Louis Benoit Picard
Der Parasit
Louis Benoit Picard

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Erster Aufzug

1. Auftritt

Firmin der Vater und Karl Firmin.

Karl. Welch glücklicher Zufall – denken Sie doch, Vater! –

Firmin. Was ist’s?

Karl. Ich habe sie wiedergefunden.

Firmin. Wen?

Karl. Charlotten. Seitdem ich in Paris bin, suchte ich sie an allen öffentlichen Plätzen vergebens – und das erste Mal, daß ich zu Ihnen aufs Bureau komme, führt mein Glücksstern sie mir entgegen.

Firmin. Aber wie denn? –

Karl. Denken Sie doch nur! Dieses herrliche Mädchen, das ich zu Colmar im Hause ihrer Tante besuchte – diese Charlotte, die ich liebe und ewig lieben werde – Sie ist die Tochter! –

Firmin. Wessen?

Karl. Ihres Prinzipals, des neuen Ministers. – Ich kannte sie immer nur unter dem Namen Charlotte.

Firmin. Sie ist die Tochter?

Karl. Des Herrn von Narbonne.

Firmin. Und du liebst sie noch?

Karl. Mehr als jemals, mein Vater! – Sie hat mich nicht erkannt, glaub’ ich; ich wollte ihr eben meine Verbeugung machen, als Sie hereintraten. – Und gut, daß Sie mich störten! denn was hätte ich ihr sagen können! Meine Verwirrung mußte ihr sichtbar werden und meine Gefühle verraten! – Ich beherrsche mich nicht mehr. Seit den sechs Monaten, daß ich von ihr getrennt bin, ist sie mein einziger Gedanke – sie ist der Inhalt meiner Gedichte – der Beifall, den man mir gezollt, ihr allein gebührt er; denn meine Liebe ist der Gott, der mich begeistert.

Firmin. Ein Poet und ein Verliebter überredet sich vieles, wenn er zwanzig Jahre alt ist. – Auch ich habe in deinen Jahren meine Verse und meine Zeit verloren. – Schade, daß über dem schönen Wahn des Lebens beste Hälfte dahingeht. – Und wenn doch wenigstens einige Hoffnung bei dieser Liebe wäre. – Aber nach etwas zu streben, was man niemals erreichen kann! – Charlotte Narbonne ist eines reichen und vornehmen Mannes Tochter – Unser ganzer Reichtum ist meine Stelle und deine Leutnantsgage.

Karl. Aber ist das nicht ein wenig Ihre eigene Schuld, mein Vater? Verzeihen Sie! Mit Ihren Fähigkeiten, wornach könnten Sie nicht streben! Wollten Sie Ihren Wert geltend machen, Sie wären vielleicht selbst Minister, anstatt sein Commis zu sein, und Ihr Sohn dürfte ungescheut seine Ansprüche zu Charlotten erheben.

Firmin. Dein Vater ist das größte Genie, wenn man dich hört! Laß gut sein, mein Sohn, ich weiß besser, was ich wert bin! Ich habe einige Übung und bin zu brauchen – aber wie viele ganz andere Männer, als ich bin, bleiben im Dunkeln und sehen sich von unverschämten Glückspilzen verdrängt – Nein, mein Sohn! Laß uns nicht zu hoch hinaus wollen!

Karl. Aber auch nicht zu wenig auf uns halten. Wie? Sie sollten nicht unendlich mehr wert sein als dieser Selicour, Ihr Vorgesetzter – dieser aufgeblasene Hohlkopf, der unter dem vorigen Minister alles machte, der sich durch Niederträchtigkeiten in seine Gunst einschmeichelte, Stellen vergab, Pensionen erschlich, und der jetzt auch schon bei dem Minister alles gilt, wie ich höre?

Firmin. Was hast du gegen diesen Selicour? Wird sein Geschäft nicht getan, wie es sein soll?

Karl. Ja, weil Sie ihm helfen. – Sie können nicht leugnen, daß Sie drei Vierteile seiner Arbeit verrichten.

Firmin. Man muß einander wechselseitig zu Gefallen sein. Verseh’ ich seine Stelle, so versieht er auch oft die meinige.

Karl. Ganz recht, darum sollten Sie an seinem Platze stehen, und er an dem Ihren.

Firmin. Ich will keinen andern aus seinem Platze verdrängen und bin gern da, wo ich stehe, in der Dunkelheit.

Karl. Sie sollten so hoch streben, als Sie reichen können. – Daß Sie unter dem vorigen Minister sich in einiger Entfernung hielten, machte Ihrer Denkungsart Ehre, und ich bewunderte Sie darum nur desto mehr. – Sie fühlten sich zu edel, um durch die Gunst erlangen zu wollen, was Ihrem Verdienst gebührte. Aber Narbonne, sagt man, ist ein vortrefflicher Mann, der das Verdienst aufsucht, der das Gute will. Warum wollen Sie aus übertriebener Bescheidenheit auch jetzt noch der Unfähigkeit und Intrige das Feld überlassen?

Firmin. Deine Leidenschaft verführt dich, Selicours Fehler und mein Verdienst zu übertreiben. – Sei es auch, daß Selicour für sein mittelmäßiges Talent zu hoch hinaus will, er ist redlich und meint es gut. Mag er seine Arbeit tun oder durch einen andern tun lassen – wenn sie nur getan wird! – Und gesetzt, er tauge weniger, tauge ich um dessentwillen mehr? Wächst mir ein Verdienst zu aus seinem Unwert? Ich habe mir bisher in meiner Verborgenheit ganz wohl gefallen und nach keinem höhern Ziel gestrebt. Soll ich in meinem Alter meine Gesinnung ändern? – Mein Platz sei zu schlecht für mich! Immerhin! Weit besser, als wenn ich zu schlecht für meine Stelle wäre!

Karl. Und ich müßte also Charlotten entsagen!

2. Auftritt

La Roche. Beide Firmin.

Firmin. Kommt da nicht La Roche?

La Roche (niedergeschlagen). Er selbst.

Firmin. So schwermütig? Was ist Ihnen begegnet?

La Roche. Sie gehen aufs Bureau! Wie glücklich sind Sie! – Ich – ich will den angenehmen Morgen genießen und auf dem Wall promenieren.

Firmin. La Roche! Was ist das? Sollten Sie nicht mehr –

La Roche (zuckt die Achseln). Nicht mehr. – Mein Platz ist vergeben. Seit gestern Abend hab’ ich meinen Laufpaß erhalten.

Karl. Um Gottes willen!

La Roche. Meine Frau weiß noch nichts davon. Lassen Sie sich ja nichts gegen sie merken. Sie ist krank, sie würde den Tod davon haben.

Karl. Sorgen Sie nicht. Von uns soll sie nichts davon erfahren.

La Roche. Aber sagen Sie mir, La Roche, wie –

La Roche. Hat man mir das Geringste vorzuwerfen? Ich will mich nicht selbst loben, aber ich kann ein Register halten, meine Korrespondenz führen, denk’ ich, so gut als ein anderer. Ich habe keine Schulden, gegen meine Sitten ist nichts zu sagen. – Auf dem Bureau bin ich der erste, der kommt, und der letzte, der abgeht, und doch verabschiedet!

Firmin. Wer Sie kennt, muß Ihnen das Zeugnis geben –

Karl. Aber wer kann Ihnen diesen schlimmen Dienst geleistet haben?

La Roche. Wer? Es ist ein Freundschaftsdienst von dem Selicour.

Karl. Ist’s möglich?

La Roche. Ich hab’ es von guter Hand.

Firmin. Aber wie? –

La Roche. Der Selicour ist aus meinem Ort, wie Sie wissen. Wir haben beide gleiches Alter. Sein bißchen Schreiben hat er von mir gelernt, denn mein Vater war Kantor in unserm Dorf. Ich hab’ ihn in die Geschäfte eingeführt. Zum Dank dafür schickt er mich jetzt fort, um ich weiß nicht welchen Vetter von dem Kammerdiener unseres neuen Ministers in meinen Platz einzuschieben.

Karl. Ein saubres Plänchen!

Firmin. Aber wäre da nicht noch Rat zu schaffen?

La Roche. Den erwart’ ich von Ihnen, Herr Firmin! – Zu Ihnen wollt’ ich mich eben wenden. – Sie denken rechtschaffen. – Hören Sie! Um meine Stelle ist’s mir nicht zu tun, aber rächen will ich mich. Dieser unverschämte Bube, der gegen seine Obern so geschmeidig, so kriechend ist, glaubt einem armen Schlucker, wie ich bin, ungestraft ein Bein unterschlagen zu können. – Aber nimm dich in Acht, Freund Selicour! – Der verachtete Gegner soll dir sehr ernsthafte Händel anrichten! – Und sollt’ es mir meine Stelle, meine Versorgung auf immer kosten – ich muß Rache haben! Für meine Freunde gehe ich ins Feuer, aber meine Feinde mögen an mich denken.

Firmin. Nicht doch, lieber La Roche! – Vergeben und vergessen ist die Rache des braven Mannes.

La Roche. Keine Barmherzigkeit, Herr, mit den Schelmen! Schlechte Bursche zu entlarven ist ein gutes, ein verdienstliches Werk. – Seine Stelle, das wissen Sie recht gut, gebührt von Gott und Rechtswegen Ihnen – und das aus mehr als einem Grund. Aber arbeitet, zerschwitzt Euch, laßt’s Euch sauer werden, Ihr habt doch nur Zeit und Mühe umsonst vergeudet! Wer fragt nach Eurem Verdienste? Wer bekümmert sich darum? – Kriecht, schmeichelt, macht den Krummpuckel, streicht den Katzenschwanz, das empfiehlt seinen Mann! Das ist der Weg zu Glück und Ehre! – So hat’s dieser Selicour gemacht, und Ihr seht, wie wohl er sich dabei befindet!

Firmin. Aber tun Sie dem guten Manne nicht Unrecht, lieber La Roche?

La Roche. Ich ihm Unrecht! Nun, nun – ich will mich eben für keinen Menschenkenner geben, aber diesen Selicour, den seh’ ich durch! den hab’ ich – ich kenne mich selbst nicht so gut, als ich den kenne. – Schon in der Schule sah man, welch Früchtchen das geben würde! Das schwänzelte um den Lehrmeister herum und horchte und schmeichelte und wußte sich fremdes Verdienst zuzueignen und seine Eier in fremde Nester zu legen. Das erschrak vor keiner Niederträchtigkeit, um sich einzuschmeicheln, einzunisten. Als er älter ward, ging das alles ins Große. Bald spielte er den Heuchler, bald den Spaßmacher, wie’s die Zeit heischte; mit jedem Winde wußte er zu segeln. Denken Sie nicht, daß ich ihn verleumde! Man weiß, wie es unter dem vorigen Minister zuging. – Nun, er ist tot – ich will ihm nichts Böses nachreden. – Aber wie wußte dieser Selicour seinen Schwächen, seinen Lastern durch die schändlichen Kupplerdienste zu schmeicheln! – Und kaum fällt der Minister, so ist er der erste, der ihn verläßt, verleugnet.

Karl. Aber wie kann er sich bei dem neuen Herrn behaupten, der ein so würdiger Mann ist?

La Roche. Wie? Mit Heucheln. Der weiß sich nach seinen Leuten zu richten und seinen Charakter nach den Umständen zu verändern. – Auch auf eine gute Handlung kommt’s ihm nicht an, wenn dabei etwas zu gewinnen ist, so wenig als auf ein Bubenstück, wenn es zum Zwecke führt.

Karl. Aber Herr Narbonne hat einen durchdringenden Geist und wird seinen Mann bald ausgefunden haben.

La Roche. Das ist’s eben, was er fürchtet. – Aber so leer sein Kopf an allen nützlichen Kenntnissen ist, so reich ist er an Kniffen. – So, zum Beispiel, spielt er den Überhäuften, den Geschäftvollen und weiß dadurch jeder gründlichen Unterredung zu entschlüpfen, wo seine Unwissenheit ans Licht kommen könnte. – Übrigens trägt er sich mit keinen kleinen Projekten; ich kenne sie recht gut, ob er sie gleich tief zu verbergen glaubt.

Firmin. Wie so? Was sind das für Projekte?

La Roche. Narbonne, der bei dem Gouvernement jetzt sehr viel zu sagen hat, sucht eine fähige Person zu einem großen Gesandtschaftsposten. Er hat die Präsentation; wen er dazu empfiehlt, der ist’s. Nun hat dieser Narbonne auch eine einzige Tochter, siebzehn Jahre alt, schön und liebenswürdig und von unermeßlichem Vermögen. – Gelingt’s nun dem Selicour, in einem so hohen Posten aus dem Land und dem hellsehenden Minister aus den Augen zu kommen, so kann er mit Hilfe eines geschickten und diskreten Sekretärs seine Hohlköpfigkeit lange verbergen. – Kommt sie aber auch endlich an den Tag, wie es nicht fehlen kann, was tut das alsdann dem Schwiegersohn des Ministers? Der Minister muß also zuerst gewonnen werden, und da gibt man sich nun die Miene eines geübten Diplomatikers. – Die Mutter des Ministers ist eine gute schwatzhafte Alte, die eine Kennerin sein will und sich viel mit der Musik weiß. – Bei dieser Alten hat er sich eingenistet, hat ihr Charaden und Sonette vorgesagt, ja und der Stümper hat die Dreistigkeit, ihr des Abends Arien und Lieder auf der Gitarre vorzuklimpern. – Das Fräulein hat Romane gelesen, bei ihr macht er den Empfindsamen, den Verliebten, und so ist er der Liebling des ganzen Hauses, von der Mutter gehätschelt, von der Tochter geschätzt. Die Gesandtschaft ist ihm so gut als schon gewiß, und nächstens wird er um die Hand der Tochter anhalten.

Karl. Was hör’ ich! Er sollte die Kühnheit haben, sich um Charlotten zu bewerben?

La Roche. Die hat er, das können Sie mir glauben.

Karl. Charlotten, die ich liebe! die ich anbete!

La Roche. Sie lieben sie? Sie?

Firmin. Er ist ein Narr! Er ist nicht bei Sinnen! Hören Sie ihn nicht an!

La Roche. Was hör’ ich? Ist’s möglich? – Nein, nein, Herr Firmin! Diese Liebe ist ganz und gar keine Narrheit – wart’ – wart’ – die kann uns zu etwas führen. – Diese Liebe kommt mir erwünscht – die paßt ganz gut in meine Projekte!

Karl. Was träumt er?

La Roche. Dieser Selicour ist in die Luft gesprengt! In die Luft, sag’ ich! – Rein verloren! – In seinem Ehrgeiz soll ihn der Vater, in seiner Liebe soll ihn der Sohn aus dem Sattel heben.

Firmin. Aber ich bitte Sie –

La Roche. Laßt nur mich machen! Laßt mich machen, sag’ ich! Und über kurz oder lang sind Sie Ambassadeur, und Karl heiratet Fräulein Charlotten.

Karl. Ich Charlotten heiraten!

Firmin. Ich Ambassadeur!

La Roche. Nun! Nun! Warum nicht? Sie verdienen es besser, sollt’ ich meinen, als dieser Selicour.

Firmin. Lieber La Roche! Eh’ Sie uns andern große Stellen verschaffen, dächte ich, Sie sorgten, Ihre eigne wieder zu erhalten.

Karl. Das gleicht unserm Freund! So ist er! Immer unternehmend, immer Plane schmiedend! Aber damit langt man nicht aus! Es braucht Gewandtheit und Klugheit zur Ausführung – und daß der Freund es so leicht nimmt, das hat ihm schon schwere Händel angerichtet!

La Roche. Es mag sein, ich verspreche vielleicht mehr, als ich halten kann. Aber alles, was ich sehe, belebt meine Hoffnung, und der Versuch kann nichts schaden. – Für mich selbst möchte ich um keinen Preis eine Intrige spielen – aber diesen Selicour in die Luft zu sprengen, meinen Freunden einen Dienst zu leisten – das ist löblich, das ist köstlich, das macht mir ein himmlisches Vergnügen – und an dem Erfolg – an dem ist gar nicht zu zweifeln.

Firmin. Nicht zu zweifeln? So haben Sie Ihren Plan schon in Ordnung –

La Roche. In Ordnung – Wie? – Ich habe noch gar nicht daran gedacht, aber das wird sich finden, wird sich finden.

Firmin. Ei! – Ei! Dieser gefährliche Plan ist noch nicht weit gediehen, wie ich sehe.

La Roche. Sorgen Sie nicht – ich werde mich mit Ehren herausziehen: dieser Selicour soll es mir nicht abgewinnen, das soll er nicht, dafür steh’ ich. – Was braucht’s der Umwege? Ich gehe gerade zu, melde mich bei dem Minister, es ist nicht schwer, bei ihm vorzukommen; er liebt Gerechtigkeit, er kann die Wahrheit vertragen.

Firmin. Wie? Was? Sie hätten die Kühnheit –

La Roche. Ei was! Ich bin nicht furchtsam. – Ich fürchte niemand. – Kurz und gut. – Ich – spreche den Minister – ich öffne ihm die Augen. – Er sieht, wie schändlich er betrogen ist – das ist das Werk einer halben Stunde – der Selicour muß fort, fort – mit Schimpf und Schande fort, und ich genieße den vollkommensten Triumph. – Ja, ich stehe nicht dafür, daß mich der arme Teufel nicht dauert, wenn er so mit Schande aus dem Hause muß.

Karl. Was Sie tun, lieber La Roche – Mich und meine Liebe lassen Sie auf jeden Fall aus dem Spiel! Ich hoffe nichts. – Ich darf meine Wünsche nicht so hoch erheben! – Aber für meinen Vater können Sie nie zu viel tun.

Firmin. Laß du mich für mich selbst antworten, mein Freund! – Sie meinen es gut, lieber La Roche, aber der gute Wille geht mit der Überlegung durch. Was für ein luftiges Projekt ist’s, das Sie sich ausgesonnen haben! Ein leeres Hirngespinst! – Und wäre der Erfolg ebenso sicher, als er es nicht ist, so würde ich doch nie meine Stimme dazu geben. Diese glänzenden Stellen sind nicht für mich, und ich bin nicht für sie; Neigung und Schicksal haben mir eine bescheidenere Sphäre angewiesen. Warum soll ich mich verändern, wenn ich mich wohl befinde? Ich hoffe, der Staat wird mich nicht suchen, und ich bin zu stolz, um ein Amt zu betteln – noch viel mehr aber, um einen andern für mich betteln zu lassen. – Sorgen Sie also nur für sich selbst! Sie haben Freunde genug, es wird sich jeder gern für Sie verwenden.

La Roche. Ihr wollt also beide meine Dienste nicht? – Liegt nichts dran! Ich mache euer Glück, ihr mögt es wollen oder nicht! (Er geht ab.)

Firmin. Er ist ein Narr. Aber ein guter, und sein Unfall geht mir zu Herzen.

Karl. Auch mich bedauern Sie, mein Vater! Ich bin unglücklicher als er! Ich werde meine Charlotte verlieren.

Firmin. Ich höre kommen – Es ist der Minister mit seiner Mutter – Laß uns gehen! – Ich will auch den Schein vermeiden, als ob ich mich ihm in den Weg gestellt hätte. (Gehen ab.)

3. Auftritt

Narbonne. Madame Belmont.

Mad. Belmont. War Herr Selicour schon bei dir?

Narbonne. Ich hab’ ihn heute noch nicht gesehen!

Mad. Belmont. Das mußt du doch gestehen, mein Sohn, daß du einen wahren Schatz in diesem Manne besitzest.

Narbonne. Er scheint sehr brav in seinem Fach! Und da ich mich einmal von meinem ländlichen Aufenthalt in diese große Stadt und in einen so schwierigen Posten versetzt sehe, wo es mit der Bücherweisheit keineswegs getan ist, so muß ich’s für ein großes Glück achten, daß ich einem Manne wie Selicour begegnete.

Mad. Belmont. Der alles versteht – und dem nichts fremd ist! Geschmack und Kenntnis – die geistreichste Unterhaltung, die angenehmsten Talente. – Musik, Malerei, Verse – man frage, wonach man will, er ist in allem zu Hause.

Narbonne. Nun, und meine Tochter?

Mad. Belmont. Gut, daß du mich darauf bringst. Sie hat ihre siebzehn Jahre, sie hat Augen, dieser Selicour hat so viele Vorzüge. – Und er ist galant! Sein Ausdruck belebt sich in ihrer Gegenwart. – O es ist mir nicht entgangen! Diese Delikatesse, diese zarten Aufmerksamkeiten, die er ihr beweist, sind nur einen kleinen Schritt weit von der Liebe!

Narbonne. Nun, es wäre keine üble Partie für unser Kind! Ich sehe nicht auf die zufälligen Vorzüge der Geburt – hab’ ich nicht selbst meinen Weg von unten auf gemacht? und dieser Selicour kann es mit seinem Geist, seinen Kenntnissen, seiner Rechtschaffenheit noch weit bringen. Ich habe selbst schon bei einem ehrenvollen Posten, wozu man einen tüchtigen und würdigen Mann sucht, an ihn gedacht. – Nun! Ich will seine Fähigkeiten prüfen – zeigt er sich, wie ich nicht zweifle, eines solchen Postens würdig, und weiß er meiner Tochter zu gefallen, so werde ich ihn mit Freuden zu meinem Sohn annehmen.

Mad. Belmont. Das ist mein einziger Wunsch! Er ist ein gar zu artiger, gefälliger, allerliebster Mann.

4. Auftritt

Vorige. Charlotte.

Charlotte. Guten Morgen, lieber Vater!

Narbonne. Sieh da, mein Mädchen! – Nun, wie gefällt dir die große Stadt?

Charlotte. Ach, ich wünsche mich doch wieder aufs Land hinaus – Denn hier muß ich die Zeit abpassen, um meinen Vater zu sehen.

Narbonne. Ja, ich selbst vermisse meine redlichen Landleute. Mit ihnen scherzte ich und war fröhlich – doch das hoffe ich auch hier zu bleiben. – Mein Posten soll meine Gemütsart nicht verändern: man kann ein Geschäftsmann sein und doch seine gute Laune behalten.

Mad. Belmont. Mich entzückt dieser Aufenthalt. Ich – ich bin hier wie im Himmel. Mit aller Welt schon bin ich bekannt – alles kommt mir entgegen – und Herr Selicour wollte mich bei dem Lycée abonnieren.

Charlotte. Denken Sie, Großmama, wen ich heute geglaubt habe zu sehen!

Mad. Belmont. Wen denn?

Charlotte. Den jungen Karl Firmin –

Mad. Belmont. Der zu Colmar alle Abende zu deiner Tante kam –

Charlotte. Der sich immer mit Ihnen unterhielt.

Mad. Belmont. Ein artiger junger Mensch!

Charlotte. Nicht wahr, Großmama?

Mad. Belmont. Der so hübsche Verse machte?

Charlotte. Ja, ja, der!

Mad. Belmont. Nun, da er hier ist, wird er sich auch wohl bei uns melden.

Narbonne. Wo doch der Selicour bleibt? Er läßt diesmal auf sich warten,

Mad. Belmont. Da kommt er eben!

 

 

5. Auftritt

Selicour zu den Vorigen.

Selicour (alles bekomplimentierend). Ganz zum Entzücken find’ ich Sie alle hier beisammen!

Narbonne. Guten Morgen, lieber Selicour!

Selicour (zu Narbonne, Papiere übergebend). Hier überbringe ich den bewußten Aufsatz – ich hielt’s für dienlich, ein paar Zeilen zur Erläuterung beizufügen.

Narbonne. Vortrefflich.

Selicour (der Madame ein Billet übergebend). Der gnädigen Frau habe ich für das neue Stück eine Loge besprochen.

Mad. Belmont. Allerliebst!

Selicour. Dem gnädigen Fräulein bring’ ich diesen moralischen Roman.

Charlotte. Sie haben ihn doch gelesen, Herr Selicour?

Selicour. Das erste Bändchen, ja, hab’ ich flüchtig durchgeblättert.

Charlotte. Nun, und –

Selicour. Sie werden eine rührende Szene darin finden. – Ein unglücklicher Vater – eine ausgeartete Tochter! – Eltern hilflos, im Stich gelassen von undankbaren Kindern! – Greuel, die ich nicht fasse – davon ich mir keinen Begriff machen kann! – Denn wiegt wohl die ganze Dankbarkeit unsers Lebens die Sorgen auf, die sie unsrer hilflosen Kindheit beweisen?

Mad. Belmont. In alles, was er sagt, weiß der würdige Mann doch etwas Delikates zu legen!

Selicour (zu Narbonne). In unsern Bureaus ist eben jetzt ein Chef nötig. – Der Platz ist von Bedeutung, und viele bewerben sich darum.

Narbonne. Auf Sie verlass’ ich mich! Sie werden die Ansprüche eines jeden zu prüfen wissen – die Dienstjahre, der Eifer, die Fähigkeit und vor allem die Rechtschaffenheit sind in Betrachtung zu ziehen. – Aber ich vergesse, daß ich zu unterzeichnen habe. Ich gehe!

Selicour. Und ich will auch gleich an meine Geschäfte!

Narbonne. Ich bitte Sie recht sehr, erwarten Sie mich hier, wir haben mit einander zu reden!

Selicour. Aber ich hätte vor Tische noch so manches auszufertigen.

Narbonne. Bleiben Sie, oder kommen Sie schleunigst wieder! Ich habe Ihre Gegenwart nötig! Ein Mann von Ihrer Kenntnis, von Ihrer Rechtschaffenheit ist’s, was ich gerade brauche! Kommen Sie ja bald zurück! – Ich hab’ es gut mit Ihnen vor. (Er geht ab.)

 

 

6. Auftritt

Vorige ohne Narbonne.

Mad. Belmont. Sie können es sich gar nicht vorstellen, Herr Selicour, wie große Stücke mein Sohn auf Sie hält! – Aber ich hätte zu tun, dächt’ ich. – Unsere Verwandten, unsre Freunde speisen diesen Abend hier. – Wird man Sie auch sehen, Herr Selicour?

Selicour. Wenn anders meine vielen Geschäfte –

Mad. Belmont. Daß Sie nur ja nicht ausbleiben, sonst würde unserm Fest seine Krone fehlen. Sie sind die Seele unsrer Gesellschaft! – Und Charlotte, wollte ich wohl wetten, würde es recht sehr übel nehmen, wenn Sie nicht kämen.

Charlotte. Ich, Mama? Nun ja,! Ihre und Papas Freunde sind mir immer herzlich willkommen!

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! – Jetzt zieh dich an! Es ist die höchste Zeit! – Sie müssen wissen, Herr Selicour, daß ich bei dem Putz präsidiere.

Selicour. So kommt die schöne Kunst noch der schönen Natur zu Hilfe – wer könnte da widerstehen?

Mad. Belmont. Er ist scharmant! scharmant ist er! Nicht den Mund öffnet er, ohne etwas Geistreiches und Galantes zu sagen. (Geht mit Charlotten.)

7. Auftritt

Selicour. Michel.

Michel (im Hereintreten). Endlich ist sie fort! – Nun kann ich mein Wort anbringen! – Hab’ ich die Ehre mit Herrn Selicour –

Selicour (grob und verdrießlich). Das ist mein Name!

Michel. Vergönnen Sie, mein Herr! –

Selicour. Muß ich auch hier belästigt werden? Was will man von mir?

Michel. Mein Herr! –

Selicour. Gewiß eine Bettelei – ein Anliegen. – Ich kann nicht dienen.

Michel. Erlauben Sie, mein Herr!

Selicour. Nichts! Hier ist der Ort nicht – in meinem Kabinett mag man wieder anfragen!

Michel. Einen so üblen Empfang glaubte ich nicht –

Selicour. Was beliebt?

Michel. Ich komme ja gar nicht, um etwas zu bitten – ich komme, dem Herrn Selicour meine gehorsame Danksagung abzustatten!

Selicour. Danksagung? Wofür?

Michel. Daß Sie meinem Neffen die Stelle verschafft haben.

Selicour. Was? Wie?

Michel. Ich bin erst seit gestern hier im Hause, weil mich mein Herr auf dem Lande zurückließ. Als ich Ihnen schrieb, hatte ich nicht die Ehre, Sie von Person zu kennen.

Selicour. Was sagen Sie, mein Wertester! Sie wären im Dienste des Ministers?

Michel. Sein Kammerdiener, Ihnen zu dienen!

Selicour. Mein Gott, welcher Irrtum! Monsieur Michel, Kammerdiener, Leibdiener, Vertrauter des Herrn Ministers. – Bitte tausendmal um Verzeihung, Monsieur Michel! – Wahrhaftig, ich schäme mich – ich bin untröstlich, daß ich Sie so barsch angelassen. Auf Ehre, Monsieur Michel! – Ich hielt Sie für einen Commis.

Michel. Und wenn ich es auch wäre!

Selicour. Man wird von so vielen Zudringlichen belagert! Man kann es nicht allen Leuten am Rock ansehen.

Michel. Aber gegen alle kann man höflich sein, dächt’ ich!

Selicour. Freilich! Freilich! Es war eine unglückliche Zerstreuung!

Michel. Eine sehr unangenehme für mich, Herr Selicour!

Selicour. Es tut mir leid, sehr leid – ich kann mir’s in Ewigkeit nicht vergeben.

Michel. Lassen wir’s gut sein!

Selicour. Nun! Nun! – Ich habe Ihnen meinen Eifer bewiesen – der liebe, liebe Neffe! der wäre denn nun versorgt!

Michel. Eben komm’ ich von ihm her! Er ist nicht auf den Kopf gefallen, der Bursch!

Selicour. Der junge Mann wird seinen Weg machen. Zählen Sie auf mich.

Michel. Schreibt er nicht eine saubre Hand?

Selicour. Er schreibt gar nicht übel!

Michel. Und die Orthographie –

Selicour. Ja! Das ist das Wesen!

Michel. Hören Sie, Herr Selicour! Von meinem Briefe an Sie lassen Sie sich gegen den gnädigen Herrn nichts merken. Er hat uns, da er zur Stadt reiste, streng anbefohlen, nichts zu sollizitieren. – Er ist so etwas von wunderlich, der Herr!

Selicour. Ist er das? So! So! – Sie kennen ihn wohl sehr gut, den Herrn Minister?

Michel. Da er auf vertrautem Fuß mit seiner Dienerschaft umgeht, so weiß ich ihn auswendig – und kann Ihnen, wenn Sie wollen, völlig Auskunft über ihn geben.

Selicour. Ich glaub’s! Ich glaub’s! Aber ich bin eben nicht neugierig, ganz und gar nicht! Sehn Sie, Monsieur Michel! Mein Grundsatz ist: Handle recht, scheue niemand.

Michel. Schön gesagt!

Selicour. Nun, also weiter! Fahren Sie nur fort, Monsieur Michel! – Der gute Herr ist also ein wenig eigen, sagen Sie?

Michel. Er ist wunderlich, aber gut. Sein Herz ist lauter, wie Gold!

Selicour. Er ist reich, er ist ein Witwer, ein angenehmer Mann und noch in seinen besten Jahren. – Gestehen Sie’s nur – er haßt die Weiber nicht, der liebe, würdige Mann.

Michel. Er hat ein gefühlvolles Herz.

Selicour (lächelt fein). He! He! So einige kleine Liebschaften, nicht wahr?

Michel. Mag wohl sein! Aber er ist über diesen Punkt –

Selicour. Verstehe, verstehe, Monsieur Michel! Sie sind bescheiden und wissen zu schweigen. – Ich frage in der besten Absicht von der Welt, denn ich bin gewiß, man kann nichts erfahren, als was ihm Ehre bringt.

Michel. Ja! Hören Sie! In einer von den Vorstädten sucht er ein Quartier.

Selicour. Ein Quartier, und für wen?

Michel. Das will ich schon noch herausbringen. – Aber lassen Sie sich ja nichts verlauten, hören Sie?

Selicour. Bewahre Gott!

Michel. Galant war er in der Jugend.

Selicour. Und da glauben Sie, daß er jetzt noch sein Liebchen –

Michel. Das eben nicht. Aber –

Selicour. Sei’s, was es will! Als ein treuer Diener des würdigen Herrn müssen Sie einen christlichen Mantel auf seine Schwachheit werfen. Und warum könnte es nicht eine heimliche Wohltat sein? Warum das nicht, Herr Michel? – Ich hasse die schlechten Auslegungen. – In den Tod hasse ich, was einer übeln Nachrede gleicht. – Man muß immer das Beste von seinen Wohltätern denken. – Nun! Nun! Nun wir sehen uns wieder, Monsieur Michel! – Sie haben mir doch meinen trockenen Empfang verziehen? Haben Sie? – Auf Ehre! Ich bin noch ganz schamrot darüber! (Gibt ihm die Hand.)

Michel (weigert sich). O nicht doch, nicht doch, Herr Selicour! Ich kenne meinen Platz und weiß mich zu bescheiden.

Selicour. Ohne Umstände! Zählen Sie mich unter Ihre Freunde! – Ich bitte mir das aus, Monsieur Michel!

Michel. Das werd’ ich mich nimmer unterstehen – ich bin nur ein Bedienter.

Selicour. Mein Freund! mein Freund! Kein Unterschied zwischen uns. Ich bitte mir’s recht aus, Monsieur Michel! – (Indem sich beide bekomplimentieren, fällt der Vorhang.)


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