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12.
Die Volkssänger


Wir haben dich, freundlicher Leser, bisher mit dem speisenden, rauchenden, bummelnden, liebenden und duldenden Wien bekannt gemacht; es bleibt uns nunmehr übrig dir auch das singende Wien vorzuführen.

Es ist eine bekannte Wahrnehmung, daß in dem Maße, als man in unserem Erdtheile von Norden nach Süden fortschreitet, der Volksgesang an Ausbreitung, Melodie und rhythmischem Reichthum zunimmt. Nur der tiefe Süden, Griechenland, die Türkei und die Südslaven nähern sich wieder in auffälliger Weise dem Norden. Hier wie dort sind die Rhythmen monoton, die Töne langgehalten und die Melodien schwermüthig und ohne markirende Cadenzen. Die Heimath des eigentlichen Volksgesanges dagegen sind Spanien, das einst so lustige Frankreich, Süddeutschland, Deutschösterreich mit Böhmen und vor allem das ewig singende Italien. Ueber den Volksgesang als Gesang des Volkes ist schon soviel gesagt und geschrieben worden, daß es Schade wäre um jede Zeile mehr. Wir wenden uns daher zum Volksgesang als dem Gesang für's Volk, zu den Wiener Volkssängern.

Geht man (schon wieder müßten wir eigentlich sagen »ging man«) durch eines der vielen Stadtthore, so gewahrt man riesige Anschlagzettel, deren wir schon früher erwähnten, mit fußlangen Lettern. Schon von Weitem fallen die Namen J. B. Moser, Kampf, Fürst ect. in's Auge. Alle führen den Titel Volkssänger und kündigen auf »Heute« oder »Morgen« ihre Produktionen in diesem oder jenem Gasthausgarten an. Heute z. B. spielt »der Moser« beim Zeisig. Gehen wir also dahin, denn der Moser ist, wie bekannt, das Haupt der Wiener Wirthshausrhapsoden.

Nachdem wir das exorbitante Entree von 30 Neukreuzern = 6 Groschen erlegt haben, treten wir in den geräumigen, von Gaslaternen erleuchteten Garten. Noch hat das Konzert, wenn wir die Produktionen so nennen dürfen, nicht begonnen, und schon sind die Tische besetzt von Männlein und Weiblein in bunter Reihe. Die Kellner schießen mit Speisen und Getränken hin und her; die Messer und Gabeln klappern, in mächtigen Halbengläsern schäumt der Gerstensaft, in den »Stutzen« funkelt der weiße und rothe Wein; alles ist guter Dinge und harret geduldig des Anfangs. Die Versammlung ist heute besonders zahlreich, denn der Moser hat eine neue Konversation angekündigt.

Auf einer Estrade gewahren wir ein Piano, davor ein kleines, weißüberdecktes Tischchen mit zwei Kerzen. Ein junger Mann steigt auf das Podium, öffnet das Klavier, schlägt ein Paar Akkorde an und setzt sich dann vor sein Instrument. Das Publikum wird aufmerksam. Der Klavierspieler greift einige volle Akkorde als Introduktion, drei Männer, anständig gekleidet, jeder ein Notenheft in der Hand, klettern auf die Estrade. Der vordere, ausgezeichnet durch eine mächtige Glatze und eine sogenannte Radbrille hat ein unendlich gemüthliches Gesicht. Man glaubt Mr. Pickwick vor sich zu sehen. Es ist Herr J. B. Moser, der Doyen der Wiener Volkssänger, eine der prägnantesten Gestalten des guten, alten Wien.

Das Terzett trägt ein Lied vor über das Thema: Wo man singt, da laß dich ruhig nieder; böse Menschen etc. Die Stimmen sind weder gut noch schlecht. Dagegen ist der Vortrag anregend und die Textaussprache deutlich. Die Sänger verbeugen sich am Schlusse und verlassen, ohne durch Applaus inkomodirt zu werden, die Tribüne. Den Zwischenakt füllt ein von Niemand beachtetes Klavierstück aus.

Nach einer Pause erscheint Moser wieder auf dem Podium. Diesmal trägt er ein Sololied vor. Der Text seiner Lieder ist Original, zuweilen auch die Melodie. Der Titel des Liedes lautet ungefähr: »Was i gern wissen möcht.«

Moser singt eine Art Mezzo Tenor. Die Stimme hat etwas Näselndes, wodurch der Vortrag an Komik gewinnt. Unerschütterlicher Ernst ruht auf dem vollen gutmüthigen Antlitz, während seinem Munde die drolligsten Einfälle entsprudeln. Das Lied ist ein Kouplet mit Endreimen, die sich gedruckt haarsträubend ausnehmen würden. Im Munde des Volkssängers haben sie aber alle Härte verloren. Da reimt sich ein auf kann, Holz auf Salz, weich auf sage, bohrt auf gut u. s. w. Seine Verse sind Kinder eines weltversöhnenden Humors. Da gibt es keine Kaustik, keine bittere Ironie, und doch sind sie voll Anspielungen auf die laufenden Verhältnisse und ziehen jedes hervorstechendere Ereigniß aus dem politischen und sozialen Leben der Hauptstadt in ihren Bereich. So stellte zur Zeit der Finanzklemme vor der glorreichen Schlacht von Bronzell Moser in dem genannten Liede einmal die naseweise Frage: »ob wol die Kinder Israels nicht schneller 'gangen wären, wenn sie Moses statt durch's rothe Meer durch's kaiserlich königliche Münzamt geführt hätte?«

In einem anderen Liede »Der ganze Papa« zeigt er dem Wiener Philister sein lachendes Spiegelbild. Das Kouplet von den »verbotenen Früchten« erregte ein volles Jahr hindurch ungemessenen Beifall, besonders die Stelle, wo die Lust nach verbotener Frucht den Gemahl des »Weiberl's, das kein Unthäterl am Leibe hat« zur Köchin in den Stall lockt. Besagte Köchin ist nach Moser:

»Von hinten wie a' Butten,
»Von vorn wie a' Bret,
»Daß jeder, der's anschaut,
»Glei' sagt: I mag's net.«

Der genäschige Ehemann aber

»Bitt's, daß's net schreit,
wenn er's umiarmeln thut:
Denn Früchte, die verboten sind,
die schmecken halt so guat, so guat.«

Es versteht sich, daß der Hauptreiz dieser Lieder im Vortrage liegt. Um sie verstehen und würdigen zu können, muß man Nationalwiener sein oder sehr lange in der Residenz gelebt haben, und selbst dann geht dem Nichtwiener noch mancher jener undefinirbaren Accente, jener drolligen Wörterkombinationen verloren, die stellenweise Lacheruptionen bei den Zuhörern hervorrufen. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug Moser's besteht darin, daß er zwar manchmal ein bischen lasciv, aber niemals gemein wird. Dabei versteht er es, seine Vorträge nach dem Publikum einzurichten. In seinen Liedern paart sich stets der gesunde Menschenverstand mit dem Humore, und mehr als ein Moser'sches Lied enthält größere Lebensweisheit als manche lange Abhandlung.

Die wichtigste Person der Moser'schen Gesellschaft ist nächst ihrem Haupte der Komiker und Bassist. Früher besaß Moser eines der urwüchsigsten Originale in diesem Fache, den viel zu früh für das lachlustige Wien der Tod von seinem Posten abrief. In den »Konservationen« fällt dem Bassisten die Rolle des mit Mutterwitz begabten Hausknechts ect. zu, während der Tenorist die sentimentale »Trottel« Tölpel, eigentlich Cretin. repräsentirt.

Die Einzelvorträge entsprechen dem durch die drei Sangesbrüder vertretenen Charakter. Süßholzraspelei ist die Sphäre des Tenoristen. Er singt: »Ob sie wol kommen wird?« von Saphir und Suppé, »Mädele ruck'« von Kücken, »der arme Honvéd u. s. w. Als ein Glück ist es anzusehen, daß er sich niemals bis zur Lindpaitner'schen »Fahnenwacht« oder den »Schwalben, die heimwärts ziehen« versteigt. Dagegen fehlt das »Volkslied aus Thüringen« natürlich nicht und dient somit zum Beweise, daß Wien noch zu Deutschland gehört.

Während der Tenor gewöhnlich nur einen succès d'estime davon trägt, erobert sich der Bassist die Herzen der Zuhörer im Sturme. Am drolligsten sind seine Parlandolieder, wie »So haben Sie doch nur Geduld« u. A. Ich erinnere mich, ein Lied mit angehört zu haben, wo der Sänger mit dem Nießreiz zu kämpfen hat. Die Grimassen, die der Mann machte, waren über alle Beschreibung komisch, besonders bei der Stelle: »Silistria am dreizehnten Marzi.« Fünf volle Minuten brauchte er, um sich durch die Zischlaute durchzuarbeiten. Bei jedem derselben führte er dem Publikum alle Stadien des Nießens vor, vom ersten Zucken um die Nasenflügel bis zum donnernden »Ahzi!« Das Lied machte Furore und blieb mindestens zwei Jahre auf dem Repertoire.

Die Krone eines Abends »beim Moser« sind, wie schon gesagt, die »Konversationen,« d. h. Scenen aus dem Wiener Volksleben, die an drastischer Gewalt ihres Gleichen suchen. Jede führt ihren bestimmten Titel. Da gibt es eine Konversation im Schwarzenberggarten, eine beim Hausmeister, im Augarten, vor der Kellerthüre u. s. w., Alle strotzen von Humor. Die Scenerie ist stets dieselbe: das Tischchen auf der Estrade. Nur das Kostüm richtet sich nach dem darzustellenden Charakter.

Es wäre vergebliche Mühe, wollte ich dem Leser eine Reproduktion dieser Scenen vorführen. Der Hauptreiz läßt eben sich nicht durch Worte fixiren; er besteht in dem Dialekt, dem Mienenspiel und unzähligen kleinen Nuancen. Dennoch wollen wir versuchen, einige der Hauptmomente aus einer älteren dieser Konversationen, der im Schwarzenberggarten, hervorzuheben.

Moser besteigt im Kostüm eines ehrsamen Bürgers und Hausbesitzers en miniature die Estrade. In der Hand hält er ein Buch. Er spricht sich darüber aus, daß er neulich durch langweilige Gesellschaft von seinem gewöhnlichen Leseplätzchen am Wasserglacis verscheucht worden sei. Hier im Schwarzenberg hoffe er ruhig lesen zu können. Er läßt sich auf eine Bank nieder und schlägt sein Buch auf.

Der zweite Akteur, der Tenorist, erscheint nun. Er repräsentirt einen stellesuchenden Seifensieder und hat gleichfalls ein Buch unter dem Arme. Bei seinem Anblick macht der Hausbesitzer eine ärgerliche Bewegung. Er hat seinen Peiniger vom Wasserglacis erkannt. Dieser zeigt sich dagegen sehr erfreut, den Herrn hier zu finden, mit dem er sich neulich so gut unterhalten habe. Er hofft nur, daß der andere langweilige Mensch nicht auch komme, der so viel »dalketes Zeug daher rede.« Während die Beiden ihre Bemerkungen über fade Gesellschaft an öffentlichen Orten austauschen und der bebrillte Hausbesitzer dem andern etwas anzüglich zu verstehen gibt, das »dalkete Reden« habe nicht allein auf den Abwesenden Bezug, erscheint der Besprochene selbst.

Der Bassist spielt einen vazirenden Hausknecht. Versunken in seine Lektüre bemerkt er die beiden Anderen nicht. Er liest laut vor sich hin und begleitet die Verse mit Randbemerkungen:

» Vom Weib verlang' ich schweigenden Gehorsam!« repetirt er emphatisch. – »Ja, gleich!« setzt er im breiten Wiener Dialekt hinzu. – »Nein, ist das ein Hirn, der Perzifal! – Und was er von dem armen Weiberl' Alles verlangt! So eine Behandlung läßt sich ja kein »Kucheltrabant« Küchenmädchen.gefallen, geschweige denn ein eh'lich angetrautes Weib! Na, wollen einmal sehen, was er noch weiter für Schmerzen hat, der Perzifal!«

Hier wird er durch den Seifensieder unterbrochen. Man ist erstaunt, sich im Schwarzenberg wiederzufinden, und es entspinnt sich eine Konversation über Lektüre.

»Sagen's einmal, lieber Freund,« sagt der Hausherr, »was lesen's denn da eigentlich für ein Buch?«

»Na, die Grisseldis!«

»Die Grisseldis? Die Griseldis wollen's wol sagen?«

»Bei mir steht Grisseldis,« versetzt der Hausknecht.

»Aber, erlauben's,« fällt der Seifensieder ein, »sehen's denn nicht, daß da alles auf die Aussprache ankommt? Schauen's, in meinem Buch sind auch so kuriose Namen, die ich nicht herausbringen kann. Aber das thut nichts, ich überhupfe sie.«

»Ei!« meint der Hausherr, das muß ja ein sehr merkwürdiges Buch sein. Wie heißt denn der Titel?«

»Die Ahnfrau,« erwidert der Seifensieder. »I sag' Ihnen, das ist ein wunderschönes Stuck.«

»Na hören's,« sagt der Hausherr, »ich glaube, Sie thäten auch bester, wenn Sie keine so hochgeschriebenen Bücher läsen. Da wüßt' ich für Sie schon eine andere Lektüre.«

»Freilich,« ruft der Hausknecht, »Speisezetteln, Traumbücheln und dergleichen.«

Es entspinnt sich nun eine unangenehme Differenz zwischen dem Seifensieder und dem Hausknecht. Der alte Herr hat seine Noth, die Erzürnten auseinanderzuhalten und wieder zu beruhigen. Man kommt endlich überein, den Streit fallen zu lassen; jeder soll sich in eine Ecke setzen und ruhig lesen.

Die Stille ist jedoch nicht von Dauer. Nach wenig Augenblicken fängt der Hausknecht wieder an Bemerkungen zu seiner Lektüre vor sich hinzubrummen. Dem Seifensieder ist es auch mehr um's Plaudern, als um's Lesen zu thun, und so entwickelt sich bald zwischen Beiden ein mit Rücksicht auf den alten Herrn anfangs halblaut geführtes Gespräch.

Diesmal ist es der Hamlet, von dessen Handlung der Hausknecht seinem Zuhörer eine gedrängte Uebersicht zu geben sucht. Der alte Herr legt sein Buch zur Seite und lauscht der geistreichen Unterhaltung. Als aber der Erzähler das Exposé mit den Worten schließt: »Nun war der todte König todt,« hält er es nicht mehr aus

»Aber Mandel,« Männchen. ruft er, »wie kann man nur gar so dumm daher reden! Der todte König war todt! Das ist ja heller Unsinn!«

»War vielleicht der lebendige König todt, Sie Gargescheidter?« versetzt der Hausknecht im Gefühle seines guten Rechts.

Der Seifensieder nimmt für den Hausknecht Partei. Er ist überzeugt, daß nur der todte König todt sein kann, und wundert sich, daß ein so kluger Mann an der Wahrheit dieses Satzes zweifeln will.

Fünf Minuten dauert der Zank über den lebendigen oder todten König, bis der Seifensieder, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, von der Oper zu reden anfängt.

»Hören's mir auf, mit Ihrer Oper,« ruft der Hausknecht, »das ist ja alles Lüge und dummes Zeug.«

»Wie so denn?« fragt der Hausknecht. »Was haben Sie denn gegen die Opern einzuwenden?«

»Da hab' ich vorigen Winter drinn beim Kärnthnerthor die Nurma gesehen ...«

»Norma,« korrigirt der Hausherr.

»Norma, Nurma, das ist alles eins,« fährt der unerschütterliche Hausknecht fort, »und in dieser Nurma kommen Geschichten vor, ich sag's Ihnen, daß man sich nur schämen muß.«

»Aber wie so denn?« fragt der Seifensieder, »die Norma ist ja sehr ein moralisches Stuck.«

»Gehen's, lassen's Ihnen nit auslachen mit Ihrem moralischen Stuck! Ich frag Ihnen, ist das vielleicht eine Moral, daß die Nurma zwei Kinder mit auf's Theater bringt?«

»Na,« versetzt der Hausherr, »das kann ich aber wahrhaftig nit einsehen, was dabei unmoralisch sein soll. Es sind ja die Kinder der Norma und des römischen Feldherrn Sever.«

»So,« fragt langgedehnt der Hausknecht. »Nun sein's aber so gut und sagen's mir einmal, wer ist denn eigentlich diese Frau von Nurma?«

»Frau von Norma?« ruft der Hausherr lachend. »Was Ihnen da wieder einfällt! Die Norma ist gar keine Frau von. Sie war eine Jungfrau, eine Oberpriesterin im heiligen Haine, die als solche gar nicht heirathen durfte.«

»Gefangen, gefangen!« ruft triumphirend der Hausknecht. »Wenn die Nurma eine Jungfrau war und nicht heirathen durfte, – wie ist sie denn nachher zu den Kindern gekommen, he? Soll das vielleicht moralisch sein?«

»Aber, lieber Freund,« sagt der Hausherr belehrend. »Sehen Sie denn nicht ein, daß die Norma dabei ganz unschuldig ist. Der Sever hat ihr versprochen, er nimmt sie mit nach Rom und macht sie zu seiner Gemahlin. Nun hält er aber nicht Wort, weil er die Adalgisa liebt, und da gesteht die Norma in Verzweiflung alles, wird zum Feuertod verurtheilt und ...«

»Halten's hier einmal ein bissel ein,« ruft der Hausknecht. »Die Geschichte mit dem Feuertod glaub ich nicht; das ist unmöglich ...« –

»Aber wie so denn?«

»Weil,« fährt jener mit apodiktischer Gewißheit fort, »weil's gar nicht auszuführen ist. Wenn man alle Jungfrauen hier in Wien verbrennen wollte, die mit ein Paar Kindern herumlaufen, so könnten's nur gleich die ganzen Holzgestätten anzünden, und das ist doch rein unmöglich, so lang die Klafter 24 Gulden kostet!«

Ein schallendes Gelächter belohnt das Argument des skeptischen Hausknechts. – Volle drei Viertelstunden spinnt sich die Konversation, von der wir nur eine schwache Probe gegeben haben, in diesem Tone fort.

Sie schließt, wie alle Moser'schen Konversationen, mit einer gesungenen Moral. Diesmal wird dem geehrten Publikum der beachtenswerthe Rath ertheilt, es möge doch Jeder nur Das lesen, was er auch zu verstehen im Stande ist.

Nach der Scene folgen wieder Einzelvorträge Duette und Terzette, sentimentalen und humoristischen Inhalts. Nur in wenigen Fällen trägt Moser an einem Abende zwei Konversationen vor. Kurz nach 11 Uhr, zuweilen auch etwas später, schließen die Vorträge. Die Künstler ziehen sich dann in ein Seitenzimmer zurück, um sich durch ein substantielles Abendbrot von des Tages Last zu erholen, das Publikum trinkt langsam aus, zahlt und verläuft sich nach und nach.

Einen Grad unter der Moser'schen steht die Kampf'sche Gesellschaft. Hier ist es das Haupt, welches in der Darstellung böhmischer Typen ausgezeichnet ist. Die Produktionen sind im Genre der Moser'schen, nur etwas derber und dem Geschmacke des Publikums angemessen. Wie zahlreich die Volkssänger in Wien vorhanden sind, möge man aus folgender Notiz ersehen:

Dienstag, den ... »Goldene Glocke,« Neubau: J. B. Moser. – »Rother Stern,« Leopoldstadt; Altenburger, Rieder und Weidinger. – »Löwe,« Alservorstadt: Kampf. – »Engländer,« Währingergasse: Fürst (auch ein Original). – »Schwarzer Bock,« Josephstadt: A. Stöckel. – »Sieben Schwaben,« Neubau: Deckmeier. – »Sperl,« Leopoldstadt: J. Weiß. »Kleines Elisium,« Maria Hilf: Gebrüder Schütz (sammt Frauen). – »Hirsch,« Gumpendorf: Katzenberger und Frau etc.

Rechnet man hierzu noch die Barry'sche Liederspielhalle, ein halbes Dutzend Theater und acht bis zwölf Gartenkonzerte, so wird man zugeben müssen, daß der Wiener höchstens wegen embarras de richesse in Verlegenheit kommen kann, wo und wie er sein Geld auf angenehme Weise loswird.

Die niederste Sphäre des Volkssängerthums bilden die Praterharfenisten. Hier findet sich noch die Harfe (»d'Harpfen« sagt der Wiener) als Akkompagnement, wogegen bei den höheren Schichten das Klavier figurirt. Ueberhaupt ist das Volkssängerthum nur als veredeltes Pfropfeis des Harfenistenwesens anzusehen. Von dem, was dort in Lied und Wort geboten wird, müssen wir schweigen. Dem wißbegierigen Leser genüge die Bemerkung, daß es bei den Praterharfenisten wie im Wallenstein'schen Lager heißt: »Was nicht verboten ist, das ist erlaubt.« Da nun Letzteres ein weiter Begriff ist, so läßt sich denken, wieviel aristophanische Freiheiten man hineinlegen kann, ehe man an jene Grenze gelangt, wo der Volksgesang aufhört und die Amtsthätigkeit der Sittenpolizei beginnt. Immerhin sind auch die Praterharfenisten nicht ohne Interesse für das Kulturleben der Residenz, nur möchten wir dem Ethnographen rathen, sich mit über alle Zimperlichkeit erhabenen Nerven zu versehen, ehe er an die Estrade herantritt, auf der ein Individuum mit einer Krücke in Gesellschaft zweier anderer Brüder in Apollo sein Wesen treibt.

 


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