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Auf meiner einsamen Reise hatte ich Raum etwas nachzudenken. Mir war, als hätte mich ein bezauberter Wirbelwind aus Venedig und allen Verhältnissen gerissen. War es aber das Plötzliche des ganzen Ereignisses, oder war es, daß mein Leben in Venedig mich beschäftigt hatte, ohne mich zu interessieren, kurz mir schwebte das Ganze wie längst vergangen nur entfernt im Gedächtnis, ich konnte meine Wünsche und meine Gedanken alle vorwärts richten, nichts zog mich zurück. Dies machte mich aufmerksam auf mich selbst, und auf die Leere meiner geführten Lebensart.
Ich dachte an Manfredi, ich wünschte bei ihm zu sein; zu gleicher Zeit fühlte ich eine gewisse Abneigung, mich jetzt schon dem Soldatenstand zu ergeben. Das Leben eines Soldaten in Friedenszeit schien mir eine lustige Sklaverei, nicht viel besser als Lakaiendienst, und nur durch herrschendes Vorurteil darüber hinaus gesetzt. Soldat wollte ich zwar sein, dabei blieb es, dies war der Hintergrund meines Lebensplanes, aber nicht in einer Garnison, nicht bei einer stehenden Armee. Ich wollte nie für den Despotismus, nie für eine unbekannte, oder gar nach meinen Begriffen ungerechte Sache fechten. Wie die Helden des Altertums, wollte ich nur für die Freiheit streiten, und in erkämpftem Frieden, ruhig, frei, mein eigen sein. Bei dem Gedanken an die Helden des Altertums ward mir zugleich der an mein Vorhaben wieder rege, die Kunst der Alten in Rom zu studieren. Jetzt fühlte ich ganz bestimmt den Trieb dazu aufs neue in mir erwachen, und ich beschloß meine ganze Zeit und mein Leben in Rom dazu anzuwenden. Sobald ich dort ankam, machte ich auch gleich alle Anstalten, einsam und fleißig meinen Plan auszuführen. Er schien mir so gut und so würdig, daß ich davon an Manfredi schrieb, und nachdem ich ihm meine letzte Begebenheit mitgeteilt, wendete ich meine ganze Beredsamkeit an, ihn zu bewegen, daß er sogleich seine Kompagnie in Stich lassen und zu mir nach Rom kommen sollte, um mir nachzuahmen.
Ich bekam nach einiger Zeit eine freundschaftliche Antwort von meinem guten Manfredi. Zu mir könnte er aber nicht kommen, der Marchese halte es nicht für ratsam, daß er seine Laufbahn unterbreche, und habe es ihm untersagt. Meine Katastrophe in Venedig habe er schon durch seinen Vater erfahren, der überaus aufgebracht wegen meiner Unbesonnenheiten gewesen sei. Man hatte es ihm nämlich aus Venedig mit allen möglichen Verkehrtheiten und Verfälschungen berichtet. Vom Anteil an der Mordtat sprach er mich übrigens zwar frei, aber ich hätte mich niemals, meinte er, in solche gefährliche Gesellschaften mischen sollen. Da ich aber doch die Ehre nicht verletzt hätte, so habe er noch nicht aufgehört, sich für mich zu interessieren, und es sei ihm erfreulich gewesen, aus meinem Briefe an Manfredi zu erfahren, daß ich in Rom sei. Auch habe er gar nichts dagegen, daß ich mich dort einem ruhigen Leben und den Studien überlasse, nur sollte ich meine Zeit zweckmäßig benutzen. Zuletzt kam wieder dasselbe Versprechen, er wolle auch in Rom auf meine Aufführung wachen lassen, und nach den Berichten, die darüber einliefen, würde er mich behandeln.
Ich ärgerte mich entsetzlich über diese Aufsicht, die so unsichtbar wie die Allwissenheit über mir schwebte, ohne daß sie mit der Allweisheit verbunden gewesen wäre, wie diese; denn sie hatte mir in Venedig auf die verkehrteste Weise von der Welt den größten Schaden zugefügt. Ich fand kein Mittel, mich von ihr zu befreien, ohne den Marchese zu erzürnen; er war mir zu wert, niemand als er hatte noch so viel für mich getan. Ich glaubte aber, man würde es bald müde werden, mich zu beobachten, da ich äußerst eingezogen, und bloß mit meiner Absicht beschäftigt lebte. Mit den beiden Lords, die ich noch in Rom fand, und die mir sehr lästig wurden, mußte ich noch viel umherstreifen und ihnen helfen die Beweise ihres Kunstverstandes zusammentreiben, die sie für ihre baren Guineen einhandelten. Sie hatten mir meinen Geldbeutel zurückgegeben, ich fand die geliehene Summe dreifach verdoppelt darin; was mir gehörte, nahm ich davon, das übrige gab ich ihnen zurück; nicht etwa, als ob ich es unter meiner Würde gehalten hätte, Geld anzunehmen: unter den Umständen, in denen ich lebte, wäre dies lächerlich und zwecklos gewesen. Mein kleines Vermögen war aufgezehrt, dem Marchese Geld abzufordern, dazu hielt ich mich nicht berechtigt, ob er es mir gleich durch Manfredi hatte anbieten lassen, mich im Fall der Not an ihn zu wenden. Diese Not schien mir aber noch nicht eingetreten. Ich machte den Cicerone, sobald es mir an Geld fehlte, und lebte wieder bei meinen Studien, so lange es vorhielt. Von den Fremden, die meiner bedurften, nahm ich unbefangen meinen Lohn an, es war kein andres Verhältnis zwischen mir und ihnen, als daß ich ihnen meine Dienste, sie mir ihr Geld gaben. Mit den Lords stand ich aber nicht auf demselben Fuß; der Dienst, den ich ihnen geleistet, den konnten sie mir mit Geld nicht bezahlen. Diese Herren aber fühlten meinen Unterschied nicht, sie waren beleidigt, und taten aufgebracht, daß ich ihre vollwichtige Dankbarkeit verschmähte; ich konnte sie nur mit dem Versprechen beruhigen, sie in England zu besuchen, wenn ich einst Italien verlassen möchte, und in jeder Geldverlegenheit von ihrer Freundschaft Gebrauch zu machen. Sie reisten endlich nach England zurück.
Unterdessen waren meine guten deutschen Künstler aus Venedig angelangt, und nun hob eine Zeit für mich an, die wohl immer zu den glücklichsten Epochen meines Lebens gehören wird. Ich ging mit niemand um, als mit Künstlern, besonders mit den ausländischen, und unter diesen zeichnete ich besonders wieder die Deutschen aus. Unter ihnen fand ich jederzeit den hellsten Sinn, das treulichste Bestreben, und am meisten innere Freiheit. Mein angestrengtester Fleiß brachte mich in kurzem so weit, daß ich mit meinen Gefährten wetteifern konnte. Sobald meine Gemälde verkäuflich waren, legte ich das Gewerbe eines Cicerone völlig nieder, zeichnete und malte ununterbrochen. Um den Verkauf meiner Bilder, meistens Landschaften, bekümmerte ich mich ebenso wenig, als um die Anwendung des gelösten Geldes. Das erste besorgten meine Freunde, und die Summen, die zu meiner wenig kostbaren Lebensart vollkommen ausreichten, händigten sie meiner Frau ein.« – »Ihrer Frau?« rief Juliane erstaunt; »doch wahrscheinlich bloß Ihrer Haushälterin?« – »Nein, meiner Frau!« – »Wie? Sie sind verheiratet?« – »Wirklich getraut?« fragte Eduard. – »Wahrscheinlich traute sie mir, und ich habe ihr nur zu viel getraut. Es war ein sehr schönes Mädchen, eine Römerin, die uns lange zum Modell gesessen hatte. Sie hielt sich klug und bescheiden, so daß sie von uns allen hochgehalten, und wegen ihrer großen Schönheit sehr bewundert ward. Einige Tage fanden wir sie niedergeschlagener als gewöhnlich, ich bat sie, uns etwas vorzusingen, um sich selbst damit zu erheitern. Sie sang uns nun ein Lied, dessen Inhalt ungefähr war: wenn sie einen Mann hätte, der sie liebte, und für sie sorgen wollte, so möchte sie einzig für ihn und seine Wünsche leben, das würde dann ihr größtes Glück sein. Sie sang das Lied mit einer solchen süßen Unschuld, so schüchterner Innigkeit, und sah dabei so entzückend schön aus, daß ich, da sie während des Gesanges ihre Blicke am meisten auf mich geheftet hatte, ihren Wunsch erfüllen mußte. Sie blieb gleich bei mir. – Ich hatte meine große Freude an dem Kinde, wie gut sie sich nahm, und mit welchem Anstande sie dem Hauswesen vorstehen konnte. Ich muß aber gestehen, sie hätte es weit schlechter machen können, sie würde mir doch nicht weniger gefallen haben, denn ihr kleidete alles, was sie unternahm; man kann sich nichts Reizenderes erdenken, als dieses kleine anmutige Wesen. Meine größte Lust war es, sie zu schmücken, und sie jeden Tag in unserm Zirkel in immer neuem Kostüme und unerwarteten Abänderungen aufs kostbarste zu kleiden, darauf verwandte ich nicht eben den kleinsten Teil meiner Einkünfte. Ich malte sie unter jeder Gestalt, und in allen ersinnlichen Stellungen, als Göttin, als Heilige, als Priesterin, als Nymphe: diese Bilder sollen mir sehr gut gelungen sein. Wir führten das einfachste und doch tollste Leben, das sich erdenken läßt. Ich war der beste Ehemann von der Welt, und ließ mich von ihr beherrschen, so viel sie wußte und vermochte; sie lernte es immer besser. Je mehr sie ihre Gewalt über mich kennen lernte, desto impertinenter und launenhafter ward sie; da es mir aber damals auch gar nicht daran fehlte und ich, wenn es darauf ankam, zehnmal launenhafter und tollköpfiger war als sie, so entstand nicht selten ein gar artiges Gepolter und Lärmen zwischen uns.
In unsern gewöhnlichen Abendzusammenkünften, die bei mir gehalten wurden, ward entweder über das Werk eines großen Meisters, das wir denselben Tag gesehen hatten, gesprochen, oder es stellte einer unter uns, der eine Arbeit vollendet hatte, sie zur Beurteilung auf, oder man las auch wohl einen alten Dichter laut vor. Mitten in den ernsthaftesten Beschäftigungen entstand dann nicht selten, zur großen Verwunderung aller Anwesenden, ein plötzlicher lauter Lärm und Zank zwischen mir und meiner Frau, wovon niemand den Grund erraten konnte. Gewöhnlich war es aber nichts anders, als daß sie mir, von den andern unbemerkt, ein Gesicht geschnitten, das mir, wie sie wohl wußte, verhaßt an ihr war; dies beantwortete ich ihr dann mit einer impertinenten Gebärde, die sie nicht leiden konnte, so ging es eine Zeitlang hin und her, ohne daß es die andern bemerkten, bis wir dann laut auf einander losfuhren. Natürlich endigte der Krieg ebenso lustig, als er entstanden war. Unsre Haushaltung bestand aber herrlich, zur Erbauung und Belustigung aller Angehörigen.
Ich hätte füglich eine lange Reihe Jahre in denselben Beschäftigungen und denselben Freuden hinbringen können, aber eine geheime Unruhe im innersten Gemüt, ein Treiben nach einem unbekannten Gut ließ es mich selten rein genießen, daß es mir doch eigentlich recht wohl ging. Ich wünschte mir einen größern Wirkungskreis, es kam mir oft ganz verkehrt vor, daß ich Kraft und Jugend einer einseitigen Ausbildung hingegeben; es dünkte mir lächerlich, daß ich so viel angewendet hätte, um mich frei zu machen, und nun diese errungne Freiheit doch nicht in ihrem ganzen Umfang benutzte. Mein Bestreben schien mir kindisch und zwecklos, weil ich immer mehr inne ward, daß ich eigentlich gar kein Talent zur Malerei hatte; dennoch war es mir wieder gar nicht möglich, mich loszumachen, so wenig von meiner Lebensweise, als vom Anblick und dem Studium der großen Wunder der Kunst. In manchen Stunden beunruhigte es mich wieder, nichts über meine Geburt und meine Eltern zu erfahren, ich mußte bei jedem Schritt, den ich unternehmen wollte, befürchten, daß ich meiner eigentlichen Bestimmung entgegen arbeite. Oft fühlte ich mich zu diesen unruhigen Betrachtungen geführt, doch konnte ich mich nicht lange einer trüben Stimmung überlassen, meine Freunde sowohl als alle meine Übungen führten bald wieder Vergessenheit alles Grams herbei.
Endlich ward mir von meiner Kleinen die nahe Aussicht zur Vaterwürde verkündet. Wie soll ich euch beschreiben, wie mir ward bei dieser Nachricht! Es geschah eine plötzliche Revolution in mir. Alles, was ich bis dahin geglaubt, gedacht, gefürchtet, gehofft, geliebt und gehaßt hatte, nahm eine andre gleichsam glänzendere Gestalt in mir an. Jetzt wußte ich, was ich wollte; ich dachte nicht mehr an ein entferntes Glück, ich hatte meine Bestimmung gefunden. Doch mich selbst verlor ich völlig dabei aus den Augen, auf das Kind bezog ich alles: ich dachte unaufhörlich an die Art, wie ich es erziehen, wie ich für sein Glück sorgen, und wie ich in diesem Kinde erst meine Kindheit genießen wollte, die mir selbst so getrübt worden war. Was ich von Kenntnissen besaß, suchte ich zu ordnen und festzuhalten, um es dann nützen zu können, dabei strengte ich mich mehr als gewöhnlich an, immer neue zu sammeln. Meine Einkünfte, um die ich mich sonst nie bekümmert hatte, berechnete ich jetzt mit großer Genauigkeit; jedes Goldstück, das ich beiseite legen konnte, erhielt im voraus seine Bestimmung zum Besten des Ankömmlings. Lange Reden hielt ich an die Mutter, als sie mit einigen Einschränkungen unzufrieden war, die ich einführen wollte, in denen ich ihr Sinn für ihre neue große Würde zu geben versuchte. Ich merkte es nicht in meinem Eifer, daß sie sie mit großem Leichtsinn aufnahm. Einigemal war ich gegen meine Freunde, die sich eines Lächelns und leichten Spottes über meinen gutmütigen Enthusiasmus nicht enthalten konnten, ernsthaft aufgebracht: sie schwiegen und sahen mir gelassen zu. Kein rauhes Lüftchen durfte die Mutter anwehen, ich bekümmerte mich um jede Regel der Diät, ich dachte nur daran, sie in der besten und ruhigsten Stimmung zu erhalten, und vermehrte durch meine Ängstlichkeit ihre Ungeduld, so daß ich unaufhörlich von ihren Launen litt. Was habe ich nicht angewandt, sie vom Tanze abzuhalten, dem sie mit großer Leidenschaft ergeben war! Geliebt hatte ich sie wohl eigentlich nie, aber jetzt fühlte ich wahre Zärtlichkeit für sie; sie war mir heilig. Wie weit aber war sie von diesen Gefühlen entfernt, die mich so entzückten!
Ich war genötigt, eine Reise nach Florenz vorzunehmen, um eine angefangne Arbeit dort zu vollenden. Ich arbeitete mit solchem Eifer, daß ich in zwei Monaten vollendete, wozu ich sonst noch einmal so viel Zeit gebraucht hätte. Ich erhielt eine ansehnliche Summe, und eilte zurück zu meinen Freunden.
Ich fand meine Kleine etwas blaß bei meiner Zurückkunft, ich erkundigte mich ängstlich nach ihrem Befinden, ihre Antwort befriedigte mich nicht, indessen schob ich es in meiner Freude auf ihren Zustand, denn sie war übrigens wohl und fröhlicher, mutwilliger, als ich sie verlassen hatte. Wir saßen bei Tische, ich erzählte, fragte, überließ mein Herz den schönsten Eindrücken der Freude. Endlich fragte ich sie so schonend als nur möglich, wie es zuging, daß ihr Wuchs noch so unverändert wäre, ich hätte nicht geglaubt, sie noch so schlank zu finden? Meine zärtlichen bescheidenen Fragen wurden mit lautem Gelächter beantwortet; ich ließ nicht ab, sie ward übel gelaunt, einige heftig ausgestoßne Worte vermehrten meine Besorgnis, ich drang in sie, endlich ... sie hatte meine Abwesenheit benutzt ... sie hatte sich durch künstliche Mittel von dem Zustande befreit. – Die lange Beschwerde, ... die ewige Sorgfalt ward dem leichtsinnigen Geschöpfe sträflich zur Last ... sie fürchtete für ihre Schönheit! ... Gott! ich werde noch jetzt ganz verwirrt, wenn ich mich daran erinnere. ... Ich verlor alle Fassung, alle Gewalt über mich. ... Atem und Sinne vergingen mir ... meiner selbst nicht mehr mächtig, warf ich mein Messer, das ich in der Hand hatte, mit solcher Gewalt zu ihr hinüber ... es hätte sie auf der Stelle töten müssen, hätte die Wut mich nicht blind gemacht; es blieb über ihrem Kopf tief in der Wand stecken. Von meiner Wildheit erschreckt, schrie sie laut auf, und verließ eilends das Zimmer, ich war unvermögend, ihr zu folgen.« –
»O Florentin«, sagte Juliane, »wie fürchterlich erscheinen Sie mir! Sie hätten eine Mordtat begehen können!« – »Wie! war nicht sie eine hartherzige, treulose, widernatürliche Mörderin? Mich, mich hatte sie höchst unbarmherzig gemordet! Still nur davon, und erlaubt, daß ich ende. –
Die Treulose hatte auf der Stelle das Haus verlassen, ich sah sie nicht wieder. Ein gewisser Kardinal hatte sich ihrer angenommen. Wie ich nun erfuhr, hatte Se. Eminenz, die übrigens ein Muster der Frömmigkeit für ganz Rom war, ihr schon längst nachgestellt, und wahrscheinlich während meiner Abwesenheit seine Absicht erreicht. Ein heftiger Blutsturz, den ich gleich nach jenem Auftritt bekam, drohte meinem Leben. Ich war zerstört, konnte meine Kraft, meine Fröhlichkeit und meinen Trieb zur Arbeit nicht wiederfinden. Die Lust zu reisen kam mir wieder an, ich durfte es aber nicht wagen, wegen meiner angegriffenen Gesundheit. Ich mußte bei jeder etwas heftigen Bewegung Blut auswerfen. An dem Mädchen rächte ich mich weiter nicht; dem Kardinal konnte ich es aber doch nicht so hingehen lassen; ich machte einige Verse, in denen ich ihn eben nicht schonte. Es war Witz und Bitterkeit genug darin, sie kamen bald in Rom herum. Meine Geschichte war bekannt geworden, man erriet den Dichter, und zugleich die Eminenz. Er mochte es wahrscheinlich durch aufmerksame Diener erfahren haben, und für seinen Heiligenschein besorgt geworden sein.
Ich suchte nun diese Begebenheit zu vergessen, und strengte mich an, meine alte Lebensweise wieder einzuführen, als ganz unerwartet ein Billet von meiner treulosen Schönen an mich kam. Aus einem Rest von Anhänglichkeit für mich, riet sie mir, so geschwind als möglich Rom zu verlassen. Se. Eminenz wären äußerst aufgebracht auf mich, und hätten beschlossen, mich auf die Galeeren zu schicken, ich wäre also keinen Tag sicher in Rom. Se. Eminenz hätten ihr versichert, ich hätte diese Strafe verdient, nicht allein wegen des boshaften Pasquills, wofür er sich niemals rächen würde, das er mir auch schon von Herzen vergeben habe, sondern sowohl wegen der abscheulichen Absicht sie zu ermorden, nachdem ich sie gewaltsam verführt habe, als auch wegen meiner Irreligiosität, und des gottlosen Planes, eine heidnische Sekte zu stiften, zu welchem Ende ich geheime Zusammenkünfte mit jungen Künstlern gehalten habe, wobei wir lästerliche Reden gegen den katholischen Glauben ausgestoßen, und verschiedene heidnische Gebräuche eingeführt hätten. Überdies wäre ich schon längst verdächtig, und ein Gegenstand der Aufmerksamkeit für die Polizei, weil von auswärts her von gewissen Leuten Nachfrage nach meiner Aufführung geschehen sei; ich müßte mich also schon längst verdächtig gemacht haben. –
Denkt euch! denkt euch diesen Abgrund von Absurdität! Es lag mir nichts daran, mich zu verteidigen, ich hätte es leicht gekonnt. Es war mir gleichgültig, wo ich lebte, Italien war mir aber verhaßt. Ich verließ Rom noch in derselben Stunde. Weil ich die Bewegung des Fahrens nicht ertragen konnte, ging ich zu Fuß nach Civita Vecchia, einige von meinen guten Gefährten gingen mit mir bis dahin. Hier schiffte ich mich nach Marseille ein. Dort war die Luft, und die ruhige Einförmigkeit meines Lebens, meiner Gesundheit so zuträglich, daß ich in einigen Monaten wieder völlig hergestellt war. Auf wiederholte Briefe an Manfredi bekam ich keine Antwort. In der Folge erfuhr ich, daß sein Regiment die Garnison verändert habe, und meine Briefe wahrscheinlich nicht an ihn gelangt waren. Damals glaubte ich aber zu meinem tiefsten Schmerz, er habe sich von mir gewandt. Ich schrieb dies dem Marchese zu, der wahrscheinlich den Nachrichten aus Rom zufolge eine schlechte Meinung von mir bekommen, und sie seinem Sohn mitgeteilt hätte. An den Marchese selbst schrieb ich also nicht, ich glaubte seine Antwort vorher wissen zu können.
Nun durchwanderte ich einsam einen großen Teil von Frankreich; die schönen Träume und Bilder waren von mir gewichen, die sonst auf jeder neuen Reise vor mir herflogen. Mein Herz hatte sich verschlossen, und so blieb ihm auch alles verschlossen. Ich lebte von Porträtmalen. Hatte ich mir an einem Ort einiges Geld erworben, so reiste ich weiter. Manches zog mich an, aber nirgends wurde ich festgehalten. Allenthalben fand ich dieselben Gewohnheiten, dieselben Torheiten wieder, denen ich soeben entgehen wollte. Ein Vorurteil hing am andern, und an dieser Kette sah ich die Welt gelenkt und regiert. Allenthalben fand ich Sklaven und Tyrannen; allenthalben Verstand und Mut unterdrückt und gefürchtet, Dummheit und niedrige Gesinnung beschützt von denjenigen, denen sie wieder als Pfeiler diente.
Ich trieb mich in Paris umher, es war mir nach und nach ein gar schlechter Spaß geworden, Gesichter aller Art für bare Bezahlung zu konterfeien, und für dieses sündlich erworbene Geld ein leeres törichtes Leben weiter hinaus zu spinnen, und die Erfahrung immer zu wiederholen, daß ich nirgends hinpasse.
An einem öffentlichen Ort kam ich zufällig in ein Gespräch mit einem englischen Manufakturisten, der auf Frankreich schimpfte und mir die englische Freiheit rühmte; mir fiel das Versprechen ein, das ich meinen Lords in Rom gegeben hatte, – in wenigen Tagen war ich in London. Hier fand ich nur den einen Lord, der andre, der den Nobile getötet hatte, wohnte auf seinem Landsitz. Eine Zeitlang lebte ich nun mit jenem im Zirkel der Londoner Elegants. Ich fand aber keine Lust an ihren Routs und Punsch und tollen Wetten, worin sie den Ehrgeiz des guten Tons setzten. Die Gesellschaft ihrer Frauen erfreute mich nicht; ihre Fabriken, Manufakturen, ihr Geld, ihr Hochmut, ihre Nebel und ihre Steinkohlen machten mich traurig und schwermütig. Und ihre Freiheit, die mir so oft gepriesene? ... Ich war bei einer Debatte im Unterhause zugegen ... und nun war ich bestimmt entschlossen, und es bleibt unwiderruflich dabei, ich gehe zur republikanischen Armee nach Amerika. Es muß jenen Menschen gelingen, sich frei zu machen, da sie nicht von falschem Schimmer geblendet sind, den man ihnen anstatt des echten Goldes aufdringen will. Meine Kraft und meine Tätigkeit sei ihnen geweiht. Bei diesem Gedanken erwachten Mut und Freudigkeit wieder in mir, für die amerikanische Freiheit fechten, dünkte mir ein würdiger Endzweck.
Ich setzte einen Tag fest, an dem ich wieder nach Frankreich wollte. Den Tag vorher hatten meine Londoner Herren ein Pferderennen, zu dem sie mich mitzogen; ich folgte mit einigen andern den Rennern, mein Pferd stürzte, ich ward heftig herunter geschleudert; ohne es zu achten, stieg ich wieder auf, fühlte mich aber, nach einer kurzen Anstrengung ihnen zu folgen, so angegriffen, daß ich mich nach Hause mußte bringen lassen. Meine Brust war durch den Fall aufs neue verletzt worden, ich war krank, allein und verlassen. Mein Geldvorrat war erschöpft, was noch übrig war, reichte kaum hin, mich wieder herzustellen. Um dieses zu beschleunigen, wollte ich einige Zeit auf dem Lande leben; die Luft in London war mir höchst schädlich. Sobald ich es nur wagen durfte, so weit zu gehen, machte ich mich auf, um meinen Lord auf seinem Landhause zu besuchen, und mich bei ihm völlig zu erholen.
In seinem mit der gewöhnlichen Pracht der englischen Landpaläste errichteten Wohnsitz fand ich alles in bunter, lauter Freude und Lustbarkeit. Der Lord hatte sich vor wenigen Tagen mit einer reichen Erbin vermählt, und man war noch sehr mit den Festen beschäftigt. Ich kam zu Fuß, war matt, bleich und im Kostüm eines Fußgängers. Ich mußte lange stehen, eh ich jemanden fand, der mich Sr. Herrlichkeit melden wollte. Es gab eine Zeit, wo ich es nicht so geduldig abgewartet hätte, aber ich war krank, und mein Geist gebeugt. Des Stehens im lärmenden Vorsaal endlich müde, schickte ich eine Karte mit meinem Namen hinein, und setzte dazu, ich wäre im Garten. Ich ging wirklich dahin und setzte mich auf die erste Bank, die ich fand. Bald darauf kam auch der Lord mit einem wahren Festtagsgesicht, das immer länger ward, je näher er mir kam, und mein Aussehen und meinen Aufzug gewahr ward. Seine ganze Haltung schwebte zwischen Erstaunen und Verlegenheit. In jeder andern Stimmung hätte mich Se. Herrlichkeit sehr belustigt, jetzt war es mir aber ganz gleichgültig; es war ein schöner warmer Herbsttag, der Sonnenschein tat mir wohl, ich legte mich bequem auf den schönen Sitz und ließ den Lord sich wundern und nicht begreifen. Seine Fragen beantwortete ich ihm zur höchsten Notdürftigkeit; er wußte bald, wie es gegenwärtig mit mir stand, und mein Begehren, einige Zeit lang bei ihm auf dem Lande zu wohnen. Nach einigem Husten und Räuspern, und einem sehr bedeutenden Spiel mit Uhrkette und Hemdkrause, erzählte er mir endlich: während seiner Rückreise nach England sei sein Vater plötzlich gestorben, und habe viel Schulden und die Güter in Unordnung gelassen. Auch er habe nach gemachter Rechnung, auf seinen Reisen weit mehr ausgegeben, als ihm eigentlich erlaubt gewesen. Schon auf dem Punkt, ganz ruiniert zu sein, habe er seine gesammelten Schätze der Kunst und die größten Seltenheiten alle verkaufen müssen, was doch nicht zugereicht habe, ihn wieder in Ordnung zu bringen; er sei aber jetzt so glücklich gewesen, eine sehr reiche Frau zu finden, durch deren Vermögen er sich wieder in den Stand gesetzt sehe, seinen alten Glanz anzunehmen. Er finde sich überaus glücklich; nur auf das Glück, seinen alten Freunden öffentlich viel zu sein, müsse er Verzicht tun; heimlich könne er aber manches für sie tun. Seine Anverwandte und die Familie seiner Gemahlin, die jetzt zu seinem Glück alles getan habe, müsse er durchaus hierin schonen, und ihnen nicht das Zutrauen nehmen, daß er von seiner Neigung zur Verschwendung geheilt sei, wovon sie immer noch einen Rückfall befürchteten. Da sie nun seinen Aufenthalt in Italien als den Hauptgrund seines Verderbens ansähen, so sei ihnen alles verdächtig, was von dort herkomme, besonders alle Künstler, und was damit zusammenhänge. Jetzt sei die ganze Familie noch in seinem Hause zu den Vermählungsfesten versammelt, und er sowohl als ich würden viel von ihrer übeln Laune und ihrem Verdacht zu leiden haben, wenn er mich als Künstler und Bekanntschaft aus Italien bei ihnen einführen wollte; das, was er mir schuldig sei, was ich für ihn getan, komme in keinen Betracht bei ihnen, da er jene Geschichte mit einigen andern Umständen erzählt habe, und sie nur die Summe berechneten, die er an jenem Abend im Spiel verloren. Seine Freundschaft und ewige Dankbarkeit sei noch immer dieselbe für mich; ich sollte nur erst eine andre Toilette machen und in einem Wagen oder zu Pferde bei ihm ankommen, dann wollte er mich unter fremden Namen, als Graf oder Marquis vorstellen, unter diesem Titel könnte ich eine Zeit lang, wie zum Besuch, bei ihm bleiben. Alsdann wollte er mir eine bequeme Gelegenheit, nach Frankreich zu reisen, verschaffen, und mir einige sehr gute Empfehlungen dorthin mitgeben. Sollte ich mich aber nicht in diese Maßregeln fügen können, so möchte ich wenigstens nicht die kleinen Beweise seiner Dankbarkeit und Freundschaft verschmähen, und erlauben, daß er sich zum Teil der großen Verbindlichkeiten entledige, die er mir habe. Wo ich auch wäre, sollte ich mich seiner erinnern, und immer auf seine Freundschaft rechnen. Während dessen hatte der großmütige Lord einen Geldbeutel hervorgezogen und ihn neben mir auf die Bank hingelegt.
Als ich merkte, daß er nichts mehr zu sagen hatte, und irgend eine Antwort erwartete, stand ich auf, setzte meinen Hut gelassen auf, wandte mich und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Überdies war auch eben die Sonne untergesunken. Wie lange er mir nachgesehen haben mag, weiß ich nicht.
Mir war leichter, da ich hinaus ging, als da ich herein trat. Der Auftritt hatte meiner Laune ganz wohl getan, mir war so leicht wieder zu Sinn, als seit lange nicht; es war mir, als hätte ich eine große Rechnung im Leben abgeschlossen, und könnte nun auf neues Konto wieder anfangen.
Ich genoß im nahen Gasthofe einiger ruhigen Stunden, in denen ich überlegte, was ich nun tun wolle? Zur Armee konnte ich noch nicht, ich hätte bei meiner angegriffenen Gesundheit das Soldatenleben nicht ertragen, es ging überdies zum Winter. Ich ging zurück nach London, verkaufte meine überflüssigen Habseligkeiten, und so mit recht frischem heitern Sinn, der nicht wenig dazu beitrug, daß ich bald wieder Kräfte und Gesundheit erlangte, verließ ich England und schüttelte den Staub von meinen Füßen, als ich wieder zu Calais anlangte.
Im südlichen Frankreich hoffte ich zuerst meine Gesundheit wieder zu erlangen, ich beschloß also hinzuwandern und den Winter unter jenem milden Himmel abzuwarten. Den Fußreisen fing ich an vielen Geschmack abzugewinnen; es gibt keine lustigere und abenteuerlichere Art zu reisen, wenn es einem eben nicht darauf ankömmt etwas später an das Ziel seiner Reise zu gelangen, oder wenn man, was noch schöner ist, seiner Reise kein Ziel zu setzen braucht.
Freilich mußte ich nun wieder zum Porträtmalen meine Zuflucht nehmen, um durchzukommen. Es ward mir aber schwerer und zuletzt ganz unmöglich, eine Kunst, die die Göttin, das Glück und die Gefährtin meiner schönen und glücklichen Tage gewesen war, im Unglück als Magd zu gebrauchen. Ich behalf mich oft lieber äußerst kümmerlich, litt manchen Tag lieber wirklich Not, ehe ich mich dazu entschloß. Ich half mir sinnreich genug, und auf unzähliche Weisen durch; eine der angenehmsten war mir darunter, als Spielmann von Dorf zu Dorf versorgt zu werden.
Auf meiner Wandrung machte ich zufällig die Bekanntschaft eines Schweizers, der mit seiner kranken Frau den Winter in Frankreich zubringen wollte, um sie wenigstens so lang als möglich zu erhalten, da keine Hoffnung zu ihrer völligen Wiederherstellung war. Sie starb während des Winters, und er, der über ihren Verlust sehr trauerte, bat mich, ihm auf seiner Rückreise nach Basel Gesellschaft zu leisten. Ich nahm es gern an, ich hatte die Schweiz noch nicht gesehen. Um sich zu erheitern, reiste er nicht geradezu nach Basel, wo er wohnte, sondern begleitete mich vorher auf meinen Zügen in den Alpen. Ich machte einige gutgelungene Zeichnungen, die er behielt. Unter diesen Beschäftigungen verstrich wieder der Sommer; nun ging ich mit ihm nach Basel, wo ich durch ihn in einigen artigen Häusern bekannt ward.
Die Härte des Winters hielt mich lang in Basel, während dem gab ich Unterricht im Zeichnen und Malen. Einigen liebenswürdigen Menschen dort habe ich gar vieles zu verdanken, ohne daß sie es vielleicht ahnden. Auf ihren Rat, und durch ihr Lob aufmerksam gemacht, lernte ich Deutsch und einige eurer guten Dichter kennen. Sie gaben mir glückliche Stunden, und rechtfertigten meine Vorliebe für die Deutschen. Ich ward durch sie bewogen noch erst durch Deutschland zu reisen, und mich noch länger den Stürmen eines ungewissen Lebens hinzugeben, eh ich zu meiner Bestimmung gelange. Sobald man nur hoffen durfte, daß die Kälte nicht mehr zurückkehren würde, habe ich mich von Basel aufgemacht; ich habe einige schöne Teile von Deutschland durchreist, und fühle mich so gestärkt an Leib und Seele, daß ich nun meinen Entschluß gewiß auszuführen gedenke. Mich treibt etwas Unnennbares vorwärts, was ich mein Schicksal nennen muß. Es lebt etwas in mir, das mir zuruft, nicht zu verzagen, und nicht bloß zu leben, um zu leben, ich muß meinen Endzweck, ich muß das Glück, das ich ahnde, wirklich finden. –
Ihr wolltet es so, meine guten Freunde, da habt ihr also die Erzählung meiner wichtigsten Begebenheiten. Es sind wunderliche Bilder der Vergangenheit in mir rege geworden, bei denen ich mich vielleicht zu lange aufgehalten habe, sie haben sich meiner bemeistert. Laßt es geheim zwischen uns bleiben, was ich euch erzählt habe. Es gibt Menschen, die das, was man ihnen sagt, selten so nehmen, wie man es sagt, und wie man es genommen haben will, sondern aus eigner Bewegung noch ganz etwas anders dahinter suchen und vermuten. Der Himmel gebe, daß euch meine Erzählung keine Langeweile gemacht, und daß ihr jetzt nicht übler von mir denkt als vorher.«
Beide versicherten ihn ihrer freundschaftlichsten Teilnahme, und daß er ihnen vielmehr jetzt noch werter geworden sei. Sie unterhielten sich noch mit ihm über diese und jene Begebenheit, die ihnen aufgefallen war. Juliane erkundigte sich genauer nach den Namen, Verhältnissen und den Personen, die darin vorkommen. – »Fragen Sie mich nicht um dergleichen Zufälligkeiten, liebe Juliane, sie gehören nicht auf die entfernteste Weise zu mir, und von mir sollte ich Ihnen erzählen! Hinz oder Kunz, es ist einerlei. Wenn es Ihnen so um den deutlichen Begriff der Persönlichkeit zu tun ist, so können Sie sich Personen nach Ihrer Bekanntschaft dazu denken, man findet sehr leicht passende Vorbilder. Und nun, bevor wir uns auf den Rückweg machen, lassen Sie uns noch erst tiefer ins Gebirge hineingehen, dort von dem Gipfel eines Bergs, den ich kenne, ist eine Aussicht, die ich, eh die Sonne untergeht, zeichnen und Ihnen, lieben Freunde, als ein Gastgeschenk und ein Andenken dieses Tages zurücklassen will. Die Sonne steht nicht mehr hoch, es hat sich ein kleiner Wind erhoben, und Sie können ohne Beschwerde gehen, Juliane.« –
Jene waren es wohl zufrieden, man machte sich auf den Weg, und im Gehen sagte Florentin: »Jene Aussicht habe ich aus einem ganz besondern Grund zum Abzeichnen ersehen. Man sieht von dort ein Haus, das mich durch seine Bauart und eine Ähnlichkeit in der Lage an eine lustige Geschichte erinnert, die ich euch noch erzählen will. Ihr mögt euch meiner dabei erinnern, wenn ich fern bin, und ihr die Zeichnung beschaut in friedlichen Tagen.
Als ich in Venedig war, ließ ich mich in einer der schönen Nächte mit einigen jungen Leuten auf dem Golfo herumfahren. Wir machten Musik, und waren voller Mutwillen und Lust. Einer unter ihnen hatte eine gute Freundin, die in einem Landhause nicht weit vom Ufer wohnte, es fiel ihm ein, ihr eine Musik unter ihrem Fenster zu bringen, und er bat uns ihn zu begleiten: wir willigten ein, und stiegen ans Land. Die Musik ward gebracht, und so gnädig aufgenommen, daß man uns alle einlud ins Haus zu kommen, um Erfrischungen einzunehmen. Der gute Freund ging sogleich hinein, wir andern entfernten uns bescheiden, nachdem wir einen Ort bestimmt hatten, an dem wir uns wieder zusammenfinden wollten. Wir zerstreuten uns; was die andern anfingen weiß ich nicht, ich ging am Ufer des Golfo entlang, freute mich über die entzückende Aussicht, die in glänzendem Mondlicht vor mir lag, und hörte dem Gesang der Gondeliere zu, und der verschiedenen Musik auf den Gondeln, die hin und her schwammen. So fortwandelnd, sah ich mich auf einmal vor einem Gitter, das ein anmutiges Blumen-Parterre umschloß, von dem die Gerüche die Luft um mich her durchwürzten. Am andern Ende des Parterres, dem Gitter gegenüber, war ein Haus sichtbar mit einem Balkon, der nur wenig von der Erde erhöht war, auf demselben standen die Türen offen, die nach einem Zimmer zu führen schienen, aus dem ein helles Licht schimmerte, und der Gesang einer weiblichen Stimme, von einer Guitarre begleitet, erscholl. Das Ganze zog mich hinlänglich an, um mich etwas näher umzusehen. In einem Augenblick sprang ich über das Gitter, und stand dicht vor dem Balkon, wo ich das ganze Zimmer hinter demselben übersehen konnte.
Es war ein niedlich gebauter Salon, der so geschmackvoll und zugleich prächtig dekoriert war, als ich es selten gesehen habe. Besonders zog meine Blicke ein schöner Fußteppich an, mit grünem Grund, auf den zerstreute Rosen eingewirkt waren, der sich gegen die glänzenden mit Gold verzierten Wände sehr schön ausnahm. Das Ganze ward von einem kristallnen Kronleuchter zauberisch beleuchtet. Eine schöne junge Frau, im leichtesten zierlichsten Gewande, die schwarzen Haare oben auf dem Kopfe zusammengeknüpft, ging singend auf diesem Teppich mit leichtem Fuß umher, in ihrem Arm ruhte die Guitarre, die sie mit vieler Anmut spielte. Einige große Spiegel an der gegen mir überstehenden Wand vervielfachten das Bild der reizenden Gestalt im Vorüberschweben. Ich war wie festgebannt, ich konnte mich nicht satt sehen. Sie legte die Guitarre hin, und zog eine Schelle, ein Lakai in reicher Livree trat herein und brachte Erfrischungen, sie setzte sich nun auf den Sofa dicht am offnen Balkon und verzehrte einige Orangen, die sie erst mit großer Zierlichkeit schälte. Die unbedeutendste Bewegung gefiel mir an ihr. Ich mußte es wagen, sie zu sprechen, das war gewiß. Ohne mich lange zu besinnen, sang ich halb leise einige Verse auf dieselbe Melodie, die sie soeben gesungen hatte. Ich konnte sie genau dabei beobachten: erst war sie erschrocken, dann staunte sie, zuletzt ward sie aufmerksam, ich hörte auf und seufzte tief. Einen Augenblick besann sie sich, dann trat sie auf den Balkon heraus; sie sprach einige Worte, aus denen ich merkte, daß sie mich für einen andern nehmen mußte. Ich antwortete so, daß sie nicht sogleich aus dem Irrtum gerissen ward. Als ich hoffen durfte, daß die Unterhaltung sie genugsam interessierte, gab ich ihr zu verstehen, daß ich ihr unbekannt sei. Sie war aufgebracht, ging zurück, sprach aber doch immer weiter durch die offen gebliebene Türe; es währte nicht gar lange, so hatte ich sie wieder durch Bitten und Schmeicheleien auf den Balkon gezogen. Sie wollte meinen Namen wissen, ich sagte ihn ihr, sie schien einiges Zutrauen zu gewinnen als sie ihn hörte. Sie hatte schon viel zu meinem Vorteil gehört, sagte sie, und schon lange gewünscht mich persönlich zu kennen. Was konnte sie mir Erfreulicheres sagen? Auch war unsre Bekanntschaft mit diesen wenigen Worten so gut als befestigt. Meine Rolle war etwas schwierig, ich mußte durchaus sie schon gesehen, gekannt, geliebt haben, sonst wäre mein Eindringen ganz unverzeihlich gewesen, auch sprach sie ganz so, als ob mir alle ihre Verhältnisse bekannt sein müßten, da ich doch nicht das mindeste, nicht einmal ihren Namen wußte, und sie zum ersten Mal sah.
Gewandtheit und Dreistigkeit halfen mir glücklich durch. Nach einigen kleinen Debatten erhielt ich Erlaubnis, sie den folgenden Abend an demselben Ort wieder zu sehen. Ich mußte nun zurück, ich fand meine Gefährten am bestimmten Ort wieder, und schiffte mich mit ihnen ein. Auf meine Erkundigung erfuhr ich von ihnen, wer meine schöne Unbekannte sei. Die Nachrichten waren gut und erfreulich. Aus einem großen Hause, vom Kloster an einen Mann vermählt, der alt genug war, ihr Großvater zu sein; sie lebte größtenteils auf dem Lande, wo ihr Gemahl sie dann und wann besuchte. Sie liebte ihn nicht, war keine Feindin der muntern Gesellschaft, ... kurz ich fand keine Ursache zu verzweifeln.
Die folgende Nacht fand ich mich wieder vor dem allerliebsten Balkon ein. Dasselbe Licht, derselbe Glanz. Ich stand nicht lange, als sie heraustrat, sie sprach freundlich mit mir, ich bat um Erlaubnis zu ihr hinauf zu kommen, sie verweigerte es nur schwach, ich ward dringender, sie nachgebender; mit einem Sprung war ich auf dem Balkon zu ihren Füßen. Das Geständnis ihrer Liebe entzückte mich. Nun saß ich ihr gegenüber, auf demselben Teppich, von demselben Kronleuchter beleuchtet. Sie saß wieder auf demselben Sofa, schälte Orangen, die sie mit mir teilte, ich war wie berauscht, meine Sinne waren gefangen. Einige Stunden waren schnell verscherzt, nun verlangte sie, ich sollte wieder fort; dieser leichte Anstrich von Sprödigkeit, mich nicht länger bei sich zu behalten, konnte mir nicht sehr imponieren, ich bestand darauf nicht fortzugehen, und es ward mir erlaubt zu bleiben. Doch mußte ich wieder hinaus auf den Balkon, um dort zu warten, bis sie mich wieder rufen würde, und ihre Frauen erst fortzuschicken. Die Lichter wurden ausgelöscht, ich mußte lange draußen stehen, es fing an zu regnen, ich ward verdrießlich, Langeweile war mir von je her unter jeden Umständen unleidlich. Endlich kam eine Gestalt, die mich bei der Hand nahm, nicht die bekannte, es war eine vertraute alte Kammerfrau, sie führte mich durch einige finstre Zimmer, jeder Umstand fiel mir unangenehm auf. Endlich öffnete sie eine Tür und ging zurück. Die Gebieterin kam mir entgegen, sie war im nachlässigen Nachtgewande, sehr schön, das Zimmer äußerst prächtig, der Schein einer Lampe erleuchtete es nur dämmernd; alles war köstlich, unvergleichlich, aber es war nicht jenes Zimmer, jene Erleuchtung, jene Spiegel, jener schöne Teppich; mich umgab nicht der süße Blumenduft, es war nicht dieselbe Grazie, die umherschwebte. Ich sehnte mich nach dem Schimmer, nach der Luft jenes kleinen Tempels, der mich zuerst so freundlich begrüßt und meine Phantasie gefangen genommen hatte. Das ganze reizende Bild war mir entrückt, meine Wünsche mir fremd geworden. Ich setzte mich neben die schöne gütige Dame, und sprach einiges mit ihr, wahrscheinlich waren es höchst gleichgültige abgeschmackte Phrasen, die die Dame sehr betreten machten, und ebenso gleichgültig beantwortet wurden. Es gab einen Augenblick der sonderbarsten verlegensten Stille, ich fühlte das Unschickliche, wollte durchaus wieder in meine vorige Stimmung kommen, die Anstrengung gelang mir schlecht, ich ward völlig verdrießlich, und ... schlief endlich ein! Als ich erwachte, schien der Tag hell ins Zimmer hinein; ich fand mich allein, noch auf demselben Sofa: es währte einige Minuten eh ich mich entsinnen konnte, wie ich in dieses Zimmer gekommen, und was mit mir vorgegangen war? Aber mit welcher Beschämung fiel mir nun mein ganzes Abenteuer und mein unerklärlich albernes Benehmen ein. Die Türen waren alle offen, kein Mensch kam mir in den Weg, ich schlich mich unbemerkt aus dem Hause, und eilte aus der Gegend, so schnell als möglich. Ich war überzeugt, daß meine Geschichte so höchst lächerlich, als sie wirklich war, und gewiß mit den unvorteilhaftesten Zusätzen, in Venedig herumkommen würde, und traute mich gar nicht, mich die erste Zeit wieder dort sehen zu lassen. Ich verließ also Venedig auf einige Monate, und zog aufs Land. Das war die Zeit, von der ich Ihnen erzählt, die ich unter Hirten auf dem Lande gelebt habe.« –
»Dies ist gegen die Abrede, Florentin«, sagte Juliane, »diese Geschichte gehörte noch zu ihren Konfessionen!« –