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Malereien

Die h. Familie. Florenz, Uffizien.

Angelo Doni bestellte das Gemälde bei MA während dessen Aufenthaltes in Florenz in den Jahren 1501–1505, nach dem ersten römischen Aufenthalt. Wir besitzen Bildnisse Angelos und seiner Frau von Raffael (Florenz, Pitti). Die Erklärer schwanken, ob Maria das Kind Joseph zureicht oder es von ihm in Empfang nimmt. Offenbar ist das Inempfangnehmen dargestellt: das Hinüberheben würde eine ganz andere Anspannung der Armmuskulatur bedingen und in natürlicher Erwartung sieht das Kind in der Richtung der Bewegung. Die nackten Figuren des Hintergrundes haben hier die gleiche künstlerische Daseinsberechtigung, den gleichen Daseinsgrund wie bei dem frühen Relief der Madonna an der Treppe und wie in ähnlichen Fällen auf Gemälden Luca Signorellis.

Die kunstvolle Komposition der Figuren ist durchaus nicht artistischer Selbstzweck, sondern seelisch vollkommen motiviert, die Madonna ist eine der zierlichsten Erfindungen MAs.

Die Farbenskala ist beinahe die gleiche, wie die der Sixtinadecke, nur daß dort noch zur Erhöhung der Prachtwirkung Gold hinzutritt. Joseph in Grau und zu Goldgelb gebrochenem Goldorange, die Madonna in Kirschrot, das in den Lichtern fast zu Weiß aufgehellt ist. Hellblau, Goldgrün. Die Kritiker, die bei der Art des Farbenauftrags, der Farbenbehandlung und Farbenwahl das Sfumato Lionardos vermissen, haben nicht bedacht, daß jeder Art der Zeichnung nur eine ganz bestimmte Art der Farbe und Malweise genau entspricht.

Die Deckenmalereien der Sixtinischen Kapelle in Rom.

Im März 1505 übernahm MA die Ausführung des Juliusgrabmals, drei Vierteljahre weilte er damals in Carrara, um die Blöcke zu wählen, im Frühjahr 1506 begann die Arbeit. Da trifft ihn die plötzliche, wohl durch den umfassenderen Plan des Neubaus von St. Peter veranlaßte Willensänderung des Papstes: die Zahlungen für das Grabmal werden gesperrt, MA selbst die nachgesuchte Audienz beim Papste verweigert.

In der Enttäuschung, die ihn wie ein Schlag getroffen haben muß, flieht MA aus Rom nach Florenz und setzt den Bemühungen des Papstes, ihn zurückzugewinnen, beharrliche Weigerung entgegen. Erst nach der dramatischen Aussöhnung mit Julius II. in Bologna und nach fünfvierteljährigem Aufenthalt dort – in dieser Zeit, zwischen dem 28. /30. Nov. 1506 und Ende Februar 1508 entsteht das verlorene Bronzesitzbild des Papstes, von dem in den Vorbemerkungen die Rede war – beginnt im Frühjahr 1508 die Ausmalung der Decke.

In den Vorbemerkungen ist erörtert, wie MA sich im Anfang sträubt, die Malarbeit zu übernehmen, wie er dann die Entwürfe für das ihm so plötzlich entzogene architektonisch-plastische Werk des Papstgrabmals in die neue Aufgabe verarbeitet, wie diese dadurch für ihn erst Lebensmöglichkeit, Reiz, zugleich aber auch die Richtlinien ihrer künstlerischen Form erhält.

Anders als bei den beiden großen plastischen Unternehmungen MAs, den Grabmälern Julius II. und der Medici, bei denen der erste umfassendere Plan im Verlauf der Ausführung Einschränkung über Einschränkung erfährt, erleben wir hier das Schauspiel, daß ein ursprünglich einfacher Plan eine völlig unerwartete Erweiterung erfährt. Es gibt (in London) eine flüchtige Federzeichnung, die die erste Absicht des Papstes erkennen läßt: in den Zwickeln zwischen den Fenstern, an der Stelle also, die jetzt Propheten und Sibyllen einnehmen, sollten die zwölf Apostel thronen, die ganze Tonnenwölbung der Decke aber ist rein ornamental in Rechteckfelder, liegende und über Eck gestellte Quadrate, aufgeteilt.

Schon in den ersten Stadien des Entwerfens muß MA der große Gedanke der Komposition gekommen sein, der dann wirklich ausgeführt wurde: noch im Juli 1509 hat der Papst den neuen Plan genehmigt, der die Apostel durch Propheten und Sibyllen ersetzt, für die Gewölbefelder die Szenen der Weltschöpfung vorsieht und die Lunetten und Stichkappen der Hochwände mit einbegreift.

Die Arbeit der Ausmalung hat sich dann – von West nach Ost, von der Trunkenheit Noahs und Zacharias zu den Schöpfungsszenen und Jonas fortschreitend – abschnittweise vollzogen. Vom Herbst 1508 bis Ende 1509 entstehen die Deckenbilder bis zur Erschaffung Evas, bis zum August die zweite Hälfte von der Erschaffung Adams bis zur Altarwand, die Historienbilder immer zusammen mit den zugehörigen Propheten und Sibyllen. Es folgt eine durch Stocken der Zahlungen veranlaßte Pause vom September 1510 bis zum August 1511. Bis zum Oktober 1512 entstehen dann die Malereien in den Lunetten und Stichkappen.

Auffällig ist besonders die Steigerung der Größenmaße bei Propheten und Sibyllen, die je näher der Altarwand um so tiefer mit ihren Fußbrettern herunterrücken. Weiter ist im Fortschreiten von Westen nach Osten eine immer größere Kühnheit in der Erfindung der formalen Motive, eine immer größere Bereicherung und Komplizierung der figuralen Komposition bei den Deckenbildern und Thronfiguren wie bei den dekorativen Gestalten der Puttenpaare an den Thronwangen, den nackten Jünglingsgestalten auf den höchsten Simsvorsprüngen zu beobachten. Der letzte Abschnitt der Arbeit in den Lunetten und Stichkappen hat wieder einen ruhigeren und gleichmäßigeren Charakter.

Mit der gemalten Scheinarchitektur der Decke ist keineswegs eine Sinnentäuschung des Betrachters durch perspektivische Kunstgriffe beabsichtigt, sie ist ein rein formales Hilfsmittel zu regelrechter Aufteilung und Organisierung des großen in sich ganz ungegliederten Tonnengewölbes der Decke, ein Hilfsmittel zur statuarischen Isolierung der Thronenden. Die Erklärung, daß die Historien des Deckenspiegels die Wirkung von in ein luftiges architektonisches Gerüst eingespannten Bilderteppichen hätten, beruht absolut auf einer Selbsttäuschung. Nirgends verläßt den Betrachter im Gegenteil das sichere und beruhigende Gefühl, daß die Malereien eben nur Malereien sind, dem festen Gewölbe der Decke aufgemalt, daß es sich um ein freies Spiel der Phantasie handelt, daß dem ganzen architektonischen Apparat mit Deckenbildern, thronenden Propheten und Sibyllen, simstragenden Kinderpaaren, hoch sitzenden nackten Jünglingen nur der ästhetische Schein wirklicher Existenz zukommt.

Dargestellt sind in den abwechselnd großen und kleinen Feldern des Deckenspiegels die ersten Ereignisse der Weltgeschichte, in drei Akten von je drei Szenen: die Erschaffung der Welt (ein großes Feld flankiert von zwei kleinen) – die Erschaffung des ersten Menschenpaares und der Sündenfall (ein kleines Mittelfeld flankiert von zwei großen) – die Sintflut und die Geschichte Noahs (ein großes Mittelfeld flankiert von zwei kleinen). Im Mittelpunkt der ganzen Komposition steht bedeutungsvoll als das größte Ereignis das Mysterium von der Erschaffung Evas. Was vorhergeht hat den Charakter der Vorbereitung auf dieses Geschehen, was folgt ist seine unmittelbare und mittelbare Folge.

Die vier großen Eckzwickel führen sprungweise von einer »Rettung« des auserwählten Volkes zur andern: David – Judith – Esther –die eherne Schlange: viermal fällt das Blitzlicht auf eine Szene von dramatischer Spannung.

Propheten und Sibyllen thronen ohne aktive Beziehung zu diesen Ereignissen des Weltgeschehens und der Geschichte Israels in einer tieferen Zone, wie herausgelöst aus der Zeitlichkeit: monumentale Personifikationen beruhigten oder leidenschaftlich ergriffenen Forschens oder seherischer Begeisterung, zusammengefaßt in immer neue Momente physischer und seelischer Aktion von unerhörter Prägnanz der Erscheinung. (Es wechseln, doch wohl in bewußter Berechnung der Kontrast- und Reichtumswirkung, Figuren in geschlossener Vorderansicht und in freier entwickelter Seitenstellung so, daß stets eine Profilfigur eine Facefigur zum Gegenüber und Nachbarn hat.)

In den sechzehn kleinen zeltförmigen Zwickeln und den sechzehn Lunetten über den sechzehn Fenstern der Kapellenlangwände endlich: die Vorfahren Christi. Familienszenen: eng gelagerte Gruppen und Einzelfiguren mit Kindern: epigrammatische Menschheitsschilderungen in Terzinen und Distichen.

Und zwischen diese Hauptfiguren drängt sich überall, sie überwachsend das Heer der namenlosen Gestalten. Von unten her aus ornamentaler Verzerrung, Vergewaltigung zu immer freierem, leichter und selbstbewußter sich regendem Leben aufsteigend.

Das Jüngste Gericht. Rom, Sixtinische Kapelle. 1534–1541.

Kurz vor seinem am 26. September 1534 erfolgten Tode hatte Papst Clemens VII. dei Medici MA den Auftrag für das Jüngste Gericht gegeben. Sein Nachfolger Papst Paul III. Farnese erneuerte den Auftrag. Die Fenster der Altarwand der Sixtinischen Kapelle werden zugemauert, die Gesimse, das ältere Altarfresko von Pietro Perugino und die beiden zu den Deckenmalereien MAs gehörigen Lunetten unterhalb Jonas werden heruntergeschlagen und so eine ungeteilte Malfläche gewonnen. Papst Paul IV. Caraffa ließ durch Danile da Volterra noch zu Lebzeiten MAs die Nacktheit der Gestalten mit Gewändern verkleiden und einige Figuren in der Haltung verändern. Weitere Übermalungen wurden noch im 18. Jahrhundert hinzugefügt. Durch alle diese Veränderungen und durch den Kerzen- u. Weihrauchqualm hat die Erscheinung des Werkes sehr gelitten – der blaue Himmel vor Allem ist zum großen Teile verdorben.

Die Wirkung der Komposition wird durch ihre Rahmenlosigkeit empfindlich gestört: sie läuft sich an den rechtwinklig anstoßenden Kapellenlangwänden tot.

Bei aller Handgreiflichkeit der Einzelgestaltung hat das Riesenfresko etwas grandios Phantastisches in dem seltsam willkürlichen Wechsel der Größenmaße, in der Art, wie durch die eine intensiv aus einer plötzlichen Zornaufwallung motivierte Gebärde Christi das zentripetale Zusammenströmen der himmlischen Chöre mit einem Schlage gestaut wird – in dem geisterhaften Schwebetanz der auffahrenden Seligen, der abfahrenden Verdammten, die in ewig sich erneuernder Bewegung scheinen, wie die Eimerreihe eines endlosen Hebewerks links sich hebt, rechts sich senkt.

Die Figur Christi ist MAs letzte große Figurenerfindung von geschlossener Plastizität des Bewegungsausdrucks: ein zürnend aufspringender Apoll, mit dem Schimmer apollinischer Göttlichkeit in den offenen Zügen. An der großen Gebärde der ausholenden rechten Hand Christi – »die Geste seines Fluches«, sagt Stendhal, »ist so gewaltig, daß es aussieht, als wolle er eine Lanze schleudern« – hängt der Form und dem inneren Sinne nach die ganze Komposition: wie ein Orchester an dem Taktstock des Dirigenten.


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