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Zweiter Aufzug

Erste Szene

Ansicht eines griechischen Klosters in einer öden Wintergegend am See Belosero. Ein Zug von Nonnen in schwarzen Kleidern und Schleiern geht hinten über die Bühne; Marfa in einem weißen Schleier steht von den übrigen abgesondert an einen Grabstein gelehnt. Olga tritt aus dem Zuge heraus, bleibt einen Augenblick stehen, sie zu betrachten, und tritt alsdann näher

Olga. Treibt dich das Herz nicht auch heraus mit
Ins Freie der erwachenden Natur?
Die Sonne kommt, es weicht die lange Nacht,
Das Eis der Ströme bricht, der Schlitten wird
Zum Nachen, und die Wandervögel ziehn.
Geöffnet ist die Welt, uns alle lockt
Die neue Lust aus enger Klosters Zelle
Ins offne Heitre der verjüngten Flur.
Nur du willst, ewig deinem Gram zum Raub,
Die allgemeine Fröhlichkeit nicht teilen?

Marfa. Laß mich allein und folge deinen Schwestern.
Ergehe sich in Lust, wer hoffen kann.
Mir kann das Jahr, das alle Welt verjüngt,
Nichts bringen; mir ist alles ein Vergangnes,
Liegt alles als gewesen hinter mir.

Olga. Beweinst du ewig deinen Sohn und trauerst
Um die verlorne Herrlichkeit? Die Zeit,
Die Balsam gießt in jede Herzenswunde,
Verliert sie ihre Macht an dir allein?
Du warst die Zarin dieses großen Reichs,
Warst Mutter eines blühenden Sohns, er wurde
Durch ein entsetzlich Schicksal dir geraubt,
Ins öde Kloster sahst du dich verstoßen,
Hier an den Grenzen der belebten Welt.
Doch sechzehnmal seit jenem Schreckenstage
Hat sich das Angesicht der Welt verjüngt.
Nur deines seh ich ewig unverändert,
Ein Bild des Grabs, wenn alles um dich lebt.
Du gleichst der unbeweglichen Gestalt,
Wie sie der Künstler in den Stein geprägt,
Um ewig fort dasselbe zu bedeuten.

Marfa. Ja, hingestellt hat mich die Zeit
Zum Denkmal eines schrecklichen Geschicks!
Ich will mich nicht beruhigen, will nicht
Vergessen. Das ist eine feige Seele,
Die eine Heilung annimmt von der Zeit,
Ersatz fürs Unersetzliche! Mir soll
Nichts meinen Gram abkaufen – Wie des Himmels
Gewölbe ewig mit dem Wandrer geht,
Ihn immer unermeßlich, ganz, umfängt,
Wohin er fliehend auch die Schritte wende,
So geht mein Schmerz mit mir, wohin ich wandle,
Er schließt mich ein wie ein unendlich Meer,
Nie ausgeschöpft hat ihn mein ewig Weinen.

Olga. O sieh doch, was der Fischerknabe bringt,
Um den die Schwestern sich begierig drängen!
Er kommt von fern her, von bewohnten Grenzen,
Er bringt uns Botschaft aus der Menschen Land;
Der See ist auf, die Straßen wieder frei –
Reizt keine Neugier dich, ihn zu vernehmen?
Denn sind wir gleich gestorben für die Welt,
So hören wir doch gern von ihren Wechseln,
Und an dem Ufer ruhig mögen wir
Den Brand der Wellen mit Verwundrung schauen.

(Nonnen kommen zurück mit einem Fischerknaben)

Xenia. Sag an, erzähle, was du Neues bringst!

Alexia. Was draußen lebt im Säkulum, erzähle.

Fischer. Laßt mich zu Worte kommen, heilge Frauen.

Xenia. Ists Krieg? Ists Friede?

Alexia. Wer regiert die Welt?

Fischer. Ein Schiff ist zu Archangel angekommen,
Herab vom Eispol, wo die Welt erstarrt.

Olga. Wie kam ein Fahrzeug in dies wilde Meer?

Fischer. Es ist ein engelländisch Handelsschiff;
Den neuen Weg hat es zu uns gefunden.

Alexia. Was doch der Mensch nicht wagt für den Gewinn!

Xenia. So ist die Welt doch nirgends zu verschlossen!

Fischer. Das ist noch die geringste Neuigkeit.
Ganz anderes Geschick bewegt die Erde.

Alexia. O sprich, erzähle!

Olga. Sage, was geschehn!

Fischer. Erstaunliches erlebt man in der Welt,
Die Toten stehen auf, Verstorbne leben.

Olga. Erklär dich, sprich.

Fischer. Prinz Dmitri, Iwans Sohn,
Den wir als tot beweinen sechzehn Jahr,
Er lebt, er ist in Polen aufgestanden.

Olga. Prinz Dmitri lebt!

Marfa (auffahrend). Mein Sohn!

Olga. Faß dich! O halte,
Halte dein Herz, bis wir ihn ganz vernommen.

Alexia. Wie kann er leben, der ermordet ward
Zu Uglitsch und im Feuer umgekommen?

Fischer. Er ist entkommen aus der Feuersnot,
In einem Kloster hat er Schutz gefunden;
Dort wuchs er auf in der Verborgenheit,
Bis seine Zeit kam, sich zu offenbaren.

Olga (zur Marfa). Du zitterst, Fürstin, du erbleichst?

Marfa. Ich weiß,
Daß es ein Wahn ist – Doch so wenig noch
Bin ich verhärtet gegen Furcht und Hoffnung,
Daß mir das Herz in meinem Busen wankt.

Olga. Warum wär es ein Wahn? o hör ihn! hör ihn!
Wie könnte solch Gerücht sich ohne Grund
Verbreiten?

Fischer. Ohne Grund? Zu'n Waffen greift
Das ganze Volk der Litauer, der Polen.
Der große Fürst erbebt in seiner Hauptstadt!

(Marfa, an allen Gliedern zitternd, muß sich an Olga und Alexia lehnen)

Xenia. O das wird ernsthaft! Rede, sage alles!

Alexia. Sag an, wo du das Neue aufgerafft?

Fischer. Ich aufgerafft?. Ein Brief ist ausgegangen
Vom Zar in alle Lande seiner Herrschaft,
Den hat uns der Posadnik unsrer Stadt
Verlesen in versammelter Gemeinde.
Darinnen steht, daß man uns täuschen will,
Und daß wir dem Betrug nicht Sollen glauben!
Drum eben glauben wirs, denn wärs nicht wahr
Der große Fürst verachtete die Lüge.

Marfa. Ist dies die Fassung, die ich mir errang?
Gehört mein Herz so sehr der Zeit noch an,
Daß mich ein leeres Wort im Innersten erschüttert!
Schon sechzehn Jahr bewein ich meinen Sohn
Und glaubte nun auf einmal, daß er lebe!

Olga. Du hast ihn sechzehn Jahr als tot beweint,
Doch seine Asche hast du nie gesehn!
Nichts widerlegt die Wahrheit des Gerüchts.
Wacht doch die Vorsicht über dem Geschick
Der Völker und der Fürsten Haupt – O öffne
Dein Herz der Hoffnung – Unerforschlich sind
– – – – – – – – – –
– – wer kann der Allmacht Grenzen setzen?

Marfa. Soll ich den Blick zurück ins Leben wenden,
Von dem ich endlich abgeschieden war?
– – – – – – – nicht im Grab?
Nicht bei den Toten wohnte meine Hoffnung?
O sagt mir nichts mehr! Laßt mein Herz sich nicht
An dieses Trugbild hängen! Laßt mich nicht
Den teuren Sohn zum zweitenmal verlieren.
O meine Ruh ist hin, hin ist mein Friede!
Ich kann dies Wort nicht glauben, ach und kanns
Nun ewig nicht mehr aus der Seele löschen!
Weh mir, erst jetzt verlier ich meinen Sohn;
Jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich bei den Toten,
Ob bei den Lebenden ihn suchen soll,
Endlosem Zweifel bin ich hingegeben!

(Man hört eine Glocke)

Olga. Was ruft die Glocke, Schwester Pförtnerin?

Schwester Pförtnerin kommt

Pförtnerin. Der Archijerei steht vor den Pforten,
Er kommt vom großen Zar und will Gehör.

Olga. Der Archijerei vor unsern Pforten!
Was führt ihn Außerordentliches her?
Den weiten – – – – – – –

Xenia. Kommt alle, ihn nach Würden zu empfangen.

(Sie gehen nach der Pforte, indem tritt der Archijerei ein, sie lassen sich all vor ihm auf ein Knie nieder, er macht das griechische Kreuz über sie)

Hiob. Den Kuß des Friedens bring ich euch im Namen
Des Vaters und des Sohnes und des Geists,
Der ausgeht von dem Vater.

Olga. Herr, wir küssen
In Demut deine väterliche Hand.
Was – – – Gebiete deinen Töchtern!

Hiob. An Schwester Marfa lautet meine Sendung.

Olga. Hier steht sie und erwartet dein Gebot.

Hiob und Marfa

Hiob. Der große Fürst ists, der mich an dich sendet,
– – – – – – – denkt er dein,
Denn wie die Sonn mit ihrem Flammenaug
Die Welt durch – und Fülle rings verbreitet,
So ist das Aug des Herrschers überall;
Bis an die fernsten Enden seines Reichs
Wacht seine Sorge, späht sein Blick umher.

Marfa. Wie weit sein Arm trifft, hab ich wohl erfahren.

Hiob. Er kennt den hohen Geist, der dich beseelt,
Drum teilt er zürnend die Beleidigung,
Die ein Verwegner dir zu bieten wagt.

Marfa.- – – – – – – – – –

Hiob. Ein frecher Trugner in der Polen Land,
Ein Renegat und Rostriga, der, sein
Gelübd abschwörend, seinen Gott verleugnet
Mißbraucht den edeln Namen deines Sohns
Den dir der Tod geraubt im Kindesalter.
Der dreiste Gaukler rühmt sich deines Bluts
Und gibt sich für des Zaren Iwans Sohn.
– – – – – – – [Der Pole führt]
Den Afterkönig, den er selbst erschaffen,
Mit Heereskraft in unsre Grenzen ein.
Das treue Herz der Reußen führt er irre
Und reizt sie auf zu Abfall und Verrat.
– – – – – – – – – [Mich schickt]
Der Zar zu dir in väterlicher Meinung.
– Du ehrst die Manen deines Sohns, du wirst
Nicht dulden, daß ein frecher Abenteurer
Ihm aus dem Grabe seinen Namen stiehlt
Und sich verwegen drängt in seine Rechte.
Erklären wirst du laut vor aller Welt,
Daß du den – – – – – – –
Du wirst nicht fremdes Bastard blut ernähren
An deinem Herzen, das so edel schlägt,
Du wirst, der Zar erwartet es von dir,
Der schändlichen Erfindung widersprechen
Mit dem gerechten Zorn, den sie verdient.

Marfa (hat während dieser Rede die heftigsten Bewegungen bekämpft).
Was hör ich, Archijerei? O sagt an!
Durch welcher Zeichen und Beweise Kraft
Beglaubigt sich der kecke Abenteurer
Als Iwans Sohn, den wir als tot beweinen?

Hiob. Durch eine flüchtge Ähnlichkeit mit Iwan,
Durch – – – – – – – – –
Und durch ein köstlich Kleinod, das er zeigt,
Täuscht er die Menge, die sich gern betrügt.

Marfa. Was für ein Kleinod? O das sagt mir an!

Hiob. Ein goldnes Kreuz, belegt mit neun Smaragden,
Das ihm der Knäs Iwan Mstislawskoy,
So sagt er, in der Taufe umgehangen.

Marfa. Was sagt Ihr? Dieses Kleinod weist er auf?
(Mit gezwungener Fassung)
– Und wie behauptet er, daß er entkommen?

Hiob. Ein treuer Diener und Diak hab ihn
Dem Mord entrissen und dem Feuersbrand,
Und nach Smolensko heimlich weggeführt.

Marfa. Wo aber hielt er sich – wo gibt er vor,
Daß er bis diese Stunde sich verborgen?

Hiob. Im Kloster Tschudow sei er aufgewachsen,
Sich selber unbekannt, von dort hab er
Nach Litauen und Polen sich geflüchtet,
Wo er dem Fürst von Sendomir gedient,
Bis ihm ein Zufall seinen Stand entdeckt!

Marfa. Mit solcher Fabel kann er Freunde finden,
Die Blut und Leben wagen an sein Glück?

Hiob. O Zarin, falsches Herzens ist der Pole,
Und neidisch sieht er unsers Landes Flor.
– – – – – – – – – –
Den Krieg in unsern Grenzen anzuzünden!

Marfa. Doch gäb es selbst in Moskau gläubge Seelen,
Die dieses – – – – – berückt?

Hiob. Der Völker Herz ist wankelmütig, Fürstin,
Sie lieben die Veränderung, sie glauben
Durch eine neue Herrschaft zu gewinnen.
Der Lüge kecke Zuversicht reißt hin,
Das Wunderbare findet Gunst und Glauben.
Drum wünscht der Zar, daß du den Wahn des Volks
Zerstreust, durch eine – – – – –
Dich – – – – – – – – –
Der sich verwegen lügt zu deinem Sohn.
Mich freuts, dich so bewegt zu sehen, dich
Empört, ich sehs, das freche Gaukelspiel,
Und deine Wangen färbt der edle Zorn.

Marfa. Und wo – das sagt mir noch – verweilt er jetzt,
Der sich für unsern Sohn zu geben wagt?

Hiob. Schon rückt er gegen Tschernigow heran;
Von Kiew, hört man, sei er aufgebrochen,
Ihm folgt der Polen leichtberittne Schar,
Samt einem Heerzug donischer Kosaken.

Marfa. O höchste Allmacht, habe Dank, Dank, Dank,
Daß du mir endlich Rettung, Rache sendest!

Hiob. Was ist dir, Marfa? Wie versteh ich das?

Marfa. O Himmelsmächte, führt ihn glücklich her!
Ihr Engel alle, schwebt um seine Fahnen!

Hiob. Ists möglich? Wie? Dich könnte der Betrüger –

Marfa. Er ist mein Sohn. An diesen Zeichen allen
Erkenn ich ihn. An deines Zaren Furcht
Erkenn ich ihn. Er ists. Er lebt. Er naht.
Herab von deinem Thron, Tyrann! Erzittre!
Es lebt ein Sprößling noch von Ruriks Stamm,
Der wahre Zar, der rechte Erbe kommt,
Er kommt und forden Rechnung von dem Seinen!

Hiob. Wahnsinnige, bedenkst du, was du sagst?

Marfa. Erschienen endlich ist der Tag der Rache,
Der Wiederherstellung. Der Himmel zieht
Aus Grabesnacht die Unschuld an das Licht,
– – – – – – mein Todfeind muß
Zu meinen Füßen kriechend Gnade flehn.
O meine heißen Wünsche sind erfüllt.

Hiob. Kann dich der Haß zu solchem Grad verblenden?

Marfa. Kann deinen Zar der Schrecken so verblenden,
Daß er Errettung hofft von mir – von mir!
Der unermeßlich schwer Beleidigten?
Daß er dich an mich sendet, – – –
– – – – – – – abzulisten.
Ich soll den Sohn verleugnen, den der Himmel
Mir durch ein Wunder aus dem Grabe ruft?
Ihm, meines Hauses Mörder, zu gefallen,
Der über mich unsäglich Weh gehäuft,
– – – – – – – – soll ich
Die Rettung von mir stoßen, die mir Gott
In meinem tiefen Jammer endlich sendet?

Hiob. – – – – – – – – – –

Marfa. Nein, du entrinnst mir nicht.
Ich habe dich, ich lasse dich nicht los.
O endlich kann ich meine Brust entladen,
Ausströmen endlich kann ich meinen Schmerz,
Der tiefsten Seele lang verhaltnen Groll,
Ins Antlitz meines Feinds – Wer wars, der mich
In diese Gruft der Lebenden verstieß
Mit allen frischen Kräften meiner Jugend,
Mit allen warmen Trieben meiner Brust?
Wer riß den teuren Sohn mir von der Seite
Und sandte Mörder aus, ihn zu durchbohren?
O keine Zunge nennt, was ich gelitten,
Wenn ich die langen hellgestirnten Nächte
Mit ungestillter Sehnsucht durchgewacht,
Der Stunden Lauf an meinen Tränen zählte,
– – – – – – – – – –
Der Tag der Rettung und der Rache kommt,
Ich seh den Mächtigen in meiner Macht.

Hiob. Du glaubst – – – – – –

Marfa. Er ist
In meiner Macht – ein Wort aus meinem Mund,
Ein einziges, kann sein Geschick entscheiden!
Das ists, warum dein Herrscher mich beschickte!
Das ganze Volk der Reußen und der Polen
Sieht jetzt auf mich. Wenn ich den Zarowitsch
Für meinen Sohn und Iwans anerkenne,
– – – – – – – – – –
Verleugn ich ihn, so ist er ganz verloren.
Denn wer wird glauben, daß die wahre Mutter,
Die Mutter, die wie ich beleidigt war,
Verleugnen könnte ihres Herzens Sohn,
Mit ihres Hauses Mörder einverstanden?
Ein Wort nur kostet michs, und alle Welt
Verläßt ihn als Betrüger – Ists nicht so?
Dies Wort will man von mir – den großen Dienst,
Gestehs, kann ich dem Godunow erzeigen!

Hiob. Dem ganzen Vaterland erzeigst du ihn,
Aus schwerer Kriegsnot rettest du das Reich,
Wenn du der Wahrheit Ehre gibst. Du selbst,
Du zweifelst nicht an deines Sohnes Tod,
Und könntest zeugen wider dein Gewissen?

Marfa. Ich hab um ihn getrauert sechzehn Jahr,
Doch seine Asche sah ich nie. Ich glaubte
Der allgemeinen Stimme seinen Tod
Und meinem Schmerz. Der allgemeinen Stimme
Und meiner Hoffnung glaub ich jetzt sein Leben.
Es wäre ruchlos, mit verwegnem Zweifel
Der höchsten Allmacht Grenzen setzen wollen.
Doch wär er auch nicht meines Herzens Sohn,
Er soll der Sohn doch meiner Rache sein:
Ich nehm ihn an und auf an Kindes Statt,
Den mir der Himmel rächend hat geboren.

Hiob. – – – – – – – – – – –

Marfa. Er kann mich töten, meine Stimme kann er
Im Grab ersticken oder Kerkersnacht,
Daß sie nicht mächtig durch die Welt erschalle,
Das kann er; doch mich reden lassen, was
Ich nicht will, das vermag er nicht, dazu
Bringt er mich nicht durch – – – – –
– – – – den Zweck hat er verloren!

Hiob. Ist dies dein letztes Wort? Besinn dich wohl.
Bring ich dem Zar nicht besseren Bescheid?
Unglückliche! dem Starken trotzest du!
Vor seinem Arme bist du nicht geborgen
Auch in des Klosters heilger Sicherheit.

[In zwei früheren Redaktionen]

Marfa. Er hoffe auf den Himmel, wenn er darf,
Auf seines Volkes Liebe, wenn er kann.

Hiob. Unglückliche, du willst entschlossen dein Verderben.
Du hältst dich an ein schwaches Rohr, das bricht;
Du wirst mit ihm zugrunde gehen.

Marfa (allein).
Es ist mein Sohn, ich will nicht daran zweifeln.
Die wilden Stämme selbst der freien Wüste
Bewaffnen sich für ihn; der stolze Pole,
Der Palatinus, wagt die edle Tochter
An seiner guten Sache reines Gold –
Und ich allein verwärf ihn, seine Mutter?
Und mich allein durchschauerte der Sturm
Der Freude nicht, der schwindelnd alle Herzen
Ergreift und in Erschütterung bringt die Erde?
Er ist mein Sohn, ich glaub an ihn, ich wills.
Ich fasse mit lebendigem Vertrauen
Die Rettung an, die mir der Himmel sendet!
Er ists, er zieht mit Heereskraft heran,
Mich zu befreien, meine Schmach zu rächen!
Hört seine Trommeln! seine Kriegstrompeten!
Ihr Völker, kommt von Morgen und Mittag,
Aus euren Steppen, euren ewgen Wäldern,
In allen Zungen, allen Trachten kommt!
Zäumet das Roß, das Rentier, das Kamel!
Wie Meereswogen strömet zahllos her,
Und dränget euch zu eures Königs Fahnen!
O warum bin ich hier geengt gebunden,
Beschränkt mit dem unendlichen Gefühl!
Du ewge Sonne, die den Erdenball
Umkreist, sei du die Botin meiner Wünsche!
Du allverbreitet ungehemmte Luft,
Die schnell die weitste Wanderung vollendet,
O trag ihm meine glühnde Sehnsucht zu!
Ich habe nichts als mein Gebet und Flehn,
Das schöpf ich flammend aus der tiefsten Seele,
Beflügelt send ichs in des Himmels Höhn,
Wie eine Heerschar send ich dirs entgegen!

Zweite Szene

Eine Anhöhe, mit Bäumen umgeben. Eine weite und lachende Ferne eröffnet sich, man sieht einen schönen Strom durch die Landschaft ausgegossen, die von dem jungen Grün der Saaten belebt ist. Näher und ferner sieht man die Turmspitzen einiger Städte leuchten. – Trommeln und Kriegsmusik hinter der Szene. Odowalsky und andere Offiziere treten auf. Gleich darauf Demetrius

Odowalsky. Laßt die Armee am Wald hinunterziehn,
Indes wir uns hier umschaun auf der Höhe.

(Einige gehen. Demetrius tritt auf)

Demetrius (zurückfahrend). Ha welch ein Anblick!

Odowalsky. Herr, du siehst dein Reich
Vor dir geöffnet – das ist russisch Land.

Razin. Hier diese Säule trägt schon Moskaus Wappen,
Hier hört der Polen Herrschgebiete auf.

Demetrius. Ist das der Dnieper, der den stillen Strom
Durch diese Auen gießt?

Odowalsky. Dort fließt der Dnieper hinter Tschernigow
Das ist die Desna, Herr, die – – –
Und was du siehst, ist deines Reiches Boden.

Razin. Was dort am fernen Himmel glänzt, das sind
Die Kuppeln von Sewerisch Nowgorod.

Demetrius. Welch heitrer Anblick! Welche schöne Auen!

Odowalsky. Der Lenz hat sie mit seinem Schmuck bedeckt,
Denn Fülle Korns erzeugt der üppge Boden.

Demetrius. Der Blick schweift hin im Unermeßlichen.

Odowalsky. Doch ists ein kleiner Anfang nur, O Herr,
Des großen Russenreichs, denn unabsehbar
Streckt es der Morgensonne sich entgegen,
Und keine Grenzen hat es nach dem Nord
Als die lebendge Zeugungskraft der Erde.

Razin. Sieh, unser Zar ist ganz nachdenkend worden. 1

Demetrius. Auf diesen schönen Aun wohnt noch der Friede,
Und mit des Krieges furchtbarem Gerät
Erschein ich jetzt, sie feindlich zu verheeren!

Odowalsky. Dergleichen, Herr, bedenkt man hinterdrein.

Demetrius. Du fühlst als Pole, ich bin Moskaus Sohn;
Es ist das Land, das mir das Leben gab!
Vergib mir, teurer Boden, heimische Erde,
Du heiliger Grenzpfeiler, den ich fasse,
Auf den mein Vater seinen Adler grub,
Daß ich, dein Sohn, mit fremden Feindeswaffen
In deines Friedens ruhigen Tempel falle.
Mein Erb zurückzufordern, komm ich her,
Und den geraubten edeln Vaternamen.
Hier herrschten die Waräger, meine Ahnherrn,
In langer Reih seit dreißig Menschenaltern;
Ich bin der Letzte ihres Stamms, dem Mord
Entrissen durch ein göttliches Verhängnis.

[Dritte Szene]

Ein russisches Dorf Freier Platz vor der Kirche. Man hört die Sturmglocke. Gleb, Ilia und Timoska eilen, mit Äxten bewaffnet, auf die Szene.

Gleb (aus dem Hause kommend). Was rennt das Volk?

Ilia (aus einem andern Haus). Wer zog die Feuerglocke?

Timoska. Nachbarn, heraus! Kommt alle, kommt zu Rat!

Oleg und Igor mit vielen andern Landleuten, Weibern und Kindern, welche Gepäcke tragen.

Oleg. Flieht, flieht, – – – rette sich, wer kann!

Gleb. Was gibts?
Wo kommt ihr her mit Weibern und mit Kindern?

Igor. Flieht! flieht! der Pole ist ins Land gefallen
Bei Moromesk und mordet, was er findet.

Oleg. Flieht, flieht ins innre Land, in feste Städte!
Wir haben unsre Hütten angezündet,
Uns aufgemacht, ein ganzes Dorf, und Fliehn
Landeinwärts zu dem Heer des Zaren.

Timoska. Da kommt ein neuer Trupp von Flüchtigen.

Iwanske und Petruschke mit bewaffneten Landleuten treten an der entgegengesetzten Seite auf

Iwanske. Es leb der Zar, der große Fürst Dimitri!

Petruschke. Wer – – – – – – – kommt mit!

Gleb. Wie? Was ist das?

Ilia. Wo eilt ihr hin?

Timoska. Wer seid ihr?

Iwanske. – – – – – – – – – –

Timoska. Was ist denn das? Da flieht ein ganzes Dorf
Landeinwärts – – – – – – –
Und ihr wollt hin, wo diese hergeflohn?
Wollt übergehen zu dem Feind des Landes?

Petruschke. Was, Feind? Es ist kein Feind, der kommt, es ist
Ein Freund des Volks, der rechte Erb des Landes.
– – – – – – – – – –
Da kommt der Posadnik!

Posadnik (mit einer Rolle tritt auf).
Das ist ein böser Handel, Nachbarn und Ratsgenossen.
Gott helf uns aus der Verworrenheit! Gott erleucht uns!

Landleute. Was gibts, Posadnik?

Posadnik. Da ist ein Schreiben angelangt vom Zarowitsch,
Der bei dem Polenheere sich befindet,
Worin man uns – – – – – –
Was sollen wir tun?

Landleute. Leset das Schreiben! Lasset hören!

Andre. Das Schreiben! leset!

Posadnik. Nun, so höret denn.
Wir Dimitri Iwanowitsch, von Gottes Gnaden Zarowitsch
von ganz Rußland, Fürst von Uglitsch, Dmitrow und andern
Fürstentümern, nach meiner Geburt Herr und Erbe aller russi-
schen Reiche, an alle unsern königlichen Gruß!

Gleb. Das ist der ganze Titel unsrer Zaren.

Posadnik. Zar Iwan Wasilowitsch glorwürdigen Gedenkens – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
seinen Kindern treu und hold zu sein. – – – – – – Nun sind wir
aber der wahre, leibliche Sohn dieses Zaren, dem Boris Godunow
nach dem Leben getrachtet, der aber durch ein göttliches Ge-
schick erhalten ward. Wir kommen jetzo, unsern Erbthron ein-
zunehmen, in der einen Hand das Schwert und den Ölzweig in
der andern, Gnade den Treuen, Verderben den Widerspenstigen.
Darum erinnern wir uns eures Eids, ermahnen euch, die Partei
des Boris Godunow zu verlassen und uns als eurem erblichen
Beherrscher und wahren Zar zu huldigen. Werdet ihr das tun,
so werden wir euch gnädig regieren; wo nicht, so falle das ver-
gossene Blut auf euer Haupt, denn eher stecken wir das Schwert
nicht in die Scheide, bis wir den Thron unsrer Väter bestiegen.

Timoska. – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gleb. Wie können wir dem Sohne unsers Herrn
Die Treu versagen und das Land verschließen?

Ilia. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Timoska. Wie? Seid nicht so einfältig! Seid doch klug,
Wie könnt er so was heucheln, lügnerisch erfinden!
Wenn ers nicht wäre, würd ers sagen und behaupten?

Gleb. Das denk ich auch! Würde der Pole für einen Betrüger ins
Feld ziehn?

Timoska. Und ist ers wirklich, Nachbarn, wie`s nicht anders,
Sagt: können wir dem Sohne unsers Herrn
Die Treu versagen und das Land verschließen?

Ilia. Doch haben wir dem Boris Godunow
Als unserm Zar gehuldigt und geschworen.


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