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5.

Unter dem Einfluß der Reformliteratur, wie sie von Frankreich aus die gebildeten Kreise Europa's beherrschte, gewannen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die neuen Prinzipien auf dem staatlichen und kirchlichen Gebiete positive Gestaltung. Die Abgelebtheit der mittelalterlichen Formen lag zu sehr am Tage, um länger übersehen werden zu können. Neue Bedürfnisse rechtfertigten überall die Kritik des Alten und Veralteten und den Staatenlenkern selbst mußte eine Opposition willkommen sein, welche ihnen die Wege zu Veränderungen bahnte, die schon um ihres eigenen Vortheils willen mehr und mehr unausweichlich geworden waren. Der Absolutismus mußte ein »aufgeklärter« werden, d. h. er mußte den Vorschritt der Völker wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu seiner eigenen Sache machen, er mußte die Bewegung zu lenken suchen, um nicht von ihr überflügelt zu werden. Freilich hat nachmals die Revolution bewiesen, daß selbst königliche Hände eine rollende Lawine nicht zu leiten oder gar aufzuhalten vermögen; aber vorerst sahen nur einige tiefer blickende Geister voraus, daß der Umwälzung von oben auf halbem Wege eine Umwälzung von unten begegnen könnte. Mit anderen Worten, die Möglichkeit einer Revolution ahnte nur ein Voltaire, ein Rousseau, während über die Nothwendigkeit von Reformen alle Denkenden und Redlichen einverstanden waren.

Demzufolge ging der »erleuchtete Despotismus« überall rüstig an sein Werk, den mittelalterlichen Feudalstaat vollends zum modernen Polizeistaat umzuschaffen. Befreiung der Völker von feudalem Druck, Aufhebung der Leibeigenschaft, gesteigerte Nutzbarmachung der natürlichen und industriellen Hülfsquellen der Länder für den Staatshaushalt, Vermenschlichung einer barbarischen Gesetzgebung und Rechtspflege, Milderung der schroffen Kastenunterschiede, Förderung der Volksbildung durch Schuleinrichtungen: – das waren die in politischer und sozialer Richtung angestrebten Ziele. Auf dem religiösen Gebiet griff der große Grundsatz gegenseitiger Duldsamkeit entschieden Platz und weder die römische Curie noch die protestantischen Kirchen vermochten der Einwirkung des Zeitgeistes sich zu entziehen. Die lutherische Orthodoxie wurde durch den deutschen Rationalismus, welcher die Mission der englischen Freidenker weiterführte, in der öffentlichen Meinung gerichtet, während innerhalb der katholischen Kirche in der Aufhebung des Jesuitenordens durch den liberalen Papst Ganganelli – welcher freilich, melancholischer Ahnung voll, mit Unterzeichnung der Aufhebungsbulle sein Todesurtheil unterschrieben zu haben bekennen mußte – ferner in den Anläufen der Illuminaten und endlich in den Josephischen Reformen die Aufklärung ihre Höhepunkte erreichte.

Jeder Unbefangene wird zugeben, daß mit Alledem die weltgeschichtliche Entwicklung einen mächtigen Schritt nach vorwärts that. Aber nicht minder wird der Unbefangene zugestehen, daß an den Unternehmungen des erleuchteten Despotismus, selbst an seinen besten, der Fluch des Zwanges, der Willkür und des zudringlichen Hineinregierens in Alles und Jedes haftete. Sei sie eine finstere oder erleuchtete, immer ist es die Natur der Gewaltherrschaft, daß sie ernten will, bevor die Aussaat gekeimt hat, geschweige großgewachsen ist. Der Grundfehler der commandirten Aufklärerei war das Generalisiren, das schablonenmäßige Zuschneiden, die geringe Achtung oder vielmehr entschiedene Mißachtung der Individualität der Völker wie der Personen. Die gekrönten Aufklärer und ihre Minister hielten durchschnittlich dafür, es genüge, die encyklopädischen Formen aus Paris zu verschreiben und die Völker wie Töpferthon in dieselben hineinzupressen. Aber erstens sind die Menschen doch nicht so ganz Töpferthon und zweitens kommt die in den Massen ruhende Kraft der Trägheit viel sympathetischer einer befohlenen Verdunkelung als einer befohlenen Erleuchtung entgegen. Vermittelst souverainen Beliebens, vermittelst des » Car tel est notre plaisir!« lassen sich wohl aufklärerische Edicte, nicht aber läßt sich damit eine wirkliche Kultur schaffen und deßhalb sind auch so viele von den Thaten des » Despotismo illustrado« eben nur papierene gewesen, die sich bald genug wirkungslos in dem Maculaturkorb der Geschichte verloren. Auch wäre es ein großer Irrthum, zu glauben, daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland und anderswo an entscheidender Stelle mit der aufklärerischen Theorie stets eine entsprechende Praxis Hand in Hand gegangen sei. Gerade in diese Zeit fallen willkürlichste Acte von Kabinetsjustiz, gerade an dieser Zeit haftet ein dunkelster Makel deutscher Geschichte, – die Behandlung der Unterthanen Seitens ihrer Landesherren als einer bloßen Waare, welche an den Meistbietenden verhandelt wurde.

So, wie er einmal war, mit allen seinen Vorzügen und vielen seiner Schwächen, erscheint der aufgeklärte Absolutismus höchster Potenz in Friedrich dem Großen. Eines Tages erfuhr Europa plötzlich, daß die vielverhöhnte »Potsdamer Wachtparade« Friedrich Wilhelm's I. noch zu ganz anderen Dingen gut sei als zum Parademachen und daß die vielen Millionen Thaler doch nicht aus bloßem Geiz in den Gewölben des Berliner Schlosses aufgespeichert worden. Was der Vater vorbereitet hatte, die Erhebung Preußens zur europäischen Großmacht, – der Sohn vollbrachte es. Das thatsächliche Manifest dieser Erhebung, die Wegnahme Schlesiens, erschien zwar den pedantischen Staatsperücken, welche mit weitschichtigster Gründlichkeit das deutsche Reich zu Tode regierten, als ein muthwilliger Schülerstreich, welcher sofort seine Bestrafung finden würde. In Wahrheit aber war sie die von einer genialen Natur dem Geschick hingeworfene Herausforderung, und als dieselbe nach einigem Zögern angenommen wurde, da war das Schlußresultat eines von dem kleinen Preußen sieben Jahre lang gegen das verbündete Europa ruhmvoll bestandenen Krieges dieses, daß niemals der großartige Kampf des Menschen mit dem Schicksal großartiger geführt worden sei, als hier durch Friedrich den Großen geschah.

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2. Portrait: Friedrich der Große.
Originalzeichnung von A. Menzel. Geschnitten von A. Vogel

Für Deutschland ist die Bedeutung dieses Helden und Herrschers die gewesen, daß er durch seine heroische Laufbahn die tiefgesunkene Achtung der Welt vor deutschem Wesen wieder erhöhte und den Deutschen das verlorene Selbstgefühl zurückgab; ferner, daß er, dem kaiserlichen Oestreich ein thatsächlich gleichberechtigtes Preußen zur Seite stellend, den Gegensatz der beiden Staaten zu dem Angelpunkte machte, um welchen sich fortan die Entwicklung deutscher Geschichte zu drehen hatte. Die weltgeschichtliche Bedeutung Friedrichs war einerseits, daß er Preußen in die Reihe der Großstaaten von Europa einführte; andererseits, daß er ganz entschieden als gekrönter Aufklärer regierte. Wie mit der Aufhebung der Tortur, ist er überall vorangegangen, die neuen Prinzipien des Jahrhunderts zu praktischen Reformen zu gestalten. Er ließ auch Jedermann bis zu einem gewissen Grade seine Meinung sagen, wie »Jeden nach Seiner Faßon Selich werden«. Den unbedingten Autokraten hat er aber bei Alledem sein Leben lang nie verleugnet. Das Vollbewußtsein des » Droit divin« war in keinem seiner gekrönten Zeitgenossen stärker als in dem Manne, der von sich zu sagen liebte, er sei nur der erste Diener des Staates, und wenn der große König am Ende seiner Laufbahn murrte, daß er »müde sei, über Sklaven zu herrschen«, so kommt diesem Worte nur der Werth einer kühnen Selbstpersiflage zu. Einem Italiäner, Alfieri, kam der ganze preußische Staat wie eine ungeheure Wachtstube, einem Engländer, Hanbury, kam er wie ein ungeheures Gefängniß vor und ein Deutscher, der behutsame, schmiegsame Wieland, konnte sich nicht enthalten, der blinden Vergötterung des heldischen Königs gegenüber zu äußern: »König Friedrich ist zwar ein großer Mann, aber vor dem Glück, unter seinem Stocke ( sive Szepter) zu leben, bewahre uns der liebe Herrgott!« Indessen, welchen Irrthümern auch dieser seltene Mensch und Regent verfallen ist, welche Mißgriffe, namentlich in nationalökonomischer Beziehung, er begangen und wie sehr er durch eine ungerechte Bevorzugung des in seinen berühmten Marginalresolutionen von ihm häufig so bitter verhöhnten Adels – die so weit ging, daß er nur adeligen Offizieren Ehrgefühl zutraute – dem Geiste seiner Zeit und seinen eigenen Grundsätzen ins Gesicht geschlagen, immer wird er als eine der bedeutendsten Gestalten der Weltgeschichte dastehen und nie wird ein Empfänglicher ohne Ehrfurcht und Rührung im Testament des großen Königs die Stelle lesen, wo er der Wahrheit gemäß sagte, daß er nur über ein geringes Privatvermögen zu verfügen habe, weil er »die Einkünfte des Staats immer als eine Bundeslade betrachtete, welche keine unheilige Hand berühren durfte.«

Was freilich Friedrich's Verhalten zur deutschen Bildung oder vielmehr gegen dieselbe betrifft, so kann der Patriot dasselbe wohl begreiflich, nicht aber verzeihlich finden. Es ist wahr, Friedrich hatte das Unglück, daß ihm schon in frühester Kindheit durch ein paar ganz und gar französirte Frauen, denen er anvertraut war, ein starkes Vorurtheil gegen das deutsche Wesen eingeimpft wurde. Es ist ferner wahr, daß der Anblick des mit mechanischer Frömmelei verquickten Teutonismus, welcher am Hofe seines Vaters herrschte, nicht eben geeignet gewesen, dem heranwachsenden Prinzen seine Vorliebe für elegante Pariser Moden oder für französische Frei- und Schöngeisterei zu verleiden. Allein ebenso wahr ist, daß, nachdem der König die Nichtsnutzigkeit des Franzosenthums im Krieg und Frieden, an seiner Tafel zu Sanssouci, wie auf dem Schlachtfeld von Roßbach oder in seiner französischen Abenteurern anvertrauten Kaffee- und Tabaksregie, sattsam kennen gelernt hatte, es doch wohl der Mühe werth gewesen wäre, zu untersuchen, ob denn eine Kultur, welche nur solche Resultate lieferte, wirklich über die vaterländische so unendlich erhaben sei. Wenn Friedrich bei seiner ans Wunderbare streifenden Arbeitsfähigkeit auch nur den zehnten Theil der Zeit, welche er mit französischer Versemacherei verlor, darauf verwandt hätte, das edle Streben der rings um ihn her erwachten deutschen Geister zu beachten, gewiß, Klopstock hätte ihn nicht mit vollem Rechte den »Fremdling im Heimischen« zu schelten Gelegenheit gehabt. Wenn der große König das angebliche Sapphothum einer Karschin mit zwei Thalern hinlänglich honorirt glaubte, wenn er von den gereimten und ungereimten Lobhudeleien der Gleim und Ramler keine Notiz nahm, wenn ihm zum Verständniß der religiösen Lyrik Klopstock's das Organ fehlte, so wird kein Verständiger ihn darum tadeln wollen. Aber was soll man dazu sagen, daß der königliche Literat die edelste Huldigung, welche dem Genius und der Stellung Friedrichs des Großen zu Theil geworden, die bei der ersten Aufführung durch die Döbbelin'sche Truppe am 19. März 1768 von den Berlinern mit unerhörtem Beifallssturm aufgenommene »Minna von Barnhelm« übersah, weil sie eben nur von einem Deutschen dargebracht wurde? Was dazu, daß er durch Unterhaltung einer französischen Akademie inmitten eines deutschen Landes die Geisteskultur desselben zu fördern wähnte? Was dazu, daß er noch im Jahre 1780, also nach dem Erscheinen der Emilia Galotti, des Götz und Werther, des Nathan und des Oberon, sein Libell » De la littérature allemande« ausgehen ließ, worin er mit der ganzen Naivetät der Ignoranz einen Shakspeare und Göthe schmähte und von seinen deutschen Landsleuten sagte, »sie hätten bislang Nichts gekonnt als essen, trinken und zuschlagen«? Wahrlich, zu einer Zeit, wo Lessing längst eine classische deutsche Prosa geschaffen und Wieland den Franzosen auf ihrem eigenen Gebiete Lorbeern abgerungen hatte, hätte man billig erwarten dürfen, daß ein deutscher Monarch, der noch dazu den Anspruch erhob, ein Literat zu sein, die deutsche Sprache und Literatur nach ihren vorliegenden Leistungen statt nach seinem eigenen vorsündflutlichen und grotesken Deutsch beurtheile.

siehe Bildunterschrift

3. Portrait: Joseph II.
Originalzeichnung von Burger. Geschnitten von A. Vogel

Unwillkürlich muß man, wenn man mit Bedauern von Friedrich's undeutschem Wesen redet, zugleich mit Freude des aufrichtigen Wortes von Kaiser Joseph dem Zweiten gedenken, daß »er das gemeinschaftliche Vaterland liebe und stolz darauf sei, ein Deutscher zu sein.« Wie sehr auch Joseph seinen großen Gegner als Aufklärer zum Vorbild nahm, hinsichtlich der blinden Verehrung von Französischem und der ebenso blinden Verwerfung von Vaterländischem that er es ihm keineswegs nach. Es mag dieses, wie überhaupt der Unterschied zwischen Friedrich und Joseph, seinen Grund darin haben, daß jener mit dem Kopfe, dieser mit dem Herzen dachte. Das war Friedrich's Vortheil und Joseph's Unglück; aber wenn die Parallele zwischen dem aufklärerischen König und dem aufklärerischen Kaiser gewöhnlich so sehr zum Nachtheil des letzteren auszufallen pflegt, so vergißt man, daß es eine unendlich viel leichtere Sache war, den einheitlichen, vorwiegend von einer und derselben Nationalität getragenen, schon von Friedrich Wilhelm I. straffmilitärisch organisirten und an unbedingten Gehorsam gewöhnten preußischen Staat in die neuen Formen einzuzwängen, als das tief in hispanisch-mittelalterlicher Trägheit stecken gebliebene Oestreich, ein Conglomerat widerhaariger Nationalitäten, in einen modernen Staat umzuschaffen. Der Erfolg ist, was man auch sage, nicht allein der Maßstab der urtheilslosen Menge, sondern im Grunde auch der Werthmesser der Geschichte. Tadelnswerthestes, was Friedrich unternommen, z. B. die Theilung von Polen, wird gepriesen oder wenigstens bemäntelt, weil es ihm geglückt ist; Löblichstes, was Joseph angestrebt, z. B. die Befreiung des Ungarvolkes von oligarchischer Barbarei, genannt Verfassung, wird getadelt, weil es ihm mißglückte. Keine Frage, die oben berührte Schattenseite des aufgeklärten Despotismus haftete in bedeutendem Grade auch an Joseph und seinem Thun, in noch höherem als an dem Friedrich's, weil dieser jenen, wie an Genie, so auch an Kenntniß der Geschäfte übertraf und, aller schönen Illusionen ledig, die Menschen nahm, wie sie sind. Aber wenn der edle Kaiser mit Herrscherthaten, welche – wie das Toleranz- und Preßfreiheitsedict von 1781, das Civilgesetzbuch von 1786, das Strafgesetzbuch von 1787 und das Steueredict von 1789 – zu den glorreichsten der deutschen, ja der Geschichte überhaupt gehören, verhältnißmäßig wenig oder nichts ausgerichtet hat, so war das doch wohl nur insofern seine Schuld, als er sich in dem Glauben an das Gerechtigkeitsgefühl der Privilegirten getäuscht und nicht erwartet hatte, der Unverstand der Massen würde so groß sein, daß sie gegen ihren Befreier und Wohlthäter Partei nähmen. Das war der tragische Irrthum, an welchem das beste Herz brach, welches jemals in der Brust eines Kronenträgers geschlagen hat. Joseph tritt uns menschlich viel näher als Friedrich. Denn wo wir diesen seiner Kraft und seiner Erfolge wegen bewundern, lieben wir jenen um seiner Güte und seiner Leiden willen. Und es ist auch gar nicht wahr, daß Joseph nur ein edler Schwärmer gewesen sei. Wie richtig und vorahnend der Grundgedanke war, von welchem er bei seinem Reformwerk ausging, der Gedanke, daß eine Regeneration Oestreichs auf der Einheit des Staates fußen müsse, dafür hat das 19. Jahrhundert Zeugniß abgelegt, indem es diesen Josephischen Gedanken wieder aufnahm und so den Manen des unglücklichen Kaisers wenigstens nach dieser Seite hin die schuldige Sühne bot.


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