen unter Friedrich II. und bis auf die letzte Kantonausnahme vor 1806.«
»Die Werbung im Auslande, welche Friedrich Wilhelm I. 1718 zunächst der großen Leute wegen einführte, war an sich schon ein großer Uebelstand, aber zu dem gesetzlichen Uebelstande gesellten sich außerordentliche Mißbräuche. Die Werbeofficiere entführten, um Geld zu ersparen u. s. w. die Menschen mit Gewalt, so daß alle Fürsten schrien. Unter Friedrich Wilhelm I sind blos von 1713 bis 1735 zwölf Millionen Thaler an Werbegeldern in die Fremde gegangen; unter Friedrich dem Großen gewiß einige zwanzig Millionen.«
»In der Armee sollte Furcht vor zum Theil grausamen Strafen die frechen Uebelthäter bändigen. Das führte den Officier zu schauderhafter Roheit, den sittenlosen Soldaten zu der schlauesten Verschmitztheit. Beides mußte auf die besseren Landeskinder einen sehr übeln Eindruck machen und konnte selbst für die übrige Masse des Volks nicht ohne nachtheilige Folgen bleiben. Feinfühlendere Seelen wurden durch die gehäuften Spießruten, Stockprügel und andere Züchtigungen im tiefsten Innern verwundet.«
»Die Bewachung des unsicheren Volks machte Unterofficieren und Officieren in der Garnison und im Felde eine große Plage und der König eröffnet die militairische Instruction für seine Generale mit vierzehn Regeln zur Verhütung der Desertion als mit einem wesentlichen Theile ihrer Pflichten; denn, sagt er, unsere Regimenter sind halb aus Inländern halb aus Fremdlingen zusammengesetzt, welche für Geld angeworben sind, › les derniers n'ayant rien qui les attache, n'attendant que la première occasion pour s'en aller.‹ Sie liefen im Unglück der Armee, oder um neues Handgeld zu gewinnen, in lichten Scharen davon. Wie verhaßt den Inländern der Soldatendienst gewesen, bezeugen am treuesten die Kön. Verordnungen, z. B. wegen Citation der Deserteurs und ausgetretenen Landeskinder, wie auch der Confiscation ihres Vermögens; die Verordnung gegen die (schon den Römern bekannte) Verstümmlung des Daumens, um sich von dem verhaßten Dienste loszumachen. Andere glaubten sich zu erlösen, indem sie sich für Schinder und Scharfrichterknechte ausgaben: aber auch diese erdichtete Infamie schützte nicht vor der Aufnahme in die Freicorps.«
»Auf die Eingabe Du Moulins zum Besten eines armen Füsiliers, der sich › aus größter Melancholie‹ zwei Finger abgehauen, und nun noch 24mal Spießruten laufen und zwei Jahr Festungsarbeit erdulden sollte, während sein alter 80jähriger Vater für ihn um Gnade bat und einen andern Sohn, einen schönen Kerl von eben seiner Größe stellen wollte, schrieb Friedrich eigenhändig (in französ. Sprache): ›Welche Schwachheit, lieber Du Moulin. Die Gesetze müssen vollzogen werden. Bei solchen Gelegenheiten ist es gerade nothwendig, Exempel zu statuiren. Seid nicht weichherzig und verfahrt mit Strenge u. s. w.‹ Es ist übrigens zu bemerken, daß die Dienstzeit (die oben im Texte hyperbolisch als eine lebenslängliche bezeichnet wird) zwanzig Jahre dauerte.«
Ich finde im Brockhausschen Conversationslexikon Folgendes: »Graf Hoditz vermählte sich im J. 1734 mit der verwitweten Markgräfin von Bayreuth, die sich aber sehr bald wieder von ihm trennte.« Woher die letztere Notiz genommen ist, weiß ich nicht. Thiebauld, welcher versichert alles was er über Hoditz erzählt, aus genauer Bekanntschaft und größtentheils aus des Grafen eigenem Munde zu wissen, sagt in seinen Souvenirs Es ist von Thiebaulds Souvenirs auch eine deutsche Uebersetzung (oder Bearbeitung?) erschienen (Friedrich der Große, seine Familie, seine Freunde und sein Hof. 2 Bde. Leipz. 1828) die ich aber nicht angesehen habe; ich benutze das franz. Original. (Th. 1 S. 220 ff.): »Der Graf hatte für seine Gemahlin stets eine sehr zärtliche Anhänglichkeit. Ob nun aus Liebe oder aus Erkenntlichkeit, er war, so lange sie lebte, das Muster eines guten Ehemannes; sein Ehrgeiz war, es die Markgräfin nie bereuen zu lassen, daß sie ihn geheiratet hatte, und als er sie verlor, ließ er ihr in demjenigen Theile seiner Gärten zu Roswald, welcher ›die Elyseischen Felder‹ genannt wurde, ein Mausoleum im antiken Style errichten, das er unausgesetzt jeden Samstag Abends mit seinem ganzen Hause besuchte, um ihr Andenken zu feiern und Hymnen die er zu ihrem Gedächtniß componirt hatte, singen zu lassen.«
George Sand hat also das Verhältniß des Grafen zu seiner Gemahlin der Geschichte vollkommen treu geschildert. Auch scheint Thiebaulds Erzählung die Quelle zu sein, obwohl dieser Schriftsteller es bestreitet, daß der Graf jenes geckenhafte Wesen gehabt habe, welches ihm schon von seinen Zeitgenossen häufig vorgeworfen wurde: indessen ergiebt sich aus Thiebaulds eigener Schilderung doch ungefähr ein solcher Character, wie ihn George Sand zeichnet, der sich nur (im letzten Theile des Consuelo, wo Hoditz wieder auftritt) in chronologischer Hinsicht einige Freiheiten genommen hat. Die Lebensgeschichte des Grafen ist kürzlich folgende:
Albert Joseph der einzige Sohn eines reichen Mährischen Gutsbesitzers wurde den 16. Mai 1706 geboren. Er zeigte von früher Jugend einen lebhaften Geist, viel Keckheit und unternehmenden Sinn. Weil er im Hause zu übermüthig war, that ihn der Vater in Pension; auch aus dieser wurde er wegen ausgelassener Streiche wieder entfernt. Später schickte ihn der Vater, um ihn los zu sein, auf Reisen. In Wien wurde der junge Graf Kämmerer am Hofe Carls VI. Da er sich ein besonderes Vergnügen daraus machte, wenn er auf der Straße fuhr, andere Kutschen auszufahren, so begegnete es ihm eines Tages, daß er einen Wagen in welchem sein eigener Vater saß, der unerwartet nach Wien gekommen war, umwarf. Dies wollte ihm der Vater nicht verzeihen und blieb unerbittlich bei dem Vorsatz, ihn nie wieder zu sehen.
Nachdem der junge Graf die Markgräfin geheiratet hatte, die ihn aus dem Verderben riß, denn er hatte sein Muttergut gänzlich durchgebracht, machte er einen Plan, seines Vaters Verzeihung mit Gewalt zu erobern. Er reiste mit der Markgräfin nach Mähren; der ganze Hofstaat der Prinzessin, Wagen, Pferde, Bediente, Garben, Jäger, Hunde, Köche und Küchenwagen, alles wurde mitgenommen. Wegen des vielen Gepäckes und um die Frau Markgräfin nicht anzustrengen, konnte man nur sehr langsam fortkommen.
Der alte Graf Hoditz erhielt daher Kunde von der ihm zugedachten Ueberraschung und verschanzte sich förmlich auf seinem Gute Roswald. Er bat sogar seine Nachbaren mehre Meilen in der Runde, ihm ihre Leute als Hülfstruppen zu schicken und stellte Vedetten aus, um von der Annäherung der feindlichen Macht zeitig Nachricht zu erhalten.
Der junge Graf ließ aber alle Leute, denen er in der Nähe von Roswald begegnete, durch die Leibhusaren seiner Gemahlin aufgreifen und machte die Hälfte der Dienerschaft seines Vaters auf diese Weise zu Gefangenen. Das väterliche Schloß fand er so wohl verschlossen, daß er es hätte stürmen müssen. Da erinnerte er sich einer alten Thür die aufs Feld hinausführte und ganz mit Dornen und Nesseln überwuchert war. Durch diese drang er glücklich ein und nahm von den Gärten, Höfen und dem Erdgeschoß Besitz, während sein alter Vater, den das Podagra sehr plagte, sich im ersten Stock in sein Zimmer zurückzog, welches er verschließen und mit Wachen besetzen ließ.
Zwei Monate hauste der Sohn als Sieger auf dem Schlosse des Vaters, ohne daß dieser sich erweichen ließ, und sann zuletzt auf eine neue List. Er veranstaltete eine große Jagd und verließ mit seinem ganzen Gefolge das Schloß. Diesen Augenblick wollte der Vater benutzen, um der Frau Markgräfin seine respektvolle Aufwartung zu machen. Kaum hatte er sich in deren Zimmer tragen lassen, als man den Hufschlag eines Pferdes vom Hofe hörte. Der alte Graf vermuthete sogleich, daß sein Sohn zurückkäme, um ihn zu überrumpeln und entfloh eilig auf seinen eigenen Beinen, ohne an seine Fußgicht und seinen Tragsessel zu denken.
Als er eben sein Zimmer erreicht hatte, brachte man ihm ein Billet des Sohnes, worin dieser ihm Lebewohl sagte, denn er würde nun abreisen, und, wenn auch nicht die Verzeihung und Huld seines theuern Vaters, so nehme er doch den süßen Trost mit hinweg, ihn vom Podagra kurirt zu haben. Dieser Einfall zwang dem Alten ein so herzliches Gelächter ab, daß er sich entwaffnet fand, seinem Sohn verzieh und von dieser Zeit an bis an seinen Tod im besten Vernehme mit ihm blieb.
Von der Umgestaltung Roswalds welche Graf Hoditz nach seines Vaters Tode mit einem Aufwand, wie Guibert sagt, von drei Millionen Gulden vornahm, von seiner Kapelle, von seinen Festen soll hier nichts weiter gesagt werden, da in unserer Consuelo genug davon erzählt wird. Als nach dem Tode der Markgräfin seine Mittel erschöpft waren, zwang der Graf den Bischof von Olmütz (an dessen Domcapitel Roswald fiel, im Fall der Graf Hoditz ohne Erben stürbe) durch die Drohung sich wieder zu verheirathen, wenn man ihm nicht aus der Verlegenheit hülfe, zu wiederholten Malen ihm zwanzig bis dreißig tausend Gulden auszuzahlen.
Endlich lud ihn Friedrich der Große, der ihn zweimal auf Roswald besucht hatte, (das einemal incognito während des siebenjährigen Krieges und das anderemal mit seiner Suite nach dem Hubertsburger Frieden bei Gelegenheit einer Revüe in Schlesien) nach Potsdam ein, und ließ ihm, weil der fast fünfundsiebzigjährige Greis am Blasenstein litt und die Reise im Wagen scheute, ein eigenes Schiff in Form einer Fregatte bauen, auf welchem der Graf auf der Oder, dem Finowkanal und der Havel nach der Residenz des Königs gelangte. Er starb in Potsdam einige Jahre nach seiner Ankunft in einem Alter von fast achtzig Jahren.
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