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2.

Es war am Nachmittag desselben Tages als Lawrence seiner, jungen Herrin eine soeben eingelaufene Depesche überbrachte. Man sah es der Miene des alten Mannes an, daß er sehr erregt war und offenbar eine wichtige Nachricht in der Depesche vermutete.

Auch Gladis, die unruhig von einem Zimmer zum andern ihres schönen Heimes schritt, wechselte unwillkürlich die Farbe, als ihr der Diener auf silbernem Tablett das schmale Papier überreichte.

Sie wartete nicht einmal, bis Lawrence das Zimmer verlassen hatte, sondern erbrach ohne weiteres mit fiebernden Händen die Depesche.

Der Anhalt derselben war schnell überflogen. Ein leiser Ausruf entglitt ihren Lippen. Endlich ein Lebenszeichen Mac Cliffords!

Die Depesche lautete:

Befinde mich in Sethurst. Muß noch einige Tage hier bleiben. Handelt sich um große Dinge. Daher Abreise ganz unerwartet gekommen. Glaubte sofort zurückreisen zu können. Keine Sorge, bin ganz wohl. Sende einen zuverlässigen Mann, der genauere Erklärungen abgeben wird. Bis dahin nichts unternehmen. Mac.

»Der Herr ist wohlbehalten in Sethurst, wo wir ja zwei große Werke haben!« rief Gladis in ihrer Freude dem alten Diener zu, der in den vielen Jahren seines Dienstes mehr oder weniger in die Geschäftsmanipulationen Mac Cliffords eingeweiht war.

»Mister Clifford ist am Leben und wohl?« sagte beglückt der Alte. »O, das ist eine gute Kunde!«

Gladis rief ihn noch einmal zurück, als er eilig sich entfernen wollte.

»Hört, Lawrence,« sagte sie. »Mein Gatte will nicht, daß vorläufig darüber geredet wird. Ich erwarte erst noch einen der dortigen Vertreter, der mir genauere Erklärungen geben soll. Bis dahin behaltet die Nachricht bei Euch.«

»Sehr wohl, Madame,« nickte Lawrence und trippelte hinaus.

Wenn sich auch Gladis jetzt nach dem Eintreffen dieser Depesche etwas beruhigte, so konnte sie doch kaum die Ankunft des gemeldeten Abgesandten erwarten, um zu hören, was denn eigentlich in Sethurst vorfiel, das Clifford nötigte, so über Hals und Kopf abzureisen, mitten in der Nacht und ohne auch nur eine Zeile für Gladis zu hinterlassen.

Sie verbrachte die folgenden Stunden wieder in steigender Unruhe. Es wurde indessen Vormittag des folgenden Tages bis Lawrence einen Besucher meldete, der sich auf seiner Besuchskarte Harry Dirksen, Generalvertreter der Sethurst-Werke nannte.

»Führe den Herrn in das kleine Zimmer neben dem Kassenraum meines Gatten, wo gewöhnlich die Konferenzen stattfinden,« befahl Gladis und zwang sich zu einer gewissen Ruhe. »Lasse uns auch ein Glas alten Medoc servieren.«

Herrschte in den Vereinigten Staaten auch Alkoholverbot, so kehrte sich in gewissen Kreisen doch kein Mensch daran. Gladis wußte, daß Mac Clifford seinen Geschäftsfreunden bei den Konferenzen stets ein paar Gläschen seines alten Medocs neben Zigarren und Zigaretten servieren ließ.

Auch Lawrence wußte darin Bescheid und gleich darauf geleitete er einen sicher und elegant auftretenden noch jüngeren Gentleman in das Konferenzzimmer, mit dem Ersuchen, sich dort ein Weilchen zu gedulden. Mistreß Clifford werde gleich erscheinen.

Harry Dirksen war etwa dreißig Jahre alt. Er trug sich elegant und sein Auftreten war sicher und gewandt.

Sein nicht unschönes, interessantes Gesicht, das nur einen leichten Zug von Blasiertheit aufwies, wurde von dunklem Haar bedeckt. Ein gleicher Bart zierte die Oberlippe. Man konnte ihn mit Fug und Recht einen schönen Mann nennen. Seine dunkeln Augen freilich hatten einen seltsamen Glanz und es war, als liege auf ihrem Grunde etwas, das sich nicht jedermann offenbaren konnte.

Harry Dirksen hatte draußen Hut und Ueberrock abgelegt und streifte sich nun langsam die Handschuhe herunter. Sie waren aus feinem Wildleder und dunkelgrau.

Er sah sich um. Sein Blick glitt wie zufällig nach dem offenstehenden Eingang des Arbeitszimmers, dann wanderte er wie von einem unwiderstehlichen Zwange geleitet nach der andern, etwas seitwärts stehenden zweiten Tür.

Dahinter lag das Kassenzimmer. Aber diese Tür war geschlossen.

Für eine Sekunde glitt ein harter, verbissener Zug um die Lippen des eleganten Besuchers. Er schloß sekundenlang die Augen und es war, als gehe ein leichter Schauer über seine Gestalt. Doch gleich darauf warf er den Kopf fast trotzig in den Nacken und streifte sich, als könne er etwas sehr Unangenehmes fortwischen, über die Stirne.

Die Tür des anstoßenden Zimmers öffnete sich und Gladis überschritt die Schwelle. Sie trug ein helles, reizendes Besuchskleid und machte darin mit dem rotblonden Haar, das leicht gewellt ihr schönes Oval umrahmte, auf den Besucher einen starken Eindruck.

Dies also war die vielgenannte schöne Gattin Mac Cliffords? Er hatte sie bis dahin nie zu Gesicht bekommen.

In seinen dunkeln Augen glomm es wie heißes Feuer auf. Er beneidete den alternden Mann um dieses Kleinod und wie versteckter Groll erfüllte es seine Seele, wenn er sich des Gerüchtes entsann, wonach Mac Clifford dieses schöne Wesen lediglich kraft seiner Millionen sich errang. Aber schnell wich der finstere Zug aus Mister Dirksens Antlitz. Der Mann schien sich gut in der Gewalt zu haben.

Mit vollendeter Höflichkeit verneigte er sich vor Gladis und führte die ihm dargereichte Hand an seine Lippen.

»Sie kommen von meinem Gatten, Sir?« rief Gladis rasch. »Lassen Sie mich nicht zu lange auf die Erklärungen warten, die er mir durch Sie zu senden versprach.«

»Sie haben die Depesche Mister Cliffords erhalten, Madame?« versetzte Dirksen, sich auf dem angebotenen Stuhle niederlassend. »So bin ich gewissermaßen legitimiert und kann sogleich auf den Kern der – wie ich gerne zugebe – etwas außergewöhnlichen Angelegenheit kommen.«

Lawrence brachte den Wein und die Zigarren, doch lehnte Dirksen ab, zu rauchen. Dagegen war er gerne bereit, mit Gladis auf die baldige Rückkehr Mister Cliffords anzustoßen.

Lawrence hatte sich wieder schweigend entfernt und Harry Dirksen war allein mit der schönen Frau Mac Cliffords.

»Ich begreife Ihre Unruhe, Madame,« meinte Dirksen. »Die plötzliche Abreise Ihres Gatten mußte zu den seltsamsten Kombinationen, ja sogar zu Befürchtungen Anlaß geben. Nur ungewöhnliche Umstände können das Verhalten Mister Cliffords entschuldigen. Seine überstürzte Abreise wurde eigentlich – durch mich veranlaßt.«

Gladis sah betroffen den Besucher an.

»Sie wollen doch nicht damit sagen, daß Sie an jenem Abend hier waren, Mister Dirksen?« versetzte sie.

Er lächelte und senkte seinen dunklen Blick in ihre Augen.

»In der Tat muß ich mich in gewisser Hinsicht als denjenigen bekennen, der Ihnen so viel Sorge und Unruhe bereitete,« sagte er. »Ich hatte von Sethurst schon am Tage zuvor eine Depesche an Mister Clifford gesandt, wonach ich meine Ankunft anmeldete, allerdings konnte ich nicht die genaue Zeit angeben.«

»Davon wußte ich nichts!« entfuhr es Gladis.

»Das ist erklärlich, Madame, denn ich weiß, daß Mister Clifford derartige geschäftliche Mitteilungen auch Ihnen gegenüber geheim hielt. Und um eine geschäftliche, hochwichtige Angelegenheit handelte es sich. Es galt eine gegen uns gerichtete, gewaltige Bewegung, die, von fremdem Gelde unterstützt, darauf hinausging, unsere Werke in Sethurst zum Stillstand zu bringen, was durch eine im geheimen vorbereitete Arbeiterrevolte erzielt werden sollte, rasch und entschieden zu unterdrücken. Man mißgönnt Mister Clifford seine gewaltigen Erfolge, er hat Feinde, die nicht zu verachten sind. Ich erhielt sozusagen in letzter Stunde durch Verrat Kenntnis davon und wußte nur einen einzigen Ausweg, Mister Clifford mußte selber in Sethurst erscheinen, mußte seinen persönlichen Einfluß, seine starke Energie aufbieten, um die Gefahr zu beseitigen. Ich selber und die mir beigegebenen Direktoren und Beamten fühlten uns zu schwach dazu.«

»Eine Frage, Mister Dirksen,« wendete Gladis ein. »Welche Stellung nehmen Sie bei meinem Gatten ein?«

»Ich bin Generaldirektor der Sethurstwerke, unterstehe aber natürlich den Anordnungen Mister Cliffords,« erwiderte Dirksen, sich leicht verneigend.

»Und – Sie waren in der Nacht, da mein Gatte verschwand, persönlich hier im Hause?«

»Allerdings. Ich kam sehr spät an und wollte trotzdem den Versuch machen, Mister Clifford noch vor Tagesanbruch zu sprechen. Zur Fahrt hierher hatte ich ein Auto benützt, das ich in der Avenue halten ließ. Ich gedachte, wenn irgend möglich, noch mit dem ersten Frühzuge nach Sethurst zurückzufahren.«

»Aber wie gelangten Sie in das Haus?« wunderte sich Gladis.

»Das war leichter als ich vorher dachte. Als ich den elektrischen Knopf am Tor drückte, erschien Mister Clifford persönlich und ließ mich ein. Er hatte mich wohl schon den Nachmittag über erwartet. Seine gesamte Dienerschaft schlafe, sagte er mir. Es wäre ihm auch ganz lieb, daß wir uns ungestört und von niemand bemerkt unterhalten könnten, denn er müsse annehmen, daß möglicherweise von Sethurst aus hinter mir Geheimagenten jener uns feindlichen Gegenseite her wären. So führte mich Mister Clifford selber in sein Arbeitszimmer, das wir über die Terrasse betraten.«

»Schlugen Sie meinem Gatten dann vor, mit Ihnen sogleich nach Sethurst zurückzureisen?«

»Er tat dies selber, denn diesen Ausweg wagte ich noch gar nicht anzugeben. Er sah nach, wann der Frühzug ging und beschloß, denselben mit mir zu benützen.«

»Aber ich begreife nicht, weshalb er nicht Lawrence weckte?«

»Mister Clifford befand sich in starker Erregung, so stark wie ich ihn selten gesehen. Es handelte sich in Sethurst auch um große Dinge. Gewann die gegnerische Seite, indem die geplante Arbeiterrevolte losbrach, so konnten uns leicht die ganzen Werke verloren gehen, da man beabsichtigte, die Maschinen unbrauchbar zu machen.«

»Noch eines – wie kam es, daß mein Gatte auch keinerlei Mitteilung an mich zurückließ?«

»Darauf kann ich nicht antworten, denn Mister Clifford sprach sich mir gegenüber nicht darüber aus. Vermutlich hoffte er bereits am kommenden Tage wieder hier zu sein. Er sprach auch davon, ein Flugzeug zu der Heimkehr benützen zu wollen.«

Gladis fand dies alles seltsam, aber sie konnte nichts anderes tun, als die Mitteilungen Mister Dirksens entgegenzunehmen und die Ankunft ihres Gatten abzuwarten.

»Was läßt mir mein Gatte nun weiter sagen?« fragte sie.

»Er übersendet Ihnen durch mich seine wärmsten Grüße und die Bitte um Vergebung, dieses überstürzten Verschwindens wegen. Er hofft, in zwei Tagen persönlich Ihre Verzeihung zu erhalten. Um Sie aber nicht länger in Unruhe zu lassen, sandte er mich mit einigen geschäftlichen Dispositionen.«

»Ich kann es nur nicht fassen, weshalb mein Gatte volle zwei Tage wartete, ehe er diese Depesche sandte?« wendete Gladis ein.

»Bedenken Sie, Madame, daß es in Sethurst, das einem heimlich brennenden Vulkan glich, an Aufregungen und Arbeiten so viel gab, um selbst einen liebenden Gatten derart jede Minute in Anspruch zu nehmen, daß er nicht einmal seiner Gattin eine Botschaft geben konnte,« sagte wieder mit einem leisen Lächeln Harry Dirksen. »Wir alle mußten das letzte hergeben an Nervenkraft, um die Gefahr zu beseitigen.«

»Und – nun ist diese wirklich beseitigt?«

»Vollkommen, Madame! Mister Clifford ist wieder einmal als Sieger hervorgegangen. Die Arbeiter sahen ein, daß sie getäuscht werden sollten. Die Gegenpartei hat sich verzogen, ihre Macht ist gebrochen.«

»Dann konnte mein Gatte doch auch gleich zurückreisen und die weitere Abwickelung seinen erprobten Beamten überlassen?«

»Das ging leider nicht an, Madame,« gab Dirksen bedauernd zurück. »Die Anwesenheit des Chefs ist vorläufig noch durchaus notwendig.«

»Und wann trifft somit mein Gatte hier ein?«

»Heute in zwei Tagen. Sie erhalten noch eine genaue Depesche,« erwiderte Dirksen. »Und nun gestatten Sie mir, Ihnen auch die Geschäftspapiere zu übergeben, die Mister Clifford durch mich Ihnen übermittelt.«

Er holte aus einem Portefeuille mehrere Schriftstücke hervor, die er Gladis unterbreitete.

»Mister Clifford läßt Sie bitten, sich dieser verschiedenen Dispositionen wegen, die bis zu seiner Ankunft getroffen werden sollen, mit den hiesigen Direktoren zu besprechen. Die Herren werden wissen, was zu tun ist!«

»Ich werde dem Ersuchen meines Gatten nachkommen, Sir,« nickte Gladis, die nichts weniger als befriedigt durch die ihr gemachten Mitteilungen war. Irgend etwas warnte sie, diesem eleganten Manne Vertrauen zu schenken. Aber sie hatte andererseits auch keinen Beweis, daß er es nicht ehrlich mit seiner Aufgabe meinte. Jedenfalls wollte Gladis bei der Rückkehr Cliffords diesen fragen, was dieser Mister Harry Dirksen eigentlich für eine Person war.

In den kleinen Pausen des Gesprächs hatten die beiden an dem schweren alten Wein genippt. Einmal war Gladis zur Tür gegangen, um Lawrence einen Befehl zu übermitteln.

Während sie dem Tische, an dem Mister Dirksen saß, den Rücken zukehrte, sah sie nicht, daß der elegante Besucher eine verdächtige Bewegung machte, gleichsam als werfe er etwas in ihr Glas.

»Stehen Sie schon längere Zeit in Diensten meines Gatten, Mister Dirksen?« fragte sie dann, einen leicht forschenden Blick auf den Besucher werfend.

»Seit einem Jahr etwa,« erwiderte dieser ruhig. »Ich darf mich aber des vollen Vertrauens Mister Cliffords rühmen. Einem andern würde er diese Reise hierher nicht übertragen haben.«

»Sie sind fremd in Neuyork?«

»Nicht ganz, Madame. Doch es ist lange her, daß ich hier einmal – glücklich war. Ich zog es dann nach einem schweren Schicksalsschlage vor, mich in rastloser Arbeit zu begraben. Da kam mir Sethurst ganz gelegen.«

Gladis glaubte zu bemerken, daß ein Schatten über das etwas blasse Gesicht Mister Dirksens zog, doch wollte sie nicht indiskret sein.

Seit einigen Minuten fühlte sie eine seltsame Müdigkeit, die durch ihre Adern schlich. War es die Nachwirkung der letzten tagelangen Aufregungen, eine Reaktion, die sich jetzt plötzlich geltend machte, wo sie erfuhr, daß eigentlich all ihre Sorge umsonst war?

»Ich fühle mich etwas leidend, Mister Dirksen,« sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Brechen wir die Unterhaltung ab. Sie reisen nach Sethurst zurück. Ueberbringen Sie meinem Gatten meine Grüße und sagen Sie ihm, daß ich mich sehr freue, ihn bald wieder hier zu sehen.«

»Ich kann die Sehnsucht einer liebenden Gattin begreifen, Madame,« versetzte mit einem sonderbaren Lächeln der Besucher.

Er erhob sich langsam und auch Gladis tat dasselbe. Im gleichen Moment wankte sie und tastete nach der Stuhllehne.

Harry Dirksen beeilte sich, die wankende Gestalt zu stützen.

»Mein Gott! Was ist Ihnen?« fragte er besorgt.

Sie konnte nur nicht das triumphierende Aufblitzen seiner dunkeln Augen sehen.

»Es ist – nichts – bitte rufen Sie – Lawrence – –« murmelte Gladis, vor deren Augen es plötzlich schwarz wurde.

Harry Dirksen ließ die ohnmächtige Gestalt ruhig in den Sessel zurücksinken. Aber er dachte gar nicht daran, den Diener zu rufen.

Langsam trat er zurück, verschränkte die Arme und betrachtete die schöne Frau.

Gladis Reymond – auch Du ein Opfer – –! murmelte er.

Dann schien neues Leben in ihn zu kommen. Er beugte sich über die mit geschlossenen Augen im Stuhle Liegende und horchte auf den ganz leisen Schlag ihres Herzens.

Sie schläft, nickte er. Nicht länger als zehn Minuten wird dieser Schlaf währen. Ich muß mich beeilen.

Er schritt lautlos zur Tür, durch die Lawrence gegangen war. Er lauschte, aber von draußen war kein Laut zu vernehmen. Und Lawrence war ein viel zu gut geschulter Diener, um etwa ungerufen zu kommen.

Ebenso schnell wendete sich Harry Dirksen dem Eingange des Kassenzimmers zu. Er stieß die Tür auf. Sie war nicht verschlossen gewesen.

Dann drehte er mit fester Hand das elektrische Licht an. Vom Park aus konnte ihn durch die geschlossenen Gardinen niemand beobachten. Schon hatte er einer Innentasche mehrere kleine Werkzeuge entnommen und nun begann er mit überraschender Schnelligkeit an dem Schloß des Stahlschrankes zu arbeiten.

Als er die Buchstaben las, lachte er halblaut.

Nur wenige Minuten währte es, dann gelang es ihm mit einiger Kraft, die Stahlriegel zurückzuschieben. Der Schrank ließ sich öffnen.

Die Tür nach dem kleinen Konferenzzimmer hatte er offen gelassen, um Gladis im Auge behalten zu können.

Nasch überblickte er den Inhalt der einzelnen Fächer Er mußte hier ziemlich Bescheid wissen, was eigentlich sonderbar war.

Sich vorsichtig umsehend, entnahm er hastig dem Schranke eine Anzahl Papiere.

Bevor er sie in einer Innentasche seines Rockes verschwinden ließ, einer Tasche, die eigens zu dem Zwecke eingerichtet schien, eine größere Anzahl dieser Papiere aufzunehmen, überflog er jedes einzelne noch einmal. Es waren keine Dollarnoten oder überhaupt Geldscheine. Hier handelte es sich um ganz andere Dokumente, die aber trotzdem von ganz ungeheurem Werte waren, sobald sie in die Hände anderer Leute gelangten.

»Geglückt!« nickte Harry Dirksen nun.

Sein Gesicht war jetzt sehr bleich und in seinen dunkeln Augen brannte es wie Fieber.

Er schloß vorsichtig den Schrank wieder und drehte auch das Schloß so, daß man nicht ohne weiteres etwas von diesem Raub bemerken konnte. Nur die Buchstaben änderte er, einem plötzlichen Gedanken nachgebend. Diabolisch blitzte es eine Sekunde lang dabei in seinen Augen auf. Er verschob die Buchstaben und nun lauteten sie statt »Schuldig«, »Gesühnt«.

Er sah auf seine Uhr. Mistreß Clifford lag nun acht Minuten unbeweglich im Stuhle.

Er schritt wieder in das Zimmer zurück und zog die Tür des Kassenzimmers zu. Das elektrische Licht hatte er hinter sich ausgedreht.

Eine Weile betrachtete er die vor ihm Liegende und sein Atem ging rascher.

Wie schön sie ist! flüsterte er. Welcher Schrecken wird sie erfassen, wenn sie erfährt – –!

Er brach ab, wendete das Gesicht der Tür zu, durch die er soeben kam und in diesem Moment verzerrte sich sein nicht unschönes Gesicht, während ein kalter Schauer über seinen Rücken lief. Er biß die Zähne aufeinander und schüttelte etwas von sich ab, das ihn überfallen wollte. Seine Hand griff nach dem Halse.

Gladis bewegte sich leicht. Da setzte sich Mister Harry Dirksen ruhig auf den Stuhl an den Tisch, den Blick auf die erwachende schöne Frau gerichtet.

Gladis schlug die Lider auf und sah sich verwirrt um. Dann erinnerte sie sich der Vorfälle und wollte sich rasch erheben.

»Sie sind noch hier – Mister Dirksen? Wo ist Lawrence, der Diener?« rief sie noch etwas verwirrt.

»Ich wollte ihn rufen, aber er scheint das Haus verlassen zu haben, Madame? Darf ich fragen, wie es Ihnen geht?«

Seine Stimme klang weich, sorgend.

»Wie lange – habe ich geschlafen?« murmelte Gladis, die sich ein wenig ihrer Schwäche schämte.

»Kaum drei Minuten,« erwiderte Dirksen. »Ich sah es sofort, daß es schnell vorübergehen wurde. Eine momentane Abspannung gewiß. Sie hatten die letzten Tage viel Sorgen und Aufregungen.«

Gladis streifte mit der Hand über die Stirne.

»So wird es wohl sein,« sagte sie leise. »Nun aber fühle ich wirklich das Bedürfnis – –« sie sah ihn lächelnd an und er verneigte sich abermals.

»Ich hege den wärmsten Wunsch, Madame, daß der Anfall keine weitern Folgen für Sie hat,« sprach er.

»Haben Sie Dank für Ihre Bemühungen,« erwiderte Gladis. »Und sagen Sie meinem Gatten, daß ich ihn mit Ungeduld zurückerwarte.«

Er ging, ein seltsames Lächeln um die Lippen, zur Tür. Abermals eine Verneigung, dann war er draußen.

Die junge Frau stand regungslos. Es war ihr eigen zumute. Noch einmal stieg es wie leises Mißtrauen in ihr empor. Sagte dieser elegante Mann in allem die Wahrheit? Lagen nicht doch am Ende ganz andere Gründe für die geheimnisvolle Entfernung Mac Cliffords vor?

Und dieser sonderbare Schwächeanfall! Sie begriff dies einfach nicht. Nie war ihr dergleichen passiert.

Sie sah auf die Uhr. Nur ein paar Minuten sollte sie ohne Bewußtsein im Stuhl gelegen haben. So sagte Harry Dirksen. Aber da entsann sie sich ganz genau, kurz vor dem Einschlafen ebenfalls auf die Uhr gesehen zu haben, weil sie den Besucher verabschieden wollte.

Die Zeit stimmte nicht ganz. Nach ihrer raschen Berechnung blieb sie fast fünfzehn Minuten ohne Besinnung. Weshalb sprach der Mann nicht die Wahrheit?

Zurückrufen konnte sie ihn nicht mehr. Er hatte wohl schon das Haus verlassen. Aber das leise Mißtrauen wurde stärker, ohne daß sie sich zu sagen vermochte, was eigentlich dahinter lauern könnte.

Plötzlich kam ihr ein Entschluß. Sie wollte denselben unverzüglich zur Ausführung bringen. Dadurch erhielt sie Gewißheit in allen Dingen. Sie ging in das Arbeitszimmer ihres Gatten und ließ sich von der Geschäftszentrale aus mit den Sethuster Werken telephonisch verbinden. Das ging ganz gut, wenn es auch eine Weile dauern würde, bis sie die Verbindung nach dort bekam. War Mac Clifford in Sethurst, konnte sie ja gleich mit ihm sprechen.

Und nun fiel ihr auf, weshalb er nicht selber auf diesen Ausweg gekommen war. Es wäre zu ihrer Beruhigung doch einfacher gewesen, als den Direktor Dirksen zu senden. Oder sollte Clifford derart überhäuft mit Arbeiten sein, daß er sogar dies nicht zu tun vermochte? Kaum denkbar!

Bis zum Anruf durch die Zentrale schritt Gladis sinnend durch die anstoßenden Räume. Sie kam dabei auch in das Kassenzimmer.

Da die dicken Vorhänge fest zugezogen waren, knipste auch sie das elektrische Licht an, ebenso wie es ohne ihr Wissen Harry Dirksen tat.

Sir sah sich suchend um, wußte aber dabei nicht recht, was sie eigentlich wollte. Plötzlich blieb ihr Blick auf dem Buchstabenschloß des Stahlschrankes haften. Eine Sekunde lang schien sie betroffen, lächelte, um dann näher zu treten.

Und nun entzifferte sie ganz deutlich das eingestellte Wort: »Gesühnt«. Was war das? Wer hatte die Buchstaben verändert, was durchaus nicht so einfach war? Nur eine Hand konnte dies tun, die den Mechanismus des Schrankes genau kannte. Ein blitzartiger Gedanke zuckte ihr auf: Harry Dirksen! Er konnte ganz leicht dieses Zimmer betreten haben, während sie bewußtlos lag – weit länger, als er zugegeben hatte.

Aber wozu tat er das? Oeffnete er den Schrank, den nicht einmal sie aufzusperren vermochte, da Clifford allein den Schlüssel besaß und auch die Buchstaben zu verändern wußte.

Und weiter – was hatte [Dirksen], der Vertraute ihres Gatten, hier zu suchen, falls ihm Mac Clifford möglicherweise den Schlüssel in Sethurst einhändigte?

Von starker Unruhe erfüllt, kehrte Gladis in das Nebenzimmer zurück und sank auf einen Stuhl. Es vergingen fast zehn Minuten, dann schrillte die Glocke des Tischapparates im Arbeitszimmer. Sogleich sprang die junge Frau auf und eilte in den Nebenraum. Die Verbindung mit Sethurst war da.

Mühsam die Erregung unterdrückend, begann Gladis das Gespräch.

»Wer ist dort?«

»Daniel Fuller, Prokurist der Sethurst-Werke,« tönte es zurück.

»Ich bin Gladis Clifford, dis Gattin Ihres Direktors. Mister Clifford befindet sich wohl im Werk?«

Eine kleine Pause, dann die Erwiderung: »Wir haben Mister Clifford in den letzten Tagen nicht gesehen, Madame.«

»Das ist unmöglich. Ich habe bestimmte Nachrichten, daß mein Gatte dort weilt. Rufen Sie doch Ihren nächsten Vorgesetzten, Mister Fuller,« forderte Gladis, nicht wenig betroffen.

»Das ist Mister Dirksen, Madame. Ich bitte um eine Minute Geduld – –!«

»Mister Dirksen kann, da er noch hier in Neuyork weilt, nicht im Werk sein,« rief Gladis in den Apparat. »Ich will seinen Stellvertreter sprechen.«

»Madame irren,« kam es sogleich zurück, »Mister Dirksen ist hier, sitzt in seinem Privatkabinett nebenan. Ich verbinde Sie auf Wunsch mit ihm.«

Gladis faßte nach dem Herzen. Eine neue Ueberraschung! Harry Dirksen war in Sethurst und war doch vor wenigen Minuten noch hier? Wie ging dies zu?

In diesem Moment meldete sich der Direktor der Sethurster Werke.

»Harry Dirksen, Direktor der Werke! Ich stehe vollkommen zu Ihren Diensten, gnädige Frau – –?«

Gladis fühlte, wie eine Starrheit sie erfaßte. Aber nun mußte sie auch alles wissen.

»Waren Sie in den letzten Tagen verreist, Mister Dirksen?« fragte sie.

»Keinen Tag, Madame. Wir haben hier viel zu tun. Es lagen große Lieferungen vor.«

»Gibt es einen andern Ihrer Angestellten, der den gleichen Namen trägt wie Sie?«

»Nein, gnädige Frau. Das wäre nicht gut denkbar.«

»Sie wissen auch nicht, ob mein Gatte einen Ihrer Beamten mit einem gewissen Auftrage nach hier geschickt hat?«

»Davon ist mir nichts bekannt. Mister Clifford hat Sethurst seit zehn Tagen nicht mehr betreten. Es liegen auch keine besonderen Anweisungen von seiner Hand hier vor. Ist etwas geschehen in Neuyork, gnädige Frau?«

»Mein Gatte ist seit länger als zwei Tagen spurlos verschwunden und diesen Vormittag stellte sich ein jüngerer Herr bei mir ein, der sich Harry Dirksen, Direktor der Sethurster Werke nannte. Er kam angeblich im Auftrage meines Gatten, der sich in Sethurst befinden sollte, um eine sehr schwierige Angelegenheit zu erledigen, die Unterdrückung eines gefährlichen Arbeiteraufstandes, den ein Konkurrenzkonzern angezettelt haben sollte. Was wissen Sie davon?«

»Gnädige Frau,« erfolgte die erregte Antwort, »hier ist von einem Arbeiteraufstand nichts bekannt. Allenthalben herrscht Ruhe. Unsere Leute sind ganz zufrieden und ebensowenig ist mir von geheimen Maßnahmen einer Konkurrenzfirma etwas bewußt. Der Mann, der sich meines Namens bediente, muß ein Betrüger sein. Die Gründe seines Handelns sind mir allerdings nicht klar. Doch so viel ist gewiß: Mister Clifford war nicht hier! Wir sind seit mehreren Tagen ohne jede Nachricht von ihm. Wünschen Sie, daß ich sogleich die Polizei benachrichtige?«

Gladis raffte alle Fassung zusammen und erwiderte: »Ich habe hier bereits Schritte eingleitet, den Aufenthalt meines Gatten festzustellen. Ebenso werde ich jetzt den Betrüger verfolgen lassen, der sich Ihres Namens bediente, um angebliche Nachrichten meines Gatten zu übermitteln. Ich danke Ihnen, Mister Dirksen und ersuche Sie vorläufig noch um strengste Diskretion. Es soll von hier aus nichts versäumt werden, das Dunkel zu erhellen, das sich über das Verschwinden meines Gatten legte.«

Sie hing ab, wartete nicht einmal die weitere Antwort des Direktors ab. Dann sank sie wie gelähmt auf einen Stuhl. Ihr Gesicht war sehr bleich geworden. Sie ahnte in diesem Augenblick, daß Mac Clifford einem Verbrechen zum Opfer fiel und daß jener elegante Gentleman, der unter falschem Namen sie aufsuchte, in dieses Verbrechen verwickelt war.

Wer aber barg sich unter dem angenommenen Namen? Das war jetzt die bedeutungsvollste Frage.

Nachdem sie sich etwas erholt hatte, rief sie den Privatdetektiv Morton telephonisch an und bat um seinen sofortigen Besuch.


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