Paul Scheerbart
Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß
Paul Scheerbart

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Paul Scheerbart

Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß

Ein Damenroman

(1914)

Bei Chikago am Michigansee hatten amerikanische Bildhauer und Kunstgewerbler eine Ausstellung arrangiert. Aber es gab nur Silberarbeiten zu sehen. Es war um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und der Architekt Edgar Krug hatte die Ausstellungshallen erbaut – aus Glas und Eisen. Es war der Eröffnungstag, und lebhaft gestikulierend führte der Architekt seinen Freund, den Rechtsanwalt Walter Löwe, in den riesigen Hallen umher und machte ihn auf die Feinheiten der Architektur und Ornamentik aufmerksam.

Die kolossalen Wände bestanden ganz aus farbigem Glas – mit farbigem Ornament, so daß das Tageslicht sehr gedämpft in den Innenraum hineinströmte. Draußen regnete es. Die Sonne schien also nicht. Trotzdem leuchteten die Farben des Glases sehr heftig. Herr Edgar Krug sagte leise:

»Grade die Silberplastik hebt sich famos von den ganz bunten Glaswänden ab. Einen besseren Rahmen konnte diese Menge von Silberkunst gar nicht bekommen, nicht wahr?«

»Ich fürchte nur«, versetzte Herr Löwe, »daß der Rahmen als zu groß empfunden werden wird. Man hat die Empfindung, daß nicht sehr viele Silberarbeiten da sind; in den Riesenhallen verschwinden sie beinahe. Du sprachst von einer Menge; das Wort wirkt komisch auf mich.«

»Verzeih«, versetzte der Architekt, »es sind fast hunderttausend Nummern.«

»Zu wenig!« rief laut der Rechtsanwalt, »Deine bunt ornamentierten Glaswände ziehen alle Augen am meisten an. Sieh Dich doch nur um: alle Welt bewundert Deine Glaswände. Aber auf die Silberarbeiten achtet kein Mensch. Du hast die Silberplastik übertrumpft. Ich gratuliere Dir.«

»Leise! Leise!« flüsterte der Architekt, »es könnten ja Bildhauer in der Nähe sein.«

Sie befanden sich auf einem großen »Damm«, der hoch in der Mitte des größten Saales emporragte und ziemlich breit war. Auf diesem sogenannten Damm standen die größten Silberarbeiten – plastische Arbeiten. Die Wände lagen sehr weit ab vom Damm. Die Halle wirkte hier sehr groß – und die Silberarbeit wirkte sehr klein – schrecklich klein. Es wurde tatsächlich allgemein geäußert, daß der bunte Glasrahmen ein wenig groß geraten wäre – doch das kam keinem Menschen beklagenswert vor – selbst die Bildhauer waren ganz entzückt von dem bunten Glasrahmen – und sie sagten das auch dem Architekten. Der freute sich sehr über jedes Kompliment.

Als nun um die Mittagszeit die Sonne draußen sichtbar wurde, da gab es in den Ausstellungshallen einen kleinen Tumult, denn durch die Sonne wurde die Farbenpracht der Glasornamente so gesteigert, daß man gar nicht die Worte fand, um dieses Farbenwunder richtig zu preisen; viele Besucher riefen immer wieder: Entzückend! Wundervoll! Herrlich! Unvergleichlich!

Diese und ähnliche Worte wirkten nun auf das Ohr der Bessergebildeten schließlich recht unangenehm, da die Bewunderungsworte immerzu wiederholt wurden; glücklicherweise hörte die Bewunderung bald wieder auf, da sich draußen die Sonne nochmals hinter Wolken verkroch – und nichts von ihr zu sehen blieb.

Am einen Ende des langen »Dammes«, der eigentlich ein vierstöckiges Haus in der Mitte der Glashalle war, hing ein langer grauer einfarbiger Faltenvorhang. Der wurde jetzt auseinandergezogen, und man sah eine Riesenorgel – auch ganz in Grau gehalten mit etwas Gold in den vielen Balkonleisten, die in feinen geschweiften Kurven das ganze Orgelwerk wie mit einem Netz überstrickten, so daß die Orgel als solche gar nicht zur Geltung kam.

Eine sehr zarte Orgelmusik begann.

Und viele Besucher setzten sich oben auf dem Damm in die Nischen und hörten zu, andre fuhren mit dem Fahrstuhl in die unteren Stockwerke, da die Orgel bald stärker brauste und unten nicht zu laut zu hören war.

Nach dem ersten Satz gab es eine Pause, und Herr Walter Löwe stellte dem Architekten eine Dame vor: Miß Amanda Schmidt aus Chikago.

Diese Dame machte auf den Architekten nicht einen angenehmen Eindruck; sie trug ein dunkelviolettes Sammetkleid mit karminroten und chrysolithgrünen Aufschlägen und Schnüren.

Herr Edgar Krug sagte leise zum Rechtsanwalt:

»Eigentlich habe ich hier ganz allein in Farben zu sprechen. Die Damen sollten diskreter in ihren Kostümen sein – aus Rücksicht auf meine Glasfenster.«

»Dein Ruhm«, versetzte der Rechtsanwalt, »hat Dich ein wenig anspruchsvoll gemacht; Du solltest Deine Herrschgelüste ein wenig zügeln.«

Hiernach dröhnten drei Paukenschläge durch den Raum. Und danach gab's ein paar Chorgesänge auf den Balkons der Orgel; diese trat vor der menschlichen Stimme ganz zurück. Und danach dröhnten nochmals drei Paukenschläge. Und gleichzeitig flammte in allen Wänden das elektrische Licht auf.

Das war ein ungeheurer Effekt.

Und dazu brauste die Orgel so stürmische Rhythmen, daß unwillkürlich alle Besucher, die sich gesetzt hatten, aufsprangen – und in den großen Farbenzauber ganz geblendet hineinstarrten – und die machtvollen Töne der Orgel mit offenem Munde aufnahmen. Herr Walter Löwe machte Miß Schmidt darauf aufmerksam, daß fast alle Besucher den Mund aufrissen. Und die Dame lachte laut auf. Herr Krug sah ganz ernst aus.

 

Als die Orgel wieder still war, flutete alles lachend und gestikulierend durcheinander.

Und die Drei fuhren in die unteren Etagen, wo die kleineren Silbersachen ausgestellt waren.

Hier gab's Kabinetts, in denen man die großen Farbenfenster der Halle nicht sehen konnte – einfarbiges, sehr gedämpftes Licht leuchtete da in den Wänden und in den Säulen und in den großen Ampeln. Das Einfarbige beruhigte.

Die Silberplastik bevorzugte in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts das Flossenmotiv; die japanischen Schleierfische hatten wohl die Anregung gegeben, diesen Schleierfischen, einer Abart der bekannten Goldfische, hingen die Flossen wie wallende Gewänder vom Leibe.

Nun machte man aber den Kopf nicht fischartig – sondern man nahm andere Köpfe: Löwen-, Stier- und vor allem Menschenköpfe. Doch diese Köpfe wurden so umstilisiert, daß man die erste Anregung gar nicht mehr entdeckte. Doch wirkten diese kleinen Flossenungeheuer immer sehr graziös.

Herr Krug blieb vor einer dieser Kompositionen längere Zeit stehen und sagte schließlich:

»Hier weiß man nicht recht, ob der Kopf ein Löwenhaupt oder ein umgewandeltes Menschenhaupt sein soll. Jedenfalls sind die Bartpartien und die Augenbrauen auch wallende Flossen. Und die Seitenflossen umhüllen den ganzen Körper – mantelartig. Es sind aber viele Mäntel übereinander. Ja – das möchte ich ankaufen.«

»Sind Sie«, fragte Miß Amanda Schmidt, »so leicht zum Kaufe bereit? Da werden sich ja die Bildhauer sehr freuen. Ich dächte, Sie überlegen noch – und sehen erst mehr. Es gibt noch sehr viel bessere Kompositionen.«

Herr Krug jedoch sagte ein wenig scharf:

»Meine Gnädige, ich bin sehr selbständig. Und darum werde ich den Kauf gleich arrangieren.«

Er rief einen Diener.

Herr Walter Löwe lächelte.

Miß Amanda Schmidt sah ganz ernst aus. Fünf Minuten später prangte eine kleine Medaille mit dem Vermerk »Verkauft« an der feinen Silberarbeit.

Fünfhundert Dollars kostete die Kleinigkeit.

Das Stück mußte bis zum Ende der Ausstellung an seiner Stelle bleiben, was Herr Krug lebhaft bedauerte.

Miß Amanda reichte dem Architekten die Hand und sagte:

»Meinen besten Dank!«

»Wofür?« fragte Herr Krug.

»Ja«, versetzte die Dame, »Sie sind, da Sie heute einen so großen Erfolg gehabt haben, so zerstreut gewesen, daß sie sich noch nicht nach mir weiter erkundigten.«

Herr Walter lächelte abermals.

»Ja«, rief Herr Krug, »wie komme ich denn dazu, mich zu erkundigen? Das wäre doch verletzend.«

»Aber«, versetzte Miß Amanda, »Sie hätten jedenfalls gehört, daß ich auch ausgestellt habe; ich bin nämlich Bildhauerin – arbeite fast nur in Silberplastik.«

Herr Krug war peinlich berührt.

»Oh«, sagte er bedauernd, » da tut's mir leid, daß ich Ihre Arbeiten nicht vorher angesehen habe.«

Der Rechtsanwalt wandte sich um und hielt das Taschentuch am Munde. Dann rief er lachend:

»Edgar, Du hast ja die schönste Arbeit von Miß Amanda bereits angekauft.«

Edgar stotterte was und begriff noch nicht. Da sagte Miß Amanda auf die gekaufte Arbeit deutend:

»Das hab' ich gemacht.«

Nun gab's natürlich fünf Minuten lang ein großes Gelächter, viel Händegeschüttel, Entschuldigungen und Komplimente usw.

Aber Miß Amanda sprach schließlich ganz ernst:

»Sie waren noch nicht sehr liebenswürdig zu mir persönlich – nur zu meinem Werk. Die letztere Liebenswürdigkeit macht alles wieder gut. Aber dafür müssen Sie mir einen kleinen Gefallen tun und mit uns zusammen oben – ganz oben auf dem Turm zu Babel – Abendbrot essen. Die Gesellschaft meiner Freundin müssen Sie sich schon gefallen lassen – es ist Clara Weber, die Orgelspielerin. Hören Sie nur, sie spielt schon wieder.«

Alle Drei horchten.

Und Herr Krug war natürlich mit allem einverstanden. Man sah nach der Uhr, und Miß Amanda bemerkte, daß Fräulein Clara Weber erst in einer Stunde frei sei.

Die Herren waren etwas durstig.

Man trank in der Nähe etwas Selter mit Whiskey.

Dann jedoch schlug Herr Löwe vor, mit der Ausstellungsbahn draußen auf den Dächern des Ausstellungsgebäudes ein wenig herumzufahren.

Und man tat das.

Man benutzte ein paar Fahrstühle, fuhr erst nach unten und dann wieder nach oben. Und so kam man draußen auf ein großes Dachplateau, von dem aus kleine Wagen rund um die große Kuppel des runden Mittelpalastes herumfuhren.

Auf einem dieser Wagen fuhr auch der Architekt mit Miß Amanda und Herrn Löwe. Da überall Doppelwände waren, sah die Ausstellung von außen auch ganz bunt ornamentiert aus.

Und – von außen wirkten die Ausstellungshallen fast noch prächtiger als innen.

Man sah im Michigansee das ganz bunte Spiegelbild der Paläste; wie Kolibris, Libellen und Schmetterlinge zuckten die unzähligen Farben auf den bewegten Wellen des Sees. Dazu leuchtete der Vollmond. Und auch er spiegelte sich im Wasser.

Mehrere Aeroplane fuhren über den See – und ließen ihre bunten Scheinwerfer spielen.

»Ein sehr buntes Bild!« sagte Herr Krug. Und er zündete sich eine Zigarette an.

 

Der Turm zu Babel stand in der Mitte des runden Palastes, auf dessen Dachrand die Drei soeben herumgefahren waren.

Der Turm zu Babel hatte dreißig Etagen und oben eine kreisrunde Plattform. In allen Etagen befanden sich Restaurationsräume. Oben auf der kreisrunden Plattform war's am prächtigsten; auf allen Seiten sah man die bunten, elektrisch erleuchteten Glaswände. Und von der Decke herab hingen viele tausendfarbige Ampeln, die langsam runterkamen und dann wieder emporstiegen. Dazu verdunkelten sich stellenweise die Glaswände, und das Licht wurde immer wieder anders. Dieses Anderswerden des farbigen Lichtes ging aber so langsam und ruhig vor sich, daß es keineswegs beunruhigte.

Herr Krug wurde durch das Erscheinen von Fräulein Clara Weber heftig überrascht; die Dame trug nämlich ein einfaches graues Kleid – mit zehn Prozent weißer Spitzen dazu.

Herr Krug war gleich begeistert von diesem Kostüm und sagte das und bat wieder Miß Amanda sehr um Entschuldigung, daß er ihr buntes Kleid nicht herrlich finden könne, da es vor den Glaswänden nicht gut wirke – nach Herrn Krugs Meinung paßte zu Glaswänden nur ein graues Kostüm mit zehn Prozent Weiß.

Darüber sprach man natürlich sehr viel und die Vier wurden immer lebhafter.

 

Nach Schildkrötensuppe, Austern und Kaviar aßen die Vier Hecht grün mit der Grätenzange; der Fisch war vor einer halben Stunde am Michigansee gefangen worden und eine Delikatesse ersten Ranges.

Man aß bedächtig und sagte eine Weile gar nichts.

Da hob Herr Krug ein Stückchen Hechtleber hoch auf und bemerkte zu Fräulein Clara Weber:

»Meine Gnädigste, würden Sie wohl bereit sein, Ihr ganzes Leben hindurch nur graue Kostüme zu tragen – mit zehn Prozent Weiß?«

Er aß das Stückchen Hechtleber, und Miß Amanda flüsterte ganz leise:

»Das klingt ja fast wie ein Heiratsantrag.«

»Soll's auch sein!« bemerkte der Architekt.

Fräulein Clara sagte ganz einfach:

»Ja!«

»Das finde ich«, sprach nun der Rechtsanwalt, »ein wenig kurz angebunden – und auch ein wenig leichtsinnig.«

»Warum? Warum?« riefen die Damen.

Der Rechtsanwalt räusperte sich, tat etwas wichtig und hielt dann folgende Rede:

»Meine Damen! Sie wissen offenbar noch nicht, was ein Ehekontrakt bedeutet. Ich aber weiß es, denn ich habe schon hundertfünfzig Ehescheidungsklagen geführt. Ich weiß, daß man bei der Formulierung eines Ehekontraktes nicht leichtsinnig sein darf. Mein Freund Edgar ist ein sehr reicher Mann. Er kann sich also den Luxus leisten, etwas leichtsinnig zu sein. Doch den Damen ist zu raten, nicht so einfach zu unterschreiben. Erst nachdenken! Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.«

»Und deine Rede war auch sehr lang!« bemerkte Herr Edgar.

»Nun meinetwegen«, sprach der Rechtsanwalt, während er den Füllfederhalter und Papier hervorzog, »können wir auch sofort zur Tat schreiten. Dann gibt's ganz bestimmt einen Prozeß, und ich erziele ein bedeutendes Honorar. Mir ist es auch ganz gleich, zu welcher Partei ich übergehe. Lieber Edgar! Du wünschest also die Kürze. Gut! Sehr gut! Graues Kostüm also! Sammet und Seide nicht ausgeschlossen?«

»Die sind«, versetzte Edgar, »in jedem Falle ausgeschlossen. Das Kostüm muß so sein, daß es eine buntfarbige Glaswand nicht übertönt. Das Kostüm muß zurücktreten vor der Architektur, darf dem Glase unter keinen Umständen Konkurrenz machen. Nur graues Tuch ist gestattet. Das hebt sich auch brillant vom Buntfarbigen ab, bildet zur bunten Glasarchitektur einen prächtigen Kontrast – und wird überall als wohltuende Zurückhaltung empfunden werden.«

»Ja«, fuhr nun der Rechtsanwalt fort, »sind nun alle Grautöne vom tiefsten Grau bis zum hellsten erlaubt?«

»Ja!« erwiderte der Architekt.

»Dann«, fuhr der Rechtsanwalt abermals fort, »wäre nur noch zehn Prozent Weiß näher zu definieren. Ist es gleich, ob das Weiß in Glacéhandschuh, Pelz, Spitze oder Leinwand besteht?«

»Ja!« erwiderte der Architekt.

»Sammet und Seide aber lehnst Du auch in Weiß ab, nicht wahr?«

»Ja!« klang's abermals zurück.

Herr Krug arbeitete nervös mit der Grätenzange und nahm noch ein großes Stück Hecht.

»Nun«, hob Herr Walter Löwe wieder an, »ist noch Folgendes näher zu erörtern: sind die zehn Prozent en face zu nehmen oder von der Seite?«

Herr Krug zuckte nervös mit den Schultern und aß seinen Hecht.

»Du bist«, bemerkte sein Freund, »übellaunig, aber die Sache muß doch erörtert werden, es kommt auch noch die Rückseite in Betracht.«

Die Damen lächelten.

Herr Krug aber machte ein böses Gesicht und sah zornig den Herrn Löwe an und sprach: »Darauf wünschest Du doch keine Antwort, nicht wahr? Du wolltest nur Witze machen. Jedenfalls meine ich, daß sich immer zehn Prozent Weiß zeigen dürfen – die Stellung ist der Dame ganz und gar überlassen. Weitere Erörterung dieses Themas muß ich mir ganz ergebenst verbitten.«

»Entschuldige!« versetzte der Rechtsanwalt, während er eifrig schrieb, »dann kann gleich der Kontrakt fertig sein. Wenn noch etwas übersehen ist, so wäre das natürlich nur zum Vorteil Deiner Gegenpartei. Mir ist das auch recht.«

Der Turm zu Babel stieg wie ein Kegel empor, sodaß jedes höher gelegene Stockwerk immer ein wenig kleiner war als das unter ihm gelegene. Nun ertönte aus den tiefer gelegenen Stockwerken plötzlich eine zarte Geigenmusik empor – und – es war eine Walzermelodie.

Gleichzeitig erlöschte das Licht in den Glaswänden.

Und die Ampeln kamen alle von der Decke runter und bewegten sich nach dem Takte der Musik auf und ab – auf und ab.

Das sah sehr hübsch aus.

Und der ganze Turm zu Babel rief sehr vielstimmig »Bravo!«

Und man klatschte auch in die Hände.

 

Nach diesem Ampeltanz verschwanden die Ampeln in der Kuppel oben und erlöschten, so daß jetzt nur noch das Tischlicht im Turm zu Babel leuchtete.

Die Vier auf der obersten Turmplatte bestellten Kapaun, Kompotts und schwedische Schüsseln.

Man trank den besten Rheinwein.

Und Miß Amanda sprach bedächtig:

»Ich dächte, jetzt könnte das Brautpaar Brüderschaft trinken.«

Es geschah!

Und danach leuchteten in den Glaswänden die großen Scheinwerfer, so daß die Wände jetzt nur noch stückweise erleuchtet wurden. Die Scheinwerfer bewegten sich ganz langsam, so daß sich das Wandbild perpetuierlich veränderte.

Miß Amanda und Mr. Walter Löwe gratulierten dem Brautpaar. Herr Löwe las den Kontrakt vor.

Und man wurde nun sehr lebhaft und sprach über alles mögliche – und man rauchte.

Bei der zweiten Zigarre erblickten die beiden Herren einen graugekleideten Diener in respektvoller Entfernung; Herr Krug winkte ihm, und er meldete:

»Das Luftschiff liegt zur Fahrt bereit im großen Lufthafen auf dem Michigansee.«

»Dann müssen wir aufbrechen«, versetzte Herr Krug, »ich werde erwartet. Das Gepäck meiner Gemahlin kann morgen nachgesandt werden.«

»Wohin denn?« fragte die Gemahlin.

»Nach den Fidschiinseln in der Südsee. Ich baue da auch. Und meine Leute sind in sehr großer Verlegenheit.«

Also die Antwort des Architekten.

»Ja«, rief nun der Rechtsanwalt, »da müssen wir aber zunächst das Standesamt aufsuchen. Es ist hier im Hause ein Standesamt. Ich werde die Beamten zusammenrufen. In einer halben Stunde kann alles erledigt sein.«

Er erhob sich und ging hinaus.

Herr Krug bestellte noch ein paar Liköre und rauchte die dritte Zigarre.

Die Damen rauchten auch und sprachen von der Ausstellung: Miß Amanda erzählte lustig lachend von dem Silberankauf des Herrn Krug und bat Frau Krug, ihr sobald wie möglich zu telegraphieren.

 

Nach Erledigung der Standesamtsgeschichte bestieg Herr Krug mit seiner Gemahlin das Motorboot und fuhr zu seinem Luftschiff; Miß Amanda und Herr Löwe winkten den Abfahrenden noch lange mit den weißen Taschentüchern zu.

Opalisierend lagen die Glaspaläste da und spiegelten sich in den Fluten des Michigansees. Und Frau Krug machte große Augen, als sie die prächtigen Kabinetts der Luftschiffgondel sah: buntes Glas in allen Wänden und prächtige Balkons, von denen aus man in die Tiefe und zum Sternenhimmel blicken konnte.

 

Herr Löwe ging mit Miß Amanda Schmidt zu Fuß der Stadt zu; sie drehten sich öfters um und sahen zum bunt erleuchteten Luftschiffhafen, der nicht weitab mitten im Michigansee lag.

Und da sahen sie auch das Luftschiff des Herrn Edgar Krug aufsteigen, und sie blieben stehen. Und Herr Krug ließ seine Scheinwerfer spielen – in der damals allen Menschen bekannten Signalsprache.

Herr Krug sagte mit Scheinwerfern:

»Die Energie der Menschen scheint mir doch unterschätzt zu sein.«

Miß Amanda lachte, daß es durch die laue Nachtluft schallte, Herr Löwe lachte ebenso laut.

»Auch ein Abschiedsgruß!« sagte Miß Amanda.

Der Rechtsanwalt aber sprach feierlich:

»Das knüpft an das Gespräch an, das wir führten, bevor wir Sie trafen, gnädige Frau! Edgar ist ja sehr kurz angebunden und sehr schroff zuweilen, doch man gewöhnt sich bald an diese Art. Als reicher Mann kann er sich ja immer was erlauben. Und – nicht bestreiten darf man, daß Edgar sehr energisch ist. Nebenbei auch ein vortrefflicher Geschäftsmann. Wir sprachen übrigens über Energie und Bequemlichkeit. Ich war für diese, doch da hätten Sie hören sollen, was er alles hervorstrudelte; die Zeit am Anfange unsres Jahrhunderts strich er raus – aber mit Worten, die fast wie Anbetung der Energie klangen. Wie Edgar die ersten Flugversuche mit den Aeroplanen verherrlichte! Er kennt die Entwicklung ganz genau, er kennt auch alle die Namen von denen, die im Aeroplan ihr Leben ließen. Wenn man Edgar so begeistert hat reden gehört, so verzeiht man ihm manche Schroffheit. Sie werden sich, gnädige Frau, gewiß heute Abend gewundert haben, daß ich mir von Edgar so viel gefallen ließ. Aber Edgar ist ein begeisterter Fanatiker, das erklärt alles. Wer so ehrlich die Energie der Andern anerkennt und selbst in sich immer größere Energie zu erzeugen vermag, der darf nicht schroffer Worte wegen gleich angegriffen oder gemieden werden.«

»Sehr interessant«, erwiderte Miß Amanda, während sich beide schon den Wolkenkratzern der City näherten, »was Sie mir da erzählen. Sie haben mir ein paar Dutzend Fragen, die ich stellen wollte, schon beantwortet, bevor ich die Frage aussprach. Nur noch eine Frage: halten Sie diese Heirat auch für eine Sache, die zum Teil aus Geschäftsinteressen arrangiert worden ist?«

»Diese Frage«, versetzte Herr Löwe langsam, »läßt sich wohl nicht so leicht beantworten. Ihre Freundin, Miß Clara Weber – jetzige Frau Krug – machte auf mich einen sehr raschen heftigen hitzigen Eindruck. Die Dame hat zweifellos Temperament. Und darum suchte ich umzustimmen. Es gelang mir nicht. Nun glaube ich, daß das eine friedliche Ehe nicht so leicht geben wird. Aber – geschäftliche Interessen? Wie meinen Sie das, gnädige Frau?«

Miß Amanda zog ihre Zigarettendose vor, und sie rauchten beide.

»Ich dachte«, meinte sie leise, »diese Kostümgeschichte mit den zehn Prozent Weiß könnte man beinahe geschäftlich nennen.«

»Oh«, versetzte der Rechtsanwalt, »da wollen wir nicht zu schnell urteilen. Aesthetische Rücksichten sind noch keine geschäftliche. Immerhin – Edgar könnte sich momentan einreden, er hätte sehr geschäftlich auf dem Turm zu Babel gehandelt. Und es könnte doch nicht wahr sein. Außerdem – zur Reklame dient das graue Tuch doch nicht. Vielleicht hat er sich blos durch das jähe Temperament hinreißen lassen. Vielleicht! Dann wäre gar nichts an dieser raschen Verbindung geschäftlich.«

»Vielleicht!« sagte Miß Amanda.

Dann schwiegen sie eine Weile.

Und sie trennten sich bald; Miß Amanda wohnte in einem Wolkenkratzeratelier.

Als sie mit dem Fahrstuhl nach oben fuhr, sagte die Dame noch öfters:

»Vielleicht!«

Oben war die Aussicht herrlich, der Vollmond glitzerte auf dem Michigansee.

 

Auf einer der britischen Fidschiinseln sollte Herr Krug ein Erholungsheim für ältere Luftchauffeure bauen.

Auf einer nicht sehr umfangreichen Landzunge sollte gebaut werden. Zwölf riesige Transportdampfer hatten das Glasmaterial herbeigeschafft; die Dampfer lagen noch neben der Landzunge. Für Transportzwecke fanden die Dampfer immer noch Verwendung.

Herr Krug fand zunächst, daß die Landzunge allein nicht bebaut werden dürfe – es müsse noch ein größeres Stück von der Insel dem Baugrunde angefügt werden.

»Und die Baubuden sind«, fuhr er fort, »obgleich sie alle aus Glas sind, doch nicht geeignet, einer Dame als Wohnsitz zu dienen. Wir müssen gleich ein Extrahaus für meine Frau bauen.«

Frau Clara befand sich noch in der Luftschiffgondel; sie erhielt gleich darauf von ihrem Gatten das folgende Telegramm:

»Liebe Clara, leider kann ich Dich nicht bitten, hinunterzukommen. Hier ist noch kein vernünftiges Haus für Dich da. Ich lasse sofort das Nötigste zusammenbauen. Telegraphiere doch währenddem an Miß Schmidt und füge einen Gruß von mir bei; auch Herrn Löwe lasse ich grüßen. Schildere das Bauterrain. Du kannst es ja von oben aus gut übersehen. Sieh nur zu, daß die Kühlapparate gut bedient werden. Ihr könnt auch eine Spazierfahrt über den Fidschiinseln unternehmen. Auf Wiedersehen morgen Abend. Dann ist hier alles fertig. Dein Edgar.«

Dieses Telegramm legte Frau Clara in eine große Emailkassette, und dann telegraphierte sie an Miß Amanda Schmidt das Nachstehende:

»Liebe Amanda! In viermal vierundzwanzig Stunden sind wir hier angelangt. Es war eine herrliche Fahrt. Über Honolulu gerieten wir in einen Orkan, der war aber nicht konträr; er führte uns mit rasender Geschwindigkeit weiter, so daß wir schneller über den Fidschiinseln ankamen, als Edgar dachte. Diese Hochzeitsreise wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Ich bin an den großen Luxus noch gar nicht gewöhnt; drei ältere Frauen sind allein für meine Bedienung da. Edgar ist unten und baut für mich ein neues Haus. Ich bleibe solange auf dem Balkon meiner Kajüte. Edgar läßt Dich grüßen, Herrn Löwe ebenfalls. Vom grauen Tuch mit den zehn Prozent Weiß kann ich Dir noch nicht berichten. Hier oben kann ich gehen, wie ich will – viel mehr sitzen und liegen, wie ich will. Die Tropenluft ist herrlich, da die Kühlapparate wundervoll funktionieren. Das Bauterrain sieht vorläufig noch etwas wüst aus. Aber zwölf Dampfer umrahmen das Bild, und etwas Rauch steigt empor. Ich sehe unsäglich viel Glasmassen – zerstreut herumliegen. Ein paar Wände sind aufgerichtet – bunte Wände natürlich. Ich glaube, dieser Edgar macht mich ganz farbenkrank – krank nach Farben – und dabei soll ich immer nur Grau tragen. Viele Eisengerippe sind unten auch zu sehen. Ich bin sehr neugierig auf die Bauleute. Die tragen alle weiße Kleidung. Sehr reinlich kann sie wohl bei der Arbeit nicht bleiben. Kleine Glashäuser sind unten schon fertig. Die sind wohl für mich noch nicht gut genug. Darum muß ich hier oben allein bleiben und Dir telegraphieren. Ich ordne jetzt eine Spazierfahrt an – hoch über den Fidschiinseln. Ich telegraphiere Dir während der Fahrt noch mal. Die Sonne steigt, und wir müssen auch höher steigen. In den Tropen ist es doch schrecklich heiß – trotz der Kühlapparate. Ich bin Deine Clara Krug.«

Dieses Telegramm wurde sofort nach unten gesandt zur Funkenstation, allwo es weiter gegeben wurde zum Michigansee.

Während der Spazierfahrt sandte Frau Clara an Frau Amanda dieses:

»Ich spreche nur immer durchs Telephon zu unserm Steuermann: bitte höher! bitte tiefer! bitte rechts! bitte links! Und so weiter! Und das Luftvehikel fährt ganz so, wie ich's will. Wir können das Telegramm von einer andern Funkenstation aus absenden. Darum kann ich mich jetzt etwas freier ausdrücken. Ich finde die Inseln so wundervoll, daß das Glas m. E. gar nicht so nötig ist. Hier könnte man beinahe auf alle Kunst verzichten. Kleinere Inseln wirken wie bunte Blumenbeete. Und dazu die riesigen Eukalyptusbäume. Von den Eingeborenen sieht man wenig. Die schlafen wahrscheinlich in Erdhöhlen und denken gar nicht an die Glasarchitektur. Ja, sage mir doch, wie Du über den köstlichen Ehekontrakt denkst. Glaubst Du, daß mich Edgar gewissermaßen als Reklamedame geheiratet hat? Glaubst Du, daß er das nötig hat? Ich weiß es nicht. Ich denke aber immerzu darüber nach. Er hat's doch gar nicht nötig. Wir fahren demnächst zum Südpol. D. h. nicht ganz hin – aber doch in die Gegend des ewigen Packeises. Wem soll ich da in Grau imponieren? Ich verstehe meinen Gatten noch nicht. Glaubst du, er will nur einen ästhetischen Kontrast in mir besitzen? Glaubst du, daß ihm seine furchtbar bunte Glaswelt bereits zu bunt wird? Manchmal glaube ich's. Übrigens wollen wir danach zur Insel Borneo, wo ein Riesenbad gebaut wird. Dann nach Japan und Indien. Die Sonne geht unter. Eine Tropensonne! Oh! Das möchte ich bunt photographieren. Der Tropenhimmel ist wunderbar klar. Und einzelne Sterne kommen heraus – auch das Kreuz des Südens. Ich möchte gar nicht aufhören, Dir Grüße zu senden. Lebe wohl! Vergiß mich nicht. Und – gute Nacht! Deine Clara.«

Auch dieses Telegramm wurde rasch befördert. Und zwei Stunden später war Frau Clara in ihrer Kajüte eingeschlafen. Man hörte das Meer rauschen. Ein paar Seevögel flogen vorüber. Und die Diener heizten jetzt die Kabine, da die Nacht in den Tropen sehr kalt ist.

 

Am nächsten Tage hatte Herr Edgar Krug mit seinen Bauleuten einen großen Zank; einer der Bauherren war aus England angekommen und hatte bestimmt, daß eine zu große Buntheit bei den ganzen Anlagen nicht möglich sei, da die Augen der Luftchauffeure doch nicht zu stark in Anspruch genommen werden dürften.

Herr Edgar sprach nun feierlichst:

»Ich will ja auch grade das Einfache. Aber das Einfache kann auch bunt sein. Alte Kirchenfenster wirkten schon vor Jahrhunderten immer beruhigend auf die menschlichen Sehnerven. Warum sollen sie heute nicht beruhigend wirken?«

»Ja«, versetzte nun Mr. Webster, diese englische Bauherr, »das mag schon ganz richtig sein – sowohl in der Theorie wie in der Praxis. Hier aber sollen Luftchauffeure ein Erholungsheim haben, deren Wünsche und Ansichten sind hier ganz allein maßgebend. Ästhetische Ansichten und Rücksichten haben hier gar keinen Wert. Die Luftchauffeure sind eben gegen das Bunte und wollen einfarbige große Scheiben. Es soll ein großer Zug durch diese große Anlage gehen.«

Herr Krug sagte noch Manches zur Rettung des Bunten, ließ ein Häuschen für seine Frau in Zinnober und Orange herstellen – und baute auch eine Halle in denselben Farben für den Abendbrottisch.

Die Moskitonetze wurden gleich aufgespannt. Und dann kam des Abends, als die Sonne schon ganz nahe dem Horizonte war, Frau Clara Krug und wurde den Herren – besonders Mr. Webster – in feierlichster Form vorgestellt.

»Sie sehen«, sagte Herr Krug, »an dem Kostüm meiner Frau, daß ich einen Sinn für einfache Wirkungen habe. Meine Frau trägt immer Grau mit zehn Prozent Weiß. Die Luftchauffeure werden sich also nicht über mich zu beklagen haben. Sie sollen auch in den Farben das Einfache haben – ganz wie sie's wünschen. Ich wäre ja ein schlechter Architekt, wenn ich die Wünsche meiner Bauherren nicht zu berücksichtigen verstände. Das muß ja jeder Architekt in erster Linie verstehen. Das Künstlerische und Ästhetische kommt zweifellos immer erst in zweiter Linie.«

Frau Krug war fast ebenso gekleidet wie in Chikago vor fünf Tagen.

Die prächtigsten Orchideen dufteten auf dem Abendbrottisch. Und sehr viele Früchte machten den Tisch ganz bunt. Herr Krug hatte alles arrangiert.

Herr Webster sagte da:

»Wenn man diesen bunten Tisch sieht und daneben Ihre schönen Reden von der Einfachheit hört, so ist man ein wenig verwirrt. Aber – das Kostüm Ihrer Frau Gemahlin wirkt diesem bunten Tisch gegenüber entzückend.«

So pries man das graue Tuch und sprach weiter über die ganze Anlage. Der Mond ging auf und glänzte auf dem Meere; er sah durch die Moskitonetze dunkelrot durch.

Mr. Webster sagte:

»Mir scheinen zwei Farben für die ganze Anlage durchaus genügend zu sein. Die Orchideen sind ja schon so bunt und die Früchte auch. Da muß man einen Gegensatz haben. Ich wäre für Dunkelviolett und Karmin.«

Herr Krug sah seine Gattin bedeutungsvoll an.

Und sie sagte:

»Zinnober und Orange könnten Sie doch noch hinzugeben.«

Mr. Webster verbeugte sich galant und sagte leise:

»Wenn Sie es wünschen, gnädige Frau! – Ja!«

»Dann hätten wir also«, bemerkte Mr. Krug, »vier Farben zur Verfügung. Dann müßte alles auf perspektivische Wirkungen hin gebaut werden. Das Terrain wird von Hügeln umschlossen. Auf den Hügeln können Windschirme aus Glas stehen in den vier Farben. Lange Gänge können oben angebracht werden. Und unten kommen Teiche und Schwäne und Orchideen – und ein paar Motorboote, so daß alles ganz ruhig wirkt. Wie denkst Du darüber, liebe Clara?«

Nun – Frau Clara war ganz der Meinung ihres Gatten und wollte noch mehr von der ganzen Anlage hören.

Da fuhr Herr Krug fort, ihr seine Pläne auseinanderzusetzen.

»Vergiß nicht«, sagte er nervös, »daß wir hier Tropenklima haben. Das Meer ist von allen Hügeln aus zu sehen. Die Windschirme aber kann man so anbringen, daß das Meer öfters am Ende von zwei parallel laufenden Windschirmen sichtbar wird. Das macht sich sehr effektvoll und läßt sich auch so anbringen, daß es hier vom tieferen Orchideenterrain aus gesehen werden kann; man macht in ein paar Hügel einen Einschnitt, kleidet diesen Einschnitt mit farbigem Glase aus und hat dann den Perspektiven-Effekt auch vom tiefer gelegenen Terrain aus, auf dem ja die Wohnhäuser stehen sollen.«

So sprachen sie weiter über die Anlage, und Mr. Webster hörte mehr auf Frau Clara als auf deren Gatten.

Nach ein paar Stunden war Mr. Webster mit allen Plänen des Herrn Krug einverstanden.

Am nächsten Tage gab Herr Krug seinen Bauleuten die genaueren Pläne.

Und es wurden gleich verschiedene Windschirme aufgerichtet. Und dabei arbeitete man nur mit den Farben Orange, Violett, Karmin und Zinnober.

Frau Clara war immer mit ihrem Gatten zusammen und interessierte sich sehr für die Arbeiten der Schlosser und Glaser und für die Ruhebänke.

Dabei wurde erörtert, ob Bahnschienen anzulegen seien. Dem aber widersprach Mr. Webster, und Mr. Krug sagte lachend: »Schönen Dank dafür. Ich bin auch für kleine Automobile, die auf ein paar Fahrstühlen höher und niedriger gebracht werden können. Dann aber ist überall Fliesenboden nötig. Auch können Sänften zum Menschentransport benutzt werden, damit die Eingeborenen doch auch was zu tun haben.«

Da gab's ein langes Gerede über die Farben der Fliesen. Herr Webster war wieder nur für zwei Farben – Violett und Weiß.

Nun sollte Frau Clara ihre Meinung sagen. Und da sagte sie:

»Meinetwegen auch Schwarz und Weiß!«

Dazu bemerkte aber Herr Krug mit krauser Stirne:

»Das ist doch wohl zu gewöhnlich. Bleiben wir also bei Violett und Weiß, damit dieser Kampf um die Farbe ein Ende nimmt.«

Hiernach speiste Herr Krug mit seiner Gattin in der Kajüte seines Luftschiffes hoch oben in der Luft.

Frau Krug bekam dann ein Telegramm von Miß Amanda. Das lautete:

»Liebe Clara! Schönsten Dank für Deine lieben Worte. Aber meine größte Sorge ist durch sie nicht zerstreut worden – im Gegenteil. Mr. Löwe ist momentan in New York. Ich habe alles, was ich ausgestellt habe, verkauft. Nun denke ich oft an Dich und bin in Unruhe. Auch Mr. Löwe sagte, daß das keine gute Ehe geben könnte. Ich wundere mich, daß Du so einfach auf die Sache eingegangen bist. Als Reklamedame sollst Du zweifellos verwendet werden. Das finde ich nicht sehr fein. Ich täte das nicht. Außerdem sehe ich in dem ganzen Ehekontrakt eigentlich nur eine Marotte – und zwar eine tyrannische. Der Mann will zeigen, daß er Macht über Dich hat. Ich ließe mir das nicht gefallen. Doch will ich nicht hetzen. Ich fürchte nur, daß es in jedem Falle mal zum Konflikt kommen muß. Sprich zu mir, wenn's so weit ist. Geht alles gut, so will ich nichts gesagt haben. Ich muß Dich natürlich bitten, Deinem Gatten nichts von meinem Verdachte zu sagen. Grüße ihn und sei auch viele Male gegrüßt von Deiner Amanda. Hol' der Teufel die Marotten!«

Auch dieses Telegramm legte Frau Clara in die Kassette mit durchsichtigem Email, in der auch das erste Telegramm ihres Gatten lag.

 

Frau Krug blieb jetzt vierzehn Tage oben in ihrer Gondelkajüte, da unten die Schlosserarbeiten zu viel Lärm machten. Der Ballon wurde immer wieder automatisch gefüllt. Und täglich umkreiste das Luftschiff ein paar Dutzend Male das ganze Bauterrain; Mr. Krug und Mr. Webster waren sehr oft oben in den Kajüten und sahen dem Bau der Schlosser und Glaser mit Aufmerksamkeit zu. »Nun ist«, bemerkte Mr. Krug eines Morgens, »das Wichtigste in der ganzen Anlage fertig. Wie gefällt Ihnen, Mr. Webster, die ganze Anlage von der Vogelperspektive aus! Auf diese müssen wir wohl besonderen Wert legen, da ja die Luftchauffeure zumeist auf dem Luftwege dem Erholungsheim nahen dürften. Und – da muß der erste Eindruck gleich der stärkste sein. Wie gefällt Ihnen nun, Mr. Webster, das bislang Geschaffene?«

Mr. Webster schwieg eine Weile.

Dann steckte er sich eine Zigarre an und blies den blauen Rauch in die Morgenluft.

Frau Clara schlief noch, und der Herr Edgar sagte langsam und lächelnd:

»Die Windschirme wirken von der Vogelperspektive aus nicht sehr massiv.«

»Nein!« rief Mr. Webster, »das tun sie nicht.«

»Wir brauchen Dachartiges!« fuhr Herr Edgar fort, »ich werde meinen Leuten durch Farbensignale den Auftrag geben, mal zwei Dächer an einem Schirm anzubringen.«

»Das wird«, sagte Mr. Webster, »die ganze Anlage sehr verteuern; Glas ist ein sehr schweres Material.«

»Sie vergessen die Hebel«, versetzte der Herr Edgar, »mit Hebeln kann man die schwersten Gegenstände nicht nur heben – man kann sie auch leicht mit Hebeln dirigieren.«

Ein schriller Pfiff ertönte auf dem Vorderdeck, und die Farbensignale leuchteten auf und verkündeten unter den Bauleuten, was der Herr Edgar wünschte.

Danach wurde ein anderer Schirm auf den einen Windschirm hinaufgestellt, so daß er durch Hebelgewicht nach oben gerichtet, horizontal und in jedem Winkel festgestellt werden konnte – auch so, daß er mit der anderen Seite den Boden berührte.

»In dieser Stellung«, sagte Herr Krug, »ist der senkrecht stehende Schirm auch bei dem stärksten Orkan, mit dem wir schon rechnen müssen, nicht umzuwerfen; der Dachschirm steht schräg, und der Wind hat eine gut gestützte Angriffsfläche.«

»Herrlich! Herrlich!« rief Mr. Webster.

Als Frau Clara nach zwei Stunden erschien, waren schon fünf der senkrecht aufragenden Windschirme mit Dachschirmen versehen – zwei davon hatten Winkeldachschirme.

Jetzt kamen immer mehr Dachschirme hinauf.

»Ah«, rief Mr. Webster, »Sie haben schon alles vorbereitet. Na – man kann sich's gefallen lassen. Jetzt sehen die Hügel so aus von hier oben – als wären sie mit Häusern bebaut. Die Dächer sind einfach gestreift. Aber da kommt ja auch ein kuppelartig-röhrenartiges Dach. Ja – Sie haben alles vorbereitet. Eine kleine Überraschung für mich. Was sagen Sie dazu, Frau Clara?«

»Ich bin entzückt!« rief Frau Clara.

Da schüttelten sich die Herren die Hände, und Herr Krug ließ ein schwedisches Frühstück auftragen.

 

Acht Tage später war die ganze Anlage mit den Glasdächern fertig; die Dächer ließen sich durch Hebelgewicht leicht immer wieder unter anderm Winkel einstellen.

Und dadurch erhielt die Anlage für den durch die Luft Heranfahrenden immer wieder einen anderen Reiz; die anderen Winkel erzeugten immer wieder ein anderes Dächerbild.

Mr. Webster war mit Allem sehr zufrieden und gab seiner Freude in langen Telegrammen Ausdruck, die durch drahtlose Telegraphie rasch nach London befördert wurden und dort in der Gesellschaft des Erholungsheims den besten Eindruck machten.

Mr. Krug nahm danach mit seiner Gattin von Mr. Webster und seinen Bauleuten Abschied, und man feierte den Abschied bis zum Morgengrauen.

Dann fuhr das Ehepaar im Luftschiff nach Süden, während die Sonne im Osten aufging.

Herr Edgar aß beim Sonnenaufgang frische Taschenkrebse und trank Sodawater mit gutem Burgunder dazu.

Unten fuhr Mr. Webster mit dem letzten der zwölf Transportdampfer nach Borneo.

Die Bauleute gönnten sich drei Tage Ruhe.

 

Herr Krug setzte seiner Gattin auf der Fahrt gen Süden, wo es immer kälter wurde, verschiedene Kleinigkeiten über die Anlage auf den Fidschiinseln auseinander.

Erst mußte er ihr den Hebel erklären.

»Denk Dir«, sagte er, »eine große Wage. Du magst auf der einen Seite so viele Zentner rauflegen, wie Du willst, immer kannst Du die vielen Zentner hochheben, wenn Du auf der anderen Seite der Wage ebensoviel Gewicht raufpackst. Dieser Hebelspaß ist die Hauptsache bei der ganzen Ingenieurkunst. Und auch der Architekt hat immer wieder damit zu rechnen. Es ist unsäglich einfach und doch so großartig. Die größten Bauten sind nur mit den Hebeln möglich. Selbstverständlich müssen die Hebelarme die richtige Stärke haben, sonst brechen sie ab.«

Herr Edgar zeichnete seiner Gattin eine Anzahl Anlagen auf, in denen der Hebel die größte Rolle gespielt hat.

»Hätten die alten Ägypter«, sagte er dabei, »die ganze Großartigkeit des Hebels gekannt, sie hätten noch größere Bauwerke als die Pyramiden geschaffen.«

»Wie«, meinte später Frau Clara, »ist aber das Glas gegen Hagel geschützt?«

»Es ist«, versetzte Herr Edgar, »einfach Drahtglas bei den Dachschichten verwandt. Das hält jeden Hagel aus. Zwischen zwei Glasflächen ist ein dichtes Drahtnetz gelegt – und das Ganze ist dann zusammengeschmolzen. Das Netz beeinträchtigt die Farbenwirkung nicht zu stark. Ich bin sogar der Meinung, daß sehr viel mehr Drahtglas in der heutigen Glasarchitektur verwandt werden sollte. Die Anlagen auf den Fidschiinseln stellen ja eigentlich nur eine Scheinarchitektur dar. Aber bunt ist es schließlich doch. Das Prinzip ist gerettet. Und Du hast dabei geholfen. Karmin und Orange sind durch Dich hineingekommen. Ich danke Dir, Clara.« Er küßte seiner Frau höflich die Hand.

Ein Unwetter zog herauf, und sie zogen sich in die geheizte Kajüte zurück.

Das Meer rauschte gewaltig.

Herr Edgar befahl, höher hinaufzufahren.

Und in eintausendfünfhundert Metern Höhe war die Luft wieder ganz ruhig.

 

Herr Löwe hörte währenddem in New-York immer wieder von Edgar Krugs Bauten.

Auch von Krugs Bauten auf den Fidschiinseln wurde sehr viel gesprochen.

Man wollte auch Näheres von Mr. Krugs Ehe hören. Aber Mr. Löwe schwieg wie ein Grab.

Auch von Miß Amanda Schmidt ließ sich nichts Näheres erfahren.

Trotzdem kamen verschiedene Andeutungen in der Presse vor, da schließlich die Standesbeamten von Chikago doch nicht so verschwiegen waren, wie sie es eigentlich hätten sein sollen.

Aber was von dem Ehekontrakt in die Öffentlichkeit gelangte, war ein Zerrbild der Wirklichkeit; man erzählte sich, daß Miß Clara Krug sich verpflichet habe, in jeder Woche einmal ein mit Email cloisonné verziertes Kleid zu tragen – und das Kleid sollte dreißig Pfund wiegen.

Mr. Löwe wurde befragt, und er blieb ganz ernst und sagte, daß darüber nicht gesprochen werden dürfte.

Danach logen die Reporter ganz unglaubliches Zeug über Mr. Krug zusammen.

Und dieser ahnte nichts davon; er war unten über dem Packeis des Makartlandes und hatte Mühe, dort die Malerkolonie zu entdecken, für die er auch Glasbauten hergestellt hatte; jetzt sollte im Südpolargebiet noch mehr gebaut werden – aber man sträubte sich gegen das Glas und wollte Holzbauten.

 


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