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Ankunft. – Dalberg'sches »Pulverfeuer.« – Der Vertrag. – Kaltes Fieber. – Tastende Unrast. – Ein lieber Besuch. – Der Fiesco und die Luise Millerin auf der Bühne. – Zur Charakteristik dieser Trauerspiele. – »Geistweise« in der Heimat. – Eintritt in die kurpfälzische deutsche Gesellschaft. – Abhandlung über die Schaubühne. – Vorschritt des Don Carlos. – Die Rheinische Thalia. – Erste Begegnung mit Karoline und Charlotte von Lengefeld. – Charlotte von Kalb. – Margaretha Schwan. – Geldjammer und sonstige Bedrängnisse. – Bei Hofe. – Der Herzoglich Weimar'sche »Rath« Schiller. – »Der Freundschaft leise, zarte Hand.« – Nach Sachsen!
»Endlich bin ich in Mannheim. Matt und erschöpft kam ich gestern Abend hier an, nachdem ich mich Vormittags noch in Frankfurt herum getrieben. Meyer hat eine Wohnung nebst Kost für mich ausgemacht, die sehr gut und wohlfeil ist, neben dem Schloßplatz; mein Zimmer hat eine vortreffliche Aussicht.« Mit diesen Worten meldete der Dichter der mütterlichen Freundin am 28. Juli 1783 sein Wiedereintreffen in der Hauptstadt der Pfalz, Seine Briefe an Frau von Wolzogen gehören zu den liebenswürdigsten Urkunden über die adliche Sinnesart Schiller's. Ihr Ton ist innig, traulich, wie nur ein Sohn zu einer Mutter sprechen kann. In den Stellen, wo der Dichter von der jungen Lotte redet, liegt eine verhaltene Glut. Bauerbach mit seiner Gartenlaube und seinen einsamen Waldplätzen steht ihm fortwährend vor Augen. Er wünscht, sich ein jährliches Einkommen von 600 Gulden zu sichern, ohne daß er sich weiter mit der Welt einzulassen brauchte; dann wollte er in dem kleinen Dorf unter den Rhönbergen leben und sterben. Zugleich anerkennt er dankbar, wie viel er der großmüthigen Freundin schulde, nicht allein in materieller Beziehung. »Wie unendlich viel – ruft er ihr in seinem Briefe vom 11. August zu – haben Sie nicht schon an meinem Herzen verbessert!«
Der wackere Streicher, welchem der Freund in der Wohnung Meyer's ganz unverhofft entgegentrat, war freudig überrascht durch das blühende Aussehen und die heitere Miene desselben, Resultate der Bauerbacher Villeggiatur. Die rothen Wangen und die Heiterkeit sollten aber nicht lange vorhalten. Anfangs freilich ließ sich Alles ziemlich gut an. Der einige Tage nach Schiller's Ankunft von seiner Reise nach Holland zurückgekehrte Freiherr von Dalberg empfing den Dichter mit achtungsvoller Artigkeit und ließ ihn merken, daß er ihn gerne in Mannheim fixirt sähe, zugleich aber auch, daß er sich das möglichst wenig kosten lassen wollte. Schiller beurtheilte diese dilettantische Natur ganz vortrefflich, indem er gegen Frau von Wolzogen äußerte: »Der Mann ist ganz Feuer, aber leider nur Pulverfeuer, das plötzlich losgeht, aber eben so schnell wieder verpufft.« Zunächst indessen brannte das Dalberg'sche Pulverfeuer ziemlich hell und warm. Die Excellenz sagte halb und halb die Aufführung des Fiesco zu, führte am 13. August den Vorsitz in einer Gesellschaft, wo die Luise Millerin vorgelesen wurde, und versprach dem Dichter, die Räuber und einige andere große Stücke aufführen zu lassen, um denselben »in Feuer zu setzen.« Sehr herzlich wurde Schiller im Schwan'schen Hause empfangen und hatte die Genugthuung, daß ihm Herr Schwan Briefe von Wieland zeigte, welche bewiesen, daß der gefeierte Mann für seinen Landsmann »warm fühlte und groß von ihm urtheilte« Schiller an Frau von Wolzogen (11. Aug. 1783).. Freilich wurden viele Wochen verzettelt, bevor zwischen dem Dichter und dem Intendanten etwas Festes zum Austrag kam. Jener hielt fest an seinem Vorsatz, sich dem Freiherrn nicht zum zweiten Mal anzubieten, und so mußte dieser am Ende wohl mit bestimmten Anträgen herausrücken, wenn er Schiller's Thätigkeit für das von ihm geleitete Institut gewinnen wollte. Bevor jedoch die Anträge Dalberg's die Form eines Contracts gewannen, erkrankte der Dichter an einem kalten Fieber, welches in Folge wiederholter Rückfälle mehrere Monate hindurch eine große Plage für ihn war, und seine gedrückte Stimmung wurde nicht gebessert durch den Verlust seines treuen Freundes, des Regisseur Meyer, welchen ein in der Stadt grassirendes Gallenfieber wegraffte.
Schiller's Geneigtheit, auf Dalberg's Anerbietungen einzugehen, dürfte nicht unbeträchtlich durch den Umstand erhöht worden sein, daß er erfahren hatte, ein Bewerber um Lotte von Wolzogen von früher her, ein Herr von U., werde in Bauerbach erwartet. Er konnte ein lebhaftes Gefühl von Eifersucht nicht verbergen. »Versichern Sie – schrieb er am 12. September an Frau von Wolzogen – Ihre Lotte meiner ewigen Freundschaft. Jetzt wird Y. vermuthlich bei Ihnen sein und kaum gedacht werden an den armen Entfernten.« Tags zuvor hatte er die Freundin vom Abschluß des Vertrags mit Dalberg in Kenntniß gesetzt. Er sollte zunächst für ein Jahr als Theaterdichter thätig sein und innerhalb dieser Zeit der Bühne den Fiesco, die Luise Millerin und noch ein drittes Stück liefern. Dafür sollte er ein Fixum von 300 Gulden und von jedem Stücke die ganze Einnahme einer Vorstellung erhalten. Außerdem blieb ihm das Eigenthumsrecht dieser Dramen und er hoffte jetzt, mit seinen alten Verbindlichkeiten endlich in Ordnung zu kommen, d. h. einen »beträchtlichen Theil seiner Einnahmen auf Tilgung seiner Schulden verwenden zu können« Derselbe an dieselbe (11. Sept. 1783): »Folgende Punkte sind zwischen Dalberg und mir festgesetzt. 1) Bekommt das Theater von mir drei neue Stücke – den Fiesco, Luise Millerin und noch ein drittes, das ich innerhalb meiner Vertragszeit machen muß. 2) Der Contract dauert eigentlich ein Jahr, nämlich vom 1. September dieses Jahres bis zum letzten August des nächsten. Ich habe aber die Erlaubniß ausbedungen, die heißeste Sommerzeit wegen meiner Gesundheit anderswo zuzubringen. 3) Ich erhalte für dieses eine fixe Pension von 300 fl., wovon mir 200 fl. ausbezahlt sind. Außerdem bekomme ich von jedem Stück, das ich auf die Bühne bringe, die ganze Einnahme der Vorstellung, die ich selbst bestimmen kann. Dann gehört das Stück dennoch mir und ich kann es nach Gefallen verkaufen oder drucken lassen.«. Als eine Belohnung der frischen Thätigkeit, in welche er sich sofort werfen wollte, erschien ihm die Aussicht, nach Verfluß von acht oder neun Monaten seine edle Freundin wieder in Bauerbach zu begrüßen. »Bis dahin – schrieb er ihr – übergebe ich Sie dem Arm des unendlichen Gottes. Flehen Sie ihn um Schutz für mein Herz und für meine Jugend. Meine Freundschaft bleibt Ihnen unwandelbar und soll ein allmächtiges Gegengift gegen alle Verführung sein.«
Aber das Gegengift war doch nicht immer allmächtig. Der Dichter sah sich namentlich durch die Berührung mit den Schauspielerkreisen, die er in seiner Stellung nicht vermeiden konnte, in eine Menge von Bekanntschaften hineingezogen, welche nicht immer die ersprießlichsten waren. Zerstreuungen aller Art, zu welchen in dem munteren und dabei ziemlich kostspieligen Mannheim überreichliche Veranlassung war, beeinträchtigten seine Arbeiten, griffen seinen Beutel an und waren außerdem seiner völligen Genesung hinderlich. Aus Alledem erklärt sich ein gewisses unruhiges, fahriges, hastiges Wesen, in welches er mitunter verfiel und welches ihn nach wunderlichen Richtungen hin momentan an die Eröffnung »außerordentlicher Aussichten« glauben ließ. So erregte ihm z. B. die Freimaurerei ein lebhaftes Interesse Schiller an Frau von Wolzogen (12. Sept. 1783): »Vor einigen Tagen hat mich ein reisender Maurer besucht, ein Mann von den ausgebreitetsten Kenntnissen und einem großen verborgenen Einfluß, der mir gesagt, daß ich schon auf verschiedenen Freimaurerlisten stünde, und mich inständig gebeten hat, ihm jeden Schritt, den ich hierin thun würde, vorher mitzutheilen; er versicherte mich auch, daß es für mich eine außerordentliche Aussicht sei.«. Das lag freilich in der Zeit, wie wir seines Ortes näher sehen werden. Der alte Herr daheim auf der Solitude bemerkte bald mit Kopfschütteln, daß die Situation seines Sohnes in Mannheim wenig Garantie für die Zukunft biete. Er drang also in den Dichter, seinen Frieden mit dem Herzog zu machen, um in die Heimat und zu dem ärztlichen Berufe zurückkehren zu können. Der Vater erbot sich sogar, der Demüthigung sich zu unterziehen und den Fürsten um Verzeihung für den Sohn zu bitten. Auch Schwester Christophine schrieb in diesem Sinne und Schiller's Herz hatte einen schweren Kampf zu kämpfen, um diesen Bitten zu widerstehen, einen um so schwereren, da er seine geliebte Mutter krank wußte und die Kranke ihn deutlich merken ließ, daß das Wiedersehen ihres Fritz's heilender wirken würde, als alle die Arzneien, welche er auf die ausführlichen Krankheitsberichte des Vaters hin gegen ihr Leiden, hartnäckige und schmerzliche Magenkrämpfe, verordnete. Allein Schiller konnte nicht in die alte Sklaverei zurückkehren, ohne sich selbst zu verlieren. Er konnte weder sich selbst vor dem Herzog demüthigen, noch zugeben, daß dies der Vater in seinem Namen thäte. Das hieße, wie er seiner Schwester schrieb Zu Neujahr 1784. Streicher, S. 165, wo der ganze Brief abgedruckt ist., die Achtung vor sich selbst und den Glauben an seine Zukunft aufgeben. Wie lebendig aber gerade um jene Zeit allen Widerwärtigkeiten zum Trotz dieser Glaube in dem jungen Dichter gewesen ist, bezeugt uns sein ehemaliger Lehrer Abel, der seinen früheren Schüler zu dessen »fröhlichem Schrecken« Mitte Novembers mit einem Besuch überraschte. Der Professor, ein kurzer, behaglich dicker Mann, kam zu Pferde, »gespornt, einen runden Hut auf dem Kopfe, einen Hirschfänger umgeschnallt wie ein Student von Jena.« Schiller bewirthete in seiner Herzensfreude den theuren Lehrer und Freund mit etlichen Flaschen Burgunder, welche ihm einer seiner Mannheimer Verehrer zugeschickt hatte; aber der vortheilhafte Eindruck, welchen sein früherer Zögling auf Abel machte, hat den guten Professor gewiß noch mehr erquickt als der Burgunder. »Ungeachtet der ungünstigen Lage Schiller's – äußerte Abel später – entdeckte ich mit Vergnügen, daß seine Seele, seitdem ich ihn nicht mehr gesehen, einen höheren Schwung errungen. Er sprach mit Zuversicht von seinen Plänen und dem glücklichen Erfolge derselben. Sein Ideal stand jetzt deutlich und vollendet vor ihm und er fühlte Kraft genug in sich, demselben immer näher zu kommen.«
Der Freund mochte aber doch die freudige Stimmung, in welche sein Erscheinen den Dichter versetzt hatte, zu hoch angeschlagen haben. Denn auf der Schwelle zum Jahre 1784 treffen wir Schiller in einer Lage, die peinlich genug gewesen sein muß. Dalberg drängte ihn, die Umarbeitung der beiden neuen Trauerspiele für die Aufführung möglichst rasch zu vollenden, und noch mehr als halb krank mußte er sich mit dieser Arbeit abmühen
Schiller an Frau von Wolzogen (Neujahr 1784): »Denken Sie sich meine äußerst angestrengte Situation. Um mit Anstand hier zu leben und die mir vorgesetzte Summe Geld zur Bezahlung meiner Schulden herauszuschlagen, um zugleich die Ungeduld des Theaters und die Erwartungen des hiesigen Publicums zu befriedigen, habe ich während meiner Krankheit mit dem Kopf arbeiten und durch starke Portionen China meine wenigen Kräfte so hinhalten müssen, daß mir dieser Winter vielleicht auf Zeitlebens einen Stoß versetzt.«. Einige Wochen vor Neujahr war das Theatermanuscript des Fiesco fertig und in den
Händen des Intendanten. Diese Umformung der Tragödie, namentlich im fünften Act, ging so weit, daß das »bühnengerechte« Stück jenen Namen eigentlich gar nicht mehr verdiente. Es war aus einem Trauerspiel ein Schauspiel geworden. Denn während der ursprüngliche und echt Schiller'sche Fiesco – so, wie er auch nachmals wieder von dem Dichter zur Aufnahme in seine Werke hergestellt wurde – im Kampfe zwischen Bürgertugend und Ehrgeiz moralisch unterliegt, um dann, im Begriffe, die Frucht seines Abfalls vom republikanischen Prinzip zu pflücken, durch die rächende Hand des »starren« Republikaners Verrina auch physisch zu Grunde zu gehen, erhebt sich in der Bearbeitung für die Bühne der Held über die Verlockungen der Ehr- und Herrschsucht, zerbricht das errungene Szepter und will nur der glückliche Bürger eines Freistaats sein
Der Schluß des »bühnengerechten« Fiesco lautete dem Mannheimer Theatermanuscript zufolge so: –
Fiesco (
geht auf den Senator zu und nimmt ihm das Scepter ab). Ein Diadem erkämpfen ist groß, es wegwerfen, göttlich! Seid frei, Genueser! (
Er zerbricht das Scepter und wirft die Stücke unter das Volk.) Und die monarchische Gewalt vergehe mit diesem Zeichen!
Das Volk (
stürzt jauchzend auf die Kniee). Fiesco und Freiheit!
Verrina (
nähert sich Fiesco mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens). Fiesco!
Fiesco. Und mit Drohungen wolltest Du mir einen Entschluß abnöthigen, den mein eigenes Herz nicht geboren hat? Genua's Freiheit war in
diesem Busen entschieden, ehe Verrina noch dafür zitterte, aber Fiesco
selbst mußte der Schöpfer sein. (
Verrina's Hand ergreifend, mit Wärme und Zärtlichkeit) – Und jetzt doch mein Freund wieder, Verrina?
Verrina (
begeistert in seine Arme stürzend). Ewig!
Fiesco (
mit großer Rührung einen Blick auf das Volk geworfen, das mit allen Zeichen der Freude noch auf den Knieen liegt). Himmlischer Anblick, belohnender als alle Kronen der Welt! (
Gegen das Volk eilend) Steht auf, Genueser! Den Monarchen hab' ich Euch geschenkt, umarmt Euren glücklichsten Bürger.. So stirbt denn auch Niemand in dem umgewandelten Drama, mit Ausnahme des wüsten Gianettino, selbst der Mohr kommt davon und Alles endigt in Glück und Zufriedenheit. Es bedarf keiner Nachweisung, daß in dieser Form die eigentliche Pulsader des Stückes unterbunden war. Der tragische Knoten, auf dessen Schürzung das ganze Gedicht ursprünglich angelegt worden, d. h. die Trübung einer edlen Natur durch selbstsüchtige Leidenschaft und ihr dadurch vermittelter Untergang, kam gar nicht zur Geltung und an die Stelle der tragischen Erschütterung wurde die weiche Rührung eines sentimentalen Optimismus geschoben. Welche Selbstüberwindung es dem Dichter kostete, dem Intendanten, den Schauspielern und dem Publicum zu Gefallen zu so weitgreifenden Aenderungen seines Gedichts, durch welche »dem Verstand und der (historischen wie der poetischen) Wahrheit die stärksten Schläge versetzt wurden«, sich herbeizulassen, hat uns Streicher erzählt
Streicher, S. 162-63..
Und im Grunde war alle diese Mühe vergeblich aufgewendet worden, wenigstens für das Mannheimer Publicum. Der Fiesco ging am 11. Januar 1784 zum ersten Mal über die Bühne, aber obgleich die szenische Ausstattung prächtig war, obgleich Boek den Haupthelden, Iffland den Verrina, Beck den Bourgognino und Toskani den Mohren spielte – (später übernahm Beil diese Rolle mit außerordentlichem Erfolg) – und obgleich einzelne Auftritte lauteste Bewunderung hervorriefen, für das Ganze konnte sich die Mehrheit des Publicums nicht erwärmen und die Wirkung kam jener, welche die Räuber hervorgebracht hatten, bei Weitem nicht gleich. In einem Briefe vom 5. Mai an Reinwald, wo er dem Freund auch sagte, daß der »Traum«, in die idyllische Einsamkeit von Bauerbach zurückzukehren, verflogen sei, gesteht dies Schiller selbst zu. »Den Fiesco – schrieb er – verstand das Publicum nicht. Die Mannheimer sagen, das Stück wäre viel zu gelehrt für sie. Republikanische Freiheit ist hier zu Land ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name, in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Aber zu Berlin wurde es vierzehn Mal innerhalb drei Wochen gefordert und gespielt und auch zu Frankfurt fand man Geschmack daran.« Fiesco hat bekanntlich von Anfang an und bis zur Gegenwart herab die verschiedenartigsten Beurtheilungen erfahren. Man wird aber doch, Alles erwogen und der bedeutenden, besonders auf der verfehlten Frauencharakteristik beruhenden ästhetischen Mängel des Stückes ungeachtet, am Ende Gervinus beipflichten müssen, wenn er, wie der Dichter selbst that, im Fiesco einen Vorschritt über die Räuber hinaus erblickt, weil Schiller mit seiner zweiten Tragödie seine Richtung auf das Historische begann Gervinus: Gesch. d. poet. Nationallit. d. Deutschen, II. A. V, 146.. Auch Hillebrand, wennschon die Schwächen der Dichtung scharf betonend, gibt zu, daß der Fiesco über die Sphäre der Räuber sich erhebe, indem Schiller's zweite Tragödie aus der naturrechtlichen Anarchie, welche in der ersten dargestellt ist, zur Anschauung der freien Staatsordnung führen wolle Hillebrand: die deutsche Nationalliteratur, II. A. II, 354.. Dagegen hat Carriere nicht mit Unrecht geltend gemacht, daß Schiller in seinem subjectiven Drang nicht vermocht habe, im Fiesco der Geschichte gerecht zu werden, sondern er habe gemeint, sie verändern und meistern zu müssen, indem er, statt den Zufall mit der Macht des Schicksals zu begaben, eine Intrigue einschob Carriere: das Wesen und die Formen der Poesie, S. 381.. Hier liegt, glaube ich, der begründetste Vorwurf, welchen man dem Fiesco machen kann, aber zugleich auch die Entschuldigung des Dichters. Er schrieb unter dem Einfluß seiner Zeit. Was war denn bis zur französischen Revolution die ganze Geschichte des 18. Jahrhunderts Anderes als ein verworrenes Intriguenspiel? Gab es, als Schiller jung war, eine andere Politik als die der Hinterthüren, der Geheimtreppen und der – Oublietten? Nein. Wie leicht mußte daher unser Dichter, bevor ihm tiefere historische Studien den Einblick in den Gang der weltgeschichtlichen Entwicklung öffneten, verführt werden, den Kampf zwischen Despotismus und Freiheit in der Form der Intrigue anzuschauen und darzustellen. Aber wenn er so auf der einen Seite stark von seiner Zeit beeinflußt erscheint, so hat er sich auf der andern auch wieder über dieselbe erhoben. Ich meine, durch das Prophetische, was im Fiesco lag. Nicht umsonst trug das Stück den Titelbeisatz: »Ein republikanisches Trauerspiel.« Es hatte sich in dieser Dichtung schon jenes wunderbare Vorgefühl kommender Ereignisse geoffenbart, welches unserem Dichter wie keinem andern eigenthümlich ist und welchem wir noch mehrmals bei ihm begegnen werden. Wenn jemals ein Dichter ein Seher, ein Vorschauer zu heißen verdiente, ist es Schiller gewesen.
Die Luise Millerin war von vornherein für bühnengerecht erklärt worden und der Verfasser hatte Behufs der Aufführung keine Umänderungen, sondern nur einige Kürzungen und etliche Milderungen allzu drastischer Stellen vorzunehmen. Allein seine Freunde, durch die laue Aufnahme des Fiesco stutzig gemacht, sahen dem 15. April, an welchem Tage das Stück die Bühne beschreiten sollte Dieses Datum hat Devrient (Gesch. d. deutsch. Schauspielk. III, 33), wie ich vermuthe, aus den Mannheimer Theateracten. Schwab bezeichnet (Sch. L. 179) ohne Angabe seiner Quelle den 9. März 1784 als den Tag der ersten Aufführung des Stückes. Streicher (S. 175) sagt bloß, die Schiller'sche Tragödie sei nicht lange nach Darstellung des im Texte genannten Stückes von Iffland zur Aufführung gekommen., mit um so mehr Unruhe entgegen, als inzwischen Iffland vermittelst seines durch Schiller »Verbrechen aus Ehrsucht« getauften Familienstückes großen Beifall gewonnen hatte. Sie mochten nicht ohne Grund befürchten, daß ein Publicum, welches ein Iffland'sches Stück mit viel mehr Liebe aufgenommen als kürzlich den Fiesco, auch der neuen Schiller'schen Dichtung kein rechtes Verständniß entgegenbringen würde. Der Abend kam. Die Ankündigung des Stückes, welchem Iffland in Leistung eines Gegendienstes den Titel »Kabale und Liebe« gegeben, hatte das Theater dicht gefüllt. Schiller befand sich in einer Loge. Bei ihm war der treue Andreas und von diesem wissen wir, wie sich Dichter, Schauspieler und Zuschauer während der Darstellung gebahrten. Ruhig, heiter, aber in sich gekehrt und nur wenige Worte wechselnd, erwartete Schiller das Aufrauschen des Vorhangs. Aber als nun die Handlung begann, wer vermöchte den tiefen, erwartenden Blick, das Spiel der unteren gegen die Oberlippe, das Zusammengehen der Augenbrauen, wenn Etwas nicht nach Wunsch gesprochen wurde, den Blitz der Augen, wenn auf Wirkung berechnete Stellen diese auch hervorbrachten – wer könnte dies beschreiben! Während des ganzen ersten Aufzugs entschlüpfte ihm kein Wort und nur beim Schlusse desselben ließ er ein: Es geht gut! hören. Der zweite Act wurde sehr lebhaft und vorzüglich der Schluß mit so viel Feuer und ergreifender Wahrheit dargestellt, daß, nachdem der Vorhang niedergelassen war, alle Zuschauer auf eine damals ganz ungewöhnliche Weise sich erhoben und in stürmisches, einmüthiges Beifallrufen ausbrachen. Der Dichter wurde so sehr davon überrascht, daß er aufstand und sich gegen das Publicum verbeugte. In seinen Mienen, in der edlen, stolzen Haltung zeigte sich das Bewußtsein, sich selbst genug gethan zu haben Streicher, S. 175..
Kabale und Liebe schließt den Kreis ab, welchen die Räuber eröffneten. Wie diese, wie der Fiesco, war auch Schiller's dritte Tragödie ein Protest gegen das Bestehende, speziell ein Protest des Herzens und der aufgeklärten Humanität gegen die anmaßlichen Kastenschranken und Rangunterschiede. Es ist noch viel ungeschlachter Titanismus in dem Stück und häufig greift darin die Kraftgenialität fehl. Mehr noch, weit mehr als die Darstellung vornehmer Schurkerei streift die Zeichnung der idealen Figuren, Ferdinand und Luise, an die Carricatur. Denn es ist doch wohl nicht anzunehmen, daß Schiller den Idealismus des jungen Offiziers absichtlich bis zur Gränze des Lächerlichen, die Sentimentalität Luise's bis zur kränklich-phrasenhaften Schwärmerei vorschreiten ließ, um an diesen beiden Charakteren etwa zu zeigen, wie die Bildungselemente der Zeit nicht selten zur Verbildung ausschlugen. So recht und voll aus dem Leben herausgeschnitten erscheint nur der Musicus Miller, den man mit Fug eine der besten Gestalten genannt hat, welche Schiller geschaffen. Aber müssen wir, um das Stück richtig zu würdigen, uns nicht fest auf den Standpunkt der Zeit stellen, in welcher es entstand? Thut man das, so wird man sagen müssen, daß in Kabale und Liebe viel mehr historischer Gehalt ist als im Fiesco. Der Instinct des Publicums merkte das auch unschwer heraus; denn es hatte ja nicht weit zu blicken, um vieler Orten in Deutschland Hofzustände zu sehen, wie das Stück sie schilderte. Erinnern wir uns, daß die erste Idee dieser Tragödie dem Dichter im Arrestlocal zu Stuttgart aufgegangen war. Das Walten des Herzogs Karl während der ersten Hälfte seiner Regierung war mit düsteren Zügen in das Gedächtniß eines jeden Würtembergers geschrieben. Schiller brauchte sich bloß eines Montmartin, eines Wittleder, eines Gegel zu erinnern, um durchaus reale Vorbilder zu seinem Präsidenten Walter und zu seinem Secretär Wurm bei der Hand zu haben. Auch ein Vorbild zur Lady Milford fehlte nicht und es steht außer Zweifel, daß der Dichter unter dieser Maske die Gräfin von Hohenheim zeichnen wollte und wirklich gezeichnet hat. So angesehen, wird Kabale und Liebe stets als eines der bedeutendsten Zeugnisse der Sturm- und Drangstimmung und der realen Verhältnisse, aus welchen diese hervorging, in unserer Literatur dastehen. Die schlagartige Wirkung der Tragödie vermögen wir uns heute nur noch annähernd vorzustellen. Sie war ein reinigendes Gewitter in einer schwülen, verpesteten Atmosphäre. Der Druck des Stückes muß schon vor oder wenigstens unmittelbar nach der ersten Aufführung bei Schwan vollendet worden sein Wie aus dem Briefe Schiller's an Reinwald vom 5. Mai 1784 erhellt.. Der alte Herr auf der Solitude erhielt sein Exemplar frisch von der Presse weg und erfreute den Sohn mit dem Bekenntniß, daß ihm das Stück gefallen habe, obgleich er das »gewisser Stellen wegen« nicht merken lassen dürfe. Allerdings mußten »gewisse Stellen« des Trauerspiels in Würtemberg mit verdoppelter Wucht einschlagen und so ist die ängstliche Vorsicht des Vaters leicht zu erklären. Viel leichter, als der Umstand, daß man nichts Arges darin fand, den Dichter, welcher doch bei Hofe für einen Undankbaren, für einen Deserteur und Rebellen galt, für eine Weile ungefährdet in sein Heimatland zurückkehren zu lassen, – nämlich »geistweise«, wie wir Schwaben sagen. Denn im Frühjahr 1784 wurden in Stuttgart die Räuber mit großem Beifall aufgeführt. Iffland gab als Gastrolle den Franz Moor. Noch mehr, etwas später ging sogar Kabale und Liebe über die Bretter der Stuttgarter Bühne und wir wissen, daß die beiden jüngeren Schwestern des Dichters dieser Darstellung anwohnten. Einerseits wird dadurch bewiesen, wie mächtig zu jener Zeit literarische Thatsachen waren, andererseits, daß der Polizeistaat damals noch nicht zu völliger, ängstlich-consequenter Ausbildung gelangt war. Freilich war die Aufführung von Kabale und Liebe eine für die Nerven der Stuttgarter Hofkreise zu starke Zumuthung gewesen und, in Wahrheit, man konnte billiger Weise nicht verlangen, daß die Walter und Wurm und Kalb mit Ruhe und Befriedigung zusähen, wie ihre Portraits da oben auf der Bühne allerlei Bedenkliches agirten. Eine Beschwerde ging also nach Hohenheim hinauf und von da herunter kam ein herber Verweis für den Oberst Seeger, daß dieser, welcher dem Theaterwesen vorstand, die Aufführung des Stückes gestattet hätte. Natürlich verschwand dasselbe sofort vom Repertoire, zu nicht geringem Verdruß der Schauspieler und des Publicums Petersen, a.a.O..
Während so der Versuch, an der Hand seiner Muse die alte Heimat zurückzuerobern, zunächst mißglückte, hatte es den Anschein, als sollte dem Dichter die Pfalz eine neue werden. Es bestand nämlich in Mannheim unter der Protection des Kurfürsten und dem Präsidium Dalberg's eine Art Akademie, die kurpfälzische deutsche Gesellschaft geheißen. In einer Sitzung derselben zu Anfang Februars 1784 wurde Schiller als ordentliches Mitglied aufgenommen und die kurfürstliche Bestätigung traf bald ein. Der Dichter sah das, wie er am 11. Februar an Frau von Wolzogen schrieb, »als einen großen Schritt zu seinem Etablissement an« und äußerte in einem gleichzeitigen Schreiben an seinen Freund Zumsteeg in Stuttgart, er sei durch Aufnahme in die deutsche Gesellschaft in der Kurpfalz nationalisirt. Die ganze Sache war freilich im Grunde nur eine leere Formalität, allein wie ernst Schiller sie nahm, bezeugen die angezogenen Aeußerungen. Zum Eintritt in die deutsche Gesellschaft las er am 26. Juni in einer öffentlichen Sitzung derselben seine Abhandlung: »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?«, welche nachmals unter dem Titel: »Die Schaubühne, als eine moralische Anstalt betrachtet«, in die Sammlung der Werke des Dichters überging. Der Aufsatz ist im edelsten Sinne eine oratio pro domo, d. h. der Verfasser rechtfertigt darin in glänzendster Weise vor sich selbst und vor Anderen seinen Beruf als dramatischer Dichter. Die Aufgabe der Schauspielkunst wird groß, schön, wahrhaft idealisch gefaßt, das Drama in geistvolle Parallele mit der Religion gesetzt, die Kunst, und zwar namentlich die dramatische, als eine sittlich-religiöse Anstalt aufgezeigt. Ueberall blickt hier, wenn auch noch etwas unsicher tastend, schon der große Gedanke hervor, welchen Schiller später als Aesthetiker so herrlich ausgeführt hat, der Gedanke, die Menschen mittelst der Kunst zu erziehen, zu bilden, zu adeln.
Was der Dichter in seiner Abhandlung theoretisch angedeutet hatte, suchte er im Don Carlos praktisch zu gestalten. Er war mit neuer Liebe zu diesem Stoffe zurückgekehrt, nachdem er eine Weile an die Bearbeitung anderer gedacht hatte. Schon die Form des neuen Stückes sollte eine errungene höhere Stufe seiner Künstlerschaft bezeichnen. Er wählte statt der Prosa den fünffüßigen Jambus, welchen Lessing durch seinen Nathan mit dem glücklichsten Takt dem höheren Drama vindicirt hatte. Und diese Wahl markirte wahrlich keinen bloß äußerlichen Vorschritt. Der edle Rhythmenstrom, keine Trübung durch kraftgeniale Unbändigkeit duldend, symbolisirte die begonnene Läuterung von Schiller's Dichtergeist. Die Weltanschauung des Dichters, in seinen drei Erstlingsdramen verneinend und zerstörerisch aufgetreten, kehrt uns im Don Carlos die bejahende und aufbauende Seite zu. An die Stelle der gewaltsamen Revolution tritt die bildende Reform. Der Räuberdolch wandelt sich in das Schwert des freien Wortes, die rothe Glut der Brandfackel weicht dem milden Lichte der Wahrheit. Dieser hohe Sinn kam in den Don Carlos wesentlich durch Einführung der Gestalt des Marquis Posa, welcher allmälig die bedeutendste der ganzen Tragödie werden mußte, weil Schiller den ganzen Adel seiner eigenen Natur dem Malteser einhauchte. Ja – ein schönes Wort von Heine zu adoptiren – er selbst ist jener Marquis Posa, der zugleich Prophet und Soldat ist, der auch für das kämpft, was er prophezeit, und unter dem spanischen Mantel das schönste Herz trägt, das jemals in Deutschland geliebt und gelitten hat. Freund Streicher, auch jetzt wieder der Vertraute von Schiller's Arbeiten, hörte mit Entzücken die Szenen an, welche ihm der Dichter unmittelbar nach ihrer Entstehung vorlas, und wie sehr der Letztere selbst durch seine neue Schöpfung gehoben wurde, zeigt uns die begeisterte Sprache, womit er im Deutschen Museum vom 12. Dezember 1784 die von ihm unternommene Zeitschrift, »die Rheinische Thalia«, der Lesewelt ankündigte. »Das Publicum – hieß es hier unter Anderem – ist mir jetzt Alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehöre ich an. Vor diesem und keinem anderen Tribunal werd' ich mich stellen. Dieses nur fürcht' ich und verehr' ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen als den Ausspruch der Welt, an keinen anderen Thron zu appelliren als an die menschliche Seele.« Mit welchen Gefühlen mag Schiller auf diese Aeußerung juvenilen Enthusiasmus zurückgeblickt haben, als er, nach gemachter näherer Bekanntschaft mit dem »Souverain«, im Juni 1799 an Göthe schrieb: »Das einzige Verhältniß gegen das Publicum, das Einen nicht reuen kann, ist der Krieg.« Als Hauptinhalt brachte die Rheinische Thalia in diesem und dem folgenden Jahre die drei ersten Acte des Don Carlos, in einer Gestalt, die freilich ihrer Fülle wegen das Stück für das Theater unbrauchbar machte. Die Kritik säumte nicht, auf diesen Fehler aufmerksam zu machen, und Wieland äußerte mit Grund, Schiller sei noch zu reich, zu voll von Gedanken und Bildern, er sage zu viel und wisse seine Einbildungskraft noch nicht hinlänglich zu bemeistern. Der Dichter selbst ging von der lange festgehaltenen Ansicht aus, Don Carlos könnte und sollte kein Theaterstück werden, – eine ideale Auffassung der dramatischen Poesie, welche ihrem Wesen geradezu widerspricht. Es gibt keine ideale Bühne, sondern eben nur eine wirkliche und was für eine wirkliche! Aber wie sie auch sein mag, nur auf ihr kann ein Drama zu rechtem Leben gelangen. Später hat Schiller das erkannt und ist dazu verschritten, den Don Carlos durch Zusammendrängung desselben, die freilich immer noch nicht energisch genug war, dem Theater anzupassen.
Inzwischen hatte sich der Kreis der Bekanntschaften des Dichters bedeutend erweitert und es waren in diesen Kreis Personen eingetreten, die jetzt und später bestimmend auf sein Dasein wirkten. Am 7. Juli 1784 meldete er seiner mütterlichen Freundin in Bauerbach die flüchtige Begegnung mit einer Frau von L., welche, aus der Schweiz kommend, ihm Tags zuvor einen Besuch gemacht, aber ihn leider nicht zu Hause getroffen hätte, so daß er sie nur noch einen Augenblick vor ihrer Abreise gesehen habe. Es kann damit nur Frau Luise Juliane von Lengefeld gemeint sein, die Wittwe des 1775 verstorbenen schwarzburg-rudolstädtischen Kammerraths Karl Christoph von Lengefeld und Verwandte des Wolzogen'schen Hauses, aus welchem sie mütterlicherseits stammte. Sie war im vorigen Jahre mit ihren beiden Töchtern, Karoline und Charlotte, in die Schweiz gereist und hatte auf der Hinreise einige Tage in Stuttgart verweilt. Ihre Base, Frau von Wolzogen, welche damals dort war, hatte die Reisenden mit ihrem ältesten Sohn, dem Karlsschüler Wilhelm von Wolzogen, bekannt gemacht und der junge Mann von Karoline's Persönlichkeit einen ebenso tiefen als nachhaltigen Eindruck empfangen. Aber auch zur Solitude hinauf war Frau von Wolzogen mit ihren Gästen gegangen und hatte sie bei Schiller's Familie eingeführt. Frau Elisabeth ahnte sicherlich nicht, daß sie das eine der beiden jungen Mädchen, welche damals über ihre Schwelle traten, zehn Jahre später als die Frau ihres Fritz umarmen würde. Frau von Lengefeld brachte mit ihren Töchtern fast ein ganzes Jahr in der Schweiz zu, hauptsächlich in Vevay, wo Lotte, für welche ihre Mutter die Stellung einer Hofdame anstrebte, eifrig in der französischen Sprache sich üben mußte. Auf der Heimreise nach Rudolstadt am 6. Juli 1784 Mannheim passirend, suchten die Damen den Dichter auf Ich halte dieses Datum fest, gestützt auf den im Text erwähnten Brief Schiller's vom 7. Juli 1784 an Frau von Wolzogen. Karoline von Wolzogen (Leben Sch. I, 227) sagt freilich, ihre und ihrer Schwester erste Begegnung mit dem Dichter habe im Mai 1784 stattgefunden, und noch Kneschke (»Göthe und Schiller in ihren Beziehungen zur Frauenwelt«, S. 369) und Alfred von Wolzogen (Deutsches Museum für 1857, S. 355) folgen dieser Angabe. Allein Schiller's Schwägerin und Alle, die ihr folgten, übersahen, daß der Brief des Dichters an Frau von Wolzogen, worin er dieser das Eintreffen der Frau von Lengefeld in Mannheim meldet, allerdings am 26. Mai begonnen wurde, aber dann fast zwei Monate lang unvollendet liegen blieb und daß der Dichter erst in der zweiten, vom 7. Juli datirten Abtheilung angibt, daß Tags zuvor Frau von L. in Mannheim gewesen sei.. Allein die Begegnung war, wie schon erwähnt, eine so flüchtige, daß kein Gespräch sich entfalten, kein Wort, das lebhafteren Antheil erregt hätte, fallen konnte. Zudem hatten den beiden Schwestern zwar einzelne Szenen der Räuber Theilnahme abgewonnen, aber zugleich hatte »die Masse von wildem Leben« in dem Stücke sie zurückgeschreckt und endlich waren ihre Seelen von den großen Naturbildern der Alpenwelt so voll, daß zunächst für Anderes kein Raum blieb. Doch wurden die Schwestern, und zwar die ältere mehr noch als die jüngere, von der hohen, edlen Gestalt des Dichters frappirt und sie wunderten sich, daß »ein so gewaltiges und ungezähmtes Genie ein so sanftes Aeußere haben könne« Karoline v. Wolzogen a.a.O. 227 flg.. Schiller seinerseits fand nur das nackt Thatsächliche dieses Besuches bemerkenswerth und es ist eigenthümlich, daß diese Menschen, welche sich später so innig mit einander verbinden sollten, bei ihrem ersten Zusammentreffen fast ganz theilnahmlos an einander vorübergingen.
Lebhaftere Erregungen brachte für den Dichter ein in dieselbe Zeit fallender Besuch seiner Schwester Christophine, welche in Reinwald's Begleitung kam, der schon so ziemlich für ihren erklärten Bräutigam galt. Kaum waren Schwester und Freund wieder fort, so traf eine junge Frau in Mannheim ein, welcher Schiller schon im Hause der ihr verwandten Wolzogen in Bauerbach begegnet war, – abermals eine Lotte. Charlotte Marschalk von Ostheimb, zu Waltershausen in Thüringen 1761 geboren, hatte, nachdem sie Vater und Mutter frühe verloren, eine Jugend voll rasch wechselnder Eindrücke verlebt. Von Natur genialisch, schwärmerisch, reizbar, phantastisch, war sie ohne geregelte Erziehung aufgewachsen. Schon vor der Confirmation hatte sich in dem Kopfe des jungen Mädchens die bunteste Ernte von Lesefrüchten angehäuft. Die Bibel, der Koran, Voltaire, Rousseau, Shakspeare, Klopstock, Wieland waren nur vorragende Punkte in dieser »uferlosen Leserei«, welchen Ausdruck auf diese Frau ihr späterer Geliebter, Jean Paul, ebenso gut wie auf sich selbst hätte anwenden können. Rechnet man dazu die tiefschmerzlichen Eindrücke, welche Familienmißgeschicke aller Art auf die junge Charlotte hervorbrachten, rechnet man endlich dazu, daß sie im Herbst 1783 zu einer Convenienzheirat mit einem ungeliebten Manne veranlaßt und vom Altar weg ohnmächtig in den Wagen getragen worden war, welcher sie in die »Flitterwochen« führen sollte, – so wird man sich dieses zwischen aufgespanntem Heroismus und hinschmelzender Liebesbedürftigkeit, zwischen Flackerglut und Frost seltsam schwankende weibliche Wesen einigermaßen vorstellen können, das noch zwölf Jahre nach dem Zeitpunkt, von welchem hier die Rede ist, Jean Paul »ein Weib mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich« und eine »Titanide« nannte, um nach ihr seine Linda im Titan zu schaffen. In jungen Jahren muß Charlotte, wenn nicht sehr schön, so doch jedenfalls das gewesen sein, was man damals »erstaunend« nannte und heutzutage pikant nennt. Noch 1796 schrieb Jean Paul von ihr: »Sie hat zwei große Dinge: große Augen, wie ich keine noch sah, und eine große Seele. Sie spricht gerade so, wie Herder in den Briefen über Humanität schreibt. Sie ist stark, voll, auch das Gesicht, schlägt die großen, fast ganz zugesunkenen Augen himmlisch in die Höhe, wie wenn Wolken den Mond wechselsweise verhüllen und entblößen« Jean Paul Friedrich Richter an Otto (Weimar, 12. Juni 1796), mitgetheilt in Spazier's biograph. Commentar zu J. P. Werken, IV, 18.. Gewiß muß der Zauber der Persönlichkeit dieser Frau, welche wie kaum eine zweite die Stimmung der Sturm- und Drangperiode repräsentirte, zur Zeit, wo sie als Dreiundzwanzigjährige unseren Dichter in Mannheim begrüßte, noch viel stärker gewirkt haben als später, wo der große Humorist denselben so lebhaft empfand. Charlotte war mit ihrem Gatten, dem Major Heinrich von Kalb, nach Mannheim gekommen, wo sie weilte, während jenen sein Dienst nach Landau rief. Sie hatte Aufträge Seitens der Frau von Wolzogen und Reinwald's an Schiller zu bestellen und es ist unzweifelhaft, daß die Erscheinung des Dichters Charlotte's Seele sogleich tief und gewaltig erregte, vielleicht die Wirkung des früheren Begegnens im Rhöngebirge nur erneuernd und erhöhend. Im hohen Alter noch, als die vielgeprüfte, achtzigjährige Frau die Erinnerungen ihrer reichen und bewegten, aber unglücklichen Vergangenheit sammelte, schlug das Andenken an jenes Wiederfinden in Mannheim wie eine helle Lohe in ihrer Brust auf und in dem turbulenten Zugwolkenstyl, welcher ihrem Wesen vollständig entsprach, äußerte sie darüber: – »In der Blüthe des Lebens bezeichnete Schiller des Wesens reiche Mannigfaltigkeit; sein Auge glänzend von der Jugend Muth; feierlicher Haltung, gleichsam sinnend, von unverhofftem Erkennen bewegt. Bedeutsam war ihm Manches, was ich ihm sagen konnte, und die Beachtung zeigte, wie gern er Gesinnungen mitempfand. Einige Stunden hatte er geweilt, da nahm er den Hut und sprach: »Ich muß eilend in das Schauspielhaus.« Später habe ich erfahren, Kabale und Liebe wurde diesen Abend gegeben und er habe den Schauspieler ersucht, ja nicht den Namen »Kalb« auszusprechen. Bald kehrte er wieder, freudig trat er ein, Willkommenheit sprach aus seinem Blick. Durch Scheu nicht begränzt, traulich, da gegenseitig mit dem Gefühl des Verstandenseins das Wort gesprochen werden konnte, löste der Gedanke den Gedanken, ohne Wahl, ohne Nachsinnen, – wohl die Rede eines Sehers. Im Lauf des Gesprächs rasche Heftigkeit, wechselnd mit fast sanfter Weiblichkeit, und es weilte der Blick, von hoher Sehnsucht beseelt. Das Leben erblühete – heute ein erstorbenes« Aus den hinterlassenen Papieren Charlotte's von Kalb mitgetheilt in Schiller's Briefwechsel mit Körner (I, 233) und mit einigen Verbesserungen bei Köpke: »Charlotte von Kalb und ihre Beziehungen zu Schiller und Göthe« (S. 49), sowie bei Diezmann: »Fr. Schiller's Denkwürdigkeiten und Bekenntnisse« (S. 169). Schloenbach hat in seinem Buch: »Zwölf Frauenbilder aus der Göthe-Schiller-Epoche«, S.131-143, das Verhältniß Schiller's zu Charlotte von Kalb bündig dargestellt.. Mit diesem Enthusiasmus contrastirt nicht wenig die kühle Art, womit sich der Dichter seinerseits Anfangs über Charlotte vernehmen ließ. Ganz kurz schrieb er seiner Freundin in Bauerbach: »Die Frau zeigt sehr viel Geist und gehört nicht zu den gewöhnlichen Frauenzimmerseelen.« Diese Kühle sollte aber bald in Wärme umschlagen. Vorerst brachte der Umgang Schiller's mit Frau von Kalb die Erneuerung einer Szene zuwege, wie sie im September 1782 in der Wohnung des Regisseur Meyer stattgefunden hatte. Eines Nachmittags kam der Dichter mit dem fertigen ersten Act des Don Carlos zu Charlotte, deren Erwartung von dem neuen Drama sehr hochgespannt war. Schiller begann vorzulesen und las und las, ohne daß die Zuhörerin ein Zeichen von Empfindung oder Beifall blicken ließ. »Nun, gnädige Frau, wie gefällt es Ihnen?« – Charlotte lacht laut auf und sagt: »Lieber Schiller, das ist das Allerschlechteste, was Sie noch gemacht haben.« – »Nein, das ist zu arg!« erwidert er, wirft ärgerlich die Handschrift auf den Tisch, nimmt Hut und Stock und geht weg. Sogleich greift Charlotte nach dem Manuscript, liest, wird entzückt und bittet dem Dichter ihr voreiliges Urtheil förmlich ab, sagt ihm aber auch, daß seine Dichtungen durch seine heftige, stürmische Declamation nothwendig verlieren müßten Streicher, S. 207 fg..
Es war ein recht verworrenes Getriebe und Gedränge im Seelenleben unseres Dichters zu dieser Zeit: – »Keine Ruh' bei Tag und Nacht!« Während die Erinnerung an Lottchen von Wolzogen mehr und mehr ihren leidenschaftlichen Stachel verlor, näherten sich die Beziehungen zu Charlotte von Kalb schon der Gränzlinie, wo das freundschaftliche Gefühl in ein leidenschaftlicheres übergeht. Außerdem muß Schiller – wenn wir nämlich in dieser Hinsicht den Erinnerungen der Frau von Kalb Glauben schenken dürfen – damals zu Mannheim mit einer Schauspielerin, die man nach ihrer Rolle in den Räubern Amalia zu nennen pflegte, einen Liebeshandel gehabt haben, an welchen er später nicht ohne Beschämung zurückdenken konnte Vgl. Köpke a.a.O. 69, wo Frau von Kalb von einer gewissen Amalia aus der Mannheimer Zeit Schiller's spricht, mit der Bemerkung, der Dichter sei bei Nennung dieses Namens unwillkürlich roth geworden. – Unterm 10. November 1789 schrieb Schiller von Jena aus an die Schwestern von Lengefeld: »In Mannheim würde ich Euch auch recht gern sehen, es ist ein lieblicher Himmel und eine freundliche Erde, die ich alsdann erst mit Freude betreten würde« – (falls er nämlich an die dortige Akademie berufen würde). »Aber bei diesem Mannheim fällt mir ein, daß Ihr mir doch manche Thorheit zu verzeihen habt, die ich zwar vor der Zeit, eh' wir uns kannten, beging, aber doch beging! Nicht ohne Beschämung würde ich Euch auf dem Schauplatz herumwandeln sehen, wo ich als ein armer Thor, mit einer miserabeln Leidenschaft im Busen, herumgewandelt bin.« Schiller und Lotte (der herrliche, von Schiller's hochherziger Tochter, Emilie von Gleichen-Rußwurm, 1856 in seiner ursprünglichen Gestalt veröffentlichte Briefwechsel des Dichters mit Karoline und Charlotte von Lengefeld), S. 473. Wenn ich diese Stelle mit der erwähnten Andeutung Seitens Charlotte's von Kalb zusammenhalte, so nehme ich keinen Anstand, zu behaupten, daß sie nicht, wie vielfach geglaubt wurde, auf Margaretha Schwan, sondern vielmehr auf die »gewisse Amalia« gehe, über welche ich freilich Näheres nicht beizubringen vermag, ausgenommen, daß sie, wie ich im Texte angegeben, eine Schauspielerin gewesen sein muß. Den Beweis hiefür finde ich darin, daß Schiller bei Gelegenheit seines ersten Urtheils über den Wilhelm Meister am 9. Dezember 1794 an Göthe schrieb: »Von der Treue des Gemäldes einer theatralischen Wirthschaft und Liebschaft kann ich mit vieler Competenz urtheilen, indem ich mit beiden besser bekannt bin als ich zu wünschen Ursache habe.«. Die Verwirrung wird noch erhöht, wenn wir erwägen, daß gegen das Ende des Jahres 1784 hin und noch in das folgende hinein Margaretha Schwan die eigentliche Herzenskönigin des Dichters gewesen ist. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Tochter des gastlichen Hauses, in welchem Schiller viel verkehrte, seinem Herzen nah und näher trat. Margaretha war jung, schön, ungewöhnlich gebildet, der Literatur und Kunst zugewandt und aus ihren großen, ausdrucksvollen Augen blickte ein lebhafter und reicher Geist. Was Wunders, daß unser Dichter für diese, in fast täglichem Verkehr vor ihm entfalteten Vorzüge nicht unempfänglich blieb, und was Wunders, daß Margaretha's Herz allmälig dafür sprach, ihr Loos mit dem eines Mannes von so viel Genie und Seelenadel zu verbinden? Das Verhältniß gestaltete sich gegenseitig vom Herbste 1781 bis zum Frühling 1785 immer ernster, und als Schiller Mannheim verließ, geschah es mit dem festen Vorsatz, sich die Hand Margaretha's von ihrem Vater zu erbitten. Er that dies schon unterm 24. April 1785 von Leipzig aus. Aber sei es nun, daß Herr Schwan Bedenken trug, seine Tochter einem Manne von so unsicherer Stellung, wie die des Dichters damals war, zu geben, sei es, daß er wirklich, wie er dem Bewerber schrieb, überzeugt war, Margaretha würde bei der »Eigenthümlichkeit ihres Charakters« keine passende Lebensgefährtin für Schiller abgeben, genug, die Antwort lautete abschlägig. Herr Schwan hatte seine Tochter weder von dem Antrag noch von der Ablehnung desselben in Kenntniß gesetzt und sie wurde daher tief betrübt, als sie von dem Dichter, welchem sein Zartgefühl verbot, unter solchen Umständen den Briefwechsel mit ihr fortzusetzen, mit einmal Nichts mehr erfuhr. Schiller legte mit männlicher Fassung diese gescheiterte Hoffnung zu den andern gescheiterten Jugendhoffnungen und bewahrte dem Schwan'schen Hause ein freundschaftliches Andenken. Margaretha heiratete später einen Herrn Götz, starb aber schon im Alter von 36 Jahren. Sie war vor ihrem Tode noch einmal mit Schiller zusammengetroffen, in Heidelberg (?) im Jahre 1793, als der Dichter mit seiner Frau nach Schwaben reiste, und diese erzählte ihrer Schwester Karoline, Schiller und die liebenswürdige junge Frau Götz seien bei diesem Wiedersehen gleich tief bewegt gewesen Karol, v. Wolzogen, Sch. L. I, 209..
Zu allen den Herzenswirren des Mannheimer Aufenthalts Schiller's kamen äußere Bedrängnisse. Der alte Stuttgarter Schuldenschaden war sehr fühlbar wieder aufgebrochen. Der Freund, welcher sich seiner Zeit für die Summe, welche der Druck der Räuber in Anspruch genommen, verbürgt hatte, war, von dem Gläubiger hart bedrängt, nach Mannheim geflohen und da verhaftet worden. Schiller's Pein war groß. Da half ein einfacher und keineswegs reicher Bürgersmann, der Baumeister Hölzel, in dessen Hause der Dichter wohnte, aus der Verlegenheit, indem er das nöthige Geld beschaffte. Hauptsächlich zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten unternahm Schiller die Rheinische Thalia, allein schon das erste Heft der Zeitschrift verfeindete ihn mit den Mannheimer Schauspielern, welche sich die strenge Kunstkritik, die der Dichter an ihnen geübt, nicht gefallen lassen wollten. Nun begannen alle die Häckeleien, Hetzereien, Nörgeleien, welche in Theaterkreisen zu Hause sind. Dalberg's »Pulverfeuer« war auch verflackert. Er hatte wohl in Schiller einen unterthänigen Diener zu erwerben gemeint, welcher ihm bei allen seinen theatralischen Versuchen und Zuschneidereien bereitwilligst helfen würde. Aber während man einen Don Carlos dichtet, kann man sich doch wohl zu solchen Dingen nicht hergeben. Auch stieß bei aller Liebenswürdigkeit Schiller's im persönlichen Umgange die Selbstständigkeit seiner Denkungsweise doch vielfach an. Er konnte sich nie überwinden, den Rücken zu biegen, wo er aufrecht zu stehen sich berechtigt fühlte. Das Diplomatisiren und Laviren war nicht seine Sache. Sein Selbstbewußtsein – obgleich, wo er es mit Güte und Sympathie zu thun hatte, stets bescheiden – hatte zudem um diese Zeit von außen her eine Kräftigung erhalten, welche ihn sicherer auftreten ließ. Zu Anfang des Jahres 1785 hatte man in Mannheim erfahren, daß der Herzog Karl August von Weimar an dem verwandten Hofe von Darmstadt zu Besuche sei, und Schiller kam dadurch auf den Gedanken, die Bekanntschaft dieses Fürsten zu suchen, der Wieland's Zögling und Göthe's Freund war. Frau von Kalb bestärkte den Freund in dieser Absicht, und mit den thüringischen Hofkreisen vielfach liirt, versah sie ihn mit Empfehlungsbriefen. Diese öffneten dem Dichter die Thore des Darmstädter Schlosses und verschafften ihm Zutritt zu dem Herzog von Weimar. Von diesem und der Landgräfin von Hessen gütig empfangen, erbat er die Erlaubniß, den Fürstlichkeiten den ersten Act des Don Carlos vorlesen zu dürfen. Sie ward freundlich gewährt und die edle Dichtung that volle Wirkung. Es gehört sicherlich zu den anmuthendsten Bildern aus jener Zeit, wenn wir uns unseren Dichter vorstellen, wie er auf dem glatten Parkett eines Fürstenschlosses einem Kreise vornehmer Herren und Damen, worunter regierende Landesherren, jenes Hohelied vorliest, woraus die idyllische Ahnung einer humanen Zukunft der Menschheit »wie ein Blumenwald« hervorblüht. Ob ihm seine Freundin Charlotte auch eine Warnung, sich beim Declamiren seiner wohllautenden Verse gehörig in Acht zu nehmen, mit auf den Weg gegeben hatte? Sehr wahrscheinlich, denn die Vorlesung erregte entschiedenen Beifall. Karl August ließ es auch dabei nicht bewenden, sondern gab dem Dichter noch ein besonderes Zeichen seiner Anerkennung, indem er ihn zum Rath ernannte. Wie doch das Leben wunderlich mit den Menschen spielt! Ein Gedicht, welches den idealen Sieg des Reinmenschlichen über die Convenienz feiert, trug seinem Verfasser einen rein konventionellen Titel ein. Aber es war doch Etwas und in Schiller's Lage gar nichts so Unbedeutendes. Wie man sich auch anstellen mag, die Gesellschaft wird stets von Formen beherrscht. Unser Dichter war jetzt immerhin nicht mehr der entwichene Regimentsmedicus, sondern der Herzogl. Weimar'sche Rath Schiller. Und der Herr Rath zeigte auch gar wenig Neigung, sich als Theaterdichter länger hudeln zu lassen. Wenige Tage nach seiner Zurückkunft aus Darmstadt, am 19. Januar, ließ er sich über eine Abends zuvor stattgehabte arg verpinselte Darstellung von Kabale und Liebe scharf gegen Dalberg heraus. In und mehr noch zwischen den Zeilen dieser Zuschrift, welche mit den Worten schloß: »Ich glaube und hoffe, daß ein Dichter, der drei Stücke auf die Bühne brachte, worunter die Räuber sind, einiges Recht hat, Mangel an Achtung zu rügen« – stand deutlich zu lesen, daß Schiller's Verhältniß zu der Mannheimer Bühne völlig unhaltbar geworden war. Je rascher dasselbe ganz gelöst werden konnte, desto lieber war es ihm.
Er wollte fort, denn auch die unklaren, mehr und mehr leidenschaftlich gewordenen Beziehungen zu Charlotte und Margaretha waren ganz darnach angethan, ihn zu ängstigen. Glücklicher Weise war er diesmal nicht zweifelhaft, wohin er sich wenden sollte. Fernher, aus Sachsen, winkte ihm einladend eine Freundeshand, die Hand des Freundes, welcher ihm von jetzt an bis zu seinem Tode der vertrauteste gewesen ist. Schon im Juni 1784 war aus Leipzig ein Paket an ihn eingelaufen, welches neben einem huldigenden Brief die Composition eines Liedes aus den Räubern, eine kostbar gestickte Brieftasche und vier Portraits enthielt. Diese stellten zwei junge, damals in Leipzig lebende Gelehrte dar, Chr. Gottfr. Körner, den nachmaligen Vater Theodor Körner's, und seinen Freund L. F. Huber, nebst ihren Verlobten, den Schwestern Minna und Dora Stock. Brief und Tondichtung waren von Körner, Minna hatte die Brieftasche gestickt, Dora die Portraits gezeichnet. Erst im Dezember hatte Schiller die freundliche Zusendung beantwortet, dann aber auch aus voller Seele. Aus dem fortgesetzten Briefwechsel war zwischen unserem Dichter und Körner rasch eine jener edlen, ich möchte sagen idealen Freundschaften erwachsen, welche dem 18. Jahrhundert so sehr zur Ehre gereichen. Zu dem noch ungesehenen und ihm doch schon so nahe getretenen Freunde sehnte sich Schiller aus dem Gedränge der Mannheimer Mißverhältnisse, insbesondere, seit ihm zu seinem Schrecken klar geworden, daß seine ideale Auffassung der Aufgabe des Theaters zu den theatralischen Wirklichkeiten Mannheims in einem nicht zu vermittelnden Widerspruche stände. Ganz niedergedrückt, schrieb er am 22. Februar 1785 den Freunden in Leipzig: »Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren Bedrängniß meines Herzens schreibe ich Ihnen, meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Zwölf Tage habe ich's in meinem Herzen herumgetragen, wie den Entschluß, aus der Welt zu gehen. Menschen, Verhältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider, und was mir (hier) vielleicht noch theuer sein könnte, davon scheiden mich Convenienz und Situation. Mit dem Theater habe ich meinen Contract aufgehoben … Werden Sie mich wohl aufnehmen? Sehen Sie, ich habe zu Mannheim schon feierlich aufgekündigt und mich unwiderruflich erklärt, daß ich abreisen werde, um nach Leipzig zu gehen. Leipzig erscheint meinen Träumen und Ahnungen wie der rosige Morgen jenseits der waldigen Hügel. In meinem Leben erinnere ich mich keiner so innigen prophetischen Gewißheit, wie diese ist, daß ich in Leipzig glücklich sein werde. Bis hieher haben Schicksale meine Entwürfe gehemmt. Mein Herz und meine Muse mußten zu gleicher Zeit der Nothwendigkeit unterliegen. Es braucht Nichts als eine solche Revolution meines Schicksals, daß ich ein ganz anderer Mensch, daß ich anfange Dichter zu werden« Briefwechsel Schiller's mit Körner – (von jetzt an eine der Hauptquellen der Geschichte des Dichters) – I, 11 fg.. Körner schrieb schon unterm 3. März zurück, daß er den Freund mit offenen Armen empfangen werde, und wie wenig das eine bloße Phrase war, zeigte der Treffliche dadurch, daß er dem Dichter einen Wechsel übersandte, vermittelst dessen es diesem hauptsächlich ermöglicht wurde, seine lastenden Mannheimer Verbindlichkeiten wenigstens nothdürftig zu erfüllen. Bevor der Monat zu Ende, war er reisefertig.
Er wollte am letzten Abend seines Aufenthaltes in Mannheim nur seinen treuen Andreas zur Gesellschaft haben. Aber zuvor erlebte er noch eine ganz eigenthümliche Szene mit Charlotte von Kalb, eine Szene, welche das in dem vorhin angezogenen Schreiben an Körner hingeworfene Wort commentirt, daß Convenienz und Situation ihn von dem schieden, was ihm vielleicht noch theuer sein könnte. Der Dichter war gegangen, der Freundin Lebewohl zu sagen. Ein bewegtes Gespräch entspinnt sich im Drange der Stunde zwischen den Beiden. Schiller geräth ins Pathos und sagt: »Das Feuer meiner Seele hat in Ihrem reinen Lichte sich entzündet. Ihre Gegenwart gab mir eine Begeisterung und einen Frieden (?), die ich früher nicht gekannt. Das Saitenspiel unserer Seelen weiß von einer höheren Harmonie. Vor Allem weiß ich, wir leben nur in der Blüthe der Jugend das Leben; sie ist die Verklärung der flammenden Seele. Mein Herz fühlt, wie – Du nie dieses Sehnen trüben, nie solchen Glanz entweihen kannst. Du kennst nicht meine Trauer um Dich. Aber was kannst Du verlieren? Du bist so selbstbestimmt. So dachte ich mir das Weib nicht. Allzufrüh mit Irrthum und Kummer bekannt, war mein Gedanke verhüllt, mein Gemüth verbittert. Da fand mein Genius Deine Töne; sie sprachen meine Gedanken aus. Wie der Strom, wie das Feuer, so waren unsere Seelen eins! Ich liebte die Begeisterte und wäre immer Dein, hätte ich den Muth für diese Liebe. Nein, ruhig sei meine Seele, unabhängig von dieser Macht, die mich ängstiget und entzückt.« Nicht weniger, sondern eher noch mehr dithyrambisch entgegnet ihm die Freundin: »Seitdem ich Sie kenne, verlange ich mehr als ich vormals von den Tagen erbeten. Nie habe ich bekannt, wie öde die Vergangenheit. Sie wollen unsern Bund trennen? Das Leben hat Sie mir gesandt. Momente nur sind im reinen Sein uns gegönnt, und diese Gabe besserer Stunden, auch sie wäre dahin? O, wären Sie von irdischer Sorge frei, nicht so nach Ruhm strebend, des Friedens vertilgendem Feind! Schmerz ist mir die Trennung; doch Sie kennen die Einsamkeit, die gottgeweihete Stille. Hoffnung! Glaube! Wir fühlen Beide: wer eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund, der scheidet nie … Du! sagen Sie, Du! sage ich. Die Wahrhaftigkeit kennt kein Sie. Die Allseligen sind ein Du, das Du ist einer ewigen Verbindung Siegel!« Aufzeichnung Charlotte's von Kalb bei Köpke a.a.O. Ich muß freilich dahingestellt sein lassen, ob sich die bei der im Texte beregten Veranlassung wirklich gefallenen Aeußerungen zu den später von Charlotte aufgezeichneten nicht etwa so verhalten, wie die wirkliche Correspondenz Göthe's mit Bettina Brentano zu dem »Briefwechsel mit einem Kinde« sich verhalten mag. Die offenbare Reminiscenz: »Wer eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund« – aus dem Lied an die Freude in Charlotte's Abschiedsrede legt wenigstens die Vermuthung sehr nahe, daß hier die Wahrheit stark mit Dichtung versetzt sein dürfte. Arme Titanide mit den großen Augen und der großen Seele, du solltest nach nicht gar langer Frist erfahren, wie zerbrechlich so ein Siegel sei.
Von diesem excentrischen Auftritt erholte sich der Dichter bei dem schlichten Streicher. Die Freunde saßen bis Mitternacht beisammen, sprachen Vergangenes durch und entwarfen Zukunftspläne. So lange man jung ist, glaubt man ja immer wieder von vorne anfangen zu können. Es heißt da nicht nur: ein ander Städtchen, ein ander Mädchen; sondern auch: ein neuer Ort, ein neuer Port. Wir hörten, wie Großes Schiller von seiner Uebersiedelung nach Leipzig erwartete, und ein glaubwürdigster Zeuge sagt uns, daß der Dichter dort ein ganz neues Leben beginnen wollte Streicher, S. 212 fg.. Er hatte sich auf den rauhen Steinen und spitzen Dornen einer deutschen Schriftstellerlaufbahn die Füße wundgegangen. Man wußte damals und noch lange nachher nicht, daß das geistige Eigenthum zu respectiren sei wie das materielle. Autoren und Verleger waren gleichsam vogelfrei, d. h. schutzlos der Buschklepperei des Nachdrucks überliefert. Was vollends das Theater betraf, so mußten lange Jahre vergehen, bevor Schiller seine in Mannheim damit gemachten Erfahrungen soweit vergessen konnte, um mit neuem Muthe wieder an der Verwirklichung seiner großen Idee von der Schaubühne zu arbeiten. Für jetzt beabsichtigte er, nur noch in weihevollsten Stunden des Musendienstes zu pflegen; seine ganze übrige Zeit sollte einem Studium gewidmet sein, welches ihm, wie er hoffte, an einem der sächsischen Höfe eine ehrenhafte Stellung sichern würde. Er wollte die Rechtswissenschaft wieder aufnehmen und dieselbe, wie ihm möglich schien, binnen eines Jahres an der Universität Leipzig absolviren, wenigstens soweit, daß er zum Doctor promovirt werden könnte. Einem Juristen stand ja der Weg zu vielen Ämtern offen. Mit Phantasie und Feuer malte er diesen Plan aus und wußte auch den guten Andreas so sehr dafür zu erwärmen, dass dieser vollständig damit einverstanden war. Das »rosenbekränzte Schooßkind Jovis« muß in jener Mitternachtsstunde den beiden jungen Männern allerlei goldene Zukunftsbilder vorgegaukelt haben; denn als sie endlich sich trennten, gaben sie sich nicht zum Scherze, sondern alles Ernstes die Hände darauf, einander nicht zu schreiben, bis der Eine Minister und der Andere Kapellmeister sein würde.
Aber – so schließt der wackere Streicher, von welchem wir hier mit seinem dichterischen Freund Abschied nehmen, seine Mittheilungen – aber »die Himmlischen hatten anders über Schiller beschlossen. Sie ließen es nicht zu, daß eine solche Fülle von Gaben, reich genug, um Millionen zu beglücken, nur auf einen engen Kreis beschränkt oder ganz unfruchtbar bleiben sollte. Mit Liebe leiteten sie nun an sanfter, gütiger Hand ihren Begünstigten in die Arme von Freunden, die Alles aufboten, damit er seinem hohen Berufe nicht ungetreu würde, damit er die unendliche Menge des wahrhaft Schönen und Guten, welches er in sich trug, zur Veredlung der Menschheit, zur Erleuchtung und Stärkung kommender Geschlechter, zu unvergänglichem Ruhme seiner selbst, sowie zu dem seines Vaterlandes anwenden konnte.«